Server außer Haus nutzen

Transcription

Server außer Haus nutzen
Schwerpunkt Telekommunikation
Server außer Haus nutzen
Application Service Providing – wichtiger IT-Partner
Software nicht mehr auf Servern im eigenen Unternehmen, sondern über sichere
Datenleitungen bei einem Application
Service Provider zu nutzen, senkt nicht
nur die IT-Kosten, sondern macht auch
personelle Ressourcen frei. Gleichzeitig
ändert sich die Rollenverteilung am
Markt. Der Application Service Provider
wird zum wichtigsten IT-Partner.
Ständig unterwegs ist Shao-ying Cheng
in Kalifornien und im mittleren Westen
der USA, sie fährt von einer Baustelle zur
nächsten. Denn sie ist als CAD-Spezialistin tätig für Degenkolb Consulting Structural Engineers (www.degenkolb.com), einem amerikanischen Architektur- und
Konstruktionsbüro mit Niederlassungen
in San Francisco, Los Angeles, Oakland
und Portland. Das in der US-Baubranche
bekannte Unternehmen entwirft nicht nur
Gebäude jeder Größe, sondern führt auch
seismische Analysen in erdbebengefährdeten Gebieten durch. Alle paar Tage arbeitet die Spezialistin in einem anderen Büro,
wo sie die Teams vor Ort mit CAD-Knowhow unterstützt. Häufig kann es vorkommen, dass relevante ProjektmanagementInformationen oder seltene Dateikonvertierungssoftware für CAD nicht dort verfügbar war, wo sie sich gerade aufhält.
„Schnelle Modifikationen in realtime
brauchen eine einfache zentrale Lösung“,
beschreibt die mobile Spezialistin ihren
Bedarf.
Das Kürzel ASP steht für Application Service Providing beziehungsweise Application
Service Provider. Ein ASP (Application Service Provider) ist ein IT-Dienstleister, der
Software-Applikationen über ein Netzwerk (meist das Internet) zur Verfügung stellt.
Software nicht mehr auf Servern im eigenen Unternehmen, sondern über sichere Datenleitungen bei einem Application Service Provider zu nutzen, senkt nicht nur die ITKosten, sondern macht auch personelle Ressourcen frei. Im Gegensatz zum bisherigen
Erwerb der Software auf Programm-CDs, benötigt ASP keine Installation und damit
auch keine Updates auf dem jeweiligen Computersystem im eigenen Unternehmen.
Die ASP-Software befindet sich auf einem durch ein Netz verbundenen Server. Bei der
Arbeit mit einem ASP-Programm werden zu diesem Server meist nur Eingabe- und
Ausgabeinformationen (Monitor/Mausbefehle) übertragen. Diese flache Übertragungsstrategie ermöglicht eine schnelle Programmreaktion, zumal die eingesetzten
Applikations-Server systembedingt über sehr hohe Rechnerkapazitäten verfügen.
10
Thema Wirtschaft 2/2002
Fündig wurde sie bei Buzzsaw.com Inc.
(www.buzzsaw.com) in San Francisco. Das
Unternehmen, ein Spin-off des SoftwareProduzenten Autodesk, betreibt ein Internetportal für die Baubranche, das alle
denkbaren Bedürfnisse erfüllt. Seine
Funktionalität reicht vom Kauf oder Verkauf von Produkten und Dienstleistungen
über den Austausch von Blaupausen bis
hin zum Application Service Providing
(ASP) von Softwaretools. Baufirmen und
ihre Kunden können gegen ein geringes
Entgelt die Terminlisten und Aktivitätenpläne ihrer Projekte zentral verwalten.
Tausende von Firmen nutzen bereits den
neuen Service. „Die Kunden brauchen den
schnellen Austausch untereinander“, beschreibt Carl Bass, Chef von Buzzsaw.com,
das Hauptbedürfnis von Architekten, Baufirmen und Materiallieferanten. Gleichzeitig bekommen sie den flexiblen und kostengünstigen Zugriff auf aktuelle Design
Tools.
Software nicht mehr ausschließlich im
eigenen Unternehmen vorzuhalten, sondern bedarfsabhängig über eine Standleitung oder ein Virtual Privat Network
(VPN) bei einem Application Service Provider zu nutzen, wird unberührt von den
Turbulenzen des Internetmarktes zur
tatsächlichen Erfolgsgeschichte. Bereits
2000 war ein gutes Jahr für die Branche.
Weltweit 693,5 Millionen Dollar gaben
Unternehmen für Dienstleistungen der
Application Service Provider aus, stellte
die International Data Corporation
(www.idc.com) aus Framingham in Massachusetts fest. Bis zum Jahr 2005 werden
diese Ausgaben nach Einschätzung der
Marktforscher auf über 13 Milliarden
Dollar jährlich steigen. Gleichzeitig verlagere sich die Dynamik des Marktes von
den USA nach Europa. Wurden noch im
Jahr 2000 79 Prozent aller ASP-Ausgaben
in den USA getätigt, sollen es 2005 nur
noch 48 Prozent sein. West-Europa wird
dann mit 5,1 Milliarden Dollar den
Löwenanteil ausgeben. „IT-Kräftemangel
und der Zwang zur Konzentration auf das
Kerngeschäft treibt die Unternehmen zu
den ASPs“, erklärt IDC Senior Analystin
Jessica Goepfert die Dynamik. Zusätzlichen Schub bringe auch das sinkende
Wirtschaftswachstum: Auch um einen
schnelleren Return on Investment zu errei-
Schwerpunkt Telekommunikation
chen, würden sich die Unternehmen an
die ASPs wenden.
Deren Preise können sich in der Tat sehen lassen, werden die tatsächlichen Betriebskosten der Unternehmens-IT, die
Total Cost of Ownership (TCO), berücksichtigt. Denn dazu gehören nicht nur die
Investitionskosten für Hard- und Software, sondern auch in ähnlicher Größenordnung der laufende Aufwand für Systembetreuung, Softwarepflege und Anwenderschulung und -support. Auch ist
der Endkunde nicht mehr so stark an die
Produktlebenszyklen seiner Hardware gebunden, wenn er durch eine ASP-Lösung
nahezu die komplette benötigte Rechenleistung durch einen Provider erbringen
lässt. Die Laufzeiten der verschiedenen Arbeitsstationen erhöhen sich dann deutlich.
Wegen solcher Vorteile gehört auch die
Aer Arann Express Ltd. (www.aerarann.ie)
mit Hauptsitz in Dublin zu den Unternehmen, die bereits ASP nutzen. Seit 30 Jahren fliegt die regionale irische Fluggesellschaft auf Routen innerhalb von Irland
und nach Großbritannien. Um sich mehr
Vor- und Nachteile von ASP
Vorteile:
Softwaretests und schwierige Einkaufsverhandlungen im Vorfeld einer
Investition entfallen.
Gegenüber einer vergleichbaren internen Hard- und Softwarelösung
können zwischen 20 und 40 Prozent
der Kosten für Anschaffung, Betrieb,
Schulung und Support eingespart
werden, gleichzeitig werden die Kosten transparenter und kalkulierbarer.
Durch die zentrale Betreuung sinken
auch die Kosten für das eigene ITPersonal.
Das Unternehmen kann unabhängig
vom IT-Fachkräftemangel ohne Verzögerung wichtige Projekte vorantreiben.
Die Implementierung der Anwendungen und der Echtlauf erfolgen
durch die große Routine und Erfahrung des ASP schneller.
Die Mitarbeiter können sich auf ihre
Kernkompetenzen konzentrieren, es
wird nicht am, sondern mit den ITSystemen gearbeitet.
Die Mitarbeiter können die Systeme
jederzeit von jedem Ort nutzen, Einbindung von Niederlassungen oder
Telearbeitsplätze und mobiles Arbeiten lassen sich ohne großen zusätzlichen Aufwand realisieren.
Der ASP arbeitet mit leistungsfähigen Firewalls, Virenschutzsyste-
men und Datensicherungseinrichtungen, die für ein einzelnes Unternehmen in der Regel nicht finanzierbar sind.
■
■
■
■
■
■
■
■
Nachteile:
Grundsätzlich können alle Anwendungen als Mietmodell angeboten
werden, doch je komplexer und integrierter eine Anwendung ist, desto
schwieriger ist sie von anderen zu
trennen und auszulagern.
Das Unternehmen gibt die Kontrolle
über wichtige Funktionen aus der
Hand. Es wird damit von der Servicequalität und wirtschaftlichen Stabilität des Providers abhängig.
Zusätzlich wird es durch die notwendige Leitungsverbindung auch von
der Servicequalität des Telekommunikationsanbieters abhängig.
Eine Remigration ist nicht einfach,
weil es in den Unternehmen meist an
Know-how fehlt, die von einem ASP
bezogenen Services wieder ins eigene
Haus einzugliedern. Am besten sollte
sie als Option bereits im ASP-Vertrag
enthalten sein.
Generell sollte der ASP flexible Verträge erlauben, denn lange Vertragszeiten sind problematisch. Ein ASPVertrag mit fester drei- bis fünfjähriger Laufzeit ist in einem erst sich entwickelnden Markt viel zu starr.
■
■
■
■
■
auf ihre eigentliche Arbeit zu konzentrieren, hat die Fluglinie ihre IT-Infrastruktur
für die Back Office-Verwaltung und das
Call Center an i-fusion (www-i-fusion.net)
übertragen, eine Firma der Horizon Technology Group plc (www.horizon.ie) aus
Dublin. „Die ASP-Lösung die Sicherheit,
dass unsere wichtigsten Geschäftsprozesse
in der Hand von Profis liegen”, nennt Padraig O’Ceidigh, Chief Executiv Officer
von Aer Arann Express, sein Hauptmotiv
für das Projekt. In der laufenden ersten Implementierungsphase wickeln 30 Anwender über eine sichere Datenleitung Finanzwesen, Personalverwaltung und Call-Center-Funktionen über die bei i-fusion gehostete E-Business-Plattform mySAP.com ab.
In der kommenden zweiten Projektphase
werden auch noch die Softwareanwendungen für Verkauf, Reservierungen und Buchungen zum Service Provider verlagert.
Damit sieht sich die Fluglinie bestens gerüstet für die im abgelaufenen Jahr erwarteten 300 000 Passagiere.
Da ein Application Service Provider
nicht nur den Zugriff auf Software und
Daten, sondern auch Kommunikation, Internet-Zugang und Webpräsenz aus einer
Hand gewährleisten kann, brechen für
Softwarehersteller, Systemintegratoren
und klassische Telekommunikationsanbieter härtere Zeiten an. Davon ist Charles
Holms vom Amsterdamer Marktforschungszentrum Forrester Research B.V.
(www.forrester.com) überzeugt. Denn
wenn sich der Application Service Provider zum wichtigsten IT-Geschäftspartner
des Kunden mausert, ändert sich die Vermarktung von Software und zugehörigen
Dienstleistungen radikal. „Um mit Geschäftspartnern komplexe Prozesse wie Beschaffung, Vertrieb und Vertragserfüllung
abwickeln zu können, werden die Unternehmen auf ASPs setzen“, ist ForresterAnalyst Charles Homs überzeugt. Sobald
einige der Kernprozesse extern gehandhabt
werden können, wird sich auch die Rolle
der Informationstechnologie im Unternehmen selbst verändern. Die IT-Mitarbeiter müssten dann zum Beispiel SupplyChain-Managementsysteme nicht mehr
mühsam aufbauen, sondern könnten sich
auf deren Betrieb konzentrieren.
■
Autor: Johannes Fritsche, Bonn
12
Thema Wirtschaft 2/2002