Monsieur Ibrahim

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Monsieur Ibrahim
Kolloquium „Literatur & Schule“, 31.01.06
Eric-Emmanuel Schmitt: Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Fischer. 7 €
Die Äußerungen im Anschluss an die Vorleserunde ergeben ein gemischtes Bild. Sie reichen
von nett, gelungen, humorvoll, über philosophisch und tiefgründig bis kitschig.
Die Geschichte, um die es hier geht, ist schnell erzählt. Moses, Sohn eines jüdischen
Rechtsanwalts, findet einen väterlichen Freund in Monsieur Ibrahim, dem türkischen
Gemüsehändler in der Rue Blue, in der Moses lebt. Moses lebt allein mit seinem Vater, der
den Sohn vernachlässigt, die Mutter hat Vater und Sohn unmittelbar nach Moses´ Geburt
verlassen. Im Verlauf der Geschichte verlässt auch der Vater den Sohn und bringt sich
schließlich um, indem er sich vor einen Zug stürzt. Das klingt nicht nur tragisch, das ist es
auch. Zu diesem Zeitpunkt hat Moses, genannt Momo, aber bereits eine enge Beziehung zu
Monsieur Ibrahim, von dem er schließlich adoptiert wird. Von Monsieur Ibrahim lernt Momo,
worauf es im Leben ankommt: bei sich zu sein und das Leben so zu nehmen, wie es ist. Das
alles wird uns rückblickend von dem erwachsenen und wie es scheint abgeklärten IchErzähler Moses in etwa chronologisch in einem ausgesprochen leichten, humorvollen und
hintergründigen Ton erzählt.
Das Gespräch beginnt tastend und zögerlich, wir finden nicht sogleich einen Ansatzpunkt.
Thematisch wir im Verlauf immer wieder die Frage nach der Bedeutung des Religiösen.
Moses ist Jude, Monsieur Ibrahim Moslem, genauer Sufi. Während die Frage nach der
Bedeutung der Religion, für die Moses sich interessiert, von seinem Vater zurückgewiesen
wird, gilt das für Monsieur Ibrahim nicht. Alle Weisheit schöpft er aus dem Koran, wie er
sagt. Dass damit durchaus nicht die Auslegung der Schrift gemeint ist und sein Koran sehr
persönliche und Erinnerung tragende Dokumente enthält, klärt sich im Verlauf. Weniger als
einen Buchstabengläubigen denn als einen spirituellen Menschen mit großer Sensibilität für
die emotionalen Bedürfnisse des zu Beginn 11-jährigen Moses lernen wir Monsieur Ibrahim
kennen. Insofern werde hier auch keine Differenz zwischen Judentum und Islam aufgemacht,
sondern vielmehr die zwischen einer „legalistischen“ Lebenspraxis des Vaters und der
spirituellen des Monsieur Ibrahim. Da ist einer, der dieses eine Kind aus schwierigsten
Verhältnissen rettet. Für die einen ist dies eine tröstliche und glückversprechende Perspektive,
andere in der Runde sprechen hier vom „Glück im Winkel“, von der Idylle, die eben nah am
Kitsch angesiedelt sei.
Beschäftigt hat uns auch die Leichtigkeit, mit der hier durchaus schwere und ernste Themen
verhandelt werden. Die Lebenskrisen, die Moses zu bewältigen hat, sind tief und erscheinen
im Text doch geradezu leicht. Das heißt aber nicht, dass sie auch leichtgenommen werden. Es
ist eher der „Ton“, in dem hier erzählt wird, der diesen Eindruck entstehen lässt. Den haben
wir der Erzählperspektive zugeschrieben. Moses erzählt rückblickend aus einer Position, in
der er angekommen und mit sich und seinem Leben im Reinen ist.
Für die Schule wird der Vorschlag gemacht, den Text im Zusammenhang mit dem Film zu
besprechen, der vielen, wie im Gespräch deutlich wird, gut gefallen hat. Der Vergleich der
beiden Medien und ihrer je spezifischen Ästhetik erscheint uns ab der 9. oder 10. Klasse ein
reizvolles Unterfangen, um der Frage der Humanität nachzugehen. Darüber hinaus wird
vorgeschlagen, den Text kontrastiv zu Lessings Ringparabel zu lesen.
hw