Materialmappe zur Inszenierung von JESUS CHRIST SUPERSTAR
Transcription
Materialmappe zur Inszenierung von JESUS CHRIST SUPERSTAR
Materialmappe zur Inszenierung von JESUS CHRIST SUPERSTAR von Andrew Lloyd Webber Premiere: 23.10.2008, Großes Haus Musikalische Leitung: Ariane Müller/ Gordian Teupke Inszenierung: Werner Pichler Bühne: Britta Lammers Kostüme: Andrea Hölzl Gott, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! JESUS Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 2 Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 3 Liebe Lehrerinnen und Lehrer, wir glauben, dass das Erlebnis Theater erst dann richtig beginnt, wenn man begreift. Schüler sollten auf den Theaterbesuch vorbereitet werden, damit sie ihn genießen können. Die kleinen Materialsammlungen zu den Inszenierungen am Theater Ulm sollen Ihnen zur Vorbereitung des Theaterbesuchs mit Ihrer Klasse dienen. Neben Hintergrundinformationen zu Autor und Werk enthalten sie Materialien, die für den Zugriff des jeweiligen Regisseurs von Bedeutung sind. Außerdem am Ende einige theaterpädagogische Anregungen, mit denen Sie bestimmte Themenkomplexe der Inszenierung mit ihren Schülern praktisch „anSPIELEN“ können. Sie können sich aus diesen Materialien einzelne Dinge herausgreifen, sie abwandeln oder das gesamte Material verwenden. Viel Freude beim Ausprobieren und dem Theaterbesuch wünscht Nele Neitzke Altersempfehlung: Ab 13 Jahren Dauer: 2 Stunde 15 Minuten, eine Pause Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 4 Eine der größten Erzählungen de Menschheitgeschichte erzählt Andrew Llloyd Webber hier in Musical-Form: die letzten sieben Tage im Leben Jesus Christus. Das letzte Abendmahl, Jesus´ Verhältnis zu Maria Magdalena (spätestens seit dem „Da Vinci Code“ in aller Bewusstsein), der Verrat durch Judas, die historienträchtige Entscheidung des Statthalters und schließlich der Tod am Kreuz. DER KOMPONIST Andrew Lloyd Webber wurde 1948 im englischen Westminster (London) geboren. Er stammt aus einer musikalischen Familie: sein Vater war Organist, Professor für Musiktheorie und Komposition sowie Direktor am London College of Music, seine Mutter eine anerkannte Musikpädagogin und sein Bruder ist der Cellist Julian Lloyd Webber. Zunächst lernte er Horn und Klavier sowie die englische Volks- und Kirchenmusik und die klassische englische Musik des 20. Jahrhunderts (Britten, Elgar, Holst) kennen und verfasste erste Kompositionen (u.a. eine Suite für Kindertheater und Popsongs). Dann studierte er am Royal College of Music und wandte sich schon bald dem Musicalbereich zu. Mit 17 Jahren lernte er den Lyriker Tim Rice kennen, mit dem er etliche Songs sowie 1968 das Pop-Oratorium „Joseph And The Amazing Technicolor Dreamcoat“ schrieb, das 1972 beim Edinburgh Festival einen großen Erfolg hatte. Es folgten weltweit präsentierte Filmmusiken und Musicals, unter denen „Jesus Christ Superstar“ (1971). „Evita“ (1978). „Cats“ (1981), „Starlight Express“ (1984) und „The Phantom Of The Opera“ (1986) nur die populärsten sind. 2000 kam „The Beautiful Game“ heraus, und zuletzt feierte Lloyd Webber am Londoner Westend mit seiner Musicaladaption von „The Woman in White“ Erfolge. „Das Phantom der Oper“ wurde im Januar 2006 zum am längsten laufenden Musical in der Geschichte des Broadway. Lloyd Webber gewann zahlreiche Tony Awards, Drama Desk Awards, drei Grammys (1986 für sein „Requiem“ in der Kategorie für die „beste klassische zeitgenössische Komposition“) und fünf Laurence Olivier Awards. 1992 wurde er zum Ritter der Kunst geschlagen, 1995 in die American Songwriter‘s Hall of Fame aufgenommen. Im selben Jahr erhielt er auch den Praemium Imperiale Award for Music, 1996 den Richard Rodgers Award for Excellence in Musical Theatre und 1997 gemeinsam mit Tim Rice den Golden Globe und einen Oscar für den Besten Original-Song für die Filmmusik zu „Evita“. In Königin Elizabeths Neujahrs-Ehrung des Jahres 1997 wurde er zum Lord Lloyd-Webber of Sydmonton erhoben. 2000 liefen weltweit 27 Lloyd Webber-Shows gleichzeitig. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 5 DER AUTOR Tim Rice wurde 1944 in Amersham (Buckinghamshire) geboren. Für kurze Zeit ging er an die Pariser Sorbonne, um Jura zu studieren, wollte aber eigentlich Pop-Sänger werden. Er wirkte sodann in der Schallplattenindustrie und wurde als Rundfunksprecher und Fernsehansager einem breiten Publikum bekannt. Nach den fast anderthalb Jahrzehnten des gemeinsamen Schaffens mit Andrew Lloyd Webber arbeitete Tim Rice für und mit vielen anderen bedeutenden Künstlern, so mit Elton John für den Oscar-gekrönten Titelsong des Disney-Films „König der Löwen“ (1995) und für das Musical „Aida“ (1999). Neben seiner Tätigkeit als Song- und Stücktexter widmet sich Rice der Herausgabe von Büchern, dem Verfassen von Kolumnen im Londoner „Daily Telegraph“ und seiner Aufgabe als Vorsitzender der britischen Foundation for Sport and the Arts. Für seine Leistung auf diesem Gebiet wurde er 1994 von der Königin in den Adelsstand erhoben. INHALT DES STÜCKES In Jerusalem und Umgebung: Die Geschichte der letzten sieben Tage im Leben Jesus‘ wird aus der Sicht von Judas Iscariot erzählt. Jedoch ist es nicht der Judas der christlichen Mythologie, der hier beschrieben wird. Der Mann, dessen Name gleichbedeutend mit dem Begriff „Verräter” geworden ist, ist vielmehr ein normaler Mensch, der mit wachsender Besorgnis beobachtet, wie die neue ethisch-religiöse Bewegung, an der er teilhat, zum Ziel von Fanatikern wird und wie ihr Anführer Jesus von seinen hysterischen Anhängern in solch einem Ausmaß verehrt wird, daß Anlaß zu Sorge besteht. Judas‘ Versuche, seinen Herrn und Meister auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, ihn an seine eigentliche Mission zu erinnern, werden von dem überspannten Jesus, auf den nur Maria Magdalena einen beruhigenden Einfluß zu haben scheint, launisch abgeblockt. Die Besorgnis ist berechtigt, denn die Priester Jerusalems sind beunruhigt über den von Jesus verursachten Wirbel, der die Aufmerksamkeit der römischen Machthaber auf diesen Teil der Welt zu lenken droht. Sie beschließen, die gefährliche Bewegung samt ihrem aufrührerischen Führer auszuschalten, zumal Jesus sich auch durch die Appelle des Hohenpriesters Caiaphas nicht von seinem Weg abbringen läßt und der Mob den Haß auf die römischen Besatzer geschürt wissen möchte. Als die Lage sich immer stärker zuspitzt und Jesus Anzeichen zeigt, unter dem auf ihm lastenden Druck zusammenzubrechen (der Statthalter Pontius Pilatus hat unterdessen von einem Traum berichtet, in dem er für den Tod eines Manns aus Galiläa verantwortlich gemacht wird, und Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben), schiebt Judas alle Zweifel beiseite. Er glaubt, die einzige Möglichkeit, Gewaltakte unter der Bevölkerung zu verhindern, sei die, Jesus einsperren zu lassen. Deshalb sucht er die Priester auf und verrät ihnen für 30 Silberlinge, die er nur widerstrebend Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 6 annimmt, wann und wo sie Jesus allein und ohne Gefahr gefangennehmen und so einen Aufruhr verhindern können. Beim letzten Abendmahl sieht Jesus sein Schicksal voraus und deutet auf Judas als den Verräter, der sein Verhalten jedoch damit rechtfertigt, daß Jesus seinen Idealen untreu geworden sei. Im Garten Gethsemane wird Jesus von Soldaten aufgespürt und verhaftet; der Jünger Peter leugnet, ihn überhaupt zu kennen. Judas erkennt, daß er von Gottes Fügung benutzt worden ist, die Bestimmung Jesus‘ auf Erden zu vollenden, und erhängt sich voller Verzweiflung. Weder Pilatus noch Herodes, der König von Galiläa, wollen den Gefangenen aburteilen, aber die von den Priestern aufgewiegelte Volksmenge, die sich von Jesus betrogen fühlt, der sich nicht verteidigen und keine Wunder vor ihren Augen vollbringen will, zwingt Pilatus, ihn zum Tod zu verurteilen. Jesus wird gekreuzigt, während Judas‘ Stimme die Frage stellt, warum alles so kommen mußte, wie es gekommen ist: War es Teil eines Plans, Jesus zu einem “Superstar” zu machen, an den man sich in alle Ewigkeit erinnern würde? SONGS Heaven on Their Minds What‘s the Buzz Strange Thing Mystifying Everything‘s Alright This Jesus Must Die Hosanna Simon Zealotes Poor Jerusalem Pilate‘s Dream The Temple I Don‘t Know How to Love Him Damned for All Time Blood Money The Last Supper I Only Want to Say The Arrest Peter‘s Denial Pilate and Christ King Herod‘s Song Could We Start Again, Please Judas‘ Death The Trial Before Pilate Superstar Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 7 LLOYD WEBBER ÜBER DAS STÜCK „Wir wollten etwas schreiben mit vielen Mitwirkenden, etwas Dramatisches, das alle Leute anspricht und eine Oper, weil ich persönlich gern ein ernstes Stück mit populären Techniken machen wollte , nicht bloß Techniken, sondern ein-fach mit meiner persönlichen Liebe zur Melodie, darauf läuft es letzten Endes hinaus. Wir wandten uns dem Christus-Stoff zu, weil er Tim erlaubte, sich als Dichter zu versuchen und die Christusgeschichte in neuer Art zu interpretieren. Er tat es auch, indem er Judas zum Helden der Geschichte machte. Er schildert ihn als Mann des praktischen Lebens, der einer Gestalt wie Christus zugetan ist, die zu der Zeit schon ihre Aufgabe erfüllt hat und während der letzten sieben Tage des Lebens ihre Kraft verbraucht. Es ist eine sehr menschliche Version von Christus, die seine Größe nicht leugnet, doch die Göttlichkeit einfach nicht zur Diskussion stellt. Dieser Standpunkt zwingt dazu, menschliche Reaktionen von anderen einer großen Gestalt gegenüber zu behandeln. Tims Text führt die Fi-guren, die um Christus sind, zusammen, der selbst in den Augen der Leute keine klaren Umrisse hat. Maria Magdalena ist die weltliche, die sich in ihn verliebt hat; Pilatus sieht sich mit ihm konfrontiert; Judas hatte laut Bibel die Aufgabe, die Gelder zu kontrollieren; Simon ist der Revolutionär, der in Christus die Leit-figur einer Bewegung zur Überwindung der Welt durch Gewalt sieht.“ ENTSTEHUNG UND WIRKUNG Jesus Christ Superstar war das erste abendfüllende Werk des Teams Lloyd Webber und Rice und folgte der für Schulaufführungen geschriebenen Mi-niaturkantate Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat (1968), die auf der Josephslegende basiert. Nach dem Erfolg dieses Stücks war eins der ersten Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit der Song “Superstar”, den die Autoren aber als Teil eines größeren Ganzen betrachteten: Ihnen schwebte ein Bühnenmusi-cal mit der Geschichte Jesu vor, das in Kantatenform wie Joseph gehalten sein und dessen Titelsong „Superstar“ werden sollte. Ihr Agent David Land konnte zunächst keinen Produzenten für ein Stück solchen Inhalts finden; statt dessen gelang ihm ein Abschluß mit einer Plattenfirma, die Jesus 1970 veröffentlichte. Diese Aufnahme war (vor allem in den Vereinigten Staaten) so erfolgreich, daß trotz religiöser Bedenken (Juden und Christen könnten gleichermaßen verstört auf ein Musical dieser Thematik reagieren) wieder eine Bühnenfassung in Be-tracht gezogen wurde. Zwar wollte der für seine spektakulären Musicalproduk-tionen bekannte Impresario Harold Fielding Jesus in bester Opernmanier auf die Bühne bringen, jedoch gaben die Autoren dem andersgearteten Konzept Robert Stigwoods, des Produzenten der Londoner Version von MacDermots Hair (1967), den Vorzug. Die Uraufführung (Regie: Tom O‘Horgan; Judas: Ben Vereen) war phantasievoll und Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 8 ideenreich, jedoch lenkten die Bühneneffekte und die poppige Ausstattung eher vom Inhalt ab und waren nicht nach jedermanns Geschmack (beispielsweise wurde der gekreuzigte Jesus von einem Gabelstapler von der Bühne gefahren). So liefen religiöse Gruppen denn auch Sturm gegen das Stück. Die einen protestierten gegen die sexuelle Beziehung zwischen Jesus und Mary Magdalene, die andern störten sich an der Darstellung Jesus‘ mit einem Koller, noch andere stuften das Musical als antisemitisch ein, da die Priester als blutrünstige Bestien gezeigt wurden. Beim Publikum jedoch, das sehen wollte, wie eine Schallplatte in ein Bühnenspektakel umgesetzt wird, hatte das Stück großen Erfolg; es brachte es auf 720 Vorstellungen am Broadway; Lloyd Webber wurde mit dem Drama Desk Award ausgezeichnet. Bald folgten erste Auslandsproduktionen, von denen die australische besonders hervorzuheben ist: Sie verzichtete auf Exzentrizitäten und war in einem strengen, modernistischen Stil gehalten, der sich als so wirkungsvoll erwies, daß der Regisseur Jim Sharman auch für die Inszenierung in London verpflichtet wurde, wo das Stück 1972 im Palace Theatre, allerdings in mehr traditioneller Form, herauskam und zum Musical mit der längsten Laufzeit (zehn Jahre) in der Geschichte des britischen Theaters wurde. Jesus Christ Superstar ging rund um die Welt, wurde aber in Südafrika aus religiösen Gründen verboten; in Deutschland wurde es 1972 in Münster (Westf.) herausgebracht. Der Verfilmung (1973) von Norman Jewison fehlte der Reiz der Bühnenshow. Das Broadway-Revival von 1977 konnte an den Erfolg der Originalproduktion nicht anknüpfen und wurde nach nur 96 Vorstellungen abgesetzt. „JESUS CHRIST SUPERSTAR“ URAUFGEFÜHRT Anfang der 1970er Jahre erwachte in den USA eine neue Religiosität. Nach James Dean, Elvis, den Beatles und Woodstock wurde Jesus Christus zum neuen Idol weiter Teile der Jugend. Sichtbarer Ausdruck dieser Welle war der enorme Erfolg der Rockoper „Jesus Christ Superstar“. Sie machte den Komponisten Andrew Lloyd Webber und den Texter Tim Rice über Nacht weltberühmt. Der internationale Triumph von „Jesus Christ Superstar“ begann bereits 1970, als ein Jahr vor der Uraufführung des Musicals in New York die gleichnamige Schallplatte in Großbritannien veröffentlicht wurde - allerdings wies zunächst gar nichts auf einen Verkaufserfolg hin. Das änderte sich jedoch, als die Musik in den USA wie eine Rakete einschlug und zweieinhalb Millionen Schallplatten innerhalb von zwölf Monaten verkauft wurden. Für Webber und Rice öffnete das die Türen zum Broadway. „Jesus Christ Superstar“ war das erste Musical in der Broadwaygeschichte, das auf einer Plattenproduktion basierte und das erste, das schon vor den Proben ein Erfolg war. Als sich der Vorhang im New Yorker Mark Hellinger Theater zur ersten von insgesamt 720 Aufführungen hob, war das Stück bereits für sechs Wochen im Voraus ausverkauft und hatte schon im Vorverkauf über eine Million Dollar eingespielt. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 9 Kunst oder Blasphemie? „Phantastisch“ - so lauteten mehrheitlich die spontanen Reaktionen des Premierenpublikums auf das Musical, das in einer als Song-Zyklus gestalteten epischen Bilderfolge die letzten sieben Tage des Lebens von Jesus Christus schildert. Regisseur war Tom O´Horgan, der 1968 schon das Musical „Hair“ inszeniert hatte. Am 12. Oktober 1971 wird in New York das Musical „Jesus Christ Superstar“ uraufgeführt. Die Rockoper bringt dem Komponisten Andrew Lloyd Webber und dem Texter Tim Rice über Nacht Weltruhm - und Jesus Christus wird zum neuen Idol weiter Teile der Jugend. Während im Saal das Publikum die Rockoper von Webber und Rice mit stehenden Ovationen feierte, protestierten vor den Türen des Theaters konservative religiöse Gruppen. Unbeeindruckt von den Rufen „Blasphemie“ hatte sich auch New Yorks damaliger Bürgermeister John Lindsay seinen Weg durch die Demonstranten gebahnt. Auf die Frage, ob er das Musical anstößig finde, meinte er: „Nein, ich finde es großartig.“ Extravagante Premierenparty Zu den Kritikern gehörte auch das American Jewish Committee. Dort befürchtete man durch eine angebliche Stilisierung der Juden als Mörder eine Verschlechterung der christlich-jüdischen Beziehungen. Dazu meinte ein jüdischer Besucher der Premiere: „Das Stück geht überhaupt nicht hart mit den Juden um. Da stehen im Neuen Testament ganz andere Sachen.“ Katholische Kreise warfen der Inszenierung vor, die Göttlichkeit von Jesus zu leugnen und Judas zum Helden zu machen. Während Schauspieler und Musiker in der Nacht vom 12. Oktober 1971 mit ihren geladenen Gästen im Lokal „Tavern On The Green“ eine der bis dato teuersten und extravagantesten Premierenparties feierten, fieberten Webber, Rice, O´Horgan und Produzent Robert Stigwood den ersten Kritiken entgegen. Diese fielen nicht gerade prächtig aus, wenn man von der „Daily News“ absieht, die das Stück als „Triumph“ feierte. Der Fernsehsender „ABC“ war weniger begeistert: „Enttäuschend“ lautete hier das Urteil. Es war vor allem die Inszenierung selber, die viele Kritiker als zu ereignislos bezeichneten. Doch weder Proteste noch die schlechten Kritiken konnten den weltweiten Erfolg von „Jesus Christ Superstar“ beim Publikum aufhalten. 24. September 2008 16:36 http://ei nestages.spiegel.de/static/topical bumbackground/333/1 /_jesus_christ_super star_uraufgefuehrt.html Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 10 CHRISTUS AUF DER BÜHNE Die Jesus-Figur kam im Mittelalter auf die europäischen Bühnen, als das Theater hier eine zweite Hoch-Zeit (nach der Antike) erlebte. Doch wie das antike hellenistische Theater hat sich auch das mittelalterliche in engster Verbindung mit und durch den Gottesdienst als „geistliches Spiel“ entwickelt. Diese Mysterienspiele thematisierten Aspekte/“Geheimnisse“ des Glaubens. Sie waren demnach eher inhaltlich als die Form betreffend bedeutsam. Die Darstellung der Jesus-Figur wurde äußerst zögerlich angegangen. Diverse theatralische Neudarstellungen beschränkten sich auf die Zitierung oder Paraphrasierung von Christus-Worten und konnten höchstens durch die Auswahl der Passagen Varianten des Jesus-Bildes zeichnen: So gibt es den derben, spöttischen Jesus, den lehrhaft-ernsten, den gerecht-strengen und den von der Frauenmystik geprägten milden und liebenden Jesu. Neben den Mysterienspielen entwickelte sich im späten Mittelalter eine stark moralisierende Spielart, die sogenannten „Moralitäten“, die gern mit allegorischen Figuren, wie „das Laster“, „der Glaube“, ‚“der Reichtum“ arbeiteten und stets von der Bühne herab eine eindringliche Lehre verkündeten. Das Schwinden orthodoxer Gläubigkeit seit der Aufklärung brachte eine rationalisierende Darstellung hervor, die in Christus wie etwa N. de Bohaire Dutheiß „Jesus-christ ou la veritable religion“ nur den Tugendhelden und Lehrer sah oder gefühlsmäßige Aneignung des Stoffes wie in Klopstocks „Messias“. Bedeutende Pläne zur Bewältigung des Jesus-Stoffes sowohl von Richard Wagner als auch von Friedrich Hebbel und Otto Ludwig bleiben unausgeführt oder führten bestenfalls zu Fragmenten. Das einschneidende bibelkritische Werk „Das Leben Jesu“ (1835) von D. F. Strauss lieferte die theoretischen Grundlagen der folgenden Interpretationen, die Jesu als mythisierte Persönlichkeit, als Sozialrevolutionär, aber auch als pathologischen Fall darstellten. Weitere Säkularisierungstendenzen führten dann dazu, im 20. Jahrhundert beispielsweise Jesu als atheistischen Kommunisten zu sehen. Nachdem die Jesus-Welle für die Massenmedien zum Thema geworden war, versuchte auch das immerfort suchende Showbusiness dem allgemeinen Trend zu entsprechen, mit dem sogenannten „Jesus-Rock“. Unter diesem Begriff wurden biblischreligiöse Themen in Rockmanier zusammengefaßt; wobei es häufig recht schwierig ist, zu beurteilen, ob sich hinter den entsprechenden Stücken ein bilderstürmender Blick auf die Revolution verbirgt oder ob es sich eher um einen aufrichtigen Versuch handelt, Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 11 die religiöse Botschaft in zeitgerechte Begriffe und Bilder zu übertragen, die von der jüngeren Generation verstanden werden können. Das Musical „Salvation“ (Erlösung) aus dem Jahre 1969 warf keine derartigen Probleme auf. Es gab sich betont anti-religiös; obwohl es als eine Art Gospel-Erweckungsgottesdienst aufgezogen war, der durch eine psychedelische Lightshow ergänzt wurde. Die befreiende Erlösung sahen die Musical-Autoren Peter Link und C. C. Courtney in Sex und Drogen. Aus Washington kamen die Musicals „Sweet Jesus“, und „Jesus Christ, Lawd Today“ und in Belgien das Rock-Oratorium „Gloria Halleluja 2000“ heraus. Mit der off-Broadway-Show „Godspell“ von Stephen Schwartz und der Rockoper „Jesus Christ Superstar“ von Tim Rice und Andrew Lloyd Webber entstanden 1971 zwei Musicals, die erstmals wortwörtlich Jesus-Rock auf die Bühne brachten. „Godspell“ stellt Jesus und die Jünger als Clowns in der Tradition der Commedia dell‘ arte vor. Nichtsdestotrotz blieb es zusammen mit der kompromißlosen Rock-Musik, den seltsam anmutenden Dekorationen und einer flapsigen Respektlosigkeit eine unmittelbare schlichte Bibelstory. „Jesus Christ Superstar“ erzählt die biblische Passionsgeschichte: die letzten sieben Tage im Leben Jesu. Trotz, oder vielleicht gerade wegen heftiger Opposition kirchlicher Kreise, erreichte die Botschaft beider Musicals den Kontakt zur Jugend der siebziger Jahre. Das Genre Jesus-Rock wurde 1976 noch einmal mit dem Farbigen-Spektakel „Your Arm‘s Too Short to Box with God“ aufgegriffen, das im schnoddrigen Slang und mit aktuellen Verfremdungen wie „Godspell“ und „Jesus Christ Superstar“ gleichfalls auf dem Matthäus-Evangelium des Neuen Testaments basiert. WHO IS WHO IN DER BIBEL JESUS Jesus‘ Lebensdaten sind bis heute unbekannt. Neueste Forschungen zeigen, dass er ca. 12 v. Chr. geboren und zwischen 30 und 35 n. Chr. gekreuzigt wurde. Von seiner Kindheit und Jugend weiß man wenig und die Authentizität der kaum vorhandenen Schriften wird angezweifelt. Seine Lehre und sein Tod sind hingegen sehr genau durch die vier Evangelien dokumentiert. Durch seine Empfängnis durch den heiligen Geist und die spätere Auferstehung, die in den Traditionen des Judentums nicht vorkommen, wurde Jesus zum Gründer einer neuen Religion. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 12 JUDAS Judas Iskarioth bedeutet Judas aus Kerijot, einem Ort in Judäa. Innerhalb der Gruppe der zwölf Jünger um Jesus hatte er den Posten als Verwalter der Kasse inne. Nach jüdischer Überlieferung gehörte Judas zu der Gruppe der Zeloten, die einen bewaffneten Widerstand gegen die Römer forderten. Seine Berühmtheit war das Ergebnis des Verrates an Jesus, den Judas an die Hohenpriester verkaufte. Welche Ambitionen ihn so weit trieben, ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder thematisiert worden, vor allen Dingen nach Auffindung des Judas-Evangeliums. Mittlerweile ist innerhalb der katholischen Kirche eine heiße Diskussion entfacht, ob Judas nicht sogar heilig gesprochen werden sollte. MARIA MAGDALENA Maria aus Magdala oder Maria Magdalena tritt erst spät den Anhängern Jesu bei. Der genaue Zeitpunkt ist unklar. Allgemein wird vermutet, dass Maria Magdalena die Sünderin ist, die Jesus im Haus des Pharisäers die Füße wäscht und sie mit ihren Haaren trocknet. Doch ein eindeutiger Hinweis fehlt. Maria ist weiterhin die erste, die feststellt, dass Jesus‘ Grab leer ist und ebenfalls die erste, die ihn nach der Aufstehung trifft, auch wenn sie denkt, sie spräche mit einem Gärtner. KAIPHAS Kaiphas (oder Kajaphas) war Hohepriester in Jerusalem von 18 bis 36 n. Chr. und beim Prozess gegen Jesus anwesend. Außerdem war er der Schwiegersohn des Hohenpriesters Annas und gehörte damit zu der Familie, die in der Priesterschaft Jerusalems den Ton angab. ANNAS Annas (oder Hannas) war Hohepriester in Jerusalem und Oberhaupt einer Familie, die dieses Amt sozusagen als Monopol inne hatte. Er wurde im Jahr 15 n. Chr. des Amtes enthoben. Er wird im Johannes Evangelium am Rande erwähnt, da Jesus erst ihm vorgeführt wird, bevor er zu Kaiphas, dem amtierenden Hohenpriester und Schwiegersohn Annas‘, kommt. SIMON Simon der Zelot war einer der zwölf Apostel Jesu. Es ist unsicher, wie er den Märtyrertod erlitt: ob er gekreuzigt oder in zwei Teile gesägt wurde. PILATUS Pontius Pilatus war von 27 bis 36 n. Chr. Statthalter von Judäa. Jedoch erregte er immer wieder den Zorn der Juden, da er ständig zwischen Taktlosigkeit und unnötigem Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 13 Auftrumpfen hin- und herschwankte. Am Ende wurde er seines Amtes enthoben. Obwohl Pilatus spürte, dass Jesus ein Unschuldiger war, musste er dem Druck der Menge nachgeben und ihn nach letzten friedlichen Lösungsversuchen kreuzigen lassen. PETRUS Simon, ein Fischer aus Galiläa, war der wichtigste von den Jüngern Jesu und ragt in allen Evangelien aus dem Kreis der Jünger heraus. Daher erhielt er den Beinamen „Petrus“ (griech. Fels), obwohl er Jesus drei Mal verleugnete. Zu einem späteren Zeitpunkt ging Petrus nach Rom, wo er während der Neronischen Verfolgung den Märtyrer Tod starb: angeblich wurde er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Petrus wird zudem als der erste Papst bezeichnet. Einige Wissenschaftler und auch die katholische Kirche behaupten bis heute, sein Grab befinde sich unter dem Petersdom. Außerdem war Petrujs der einzige Jünger, von dem berichtet wird, er habe eine Frau gehabt. HERODES Herodes Antipas (4 v. Chr. 39 n. Chr.) war der Sohn von Herodes des Großen, der den Kindermord in Bethlehem befahl. Er übernahm nach dem Tod seines Vaters als Tetrarch die Herrschaft über Galiläa. Auf den Wunsch seiner Stieftochter Salome, ließ er Johannes den Täufer köpfen und ihr den Kopf auf einem silbernen Tablett servieren. Als Jesus auf Veranlassung von Pontius Pilatus zu Herodes geführt wurde, weigerte er sich Verantwortung zu übernehmen und schickte ihn wieder zurück. DER SPIEGEL: DER GÖTTLICHER BOTE In nur 300 Jahren stieg das Christentum von einer Provinzsekte zur Weltreligion auf – trotz schlimmster Verfolgungen. Neue archäologische Funde zeigen: Die Bewegung breitete sich über die jüdischen Viertel aus. Dann kamen vor allem heidnische Frauen dazu. Am Ende gab sich das römische Kaiserreich geschlagen. Um 45 n. Chr. bestieg ein energischer Mann, gehüllt in eine Wollkutte, im Hafen von Antiochia ein Schiff und nahm Kurs auf Zypern. Von Beruf war er Zeltmacher. Quellen beschreiben ihn als „klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und krummen Beinen“. Unauffällig mischte sich der Seefahrer unter die Passagiere. Im Herzen trug er einen tollkühnen Plan: Er wollte, so der Bibelforscher Friedhelm Winkelmann, einen „als politischen Verbrecher rechtskräftig Verurteilten, der die Todesstrafe der niedersten sozialen Schicht erlitten hatte“, zum Gottessohn erhöhen. Im Apostel Paulus ballt sich ein Ursprungsrätsel des Christentums. Dieser Mann vor allem war es, der den Kreuzestod Jesu in ein religiöses System aus Sühne und Erlösung umdachte, das die gesamte antike Sittenwelt zum Einsturz brachte. 16000 Kilometer Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 14 legte der rastlose Prediger bei seinen Reisen zurück. Heiden und Krüppel umlagerten ihn. Er wurde verprügelt, verspottet, verehrt. Er war in Ankara und auch in Milet, der Urstadt der Mathematik. In (laut Bibel) 13 Briefen hat Paulus seine Missionen beschrieben. Sieben davon stammen wirklich aus seiner Feder. Das älteste Schreiben, der 1. Thessalonicher-Brief, verfasst im Winter 50/51 n. Chr., ist das früheste beglaubigte Zeugnis des Christentums überhaupt. In „edler Haltung“ und mit „Augen voller Freundlichkeit“, heißt es in frühkirchlichen Texten, habe der Mann seine frohe Botschaft einer Welt der Sklaverei und bluttriefender Amphitheater vorgetragen. „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben“, rief er süß, „und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen.“ Aber er konnte auch ganz anders. Der heiße Atem des Kampfs weht aus seinen Episteln. „Parteisoldat Jesu“ wurde er genannt. Feinde schmähte er als „Hunde“. Exakt an der Stelle, wo der erstaunliche Prediger vor fast 2000 Jahren zu seiner ersten Fahrt aufbrach, sitzt Hatice Pamir auf einem hohen Steinquader. Es ist ein Teil der alten Hafenmole vor Antiochia. Heute heißt der Ort Antakya und liegt in der Türkei. Ende Februar blühen hier schon die Blumen, lauer Wind fegt vom Mittelmeer heran. Die Archäologin von der örtlichen MustafaKemal-Universität arbeitet an einem spannenden Projekt. Sie erkundet die Wiege der Christenheit. Fest steht: Antiochia, drittgrößte Metropole des Römischen Reichs, war die Schaltstelle der Bewegung. Nicht nur Paulus lebte hier (von 36 bis 48 n. Chr.), sondern auch Petrus, der erste Jünger Jesu. Matthäus schrieb hier wahrscheinlich sein Evangelium. (...) Besondere Aufmerksamkeit gilt einer Urkirche, die in einem steilen Berghang liegt. Wer das Portal durchschreitet, gerät in eine Grotte. Von den grünschimmernden Felswänden rinnt Wasser in ein klobiges Taufbecken. Neben dem Altar öffnet sich ein Tunnel, durch den die Gläubigen einst bei Gefahr fliehen konnten. In dieser schummrigen Höhle, so wird angenommen, hielt vor fast 2000 Jahren der Apostel Petrus die ersten Gottesdienste ab. Religionsforscher verfolgen die Untersuchungen in der Türkei mit Spannung. Sie erhoffen sich Aufschluss über eine Grundfrage, die sie seit langem quält: Wie gelang es den Christen, dieser „winzigen und obskuren messianischen Bewegung“ aus dem randständigen Galiläa (so der US-Soziologe Rodney Stark), das klassische Heidentum zu verdrängen und zum Staatskult aufzusteigen? Überraschend schnell glückte dieser Vormarsch. Winkelmann spricht von einer „erstaunlichen Expansion“. Zum Zeitpunkt der Kreuzigung, so viel ist klar, war die Gruppe noch sehr klein. Angeblich besaß sie anfangs nur 120 Anhänger. Im antiken Schrifttum taucht die Truppe als „lichtscheue Gesellschaft“ auf, „stumm in der Öffentlichkeit, in Winkeln geschwätzig“. Sueton berichtet, dass sie 49 n. Chr. in Rom „Unruhe“ stiftete. Schnell gründete die Sekte Ableger in Ephesus und Alexandria. Später griff sie nach Lyon und Köln aus. Im Bauch des Römischen Reichs waren ethische Untergrundkämpfer am Werk. Im Jahr 312 n. Chr. hatte der Glaube bereits Roms obersten Staatslenker erfasst: Kaiser Konstantin, der Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 15 lorbeergekrönt auf dem Palatin residierte, schob das Christentum mit Staatsgeldern an. Auf sein Geheiß hin entstand der Vorläufer des Petersdoms und auch der Urbau der Hagia Sophia in Istanbul. 50 Bibeln mit goldenen Lettern ließ der Herrscher herstellen. Für jede einzelne starben 700 Ziegen für das Herstellen des Pergaments. Auf dem Sterbebett erklärte sich dieser Cäsar (der den eigenen Sohn meuchelte und mit Astrologen verkehrte) schließlich zur Taufe bereit und beugte sich dem Messias. Die Forscher sprechen von einer „weltgeschichtlichen Epochengrenze“. Nur warum verlief alles so rasant? Die ganze Seltsamkeit des christlichen Siegeszugs wird deutlich, wenn man die Rahmenbedingungen bedenkt: Als die ersten Apostel ausschwärmten, stand ihnen eine gnadenlose Macht gegenüber. Rom war aus Milliarden Schwerthieben errichtet worden. Rund 30 Legionen hielt das Land unter Waffen. Von den Urwäldern Germaniens bis nach Mesopotamien führten sie Krieg. Ganze Völkerschaften wurden entwurzelt und versklavt. 90 Prozent der Einwohner lebten im Dreck. Die Städte waren randvoll mit Dirnen, Bettlern, Analphabeten. Kein guter Nährboden fürs Evangelium der Liebe. Wegen ihrer Weigerung, dem Kaiserbild Wein und Weihrauch zu opfern, war die Gemeinde von Anbeginn politisch verdächtig. Caligula machte den Auftakt, er ließ Christen martern. Später, während der Pogrome des 3. und frühen 4. Jahrhunderts, kamen Fleischklammern und glühende Eisen zum Einsatz. Allzu redseligen Märty- rern schnitten die Henker die Zunge heraus. Zudem gab es viel Konkurrenz am Him- mel. Die einen verehrten die Fruchtbar- keitsgöttin Isis, andere schliefen sich im Heiligtum des Serapis gesund. Aus dem Osten kam Mithras ins Reich geschwappt. Auch gab es jede Menge kraftvolle Heroen – von Jupiter bis Sol. Jesus dagegen kam auf dem Grautier daher. Eine antike Kritzelei zeigt ihn mit einem Eselskopf. Was hatte er zu bieten? Eine lüsterne und unzüchtige Welt musste der Apostel Paulus da bekehren. Die Wandbilder aus Pompeji zeugen vom deftigen Geschlechtsleben der Römer. Huren gab es zuhauf. In der Hauptstadt am Tiber boten gallische Dirnen und geschminkte Transvestiten ihre Dienste an. Paulus hielt das für „Dreck“. Im Körper sei überhaupt „nichts Gutes“, er sei ein „Todesleib“, Sitz der Begierde und „Feindschaft gegen Gott“. Immer wieder erregte sich der Prediger über die „Unzucht“ („porneia“), das „Laster“, die „Werke der Finsternis“. Frauen rührte er nicht an. Er hob sie zwar empor – aber nur um den Preis totaler Entsinnlichung. Wehe, sie reizten. Im Gottesdienst sollten sie schweigen und einen Schleier tragen. Der Historiker Tacitus, der um 112 n. Chr. als Statthalter in der Provinz Asia lebte – wo sich die Urchristen am schnellsten ausbreiteten –, brauchte bloß aus seiner Villa zu blicken, um die Leute zu beobachten. Für ihn war das Ganze ein „verhängnisvoller Aberglaube“. Wer also, das ist eine der Schlüsselfragen der Religionsgeschichte, hörte überhaupt auf die Botschaft von der Nächstenliebe? Welche Schicht entflammte sich für den Heiland aus der Provinz? Die Sache ist deshalb so vertrackt, weil aus dem 1. und 2. Jahrhundert kaum Zeugnisse Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 16 vorliegen. Fast unsichtbar formierte sich die Schar. Der Bibel zufolge traf sie sich anfangs privat „in den Häusern“. Schweigend trank die Gemeinde das Blut des Herrn und pries dessen in Brotform gereichten Leib als „Arznei der Unsterblichkeit“. Kulinarische Kontemplation statt Kochshow. Auch in den Katakomben von Rom wurde nach den Ur-Anfängen gefahndet. Mehr als 60 Tunnelsysteme ziehen sich durch den Tuffstein. Es sind Friedhöfe der Frühchristen. Ausgräber stießen auf Skelette sowie Duftlampen gegen den Verwesungsgeruch. In diesen modrigen Gängen prangen zwar die frühesten christlichen Bilder. Zu sehen sind etwa die drei Magier aus dem Morgenland oder der Jesusknabe im Schoße Marias. Doch die ältesten dieser Zeichnungen stammen aus dem 3. Jahrhundert. Erst neuerdings fällt etwas mehr Licht in die Wiege der abendländischen Moral. Mit modernen Techniken wird die Zwielichtzone der ersten 200 Jahre erhellt. Mit der C-14Methode bestimmen Forscher das Alter von Reliquien. Wiener Archäologen erkunden derzeit mit Laserscannern die 15 Kilometer langen Gänge der Domitilla-Katakombe. Beim Herumkrauchen haben sie bereits neue Malereien aufgespürt. Und auch in Israel hat der staatliche Antikendienst in jüngster Zeit reichlich Beute gemacht. Jesus zeigt sein wahres Gesicht. Zudem liegen verblüffende Schriftfunde vor. Eine wichtige Entdeckung kommt aus Nag Hammadi am Nil. In einem Tongefäß lagen 13 zerfledderte Bücher. Sie enthalten Texte, die von den Päpsten später verfemt wurden („Apokryphen“). Insgesamt schälen sich vier Aspekte heraus: • Träger des Christentums waren anfangs fast nur Juden. Die Ausbreitung lief über ihre Viertel – deshalb der schnelle Verlauf. • Das Angebot der Fürsorge und Nächstenliebe wirkte wie Sozialkitt im Römischen Reich. Es milderte die Rassenunruhen und Spannungen. • Attraktiv war der neue Glaube vor allem für Frauen. • Am Ende half ein Babyboom. Während die Heiden im großen Stil Kinder abtrieben und Säuglinge töteten, erklärten die Christen die Leibesfrucht für unantastbar. (...) Mit all diesen Befunden gerät eine Weltreligion neu ins Blickfeld, die vor rund 2000 Jahren im bäuerlichen Galiläa entstand. Jesu Heimatdorf Nazareth war so arm, dass viele Leute in Wohnhöhlen lebten. Der Alttestamentler Wolfgang Zwickel spricht von einer „Klitsche“ mit kaum 200 Einwohnern. Schon vorm Morgengrauen mussten die Frauen raus und Brot backen, das die Männer mit auf die Felder nahmen. Fisch gab es gelegentlich, Fleisch fast gar nicht. Ganz Arme löffelten Malvensuppe. Die Skelette der Region weisen Eisen- und Proteinmangel auf. Da Männer ab 14 Jahre zur Kopfsteuer veranlagt wurden, ist damit zu rechnen, dass auch der junge Jesus zu dem Zeitpunkt einem bezahlten Job nachging. Markus zufolge war er „Bauhandwerker“ – solche Leute mörtelten und setzten Steine. Erst Luther Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 17 machte aus ihm einen „Zimmermann“. Arbeit gab es genug. Rom und seine jüdischen Vasallenkönige waren gerade dabei, die rückständige Gegend mit einem neuen Way of Life zu beglücken. Städte mit Badehäusern wurden errichtet und große Landgüter. Am See Genezareth entstand eine Fischindustrie mit Magdala als Pökelzentrum. Nur sechs Kilometer von Nazareth entfernt, wo der Maurer Jesus abends erschöpft aufs Bettlager fiel, saßen angepasste, hellenisierte Juden in der frisch hochgezogenen Prunkmetropole Sepphoris und vergnügten sich in einem Theater für 4200 Gäste. Die einen prassten – die anderen hatten kaum zu essen. Viele Bauern überschuldeten sich unter den neuen Zwingherrn und verloren ihr Ackerland. Der Zusammenhalt in den Dörfern, die alte Solidarität waren bedroht. In dieser Zeit trat Jesus gleichsam als Robin Hood der Levante auf. Sein Einklagen von mehr Nächstenliebe diente als Modell der Umverteilung. Einen „gewaltlosen Widerstand gegen soziale und koloniale Unterdrückung“ habe er gepredigt, so der US-Forscher John Crossan. „Brich dem Hungrigen dein Brot“, sagt Christus, „und wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn.“ Zugleich war der bärtige Twen gegen den überbordenden Opferkult im Tempel von Jerusalem. Die Bauern Galiläas mussten hohe Abgaben zahlen. Wer den Steuerbütteln „Widerstand zu leisten wagte, wurde mit Schlägen misshandelt“, schreibt der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus. Allzu viel Tamtam beim Ausüben der Religion lehnte Jesus ab. Mit dem Sabbat nahm er es nicht so genau. Er wollte die Revolution der Herzen gegen eine erstarrte Gesetzlichkeit. Diese würzte er mit einer Prise Eschatologie: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe.“ Etwa ab 27 n. Chr., so sieht es der Berner Theologe Ernst Axel Knauf, sei der „Bettelmönch“ in der Region tätig gewesen. Ein Kostverächter war er nicht. Während Johannes der Täufer in der Wüste hauste und Heuschrecken aß, scheute sich der Nazarener nicht, bei reichen Leuten zu essen. Seine Feinde nennen ihn in der Bibel einen „Fresser und Weinsäufer“. Friedrich Nietzsche verglich die Jüngerschar mit einer „buddhistischen Friedensbewegung“, die ein „tatsächliches und nicht bloß verheißenes Glück“ anstrebte: Guru Jesus. Selbst über dessen Privatleben lässt sich spekulieren. Der griechische Philosoph Kelsos nannte ihn einen unehelichen Sohn. Die Jungfrauengeburt sei erfunden worden, um die „abstoßenden Umstände“ seiner Herkunft zu verschleiern. Auch wird Jesus in der Bibel als „Rabbi“ bezeichnet. Tora-Lehrer waren stets verheiratet. Er ebenso? Als mögliche Kandidatin wird immer wieder seine Begleiterin Maria Magdalena genannt. Ein lange verschollener Text aus dem 3. Jahrhundert berichtet, dass diese Frau (und nicht Petrus) Jesu Erbe antrat und die erste Gemeinde in Jerusalem leitete. Auftrieb bekam das Gerücht auch durch eine andere Schrift aus Nag Hammadi. Dort heißt es: „Der Erlöser liebte Maria Magdalena mehr als alle Jünger, und er küsste sie oftmals auf ihren Mund.“ Zudem wird sie als „koinonos“ („Lebensgefährtin“) angesprochen. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 18 Als der Anführer vermutlich 30 n. Chr. auf der Richtstätte Golgatha am Kreuz hing, reichte sein Ruf allenfalls in die Region. Im Römischen Reich war er ein Niemand. Ein grausiger Fund aus einem Vorort Jerusalems lässt ahnen, was Jesus erlitt. In dem Grab lag ein Gekreuzigter. In seinem Fersenknochen steckte ein 17 Zentimeter langer Nagel. Beide Schienbeine waren durch gezielten Beilschlag glatt durchtrennt worden. Diese Behandlung war noch gnädig. Aus antiken Quellen ist bekannt, dass die Kreuzigung mit einer Geißelung begann. Dabei kamen Peitschen zum Einsatz, an denen Knochenstücke hingen. Ans Querholz gefesselt, schleppte sich der Delinquent dann zur Richtstätte. Dort zog man ihn wie ein Vieh am Kreuz hoch. Um den Todeskampf zu verlängern, besaß der Längsbalken eine Stütze für die Füße. Drohte der Gemarterte wegen des enormen Zugs an den Armen zu ersticken, konnte er sich von dem Brettchen aus hochdrücken. So ging es manchmal über Tage. Mit seinen Gegnern hatte Rom kein Mitleid. Auf die Urgemeinde in Jerusalem wirkte die Quälerei wie ein Schock. Jesu Vision der Liebe war zertreten worden. Also deutete die Gruppe das Geschehen radikal um. Wer die Idee von der Auferstehung des Herrn und seiner nahen Wiederkunft ausheckte, weiß bis heute niemand. Dann schlug die Gruppe los. Nach „Phönizien und Zypern und Antiochia“, heißt es in der Bibel, seien die Blutzeugen des Messias ausgeschwärmt, wobei sie vorerst „niemandem als allein den Juden das Wort verkündigten“. Mit ihrer Vorstellung vom Erlöser eckte die Gruppe allerdings schnell an. Die Priester in Jerusalem huldigten einem fernen,drohenden Gott. Die Propheten des Alten Testaments hatten Jahwes Weltgericht vielfach angekündigt, aber es kam und kam nicht. Das Böse (nun in Gestalt der Römer) triumphierte weiter. Die Gerechten Israels blieben unerlöst. Dass Jesus Gottes Sohn sei, hielten die Strenggläubigen für schlimmste Lästerung. Und sie hatten die Mittel, die Querulanten zu stoppen. Hell schimmernd im Sonnenlicht, mit Türen aus feinstem Holz, stand der große JahweTempel auf einem Berg in Jerusalem. Priester in blauen Gewändern, an denen Schellen und Edelsteine hingen, schritten dort umher; sie wachten über die Speisegesetze und die reine Lehre der Tora. Es gab allein 24 Dezernate für den Opferkult. Wie hart der Kampf mit der neuen Splittergruppe ablief, zeigte sich alsbald. Etwa 36 n. Chr. wurde das ranghohe Gemeindemitglied Stephanus gesteinigt. Bald danach kamen - laut Bibel - alle Apostel in Haft. Petrus, der Leiter der Gemeinde, verteidigte sie. Im letzten Moment entschlüpfte er ins rund 500 Kilometer entfernte Antiochia. Paulus stand anfangs auf der anderen Seite. Unter dem Namen Schaul (Saul) in Tarsus geboren, hatte er in Jerusalem beim Rabbi Gamaliel studiert. Danach schloss er sich den Pharisäern an – einer Religionspartei der Juden –, die an die Auferstehung der Toten glaubten und nach strengster Zucht lebten. Der junge Mann sprühte vor Geist. Auch die aktuelle griechische Philosophie war ihm geläufig. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 19 Die Apostelgeschichte erzählt, dass Paulus als Spitzel begann. Auf dem Weg nach Damaskus, wo er wohl im Auftrag des Tempels Christen verfolgen sollte, sei ihm plötzlich Jesus in einer Vision erschienen und habe ihn umgestimmt. Später bildete der Bekehrte die typisch gequälten Züge des Konvertiten aus. Seine Sprache war präzise, aber auch schroff und aufbrausend. Ausgangspunkt seiner Arbeit war ab etwa 36 n. Chr. das herrliche Antiochia. Bereits kurz vor dem Zweiten Weltkrieg barg ein Grabungsteam aus Chicago dort Hunderte Mosaike, mit denen die Villen der römischen Präfekten und jüdischen Kaufleute gepflastert waren. Es sind die prächtigsten der antiken Welt. Etwa 300000 Menschen lebten dicht gedrängt in der Stadt, darunter Inder und germanische Söldner. Die Viertel der Syrer und Griechen waren durch eine Mauer getrennt. Immer wieder kam es zu Krawallen. In den Gassen und Souks roch es nach Koriander und Hammeldung. In den Tempeln räucherte Götzenfleisch. Reiche ließen sich des Nachts aus Angst von bewaffneten Sklaven mit Fackeln den Weg weisen. „Mit ihrer irrwitzigen ethnischen Heterogenität und den daraus resultierenden bitteren Konflikten“, sagt der Soziologe Stark, sei das erst 64 n. Chr. angegliederte Antiochia eine typische Stadt des Imperiums gewesen: „Rom schuf seine ökonomische und politische Ordnung zum Preis des kulturellen Chaos.“ Aus diesem Sumpf entstieg die Sehnsucht nach Erlösern. Die Cäsaren hatten die antike Welt globalisiert. Sie war reif für einen Monotheismus, der zu allen Völkern sprach. Basis dieser Idee waren eindeutig die jüdischen Viertel in den Großstädten, wo der neue Glaube zuerst Fuß fasste. Unter dem Honigmond der Orients saßen um 45 n. Chr. jene Umstürzler zusammen, die das Urchristentum ausheckten. Wie weiland bei den K-Gruppen oder den Leuten um Robespierre kam es aber auch bei diesen Weltverbesserern sogleich zum Richtungsstreit. Es brach ein Problem auf, das die Sekte alsbald in eine schwere Krise führen sollte. Das kam so: Die im Schmelztiegel Antiochia tätigen Frühchristen wandten sich auch an Heiden. Einige der Ungläubigen fanden Gefallen an der Botschaft von der Auferstehung des Herrn und schlossen sich der Gemeinde an. Ein verschworener Clan bildete sich, der Gottesdienste feierte und gemeinsam aß. Sowohl Petrus als auch Paulus hielten solche Mahlgemeinschaften ab. Locker kochten die jüdischen und die vormals heidnischen Christen zusammen. Das aber verstieß gegen die Ritualgesetze im 3. Buch Mose. Juden durften kein Schwein essen, nicht Ersticktes, nicht Blutwurst, weder Hasen, Uhus noch Shrimps, Aale und anderes Wassergetier ohne Schuppen. Verboten war es, Milch- und Käsegerichte neben dem Fleisch zuzubereiten: „Du sollst das Böcklein nicht kochen in der Milch seiner Mutter.“ Das war durchaus ehrenhaft gedacht – in diesem Fall zugunsten der Ziege. Auch das seltsame Gebot, Obst von Bäumen unter vier Jahren nicht anzurühren, ließe sich mit den hohen jüdischen Moralvorstellungen begründen – als Früchteschutz für Babybäume. Im Jahr 48 kam es deshalb zur Krisensitzung in Jerusalem. Noch empNele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 20 fand man sich als innerjüdische Gruppierung. Jakobus, ein leiblicher Bruder Jesu, lud zum Konvent. Schließlich wurde ein harter Kurs beschlossen: kein Verzehr von Blut, von unkoscheren Speisen und kein Sex mit den Heidenchristen. Petrus gehorchte – vorerst. Er löste seine Tischgruppe auf. Der Weg zur Weltreligion, kaum angedacht, schien schon wieder verbaut. Einzig Paulus hielt mit einigen Getreuen dagegen. Mit einem Eifer, den nur der Glauben entfacht, versuchte er, die Konventsbestimmungen auszuhebeln. Paulus wollte die Pforten des Tempels aufstoßen und das Heil allen Menschen predigen, nicht nur den Juden. Der Ansatz, den der Abtrünnige dabei verfolgte, ist bis heute für die Kirche von größter Bedeutung. Weder die Beschneidung noch das starre Einhalten von Essriten stimme Gott gnädig, argumentierte er. Viel- mehr sei es allein der Glaube an Christus, der durch seinen Tod den Menschen von der Sünde erlöst habe. Dieser habe einen „neuen Bund“ mit dem Allmächtigen geschaffen, die Beschneidung sei überflüssig. Ein universeller Heilsplan schwebte dem religiösen Denker vor. Israel sollte sein Exklusivrecht aufgeben. Wohl 49 n. Chr. brach der Mann in Antiochia die Zelte ab und machte auf eigene Faust weiter. Was folgte, war ein lebensgefährlicher Sturmlauf. Rückblickend wird Paulus sagen: „Ich bin oft in Todesnähe gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten 40 Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten.“ Zuerst wandte sich Paulus nach Kleinasien – von vielen Griechen bewohnt, eine Wiege der Kunst, des Sports, der Mathematik –, das seit über 100 Jahren schon von Roms Legionen unterjocht war. Nur mit Wanderstab und Papyrusrolle eilte er auf dem Landweg nach Europa. Früher stellte man sich den Prediger wie die Redner im Hyde Park vor. Doch er scheute eher die öffentlichen Plätze. Seine Anlaufstationen waren die Synagogen, die durchreisenden Juden auch Bett und Frühstück boten. Schon damals gab es in allen größeren Städten des Römischen Reichs jüdische Gemeinden, ob in Korinth, Ephesus oder Philippi. In Rom standen rund ein Dutzend Synagogen, in Alexandria noch weit mehr. Dort lebten gebildete Juden, die mit der griechischen Kultur aufgewachsen waren und zugleich enge Verbindung zum Tempel in Jerusalem hielten. Paulus’ Angebot – Freiheit von Beschneidung, Speisegesetzen und Festkalender – war für diese Zuhörer durchaus verlockend. Sie lebten unter dem Druck der Anpassung. „Mein Volk“, „meine jüdischen Geschwister“, rief der Prediger zärtlich. Über sich selbst sagte er: „Ich bin Israelit, aus dem Stamm Benjamin.“ Dann redete er Tacheles. Das Ritualgesetz nannte er „Kot“, nur Dummköpfe würden es sklavisch befolgen. Mit einem – für das Altertum – ungeheuren Gedanken hielt der Prediger dagegen. Alle Schranken des Sozialen, der Kulturen und des Geschlechts wollte er einreißen – zumindest im Glauben. Das Erlösungsangebot Jesu stehe allen Menschen offen, meinte er: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ Große Worte. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 21 (...) Gegenmissionare wurden tätig, von Paulus als „Lügenbrüder“ und „Falschapostel“ beschimpft. Als die Gemeinden in Galatien umschwenkten und vom gemeinsamen Essen mit den Heidenchristen Abstand nehmen wollten und sogar deren Beschneidung forderten, geriet er in Wut. Auch mit anderen Gemeinden gab es immer wieder Stress. Mal „unter Tränen“, mal polternd versuchte er seine Schäfchen bei der Stange zu halten: „Wer euch ein anderes Evangelium verkündet, den trifft Gottes Fluch.“ Es ist diese – unsägliche – Auseinandersetzung, die Schatten auf die Frühkirche wirft. Den „Herrn“ hätten die Orthodoxen getötet, rief Paulus, auch „uns haben sie verfolgt und gefallen Gott nicht und sind alle Menschen Feinde, indem sie uns wehren, den Heiden zu predigen“. Johannes spricht später von der „Synagoge des Satans“: „Ihr habt den Teufel zum Vater.“ Die Altgläubigen vom Tempel hielten dagegen. In einem ihrer wichtigsten Gebete hieß es: „Und die Noserim (wohl Nazarener) und die Minim (Ketzer) mögen augenblicklich vergehen, getilgt werden aus dem Buch des Lebens.“ Aber auch bei der griechischen Bevölkerung hatte es die Jesus-Truppe schwer. Die Idee der Wiederauferstehung, gedacht als körperliche Rückkehr aus dem Grab, galt den in Chemie bewanderten Hellenen als unsinnig und anstößig. Es klang ihnen wie eine Neuauflage des Mumienkults der Ägypter. (...) Unter Nero kam es 64 n. Chr. zur ersten großen Verfolgung. Nach einem Großfeuer standen 10 der 14 Stadtteile in Flam- men. Ein Sündenbock wurde gesucht. Deshalb habe der Kaiser die Christen, diese „wegen ihrer Untaten verhassten Leute“, in Tierhäute stecken und von Hunden zerreißen lassen, so Tacitus. Andere verbrannten nach Einbruch der Dunkelheit als nächtliche Fackeln. Auch den „Apostelfürsten“ Petrus soll es damals erwischt haben. Kopfüber sei er ans Kreuz genagelt worden. Doch die brutale Geschichte steht erst in den – um 180 n. Chr. verfassten – „Petrusakten“. Sonderlich glaubwürdig sind sie nicht. In diesem legendenhaften Bericht treten auch sprechende Hunde und schwimmende Räucherfische auf. Alle Versuche der Päpste, den Gründer des Stuhls Petri (auf dem sie als Nachfolger sitzen) dingfest zu machen, sind bislang gescheitert. Angeblich liegen seine bleichen Gebeine in einer Krypta unter dem Petersdom in Rom. Über eine geschwungene Freitreppe, vorbei an vier gewundenen Bronzesäulen, geht es hinab ins Gewölbe mit dem Petrus-Schrein. Nachforschungen ergaben indes: Es ist ein heidnischer Grabplatz aus der Zeit um 200 n. Chr. Und doch formte sich der Kreuzesclan heimlich zu immer größerer Stärke. Das gesamte Neue Testament entstand zwischen 50 und 120 n. Chr. Zunächst gab es nur Briefe und eine Spruchsammlung mit Jesu Worten. Der Apostel Markus schuf dann eine neue literarische Form. Um 70 n. Chr. griff der Autor (ein Jude und Begleiter von Paulus) zur Feder und schrieb einen Roman vom Leben und Sterben des Herrn – sein Evangelium. Die neue Erzählweise traf den Nerv der Massen. Bald zogen Matthäus und Lukas nach. Als Letzter schrieb um 95 n. Chr. Johannes, der auch noch einen deftigen WeltunterNele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 22 gang verfasste. Das Aufblühen des christlichen Schrifttums war offenbar eng verzahnt mit dem Niedergang der orthodoxen Gegner. 66 n. Chr. begann in Palästina eine Katastrophe. Nach einer Revolte schlug das Imperium erbarmungslos zurück. Vier Legionen eilten herbei. Jerusalem wurde mit Rammböcken gestürmt, der Tempel geschleift. Im Jahr 132 n. Chr. folgte die noch härter geführte letzte Runde im Kampf Jupiter gegen Jahwe. „Etwa die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Palästinas, circa eine halbe Million, verlor während des Aufstands ihr Leben“, schreibt der Historiker Markus Sasse. Judäa lag in Asche. Kaiser Hadrian erließ damals sogar ein Verbot der Beschneidung. Das schwächte die Altgläubigen enorm. Viele Forscher glauben, dass die DiasporaJuden nun im großen Stil zum Christentum umschwenkten. Die neue Religion sei eine Art „Judentum light“ gewesen, erklärt der Theologe Knauf „damit konnten die unter starken Assimilationsdruck Stehenden besser leben. Klar ist, dass die beiden Bruder-Religionen weit länger ineinander verschlungen waren, als die Päpste später wahrhaben wollten. Noch um 230 n. Chr. focht der Kirchenvater Origenes mit mosaischen Gelehrten ein Rededuell „vor Schiedsrichtern“ aus. Die aktuellen Grabungen bestätigen das Bild: Die frühesten Kirchen aus dem 3. und 4. Jahrhundert standen allesamt in den jüdischen Vierteln. Selbst die erste Gemeindeordnung (um 120 n. Chr.) liest sich wie ein Zerrspiegel der Tora. „Eure Fastentage sollen nicht mit den Heuchlern zusammen sein“, so heißt es da schroff, „sie (die Juden) fasten nämlich am Montag und Donnerstag; ihr aber sollt am Mittwoch und Freitag fasten.“ Aber auch unter den Griechen im Osten des Reichs gewann die Sekte nun zunehmend Anhänger – sie verließ gleichsam die Ghettos. „Nicht nur über die Städte, sondern auch über die Dörfer und Felder hat sich die Seuche dieses Aberglaubens ausgebreitet“, schreibt im Jahr 112 n. Chr. der Statthalter von Bithynien (in Kleinasien). Dies ist das erste Zeugnis für eine flächendeckende Invasion des Christentums. Im Orient ging es voran. Der ruppige Norden dagegen blieb zurückhaltend. In Gallien und der Provinz Germania waren die Vorbehalte groß. Rom liebte Pferderennen, deftige Schauspiele, blutigen Sport – alles Dinge, die den Christen verboten waren. „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“, heißt es bei Paulus. Matthäus sagt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Solche Sätze gefielen den Senatoren, die auf Fressbetten lagen und gegarte Flamingozungen speisten, in keiner Weise. All die goldbetressten Feldherrn, Latifundienbesitzer und Bankiers, deren Sklaven in den Silberminen schufteten, mochten die Bibel nicht. Besonders übel stieß ihnen der Spruch von der Gleichheit von Mann und Frau auf. Zwar machte Paulus an anderer Stelle Einschränkungen („Ihr Frauen ordnet euch euren Männern unter“, Epheser 5,22). Gleichwohl wies er ihnen wichtige Aufgaben in der Urkirche zu. Bald stiegen Frauen zu Diakoninnen und Leiterinnen von Hauskirchen auf. In der heidnischen Machowelt stand die Frau bis daNele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 23 hin viel weiter unten. Sie galt als biologisch minderwertig. Witwen verarmten schnell und bettelten zu Tausenden auf den Straßen. Mädchenwurden zwangsweise - ab zwölf Jahren - verheiratet, oder man tötete sie gleich nach der Geburt. Gegen diese rohe Sitten stemmten die Christen eine neue Moral. Weder erlaubten sie die Scheidung (was ein Verelenden der Frauen verhinderte), noch überließen sie Witwen ihrem Schicksal. Ein enges Helfernetz wurde aufgebaut - das Kreuz als soziale Bindung. Entsprechend groß war der Zulauf. Ein antiker Gegner der Sekte sah es so: „Aus der untersten Hefe des Volkes sammeln sich da die Dummen und die leichtgläubigen Weiber, die wegen der Beeinflussbarkeit ihres Geschlechts ohnedies auf alles hereinfallen.“ Doch gerade weil die Urkirche die wirtschaftliche Stellung und die Würde der Frau hob, kam sie immer besser in Schwung. Sie wuchs und wuchs – nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auch streng gegen die Kinderverhütung aussprach. Was den Samen von der Scheide fernhielt, galt als Sünde. Der Apostel Barnabas schimpfte über jene „verdorbenen Weiber, die mit ihrem Munde das Böse tun“. Ganz anders die Heiden: Manche verhüteten mit Kondomen aus Ziegenblasen. Bei der Abtreibung kamen schwere Gifte oder gebogene Klingen und Haken zum Einsatz, mit dem der Fötus gewaltsam entfernt wurde. Arme Leute – 90 Prozent des Volks – konnten es sich einfach nicht leisten, mehrere Kinder durchzubringen. Seneca hielt das Ertränken von Neugeborenen, vor allem von Mädchen, aber auch von schwachen Babys, deshalb für ebenso vernünftig wie üblich. (...) Zwar hielt der Staat dagegen. Früh wurden Gesetze erlassen, um Kinderlose finanziell zu bestrafen und ihnen Rechte zu entziehen. Doch es half alles nichts. Schon um die Zeitenwende sei die Geburtenrate im Römischen Reich „unter die Ersatz- und Reproduktionsschwelle“ gefallen, schreibt der US-Soziologe Stark. Die Christen dagegen waren fruchtbar und mehrten sich. „Unsere Zahl wächst von Tag zu Tag“, frohlockte einer von ihnen. Ein anderer gab sich staatstragend: „Wir müssen Lasten auf uns nehmen, welche von den Heiden meistenteils vermieden werden.“ Diese seien durch „Kindsmord dezimiert“. Der Ton der anschwellenden Gemeinde wurde denn bald auch kecker – und irrationaler. Ihre Wortführer zogen über den „teuflischen“ Geist der Heiden her. „Unter Verachtung der heiligen Schriften Gottes beschäftigen sie sich mit Geometrie“, schimpfte der Kirchenvater Eusebius. Ergebnis: Die Wissenschaft fiel bald ins Dauerkoma. Jetzt, im 3. Jahrhundert, wuchs die Bewegung langsam zu einem Kreuzzug heran. Sie verließ die jüdischen Viertel. Vor allem die Griechen begeisterten sich nun für Taufe und Abendmahl. Aber auch einfache Leute stiegen ein, Handwerker und Sklaven. Der Sozialist Friedrich Engels sprach von einer „Bewegung Unterdrückter“. Doch noch war der Kaiser zu keiner Gnade bereit. Ab 249 n. Chr. kam es zu fürchterlichen, reichsweiten Pogromen. Das Imperium schlug zurück. Aufwiegler kamen in Bergwerke. Geschoren, angekettet und gebrandmarkt taten sie in Marmorbrüchen Dienst. Als vier christliche Bildhauer in einem pannonischen SteinNele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 24 bruch ankamen, pickelte dort bereits ein Bischof aus Antiochia. Es nutzte nichts. Vor allem über die Frauen, gleichsam durch die Hintertür, brach sich das Christentum nun endgültig Bahn. Um 370 n. Chr. war die Hausmission bei Heidinnen so erfolgreich, dass der Kaiser Valentinian ein letztes Mal die Notbremse zog. Er verbot das religiöse Klinkenputzen. Denn war erst mal die Mutter getauft, riefen die Kinder bald ebenfalls Hosianna. Die Forscher sprechen von „Sekundärbekehrung“. Auch der große Kaiser Konstantin kam so mit dem neuen Glauben in Kontakt. Seine Mutter Helena, eine Wirtstochter, war von ihrem Mann verstoßen worden und lag lange in der Gosse. Dort nahm sie den Jesus-Glauben an. Als der Sohn sie „vom Mist auf den Thron“ hob, wie es in der Antike hieß, lag sie ihm ständig mit der frohen Botschaft in den Ohren. Noch im Alter von über 70 Jahren reiste die Dame ins Heilige Land und besuchte jesu Geburtsstätte in Nazareth. Dann wuchsen prächtige Kirchen empor. Beamte, Kaiser, Feldherren ließen sich taufen. Im Jahre 380 n. Chr. war es soweit: Der Glaube aus dem Orient wurde zur Staatsreligion. Mit dem Einströmen breiter Volksschichten vergaß das Christentum allerdings immer mehr seine jüdischen Wurzeln. Das alte Bilderverbot fiel. Eine neue Form von Götzendienst entstand. In den Katakomben von Rom erhielt Jesus erstmals ein Gesicht. Meist wurde er anfangs als Wundertäter und Zauberer dargestellt, etwa beim Erwecken des Lazarus von den Toten. Schließlich rückte man ihn sogar als Herrscher und König ins Bild. Das Christentum hatte triumphiert. An Roms Grenzen ging es damals allerdings militärisch bergab. Christliche Gutmenschen gab es nun genug, kämpfen wollte keiner mehr. (...) Dort aber war alles erlaubt. „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“, heißt es bei Erich Kästner. Diesen Satz hätte der Mann aus Galiläa unterschrieben. Sein Vermächtnis ist einfach. Rabbi Hillel, ein Zeitgenosse Jesu, drückte es so aus: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora.“ Von: Matthias Schulz in: Der Spiegel 13/2008 GÖTTLICHE SHOW - PREMIERENKRITIK Eine mitreißende Rock-Oper am Theater Ulm: „Jesus Christ Superstar“ Das Theater Ulm hat jetzt einen Hit auf dem Spielplan: Andrew Lloyd Webbers RockOper „Jesus Christ Superstar“. Nicht nur Henrik Wager, der sich in der Titelpartie die Seele aus Leib singt, ist ein Erlebnis. Er quält sich die Treppe hoch. Droben ist die Wand aufgezogen zu einem riesigen, lichtdurchtluteten Kreuz. Geschunden, gefoltert zieht sich Jesus die Stufen hoch, der Erlösung entgegen. Auch verspottet hatten sie ihn: Herodes zum Beispiel, der aasige Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 25 Partylöwe im Smoking, ist mit seinen Stepptänzern und Soulgirls über die Szene gejagt und hat diesen Jesus, den sie als König der Juden feierten, böse verlacht. Und vom Himmel kommt einer im Fahrstuhl mit Engelsflügeln nieder: Judas, das Comeback des Verräters in Weiß, der schon immer gewusst haben wollte, dass sein Freund Jesus mit seiner messianischen Bewegung auf den falschen Weg geraten ist. „Wolltest Du wirklich so sterben? Ist das schief gelaufen, oder wusstest Du, dass Dein Krepieren ein Hit werden würde?“ Jetzt schlotzt Judas genussvoll und unbeteiligt Eis am Stiel, während Jesus sich ins Kreuz stellt und die Arme ausbreitet - bis sein Kopf sich zur Seite neigt. Auch der verzweifelt angeflehte Vater hat ihm nicht geholfen. Stille, Nacht. Jesus, als Superstar? Früher haben Pietisten gerne an Theatereingängen den Besuchern der Rock-Oper Andrew Lloyd Webbers eine Bibel in die Hand gedrückt, auf dass sie in der Heiligen Schrift nachlesen könnten, was wirklich passiert ist mit Gottes Sohn. Natürlich stand „Jesus Christ Superstar“ in einschlägigen Kreisen immer unter Blasphemie-Verdacht, auch deswegen, weil der Heiland eine Freundin hat, Maria Magdalena. Bigotter Eifer aber war jetzt bei der Premiere am Theater Ulm nicht mehr zu beobachten. Webbers „Jesus“ ist ja längst Musicalgeschichte und vor allem eine ziemlich wortgetreue, ernste Passion, die einen berührt. Aber die mit lokalen Rock-Pop-Größen aufgemischte philharmonische Band, der Opernchor, der Gospelchor „Hope“, das Ballen und das Sängerensemble zelebrieren in Ulm auch eine mitreißende Show: Rockkonzert und Gospel-Gouesdienst der 70er Jahre. Werner Pichler hat das so inszeniert: Er zeigt Jesus als einen Menschen. Einfach als einen Menschen, der das Kreuz auf sich nimmt. Der weiß, dass ihm keiner hilft; den Judas küsst er selbst, ihm vergebend. Denn Jesus hat begriffen, dass er das Opfer sein muss in einer Welt, die sich nach Märtyrern sehnt, auf die sie alles abladen kann. Ein schmutzig grünes Halbrund fasst die Szenerie ein, dazu eine ausladende Treppe und eine Empore. Regisseur Pichler, Britta Lammers (Bühne) und Andrea HölzI (Kostüme) haben den „Jesus“ nicht oberammergaumäßig nachgestellt, eine Passion ohne Auspeitschen, Holzkreuz, Dornenkrone. Andererseits lässt sich zunächst der Schauplatz nicht orten: Pilatus, Hohepriester, Polizisten agieren im Grau der Gegenwart, während Jesus und seine Jünger bunt und naiv das Hippie-Zeitalter beschwören. Der Background-Chor sieht aus wie eine Formation schwarz geschminkter Mainzer Hofsänger mit Afro-Perücke, als parodiere Pichler unfreiwillig eine Gospelmesse in den „Blues Brothers“. Und was da so in der Choreografie Roberto Scafatis getanzt wird, ist oft clownesker Kitsch: Soll das etwa Ironie sein? Aber dann arbeitet Pichler in starken Bildern die Leidensgeschichte heraus - und es gelingt etwas SeItenes: eine stimmige Mischung aus Show und ehrlicher Emotion. Da werden nicht nur populäre Nummern abgespult, da nimmt der fantastische Henrik Wager in der Titelpartie die „Rock-Oper“ wörtlich und gestaltet geradezu seelentiefe Arien: mit wunderschön hellem Falsett, Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 26 aber aufrüttelnder Pop-Röhre. Das macht sowieso die überregionale Klasse dieser Produktion aus, dass eben nicht im Musical-Einheitssound gesungen wird, sondern mit Stimme. Auch Frank Felicetti gelang das als Judas beeindruckend, wenn er die innere Zerrissenheit zu dissonantem E-Gitarrensound (Patrick Wieland gibt in der Band ziemlieh Gas) herausheult. Auch das Opernensemble, das sich locker aufs Genre einlässt, begeistert. Hélène Lindqvist glänzt als rastazöpfige Maria Magdalena mit sanftem, ausdrucksstarkem Pop-Sopran, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. ,,I Don‘t Know How to Love Him“ - damit kann die Schwedin Hitparaden stürmen. Und „Pilate‘s Dream“: mit Tomasz Kaluznys weichem Bariton tatsächlich ein Traum. Auch stark: Hans-Günther Dotzauer als Herodes und Girard Rhoden als Simon. Angetrieben von Gordian Teupke am Dirigentenpult und Ariane Müller am Keyboard ging bei der Premiere die Post ab: Die Band hat Klang und groovt (nur der Trompeter torkelte anfangs). „Jesus Christ Superstar“ ist eine Wucht - das Publikum jubelte ausgelassen. BESETZUNG Jesus von Nazareth Maria Magdalena Judas Ischariot Pontius Pilatus Kaiphas Annas Petrus Herodes Simon Zelotes Drei Priester Mädchen am Feuer Soldat Ein alter Mann Drei Soul-Girls von: Jürgen Kanold in: Südwest Presse, 25.10.2008 Henrik Wager Hélène Lindqvist Frank Felicetti Tomász Kaluzny Alexander Egorov Alexander Schröder Burkhard Solle Hans-Günther Dotzauer Girard Rhoden Thomas Schön Michael Burow-Geier Frank Moll Melanie Zacharias Rochus Bliesener Joachim Pieczyk Melanie Zacharias / Katharina Peters* Anita Hartinger Eleonora Halbert sowie Hauschor, Gospelchor „Hope“, Ballett, Statisterie, Band, Mitglieder des Philharmonischen Orchesters der Stadt Ulm Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 27 THEATERPÄDAGOGISCHE ANREGUNGEN GESPRÄCHSANLÄSSE Wie hat euch das Stück gefallen? Wie hat euch das Bühnenbild gefallen? Wie haben euch die Kostüme gefallen? Welche Figur hat euch am besten gefallen? Und warum? Welche Figur hat euch nicht so gut gefallen? Und warum? Welche Szene hat Euch am besten gefallen und warum? Welche Szene hat euch nicht gefallen und warum? VORBEREITUNG BILDBETRACHTUNG Eine Inszenierung hat immer mit Entscheidungen zu tun, die teilweise sehr subjektiv sein können. Der Regisseur muss sich zu den Figuren eines Stückes verhalten, muss entscheiden, wie er diese sieht und es den Sängern/Schauspiellern vermitteln. Dazu muss er erst einmal selbst heraus finden und klar benennen können, was er denkt. Gerade bei Jesus Christus als Protagonist ist es wichtig, sich über die eigene Sicht klar zu werden, da sich verschiedenste Bilder, Erzählungen und Metaerzählungen überlagern. Die Klärung der Sicht von Schülern dient die folgende Aufgabe. Sie benötigen: Bilder mit Jesus Darstellungen (Internet, Bücher, Bilder, Ikonen...) Hängen Sie die Bilder im Klassenraum aus oder verteilen Sie sie in Kopie. Die Bilde sollten über einen längeren Zeitraum nach eigenem Ermessen betrachtet werden können, daher besser kein Overhead-Projektor. Die Schüler sollen sich wie in einer Galerie fühlen und sich die Bilder genau ansehen. Dann sollen sie folgende zuordnungen vornehmen: - Aus welcher Zeit ist das Bild? - Mit welchem Adjektiv würde ich Jesus hier bezeichnen? - Welches Bild gefällt dir am besten? Schreib die Nummer auf ein Blatt und gib diesem Bild einen Titel: Jesus, der __________________ (z.B. Jesus, der Revolutionär / Jesus, der Sanfte, Softie / Jesus, der Erlöser .....) - Es gibt eine Führung mir der ganzen Klasse und jeder sagt warum er/sie das Bild ausgewählt hat. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 28 Im Anschluss: Gespräch über die unterschiedlichen Sichtweisen und Präferenzen. Jeder macht sich sein eigenes Bild von Jesus, aber: ein Bild zeigt nicht das ganze Wesen einer Person, sondern jeweils Ausschnitte. SPIELANLÄSSE Warm-up DAS VOLK ca. 10 Min. Die Volksmenge bestimmt in JESUS CHRIST SUPERSTAR maßgeblich das Geschehen um Jesus. Zuerst jubeln sie ihn hoch, verehren ihn. Dann wenden sie sich gegen ihn, steinigen ihn sogar. Das Gefühl für dieses Geschehen soll durch diese Übung geschärft werden. Die Schüler stehen in einem engen Kreis. Einer in der Mitte. Dieser wird von allen anderen bejubelt und beklatscht. Die Gruppe ruft immer wieder: „Hosanna!“. Dann wendet sich das Blatt: Derjenige in der Mitte wird böse angeschaut und die Gruppe spricht als Chor so bedrohlich wie möglich: „Crucify him!“. Verschärft werden kann diese Situation, indem derjenige in der Mitte sich hinkniet oder sitzt. Er also kleiner ist als die um ihn stehenden Personen. Tip: Um empfindliche Charaktere wieder zu beruhigen, kann die „freundliche“ Phase dann noch einmal wiederholt werden. STÜTZUNG DURCH DIE GRUPPE ca. 15-20 Min. Jesus wird von seinen Anhängern zu Beginn belobigt, gestützt und bewundert. Ein solches Gefühl kann die folgende Übung vermitteln. Die Schüler stehen in einem engen Kreis. Einer steht in der Mitte mit geschlossenen Augen. Er lässt sich sanft in eine Richtung fallen. Der Kreis fängt ihn vorsichtig an den Schultern auf und „gibt ihn herum“ bzw. reicht ihn vorsichtig auf die gegenüber liegende Seite. Der Spieler in der Mitte pendelt sozusagen weich herum. Wichtig: Der Spieler in der Mitte muss möglichst steif sein. Die Gruppe muss leise, langsam und sehr konzentriert sein. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 29 ARBEIT MIT ROLLENTEXTEN WER BIN ICH? ca. 10 Min. Für diese Übung können die Rollentexte aus dem Anhang verwendet werden oder die Schüler schreiben selbst Rollentexte oder -biographien. Der Lehrer gibt jedem Schüler einen Rollentext, dabei sollte darauf geachtet werden, dass bei der Verteilung alle Figuren gleichmäßig vergeben werden. Bei 32 Schülern wären es z.B. 4 komplette Ensembles. Die Schüler bewegen sich durch den Raum und lesen die Rollentexte laut und für sich. Auf Anweisung des Lehrers probieren die Schüler für ihre Figur verschiedene Möglichkeiten des Sprechens und der Bewegung aus, bis sie meinen, eine angemessene gefunden zu haben. So kann Schritt für Schritt eine Figur entwickelt werden. - Welche Körperhaltung hat die Figur (aufrecht, gebückt, angespannt...)? - Wie würde die Figur sich hinsetzen? - Welche Bewegungen macht die Figur? - Hat die Figur einen Tick (z.B. immer Haare zurückstreichen, Nägel kauen...)? - Wie setzt die Figur ihre Füße auf? - Wie ist der Gang der Figur? - Welche Sprache benutzt die Figur (Wütend, ängstlich, mutig, böse, nett...)? FIGURENGANG ca. 10 Min. Die Schüler stehen im Raum verteilt erstarrt in einer Körperhaltung, die zu ihrer Figur passt. Der Spielleiter tippt den ersten Schüler an. Dieser läuft in der Körperhaltung seiner Figur los zu einem anderen Schüler. Er sagt dem Schüler den Satz seiner Figur in einer passenden körperlichen und sprachlichen Haltung. Dann erstarrt der Schüler wieder. Der angesprochene Schüler läuft in der Körperhaltung seiner Figur los zu einem weiteren Schüler. Er sagt dem weiteren Schüler den Satz seiner Figur in einer passenden körperlichen und sprachlichen Haltung. Dann erstarrt er Schüler wieder. Dieses Prozedere wiederholt sich, bis jeder Schüler dran gewesen ist. BEZIEHUNGSGEFLECHT/SOZIOGRAMM – WAS WOLLEN DENN DIE VON MIR? a) 5 Min.: Nun teilen sich die Schüler in Gruppen zu jeweils sieben, in jeder Gruppe sind Jesus, Judas, Maria Magdalena, Simon Zelotes, Petrus, Kaiphas/Annas, Pontius Pilatus, König Herodes. Wenn die Gruppe nicht durch acht glatt teilbar ist, können Kaiphas/Annas auch doppelt vergeben werden oder man kann Figuren in den Ensembles weglassen. Z.B. könnte das Dreigestirn Jesus - Judas - Maria Magdalena in einer Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 30 Gruppe auftreten. Zuerst erzählen die Schüler in den Gruppen sich gegenseitig, wer die jeweiligen Figuren sind und zeigen erneut, wie sie sich ihrer Meinung nach bewegen, wie sie gehen und sprechen. In den Kleingruppen entsteht so ein erstes Verständnis für die Struktur der Verhältnisse im Stück. Die reine Gesprächsphase sollte nicht lange dauern, lieber schnell mit dem Ausprobieren anfangen. b) 10 Min: Die Figuren gehen nacheinander auf eine von der Gruppe festgelegte Bühne, und stellen sich mit der Körper-, Bewegungs- und Sprechhaltung in Ich-Form vor. Am Ende sprechen sie das von ihnen ausgewählte Zitat der Figur aus dem Text. Zu dem Satz soll eine entsprechende Haltung und Position auf der „Bühne“ gefunden werden, in der die Figuren „einfrieren“. Die folgenden Figuren ordnen sich den schon stehenden Figuren zu. Die erste Figur sollte in diesem Fall Jesus sein. Dabei zu beachten: An wen richtet sich das Zitat? c) je nach Gruppengröße 10-20 Min.: Eine Bühne und ein Zuschauerraum werden festgelegt. Eine Gruppe beginnt damit, ihr Standbild vor den anderen Gruppen aufzubauen, wieder werden die Haltungen eingenommen, das Zitat wird gesprochen und die Figuren frieren zum Standbild ein. Die anderen Gruppen sehen zu. Wenn alle Figuren eines Ensembles auf der Bühne stehen, sollte Raum für „Korrekturen“ sein: Was sehen die Zuschauer? Meinen sie, dass noch etwas verändert werden sollte? Wenn ja: Was? Und Wie? Wie geht es den einzelnen Figuren im Standbild? Sollte noch etwas verändert werden? Dieses Prozedere wird mit allen Ensembles durchgespielt. Zum Ende der Übung haben die Schüler mehrere Standbilder gebaut, in denen sowohl die Beziehungen der Figuren untereinander deutlich wurden, als auch jede Rolle kurz eingeführt wurde. Durch die verschiedenen Ensembles wurden im besten Falle Charakterzüge und Beziehungen der einzelnen Figuren unterschiedlich beleuchtet. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 31 ANHANG Rollentexte Jesus Jesus Ziel ist es, eine Bewegung ins Leben zu rufen, die auf Liebe basiert, die sich nicht um Probleme der Zukunft sorgen will, sondern den Moment genießt. Am Anfang ist er von seiner Bewegung begeistert und lässt sich feiern. Er führt eine Beziehung mit Maria Magdalena, die er liebt. Er nimmt sie gegen ihre Zweifler, wie z.B. Judas, in Schutz. Judas hatte zuvor kritisch hinterfragt, warum Jesus seine Zeit mit einer Frau ihres Standes vergeude. Alle akzeptieren sein Handeln, er akzeptiert die Leute, die Bewegung ist harmonisch. Allerdings vereinsamt Jesus nach und nach in seiner Position als Anführer, da seine Gefolgsleute zunehmend andere Auffassungen seiner Idee haben. Die Bewegung bekommt eine Eigendynamik, der Jesus nicht mehr Herr ist. Resignierend und verärgert verlangt Jesus mehr Vertrauen in die Fähigkeiten und Kräfte der Einzelnen und überlässt damit seine Anhänger gewissermaßen sich selbst. Er will seinen Weg alleine gehen, seine Kraft aus der Liebe schöpfen und weniger politisch agieren, als andere es von ihm erwarten. Den Verrat von Judas sieht er voraus, verurteilt ihn aber nicht. Kurz vor seinem Tod sucht er nach den plausiblen Gründen für sein qualvolles Sterben und sieht ein, dass er damit zu einer Art Ikone, einem Superstar wird. Er stirbt am Ende nicht für die Bewegung, denn die hat er verlassen. Er geht seinen eigenen Weg. Am Ende verlangt er von Gott Vergebung für alle Menschen, da sie nicht wissen würden, was sie tun. Zitate: Gott, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Du hast nichts in der Hand. Deine Macht kommt von weit her. Alles ist bestimmt, du kannst nichts ändern. Was interessiert euch das? Denkt nicht immer an die Zukunft. Kümmert euch um die Gegenwart Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 32 Judas Judas ist Anhänger und Befürworter von Jesus. Vom Anfang an des Stückes ist Judas aber der Meinung, dass Jesus die Bewegung bzw. der Kult um seine eigene Person außer Hand gerate. Die Person, die Jesus verkörpert, sei wesentlich wichtiger geworden, als die Inhalte seiner Reden. Er wirft Jesus vor, zu wenig Pläne gemacht zu haben, um die Bewegung zu lenken. Das Verhältnis zwischen Jesus und Maria Magdalena betrachtet er mit Zorn und Eifersucht. Seiner Meinung nach, passt sie nicht zu den Predigten Jesu. Er ist der Auffassung, Frauen seien schlecht und teuer. Außerdem sei ihr Gewerbe politisch nicht korrekt. In dem Zwiespalt zwischen Freundschaft zu Jesus und Glaube an die Bewegung beschließt Judas in tiefster Verzweiflung Jesus zu verraten, um aus Jesus einen Helden zu schaffen. Er rechtfertigt seine Tat damit, dass es Gottes Wille sei und dass er es für Jesus tue, um die Bewegung weiterzuführen. Allerdings nimmt Judas auch ein Blutgeld an, welches er beim Verrat von Jesus erhält. Diese Tatsache steht im Widerspruch zu seiner Freundschaft und seinem Glauben. Getrieben von seinem Zwiespalt, von Eifersucht, der Freundschaft zu Jesus und dem Verrat, wählt er den Freitod. Am Ende kommt er zufrieden wieder auf die Bühne, da er der Meinung ist das Richtige getan zu haben. Zitate: Es ist schon seltsam: Ein Mann wie du vergeudet Zeit mit einer solchen Frau. An die Belohnung denke ich nicht. Ich bin nicht meinetwegen hier. Nur bitte: Sagt nicht, ich sei verdammt für alle Zeit! Wolltest du so sterben oder wusstest du, dein Tod wird der Hit? Bitte, ich will es nur verstehen! Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 33 Maria Magdalena Maria Magdalena ist eine Prostituierte und steht auf der Seite von Jesus. Sie ist die, die Jesus die Kraft und Ruhe gibt, nach der er trachtet. Da Jesus allerdings so ein großer, reiner Mann ist, hat sie das Gefühl, nicht gut genug für ihn zu sein. Auch kommen ihr Zweifel, warum sie ihn liebt, da er eigentlich nur einer von vielen ist. Aber am Ende ist sie die Einzige, die neben Simon Jesus nicht verleugnet, was auch ihre Liebe bekräftigt. Zitate: Bitte lass uns neu beginnen! Bis jetzt hatte ich Hoffnung. Nun geb ich zum ersten Mal auf. Schlaf tief heute Nacht! Die Welt soll sich ohne dich drehen. Wir versuchen, einmal ohne dich auszukommen. Er ist nur ein Mann. Ich hatte so viele vor ihm. Er ist nur einer mehr. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 34 Simon Zelotes Simon Zelotes ist einer der Anhänger von Jesus. Im Gegensatz zu Jesus ist Simon wesentlich politischer und animiert Jesus, er solle aktiv Hass gegen Rom schüren. Er wiegt sich aber bis zur Festnahme Jesu wie die übrigen Apostel in Selbstzufriedenheit. Beim letzten Abendmahl träumt er wie die anderen davon, dass sie niemals vergessen werden und auf ewig in den Geschichtsbüchern stehen werden. Der wirkliche Glaube an Jesus scheint untergeordnet Er verleugnet Jesus bis zum Ende nicht. Zitate: Lass sie jubeln, schüre ihren Hass auf Rom! Deine Macht wird zunehmen. Es sind mehr als 50 000, die dir ihre Liebe zeigen. Und jeder von diesen 50 000 würde alles für dich tun. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 35 Petrus Petrus ist ein Anhänger Jesu. Er verleugnet Jesus dreimal, so wie Jesus es prophezeit hatte. Am Ende, nach dem Verrat Jesu, übergibt Jesus ihm seine Handschriften, damit er das Erbe fortführt mit Magdalena. Zusammen mit Magdalena klagt er nach einem Neuanfang für die Bewegung. Zitate: Du musst mich verwechseln, ich kenne den Mann nicht. Deine Botschaft ist deutlich. Dafür gingst du fast zu weit. Lass uns aufhören, bevor es beängstigend wird! Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 36 Kaiphas/ Annas Die Priester Kaiphas und Annas merken früh, dass Jesus zu einer Bedrohung werden wird. Er köpnnte für ihren eigenen Fall sorgen beziehungsweise den Fall aller Priester. Zusammen drängen sie Judas durch ein Kopfgeld dazu, Jesus zu verraten, um diesen fernab der Menge festzunehmen. Nach der Festnahme suchen sie nach Gründen für eine Verurteilung Jesu. Die Priester versuchen also ein Todesurteil der römischen Besatzer zu provozieren. Als Argument für eine Verurteilung nennen sie Pilatus, dass Jesus sich für den Sohn Gottes halte und sich selbst als König der Juden deklariert. Die Königsfrage gerät in Konflikt mit dem Herrschaftssystem, dass Caesar der einzige König ist, wäre also ein Grund für eine Verurteilung. Kaiphas und Annas sind maßgeblich an der Verurteilung Jesus beteiligt. Zitate: Hört nur dies Gesindel von Dummköpfen brüllen! Ein Trick mit Leprakranken und die ganze Stadt steht Kopf. Ich seh Blut und Zerstörung, unseren Untergang wegen eines Mannes! Blut und Zerstörung wegen dieses Mannes! Lass die Beteuerungen, bring Informationen! Wir haben die Papiere für die Verhaftung. Du kennst seine Pläne, wir das Gesetz. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 37 Pontius Pilatus Pontius Pilatus, Statthalter von Judäa, ist die letzte Instanz, die Jesus verurteilt. Noch bevor er Jesus zu Gesicht bekommt, erscheint ihm Jesus im Traum, den er als wundersam beschreibt. Am Ende dieses Traumes bekommt er die Schuld für den Tod Jesu zugeschrieben. Er befürchtet, durch die Verurteilung seinen Ruf zu verlieren, sollte er einem Unschuldigen verurteilen. Als man ihm Jesus zeigt, beteuert Pilatus entgegen der Menge, dass er nichts Schuldiges an Jesus sehe. Ohne Verbrechen könne er keinen Menschen kreuzigen. Am Ende muss er die Steinigung und Kreuzigung Jesu aber billigend in Kauf nehmen unter dem Druck der Masse und der Passivität Jesu. Er selbst wirft Jesus diese Passivität und Selbstzerstörung vor. So wie sich Jesus verhalte, könne Pilatus ihm nicht helfen. Dadurch befreit er sich von der Schuld für den Tod Jesu verantwortlich zu sein. Zitate: Ich sah Millionen Menschen weinen um diesen Mann. Plötzlich hörte ich sie meinen Namen sagen: Sie gaben mir die Schuld! Gib Acht, sonst bist du bald tot. Könnte gut sein. Warum sagst du nichts? Dein Leben ist in meiner Hand. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 38 König Herodes Herodes ist ein extravaganter, verschwenderischer Charakter, der sich lieber mit seinen Frauen und Reichtümern aufhält, als mit Politik. Da Pontius Pilatus sich aber zunächst nicht zuständig fühlt über Jesus zu richten, schickt er ihn zu König Herodes, damit dieser sich Jesus anschaut. Herodes ist voller Spott und drängt ihn lachend dazu ihm Wunder zu zeigen. Da Jesus aber kein Wunder vollbringen will und schweigt, schickt Herodes in letzten Endes einfach wieder fort, nachdem er ihn als Betrüger und Judenkönig verhöhnt hat. Zitate: Wandle über meinen Swimmingpool! Du bist ein Witz und nicht der Herr, ein Betrüger bist du! Schafft ihn hier weg, er hat nichts zu melden! Du bist also der großartige Jesus Christus, beweis mir deine Göttlichkeit! Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de 39 LITERATUR- UND INTERNETHINWEISE Songtexte Jesus Christ Superstar: www.lyricsandsongs.com/lyrics/JESUS_CHRIST_SUPERSTAR.html Hörbeispiele Jesus Christ Superstar: www.geocities.com/RainForest/7565/JesusChristSuperstar.mid www.geocities.com/RainForest/7565/kingherodssong.mid www.geocities.com/RainForest/7565/pointofnoreturn.mid www.geocities.com/jcjcsuperstar/ Jesus Christ Superstar im Religionsunterricht: Religionsunterrichts mit der Rockoper Jesus Christ Superstar; in: rhs (Religionsunterricht an höheren Schulen) 1/1997. Düsseldorf: Patmos. Jesus als Thema in der Gegenwart: Langenhorst, Georg: Jesus ging nach Hollywood, Die Wiederentdeckung Jesu in Literatur und Film der Gegenwart. Düsseldorf, 1998. Zu Webber-Stücken: Keith Richmond, Die Musicals von Andrew Lloyd Webber, Berlin (Henschel) 1996. Hansgeorg Mühe, Die Musik von Andrew Lloyd Webber, Hamburg (Kovac) 1995. Michael Walsh, Andrew Lloyd Webber: Der erfolgreichste Komponist unserer Zeit, Mainz (Schott) 1994. Nele Neitzke Theater Ulm Herbert-von-Karajan-Platz 1 89073 Ulm Tel: 0731-161 4411 E-Mail: theaterpaedagogik@ulm.de