Inka Parei: Die Schattenboxerin
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Inka Parei: Die Schattenboxerin
Kolloquium Literatur und Schule Protokoll der Sitzung vom 2.7.02 Inka Parei: Die Schattenboxerin Nach einer weder langen noch kurzen Vorleserunde ergab das Blitzlicht ein heterogenes Bild: großartig, begeisternd; viel Deko bei wenig Kalorien; nicht packend, heavy, spannend, zu bemüht; sprachlich schlecht, andererseits aber scharf beobachtet, besonders im Blick auf die Berliner Szene. Die Diskussion verlief ungewöhnlich engagiert und kontrovers. Hier werde vollständig auf die innere Welt verzichtet, die Seele sei gewissermaßen nach außen geklappt. Die Erzählerin werde beim Versuch beobachtet, sich nach dem Trauma der Vergewaltigung ihrer selbst zu vergewissern. Ein Teil des Gesprächs diente der Klärung z.T. verwirrender Inhalte: Wir werden Zeugen einiger Ereignisfolgen aus dem Leben der Protagonistin Hell. Sie erzählt in nicht chronologischer Folge aus der Ich-Perspektive heraus. Der Text setzt mit dem Verschwinden der Nachbarin Dunkel ein, Hells Gegenüber in einem heruntergekommenen und besetzten Haus im Nachwende-Berlin. Der Text nimmt Züge des Krimialromans an, lässt sich aber nicht als Detektiv-Geschichte lesen. Szenen in Hells Stammkneipe führen uns die Protagonistin als KungFu-Kämpferin vor. Die Begegnung mit März führt auf die Spur der verschwundenen Dunkel, aber auch zurück in Hells eigene Vergangenheit: In der Rekonstruktion wird deutlich, dass sie offenbar von einem Franzosen vergewaltigt worden ist, der wiederum eine Jugendbekanntschaft von März ist oder zumindest zu sein scheint. Auf einer Polizeiwache begegnet sie nach der Vergewaltigung einem asiatischen Kind, was zu einem Kontakt mit dem KungFu-Kämpfer Wang führt. Dieser bildet Hell anschließend aus. Zwischen Hell und März entwickelt sich eine Beziehung, die in ihrer Qualität in der Schwebe bleibt. März trifft den Franzosen wieder, Hell kommt dazu. Ob sie in ihm den Vergewaltiger wiedererkennt, wird nicht explizit geklärt, aber zumindest nahegelegt. Das Buch endet mit dem Wiederauftauchen der Dunkel. Die Zeitebenen sind in z.T. undurchsichtigerweise miteinander verwoben. Die Rekonstruktion verschiedener Handlungsmomente war daher immer mal wieder ein Bedürfnis im Gespräch. Sehr unterschiedlich bewertet wurde der Sinn der Konstruktion: Ob hier nicht beständig Zusammenhänge versprochen würden, etwa zwischen März, Dunkel und dem Franzosen, um uns anschließend ein Ganzes zu verweigern? In diesem Aufbau konnten einige LeserInnen allerdings ein Ziel erkennen: Die Protagonistin schwimme, die Ereignisse bildeten eine Art Strom, aus dem nichts wirklich herausgehoben werde. So komme es zu einer seltsamen Gleichrangigkeit der Geschehnisse, die die innere Zerstörung der Erzählerin umsetze. Das Gespräch umkreiste anschließend die Frage der sozialen Realität im Buch: Sie sei lediglich in kleinen Begebenheiten vorhanden, etwa wenn Hell einkaufen gehe, ihre Wohung in Ordnung halte, Müll entsorge, Wasser angesichts gefrorener Leitungen besorge. Kein Lebensplan oder gar eine alltäglich Ablaufsordnung werde präsentiert. Dies passe aber, so die einen, zu Hell, die auch in keinen Arbeitsablauf eingebunden ist, sondern sich nach einer traumatischen Erfahrung durch Stunden und Tage taste. Nach und nach vergrößere sie ihren Radius, was durch die zahlreichen Bahnfahrten im Stadtgebiet deutlich werde, und vergrößere so ihren Radius. Unterschiedlich bewertet wurde die Bedeutung der Topographie: das Buch sei ein absolutes Berlinbuch, so die einen, das Wo sei eher eine Schwachstelle, so die anderen. Hier würden Berlin-Klischees wieder aufbereitet. Was den einen lebensnah für einen bestimmten Szenekontext der Wendezeit erschien, erschien den anderen eher langweilig. Vieles sei rätselhaft und ungelöst, beklagten die einen, das sei gerade das interessante, meinten die anderen. Sprachlich sei der Text schlecht, so die einen, Form und Inhalt entsprächen sich, so die anderen. Überbordend die einen, experimentell die anderen. Wenn in der Schule, dann mit engagierten Lesegruppen der Oberstufe, so war der Tenor der Abschlussrunde. Probleme wurden gesehen beim komplizierten Aufbau des Textes, der schon halbwegs professionellen LeserInnen einiges abverlange. Mit den SchülerInnen müssten Brüche im Ablauf wohl analysiert und interpretiert werden. Heikel sei die Thematik: die innere Zerstörung der Protagonistin zu thematisieren stelle hohe Anforderungen an das Gesprächsklima. Umstritten blieb, wie schon in der Diskussion, die Frage, ob die literarische Qualität eine schulische Behandlung lohne. Das „Ja“ erschien lauter als das „Nein“. Und immerhin sei es ein Stück aktuellster Literatur, das feuilletonistisch stark wahrgenommen wurde. ip