Lago Maggiore - marina.ch - das nautische Magazin der Schweiz
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Lago Maggiore – Frühlingssegeln unter Palmen Ein See mit gutem Wind und viel Geschichte verbindet die Schweiz mit Italien. Rund um das Wasser eine Region der attraktiven Übergänge: Berge, Voralpen, Hügel, Ebenen. Hier hat der Frühling bereits begonnen. Text und Fotos: Daniel B. Peterlunger Mit vier Windstärken segeln wir im offenen Kielboot hart am Wind zur Grenze zwischen der Schweiz und Italien, die den Lago Maggiore unsichtbar teilt. Manch mal spritzt uns Wasser ins Gesicht. Erfrischend. Der tiefblaue Lago wird auch im Sommer nicht wärmer als 20 Grad Celsius. Jetzt, im bereits frühlingshaften Februar, hat er nur acht Grad. Über dem golden gleis senden Licht auf dem Wasser spielen Vögel im Wind. Die alten Gebäude hinter der Piazza von Cannobio liegen im Dunkeln. Die Sonne erreicht gerade noch die Hafenmole, an der Fahnen im Wind flattern. Ein Blick über die Schulter, nordwärts, seeaufwärts, zeigt ein einzigartiges Schweizer Panorama: Schnee Segelnd durch die Geschichte Der Blick in den Norden: Ascona beim Maggia-Delta und die Schneegipfel der Schweizer Alpen. 84 lakeside bedeckte Alpengipfel im Hintergrund, in der Mitte das riesige Maggia-Delta mit Ascona und davor die zwei Brissago-Inseln. Dort stand vor Jahrtausenden eine römische Signalfeuerstation. Die Baronin de SaintLéger kaufte 1885 die grössere der Inseln, die Isola Grande, und verwandelte sie in einen exotischen Garten. Seit den 50er Jahren gehören beide Eilande dem Kanton Tessin, der sie zu öffentlichen botanischen Gärten erklärt hat. Dank dem subtropischen Mikro klima gedeihen hier 1800 exotische Pflanzen – trotz der Nähe zu den Schneebergen. Wo gibts das schon? Seeabwärts reicht der Blick bis zum italienischen Städtchen Luino. Dort öffnet sich das Land, der rund 60 Kilometer lange Alpensee befreit sich in die Ebene der Lombardei. Hinter einer Bergflanke verstecken sich die Pirateninseln von Cannero und weiter süd lich, bei Stresa, die Borromäischen Inseln – wie auf blauen Samt gebettete Kleinode, perfekte Ziele für mehrtägige Törns. Edouard – philosophierender Segellehrer In vielen Dörfern und Städtchen am Ufer recken sich stolze Campanili in den Himmel, der höchste bei Oggebbio. «Hier kann man tatsächlich Kirchturmna vigation betreiben», sagt Edouard Wahl. Der 85-Jäh rige, den alle Segler beim Vornamen nennen, studierte Geschichte, Sprachen und Philosophie. Er war Nah ost-Korrespondent, später berichtete er vom Hof des Kaisers Haile Selassie in Äthiopien. Vor 35 Jahren liess er sich am Lago Maggiore nieder und eröffnete 1974 marina.ch märz 08 eine Segelschule. Edouard ist der älteste aktive Segel lehrer der Schweiz und lebt in Gadero oberhalb Brissagos. Sein Haus ist ein guter Aussichtspunkt. Edouards jahrelange Beobachtungen zeigen: Auf dem windsicheren Lago Maggiore wird wenig gesegelt, im Schweizer Teil noch weniger. Die Tessiner segeln lieber auf dem Meer, falls überhaupt. Die vielen Segel yachten in den Häfen oder an den Bojen von Locarno bis Brissago gehören meist Deutschschweizern oder Deutschen, die im Tessin Ferien machen. Der italienische Teil des Sees liegt dagegen im Einzugs gebiet von Turin und Mailand. Von dort zieht es so manchen aufs nahe Wasser. Entsprechend gross sind die italienischen Regattafelder. Dennoch, eng wird es auf dem Lago Maggiore nie. märz 08 marina.ch Wenn starker Wind über den langgestreckten See bläst und durch die alten, engen Gassen in den Dörfern an den Steilhängen fegt, fliegen Laubblätter durch die Luft und Staub fällt aus den roh geschich teten Steinmauern der Häuser. Die alten Mauern erzählen Geschichten – Edouard kennt sie alle. Er ver wandelt unser Schiff in einen segelnden Hörsaal, den See in ein Geschichts- und Geografiebuch und sagt lachend: «Ich bin zwar kein Naturphilosoph wie JeanJacques Rousseau, aber doch nicht so weit davon ent fernt, dass ich ‹Was geht mich der Frühling an?› sagen würde.» Dann öffnet Edouard das Buch, blättert in den Seiten und beginnt zu erzählen. Über den See als Wegkreuzung zwischen den westlichen und östlichen Alpenpässen und zugleich auf der Gotthard-Nord süd-Achse. Und über die Entstehung, für die zwei Theorien existieren: Die eine sagt, er sei durch die Bruchlinie entstanden, die zwischen den Zentral- und Südalpen liegt. Dort, wo der adriatische Sporn, ein vorspringender Teil der afrikanischen Kontinental platte, gegen die Alpen drückte. Die andere sieht den See als Ergebnis von Gletscherauswaschungen. Liegt die Wahrheit in der Kombination beider Theorien? «Sicher ist», erklärt Edouard, «errudert oder besegelt wurde der See schon immer. Die unwegsamen Steilufer zwangen Reisende aufs Wasser, auf die Zuund Abflüsse, auf die ersten Strassen der Mensch heit.» Und er fügt hinzu: «Zudem fliesst der Ticino vom Lago Maggiore in den Po, der in der Adria endet. So ist der See mit dem Meer verbunden. Ein alter See fahrtsweg, ein Knotenpunkt mitten in der Geschichte und Geografie Europas.» Jede anlaufende Welle trägt ein neues Kapitel heran. Edouard erzählt vom Einfluss spanischer, franzö sischer und italienischer Könige, von Fürsten und Frei heitskämpfern wie Garibaldi, von römischen Legio nären, mittelalterlichen Rittern und Pilgern. Er beschreibt die napoleonischen Züge, die Schlacht von Edouard Wahl, segelnder Philosoph und gewiefter Navigator: Er nutzt die vielen Kirchtürme, die Campanili, zur Ortsbestimmung. lakeside 85 Solferino, weiter unten in der Ebene, und er erzählt von geschlagenen Seeschlachten und von den Amerikanern, die mit den Deutschen kurz vor Ende des 2. Weltkriegs einen Separatfrieden schlossen. Die Gegner trafen sich damals in Ascona, wo jetzt, Mitte Februar, die Stühle der Restaurants bereits draussen stehen und Gäste Sonne tanken. Zwischen den grossen Linien der Geschichte entfal ten sich auch Einzelschicksale, wie das von Narciso Bazzi aus Brissago: Er überquerte den Gotthard, um als Ersatzmann seinen Arbeitsplatz als Kabinen steward in der niedrigsten Klasse auf der Titanic zu erreichen – und ging mit ihr im Atlantik unter. Über die flüssige Grenze Die Piazza von Ascona, das Das Schengenabkommen, das im Herbst in Kraft tritt, gilt auch für den Grenzübertritt auf dem Wasser. Es betrifft aber nur Personen und nicht Güter. Beim Grenz übertritt auf dem Wasser sind die internationalen Regeln zu beachten: Wer von der Schweiz aus nach Italien segelt muss, wenn er zollpflichtige Ware mit führt, bei der italienischen Zollstation am Westufer anlegen. Leider befindet sie sich in einem Windloch, so dass die obligatorische italienische Gastlandflagge unter der Steuerbordsaling selten flattert. Auf Schwei zer Seite muss weder ein- noch ausklariert werden, solange es nichts zu verzollen gibt. Falls man in Italien Zollpflichtiges eingekauft hat, kann man bei der Rück kehr im Heimathafen anlegen und die Zöllner telefonisch informieren. Dann kommen sie in den Hafen. Nach der Grenze, in der Düse von Cannobio, ist der See schmal und die Inverna, der zuverlässige Südwind, legt in der Regel eine Windstärke zu. Hier zischen Windsurfer über den See. In Cannobio ist die italienische Atmosphäre, die piemontesische Kultur sicht- und spürbar. Die historische Burgenstadt hat einen Europapreis bekommen für ihre Bellezza, ein starker Kontrast zur architektonischen Verschande lung einzelner Abschnitte des Schweizer Ufers. Besonderes bei Brissago. Edouard lächelt listig: «Fährt man an Brissago vorbei, kann man ja dem Ort den Rücken zuwenden.» Sprungbrett in den Süden, eine Palme in Palanzza: Der Lago Ein Gewässer mit vielen Gesichtern Maggiore gibt sich schon im Bei aller Lieblichkeit der Region, der Lago Maggiore verlangt seemännische Tugenden. Er ist nicht nur gross, seine Ufer fallen steil bis in 372 Meter Tiefe ab. «Manchmal ist der See so schrecklich, dass man nicht mehr heimkehrt», steht in einem alten lateinischen Mönchsbericht. Gewitter kommen schnell und hef tig. Manchmal schlagen Blitze in den See, dann wird das blaue Wasser grün. Doch es gibt auch die perfekten Schönwetter-Segel winde wie eben die Inverna. Nach ihr kann man im Sommer die Uhr richten: Um 13.30 Uhr trifft sie in Februar vorsommerlich. 86 marina.ch märz 08 der Schweiz ein – mit satten vier Beaufort. Sie schläft ein, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Dann setzt ab 18 Uhr die ablandige Thermik ein, nicht selten mit mehr als vier Windstärken. Nachts bläst sie den See hinauf und kommt mit dem Sonnenaufgang als Tramontana, als Nordwind mit 3 bis 4 Beaufort zurück. Happig wirds bei Nordföhn: Der bläst oft mit 7 bis 8 Windstärken. Und manchmal stürzt sich vom 2188 Meter hohen Gridone am Westufer eine kalte Windwalze mit bis zu 6 Beaufort auf den See. Der Wind, der denselben Namen wie der Berg trägt, heisst übersetzt «der Schrei». Eine andere Eigenheit des Sees ist sein Wasserstand. Der kann um bis vier Meter variieren. Nach Unwettern schwillt die Maggia an und wird zum reissenden Strom. Die steilen Abhänge des weitverzweigten Tals können die Wasser nicht zurückhalten. Der Lago läuft voll. In den letzten zwanzig Jahren trat der See mehrmals über die Ufer, sein Pegel stieg innert eines Tages um zwei, drei Meter. Zuletzt im Jahr 2002. Dann fahren in den Städtchen der italienischen Küste die Leute mit Kanus über die Piazza in die Pizzeria. Der Wasserstand des Sees wird zusätzlich beeinflusst durch den Damm: ein Wehr mit Überlauf und Tor, am Seeausgang bei Sesto Calende. Dort regeln die Italiener die Wasserzu fuhr für die Reisfelder in der Poebene. «Der See ist eine ständige Herausforderung. Wetter- und Windwechsel, Vorbereitungen für einen Landfall – ich bin nach dem Segeln noch nie nach Hause gekommen und habe gesagt, es sei langweilig gewesen», meint Edouard. märz 08 marina.ch Spezielle Gedenkfahrt Im Tessin beginnt die Segelsaison früher und endet später als in der übrigen Schweiz. Und der See ist nicht nur ideal fürs Tourensegeln, sondern eignet sich auch für kurze Törns. Alleine der nur 15 Kilometer lange Schweizer Teil bietet viel. Die Brissago-Inseln zu umrunden und dort anzulegen, ist ein schöner Nachmittagausflug. Auch dem Maggiadelta entlang zu segeln und die Sicht in die Berge zu geniessen, ist ein einzigartiges Erlebnis. Beim Delta ist der See nur zwei Kilometer breit und wegen der Untiefen ist Vor sicht geboten. Eine neue Gefahr für Segler, Badende und die Tierwelt droht eventuell von einer ganz an deren Seite: Jetskis. Noch haben die Behörden des Kantons Tessin nicht entschieden, ob die schnellen Vehikel – wie im italienischen Teil des Sees – zu gelassen werden. Doch bereits regt sich in der Bevöl kerung Widerstand. Im italienischen Teil locken noch mehr Palmen und prächtige Palazzi am Ufer. Bei den unbewohnten Can nero-Inseln mit der Burgruine kann man ankern. Wei ter im Süden, bei den drei Borromäischen Inseln (Isola Bella, Isola Madre und Isola dei Pescatori) vor Stresa gibts Anlegemöglichkeiten. Wer Glück hat, hört beim abendlichen Segeln am Ostufer bei Santa Caterina del Sasso die Mönche im Kloster singen. Segeln mit musikalischer Begleitung. Einzigartig! Edouards Segelfahrten auf dem Lago Maggiore hingegen sind gewürzt mit einer weiteren Dimension: Er vermittelt seinen Segelschülern nicht nur etwas von der lokalen Die Saison hat begonnen, das italienische Cannobio ist bereit. lakeside 87 Weitere Infos: www.ticino-tourism.ch und www.lagomaggiore.net Segelschule Brissago: www.sailport-brissago.ch Segel- und Motorbootcharter, Segelschule Ascona: www.scuolavelaascona.ch T I Comologno C I N O Avegno Mergóscia Versico P.Brolla Brione Spruga Intragna 2430 Tenero Minusio Càmedo a l l i Losone tov n Locarno Ronco Cravéggia Ce Ascona Palagnedra Re Vira S.Nazarro Malesco o 193 Brissago Gerra z S.Maria gez i V Ronco V a l l e Finero Ranzo Indémini Pino Biegno Gurro Gráglio Traffiume Falmenta Curiglia Russo Loco r e Pioda di Crana g a Ghiffa Arizzano Trobaso Feriolo Pallanza Verbania Cittiglio Baveno Laveno Stresa Caravate o Mottarone 1491 Invório Gozzano Brinzio Gemónio Compo dei Fiori 1226 g Nebbiuno Miasino Pisano Arolo a Gignese Brovello Armeno Marchirolo Brusim Grántola M Cunardo Ghirla Casalzuigno Porto Intra Besozzo Ganna Arcisate Gavirate Comério Induno Belgirate Brebbia Bardello Masnago Lesa Biandronno Ispra Varese Travedona Lago di Ranco Varese Cadrezzate Cazzago Méina Brábbia Azzate Gazzadra Angera Comábbio Arona Sesto Sumirago Vergiate Albizzate Carnago © www.kohlikarto.ch Fondotoce Cúrio Creva Cremenaga Germignaga Premeno Sessa Luino M Mergozzo Cambiasca Gravellona Cánnero g Barbè Aurano Cicogna Monte Lema Maccagno1620 DumenzaMigliéglia Astano i Cannobio Monte Spalavera Trárego 1534 o 2135 Cima Marsizze Parco Nazionale Val Grande L oder globalen Historie, sondern er kreiert – und dabei sitzt ihm der Schalk im Nacken – neue Segelanlässe. So erfand er etwa das «Diana-Segeln», eine amtlich bewilligte Wallfahrt zu Wasser. Sie führt zu den Brissago-Inseln und zwar jährlich am Todestag von Lady Di. Die Tour gewinnt in den Medien zunehmend Beach tung, selbst das Fernsehen war schon dabei. Bereits im alten Brissago hatte es jedes Jahr eine Gedenk fahrt zu den Altären von San Pancrazio gegeben. Und da auf den Molenköpfen der Pancrazius-Insel die Standbilder der Gottheiten Pan und Diana die Blicke auf sich ziehen, verband Edouard kurzerhand und augenzwinkernd Vergangenheit und Gegenwart: «Die Diana-Statue und der Tod von Englands liebster Galionsfigur Lady Di verleihen der Wallfahrt eine elegante klassisch-frankomanisch anglophile, eine mit dianaisch-jagdgöttischer Erotik geladene nekrobacchantische Dimension.» Nach solchen Sätzen lehnt sich Edouard Wahl genüsslich schmunzelnd zurück, greift die Pinne noch etwas fester und seufzt dabei wohlig: «Man müsste das Segeln, das Wegsegeln erfinden, läge es uns nicht schon im Schoss, in den es uns gefallen ist.» Die Inverna, der Südwind, nach dem man im Sommer die Uhr richten kann, erreicht die Brissago-Inseln. marina.ch Ralligweg 10 3012 Bern Tel: 031 301 00 31 marina@marina-online.ch www.marina-online.ch Tel Abodienst: 031 300 63 43 88