Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept
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Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept
Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept Dokumentation des vierten Workshops im Rahmen des Modellprogramms „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 14. und 15. September 1999 in Halle/ Saale Bearbeiter: Dr. Heike Engel und Dr. Dietrich Engels unter Mitarbeit von Ulrike Schüller und Miriam Martin ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Köln, im April 2000 Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort 5 Begrüßung Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle 7 Grußwort Frau Bürgermeisterin Szabados, Stadt Halle 9 Thematische Einführung Ist das Service-Wohnen ein Wohnkonzept der Zukunft? Dr. Dietrich Engels, ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH 13 Konzepte und Entwicklungsstand des Service-Wohnens Zum Entwicklungsstand des betreuten Wohnens in Deutschland Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe 21 Diskussion 37 Wohnen mit Service: Ein Markt der Zukunft? Britta Steves, empirica – qualitative Marktforschung 39 Betreutes Wohnen ohne Umzug Dr. Gerrit Köster, Leitstelle „Älter werden“ der Stadt Aachen 61 Diskussion 81 Service-Wohnen in Halle-Trotha Entwicklung des Senioren-Kreativ-Vereins und Vorstellung der Mitarbeiter/innen der Koordinierungsstelle Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle 85 Bedarfsanalyse zum Service-Wohnen in Halle: Empirische Ergebnisse Dr. Heike Engel, ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH 89 Ansätze zur Weiterentwicklung des Service-Wohnens in Halle Konrad Potthoff, Senioren-Kreativ-Verein Halle 99 Qualitätsstandards des Service-Wohnens Qualitätsanforderungen an Betreutes Wohnen: Welche Hilfen brauchen Berater? Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe 109 Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität des Service-Wohnens Professor Dr. Winfried Saup, Universität Augsburg 115 Diskussion 141 Berichte aus den Arbeitsgruppen 149 Service-Wohnen: Bedarf und Marktchancen in den neuen Bundesländern Podiumsdiskussion Teilnehmer/innen: Frau Dr. Theren (Sozialministerium Sachsen-Anhalt), Herr Professor Nentwig (BauhausUniversität Weimar), Herr Eisenberg (Projektentwickler), Herr Dr. Bartaune (Hallesche Wohnungsgesellschaft), Herr Eberhard (Stadtseniorenrat Halle) Moderation: Dr. Engels 155 Anhang: Anhang 1: 180 181 Anhang 2: Anhang 3: Aachener Fragebogen zur Ermittlung des Betreuungsbedarfs Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten Wohnens im Bestand in Aachen Leistungsdokumentation in den ServiceWohnhäusern Trotha (ISG) 184 185 Vorwort Im „Service-Wohnen“ wird eine Wohnform mit einem Dienstleistungsangebot verknüpft mit dem Ziel, eine möglichst selbstständige Lebensführung im Privathaushalt mit professioneller Unterstützung und Absicherung zu verbinden. Eine altengerechte Bauweise ist die Voraussetzung für diese Wohnform; darauf aufbauend wird ein Set an Dienstleistungen angeboten, das von Hausmeistertätigkeit/ technischen Hilfen über hauswirtschaftliche Leistungen bis zu Betreuung, Beratung und Vermittlung von Hilfe- und Pflegeleistungen reicht. Unterschiedlich ist das Spektrum der angebotenen Serviceleistungen ebenso wie die Form der Leistungserbringung, die i.d.R. pauschal abgegoltene Grundleistungen mit einzeln zu vergütenden Zusatzleistungen kombiniert. Unterschiedlich ist weiterhin, ob ein Verbleib in der Wohnung auch bei (zunehmender) Pflegebedürftigkeit möglich ist oder nicht. Im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ hat die Koordinierungsstelle Halle am 14. und 15. September 1999 einen Workshop mit dem Titel „Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept“ durchgeführt. Im Rahmen der Schwerpunktberatung hat die ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH diesen Workshop inhaltlich vorbereitet und dokumentiert. Zur Einführung in den Workshop wurden einige zentrale Konzepte, der Entwicklungsstand und die bisherigen Erfahrungen des ServiceWohnens vorgestellt und erörtert. Dabei kamen unter anderem auch die Rolle der Bewohner als „Kunde“ von Service-Leistungen und die Erweiterung des Konzeptes auf „normale“ Wohngebiete zur Sprache. Im Einzelnen orientierten sich die Vorträge an den Fragestellungen • Wie hat sich das betreute Wohnen in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt? Welcher Trend ist absehbar? • Sollte ein Konzept angestrebt werden, in dem der Bewohner als selbstbewusster Kunde einzelne Service-Leistungen einkauft, oder hat auch der Ansatz einer umfassenden „Betreuung“ seine Berechtigung? • Bleibt Service-Wohnen in der Praxis auf Wohnanlagen beschränkt, oder gibt es auch erfolgreiche Beispiele für betreutes Wohnen in „normalen“ Wohngebieten? 5 Das Service-Wohnen in Halle wurde als Praxisbeispiel vorgestellt und erörtert. Dazu gehörten Informationen zum Trägerverein, eine Situationsbeschreibung aus der Sicht der Praxis und empirische Untersuchungsergebnisse der wissenschaftlichen Schwerpunktberatung. Vor dem Hintergrund dieser Fallstudie besuchten die Workshop-Teilnehmer die Service-Wohnanlagen in Halle-Trotha. Empirische Erfahrungsberichte über das Service-Wohnen sind unmittelbar mit der normativen Fragestellung verknüpft, • welche Qualitätsstandards in architektonischer Hinsicht zugrunde zu legen sind, • welches Spektrum an Dienstleistungen und welche Servicequalität des betreuten Wohnens zu fordern sind, • durch welche vertragliche Konstruktion ein hinreichender Schutz der Bewohner gewährleistet ist und • welche Verfahren geeignet sind, die Einhaltung von Qualitätsanforderungen zu überprüfen. Im Rahmen des Workshops wurden verschiedene Ansätze, solche Qualitätsstandards zu erarbeiten, vorgestellt. Die Einschätzungen des Bedarfs an betreuten Wohnangeboten schwanken zwischen Euphorie und Skepsis: Eröffnet sich hier ein neuer Dienstleistungsbereich, der zur weiteren Expansion tendiert, oder ist die Begeisterung über die neue Wohnform bereits einer Enttäuschung gewichen? Wie stellen sich die Marktchancen dieser Angebotsform speziell in den neuen Bundesländern dar? Diese Fragestellungen wurden im Rahmen des Workshops zunächst in Arbeitsgruppen und dann in Form einer Podiumsdiskussion erörtert. Allen, die inhaltlich und organisatorisch an dem Workshop und seiner Dokumentation mitgearbeitet haben, möchten wir an dieser Stelle herzlich danken! Heike Engel und Dietrich Engels 6 Begrüßung Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle Meine Damen und Herren, liebe Gäste in der Saale-Stadt Halle, ich möchte Sie als Leiterin der Koordinierungsstelle und Ausrichter dieses Workshops hier im Maritim-Hotel in Halle begrüßen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise und haben sich gut eingerichtet. Ich wünsche uns eine interessante und erfolgreiche Tagung. Zunächst etwas Organisatorisches zum heutigen Ablauf der Tagung: Wir haben ab 16:00 Uhr die Vorträge zu unserem Service-Wohnen vorgesehen und werden anschließend mit der Straßenbahn in das Wohnprojekt fahren. Nachdem wir dort das Wohnprojekt besichtigt haben, lade ich Sie in die Begegnungsstätte Delta ein, wo die Möglichkeit besteht, gemeinsam abend zu essen. Anschließend besteht die Möglichkeit, an einem Stadtrundgang durch die historische Altstadt von Halle teilzunehmen. Und wir können dann in dem Gasthaus „Althalle“ den ersten Tag des Workshops gemütlich ausklingen lassen. So viel nur zum Ablauf heute. Morgen geht es dann hier im Hotel weiter. Sie haben es ja vielleicht schon erfahren: Frau Sachse arbeitet nicht mehr im Modellprogramm mit, sie ist aus dem IES ausgeschieden. Frau Mette, die Nachfolgerin, möchte sich jetzt kurz vorstellen. Mette: Ich möchte den Start dieses Workshops nutzen, um mich kurz vorzustellen, sehr geehrte Damen und Herren. Mein Name ist Inge Mette vom Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung. Ich bin die Nachfolgerin von Frau Sachse. Ich habe es gerne übernommen, von Frau Sachse noch einmal herzliche Grüße an Sie alle auszurichten und Ihnen ein gutes Gelingen des Modellprojektes zu wünschen. Frau Sachse hat ganz kurzfristig eine neue berufliche Perspektive ergriffen und ist deswegen zum Ende des Monats Juli bei uns aus dem Institut ausgestiegen. Für mich ist dies der AuftaktWorkshop. Ich freue mich darauf, Sie alle kennenzulernen. Ich wünsche uns allen, besonders bei den interessanten Themen, die uns heute und morgen geboten werden, einen wunderschönen, interessanten und sehr diskussionsreichen Workshop. 7 Joachimsthaler: Ich möchte nun Frau Bürgermeisterin Szabados um ihr Grußwort bitten, bevor dann Herr Engels den Einführungsvortrag hält und uns auf die Thematik des Workshops einstimmt. 8 Grußwort Frau Bürgermeisterin Szabados, Stadt Halle Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie in der Stadt Halle herzlich willkommen heißen. Im Rahmen des Bundesmodellprojektes „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ sind Sie hierher gekommen, um darüber zu diskutieren, ob Service-Wohnen als zukunftsorientierte Wohnform die Anerkennung findet, die es finden sollte. Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass darüber diskutiert wird - und das möglichst nicht nur in Fachkreisen, sondern unter Einbeziehung der Betroffenen, nämlich der älteren Menschen: Was ist denn nun wirklich gewollt? Damit nicht irgendetwas drüber gestülpt wird. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass ich den Vorsitzenden unseres Seniorenbeirates, Herrn Dr. Fiedler, mit einigen anderen Vertretern des Seniorenbeirates auch hier unter Ihnen sehe. Meine Damen und Herren, zu Zeiten der DDR war es so, dass viele ältere Menschen in Heime gingen oder „gegangen wurden“; ganz speziell hier bei uns in Halle mit einem großen Anteil an Neubaugebieten - gut 2/3 der Menschen wohnten hier in Halle 1989 in Neubaugebieten. Wir haben große Neubaugebiete, wie Halle Neustadt, Silberhöhe, Heide Nord, deswegen hatten wir zur Wendezeit etwa 2.500 Altenheimplätze. Und in den Altenheimen waren von Schwerpflegebedürftigen bis „nur alten“ Menschen (auch psychisch kranken Menschen) doch alles recht zusammen gewürfelt. Das hatte die Ursache, dass es in den kleinen Wohnungen, wir hatten DDR-weit etwa einen Schnitt von 25 qm pro Person, natürlich schwierig war, auch noch die alten Menschen dort mit zu behalten. Die Familienstrukturen und die Wohnungen passten schlicht und einfach nicht zusammen. Nach der Wende ist hier sehr massiv versucht worden, sagen wir mal, diese Ungleichgewichte abzubauen – es war an vielen Stellen nicht menschenwürdig, auch in den Altenheimen dominierten noch die 4-, 5- und 6-Bett-Zimmer, die Menschen wurden an vielen Stellen abgeschoben, ruhig gestellt. Man ging im Großen und Ganzen davon aus: Dort sind sie jetzt und da haben sie es trocken und warm. Aber von einem wirklich „selbstbestimmten“ Leben im Alter konnte dort (zumindestens in den Großstädten) nicht in jedem Falle die Rede sein. Die Situation in unseren Altenheimen war nicht vorzeigenswert. Wir haben dann versucht, die Altenheime umzustrukturieren, und ich 9 war auch ganz froh, als wir dann endlich das Pflegeversicherungsgesetz hatten, was uns in der Finanzierung erheblich unterstützt hat. Wir werden jetzt mittelfristig etwa 1.600 stationäre Pflegeplätze in der Stadt haben, wir haben im Moment noch 1.900 bis 2.000. Die Altenpflegeheime sind die Einrichtungen, in die in den letzten Jahren sehr viel Geld geflossen ist. Wenn ich das in solchen Diskussionen darstelle, hat es immer so ein bisschen den Anschein, wir würden dort sparen wollen. Wir gehen ja von vielen Plätzen, die wir hatten, auf weniger. Deshalb ist es mir immer ein ganz großes Anliegen, zu erläutern, dass es kein Qualitätsverlust, sondern im Gegenteil eine Verbesserung der Qualität ist, wenn wir alternativ Wohnformen anbieten, damit ältere und alte Menschen möglichst lange in ihrem angestammten Wohnumfeld bleiben können. Wir haben seit den ersten Anfängen 1992 schon 1.300 Wohnungen in dieser Stadt, die als alten- und behindertengerecht bezeichnet werden können. Aber ich wehre mich auch immer dagegen, wenn man Barrierefreiheit sofort gleichsetzt mit altengerechtem Wohnen. Ich denke, wenn man mit den älteren Menschen redet, wollen die etwas ganz anderes. Und da, glaube ich, sind wir an dem Punkt: Sie wollen nämlich so viel Hilfe, wie sie brauchen, und so viel Hilfe, wie sie nötig haben. Aber sie wollen nicht überversorgt werden. Deswegen diese alternativen Wohnangebote, die wirklich den subjektiven Einstellungen von Senioren entsprechen – und „Senioren“ ist ja bitte nicht gleichzusetzen mit „Pflegebedürftigkeit“. Das ist ein Anliegen, das wir hier in dieser Stadt insgesamt hatten. Wir haben das lange diskutiert, das ist in dem ersten Altenhilfeplan dieser Stadt festgelegt worden, und wir haben uns daran in den letzten Jahren entlang gehangelt. Ich glaube, wir haben im Moment eine Situation, die uns doch recht optimistisch in die Zukunft blicken lässt. Das konnte aber auch nur erreicht werden, weil es in dieser Stadt Menschen gibt, die sich in Vereinen und Verbänden gefunden haben. Die Wohlfahrtsverbände und die freien Träger von Sozialleistungen haben uns hierbei unterstützt, indem sie kreativ Vorstellungen entwickelt haben und es verstanden haben, auch Wohnungsgesellschaften mit ins Boot zu nehmen. Das ist nämlich nicht so alltäglich. Der Senioren-Kreativ-Verein war einer der ersten Vereine, der sich eines Hochhauses oder mehrerer Hochhäuser angenommen hat und zusammen mit einer kommunalen Wohnungsgesellschaft dieses Service-Wohnen hier angeboten hat. Das war auch nicht gleich so selbstverständlich. Da gab es andere Wohlfahrtsverbände, die nun meinten, man nehme ihnen dort etwas weg. Das war ein 10 Findungsprozess. Aber ich denke, mittlerweile ist es so, dass die einzelnen Anbieter ihren Platz gefunden haben. Wenn dann immer mal noch so ein bisschen Konkurrenz ist, kann das ja nicht verkehrt sein. Meine Damen und Herren, danke, dass Sie hierher gekommen sind, danke, dass Sie hier diskutieren. Ich werde mich informieren lassen, was am Ende als Ergebnis steht, um uns daran auch bei unserer weiteren Arbeit zu orientieren. Aber Eines lassen Sie mich bitte noch sagen: Lassen Sie sich bitte nicht nur in diesem, wenn auch schönen Raum festhalten. Sehen Sie sich in der Stadt um; es lohnt sich wirklich. Nicht nur, weil das Goethe zu Schiller gesagt hat, sondern es ist wirklich so. Gucken Sie, was hier in den letzten Jahren gelaufen ist: die Häuser, die saniert worden sind. Das ist nur ein Teil - das, was das meiste Geld gekostet hat, sehen Sie nicht, nämlich die Infrastruktur, die Kanäle usw., zur Stabilisierung der Verhältnisse dort. Ich habe etwas in der Tagungsmappe vermisst: Wir haben ein Papier über die Kulturmeile bei Tag und bei Nacht. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht ganz uninteressant für Sie ist. Herzlich willkommen und alles Gute! Danke. 11 Thematische Einführung Ist das Service-Wohnen ein Wohnkonzept der Zukunft? Dr. Dietrich Engels, ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Das „betreute Wohnen“ oder „Service-Wohnen“ hat in den 90er-Jahren eine enorme Konjunktur erlebt; es ist so „schick“ geworden, dass mancher Anbieter sich dieser Bezeichnung bedient, noch bevor er sich über die damit verbundenen Leistungen Gedanken gemacht hat. Unser Workshop dient dazu, das Konzept des Service-Wohnens klar zu profilieren, verschiedene Varianten zu vergleichen und offene Fragen zu beantworten. Was macht das Wohnen mit Service so attraktiv? Die Wohnbedürfnisse älterer Menschen sind in den letzten Jahren prägnanter bewusst geworden: Das selbstständige Leben im eigenen Haushalt hat einen hohen Stellenwert, während ein Umzug in ein Altenpflegeheim nur als letzte Möglichkeit in Betracht kommt. Allerdings nimmt die Kompetenz zu völlig eigenständiger Haushaltsführung mit zunehmendem Alter ab. Wer dann nicht durch Familienangehörige oder Nachbarn regelmäßige Hilfe erhält, wird durch alltägliche Anforderungen wie einkaufen, Wäsche waschen, Wohnung putzen usw. bald überfordert. Und er lebt riskant: Vor allem die Älteren, die allein leben, sind bei einem Sturz oder anderen Unfall in ihrer Wohnung kaum geschützt. Daher ist die Attraktivität der Verknüpfung des Wohnens im Privathaushalt mit einem Dienstleistungsangebot verständlich: Sie erlaubt eine weitgehend selbstständige Haushaltsführung, das Service-Team leistet bei Bedarf Unterstützung und ist im Notfall schnell erreichbar. Selbstständiges Wohnen einerseits, Hilfeleistung und Absicherung andererseits: Für ein spezielles Wohnbedürfnis älterer Menschen, die in einer Zwischenphase leben, wird hier ein differenziertes Angebot gemacht. Aber wo liegen die Grenzen dieser Wohnform? Dazu einige Fragen: 1. Wie viele Schwellen sind zu überwinden? Schwellen im Fußboden gibt es beim Service-Wohnen nicht mehr – eine altengerecht bzw. behindertengerecht gestaltete Wohnung ist hier vorausgesetzt. Aber werden andere Schwellen aufgebaut? Zunächst die Frage: 13 1.1 Muss ich zum Service-Wohnen hingehen, oder kommt der Service zu mir? • Das „Leben in der eigenen Wohnung“ wird häufig als „Weiterleben in der gewohnten Wohnung“ verstanden. Um dort ein Serviceangebot machen zu können, müssen der Zuschnitt der Wohnung, die Zugänge zur Wohnung und die Wohnumgebung auch für Gehbehinderte und Pflegebedürftige geeignet sein. Außerdem muss die Struktur der Dienstleistungsanbieter in der Wohnumgebung gut ausgebaut sein (Pflegedienste, hauswirtschaftliche Hilfsdienste, Mahlzeitendienste und Fahrdienste müssen gut erreichbar sein). Aus der Perspektive des Anbieters stellt sich die Frage, ob eine ständige Erreichbarkeit in wirtschaftlicher Weise garantiert werden kann, wenn die betreuten Wohnungen weit voneinander entfernt liegen. • In einer betreuten Wohnanlage sind beide Probleme gelöst: Die Wohnungen sind geeignet, und die ständige Erreichbarkeit des Dienstleisters ist gesichert – allerdings um den Preis eines Umzugs, die langjährig gewohnte Wohnung muss verlassen werden. Dies ist ein Vorteil für Personen, deren Wohnung von schlechter Qualität war und nicht bedarfsgerecht angepasst werden konnte. Für welche Personengruppen wäre dagegen ein Service-Angebot in der gewohnten Wohnung die bessere Lösung? 1.2 Bleibt es bei einem Umzug, oder droht ein weiterer? Wer sich für das Service-Wohnen entscheidet, kann sicher sein, dass er im Bedarfsfalle Hilfe- und Pflegeleistungen erhält. Aber gilt dieses Angebot auch noch bei schwerster Pflegebedürftigkeit, oder wird in diesem Falle ein weiterer Umzug in ein Pflegeheim erforderlich? Manche Einrichtungen (wie etwa das Haus am Weinberg in Stuttgart) sind stolz darauf, dass sie im Rahmen ihres Service-Wohnens alle Phasen des zu Ende gehenden Lebens, von leichtem Hilfebedarf bis zum schwersten Pflegebedarf, ohne weiteren Umzug ermöglichen. Dazu ist eine Personal- und Sachstruktur erforderlich, die auch schwere Pflege erlaubt (etwa die mitgenutzte Pflegestruktur eines benachbarten Pflegeheims oder ein eigener Pflegebaustein). Die Nachteile sind allerdings, dass die Bewohnerstruktur einer solchen Einrichtung im Laufe der Zeit altert und sich zunehmend eine 14 Pflegeheim-Atmosphäre verbreitet – die typischen Adressaten des Service-Wohnens in der „Zwischenphase“ werden dadurch eher abgeschreckt. Daher schränken andere Einrichtungen ihr ServiceAngebot von vorn herein auf leichteren Hilfe- und Pflegebedarf ein (und stimmen darauf auch ihre Personalkapazität ab). Es bleibt also die Frage: Das Service-Wohnen ist primär ein Angebot für ältere Menschen in einer „Zwischenphase“ – welche Lösungen werden aber angeboten, wenn ein Bewohner auf Grund gesundheitlicher Verschlechterung aus dieser Phase herauswächst? 2. Welchen Service umfasst das Angebot? Ein häufiger Einwand gegen das Service-Wohnen ist, dass die erbrachten Leistungen nicht immer in einer angemessenen Relation zu ihrem Preis stehen. Die Beurteilung der Service-Qualität ist um so schwieriger, als es hier um zwei unterschiedliche Arten von Leistungen geht: Einerseits um einzelne, überprüfbare Dienstleistungen - hier muss der Preis der in Anspruch genommenen Leistung genau entsprechen; und andererseits um die Vorhaltung von „Sicherheit“ – hier ist es wie mit Polizei oder Feuerwehr: man zahlt Steuern dafür, um sich sicher zu fühlen, und hofft gleichzeitig, die Leistung nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Beim Service-Wohnen wird unterschieden zwischen Grundleistungen mit pauschaler Berechnung und Zusatzleistungen, die in der Regel einzeln abgerechnet werden. Zu den Grundleistungen gehört z.B., dass ein Hausmeister ansprechbar ist, dass ein Sozialarbeiter ansprechbar ist und dass ein Notrufsystem installiert ist. Hiermit werden also ein Sicherheitsrahmen und grundlegende Dienstleistungen abgegolten (was genau zu den Grundleistungen gehört, wird von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich abgegrenzt). Zu den Zusatzleistungen gehören Einkaufsdienst, Wäschedienst, Mahlzeitendienst usw. Bei der Beurteilung beider Verfahren spielen unterschiedliche Interessen eine Rolle: Pauschale Preise machen die Dienstleistungsstruktur für den Anbieter besser kalkulierbar; Einzelabrechnungen machen dagegen die Leistungen für die Bewohner transparenter. In welcher Relation sollten Grundleistungen und Einzelleistungen angeboten werden, um beide Interessen berücksichtigen zu können? Wie sehen die Leistungen genau aus, die als Grund- oder Zusatzservice angeboten werden, und wie kann die Qualität der unterschiedlichen Leistungsarten kontrolliert werden? 15 Vor diesem Hintergrund ist das sog. „Düsseldorfer Urteil“ zu sehen, das auf Grund des Instanzenweges jetzt „Münsteraner Urteil“ heißt. Dort war das Service-Wohnen in einem konkreten Fall als „heimähnliche Leistung“ eingestuft worden, weil der Mietvertrag mit einer pauschal vergüteten Vollversorgung gekoppelt war. Heißt das nun, dass generell das Heimgesetz für das Service-Wohnen gilt, und dieses damit der Qualitätskontrolle der Heimaufsicht unterliegt? Eine Ausweitung stationärer Kriterien auf eine nicht-stationäre Angebotsform ist nach Auskunft des zuständigen Referatsleiters im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht beabsichtigt. Es ist auch klar: Das Service-Wohnen will kein Heim sein, und seine Bewohner wollen keine Heimbewohner sein. Diese Diskussion ist nur durch die Sorge über unsichere Leistungsqualität zu erklären; daher die Frage: Gibt es ein Schutzbedürfnis der Bewohner, das gesetzliche Regelungen erfordert? 3. Ist Service-Wohnen bezahlbar? Nur mit einem klar profilierten Leistungsangebot kann man auf eine Zahlungsbereitschaft der Kunden hoffen. Aber wie lässt sich ermitteln, welche Preise für welche Leistungen akzeptiert werden? Im Service-Wohnen in Trotha bezahlen allein lebende Bewohner für ein 25 m²-Appartement monatlich 460,- DM Warmmiete (bzw. 18,40 DM/m²). Hinzu kommt eine Pauschale für Grundleistungen in Höhe von 60,- DM, weitere Einzelleistungen werden zu 10,- DM pro Stunde in Rechnung gestellt (Stand: Jahresende 1998). Der im Sinne einer besseren Planbarkeit verständliche Versuch des Anbieters, auch die Zusatzleistungen zu pauschalieren (gedacht war an 50,- DM pro Monat, also insgesamt 110,- DM für einen erweiterten Leistungsanspruch auf Grund- und Zusatzleistungen) wurde seitens der Bewohner nicht akzeptiert und daraufhin zurück genommen. Vergleicht man damit die Kosten in dem o.g. Haus am Weinberg, so wurde dort im Jahre 1993 für ein Ein-Personen-Appartement (mit 41 m² Wohnfläche, Warmmiete von 382,- DM bzw. 9,30 DM/m²) eine Grundpauschale in Höhe von 566,- DM pro Monat berechnet.1 Durch diese Betreuungspauschale wurden Kosten für das bereitstehende Personal sowie für Notruf und den Betrieb der Gemeinschaftseinrichtungen abgedeckt, während „zuwählbare Dienstleistungen“ gesondert berechnet wurden. 1 16 Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (Hg.), Wohnungen für ältere Menschen, Stuttgart 1993 In Stuttgart lag der Quadratmeter-Preis inklusive der Grundpauschale im Jahr 1993 bei 23,12 DM/m², in Halle 1998 bei 20,80 DM/m². Das Preisniveau ist bei einem Zeitabstand von fünf Jahren in etwa vergleichbar (auch wenn der Neubau in Stuttgart mit seiner großzügigen Ausstattung nicht unmittelbar mit den Häusern in Halle-Trotha vergleichbar ist), sehr unterschiedlich sind aber die Aufteilungen in Wohnungsmiete und Service-Pauschale. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Spielräume der Anbieter zur Preisgestaltung hat: Kann er beim Personal einsparen, wenn der Preis nicht mehr zu erhöhen ist? Und weiterhin: Welche finanziellen Mittel können (objektiv) bzw. wollen (subjektiv) die Bewohner einsetzen, und bei welchem Preisniveau liegt die Grenze, ab der man lieber auf die Inanspruchnahme einer Leistung verzichtet? 4. Für welchen Personenkreis ist Service-Wohnen attraktiv? Im Zusammenhang mit Ein- und Auszug wurde erwähnt, dass eine Spannung besteht zwischen dem Zuschnitt des Service-Wohnens auf den Adressaten in einer „Zwischenphase“ und der Entwicklung seiner Kompetenz im weiteren Alterungsprozess, d.h. selbst wenn die typischen Adressaten bei Einzug im Alter von 65 bis 75 Jahren sind, ergibt sich zehn Jahre später eine ganz andere Altersstruktur. Zugespitzt stellt sich die Frage: Kann das Service-Wohnen ein Altenpflegeheim ersetzen? Dieser hohe Anspruch wurde häufig erhoben (und mit einem Seitenblick auf geringere Kosten schmackhaft gemacht). In einer Broschüre der Westfälischen Hypothekenbank heißt es, dass Service-Wohnungen „stationäre Einrichtungen vom Markt verdrängt haben“.2 Dies kann jedoch, genau betrachtet, nur auf Altenheime oder Altenwohnheime bezogen sein, die früher die einzige Alternative für Ältere zwischen bisheriger Privatwohnung und Pflegeheim waren, und die von ihrem Profil her quasi ein Vorläufer des Service-Wohnens waren. Für die typischen Bewohner von Pflegeheimen mit schwerstem Pflegebedarf kann das Service-Wohnen dagegen in der Regel keine gleichwertige Alternative bieten. Zudem sind heute ca. 2/3 bis 3/4 der Pflegeheimbewohner dement und wären mit einer eigenständigen Haushaltsführung überfordert. 2 Westfälische Hypothekenbank (Hg.), Der Markt für Seniorenimmobilien. Entwicklungen, Einflussfaktoren, Trends, Dortmund 1999, S. 9 17 Demente Bewohner stellen das Service-Team vor besondere Probleme. In Trotha ist deren Anteil nicht unbeträchtlich, da die Bezeichnung „betreutes Wohnen“ von den Angehörigen im Sinne einer heimähnlichen Betreuung interpretiert wurde. Hieran knüpfen sich zwei Fragestellungen an: • Welche Ausschlusskriterien sollen bei der Auswahl der Bewohner angelegt werden, und welche Einflussmöglichkeiten auf den Vertragsabschluss setzt dies voraus? In Trotha ist der Service-Vertrag nicht an den Mietvertrag gekoppelt, sodass der ServiceTräger keinen Einfluss auf die Belegungsstruktur hat. • Wie geht man damit um, wenn Bewohner des Service-Wohnens dement sind oder zunehmend dement werden? Welche ServiceFunktionen sind erforderlich, um diese Gruppe zu betreuen, und sind diese Formen vom vorhandenen Personal leistbar? Welche Formen des „betreuten Wohnens“ in dem Sinne, wie es in der Psychiatrie praktiziert wird, kommen in Betracht, und welche organisatorischen Vorkehrungen erfordert dies? Wo liegt die Grenze des Service-Wohnens, ab der ein Umzug ins Pflegeheim unausweichlich wird? 5. Wie müssen die Wohnungen ausgestattet sein, und wie muss der Service gestaltet sein? Zu den wünschenswerten Standards des Service-Wohnens im Hinblick auf Wohnung, Wohnumgebung und Service existiert bereits eine Reihe von Vorstellungen; einen hohen Bekanntheitsgrad haben z.B. die von Schweikart und Wessel zusammen gestellten „Qualitätsmerkmale des betreuten Wohnens“.3 Bezüglich der architektonischen Voraussetzungen fällt auf, dass die Appartements in Trotha mit 25 m² für Einzelpersonen recht klein sind, es ist auch keine Trennung zwischen Schlaf- und Wohnraum möglich. Bei einer Zusammenlegung zweier Appartements für Paare wird dagegen eine zufriedenstellende Wohnungsgröße erreicht. Weitere Qualitätskriterien sind ein Balkon, ein ansprechend gestaltetes Außengelände mit Garten- oder Parkcharakter, verschiedene Gemeinschaftsräume und Anderes mehr. Allerdings entscheidet die 3 18 R. Schweikart/ W. Wessel, Qualitätsmerkmale des betreuten Wohnens, hrsg. von der Wüstenrot-Stiftung, Ludwigsburg 1995 Ausstattungsqualität nicht allein über die Attraktivität eines Angebotes; eine neuere Untersuchung hat ergeben: „Entgegen der Erwartung konnte kein Zusammenhang zwischen dem Erfolg einer Einrichtung und ihrer Ausstattungs- und Dienstleistungsqualität nachgewiesen werden.“4 Genau so wichtig ist etwa der regionale Bekanntheitsgrad. In Halle kommt hinzu, dass die in den 60er-Jahren im Plattenbau-Verfahren gebauten Hochhäuser gerade unter den alt Eingesessenen als qualitativ gut bewertet werden im Vergleich zur üblichen Bausubstanz in der Stadt. Diese Wertschätzung dürfte sich nach der Sanierung im Jahr 1996 noch verstärkt haben. Bauliche Qualitätsstandards sind objektivierbar, deshalb lässt sich hierüber eine Verständigung erzielen. Aber welchen Qualitätskriterien müssen die Service-Leistungen genügen, und welche Qualität soll das Versprechen von Sicherheit im Notfall haben? In diesem Bereich ist die Festlegung von Standards schwieriger. Damit will ich die Reihe meiner einleitenden Fragen beenden. Die Frage der Wohn- und Service-Qualität wird letztlich dafür entscheidend sein, ob es sich beim Service-Wohnen um ein zukunftsträchtiges Wohnkonzept handelt. Gelingt es, eine hohe Qualität des Wohnens mit einer hohen Qualität der Service-Leistungen zu verbinden, und dieses Angebot für die Adressaten auch bezahlbar zu gestalten? Diese Frage wird sich wie ein Motto durch den gesamten Workshop ziehen. 4 Westfälische Hypothekenbank 1999, a.a.O. S. 18 19 Konzepte und Entwicklungsstand des Service-Wohnens Zum Entwicklungsstand des betreuten Wohnens in Deutschland Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe 1. Problemeinführung Betreutes oder Service-Wohnen wird schon seit einiger Zeit mit einer gewissen Euphorie als eine der Zukunftslösungen für das Wohnen älterer Menschen propagiert. Und wenn man die Grundidee des Betreuten Wohnens betrachtet, muss man eingestehen, dass dem Betreuten Wohnen im Gesamtsystem der Wohn- und Betreuungsangebote für ältere Menschen tatsächlich eine besondere Stellung zukommt. Es verbindet die Vorteile privater Wohnformen mit denen institutioneller Wohnformen. Die Privatheit, Autonomie und Selbstständigkeit des Einzelnen soll erhalten bleiben, wobei gleichzeitig ein hohes Maß an Sicherheit und Verfügbarkeit von Hilfs- und Betreuungsangeboten gewährleistet werden soll. Vom Konzept verfolgt das Betreute Senioren-Wohnen schwerpunktmäßig drei Ziele: ⇒ Absicherung oder Wiederherstellung einer selbstständigen Lebens- und Haushaltsführung auch im Falle von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit ⇒ Vermeidung der sozialen Isolation alter Menschen, Erhaltung gewachsener sozialer Beziehungen und Förderung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ⇒ Hinausschieben oder Vermeidung einer Heimunterbringung. Auch bei den älteren Menschen selbst scheint diese Wohnform auf breite Akzeptanz zu stoßen. Nach Untersuchungen zu den Wohnungswünschen älterer Menschen schwankt der Anteil zwischen 30% und knapp 40% der Älteren, die sich Service-Wohnen als Lebensform vorstellen können, nur 16% lehnen diese Wohnform für sich ab (Krings-Heckemeier 1996). Die Schader-Stiftung hat in ihrer Untersuchung zu den Wohnungswünschen älterer Menschen ermittelt, dass das Service-Wohnen an dritter Stelle aller bevorzugten Wohnalternativen bei den umzugswilligen älteren Menschen steht (Heinze u.a. 1997). 21 Die älteren Menschen verbinden mit dieser Wohnform vielfältige Erwartungen. In einer aktuellen Baden-Württemberger Untersuchung wurde bei ca. 350 Personen nach den Gründen für den Einzug in eine Wohnanlage gefragt (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999). Neben dem Vorsorgeaspekt kommt ein großer Teil der Bewohner in die Einrichtung, weil sie in ihrer selbstständigen Lebensführung eingeschränkt sind: Über die Hälfte ziehen ein, weil ihre frühere Wohnung zu groß oder nicht altersgemäß ausgestattet ist, jeder Dritte wechselt, weil er pflegerische Hilfe oder Hilfe bei der Haushaltsführung braucht, bei rund der Hälfte ist soziale Vereinsamung ein wesentlicher Grund für den Umzug. Wie sieht nun die Praxis aus, erfüllen die derzeit realisierten Projekte des Betreuten Wohnens diese konzeptionellen Ziele und Erwartungen? Betrachtet man die in der Praxis realisierten Projekte, so wird deutlich, dass man von „dem“ Betreuten Wohnen oder „dem“ ServiceWohnen nicht sprechen kann. Die praktische Vielfalt wird schon in den unterschiedlichen Begriffen, die man zu Beschreibung dieser Versorgungsform wählt, deutlich: Man spricht von Betreutem Wohnen, Service-Wohnen, begleitetem Wohnen, unterstütztem Wohnen, auch Senioren-Residenzen und Senioren-Wohnstifte werden darunter subsummiert. 2. Darstellung unterschiedlicher Konzepte betreuter Wohnangebote für ältere Menschen Die Vielfalt der in der Praxis laufenden Projekte zum Betreuten Wohnen begründet sich zum einen aus unterschiedlichen Betreuungskonzepten. Betreutes Wohnen ist kein einheitlich geschlossenes Konzept. Missverständlich ist die häufig vorgenommene Gleichsetzung des Prinzips „betreutes Wohnen“ mit der Wohnform „Betreute Wohnanlage“. Die Entkoppelung von Betreuung und Wohnform eröffnet einen viel größeren Spielraum für die Entwicklung von Wohnformen, als das etwa in der „Betreuten Wohnanlage“ der Fall ist. Mit zunehmender Verbreitung ambulanter Pflegedienste einschließlich der Sicherstellung eines sozialen Austauschs durch flächendeckende offene Altenhilfe, verbunden mit dem Angebot eines quartiersbezogenen Hausnotrufsystems kann prinzipiell jede normale Wohnung zu einer betreuten Wohnung werden. 22 Zu gliedern ist das Feld neuer betreuter Wohnangebote für ältere Menschen – neben den konventionellen Wohnangeboten wie Altenwohnungen, Altenheim, Altenwohnheim, Altenpflegeheim – nach folgenden Schwerpunkten: ⇒ Zum einen gibt es neue Wohnformen, deren Betreuungskonzept eine Weiterentwicklung des normalen Wohnens darstellt, wie das „Wohnen Plus“ oder das „Betreute Wohnen im Bestand“. Hierunter fällt auch eine Reihe von Gruppenwohnprojekten. ⇒ Zum anderen sind betreute Wohnformen Sonderwohnformen, die eine Weiterentwicklung der traditionellen Heimunterbringung sind. Die wichtigste und am weitesten entwickelte Form des Betreuten Wohnens sind zurzeit Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten/ Betreutes Wohnen in Wohnanlagen: Hier werden im Wesentlichen Serviceleistungen von professionellen Diensten vorgehalten und erbracht. Zu unterscheiden sind nach der Art, wie diese Leistungen organisiert werden: - Eigenständige Wohnanlagen mit Service-Büro - Eigenständige Wohnanlagen mit integrierten Serviceleistungen - Heimverbundene Wohnprojekte - Wohnprojekte im Hotelverbund - Wohnstifte/ Senioren-Residenzen Nach Untersuchungen des InWIS-Instituts nimmt im Bundesdurchschnitt das Betreute Wohnen, also altersgerechte Wohnanlagen mit integriertem Dienstleistungsangebot, bei den unterschiedlichen Wohnformen im Alter einen Anteil von ca. 38% ein, dazu kommen noch einmal 6% Senioren-Residenzen mit hotelähnlichem Serviceangebot sowie 20% Verbundkonzepte, die verschiedene Formen altersgerechten Wohnens von der reinen Altenwohnung über die Service-Wohnung bis hin zur stationären Pflege miteinander kombinieren (InWis-Institut 1999). Neben der Organisationsform unterscheiden sich die Wohnprojekte nach der Betreuungskonzeption. Tendenziell lassen sich hier zwei 23 Modelle unterscheiden: Das Betreuungsmodell und das ServiceModell: - Das Betreuungsmodell geht von der Notwendigkeit eines besonderen Angebots für Hilfemanagement aus. Dieses Angebot durch qualifiziertes Personal ist zentraler Bestandteil eines pauschalen Grundservice. Als Klientel werden vor allem ältere Menschen ab 70 Jahren mit größerem Hilfebedarf angenommen. - Das Service-Modell geht eher von einer Klientel aus, die zwar Serviceangebote zur Verfügung haben möchte, ansonsten aber unabhängig wohnen will. Im Vordergrund steht der abrufbare und nur nach Bedarf bezahlte Service. Kontrovers wird in der Fachöffentlichkeit diskutiert, welche Betreuungskonzepte angemessen sind, d.h. wie weit die Hilfen zu gehen haben und wie die Hilfen organisiert werden sollen: - Die einen betonen den Selbstständigkeitsaspekt und sehen Betreutes Wohnen maximal als Ersatz für das klassische Altenheim und mehr nicht. Pflege kann hier als leichte bzw. vorübergehende pflegerische Betreuung erbracht werden, ist aber kein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes. Die Fähigkeit zu einer selbstständigen Haushaltsführung ist ein entscheidendes Kriterium für den Eintritt. Kritiker werfen dieser Position vor, dass Betreutes Senioren-Wohnen mit einem verengten Leistungsspektrum bis zum Altenheimniveau für einige Bewohner erneut einen Umzug mit all seinen negativen Begleitumständen erforderlich mache. Betreutes Wohnen mit geringeren Leistungsangeboten sollte ersetzt werden durch verbesserte Wohnberatung und Wohnungsanpassung sowie den Ausbau sozialpflegerischer Dienste. - Die anderen betonen den Sicherheitsaspekt. Betreutes Wohnen soll älteren Menschen bei Wahrung des selbstständigen Mieterstatus alle benötigten Dienste, je nach Bedarf auch die gesicherte Pflege wie im Pflegeheim bieten. Die Absicherung von Dauer- und Schwerstpflege gehört mit zum Konzept und bestimmt auch das bauliche Angebot. Betreutes Wohnen wird in diesem Kontext als Ergänzung zum Pflegeheim gesehen. Kritiker meinen, die Ausrichtung des Betreuten Senioren-Wohnens auf einen universalen Betreuungsanspruch sei mit eine Ursache dafür, dass Betreutes SeniorenWohnen gegenwärtig in Deutschland noch kein attraktives 24 Angebot für rüstige Senioren ist und so werde in Deutschland die Chance vertan, eine Wohnform für jüngere Senioren zu entwickeln. Zudem könne die Konzeption, ein umfassendes Angebot zur Verfügung zu stellen, leicht mit dazu führen, dass Überversorgungsstrukturen geschaffen werden. Diese Aufstellung macht deutlich, dass Betreutes Wohnen kein einheitlich geschlossenes Konzept ist und auch der Entwicklungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Auch in Zukunft wird es eher auf eine Bandbreite von Projektmodellen hinauslaufen, die zwar dem gemeinsamen Ziel der Verbindung von selbstständigem Wohnen und dem Angebot von Hilfe- und Kommunikationsnetzen verpflichtet sind, aber dies in unterschiedlicher Weise umsetzen. Eine Begriffsklärung wird wahrscheinlich eher in der Ausdifferenzierung der Betreuungsmodelle als in deren Vereinheitlichung bestehen. 3. Probleme bei der praktischen Umsetzung In dieser praktischen Vielfalt manifestieren sich u.a. die unterschiedlichen regionalen Bedingungen und vielfältigen Bedarfslagen verschiedener Zielgruppen. Die praktische Vielfalt ist durchaus positiv zu sehen, weil nur so ein hohes Maß an Wahlfreiheit und bedürfnisorientierter Bedarfsdeckung gewährleistet werden kann. Problematisch ist aber, dass das Betreute Wohnen in Deutschland immer noch ein „Experimentierfeld“ ist: - Es fehlen Qualitätsstandards. - Es besteht immer noch eine mangelnde Transparenz dieses Angebots. - Es gibt noch rechtliche Unklarheiten. 3.1 Fehlende Qualitätsstandards Das Gesamtangebot wird – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht im Rahmen von definierten Mindestqualitätsstandards und entsprechenden Qualitätskontrollen praktiziert. Das Fehlen verbindlicher Qualitätsnormen für das Betreute Wohnen hat in der Praxis auch qualitativ zu einer großen Variationsbreite geführt, die nicht immer bedarfsgerecht ist. Die in der Praxis realisierten Projekte reichen von Angeboten, die ein überzeugendes Preis-Leistungs25 Verhältnis bieten bis zu Angeboten, die als völlig unzureichend und überteuert einzustufen sind. Z.T. werden Betreute Wohnungen als Alternative zum Heim angeboten, ohne auch nur annähernd für eine entsprechende Betreuung zu sorgen. Bei frei finanzierten Wohnanlagen werden nicht selten Mieten verlangt, die weit über den ortsüblichen Vergleichsmieten liegen. Seit einiger Zeit gibt es regionale Bemühungen, entsprechende Qualitätskriterien zu formulieren. Eine Reihe von Bundesländern (z.B. Baden-Württemberg) fördert Betreute Senioren-Wohnanlagen nur, wenn bestimmte Standards der Wohn- und Betreuungsqualität gewährleistet sind. Das KDA hat eine Übersicht erstellt, welche Bundesländer mit welchen qualitativen Standards Betreute Wohneinrichtungen fördern. Zur Qualitätsicherung für frei finanzierte Betreute Wohnungsangebote hat Baden-Württemberg ein Qualitätssiegel entwickelt, das Anlagen erwerben können, wenn bestimmte Anforderungen an das Bauen, das Umfeld, den Grund- und Wahlservice sowie an die Vertragsgestaltung eingehalten werden. Diese Form der freiwilligen Qualitätskontrolle stößt auf relativ geringe Akzeptanz in der Praxis. Bisher wurden erst neun Einrichtungen nach dieser freiwilligen Qualitätsprüfung zertifiziert, eine ganze Reihe von Einrichtungen steht aber kurz vor der Zertifizierung. 3.2 Mangelnde Transparenz Ein weiteres Problem ist, dass die große Unterschiedlichkeit und Variationsbreite der Projekte zur mangelnden Transparenz des Gesamtangebotes sowie mangelnden Überschaubarkeit für interessierte Ältere geführt hat. Die mangelnde Überschaubarkeit hat in manchen Fällen Erwartungen und Vorstellungen der Bewohner geweckt, die nicht erfüllt wurden. Teilweise wurde bereits bei einem eintretenden leichten Hilfebedarf ein erneuter Umzug notwendig. Verstärkt wurden in diesem Kontext Forderungen nach mehr Verbraucherschutz laut. Verschiedene Institutionen reagierten darauf und haben einen Fragenkatalog oder sog. Checklisten oder die Entwicklung eines Mustervertrages als Orientierungshilfen für die Nutzer zum Vergleich verschiedener Projekte entwickelt. 26 3.3 Rechtliche Unklarheiten Ebenfalls problematisch ist, dass es im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens eine Reihe juristisch ungeklärter Probleme und rechtlicher Unklarheiten gibt. Das zentrale Problem in diesem Zusammenhang dürfte die Diskussion sein, inwieweit Einrichtungen des Betreuten Wohnens rechtlich „normale“ Wohnungen sind, die unter die Schutzbestimmungen des Mietrechts fallen, oder als Altenhilfeeinrichtungen unter die Bestimmungen des Heimgesetzes einzuordnen sind, mit der Wirksamkeit aller entsprechenden Verordnungen des Heimgesetzes sowie Kontrollen durch die Heimaufsicht. Seit 28. Januar 1999 gibt es ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster, dass Einrichtungen des Betreuten Wohnens als Heime angesehen werden können und dann unter die Schutzbestimmungen des Heimgesetzes fallen (AZ 50.423-31/7). Die Betreuten Wohneinrichtungen sind nach diesem Richterspruch Heime, weil sie, wie diese, neben der Überlassung der Unterkunft auch die Gewährung und Vorhaltung von Verpflegung und Betreuung bieten, wie nach § 1 HeimG. Damit das Heimgesetz gilt, müsse für die Mieter keineswegs die Verpflichtung bestehen, bestimmte Verpflegungs- und Betreuungsleistungen auch tatsächlich abzunehmen. Es reiche aus, wenn diese Verpflegungs- und Betreuungsleistungen vorgehalten, also im Bedarfsfall ermöglicht und sichergestellt werden. Damit das Heimgesetz gilt, ist auch unerheblich, ob die Leistungen direkt vom Träger oder von Dritten erbracht werden, wenn mit diesen verbindliche Betreuungsverträge abgeschlossen werden. Es herrscht zurzeit eine große Verunsicherung bei den Anbietern und den Nutzern. In einzelnen Bundesländern hat dies bereits dazu geführt, dass jetzt die Heimaufsichten beauftragt werden, die Betreuten Wohnanlagen im Sinne des Heimgesetzes zu prüfen (wie z.B. in Mecklenburg-Vorpommern). Nach dem Richterspruch ist jetzt der Bund gefragt, im Rahmen der angekündigten Novellierung des Heimgesetzes die Position des Betreuten Wohnens gesetzlich zu regeln. 27 4. Quantitativer Bestand und quantitative Entwicklung 4.1 Bestand Einen genauen Überblick, wie viele ältere Menschen in Deutschland derzeit im Betreuten Wohnen leben, gibt es nicht. Zum einen liegen keine verlässlichen Zahlen vor, weil diese Sonderwohnform nicht in der Heimstatistik aufgeführt wird. Zum anderen wird eine genaue Bestandsaufnahme durch die unterschiedlichen Definitionen, was als Betreute Wohnplätze zu zählen ist, erschwert. Auch die Schätzungen, wie viele ältere Menschen im Service-Wohnen leben, sind sehr unterschiedlich. Nach Berechnungen der Sachverständigen-Kommission Zweiter Altenbericht dürften in Altenwohnungen bzw. im Betreuten Wohnen etwa 200.000 – 250.000 Menschen leben. Davon macht das Betreute Wohnen weniger als ein Fünftel aus, also ca. 30.000 ältere Menschen. Hiernach leben – bezogen auf die Gesamtzahl der älteren Menschen mit 65 und mehr Jahren – in Deutschland etwa 0,25% aller 65-Jährigen und Älteren im Betreuten Wohnen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zweiter Altenbericht – Wohnen im Alter, Bonn 1998). Aktuellere Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Wohnprojekte mit Serviceangeboten für Senioren seit 1995 von rd. 1.500 auf schätzungsweise rd. 3.600 verdoppelt hat (empirica 1999). Hier wird noch von einer Versorgungsquote von 1,6% der 65-Jährigen und Älteren ausgegangen. Jedoch gibt es sehr unterschiedliche regionale Entwicklungen. Vergleicht man internationale Zahlen, so wird deutlich, dass Deutschland im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens noch am Anfang der Entwicklung steht. In Großbritannien und den USA leben 5% der 65-Jährigen in solchen Wohnanlagen. 4.2 Bedarf Auch hinsichtlich der Einschätzung der Bedarfsentwicklung gehen die Auffassungen sehr auseinander. Ein Anteil in Höhe von 3 – 4% der über 60-jährigen, die angeblich ihren Lebensabend am liebsten im Betreuten Wohnen verbringen wollen, wird immer wieder als Orientierungsgröße genannt. Die Verlässlichkeit dieser Größe wird aber zunehmend in Frage gestellt. In Baden-Württemberg wird als Bedarfswert 1,5 – 2% der ab 70-Jährigen genannt. Andere schätzen 28 das Gesamtpotenzial an Veränderungsbedarf bestehender Wohnverhältnisse weitaus höher ein. Die Wüstenrot Stiftung geht davon aus, dass die Potenziale die vorhandenen Kapazitäten derzeit um das 14bis 31-fache übersteigen (Wüstenrot Stiftung 1997). Die SchaderStiftung ermittelte in ihrer Studie zu den Wohnungswünschen, dass sich 27% der westdeutschen und 25% der ostdeutschen Mieterhaushalte über 55 Jahre bei einem Wohnungswechsel im Alter Service-Wohnen als Wohnform vorstellen können (Heinze u.a. 1997). Es ist insgesamt wenig praktikabel, bundes- oder landesweit einheitliche Richtwerte zur Bedarfsabschätzung zu benennen, da Bedarfsaussagen nur unter Berücksichtigung konkreter regionaler und örtlicher Gegebenheiten und Bedingungen gemacht werden können. Dabei sind verschiedene Kriterien für eine regionale Bedarfseinschätzung zu beachten. Bedeutsam für die quantitative Entwicklung ist vor allem, inwieweit diese neue Wohnform bereits in der Region praktiziert wird. Praxisberichte zeigen, dass die Nachfrage nach dieser neuen Wohnform bei weitem das Angebot übersteigt, wenn dort entsprechende Projekte bereits realisiert wurden. 4.3 Entwicklung Von der Entwicklung her scheint sich die erste Euphorie bei der Vermarktung der Sozialimmobilie „Betreutes Wohnen“ abzuschwächen. Auch hier ist es, wie bei Heimeinrichtungen, in den letzten Jahren zu Leerständen gekommen. Frei finanzierte Einrichtungen, die sich baulich und organisatorisch am Vorbild des Wohnstifts orientierten (große kompakte Gebäudekomplexe, hohe Mieten, kleine Wohnungen), haben zunehmend Vermarktungsschwierigkeiten. Im Gegensatz dazu ist die Nachfrage nach Anlagen im geförderten Mietwohnungsbau noch keineswegs befriedigt. Angebotslücken bestehen auch für ältere Menschen der mittleren Einkommensgruppe, die die hohen Preise der frei finanzierten Wohnanlagen nicht tragen können, aber andererseits wegen ihres gehobenen Einkommens nicht berechtigt sind, in geförderte Mietwohnungen einzuziehen. 29 5. Qualitative Strukturaspekte Die Diskussion um Qualitätsstandards von betreuten Wohnanlagen konzentriert sich auf drei Themen • Qualität der Wohnsituation • Qualität des Leistungsangebotes • Qualität der Vertragsgestaltung. 5.1 Qualität der Wohnsituation Bei der Qualität der Wohnsituation geht es vor allem um den Standort der Einrichtung, die baulichen Standards und die Konzeptionierung der Gemeinschaftseinrichtungen. ⇒ Standort: Das Ziel, durch betreute Wohnangebote die Selbstständigkeit älterer Menschen so lange wie möglich zu erhalten, macht besondere Anforderungen an den Standort der Betreuten Senioren-Wohnlagen erforderlich. Konzeptionell wird gefordert, dass diese - in unmittelbarer Nähe von Orts- oder Stadtteilzentren liegen, - den Zugang zu den wichtigsten Einrichtungen zur Deckung des täglichen Bedarf auch für mobilitätseingeschränkte Menschen garantieren, - in das allgemeine soziale und kulturelle Umfeld integriert sein und - eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gewährleisten sollen. Strukturanalysen belegen, dass die Mehrzahl der Einrichtungen diese Qualitätskriterien erfüllen, es gibt jedoch auch Schwachstellen. Nach Selbsteinschätzung der Einrichtungsbetreiber in BadenWürttemberg sind nur bei einem kleinen Teil der Wohnanlagen zentrale Standorte zu finden, auch wenn dies bei der Mehrheit der Anlagen durch eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ausgeglichen wird. Auch fehlt bei einigen die Nähe zu entsprechenden Versorgungsinstitutionen sowie Beratungsstellen oder 30 Begegnungsstätten zur sozialen und kulturellen Integration (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999). ⇒ Gemeinschaftseinrichtungen Gemeinschaftseinrichtungen sollen nach den konzeptionellen Überlegungen Möglichkeiten zum sozialen Austausch außerhalb der Wohnung, aber innerhalb der Anlagen schaffen. In der Praxis gehören Gemeinschaftseinrichtungen zum Standardangebot Betreuter Senioren-Einrichtungen. Insgesamt fehlt es aber an einer bedarfsgerechten Konzeption für die Vorhaltung von Gemeinschaftseinrichtungen. Praxisberichte zeigen, dass Gemeinschaftseinrichtungen häufig zu groß sind und dadurch zu hohe Kosten verursachen, ohne die Wohnqualität zu steigern. Zum Teil werden Räume für Tätigkeiten vorgesehen, die auf wenig Akzeptanz bei den Bewohner stoßen. Experten verweisen darauf, dass bei der Planung dieses Angebot einerseits auf ein Minimum reduziert und auf die lokalen Gegebenheiten sowie die anzusprechenden Zielgruppen abgestimmt werden sollte. Andererseits sollten die Gemeinschaftseinrichtungen flexibel konzipiert werden, sodass sie je nach sich verändernden Bedarfssituationen anders genutzt werden können. ⇒ Bauliche Standards Untersuchungen belegen, dass ältere Menschen in eine Betreute Senioren-Wohnung u.a. auch deshalb umziehen, weil ihre alte Wohnung nicht altersgerecht ausgestattet ist (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999). Ein wesentliches Qualitätskriterium für Betreute Wohnanlagen ist die Bereitstellung von altersgerechtem Wohnraum. Die Frage, was eine für ältere Menschen geeignete Wohnung ist, wird heute weitgehend mit dem Begriff „Barrierefreiheit“ gleichgesetzt. Die Wohnung, die Wohnanlage und der Zugang zur Wohnung sollen grundsätzlich so gestaltet sein, dass keine baulichen Barrieren der Nutzung durch ältere Menschen entgegenstehen. Die Standards für barrierfreies Bauen sind durch die DIN 18025, Teil 1 und 2 geregelt. Wesentliches Qualitätskriterium für Betreutes Wohnen ist daher der barrierefreie Zugang. Strukturuntersuchungen belegen, dass die barrierefreie Erschließung Betreuter Altenwohnprojekte gegenüber früheren Altenwohnungen weitgehend gegeben ist, jedoch gibt es 31 auch hier in der horizontalen und vertikalen Erschließung immer noch Mängel. So sind nicht immer alle Räume der Wohnungen stufenlos erreichbar oder es fehlt an ausreichenden Bewegungsflächen in der Wohnung. Bei einer bundesweit untersuchten Stichprobe von betreuten Altenwohnanlagen weist rund ein Viertel diese Mängel auf (Kremer-Preiß 1997). Auffallend ist auch, dass in den wenigsten Anlagen des betreuten Wohnens die Empfehlungen der DIN 18025, Teil 2 vollständig befolgt werden. Beklagt werden vor allem die zu geringen Bewegungsflächen auf Grund zu kleiner Wohnungen. Auch bei der Vergabe des Gütesiegels zum Betreuten Wohnen in BadenWürttemberg scheitern viele Wohnanlagen eher an der Nichtrealisierung der baulichen Standards und weniger an den Betreuungskonzeptionen. 5.2 Qualität der Betreuungs- und Serviceleistungen Neben einer altersgerechten Wohnung setzt eine selbstständige Lebensführung im Alter voraus, dass im Falle von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit bedarfsspezifische Hilfeangebote zur Verfügung stehen. Zu den qualitativen Bausteinen Betreuter Wohnanlagen gehört daher auch ein entsprechendes Serviceangebot. Das Dienstleistungsangebot setzt sich zusammen aus den Bereichen - Soziale und kulturelle Betreuung - Hauswirtschaftliche Hilfen - Pflegerische Hilfen - Haustechnischer Service. Diese Leistungsbereiche werden in Form von Grundleistungen und wählbaren Dienstleistungspaketen angeboten. Interessant für die Einschätzung der Qualität der Einrichtungen ist vor allem deren Grundleistungspaket. Ein umfassendes Angebot an Wahlleistungen kann bei einer guten sozialen Infrastruktur durch externe Dienstleister gewährleistet werden. Dies ist weniger ein Zeichen für die Leistungsqualität, als vielmehr für die Standortqualität der Einrichtung. Das Kernstück der Grundleistungen bildet der Betreuungsservice. Hierzu gehören persönliche Beratung und psycho-soziale Betreuung sowie organisatorische Leistungen zur Bewältigung des Alltags und Vermittlung von Leistungen bei auftretender Hilfebedürftigkeit. 32 Daneben gehören die Notrufsicherung und ein haustechnischer Service zum Standard der Grundleistungen. Pflegerische und hauswirtschaftliche Hilfen sind demgegenüber i.d.R. Bestandteile der wählbaren Zusatzleistungen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Frage: Was ist an Leistungsangeboten notwendig und sinnvoll? Zum minimalen Serviceangebot gehört die regelmäßige persönliche Betreuung im Einzelfall. Dieses minimale Angebot muss gegeben sein, damit man von „Betreutem Wohnen“ sprechen kann. Eine Notrufsicherung alleine kann auch in normalen Wohnungen zu Hause gewährleistet werden, aber nicht die regelmäßige Einzelfallbetreuung. Wie die regelmäßige Einzelfallbetreuung aussehen soll, kann sehr unterschiedlich geregelt sein – von Hausmeistermodellen bis zur fest angestellten Fachkraft zur Betreuung ist alles möglich. Von allen in Baden-Württemberg untersuchten Einrichtungen bietet rund die Hälfte nur diesen minimalen Standard an Grundserviceleistungen an (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999). Die andere Hälfte bietet ein größeres Servicepaket. Einrichtungen, die über das minimale Leistungsangebot hinaus Hilfen bei der Gestaltung der Hausgemeinschaft leisten und Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen, können als Einrichtungen des Betreuten Wohnens mit mittlerem Leistungsniveau eingestuft werden. Bei diesen Einrichtungen dürfte von der konzeptionellen Ausrichtung her neben der altersgerechten Wohnraumsicherung ein Schwerpunkt auf der sozialen Integration der älteren Menschen liegen. Rund 1/4 aller untersuchten Einrichtungen in Baden-Württemberg lassen sich dieser Kategorie zuordnen. Von einem erweiterten Leistungsangebot kann ausgegangen werden, wenn neben der Notrufsicherung und den allgemeinen Betreuungsleistungen regelmäßige Beratung durch eine Betreuungskraft mit festen Sprechzeiten, die Versorgung bei akuter Erkrankung sowie der Betrieb eines Pflegestützpunktes, der auch eine Versorgung bei dauernder Pflegebedürftigkeit ermöglicht, zum Serviceangebot zählen. Rund 24% der untersuchten Einrichtungen in BadenWürttemberg haben ein solches erweitertes Grundserviceangebot. Nur diese Einrichtungen können auf den Einzelfall bezogen als Alternative zur stationären Versorgung eingestuft werden. 33 5.3 Qualität der Vertragsgestaltung Zu den Qualitätsaspekten des Betreuten Senioren-Wohnens gehört auch eine eindeutige und klare Vertragsgestaltung. Vertragsanalysen zeigen aber, dass hier noch eine Reihe von Problemen juristisch ungeklärt ist und eine Vielzahl vertragsrechtlicher Unklarheiten in der Praxis besteht. Dies betrifft sowohl die Vertragsform als auch die Vertragsgestaltung. Vertragsgestaltung Hinsichtlich der Vertragsgestaltung ist die mangelnde Transparenz des Gesamtangebotes das wesentliche Problem. Die meisten Verträge zeichnen sich durch eine unpräzise Beschreibung der Leistungspflichten des Trägers aus. Insbesondere fehlt eine Konkretisierung der einzelnen Leistungspakete im Bereich der Grundleistungen. Bei den Wahlleistungen fehlen Hinweise, wer diese erbringt und ob entsprechende verbindliche Absprachen mit externen Kooperationspartnern bestehen. Vertragsform Bezüglich der Vertragsform stehen zwei juristische Probleme im Vordergrund. Die Mehrheit der Betreuten Einrichtungen schließt mit den Bewohnern neben dem Mietvertrag einen Betreuungsvertrag, beide sind i.d.R. aneinander gekoppelt. Nur bei einer Minderheit der untersuchten Einrichtungen kann der Betreuungsvertrag unabhängig vom Mietvertrag gekündigt werden. Juristisch ist zurzeit noch nicht geklärt, ob eine solche Koppelung nicht rechtswidrig ist bzw. ob ein solches heimvertragsähnliches Gebilde den speziellen Schutzbestimmungen des Heimgesetzes unterliegt. Ein weiteres juristisches Problem betrifft die Kündigungsregelungen. Die Miet- und Betreuungsverträge werden i.d.R. unbefristet abgeschlossen. Rund 1/3 aller Einrichtungen in Baden-Württemberg legt jedoch vertraglich fest, dass neben allgemeinen Kündigungsbestimmungen im Sinne der Regelungen des BGB bei erhöhter Pflegebedürftigkeit oder Verwirrtheit ein Verbleiben in der Wohnung nicht mehr möglich ist (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999). Juristisch ist zu prüfen, ob Pflegebedürftigkeit vertragsrechtlich als Kündigungsgrund genannt werden darf. Wenn das Wohnen im Vordergrund der Vertragsgestaltung steht, ist das Mietrecht maßgeblich, 34 und hier stellt der Eintritt von Pflegebedürftigkeit kein Kündigungsgrund dar. 6. Kostenstrukturen Neben den Qualitätsunterschieden ist auch das sehr unterschiedliche Kostenvolumen in den verschiedenen Wohnprojekten auffallend. Dies betrifft die monatlichen Fixkosten für Miete, Betriebskosten, Nebenkosten und die monatliche Betreuungspauschale. Alleine bei der Nettokaltmiete ermittelte die Untersuchung des InWis-Instituts im - öffentlich geförderten Bereich eine Spanne von 4,15 DM/qm bis 30,50 DM/qm - frei finanzierten Bereich eine Spanne von 6,43 DM/qm bis 70,-- DM/qm. Auch bei den Betreuungspauschalen sind die Spannen groß. Das InWis-Institut kommt auf eine Spanne von 20,-- DM bis 1.000,-- DM für eine Einpersonenwohnung pro Monat (InWis-Institut 1999). Die verschiedenen Kostenpauschalen lassen sich z.T. aus dem unterschiedlichen Leistungsangebot erklären. Dies betrifft aber nicht alle Preisunterschiede. Marktanalysen zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Miethöhen nur zu 46% mit zusätzlichen Ausstattungsund Dienstleistungsqualitäten zu erklären sind. Die Hälfte der Mietpreisunterschiede bleiben ungeklärt. Und bei den Betreuungspauschalen schwanken die Preise bei identischen Leistungsangeboten zwischen 70,-- und 500,-- DM im Monat. 7. Zukünftige Anforderungen Betreutes Wohnen ist kein einheitlich geschlossenes Konzept, und auch die zukünftige Entwicklung wird nach bisherigen Erfahrungen nicht auf ein einheitliches Konzept hinauslaufen, sondern wahrscheinlich eher zu einer weiteren Ausdifferenzierung führen. Dies ist auch nicht negativ zu sehen, da nur so den unterschiedlichen Bedürfnislagen älterer Menschen begegnet werden kann. 35 Wesentlich ist aber, - dass Mindestqualitätsstandards klar definiert und verbindlich gemacht werden, - dass für die Nutzer das Leistungsangebot Betreuter Wohneinrichtungen transparent und überschaubar im Sinne eines Verbraucherschutzes gemacht wird und - dass rechtliche Unklarheiten beseitigt werden, vor allem ab wann Einrichtungen unter die Schutzbestimmungen des Heimgesetzes fallen. Nur dann wird Betreutes Wohnen seiner Konzeption gerecht werden können, eine selbstbestimmte Lebensführung auch bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen und eine bedarfsgerechte Alternative zu anderen Wohnformen im Alter sein. 36 Diskussion Engels: Vielen Dank für diese ausführlichen Informationen. Wir haben Ihnen über eine Stunde Gelegenheit zum Zuhören gegeben und möchten Ihnen jetzt auch Gelegenheit zu Rückfragen geben. Am besten zuerst einmal unmittelbare Rückfragen an die Referentin. Wir werden sicherlich im Laufe des Workshops noch Gelegenheit zur Diskussion von Grundsatzfragen haben. Klose: Mein Name ist Wolfgang Klose, ich komme vom Paritätischen aus Lüneburg. Wir haben in Lüneburg auch fünf Wohnanlagen mit unterschiedlichen Betreuungskonzepten. Die rechtlichen Probleme, die Sie angesprochen haben, machen uns auch ein bisschen Sorge. Ich frage mich, inwieweit wir wie das Kaninchen auf die Schlange starren und warten, bis nun Düsseldorf bzw. Münster irgendwann sagt: „Heimgesetz ja oder nein“. Oder gibt es Bestrebungen, z.B. auch über das KDA oder über das Bundesministerium, hier von vorne herein für rechtliche Klarheit zu sorgen und dafür zu sorgen, dass das Betreute Wohnen im ambulanten Bereich verankert wird, wo es eigentlich, zumindest ist das unsere Auffassung, auch hin gehört? Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt, mit dem ich immer Probleme habe, der mir auch noch nie beantwortet werden konnte, ist folgender: Ist es juristisch haltbar, Mietverträge an Betreuungsverträge zu koppeln? Wir machen das ja, zumindest in Lüneburg. Aber irgendwo höre ich dann immer: Das ist eigentlich nicht so ganz korrekt. Fällt das auch in diesen schwammigen juristischen Bereich, oder gibt es dazu ein klares Ja oder Nein? Kremer-Preiß: Diese Kopplung von Miet- und Betreuungsverträgen hat letztendlich ja dazu geführt, dass es dieses Gerichtsurteil gegeben hat. Sobald Sie koppeln, sobald Sie sagen: „Sie können im Grunde den Betreuungsvertrag nur kündigen, wenn Sie den Mietvertrag auch kündigen“, stehen Sie im Grunde mit einem Bein (oder demnächst vielleicht mit beiden Beinen) im Heimgesetz. Das war der Grund. 37 Zu ihrer anderen Frage, was man tun kann: Es gab in NordrheinWestfalen einen „runden Tisch“, an dem verschiedene Interessengruppen, unter anderem auch das KDA, vertreten waren, um zu definieren, was denn jetzt Qualitätsstandards sein sollten, die unabhängig vom Heimgesetz gelten sollten. Im Grunde wurde versucht, Abgrenzungskriterien zu entwickeln, dass Betreutes Wohnen nicht unter das Heimgesetz fällt. Da hat uns aber dieses Gerichtsurteil im Grunde eingeholt, wir können momentan empfehlen, was wir wollen – rechtlich wird das ganz anders aussehen, deswegen braucht man eine gesetzliche Entscheidung. Man muss dann sagen: „Unter den und den Bedingungen fällt man nicht ins Heimgesetz.“ Aber das ist eine Sache, die auch nur vom Bundesgesetzgeber geklärt werden kann und auch geklärt werden muss. Empfehlungen können wir viele geben, aber es nutzt Ihnen als Einrichtungsträger nichts, weil Sie letztendlich mit diesen rechtlichen Folgen leben müssen. Engels: Nun möchte ich Frau Steves bitten, uns ihren Vortrag zu den Marktchancen zu präsentieren. 38 Wohnen mit Service: Ein Markt der Zukunft? Britta Steves, empirica – qualitative Marktforschung Vorbemerkung Die Entwicklung des Betreuten- oder Service-Wohnens steht in direktem Zusammenhang mit den tief greifenden demografischen und strukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft und den damit einher gegangenen Entwicklungen in den konventionellen Wohnangeboten der Altenhilfe (Stichwort: Gesundheitsreform, Pflegeversicherung und Landespflegegesetze). Schwerpunkt meines Vortrages sind die aktuelle Marktsituation ebenso wie absehbare Trends im „Service-Wohnen“ in der Bundesrepublik Deutschland. Gegenstand sind hier u.a. auch die Erfolgsfaktoren, die geeignet erscheinen, die aktuelle Qualitätsdiskussion im Sinne der dringend notwendigen Qualitätssicherung im ServiceWohnen voranzutreiben. Denn die Entwicklung und uns aus vielen eigenen Untersuchungen vorliegende Erkenntnisse und Erfahrungen im Service-Wohnen5 zeigen, dass letztlich nur die Angebote Akzeptanz und somit auch eine zukunftsträchtige Vermarktung finden werden, die die Qualität im Service-Wohnen zur entscheidenden Planungsgrundlage machen. 1. Überblick über die Nachfragerseite In Deutschland leben zur Zeit rd. 13 Mio. über 65-Jährige. Von diesen leben rd. 95% in privaten Haushalten in „normalen“ Wohnungen. Dies stellt die dominante Wohnform im Alter dar. Die Älteren - Mieter wie Eigentümer - haben in der Vergangenheit die Lösung „Weiterleben wie bisher“ bevorzugt. Sie sind weder nach dem Auszug der Kinder noch beim Eintritt in den Ruhestand oder nach dem Tod eines Ehegatten aus der Familienwohnung in eine kleinere Wohnung umgezogen. 5 Erfahrungsspektrum von empirica: Standortanalysen in ganz Deutschland, Untersuchungen zu Qualität, Konzeption, Bedarfs- und Potenzialabschätzungen; empirica-Datenbank „Seniorenimmobilien“, die rd. 3.500 altersgerechte Wohnanlagen umfasst, in denen ergänzende Serviceleistungen angeboten werden, und die Ergebnisse von über 5.000 Senioreninterviews. 39 Ältere Menschen wollen gerne in der „vertrauten“ Nachbarschaft leben. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass das Verbleiben in der gewohnten Nachbarschaft auch Nachteile mit sich bringt. Häufig kommt es zur parallelen Alterung in Wohngebieten. In der Familienwohnung, die z.B. für eine Familie mit vier Personen geplant war, wohnt oft nur noch eine Person. Die Kinder sind erwachsen, haben selbst einen Haushalt gegründet und sind fortgezogen. Andere Mitbewohner sind gestorben. Viele der Älteren bleiben isoliert zurück. Die Folge: Die Wohngebiete werden ereignisärmer. Schließlich kommt es zu einer räumlichen Konzentration älterer Menschen in bestimmten Gebieten. So werden absehbar die in den 60er und 70er Jahren entstandenen Wachstumsregionen im Umland der großen Städte (30 bis 35 Jahre später) zu „Rentnernachbarschaften“. Mit der einseitigen Altersstruktur nimmt die Möglichkeit gegenseitiger Nachbarschaftshilfe ab. Ein weiterer Nachteil ist die zunehmend ungünstige Versorgungsdichte. Da die Haushalte kleiner werden, verringert sich mit der Bewohnerzahl auch die Kaufkraft. Einzelhandelsgeschäfte werden unrentabel. Die für eine selbstständige Lebensführung notwendigen Angebote und Geschäfte fallen weg. Auf Grund der starken Eigentumsbildung in den 60er und 70er Jahren lebt über die Hälfte der heute 50- bis 60-Jährigen in gut ausgestatteten Eigenheimen. Sollte sich das Mobilitätsverhalten der Eigentümerhaushalte in den nächsten Jahren nicht grundsätzlich ändern, so wird um die Jahrtausendwende die Mehrzahl der 65- bis 75-Jährigen in Einfamilienhäusern wohnen, die nicht altengerecht ausgestattet sind. Gegenwärtig wächst die Zahl der älteren Haushalte, die sich mit zu großen, kaum eigenständig zu bewirtschaftenden Häusern und Gärten auseinander setzen. Mit zunehmendem Alter wird diese Wohnsituation mehr und mehr als Last empfunden. Trotz der Nachteile, die das Leben in der „vertrauten“ Nachbarschaft mit sich bringt, wählt die Mehrzahl der Älteren die Lösung „Weiterleben wie bisher“. Sie wollen ihre Selbstständigkeit und ihren eigenen Lebensstil bewahren. Die Alternativen, die zur normalen Wohnung angeboten werden, sind meist wenig attraktiv. Institutionelle Wohnformen wie Altenpflegeheim, Altenheim und Altenwohnheim werden allenfalls als „Notlösung“ akzeptiert. So leben nur rd. 5% der über 65Jährigen in Sonderwohnformen der Altenhilfe. Diese Wohnangebote, die im Rahmen der Altenhilfe durch öffentliche und private Träger errichtet und betrieben werden, entsprechen nicht den Lebens- und 40 Wohnvorstellungen der heutigen und zukünftigen Generation der Älteren.6 3,9 Mio. der über 65-Jährigen sind Hilfe-/ Pflegebedürftige (2,34 Mio. Hilfebedürftige und 1,60 Mio. Pflegebedürftige). 3,2 Mio. der Hilfe-/ Pflegebedürftigen leben in privaten Haushalten, wo sie bisher i.d.R. durch die Familie versorgt bzw. gepflegt werden. So leben etwa 70% der Pflegebedürftigen zu Hause und erhalten Hilfen im Rahmen informeller Unterstützungssysteme. Die rd. 2,3 Mio. „Hilfebedürftigen“, die regelmäßig z.B. hauswirtschaftliche Unterstützung benötigen, werden zu fast 90% informell versorgt. Die Anzahl der Senioren wächst, da die Lebenserwartung steigt: So nehmen die über 60-Jährigen in den nächsten 15 Jahren um rd. 2 Mio. zu, bei gleichzeitig überproportionaler Zunahme der Hochaltrigen und damit der Hilfe- und Pflegebedürftigen. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich in der Zeitspanne von 1950 bis zum Jahre 2040 vervierfachen; dies bedeutet einen Anstieg von 1 Mio. auf ca. 4,4 Mio. Dagegen wird sich die Zahl der 60- bis 79-Jährigen im gleichen Zeitraum in etwa verdoppeln. Mit der Zunahme der Hochaltrigkeit wächst die Anzahl der Personen, die auf Unterstützung im Alter bis hin zur Hilfe bei Pflegebedürftigkeit angewiesen sind. Die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen, wie Rückgang der überwiegend durch Kinder erbrachten Hilfs- und Betreuungsleistungen, sinkende Geburtenzahlen, Zunahme der Kinderlosigkeit und der Erwerbsquote der Frauen gehen einher mit veränderten subjektiven Einstellungen und Lebensstilen heutiger und zukünftiger Senioren. 2. Veränderte Nachfragetrends nach Wohnangeboten für das Alter Heute schon deutet sich bei der älteren Generation ein Werte- und Einstellungswandel an. Selbst die „alten Alten“ akzeptieren die institutionellen Wohnformen Altenwohnheim, Altenheim und Altenpflegeheim immer weniger. Gleichzeitig wächst bei ihnen aber auch die Sorge, wie sie in ihrer oft nicht altengerechten und häufig zu großen Wohnung auf Dauer alleine zurechtkommen werden. Die 6 Vgl. empirica: Altersgerechtes Wohnen, Antworten auf die demografische Herausforderung. LBS (Hrsg.), Bonn 1993. 41 Frage, ob Kinder, Verwandte oder Nachbarn Pflege und Versorgung auf sich nehmen können, ist vielfach ungeklärt. Während die „alten Alten“ hoffen, dass sie nicht zu denjenigen gehören, die notfalls ins ungeliebte Heim umziehen müssen, zeigt sich bei der Generation, die in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben scheiden wird, eine hohe Mobilitätsbereitschaft. Die Hauptgründe für den Mobilitätswunsch sind: • Man möchte Isolation und Abhängigkeit im Alter möglichst weitgehend vermeiden. • Man will im Alter „eigenständig“ (in einer „normalen“ Privatwohnung) wohnen mit der Option, dass für Krankheit und Pflegebedarf Vorsorge getroffen ist. • Vorsorge für den Fall eintretender Hilfs- und/ oder Pflegebedürftigkeit • Der Mobilitätsbedarf beschränkt sich nicht nur auf die Überlegung, noch einmal umzuziehen. Er beinhaltet auch Initiativen zur baulichen, altersgerechten Veränderung am Haus bzw. in der Wohnung. 3. Service-Wohnen: Ein neuer Markt mit Zukunft Service-Wohnen ist eine Wohnkonzeption, die den subjektiven Einstellungen der jungen und zukünftigen Senioren entspricht und den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Der Grundgedanke ist, dass jeder (sei es als Eigentümer oder als Mieter) in seinen „eigenen vier Wänden“ lebt (unabhängig davon, ob als Wohneigentümer oder Mieter) und den Alltag mehr oder weniger alleine bzw. im Haus- oder Nachbarschaftsverbund organisiert. Durch eine Gestaltung und Ausstattung der Wohnung, die den möglichen Bewegungseinschränkungen älterer Menschen Rechnung trägt, wird das eigenständige Wohnen gefördert. Als Ergänzung werden professionelle Serviceleistungen (bis hin zur Pflege) angeboten, die man nach Bedarf abrufen kann und auch nur bei Inanspruchnahme bezahlen muss. In Anbetracht der zunehmend teuren Dienstleistungen und des Wunsches der Älteren, möglichst weitgehend aktiv den Alltag zu gestalten, müssen die Wohnangebote so ausgerichtet sein, dass ein Teil 42 der im Alter anfallenden Hilfeleistungen von den älteren Menschen selbst organisiert werden kann. Allerdings darf die Selbsthilfestruktur nicht überfordert werden. Professionelle Hilfeleistungen, vor allem, wenn es sich um Pflege handelt, sind als flankierende Ergänzungen unverzichtbar. Wohnen mit Service ist eine Antwort auf die in den „normalen“ Nachbarschaften zunehmend ungünstigeren Lebensbedingungen für ältere Menschen. Es schafft ein zusätzliches Angebot, das zwischen der familialen Unterstützung in der angestammten Privatwohnung und der stationären Heimpflege angesiedelt ist. Wohnen mit Service ist kein „abgespeckter“ Ersatz für ein Pflegeheim. Es ist ein „Wohnen plus“, das Ersatz bzw. Ergänzung für die zunehmend geringeren familialen Unterstützungskapazitäten bietet. Mit der Bezeichnung Wohnen mit Service werden verschiedene Organisationsformen umschrieben. Sie alle verbindet das Ziel, das Wohnprojekt so zu konzipieren, dass für die Bewohner neben der Miete (bzw. dem Kaufpreis) keine bzw. kaum verpflichtende Grundpauschalen anfallen. Vielmehr wird in einem Leistungskatalog klar festgelegt, welche konkreten Leistungen in welchem Umfang und zu welchen Kosten und von wem bei Bedarf erbracht werden. ServiceWohnungen sind somit „richtige“ Wohnungen, kombiniert mit Serviceleistungen, die entweder vor Ort (d.h. innerhalb des Wohnprojektes) bereit gestellt oder durch externe Dienste erbracht werden. Die Bewohner schließen in der Regel neben einem Kauf- oder Mietvertrag einen ergänzenden Betreuungs- bzw. Service-Vertrag ab.7 4. Verschiedene Varianten des Service-Wohnens Je nachdem, ob Individualität stärker betont, mehr Eigenleistungen erwünscht bzw. professionelle Hilfeleistungen von Dritten beansprucht werden, sind verschiedene Kombinationen von Wohn- und Serviceangeboten denkbar: 7 Bei einigen Projekten entsprechen die abgeschlossenen Verträge Heimverträgen. Sie werden oft nur anders genannt, um nicht einen Heimcharakter des Wohnprojektes zu signalisieren. 43 Abbildung 1: Verschiedene Varianten des Service-Wohnens Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten Selbstorganisierte Gruppenwohnprojekte Wohnprojekte im Heimverbund S Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten Wohnprojekte im Hotelverbund HOTEL empirica Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand Vor dem Hintergrund, dass ca. 95% der Älteren in Deutschland zu Hause wohnen bleiben, stellen altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand eine wesentliche wohnungspolitische Herausforderung und Aufgabe der Wohnungswirtschaft dar. Es ist, mit Blick auf die vorhandenen baulichen Gegebenheiten, vor allem auch in Ostdeutschland ein zentrales Thema. Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand bedeuten, dass in Wohngebieten mit einem hohen Anteil älterer Bewohner altengerechte Um-/ und Anbauten durchgeführt werden, sodass kleinere altengerechte Wohnungen entstehen, die Selbstständigkeit und Sicherheit bis ins hohe Alter garantieren. Dadurch können Heimaufenthalte vermieden und größere Wohnungen für jüngere Familien freigemacht werden. Die wieder engere räumliche Beziehung zwischen den Generationen setzt gegenseitige Unterstützungsleistungen frei. Bei dieser Konzeption sind drei Varianten denkbar: • Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen an vorhandenen Gebäuden; 44 • Kauf einer Gebrauchtimmobilie und anschließender Umbau in kleine, altengerechte Wohnungen; • Neubau altengerechter Wohnungen, falls entsprechende Grundstücke verfügbar sind. Die Serviceleistungen stellen eine Mischung aus Eigenleistungen, selbstorganisierter Nachbarschaftshilfe sowie flankierenden professionellen Leistungen dar. Selbstorganisierte Gruppenwohnprojekte Bei selbst organisierten Gruppenwohnprojekten als weitere Variante des Service-Wohnens bestimmen die Bewohner möglichst weitgehend selbst die Wohnform, die Bewirtschaftung und die Betreuungsleistungen. Je nach gewünschter Individualität sind drei Varianten denkbar: • Wohngemeinschaft (persönlicher Wohnbereich für jeden) • Hausgemeinschaft (in sich abgeschlossene Wohnung für jeden) • Nachbarschaftsgemeinschaft (Zusammenschluss mehrerer Häuser) Die Nachfrage nach selbst organisierten Gruppenwohnprojekten ist hoch; z.Zt. sind uns bundesweit jedoch nicht mehr als rund 100 Projekte bekannt. Viele, die ein solches Projekt realisieren möchten, scheitern an den gegebenen schlechten finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie an mangelnder Unterstützung bzw. begleitendem professionellen Know-how. Insbesondere bei öffentlich geförderten Projekten mit verschiedenen involvierten Entscheidungsträgern kommt es häufig zu Interessenkonflikten, z.B. wenn es um die Regelung des Belegungsrechtes geht. Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten sind altengerechte Wohnungen8 (z.T. auch barrierefreie Wohnungen), in die 8 Altengerechte Wohnungen sind „normale“ Wohnungen, die durch fachgerechte Anpassungsmaßnahmen (z.B. verringerte Schwellen, Haltegriffe, bodengleiche Duschen, rutschfeste Bodenbeläge) auf die Wohnbedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten sind, sodass die selbstständige Lebensund Haushaltsführung möglichst lange aufrecht erhalten werden kann. 45 Nachbarschaft eingebunden bzw. in einem Wohnprojekt zusammengefasst. Die flankierenden Serviceleistungen (Hilfen bei der Wohnungsreinigung, Versorgungen mit Essen, Vermittlung häuslicher Pflegeleistungen u.ä.) werden nicht vertraglich abgesichert und demgemäß auch nicht pauschal, sondern nur entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme vergütet. Der Vorteil gegenüber einer „einfachen“ altengerechten Wohnung besteht darin, dass die Bewohner ggf. notwendige Betreuungsleistungen aus einem zwar unverbindlichen, aber leicht zugänglichen und professionell unterbreiteten Zusatzangebot abrufen können. Solange diese Option nicht wahrgenommen wird, wird ausschließlich der Miet- (inkl. Nebenkosten) bzw. der Kaufpreis fällig. Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten Bei Wohnprojekten mit integrierten Serviceangeboten bestimmen „Profis“ weitgehend die Wohnform und deren organisatorische Rahmenbedingungen. Altengerechte Wohnungen (z. T. barrierefreie Wohnungen9) werden mit einem vertraglich fixierten Dienstleistungsangebot kombiniert, das im Gegensatz zu nur flankierender Bereitstellung auch Entlastung und Sicherheit im Alter garantiert. Die Wohn- und Betreuungskonzepte sind verschieden organisiert. Es werden im Wesentlichen professionelle Dienstleistungen vorgehalten und erbracht. Denkbar sind folgende Varianten: • Wohnprojekte mit integriertem Service-Stützpunkt (Serviceleistungen stehen direkt vor Ort zur Verfügung) • Wohnprojekte mit Service-Büro (Serviceleistungen werden von einem in das Projekt integrierten Büro vermittelt) Die zusätzlichen Leistungsangebote werden über eine sog. Grundpauschale vergütet, die zusätzlich zur Miete (inkl. Nebenkosten) bzw. Kaufpreis erhoben wird. 9 46 Barrierefreie Wohnungen garantieren älteren Bewohnern mit Behinderungen weitgehende Unabhängigkeit von fremder Hilfe. Barrierefreie Wohnungen haben keine Schwellen, verfügen über ausreichende Bewegungsflächen. Die im Einzelnen zu berücksichtigenden Ausstattungsmerkmale sind in der DIN 18025 Teil 2 festgelegt. Wohnprojekte im Heimverbund Bei Wohnprojekten im Heimverbund ist eine altengerechte Wohnanlage räumlich und/ oder organisatorisch an ein Pflegeheim angebunden. Die Serviceleistungen werden durch dieses Pflegeheim vorgehalten und erbracht. Hier steht die Pflege im Vordergrund. Wohnprojekte im Hotelverbund Eine altengerechte Wohnanlage ist räumlich und/ oder organisatorisch an ein Hotel angebunden, das die Serviceleistungen vorhält und erbringt. Bei dieser Konzeption stehen hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen und die Möglichkeit, die Hotelinfrastruktur (Schwimmbad, Restaurant u.ä.) mit zu nutzen, im Vordergrund. Mit dem Pflege-Versicherungsgesetz ist eine langfristige Verlagerung vom stationären zum ambulanten Pflegeangebot vorgezeichnet. Vor dem Hintergrund, dass mittel- bis langfristig familiale Hilfeleistungen zurück gehen, finden neue Wohnprojekte, die über die Pflegeversicherung abrechenbare ambulante Pflegedienste integrieren bzw. flankierend organisieren, eine erhöhte Nachfrage. Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand und selbst organisierte Gruppenwohnprojekte sind Varianten, die trotz entsprechender Nachfrage bisher nur vereinzelt realisiert wurden. Das Gleiche gilt für Wohnprojekte im Hotelverbund, die in den nächsten Jahren verstärkt auf den Markt kommen werden. Bei den realisierten Projekten überwiegen zur Zeit die „Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten“ und die Wohnprojekte im Heimverbund. Die eher konventionell ausgerichteten Wohnstifte bzw. Seniorenresidenzen10 entsprechen durch ihre hauswirtschaftliche Teil- bzw. Vollversorgung nur partiell dem Grundgedanken des Service-Wohnens. In jüngster Zeit ist bei diesem Angebotssegment jedoch eine verstärkte Umorientierung in Richtung Service-Wohnen zu beobachten. Eigenständige Wohneinheiten (Appartements und z.T. auch Wohnungen) werden mit einem Pauschalpaket von Serviceleistungen kombiniert, wobei die Möglichkeit der Abwahl von Leistungen besteht. 10 „Seniorenresidenz“ und „Wohnstifte“ sind Bezeichnungen, die synonym verwendet werden. 47 5. Serviceleistungen, Vertragsformen und Finanzierungshilfen Gewünschte Serviceleistungen Nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen rangieren unter den gewünschten Serviceleistungen medizinische und pflegerische Leistungen an erster Stelle, da sie im Falle einer längeren Krankheit bzw. bei eintretender Pflegebedürftigkeit entsprechende Sicherheiten bieten. An zweiter Stelle stehen Hilfen zur Bewältigung des Alltags. Dazu gehören Unterstützungen im Haushalt (Wohnungsreinigung, Wäscheservice etc.), Hausmeisterdienste (Aufsichtsfunktion und kleinere Reparaturen) sowie Fahr- und Bringdienste. In der Praxis führt gerade die Schwierigkeit, kleinere Erledigungen des Alltags selbst vorzunehmen, häufig dazu, dass ein Weiterleben in der angestammten Wohnung nicht mehr möglich ist. Am wenigsten Nachfrage besteht bei informellen Hilfen, z.B. Beratung bei Fragen und Problemen usw. Aus Sicht der potentiellen Nachfrager sind dies Leistungen, die nicht ständig vorgehalten werden müssen und die sich in vielen Fällen von den Bewohnern selbst erbringen lassen bzw. privat organisiert werden können. Allerdings besteht Bedarf an Hilfeleistungen bei der Organisation von Freizeitaktivitäten. Dabei geht es weniger um geselliges Beisammensein in der Wohnanlage; gewünscht ist vielmehr die Teilnahme am „normalen“ gesellschaftlichen Leben. Besonders gefragt sind: Management von Städtereisen und Ausflügen, das Besorgen von Karten für kulturelle Veranstaltungen u.ä. Vertragsvarianten Bei der Konzeption des Service-Wohnens („Betreuten Wohnens“) sind auf Grund der Kombination: „Wohnangebot plus Dienstleistungen“ vertragliche Regelungen erforderlich, die vielfach rechtliches Neuland betreten. Neben reinen Mietverträgen für Wohnungen mit flankierenden Serviceangeboten stehen kombinierte Miet- (Kauf-) und Serviceverträge in Wohnanlagen mit integrierten Serviceangeboten sowie Heimverträge (überwiegend bei Wohnstiften/ Seniorenresidenzen). Die Frage, welche Vertragsvariante gewählt wird, ist in zweierlei Hinsicht relevant: • Zum einen ist zu beachten, dass mit dem Heimbegriff verbundene emotionale Zugangsbarrieren auch auf den Heimvertrag übertragen werden. 48 • Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Kombination von Wohn- und zusätzlichen Serviceleistungsangeboten in Vielem dem durch das Heimgesetz vorgegebenen Vertragskonzept entspricht. Bei einigen Projekten entsprechen die abgeschlossenen Verträge Heimverträgen. Sie werden jedoch anders genannt, um nicht einen Heimcharakter des Wohnprojektes zu signalisieren. Die rechtssystematische Frage, ob Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten Einrichtungen im Sinne des Heimgesetzes sind, ist nach wie vor offen. Vor diesem Hintergrund wird die Frage, welcher Vertragstyp in einer Seniorenimmobilie einzusetzen ist bzw. eingesetzt werden darf, angesichts der unterschiedlichen Leistungsangebote z.Zt. nur auf den Einzelfall bezogen zu bestimmen sein. Vorrangig ist zu prüfen, ob und inwieweit die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen die besonderen Vorschriften des Heimgesetzes Anwendung finden müssen. In jedem Fall hat die Frage, welche vertragsrechtlichen Schwerpunkte die fixierten Leistungen haben, sowohl aus der Sicht der Bewohner als auch aus der Sicht der Investoren/ Betreiber Gewicht. Während letztere darauf zu achten haben, dass ihre Mittel wirtschaftlich und Gewinn bringend verwendet werden, werden erstere auf ein qualitativ und quantitativ bestandssicheres Leistungsangebot Wert legen. Daraus folgt, dass die mit unterschiedlichen sozialen Schutzbestimmungen ausgestatteten rechtlichen Vorschriften, die über die Anpassung und über die Kündigung des Vertrags sowie über die Erhöhung des Entgelts entscheiden, maßgeblichen Einfluss auf die Vertragsgestaltung der Wohnprojekte haben. In der bisherigen Praxis werden sogenannte additive Verträge bevorzugt, die neben einem auf das Wohnrecht gerichteten Miet- bzw. Kaufvertrag zusätzlich einen ergänzenden Betreuungs- bzw. Serviceleistungsvertrag beinhalten. Gelegentlich werden auch sogenannte integrierte Verträge vereinbart, die sowohl die Abwicklung der mietals auch der dienstrechtlichen Leistungen in einem Vertrag regeln. In beiden Fällen werden die verschiedenen Vertragselemente so miteinander kombiniert, dass sie entsprechend dem Rechtscharakter gemischter Verträge nur in ihrer Gesamtheit ein sinnvolles Ganzes ergeben. Am deutlichsten realisiert der Heimvertrag, der seit der 1990 in Kraft getretenen Novelle des Heimgesetzes Miet- und Betreuungsleistungen untrennbar miteinander verbindet, die Verschmelzung der verschiedenen Vertragstypen. Darüber hinaus gibt es spezielle Vertragsformen, die z.B. den auf Nachbarschaftshilfe 49 gerichteten Zusammenschluss in selbst organisierten Wohnverbindungen/ Wohngemeinschaften regeln. Additive Wohn-Serviceverträge bestehen aus einem Miet- bzw. Kaufvertrag mit einem zusätzlichen Pauschalvertrag über Servicegrundleistungen. Beide Verträge sind, obwohl sie getrennt ausgefertigt und unterzeichnet sowie gesondert abgerechnet werden, rechtlich miteinander gekoppelt. Der Betreuungsvertrag kann nur im Zusammenhang mit der Auflösung des Wohnverhältnisses beendet werden. Diese häufigste und damit auch geläufigste Vertragsform des Service-Wohnens wird sowohl bei Wohnprojekten mit ausschließlich Mietwohnungen wie auch bei gemischten Strukturen (Eigentumswohnungen und öffentlich geförderte sowie freifinanzierte Wohnungen) eingesetzt. Die Wohnanlagen verfügen über ein Service-Büro oder über einen Service-Stützpunkt. Die dort vermittelten oder angebotenen Leistungen werden von entsprechend qualifizierten, rechtlich selbstständig organisierten Betreuungskräften erbracht. Auffällig sind die unterschiedlichen Vereinbarungen über die Fortsetzung, Änderung oder Aufhebung des Vertrages beim Eintritt dauernder schwerer Pflegebedürftigkeit. Die integrierten Wohn-Serviceverträge bestehen aus einem Vertrag, in dem alle einschlägigen miet- und leistungsrelevanten Fragen abschließend geregelt werden. Der Vermieter erfüllt entweder die Serviceleistungen mit eigenem Personal oder legt vertraglich fest, dass die Leistungen von qualifizierten Dritten (Vertrag zwischen Vermieter und Betreuer) erbracht werden. Auch im letzten Fall verbleiben alle den Bewohner betreffenden Abrechnungsvorgänge in der Hand des Vermieters. Diese Vertragsform des Service-Wohnens entspricht in Vielem dem Konzept des Heimvertrages, ohne sich allerdings den dafür gesetzlich fixierten Bestimmungen, z.B. über die Kündigung sowie über die Erhöhung des Entgelts, zu unterwerfen. Angesichts noch fehlender praktischer und rechtlicher Erfahrungen muss vorerst offenbleiben, ob und inwieweit den integrierten Verträgen eine unzulässige Umgehung des Heimgesetzes angelastet werden kann. Heimverträge regeln alle Vermietungs-, Verpflegungs-, und Betreuungsleistungen in einem grundsätzlich auf Dauer abgeschlossenen Vertrag. Den Vorschriften des Heimgesetzes (HeimG) entsprechend sind sie in allen Einrichtungen anzuwenden, die alte Menschen sowie pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend zum Zwecke der Unterbringung aufnehmen. Die Unterbringung 50 umfasst neben der Überlassung der Unterkunft die Gewährung oder Vorhaltung von Verpflegung, Betreuung oder auch - im Sinne einer gesteigerten Betreuung - Pflege. Insbesondere fallen unter das HeimG Altenwohnheime, Altenheime, Pflegeheime und Behindertenheime, da sie alte Menschen sowie pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen und betreuen. Auch Mischeinrichtungen oder mehrgliedrige Heime, die in der Altenhilfe üblich sind, werden, soweit es sich nicht um Wohnungen handelt, erfasst. Dies gilt vor allem für die Verbindung von Altenwohnheimen, Altenheim und Altenpflegeheim. Entscheidend ist allein, ob und inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen objektiv erfüllt sind, unter denen die besonderen Vorschriften des HeimG Anwendung finden. Es kommt also nicht auf die Bezeichnung des Heimes an. Daher werden auch Wohnstifte, Altersruhesitze und Altenpensionen vom Gesetz erfasst. Das HeimG ist nicht anwendbar auf Anlagen, die nicht heimmäßig betrieben werden, d.h., wo eine Betreuung und Versorgung nicht erforderlich ist und auch nicht bereit gehalten wird. Eine Vermietung von Räumen oder das Angebot von Reinigungsdiensten allein genügen also nicht. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass Tageseinrichtungen und Krankenhäuser nicht vom Gesetz erfasst werden. Soweit Krankenhausträger auch ein Heim betreiben, findet das Heimgesetz nur Anwendung, wenn das Heim wirtschaftlich und organisatorisch vom Krankenhaus getrennt ist. Bei Rehabilitationseinrichtungen gilt das HeimG nur für die Einrichtungsteile, die die Voraussetzungen des o.a. Heimbegriffs erfüllen, d.h. dass neben der Unterbringung auch Verpflegung und Betreuung gewährt und vorgehalten wird. Auch Ferien- und Kurheime sowie alle Einrichtungen, in denen der Aufenthalt nur vorübergehend ist (z.B. Probewohnen oder Kurzzeitpflege), zählen nicht zu den Heimen des Gesetzes. Ebenso wenig fallen Wohngemeinschaften alter Menschen und Behinderter, die in der Regel nicht unter der Verantwortung eines Trägers betrieben werden, unter das Heimgesetz. Finanzierungshilfen der Länder Zielgruppe der Nutzer von Seniorenimmobilien (Käufer/ Mieter) sind nicht nur einkommensstarke Haushalte. Auch Personengruppen, die sich aus Einkommensgründen keine frei finanzierte Wohnung leisten können, werden in steigender Zahl Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten nachfragen. Für sie kommt eine Versorgung mit 51 Sozialwohnungen in Frage, für die öffentliche Finanzierungshilfen einkalkuliert werden können. Die staatliche Wohnungsbauförderung berücksichtigt bei der Wohnungsversorgung unter ihren Zielgruppen insbesondere auch die älteren Bürger. Grundlage der direkten Wohnungsbauförderung ist das Zweite Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG). Auf seiner Grundlage erlassen die Länder Verwaltungsvorschriften als Durchführungsbestimmungen und setzen mit den jährlichen Wohnungsbauprogrammen ihren Förderungsschwerpunkt. Hinzu kommen steuerliche Förderungsinstrumente, deren Abschreibungserleichterungen vor allem für diejenigen zukünftigen Ruheständler interessant sind, die sich frühzeitig für den Erwerb einer zunächst vermieteten oder den Eltern überlassenen, später selbst zu nutzenden, altengerechten Wohnung entscheiden. Die speziellen Förderbestimmungen, die die Mehrzahl der Länder für den Bau altengerechter Wohnungen erlassen, ergänzen die allgemeinen Bewilligungsansätze des sozialen Wohnungsbaus, die in allen Ländern bei der Vergabe von Fördermitteln von Altenwohnungen zu berücksichtigen sind. In Sachsen-Anhalt sieht die Förderungspraxis im Bereich der Schaffung alten- und behindertengerechter Wohnungen sehr schlecht aus. Das im Rahmen des sozialen Mietwohnungsbaus erst 1997 aufgelegte Landesprogramm zur „Gewährung von Zuwendungen zur Neuschaffung von alten- und/ oder behindertengerechten Mietwohnungen“ wurde bereits 1998, auf Grund der allgemeinen Haushaltslage, wieder gestrichen. Wie wir aus dem zuständigen Ressort des Wohnungsbauministeriums Sachsen-Anhalt wissen, werden z.Zt. nur noch Zuwendungen zur Wohnungsanpassung für ältere und behinderte Personen gewährt. Weitere Sonderförderungen gibt es noch im Rahmen des Programms der Sanierung unbewohnbarer Wohngebäude (hier wird der Umbau von leer stehenden und nicht mehr bewohnbaren Alten- und Pflegeheimen zu altengerechten Mietwohnungen gefördert) und im Programm für die Neuschaffung bzw. den Ersterwerb von neu erbauten Eigenheimen und Eigentumswohnungen zur Selbstnutzung. Sowohl organisatorisch als auch fördersystematisch ist von der Wohnungsbauförderung die Investitionskostenförderung der Pflegeeinrichtungen zu trennen. Auf- und Ausbau der pflegerischen Infrastruktur gehören zu den Aufgaben der Länder. Das Pflege52 Versicherungsgesetz weist ihnen die Verantwortung für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur zu. Das Nähere zur Planung und zur Förderung der Pflegeeinrichtungen wird durch Landesrecht bestimmt. In Sachsen-Anhalt können beim Bau von Altenpflegeheimen (§ 52 Pflegeversicherungsgesetz) die verbleibenden 10% Eigenanteil an der Gesamtfinanzierung erlassen werden, wenn in der gleichen Größenordnung (10%) altengerechte Mietwohnungen geschaffen werden. 6. Die Marktsituation – Status quo Standorttypen Je nach Zentralität, Einzugsbereich und Attraktivität als Wohnstandort für Senioren lassen sich innerhalb Deutschlands verschiedene Standorttypen für Seniorenimmobilien unterscheiden. Abbildung 2: Verteilung der Seniorenimmobilien mit eigenständigen Wohnungen/ Appartements auf verschiedene Makrostandorttypen 50 % Seniorenwohnanlagen 40 % Whgn in Seniorenwohnanlagen über 65jährige 30 % 20 % 10 % 0% Überregionale Überregionale ZentrenGroßstädte Zentren Mittelstädte Quelle: empirica-Datenbank, 1996 Ländlicher Verdichtungs- Ländlicher Raum Raum raum Urlaubsregionen empirica In den überregionalen Zentren München, Hamburg und Berlin befinden sich mehr als 5% der Einrichtungen, in den Großstädten und den sie umgebenden Verdichtungsräumen jeweils ca. 20%, in den Mittelstädten ca. 12% und im ländlichen Raum ca. 35%. Eine Sonderstellung nehmen die - zumeist ländlichen - Regionen mit 53 Urlaubscharakter ein. Obwohl sie zahlenmäßig gering sind, liegen hier im gesamtdeutschen Vergleich ca. 8% der Seniorenimmobilien. Die Verteilung der Einrichtungen auf die verschiedenen Regionstypen entspricht den relativen Anteilen der Senioren an der Gesamtbevölkerung. Nur im ländlichen Raum übersteigt der Anteil der über 65jährigen den Anteil der Seniorenimmobilien in diesem Gebietstyp. Regionale Marktsituation Von den im Bundesgebiet realisierten Seniorenwohnanlagen mit eigenständigen Wohnungen/ Appartements lagen vor gut zwei Jahren nur ca. 6% in Ostdeutschland. In den letzten zwei Jahren sind jedoch viele neue Angebote hinzu gekommen, vor allem in Leipzig und Dresden. Aktuelle Zahlen hierzu werden z.Zt. in unserem Hause erarbeitet. In Ostdeutschland befindet sich fast die Hälfte aller Anlagen in kleinen Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern. Häufig ist dabei auf Betreiben der Gemeinde oder eines örtlichen Bauträgers auf eine bestehende Nachfragesituation reagiert worden. Entsprechend groß ist der Anteil der Wohnanlagen mit weniger als 30 Wohnungen. Bei ca. zwei Dritteln handelt es sich um Wohnanlagen mit integrierten Service-Büros. Heimverbundene Anlagen machen ca. ein Viertel aus. Der Großteil der Wohnungen wird vermietet, wobei die Mieten 20 DM/qm in der Regel nicht überschreiten. Im Schnitt ist rd. die Hälfte der im gesamten Bundesgebiet erbauten Senioren-Wohnanlagen mit öffentlichen Mitteln gefördert worden. Innerhalb Westdeutschlands hat sich der Markt für Seniorenimmobilien vor allem in den Bundesländern entwickelt, die dem Bau altengerechter Wohnungen eine besondere Förderpriorität einräumen und die Vergabe der Mittel an die Gewährleistung von Betreuungsleistungen binden. Dazu gehören vor allem Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. 54 7. Die aktuelle und zukünftige Marktentwicklung: Wachsendes Angebot Abbildung 3: Angebotsentwicklung Service-Wohnen (Neue Projekte pro Jahr) 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 vor 1990 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 * * Fertiggestellte Anlagen und bekannte Planungen bis August Quelle: empirica-Datenbank mit rund 3.600 Projekten (davon rd. 2.500 mit genauer Angabe des Baujahrs) empirica Der Markt für Service-Wohnungen ist einer der letzten großen Wachstumsmärkte der Immobilienbranche. Bundesweit hat sich die Zahl der Wohnprojekte mit Service-, Betreuungs- und Pflegeangeboten für Senioren seit 1995 von rund 1.500 auf schätzungsweise 3.600 mehr als verdoppelt. Die Größe und die Ausstattung der neuen Service-Wohnprojekte sowie die Art und der Umfang der Serviceleistungen werden vielfältiger. Neben großen, anspruchsvoll ausgestatteten Seniorenresidenzen/ Wohnstiften, die auch überregionale Nachfrage binden, werden verstärkt kleinere, auf die lokale Nachfrage ausgerichtete Wohnanlagen gebaut. Derzeit liegt der Versorgungsgrad mit Service-Wohnungen im Bundesdurchschnitt bei rd. 1,6 Wohneinheiten je 100 über 65-Jährige. Diese Zahl schwankt in Abhängigkeit von der Standortattraktivität zwischen 0,9% und 2,4%. 55 Die aktuellen Neubauprojekte sind auf einfach ausgestattete, preisgünstige Wohnanlagen für „Durchschnittsverdiener“ und auf Wohnanlagen mit überdurchschnittlichem Komfort für solventere Haushalte ausgerichtet. In beiden Marktsegmenten ist es zu einem verstärkten Wettbewerbsdruck gekommen. Akzeptanz und Vermarktungschancen des Service-Wohnens werden deshalb künftig noch stärker als bisher davon abhängen, inwieweit die Gesamtkonzeption mit den spezifischen Rahmenbedingungen des Standorts und der konkreten Nachfragesituation vor Ort abgestimmt ist. Der Markt für Seniorenimmobilien in der aktuellen Umsetzung ist ein Krisenmarkt. Die rückläufigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt und im Bürosektor haben dazu geführt, dass sich viele Newcomer am Senioren-Immobilienmarkt versuchen. Der anhaltende Bauboom lockt immer mehr Trittbrettfahrer an, die die Service-Wohnansprüche der Kunden nicht erfüllen können. Das passiert beispielsweise, wenn schwer zu vermarktende Standard-Wohnanlagen oder sogar Büround Gewerbeflächen „kurzerhand“ zu Service-Wohnprojekten „umgestrickt“ werden. Die Zahl der an falschen Standorten platzierten, nicht nachfragegerechten Projekte ist gestiegen; es fehlt an standortbezogenen Bedarfsabschätzungen und Nachfrageanalysen sowie an entsprechenden Konzeptionsentwicklungen und an Qualität im Detail. Investoren, die ihre Planungen auf fehlerhafte Markteinschätzungen und nicht realisierbare Mieten gestützt haben, sind zu Anpassungsreaktionen gezwungen. Dementsprechend passt sich der Preistrend für Wohnungen und Serviceleistungen dem Niveau des normalen Wohnungsmarktes an. Der verstärkte Wettbewerbsdruck führt jedoch durch wachsendes Verbraucherbewusstsein, Preisvergleichslisten gemäß Pflegeversicherungsgesetz und zunehmende Qualität als Auswahlkriterium dazu, dass der reine, oft am einseitigen Anlegerdruck orientierte Anlegermarkt geht und der Nutzermarkt kommt. Im Vordergrund steht derzeit ein Abbau von Engpässen. Jedoch werden wir noch im nächsten Jahr (2000) Projekte in der Realisierung haben, die mit falschen Konzeptionen auf den Markt gehen. Angesichts der Einrichtungsvielfalt ist die Aussagekraft der durchschnittlichen Marktpreise für Service-Wohnprojekte begrenzt. Je nach Wohnungsgröße und -ausstattung und abhängig vom Umfang der jeweils bereit gestellten Serviceleistungen und Gemeinschaftsflächen variieren die Preisspannen sehr stark. Trotzdem bieten die in der empirica-Datenbank gespeicherten Preisangaben eine Orientierungshilfe, auf deren Grundlage (rd. 3.600 gespeicherte Projekte) 56 z.Zt. Preisspannen bei Service-Wohnprojekten errechnet werden, deren Zahlen im Herbst 1999 veröffentlicht werden können. 8. Die Qualität Schwierige Auswahlentscheidung Das deutlich vergrößerte, sehr viel differenziertere Service-Wohnangebot und die erheblichen Preisunterschiede haben den Markt unübersichtlicher gemacht. Interessierten Kunden fällt es zunehmend schwerer, sich zwischen den vielfältigen Angeboten zurecht zu finden und die richtige Wahl zu treffen. Zwar werben alle Projekte mit dem Versprechen, die Anforderungen an ein altengerechtes, selbstständiges und sicheres Wohnen zu erfüllen - aber längst nicht alle halten sich daran. Wer sich deshalb nicht nur auf die wohlklingende Prospekte verlassen, sondern selber Angebotsvergleiche vornehmen möchte, erkennt schnell, dass es kaum neutrale Informationshilfen zur Qualitätsbewertung gibt. Welche Anforderungen ein ServiceWohnprojekt mindestens erfüllen sollte, und wie es sich mit dem Angebot, der Qualität und dem Preis einer bestimmten Einrichtung verhält, können bisher nur Marktexperten beurteilen. Entsprechend groß ist die Unsicherheit der Kunden. Ein allgemein anerkannter Qualitätsbegriff für Service-Wohnprojekte, der einheitliche Mindeststandards für unterschiedlich kombinierte Wohn- und Dienstleistungsangebote vorgibt, ist bisher nicht geprägt worden. Ansätze zur Qualitätskontrolle beschränken sich auf freiwillige, interne Prüfverfahren. Beispiele aus Baden-Württemberg (Qualitätssiegel „Betreutes Wohnen“) und Süddeutschland (TÜV-Zertifikat für Pflegeeinrichtungen) stoßen bei den Einrichtungsträgern aber nur auf geringe Akzeptanz. Zertifizierungen, zu denen auch die dokumentierte Einhaltung bestimmter Qualitätsnormen auf der Grundlage der internationalen Norm ISO 9000 ff. gehören, formulieren keine qualitativen Ausstattungs- und Leistungsanforderungen. Sie stellen Kriterien für ein wirksames Qualitätsmanagementsystem auf, das eine systematische Verhütung von Fehlern möglich macht. Kunden und Bewohnern von Service-Wohnprojekten stehen keine Standards für eine eigenständige Qualitätsbewertung zur Verfügung. Ihre Angebotsprüfungen bleiben auf die Anwendung von Checklisten ohne praktikable, selber anzulegende Qualitätsmaßstäbe beschränkt. Die unvollständige Nachfragersouveränität hat zwangsläufig einen 57 zeitlich verzögerten Qualitätswettbewerb zur Folge. Er bietet nach wie vor Freiräume für schwarze Schafe und undurchsichtige Angebote. Die wichtigsten Qualitätsstandards Zur Umsetzung des Service-Wohnens bedarf es der abgestimmten Verbindung räumlich-institutioneller Angebote (geeignete Wohnungen, evtl. stationäre bzw. teilstationäre oder ambulante Pflegeangebote) mit Dienstleistungsbereichen (z.B. Verpflegungsangebote, hauswirtschaftliche Hilfe, Fahr- und Bringdienste) und einer organisatorisch-administrativen Struktur (öffentliche und/ oder freie Träger). Neben den besonderen baulich-architektonischen Ansprüchen an die Wohnung sind sozialräumliche und städtebauliche Anforderungen (Verkehr, soziale Infrastruktur, Wohnumfeldgestaltung) zu berücksichtigen. Auf Anregung der Landesbausparkassen, die ja schon seit Jahren in dem Bereich Service-Wohnen mit dem Ziel aktiv sind, durch vielerlei Untersuchungen, Gutachten und Veranstaltungen die Qualität im Service-Wohnen voranzubringen, hat ein unabhängiges Expertengremium 1999 qualitative Ausstattungs- und Leistungsanforderungen für Service-Wohnprojekte unter der Federführung unseres Hauses erarbeitet. Es haben mehr als 20 Fachleute aus Politik (Bundes- und Länderministerien), Wissenschaft und Praxis (Investoren, Betreiber und Bewohner) gemeinsam eine konsensfähige Lösung vorgelegt, deren Ergebnisse am 29. Oktober 1999 in Köln der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Was wir Ihnen, ohne dieser Veranstaltung zum Abschluss dieses Vortrages vorweg zu greifen, kurz vorstellen können, sind die 10 Prüfsteine zur bedarfsgerechten Qualitätsbewertung von Service-Wohnprojekten, auf die sich die Marktexperten weitgehend einvernehmlich verständigt haben. Aufbau und Gliederung der vorgelegten Qualitätsanforderungen folgen einer abgestuften Vorgehensweise. Ausgangspunkt sind 10 Qualitätskomponenten, die schlagwortartig darüber informieren, welche Kriterien mit welchen Regelungsinhalten geprüft werden müssen. Die Qualitätsprüfsteine sind kein Ersatz für Qualitätssiegel und Fachzertifizierungen. Sie beschreiben vielmehr „vorab definierte“ Qualitätsanforderungen, damit Ausstattungs- und Leistungsmerkmale von Service-Wohnprojekten objektiv festgestellt werden können. Dabei erfüllen die Qualitätsprüfsteine einen doppelten Zweck: Auf der Seite 58 der Anbieter können sie als Orientierungshilfe zur baulich und konzeptionell bedarfsgerechten Projektgestaltung eingesetzt werden, auf der Seite der interessierten Mieter und Käufer als Orientierungshilfe zur bedarfsgerechten Bewertung und Auswahl einer Service-Wohnung. 1. Wohnlage Erreichbarkeit der Einkaufs-/Versorgungsund Freizeitangebote 2. Erschließung Zugänglichkeit innerhalb des Wohnprojekts und zum Wohnprojekt 3. Wohnumfeld Lebensqualität durch Sichtbeziehungen und Nachbarschaftsnutzungen 4. Wohnsituation Privatheit und Wohnqualität 5. Gesellschaftliches Teilnahme ohne Zwangskontakte Leben 6. Serviceangebote Grundpauschale und Wahlleistungen 7. Pflegeangebote Versorgungssicherheit für den Bedarfsfall 8. Vertragsgestaltung Autonomie, Wahlfreiheit und Mitwirkungsrechte 9. Information und Beratung Umfassende Information und persönliche Beratung 10. Preise Transparenzgebot 59 Betreutes Wohnen ohne Umzug Dr. Gerrit Köster, Leitstelle „Älter werden“ der Stadt Aachen „Komm, wir finden einen Schatz“, sagte der kleine Tiger zum kleinen Bären. Und nachdem sie den glücklichen Maulwurf, den Löwen mit der blauen Hose, das verrückte Huhn und den Reiseesel Mallorca um Rat gefragt hatten, fanden sie ihren Schatz! „Oh Tiger“, rief der kleine Bär, „was sehen denn da unsere scharfen Augen, sag‘?“ – „Ein Haus, Bär. Ein wunderbar, wundervoll schönes Haus - mit Schornstein. Das schönste Haus der Welt, Bär. Darin wollen wir wohnen.“ Der kleine Bär baute einen Tisch, zwei Stühle und zwei Betten. „Ich brauche zuerst einen Schaukelstuhl“, sagte der kleine Tiger, „denn sonst kann ich mich nicht schaukeln“. Dann pflanzten sie im Garten Pflanzen. Der kleine Bär ging fischen; der kleine Tiger Pilze finden. Das kleine Haus bei den Sträuchern kam ihnen jetzt so schön vor, wie kein Platz auf der Welt. „Ja“, sagte der kleine Tiger, „da wollen wir nie, nie wieder weggehen.“11 1. Einführung Für viele ältere Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist es ein zentrales Anliegen, in einer optimal ausgestatteten Wohnung und in einem Wohnumfeld leben zu können, in dem sie alle Angebote zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse vorfinden. Legt man etwa die Ergebnisse des Sozio-Ökonomischen Panels zugrunde,12 so sind 64% der Mieter und 86% der Eigentümer auf keinen Fall bereit, in eine andere Wohnung umzuziehen (Abb. 1). Nur 19% der Mieter und lediglich 3% der Eigentümer können sich einen Umzug in eine andere Wohnung oder in ein anderes Haus vorstellen - allerdings auch nur dann, wenn die neue Wohnung altengerecht ausgestattet ist und man beim Umzug Unterstützung erhalten kann. 11 12 Nach Janosch: „Komm, wir finden einen Schatz“ und „Oh, wie schön ist Panama“ Nach: HEINZE; R.G. u.a. : Neue Wohnung auch im Alter. Schader-Stiftung, Darmstadt 1997, S. 19 und 20 61 Abbildung 1: Bereitschaft der älteren Bevölkerung in der BRD zum Wohnungswechsel Bereitschaft zum Wohnungswechsel Mieter (SOEP) Unspezifische Bereitschaft 11% Umzugsbereit 19% Auf keinen Fall 64% "Richtige" Wohnung nicht gefunden 6% Bereitschaft Bereitschaft zum zum Wohnungswechsel Wohnungswechsel Eigentümer Eigentümer (SOEP) (SOEP) Unspezifische Unspezifische Bereitschaft Bereitschaft 10% 10% Umzugsbereit Umzugsbereit 3% 3% Auf keinen Fall Fall Auf keinen 86% 86% 62 "Richtige" "Richtige" Wohnung Wohnung nicht gefunden (1%) Berücksichtigt man zudem die Fülle von Anfragen, die z.B. beim Seniorentelefon der Stadt Aachen als der zentralen Informations- und Beratungsstelle zu Alternsfragen zum Thema „Betreutes Wohnen“ tagtäglich eingehen,13 ergab sich für die Leitstelle „Älter werden in Aachen“14 die Notwendigkeit nach Möglichkeiten zu suchen, ältere Menschen an einem System des „Betreuten Wohnens“ teilhaben zu lassen, ohne dass sie dazu aber die eigenen vier Wände, ihre seit langem vertraute Umgebung, verlassen müssen. Im folgenden wird nun ein Konzept entwickelt und vorgestellt, das diese beiden Optionen – Verbleib in der eigenen Wohnung und gleichzeitig die Möglichkeit, die individuell gewünschten Dienste in Anspruch nehmen zu können – miteinander verbindet. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass diese neue Form des „Betreuten Wohnens“ auch für Personen zugänglich ist, die lediglich über ein geringes Einkommen verfügen. 2. Methodik Voraussetzung für dieses Vorhaben war es, sich zunächst ein Bild über die „individuell gewünschten Dienste“ zu verschaffen. Dazu hat die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ in Zusammenarbeit mit dem Geographischen Institut der RWTH Aachen eine Befragung durchgeführt. Ziel der Befragung war es, den Begriff des „Betreuten Wohnens“ insofern klarer fassen zu können, als die Zielgruppe selbst Auskunft darüber geben sollte, was sie sich unter einem „Betreuten Wohnen“ vorstellt, welche Dienstleistungen sie damit verbindet und welchen Stellenwert sie jedem einzelnen dieser Angebote beimessen würde. Die Befragung selbst erfolgte als qualitative Erhebung in Form von Tiefengesprächen durch Studierende des Geographischen Instituts der RWTH Aachen. Der Fragebogen diente lediglich als Gesprächsleitfaden und enthielt eine Reihe offener Fragen.15 Damit wurde 13 14 15 Im Jahre 1999 registrierte das Seniorentelefon insgesamt 3.518 Anfragen. 15% bezogen sich auf den Bereich „Wohnen“ mit dem Schwerpunkt „Betreutes Wohnen“. Die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ ist eine Einrichtung der Stadt Aachen, die die Aufgabe hat, die Altenarbeit zu fördern und zu koordinieren. Vgl. Anhang 1 63 bezweckt, möglichst spontane und reichhaltige Antworten zu erhalten. Die Auswahl der insgesamt 198 Probanden stellte eine geschichtete Zufallsstichprobe dar, in der nur die 60- bis 75-jährige Bevölkerung eingegangen ist, d.h. Personen, die zu den jüngeren älteren oder zukünftigen älteren Personen zu zählen sind. Die Befragung fand im Haushalt der Interviewpartner statt. Das gestattete es den Befragern, sich auch ein Bild von der gesamten Wohnsituation zu verschaffen und ggf. auf Hilfsmöglichkeiten durch die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ aufmerksam machen zu können. 3. Der Untersuchungsraum Für die Befragung wurden zwei Aachener Wohnquartiere ausgewählt. Die beiden Viertel, Richterich und Haaren, liegen an der Peripherie von Aachen (Abb. 2). Es handelt sich hierbei um zwei ehemals unabhängige Gemeinden16 mit einem alten Dorfkern, um den herum ab den 60er Jahren eine Reihe neuer Siedlungen mit Einfamilienhäusern und Wohnblocks entstanden sind. Es konnte nachgewiesen werden, dass damals 30- bis 40-Jährige – oft in Zusammenhang mit einer Familiengründung – hierher gezogen sind.17 Für sie - inzwischen selbst 60 bis 70 Jahre alt – wird das Thema „Alter“ zu einer immer zentraleren Fragestellung. Die Bevölkerung von Richterich und Haaren ist dadurch charakterisiert, dass 61% der Befragten als Eigentümer in ihren Wohnungen/ Häusern leben; 30% sind Selbstständige und Beamte. Nur 10% der befragten Bewohner sind Arbeiter, d.h. es handelt sich um Wohnquartiere der Mittelschicht, die in Zukunft generell für die Planung und die Konzeptentwicklung für ältere Menschen von besonderer Bedeutung sein werden. Derzeit leben drei Viertel von ihnen noch mit ihren Partnern oder im Familienverband. 16 17 64 Die Eingemeindung erfolgte 1972 im Rahmen der kommunalen Neugliederung KÖSTER, Gerrit: Gesamtkonzept Altenarbeit in Aachen. Erster Bericht zur Altenplanung, Aachen 1991; KÖSTER, Gerrit: Richterich – Altenarbeit in einem Aachener Stadtteil. Fünter Bericht zur Altenplanung, Aachen 1995 Abb. 2: Übersichtskarte Aachen Lage der Untersuchungsgebiete Richterich Haaren 65 Das Problem des Alleinlebens ist für sie deshalb zwar noch nicht relevant und 60% fühlen sich körperlich in bester Verfassung.18 Dennoch wurde versucht, sie im Laufe des Gesprächs auch mit einer Zukunft zu konfrontieren, in der diese Kennzeichen vielleicht nur noch bedingt zutreffen. 4. Ergebnisse 4.1 Anforderungen an die Wohnung und an das Wohnumfeld Es stellte sich zunächst die Frage, warum ältere Menschen so gerne da leben, wo sie derzeit wohnen. Wie Tabelle 1 zeigt, gibt es dazu auf die Wohnung selbst bezogen insgesamt vier große Themengruppen. Wichtigstes Argument ist die Tatsache, dass rund ein Drittel der Befragten in Eigentum oder in einer Wohnung mit einer niedrigen Miete lebt. Allein 26% sind Eigentümer - wichtigstes Kriterium für die so positive Bewertung der derzeitigen Wohnsituation. Tabelle 1: Positive Bewertungskriterien für die Wohnungen (in %) Eigentum Niedrige Miete Ausstattung der Wohnung, Komfort Bewegungsfreiheit (barrierefrei) Ruhige Lage, schöne Aussicht, Grünflächen in der Nähe, Balkon Gute Nachbarschaft, Nähe zur Familie, Lange Verweildauer Nennungen insgesamt (absolut) Derzeitige Wohnung 26 3 18 10 Wohnung nach Umzug 27 12 4 147 35 3 30 24 62 Ein zweites Drittel hob die bereits jetzt komfortable Ausstattung der Wohnung und ihre Barrierefreiheit hervor, d.h. die Tatsache, dass sie 18 66 Sie haben weder beim Gehen noch beim Treppensteigen irgendwelche Probleme. 4% der Befragten sagten, beim Gehen, 6% beim Treppensteigen erhebliche Probleme zu haben. in vollem Umfang den Bedürfnissen, die man zumindest zum Zeitpunkt der Erhebung hatte, entspricht. Eine dritte Gruppe nannte die schöne Lage, die Nähe von Grünflächen oder das Vorhandensein eines Balkons als besonders attraktiv. Damit tritt ein Gesichtspunkt in den Vordergrund, der eine vermittelnde Stellung zwischen den rein wohnungsbezogenen und den umfeldbezogenen Kriterien darstellt. Er zeigt aber, wie wichtig es ist, auch für das Wohlbefinden innerhalb der Wohnung diese Rahmenbedingungen im Umfeld genießen zu können, gewissermaßen in passiver Form. Diese vermittelnde Rolle zwischen Wohnung und Wohnumfeld übernimmt auch der letzte Punkt, der die Einbindung in das soziale Umfeld umschreibt. Besonders hervorzuheben ist, dass man bei dem Punkt „Familie in der Nähe“ in erster Linie an die Nähe der Kinder denkt, d.h. ein generationsübergreifender Aspekt von Bedeutung ist. Gut die Hälfte der befragten Personen haben Kinder in Aachen, ein Fünftel sogar innerhalb der Viertel, in denen die Befragungen stattfanden (Tab. 2). Der Hinweis auf eine lange Verweildauer in der Wohnung kann in ähnlicher Weise interpretiert werden. In beiden Fällen scheint sich das Bewusstsein, in ein soziales Umfeld integriert zu sein, in sehr hohem Maße auf das Wohlbefinden in den eigenen vier Wänden auszuwirken. Tabelle 2: Anzahl und Wohnorte der Kinder Wohnort der Kinder Gleicher Ortsteil Stadt/Kreis Aachen Bis 100 km 100 – 500 km Über 500 km Insgesamt 1 40 65 29 12 7 153 2 15 34 22 12 17 110 Kind Nr. 3 4 5 6 2 13 5 3 9 4 10 2 1 13 3 4 51 16 8 Insg. 6 2 3 5 7 2 1 3 8 1 1 63 124 74 37 48 345 % 18 36 21 11 14 100 Es wurde darauf hingewiesen, dass die weitaus überwiegende Zahl älterer Menschen zwar in ihren Wohnungen bleiben möchte, aber von einigen auch ein Umzug in Erwägung gezogen wird. Deshalb soll noch ein Blick auf die Anforderungen an eine neue Wohnung geworfen werden. Wie Tabelle 1 zeigt, spielen dann die altersgerechte 67 Ausstattung (54%) sowie die Lagefaktoren (35%) eine noch sehr viel prägnantere Rolle. Überraschen mag, dass der sozialen Einbindung scheinbar keine Bedeutung beigemessen wird. Das ist in sofern zu relativieren, als der Umzug in eine neue Wohnung mit dem Umzug in eine betreute Wohnung verbunden sein soll. Viele Hilfen, die man jetzt durch Nachbarn oder die Familie erhält, wird man dann - so stellen sich die Befragten das vor - durch die Betreuungsdienste erhalten. Auf diesen Themenkomplex wird später noch einmal eingegangen.19 Zunächst sollen jedoch die Vorteile des Wohnumfeldes kurz umrissen werden (Tab. 3). Interessant scheint, dass neben dem allgemeinen Hinweis auf ein angenehmes Umfeld die Ausstattung mit einer Basisinfrastruktur einen besonders hohen Stellenwert einnimmt (32%). Dazu zählt an erster Stelle das Vorhandensein von Geschäften des täglichen und periodischen Bedarfs (Bäcker, Metzger, Lebensmittel, Friseur u.ä.), d.h. die Erreichbarkeit von Dienstleistungen; aber ebenso eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder die Möglichkeit, sich im Umfeld frei bewegen zu können. Nach den Erfahrungen mit den Bewertungskriterien für die Wohnung ist klar, dass natürlich auch für das Wohnumfeld die ruhige Lage im Grünen und die Einbindung in soziale Netzwerke nicht fehlen dürfen. Tabelle 3: Positive Bewertungskriterien für das Wohnumfeld (in %) Angenehmes Umfeld (allgemein) Geschäfte in der Nähe Stadtnähe, gute Verkehrsanbindung Barrierefreies Umfeld Ruhige Lage, schöne Aussicht, Grünflächen in Nähe, Balkon Gute Nachbarschaft, Nähe zur Familie Nennungen insgesamt (absolut) 19 68 Vgl. S. 10f Derzeitiges Umfeld 21 20 5 7 Umfeld nach Umzug 4 7 33 5 29 16 45 2 143 48 Weiterhin ist zu erkennen, dass die Anforderungen an das Wohnumfeld nach einem möglichen Umzug sich auch hier noch deutlicher auf wenige Aspekte konzentrierten. Interessant ist beim Stichwort „Mobilität“, dass dann weniger die Geschäfte in der Nähe als die Stadtnähe insgesamt und ihre gute Erreichbarkeit in den Vordergrund rücken. Das kann einmal als Hinweis darauf gelten, dass man über das doch bescheidene Angebot in einer ehemals unabhängigen Gemeinde Wert auf die vielfältigere Auswahl legt, die das Zentrum der Großstadt bietet. Zum anderen dürfte hier die noch gute Beweglichkeit der Probanden eine Rolle spielen.20 4.2 Anforderungen an ein „Betreutes Wohnen“ Nach diesen einleitenden Analysen zur Wohnsituation soll nun untersucht werden, was sich ältere Menschen über die genannten Aspekte hinaus unter einem altersgerechten Wohnen vorstellen und welche Erwartungen sie an den Begriff des „Betreuten Wohnens“ knüpfen. Dazu wurde in zwei Schritten vorgegangen. Zunächst sollten die Befragten spontan erläutern, was sie sich unter einem Betreuten Wohnen vorstellen. Besonders interessant ist der große Anteil derjenigen, die mit „Betreuung zu Hause“ geantwortet haben und zwar „dort, wo ich jetzt wohne“ (Tab. 4). Zusammen mit denjenigen, für die Betreutes Wohnen „Hilfe bei Bedarf“ und „karitative Hilfe“ - immer unter dem Gesichtspunkt „bei mir Zuhause“ – ist, wünschten sich 62% der Probanden ein Betreutes Wohnen „in den jetzigen, eigenen vier Wänden“. Nur 16% der Befragten stellten sich unter Betreutem Wohnen ein Wohnen in einer Wohnanlage vor, weitere 14% das Leben in einem Altenheim, zwei Alternativen, die mit einem Umzug verbunden sind. Diese Werte korrelieren in auffälliger Weise mit denjenigen, die sich auf die Bereitschaft der älteren Bevölkerung in der BRD zu einem Wohnungswechsel beziehen.21 20 21 Vgl. Kap. 3 Vgl. Kap. 1 69 Tabelle 4: Vorstellungen älterer Menschen vom Betreuten Wohnen Betreuung zu Hause Hilfe bei Bedarf in meiner jetzigen Wohnung Caritative Hilfe in meiner jetzigen Wohnung Wohnen in einer Anlage (mit Umzug) Wohnen im Altersheim Sonstiges Insgesamt Absolut 34 % 27 30 16 20 18 10 23 12 16 14 8 128 100 Anschließend wurden den Befragten rund 30 verschiedene Serviceleistungen vorgelegt.22 Sie sollten nun zwei Entscheidungen treffen: 1. 2. Welcher Service soll in der Wohnung angeboten werden, welcher nicht? Welche Wichtigkeit kommt diesem Service zu? Hier war ein Wert zwischen 1 (höchste Priorität) und 4 (niedrigste Priorität) anzugeben. Wie Abbildung 3 zeigt, kann anhand dieser beiden Kriterien sehr deutlich zwischen verschiedenen Gruppen von Diensten differenziert werden. In eine erste Gruppe fallen Dienste, die von vielen Befragten sowohl als gewünscht, als auch mit höchster Priorität versehen worden sind (beide Säulen sind hoch). Andere Serviceleistungen wurden zwar von vielen gewünscht, aber ihnen wurde nur von wenigen eine hohe Priorität zugebilligt (linke Säule hoch, rechte niedrig). Und eine weitere Gruppe von Diensten ist dadurch gekennzeichnet, dass sie von wenigen gewünscht und gleichzeitig von wenigen die höchste Priorität erhalten haben (beide Säulen sind niedrig). Die Bewertung der einzelnen Dienste in einer Rangfolge ergab sich nun anhand eines Indexes, der aus der Summe von Wunsch und Priorität gebildet wurde. Die Gruppenbildung erfolgte innerhalb dieser Rangfolge durch das Verhältnis von Wunsch und Priorität. 22 70 Vgl. Anlage 1 0 Grünanlagen Grünanlagen pflegen pflegen Besuchsdienst Besuchsdienst Nagelpflege Nagelpflege Behördengänge Behördengänge gewünscht höchste Priorität Winterdienst Winterdienst Waschen Waschen Fahrdienst Fahrdienst WohnungsWohnungsreinigung reinigung Essensdienst Essensdienst Möglichkeit Möglichkeit Notruf Notruf Pflege Pflege bei bei Krankheit Krankheit Abb. 3: Gewünschte Serviceleistungen für das Betreute Wohnen (Nennungen in %) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 71 In die erste Gruppe mit den höchsten Anteilen von Wunsch und Priorität fällt die Möglichkeit, bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit gepflegt zu werden. Viele der Befragten ließen sich dabei von der Vorstellung leiten, auf diese Weise einen Umzug in ein Altenheim so weit wie möglich verhindern zu können. Der Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes wäre eine erste Möglichkeit, diesem Anliegen zu entsprechen. Praktisch gleichwertig ist der Wunsch, im Notfall Hilfe abrufen zu können. In diesem Zusammenhang ist es von zentralem Interesse zu wissen, wie nach der Vorstellung der Befragten die Möglichkeit eines Notrufes organisiert sein soll. Deshalb wurde dieser Frage genauer nachgegangen und erkundet, welche Kennzeichen für einen Ansprechpartner gelten sollten. Das Ergebnis ist erstaunlich (Abb. 4): 65% der Befragten möchten zwar einen festen Ansprechpartner haben, aber nur 31% meinen, dass dieser rund um die Uhr erreichbar sein soll. Und für lediglich 16% sollte der Ansprechpartner innerhalb des Hauses erreichbar sein! Das ist eine klare Absage an Wohnanlagen, die eine Betreuung rund um die Uhr im Haus vorhalten. Dieser Service ist wegen der dadurch entstehenden Personalkosten nicht nur sehr teuer, er stellt diesem Ergebnis nach auch eine völlige Überversorgung der Bewohner dar – ebenso wie die prophylaktische Installation eines Hausnotrufsystems. Abbildung 4: Die Erreichbarkeit des Ansprechpartners (in %) % 70 65 60 50 40 31 30 16 20 10 0 Soll vorhanden sein Erreichbarkeit 24 Std. Im Haus erreichbar Eine zweite wichtige Serviceleistung bezieht sich auf die Essensversorgung. Für 75% der Befragten sollte dabei das Essen im Rahmen 72 des „Essens auf Rädern“ nach Hause geliefert werden. Nur 25% konnten sich einen stadtviertelbezogen stationären Mittagstisch vorstellen, der die Möglichkeit bieten würde, einer Vereinsamung älterer Menschen in ihrer Wohnung entgegenzuwirken.23 Die Dienste mit geringerer Anzahl von Nennungen und geringeren Prioritäten umfassen Arbeiten wie Waschen, Fenster putzen, Winterdienst, Putzen des Treppenhauses und die Erledigung von Behördengängen. Es handelt sich hierbei also vorwiegend um die Verrichtung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten, wie sie von Mobilen Sozialen Diensten angeboten werden. Erstaunlich für die letzte Gruppe von Diensten mit Nagelpflege, Begleitdienst, Besuchsdienst, Kochen und die Pflege von Grünanlagen ist, dass die Begleit- und Besuchsdienste so weit hinten in den Wünschen der Befragten angesiedelt sind. Diese geringe Bewertung steht schließlich in keinem Verhältnis zu dem Stellenwert, dem die Einbindung in das soziale Umfeld für die Befragten bei der Analyse von Wohnung und Wohnumfeld zukam. Offensichtlich gehört die Einbindung in ein soziales Umfeld nun doch zur privaten Sphäre und kann und soll nicht durch Dienstleistungserbringer ersetzt werden. Fasst man die Ergebnisse zusammen, kommt man zu den folgenden Kriterien für ein bedarfsgerechtes Wohnen im Alter (Übersicht 1): Übersicht 1: Bedarfsgerechtes Wohnen im Alter Anspruch an die Wohnung 1. 2. 3. Verbleib in der eigenen Wohnung Altersgerechte Ausstattung der Wohnung Möglichkeit, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen (Vorhandensein eines festen Ansprechpartners zu den Dienstzeiten, Hauswirtschaft, Pflege) Anspruch an das Wohnumfeld 4. 5. 6. 23 Gute Nachbarschaft Ausreichende Infrastruktur in der Umgebung (Geschäfte, ÖPNV, Grünflächen) Bei Umzug: Umzugshilfe Diese Form der Essensversorgung wird deshalb von der Leitstelle „Älter werden in Aachen“ besonders propagiert. 73 Von besonderer Bedeutung ist, dass die Möglichkeit besteht, in der eigenen Wohnung bleiben zu können. Voraussetzung hierfür ist aber, dass diese Wohnung altersgerecht ausgestattet ist und man hier eine Reihe von Serviceleistungen – in erster Linie einen festen Ansprechpartner im Bedarfsfall, Hauswirtschaft und Pflege - in Anspruch nehmen kann. Wichtig ist weiterhin, dass der ältere Mensch in ein positives soziales Umfeld eingebettet ist und er Zugang zu einer ausreichenden Basisinfrastruktur in der Umgebung hat. Ist schließlich ein Wohnungswechsel unvermeidbar, so soll dieser Umzug durch eine Umzugshilfe begleitet werden können. 5. Ableitung eines Konzeptes für ein Betreutes Wohnen ohne Umzug Anhand der beschriebenen Kriterien kann nun ein Konzept für ein Betreutes Wohnen ohne Umzug abgeleitet werden. Der Verbleib in der eigenen Wohnung bei gleichzeitiger Verbindlichkeit, einen festen Ansprechpartner zur Verfügung zu haben, ist dadurch sicher zu stellen, dass zwischen dem interessierten Bewohner und einem Anbieter des Betreuungskonzeptes ein Betreuungsvertrag abgeschlossen wird.24 Dadurch erhält der Bewohner die von ihm gewünschte Sicherheit zu wissen, an wen er sich im Notfall wenden kann. In diesem Betreuungsvertrag sollte sich der Anbieter im Sinne eines Minimalangebotes zumindest zu den folgenden vier Dienstleistungen verpflichten: 1. Als Ansprechpartner während der regulären Dienstzeiten zur Verfügung stehen 2. Über Aktivitäten im Stadtviertel für ältere Menschen oder zum Thema Alter informieren25 24 25 74 Vgl. das Muster für einen Betreuungsvertrag in Anlage 2 In Aachen kann dabei u.a. auf die Publikationen der Leitstelle “Älter werden in Aachen” zurückgegriffen werden. So erscheint ½ jährlich die Broschüre „Wir machen mit!“, in der die Freizeit- und Fortbildungsveranstaltungen aller Fortbildungsträger insgesamt und auf Stadtviertelebene bezogen zusammengestellt sind. 3. Hilfe leisten in organisatorischen Dingen auf Anfrage, insbesondere bei der Vermittlung von Hilfen in den Bereichen Hauswirtschaft und Pflege 4. Monatlich einen Hausbesuch durchführen Gerade der letzte Punkt erscheint von besonderer Bedeutung. Denn durch den monatlichen Hausbesuch soll zum einen sichergestellt werden, dass sich der ältere Mensch tatsächlich in einem sozialen Netzwerk aufgehoben fühlt, das auch persönlichen Charakter hat. Dadurch wird ein Vertrauensverhältnis geschaffen, das den Bewohner im Bedarfsfall nicht in ein „schwarzes Loch“ fallen lässt. Vielmehr weiß er - ebenso wie die betreuende Institution - bereits im Vorfeld, mit wem er es zu tun haben wird. Zudem erlaubt es der Hausbesuch, das Wohlbefinden eines älteren Menschen und seine Entwicklung durch eine externe Fachkraft zu beurteilen. Hierdurch lässt sich verhindern, dass der Zeitpunkt, zu dem eine Unterstützung für einen älteren Menschen geboten erscheint, verpasst wird und es ggf. zu Vereinsamung oder sogar zu Verwahrlosung kommt. Als Anbieter für ein derartiges Betreuungskonzept sind verschiedene Institutionstypen denkbar. Primär ist hier an Mobile Soziale Dienste oder Sozialstationen zu denken, die ohnehin hauswirtschaftliche oder ambulante pflegerische Hilfen anbieten. Im Unterschied zu deren traditionellen Einsätzen ist das Betreuungsangebot jedoch ein prophylaktischer Einsatz ohne die Möglichkeit, diesen bereits von Beginn an über Pflegeleistungen gewinnbringend abrechnen zu können. Andererseits werden besondere Vorteile darin gesehen, über das Angebot des Betreuungspaketes zukünftige Kunden an sich zu binden, denen im Bedarfsfall dann natürlich die eigenen (abrechnungsfähigen) Dienstleistungen angeboten werden können. Als vorteilhaft wird – im Rahmen der Wohlfahrtspflege – weiterhin gewertet, den karitativen Charakter der präventiven Dienstleistung unterstreichen zu können. Gerade dieser karitative Gesichtspunkt erhält einen besonderen Stellenwert, wenn Beratungsstellen, Besuchsdienste oder Einrichtungen der Kirchengemeinden das Betreuungspaket anbieten. Da diese nämlich nicht gleichzeitig Anbieter hauswirtschaftlicher oder pflegerischer ambulanter Dienste sind, entfällt für sie die Möglichkeit, aus den anfangs investitionsintensiven Kunden in Zukunft lukrative „abrechnungsfähige“ Kunden zu bekommen. Der Schwerpunkt der 75 Tätigkeit liegt hier vielmehr ausschließlich auf der persönlichen Kontaktebene. Für den Kunden liegt dabei ein besonderer Vorteil darin, sicher sein zu können, nicht früher als vielleicht notwendig eine (abrechnungsfähige) Dienstleistung aufgedrängt zu bekommen - aus wirtschaftlichen Gründen für den Anbieter. Prinzipiell ist der Einsatz von Ehrenamtlern für einen Teil der Hausbesuche denkbar. Voraussetzung dafür muss dann aber eine ausreichende Vorbereitung und Begleitung der Mitglieder der Dienste sein. Jeder dritte oder vierte Einsatz sollte dennoch durch eine professionelle Fachkraft durchgeführt werden, so dass sich eine sinnvolle Ergänzung von Ehrenamt und professioneller Tätigkeit ergibt. Das Konzept versteht sich als ein Minimalkonzept, das dem Sicherheitsbedürfnis älterer Menschen entspricht, ohne eine Überversorgung herbeizuführen. Bei Bedarf lässt sich der Leistungskatalog im Einvernehmen zwischen Bewohner und Anbieter im Laufe der Zeit erweitern oder ggf. auch wieder einschränken. Ergänzt wird das Konzept in Aachen durch vier Angebote der kommunalen Leitstelle „Älter werden in Aachen“: 1. Wohnungsanpassung Unter Wohnungsanpassung sind Änderungen an der Bausubstanz, Maßnahmen an Einrichtungsgegenständen und die Beschaffung von Hilfsmitteln zu verstehen26. Das Angebot richtet sich an Bewohner von Miet- oder Genossenschaftswohnungen und private Eigentümer im selbstgenutzten Wohnraum, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und wegen Altersbeschwerden oder Pflegebedürftigkeit einer gezielten Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse bedürfen. Die Beratung ist kostenfrei. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Maßnahmen durch die Stadt Aachen zu finanzieren bzw. einen Zuschuss zu den Kosten zu erhalten27. Die Höhe des Zuschusses richtet sich nach Einkommen und Vermögen des Antragstellers. 26 27 76 Z.B. Einbau und Umbau eines Bades, Verbreiterung des Türdurchgangs, Einbau von Geräten zur Warmwasserbereitung, Erhöhung der Sitzmöbel, Beschaffung eines Wannenliftes u.ä. Dazu stehen in der Stadt Aachen Haushaltsmittel in Höhe von 100.000,-DM jährlich zur Verfügung 2. Wohnungstausch Lässt sich eine Wohnung nicht anpassen, ist eine Anpassung unangebracht28 oder wird der Bezug einer neuen Wohnung gewünscht, können Organisation, Vorbereitung und Durchführung eines Umzugs unterstützt werden.29 Die Hilfen sind kostenfrei. 3. Finanzielle Hilfen zu Installation und Betrieb von Hausnotrufsystemen In Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen können finanzielle Hilfen zu Installation und Betrieb eines Hausnotrufsystems gewährt werden. 4. Information und Beratung durch das städtische Seniorentelefon Unabhängig von der unmittelbaren Betreuung durch den Anbieter kann jeder Bürger der Stadt Aachen sich zu allen Fragen rund um das Älterwerden beim städtischen Seniorentelefon informieren und beraten lassen. 6. Kosten und Finanzierung in Aachen Ziel bei der Entwicklung des Konzept für ein Betreutes Wohnen ohne Umzug war es in Aachen, ein Angebot zu schaffen, das auch allen Personen mit geringem Einkommen offen steht und von ihnen genutzt werden kann. Deshalb wurde eine Kostenpauschale für die Betreuung in Höhe von 30,00 DM im Monat angesetzt, die vom Bewohner an den Anbieter zu zahlen ist. Für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt ist eine Finanzierung der Pauschale – soweit sie 30,- DM monatlich nicht übersteigt – nach dem Bundessozialhilfegesetz möglich (BSHG § 23 Abs. 1, ggf. mit Aufstockung des Mehrbedarfs über die vorgesehenen 20% des maßgebenden Regelsatzes). 28 29 Das kann z.B. der Fall sein, wenn eine Wohnung in der dritten Etage eines Hauses ohne Aufzug liegt und der Bewohner keine Treppen mehr steigen kann. Die Hilfen umfassen z.B. Hausbesuche, Analysen des Wohnumfeldes, Suche einer neuen Wohnung mit Besichtigungen, Gespräche mit Vermietern, Nachmietersuche, Planung des Umzugs, Einholen von Kostenvoranschlägen, Ummeldung von Strom und Gas, Mitteilungen an Behörden o.ä. 77 Zudem wurde in Absprache mit dem Wohnungsamt der Stadt Aachen vereinbart, dass die Betreuungspauschale - soweit sie 30,00 DM monatlich nicht übersteigt - bei der Kalkulation des Wohngeldes nicht angerechnet wird. Damit sind in Aachen die wichtigsten Komponenten, die sich bei der Befragung ergeben haben, im Konzept kostengünstig berücksichtigt: - Die Möglichkeit, in der eigenen Wohnung bleiben zu können bei gleichzeitiger Anpassung oder Gestaltung/ Herrichtung der Wohnung an die Bedürfnisse älterer Menschen. - Über den Abschluss eines Betreuungsvertrages die Sicherheit zu gewähren, die ältere Menschen suchen. - Durch die Vermeidung einer Überversorgung ein Angebot zu schaffen, das für jeden erschwinglich, gleichzeitig aber flexibel und erweiterbar ist. 7. Erste Erfahrungen mit der Umsetzung des Konzeptes in Aachen Die Umsetzung des Konzeptes eines Betreuten Wohnens ohne Umzug ist in Aachen zunächst nur zögerlich angelaufen. Die Sozialstationen der Wohlfahrtspflege haben bisher noch keine Betreuungen übernommen. Wichtigstes Argument sind für sie die Kosten für den monatlichen Hausbesuch, die durch die Kostenbeteiligung der Interessenten in Höhe von 30,- DM nicht abgedeckt werden können. Die Möglichkeit, über das Angebot zukünftige Kunden an sich zu binden, wird von den Aachener Sozialstationen der Wohlfahrtspflege so nicht bewertet. Inzwischen werden aber Überlegungen angestellt, durch den kombinierten Einsatz von Ehrenamtlern und Professionellen für den Besuchsdienst in das Konzept einzusteigen. Im Unterschied dazu hat eine private Sozialstation bereits sehr gute Erfahrungen mit dem Konzept gemacht. Innerhalb des letzten Jahres wurden insgesamt acht Personen von ihr begleitet. Von diesen sind vier später in die ambulante Pflege der Sozialstation übernommen worden. Nach Auskunft des Leiters der Station hat sich der ursprüngliche Einsatz damit auch wirtschaftlich gelohnt. 78 Wichtig war für diesen Einsatzleiter, die monatlichen prophylaktischen Besuche selbst durchzuführen und nicht an MitarbeiterInnen zu delegieren. Dadurch hat sich ein für ihn wertvolles Vertrauensverhältnis gebildet, das nicht nur für die älteren Menschen, sondern auch für den Einsatzleiter von Vorteil war, erlaubte es diesem doch, die im Laufe der Zeit notwendig werdenden Einsätze im Voraus zu planen. Interesse an der Umsetzung des Konzeptes wird nun auch von einigen Mobilen Sozialen Diensten signalisiert. Die Eigenbeteiligung der Interessenten wird zwar auch von diesen als nicht kostendeckend gesehen, zumal die monatlichen Besuche von der jeweiligen Einsatzleitung bzw. ihrer Vertretung durchgeführt werden sollen. Für die Dienste entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass eine Reihe von älteren Menschen ohnedies zu einem Zeitpunkt mit den MSD in Kontakt treten und dann auch besucht werden, zu dem ein hauswirtschaftlicher Hilfebedarf eigentlich noch nicht vorhanden ist. Das Betreute Wohnen ohne Umzug würde diesem Bedarf in vollem Umfang entsprechen. Eine weitere viel versprechende Alternative bildet die Anbindung des Betreuungsdienstes an eine stadtviertelbezogene Beratungsstelle.30 Im konkreten Fall bildet die Beratungsstelle ein Teilangebot eines Vereins (Altenarbeit in Forst e.V.31), in dem alle im Viertel in der Altenarbeit tätigen Institutionen sowie Ehrenamtler zusammengeschlossen sind.32 Die Beratungsstelle wird trägerübergreifend finanziert. Derzeit (März 2000) liegen vier Anträge von älteren Menschen vor, die an dem Betreuungskonzept teilnehmen möchten. Der Besuchsdienst soll in einer Kombination von Ehrenamtlern und Professionellen und unter Ausnutzung aller im Verein zusammengeschlossenen 30 31 32 Forster Seniorenberatung Weitere Angebote des Vereins sind: Kontaktstelle mit Frühstückstreff, Begleitung ehrenamtlich Tätiger im Viertel, Organisation von Fortbildungsveranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Aachen Zum Trägerverein gehören: Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land (einschl. Sozialstation), Deutsches Rotes Kreuz, Ev. Kirchengemeinde Aachen (Begegnungsstätten, Sonntagsküche), ein privates Altenheim, ein Altenheim eines Ordens, zwei katholische Pfarrgemeinden (drei Begegnungsstätten, Kranken-Besuchsdienst), Sozialdienst Katholischer Männer e.V. und das Sozialwerk Aachener Christen e.V. (Mobiler Sozialer Dienst) 79 Kompetenzen organisiert werden. Der Verein ist sich im klaren darüber, dass eine Kostendeckung nicht zu erreichen ist. Er hält das Angebot für seine Arbeit im Stadtviertel aber für so wichtig, dass er es dennoch unterbreiten möchte. 8. Perspektiven Das Angebot eines Betreuten Wohnens ohne Umzug wird in Aachen eine weitere Akzeptanz finden können, wenn die Öffentlichkeitsarbeit für dieses Projekt intensiviert wird. Die bisher eingebundenen Institutionen sind daran sehr interessiert, sodass eine gemeinsame trägerübergreifende Öffentlichkeitsarbeit in Erwägung gezogen werden kann. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das Konzept in die richtige Richtung weist. So sind nach seiner Veröffentlichung in den Fachzeitschriften „Forum Sozialstation“33 und „Pro Alter“34 inzwischen 41 Pflegedienste, Verbände und Kommunen aus der ganzen Bundesrepublik an die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ herangetreten, um zusätzliche Informationen zu dem Angebot zu erhalten, die eine Umsetzung vorbereiten helfen sollen. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Vorhaben auch in diesen Regionen auf fruchtbaren Boden fällt. 33 34 80 Köster, G.: Betreut Wohnen – aber wie? In: Forum Sozialstation, Nr. 96, Bonn, Februar 1999, S. 60-62 Kremer-Preiß, U.: Betreutes Wohnen ohne Umzug. In: Kuratorium Deutsche Altershilfe, Pro Alter 4, Köln 1999, S. 80-81 Diskussion Joachimsthaler: Vielen Dank, Herr Dr. Köster. Ich glaube, wir haben als Koordinierungsstelle Halle davon viele Anregungen mitbekommen, ich habe auch heftig mitgeschrieben. Das sind doch Ideen, die man auch hier probieren könnte – gerade für den kleinen Geldbeutel. Teilnehmerin: Mich interessiert noch ein Punkt, der angesprochen, aber nicht erläutert wurde. Und zwar hatten Sie gesagt, Sie hätten eine „aktivierende Befragung“ gemacht, und dieser Aspekt würde mich noch mal – zumindest kurz – interessieren. Köster: Innerhalb unserer Befragung versuchen wir (während der Befragungssituation oder meistens im Anschluss an diese Befragungssituation), den älteren Leuten die Angebote, die es in der Stadt Aachen gibt, vorzustellen. Die Befrager haben immer ein ganzes Paket an Broschüren mit, etwa die Broschüre „Einrichtungen der Altenarbeit“, wo alle Institutionen, die in der Altenarbeit engagiert sind, von wenig Hilfe – sprich Beratung, Kommunikation, Begegnungsstätten – über Wohnen, Wohnungsanpassung, über ambulante Hilfen zu Hause bis zu stationären Hilfen mit Ansprechpartnern, mit Telefonnummern, mit Öffnungszeiten/ Besonderheiten verzeichnet sind, sodass man sich frühzeitig darüber informieren kann, um was es geht. Wir haben z.B. die Broschüre „Wir machen mit“, Freizeitund Fortbildungsangebote, die ich eben schon genannt hatte. Dieses Heft wird zweimal im Jahr herausgegeben, und hier fassen wir alles zusammen, was in Aachen von Bildungsträgern, an Angeboten speziell für ältere Menschen oder zum Thema ältere Menschen gemacht wird. Also von Führungen über Gedächtnistraining, Französisch für 50+ oder einfach Fahrten, geselliges Beisammensein; alles einmal nach Sachgebieten und einmal nach Stadtvierteln geordnet, um einen stadtviertelbezogenen Ansatz miteinzubeziehen. Für mich in der Planung und in der Koordination von Altenarbeit sind auch Informationen über den Senioren-Beirat wichtig, weil ich über den Senioren-Beirat die Möglichkeit habe, die Interessen älterer Menschen unmittelbar auch selber herauszubekommen. Wenn ich also eine örtliche „Arbeitsgemeinschaft Altenarbeit“ einberufe, dann ist es normalerweise einfach, die Institutionen 81 an einen Tisch zu bekommen, aber wie soll ich den älteren Menschen an den Tisch bekommen? Dadurch habe ich hier die Möglichkeit, das Ganze zu machen. Desweiteren unsere Broschüren „Wohnungsanpassung“, „Wohnungstausch“ - was machen wir? In was für einem Umfang machen wir das? An wen kann man sich wenden? Wie wird so etwas finanziert? bzw. unsere zentrale Informations- und Beratungsstelle, das „Senioren-Telefon“, wo man alle Fragen rund um das Älterwerden einholen kann. Oder, was wir jetzt neuerdings – seit einem Jahr – haben: unsere Hotline „Freie Plätze in der Pflege“, wo alle Einrichtungen, die Pflege anbieten (Kurzzeitpflege, vollstationäre Pflege oder ambulante Pflege) morgens bis 10.00 Uhr in der Leitstelle per Telefon oder Fax ihre freien Kapazitäten melden können, und wir um 11.00 Uhr ein Band besprechen mit allem, was an freien Kapazitäten gemeldet wird - das man dann rund um die Uhr und auch am Wochenende abhören kann. Also das wären alles Informationen und Broschüren, die wir dann den älteren Menschen bei der Befragung auch überreichen – kurz erläutern, was das ist und was man damit machen kann. Dadurch, glaube ich, kann man auch eine gewisse Angst nehmen: Was passiert denn im Fall x, wenn jetzt ich oder mein Nachbar oder mein Ehepartner pflegebedürftig wird? Dass man auf jeden Fall schon mal weiß: Da gibt es eine Institution, die mir helfen kann. Das ist für uns die Idee, diese Information zu geben, auch z.B. Information darüber zu geben, wo und wie man sich ehrenamtlich engagieren kann. Teilnehmerin: Ich habe aufgenommen, dass Sie nicht ganz zufrieden sind mit der Umsetzung Ihres Konzeptes - und habe nicht ganz verstanden, woran das liegt. Liegt das an den Sozialstationen, die nicht bereit sind, für diese 30 DM-Pauschale da einzusteigen oder liegt es doch an den Älteren, die sagen: „Ich brauche auch dieses Minimalkonzept nicht.“ Wie wird Ihre Idee an die Älteren herangetragen, erreichen Sie praktisch nur die, die in Ihre Leitstelle kommen, oder arbeiten Sie z.B. mit Vermietern zusammen? Köster: Ich weiß auch nicht, woran es hakt. Es hakt sicherlich einmal daran, dass die Sozialstationen sagen: für 30 DM kann ich keine Fachkraft rausschicken – das ist zu teuer. Sie akzeptieren auch das Argument nicht, dass es auch subventionierte Öffentlichkeitsarbeit ist. 82 Weswegen es auch wenig angenommen wird, ist Folgendes: Wir arbeiten in einer Koordinationsstelle für Altenarbeit. Ich kann, wenn bestimmte Anbietergruppen das Konzept in Aachen blockieren, nicht an die Presse gehen und sagen: Das ist unser Konzept, wer möchte da mitmachen? Dann habe ich gleich diesen Anbieterblock gegen mich, das kann ich mir als Koordinationsstelle nicht leisten. Es ist eine leichte Gratwanderung. Wie gesagt: Über die Angebote bei den eingestreuten Altenwohnungen bin ich guten Mutes, dass sich zumindest ein Teil der Anbieter aus der Wohlfahrtspflege in diesem Fall auch mit diesem System anfreunden könnte; denn das ist genau unser Konzept, was sie dort anwenden. Ich fände es ganz schön, wenn z.B. die privaten Anbieter, die eigentlich geschlossen dahinter stehen, von sich aus an die Öffentlichkeit treten und sagen, welche Erfahrungen sie gemacht haben. Ich kann das nicht. Wie erreicht man die älteren Leute? Einmal ist dieses Konzept hier in unserem Leitfaden, in unserer „Bibel“, beschrieben. Dann kriegen wir beim Senioren-Telefon sehr viele Anfragen zum Betreuten Wohnen, weil es en vogue ist. Dort informieren wir über die Institutionen und Häuser, die speziell für Betreutes Wohnen errichtet worden sind. Wir verschicken aber darüber hinaus auch immer die Liste der Sozialstationen inkl. Konzept, die an diesem Konzept teilnehmen. Für mich ist aber verwunderlich, dass bisher so wenige ältere Leute sich dann ihrerseits an die Sozialstationen wenden, und sagen: Das möchte ich ganz gerne machen. Also das hakt noch, aber wie gesagt: In den letzten 10 Jahren gab es immer Höhen und Tiefen in der Koordination von Altenarbeit. Das ist jetzt eine Teiltiefe und ich hoffe, dass ich die demnächst auch überwinden kann. Joachimsthaler: Vielleicht können wir das morgen noch in den Arbeitsgruppen vertiefen. Gerade das ist ja ein Thema, denke ich, was viele interessiert. Die nächsten Vorträge beschreiben die Situation bei uns in Halle. Ich werde kurz den Senioren-Kreativ-Verein und die Arbeit der Koordinierungsstelle Halle vorstellen. Anschließend wird Frau Engel die Forschungsergebnisse der Befragung in Halle-Trotha vorstellen. Herr Potthoff wird dann im Anschluss die aktuelle Situation in Trotha darstellen: Die Ansätze zur Weiterentwicklung und die Professionalisierung der Dienstleistungsstruktur. Wir fassen das dann zusammen und werden im Anschluss daran nach Trotha ins Wohnprojekt fahren. 83 Service-Wohnen in Halle-Trotha Entwicklung des Senioren-Kreativ-Vereins und Vorstellung der Mitarbeiter/innen der Koordinierungsstelle Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle Der Senioren-Kreativ-Verein wurde 1993 als Kulturverein – hauptsächlich für ältere Bürger – in Halle gegründet. Zweck des Vereins ist die Förderung der kulturellen, sozio-kulturellen und kreativen Betätigung älterer Menschen; ihnen Möglichkeiten für Aktivitäten, Kommunikation und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Von Anfang an haben wir die Förderung generationsübergreifender Projekte als ein wesentliches Vereinsziel formuliert, weil die Arbeit nur für ältere Menschen ein Beitrag dazu ist, sie zu isolieren. Der Senioren-Kreativ-Verein ist auf Grund dieser Aktivitäten auch anerkannter Träger der freien Jugendarbeit. Im Prozess der Arbeit über mehrere Jahre stieß unser Verein auf das Phänomen, dass Kulturarbeit nicht losgelöst von Sozialarbeit betrachtet werden kann. Wir bemühen uns deshalb um eine ganzheitliche Betrachtungsweise mit dem Ziel einer vernünftigen Selbstbestimmung. Deshalb haben wir unsere kreativen und kulturellen Angebote mit sozialen Projekten verknüpft. Seit 1994 betreibt der Verein Begegnungsstätten in Stadtgebieten von Halle und dabei überwiegend in den von Frau Szabados erwähnten großen Neubaugebieten, die in der Infrastruktur doch wesentlich vernachlässigt sind. Das ist einmal auf der Silberhöhe die „Schöpfkelle“; in Heide-Nord das „Schöpfwerk“ und in Halle-Trotha die Begegnungsstätte „Delta“ in Zusammenarbeit mit dem Wohnprojekt dort. 1997 haben wir noch die Begegnungsstätte „Drogerie“ in einem ganz kleinen Stadtteil „frohe Zukunft“ eröffnet. Diese Begegnungsstätten tragen wesentlich zur Verbesserung des Wohnklimas bei, weil sie in diesen traditionellen Schlaf- und Wohngebieten Kulturangebote machen, Betätigungsangebote für sinnstiftende Freizeitangebote unterbreiten und Möglichkeiten geben, sich zu betätigen. Wir versuchen auch Randgruppen, sowohl Senioren, aber auch Vorruheständler, ältere Arbeitslose und Jugendliche, zu integrieren. Der Senioren-Kreativ-Verein hat eine Jugendfreizeiteinrichtung in freier Trägerschaft, die ebenfalls in der Silberhöhe ist. 85 In den Begegnungsstätten findet ein reger Kontakt zwischen den Generationen statt, weil die Räumlichkeiten sowohl von jungen wie von älteren Menschen genutzt werden. Nicht zuletzt bieten die Begegnungsstätten auch Möglichkeiten für Arbeitsplätze auf dem Zweiten aber auch auf dem Ersten Arbeitsmarkt. Seit 1996 haben wir angefangen, in Halle-Trotha das Wohnprojekt aufzubauen – worauf ich aber jetzt nicht näher eingehen möchte. 1995 und 1997 wurde der Senioren-Kreativ-Verein mit Bundespreisen ausgezeichnet. Zum einen in dem Wettbewerb „Solidarität der Generationen“, und ‘97 in dem Wettbewerb „Spiel, Sport und Bewegung im Alter“. Der Senioren-Kreativ-Verein ist Träger von 10 Kindertagesstätten und zwei Horten. Auch hier wollen wir die generationsüberschreitenden Ansätze ausbauen und vertiefen. Das ganz kurz zum Verein. Nun noch zur Koordinierungsstelle: Seit August ’98 arbeiten wir in dem Bundesmodellprojekt mit. Wir haben unsere Arbeit in drei Teilbereiche eingeteilt: • Einmal das Wohnprojekt Trotha, wo Frau Dohndorf die Leiterin ist. Wir wollen versuchen, dieses Modell auf standhafte Füße zu stellen, Weiterentwicklungen zu suchen (auch in die Richtung, die Herr Dr. Köster eben dargestellt hat), einen Konsens zu finden zwischen den Bedürfnissen nach Dienstleistung und dem kleinen Geldbeutel, der doch bestimmte Zusatzleistungen nicht bezahlbar macht. Es ist ein Modell, wo ältere Leute, die einen Wohnberechtigungsschein und geringe finanzielle Möglichkeiten haben, auf Grund der Lage dort wohnen. Wir möchten erreichen, dass auch diese Menschen ein Service-Wohnen haben. • Der zweite Teil ist die Beratungsstelle für Wohnraumanpassung, die leitet Frau Winter. Die Ziele der Wohnraumanpassung wurden ja ausgiebig in Kassel diskutiert. Der Schwerpunkt hier liegt einmal in der individuellen Beratung der Mieter bzw. Eigentümer über Möglichkeiten der Wohnraumanpassung, über Möglichkeiten von Hilfsmitteln, wie man sie erreicht, aber auch, wie man sie finanzieren kann und welche Fördermittel es dafür gibt. Wir bemühen uns, für Rat suchende Bürger Kontakte zur Pflegekasse, Krankenkasse und auch zu den Vermietern herzustellen, um Wohnungsanpassungsmaßnahmen zu ermöglichen. Wesentlich für uns ist es, dass wir in den drei Jahren ein Konzept entwickeln, wie die Wohnberatungsstelle darüber hinaus kostenmäßig arbeiten kann 86 und wie auch Wohnungsgesellschaften und Privatvermieter einen Beitrag dazu leisten können, so eine Finanzierbarkeit durchzuführen. • Der dritte Teilbereich ist die Entwicklung neuer Wohnmodelle in Halle. Wir wollen Anstoß geben, Mehrgenerations-Wohnprojekte oder Senioren-Wohngemeinschaften zu initiieren, aber auch neue Wohnanlagen mit Service für ältere Leute aufzubauen. Geplant ist z.B., im Hafen ein altes Speichergebäude auszubauen. Dazu haben wir einen Arbeitskreis „Wohnfantasien“ gegründet, in dem auch ältere Menschen und Wohnungsgesellschaften mitarbeiten – wo wir zusammen neue Wege suchen wollen. Frau Engel wird jetzt die Ergebnisse einer Befragung in Trotha vorstellen. 87 Bedarfsanalyse zum Service-Wohnen in Halle: Empirische Ergebnisse Dr. Heike Engel, ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Die Koordinierungsstelle in Halle bietet in Trotha neben Beratungen zu Wohnraumanpassungen „Service-Wohnen“ an. Hier leben in drei Häusern insgesamt 368 Personen in 350 Ein- und Zwei-ZimmerWohnungen, wobei 155 (Stand September 1999) Bewohner/innen einen Servicevertrag abgeschlossen haben und derzeit eine Pauschale von 60,- DM für den Grundservice bezahlen. Darüber hinaus werden Zusatzleistungen angeboten, die ermäßigt mit 10,- DM pro Stunde abgerechnet werden, sofern ein Service-Vertrag abgeschlossen wurde. Diese Service-Leistungen werden derzeit zwar mit hohem Personaleinsatz (des 2. Arbeitsmarktes), aber wirtschaftlich nicht tragfähig erbracht. Eine Aufgabe der Koordinierungsstelle ist es deshalb, den Grundservice und die Leistungsstruktur für die (gesondert berechneten) Zusatzleistungen auf eine solide Finanzierungsbasis zu stellen. Eine erfolgreiche Änderung der Angebots- und Preisstruktur bezogen auf den Grundservice und die Zusatzleistungen setzt die Klärung folgender Fragen voraus: • Welche Leistungen werden derzeit von den MitarbeiterInnen des Service-Wohnens erbracht? • Wie groß ist das potentielle Klientel, das an derartigen Zusatzleistungen interessiert ist? • In welchem Umfang werden die Zusatzleistungen voraussichtlich nachgefragt werden? • In welcher Relation steht die Inanspruchnahme dieser Zusatzleistungen zu deren Preis? Wie müssen die Preise kalkuliert sein, um einerseits rentabel und andererseits für die Klienten akzeptabel zu sein? Zur Klärung dieser Fragen soll die derzeitige Betreuungssituation in Trotha analysiert werden. Es wurden hierzu zwei Instrumentarien entworfen, wobei das erste Instrumentarium, die Leistungsdokumentation, der Analyse der derzeitigen Angebotsstruktur dient. Zweitens wurde eine Bewohnerbefragung zur Analyse der Nachfrageseite 89 durchgeführt, wobei hier Wünsche und Zufriedenheit der Bewohner und Bewohnerinnen sowie die Zahlungsbereitschaft für die zu erbringenden Dienstleistungen abgefragt wurden. 1. Die Leistungsdokumentation Zur Dokumentation der Leistungserbringung wurde ein einseitiger Erhebungsbogen entwickelt,35 der in drei Teile gegliedert ist. Zunächst werden die betreuten Bewohner/innen anhand von Alter, Demenz, Pflegestufe sowie Geschlecht beschrieben, und anschließend werden die für diese Bewohner/innen individuell erbrachten Leistungen jeweils in Minutenwerten dokumentiert. Diese individuellen Leistungen werden nach • personenbezogenen Leistungen (getrennt in: leichte Hilfen, Körperpflege, medizinische Hilfen, Beratung und Hilfe bei Anträgen sowie Kommunikation), • haushaltsbezogenen Leistungen (getrennt in: kleinere Handgriffe, Einzelhilfe bei den Mahlzeiten, Wäschedienst sowie Wohnungsreinigung) und • außerhäuslichen Leistungen (getrennt in: kleine Erledigungen, großer Einkauf für eine Person sowie Begleitung einer Person) aufgesplittet. Neben diesen individuellen Leistungen werden auch übergreifende Leistungen erbracht, die im dritten Teil des Erhebungsbogens abgefragt wurden. Hierunter sind sowohl informelle als auch formelle Kommunikation mit KollegInnen, die Tätigkeiten in der Begegnungsstätte, die Erledigungen für mehrere Kunden gleichzeitig, sonstige Tätigkeiten sowie Fahrt- und Gehwege subsumiert. Die Erhebung wurde in Trotha über den Zeitraum von einer Woche durchgeführt: In diesen sieben Tagen wurden insgesamt 51 Dokumentationsbögen erstellt. Von den zwölf MitarbeiterInnen, die in diesem Zeitraum arbeiteten, waren jeden Tag durchschnittlich etwa 7 MitarbeiterInnen im Einsatz, und es wurden insgesamt in 670 Einsätzen 284,5 Stunden erbracht. 35 90 Der Erhebungsbogen ist im Anhang abgedruckt. Abbildung 1: Erbrachte Stundenzahl und Einsätze Stunden Individuelle Leistungen 45,7% Übergreifende Leistungen 54,3% Einsätze Individuelle Leistungen 54,6% Übergreifende Leistungen 45,4% ISG 1999 Diese Leistungen wurden in individuelle Leistungen und übergreifende Leistungen aufgeteilt. Es ist in Abbildung 1 zu sehen, dass die überwiegenden Zeitanteile für übergreifende Leistungen aufgebracht werden, während individuelle Leistungen häufiger erbracht werden. Dies bedeutet, dass die übergreifenden Leistungen zeitintensiver pro Einsatz sind. Eine nähere Betrachtung der übergreifenden Leistungen zeigt, dass für die verschiedenen Tätigkeiten ungefähr die gleiche Anzahl an Einsätzen erbracht wurde (50 bis 51 Einsätze innerhalb der Woche insgesamt). Die Analyse der jeweils aufgewändeten Zeit ergab jedoch, dass die Tätigkeiten in der Begegnungsstätte mit Abstand die meiste Zeit in Anspruch nehmen, und zwar wurden insgesamt 54,7 Stunden an Zeit für die Begegnungsstätte erbracht. Die Kommunikation (formell oder informell) und die Fahrt- und Gehwege nehmen 17 bis 18 Stunden in Anspruch. Für die Erledigungen für mehrere Kunden wird mit nur 10,9 Stunden verhältnismäßig wenig Zeit aufgewändet. Sonstige Leistungen sind ein relativ großer Posten, was deshalb nicht überraschend ist, weil im Tagesverlauf recht häufig Leistungen nebenbei erbracht werden, die nicht genau zugeordnet werden können und dann den sonstigen Leistungen zugeordnet werden. 91 Abbildung 2: Übergreifende Leistungen 51 54,7 Tätigkeiten in der Begegnungstätte Formelle Kommunikation 18,7 Inform elle Kommunikation 18,6 Fahrt-Gehwege 17,8 Erledigungen f. mehrere Kunden 51 50 51 51 10,9 Sonstige Tätigkeiten 0 34 10 20 Einsätze Stunden 30 40 50 50 60 70 ISG 1999 Die Darstellung der individuellen Leistungen erfolgt anhand der haushaltsbezogenen, der personenbezogenen und der außerhäuslichen Leistungen; aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde darauf verzichtet, die individuellen Leistungen nach allen 12 Leistungsarten aufzuteilen. Anhand von Abbildung 3 ist zu erkennen, dass haushaltsbezogene Leistungen am häufigsten erbracht werden und hierfür die meiste Zeit benötigt wird. So werden hier 77,5 Stunden in 195 Einsätzen erbracht, und es bezogen insgesamt 72 Bewohner oder Bewohnerinnen diese Leistungen. Bei etwa gleicher Anzahl der Bewohner/innen, die personenbezogene Leistungen erhalten haben, wurden hier deutlich weniger Stunden (34) in weniger Einsätzen (140) erbracht. Außerhäusliche Leistungen nahmen 26 Bewohner und Bewohnerinnen in Anspruch, und es wurden 17 Stunden an Leistungen erbracht. 92 Abbildung 3: Individuelle Leistungen 72 Haushaltsbezogene Leistungen 195 77,5 BewohnerInnen Einsätze Stunden 71 Personenbezogene Leistungen 140 34,5 26 35 17,8 Außerhäusliche Leistungen 0 50 100 150 200 250 ISG 1999 Auf der Basis dieser Leistungsdokumentation können erste Rückschlüsse auf die notwendige Qualifikation der MitarbeiterInnen gezogen werden: So können beispielsweise außerhäusliche Leistungen sowie Teile der haushaltsbezogenen Leistungen oder Erledigungen für mehrere Personen von Zivildienstleistenden oder entsprechend gering qualifizierten MitarbeiterInnen erbracht werden, während personenbezogene Leistungen von gelernten oder geschulten MitarbeiterInnen erbracht werden sollten. Dies bedeutet, dass etwa 57 Stunden pro Woche von gut qualifizierten MitarbeiterInnen erbracht werden müssen, wovon 35 Stunden pro Woche auf personenbezogene Leistungen und ca. 22 Stunden pro Woche auf Einzelhilfe bei den Mahlzeiten entfallen. 2. Die Bewohnerbefragung Die Befragung der Bewohner/innen in Trotha erfolgte anhand eines Befragungsbogens, der neben Fragen zur Person, zum Gesundheitszustand und zu sozialen Kontakten einen großen Block zum ServiceWohnen in Trotha enthält. Bevor die Auswertung des Service-Wohnens dargelegt wird, erscheint es sinnvoll, vorab die Bewohnerstruktur in Trotha vorzustellen. In den drei Hochhäusern mit Service-Wohnen in Trotha existieren ungefähr 350 Haushalte. Die Fragebögen wurden nur an 305 Haushalte verteilt, weil etwa 45 Haushalte, in denen Bewohner/innen mit schwerer Demenz leben, nicht in die Befragung einbezogen wurden. Wir haben von diesen 93 305 Haushalten, an die die Bögen verteilt wurden, 90 zurückerhalten – das entspricht einer Rücklaufquote von 30%. Da bei älteren Befragten mit einer Rücklaufquote von 20% bis 30% gerechnet werden kann, ist dieses Ergebnis zufriedenstellend. Tabelle 1: Alter und Geschlecht Gesamt unter 70 Jahren 70-79 Jahre 80 Jahre und älter Zusammen Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil 15 18,3% 34 41,5% 33 40,2% 82 100,0% Frauen 9 11,0% 31 37,8% 27 32,9% 67 81,7% Männer 6 7,3% 3 3,7% 6 7,3% 15 18,0% davon: Die Altersstruktur der Befragungsteilnehmer/innen zeigt, dass über 80% der Bewohner/innen älter als 70 Jahre alt sind und ein sehr großer Prozentsatz (40,2%) 80 Jahre und älter ist. Eine Unterteilung nach dem Geschlecht zeigt des weiteren, dass die Männer vor allem in den höheren Alterskohorten unterrepräsentiert sind. Die Frage nach dem Gesundheitszustand beantworteten immerhin 18 der Befragten (21,2%) positiv (es geht ihnen gut), 55 der Befragten (64%) waren indifferent und antworteten: „es geht so“ und ungefähr 14% - also 12 Befragten - geht es schlecht oder sehr schlecht. Bezogen auf die Bewohnerstruktur wird abschließend die Einkommenstruktur der Befragten vorgestellt, weil sich hieraus auch Rückschlüsse auf die jeweiligen Zahlungsbereitschaften ziehen lassen. Fragen nach dem Einkommen sind immer etwas heikel und werden ungern beantwortet, was sich auch hier in der Anzahl der Antworten widerspiegelt (N=51). Tabelle 2: Einkommen der Befragten Anzahl 94 Anteil 800,- DM bis 999,- DM 4 7,8% 1.000,- DM bis 1.999,- DM 31 60,8% 2.000,- DM bis 2.999,- DM 13 25,5% 3.000,- DM o. mehr 3 5,9% gesamt 51 100,0% Drei Fünftel der Befragten, die diese Frage beantwortet haben, haben ein Monatseinkommen zwischen 1.000,- DM und 2.000,- DM und ein Viertel verfügt über ein Monatseinkommen von über 2.000,DM und unter 3.000,- DM. Die Befragung der Bewohner/innen wurde mit dem Ziel durchgeführt, die Angebotsstruktur an Grund- und Zusatzleistungen optimieren und Preisspielräume für die angebotenen Zusatzleistungen ermitteln zu können. Eine zentrale Rolle nehmen deshalb Fragen zum „ServiceWohnen“ ein: Hier werden sowohl die derzeitige Nutzung des Angebots an Grund- und Zusatzleistungen als auch (bezogen auf die Zusatzleistungen) die Präferenzen und die preislichen Spielräume ermittelt. Denn: Während die Servicepauschale in Höhe von 60,- DM für allein Stehende und 110,- DM für Ehepaare pro Monat für die Grundleistungen weiterhin bestehen bleibt, sollen die Preise für die Zusatzleistungen von derzeit pauschal 10,- DM pro Stunde in Zukunft je nach Leistung differenziert werden. Ein erster Überblick über den Grundservice zeigt, dass die Begegnungsstätte und die Mieterzeitung von den BefragungsteilnehmerInnen mit 34 bzw. 33 Nennungen am häufigsten nachgefragt werden, also zentrale Leistungen darstellen, für die entsprechend Personal bereitgestellt werden muss. Die Vermittlung von Dienstleistungen sowie von medizinischen Hilfen und die Preisermäßigung/ Bevorzugung einer Zusatzleistung stellen ebenfalls Leistungen dar, die recht häufig nachgefragt werden, gefolgt von dem dritten Block (mobiles Notrufsystem, 24-Stunden-Bereitschaft und Beratung in persönlichen Angelegenheiten mit 11 bzw. 10 Nennungen). Auf der anderen Seite wird weniger Personal für Kontakte zu Angehörigen sowie für Hilfe und Beratung beim Einzug/ Umzugmanagement benötigt, weil hier die Nachfrage geringer ausfällt. 95 Abbildung 4: Nachfrage nach den Grundleistungen Offene Begegnungsstätte 34 Bereitstellung einer Mieterzeitung 33 Organisation und Vermittlung von Dienstleistungen 19 Vermittlung medizinischer Hilfen 17 Preisermäßigung/bevorzugte Nutzung der Zusatzleist 17 Mobiles Notrufsystem 11 24 Stunden Bereitschaft 10 Beratung in pers. Angelegenheiten 10 Kontakte zu Angehörigen 4 Hilfe und Beratung beim Einzug/ Umzugsmanagement 2 0 5 10 15 20 25 30 35 ISG 1999 Des weiteren wurde festgestellt, dass etwa 85% der 85 Befragungsteilnehmer/innen, die diese Frage beantwortet haben, sehr zufrieden oder zufrieden mit dem angebotenen Grundservice sind. Dieses Ergebnis ist sehr erfreulich, weil es zeigt, dass die Arbeit des SeniorenKreativ-Vereins bei den Bewohner/innen, die die Leistungen in Anspruch nehmen, auf positive Resonanz stößt. Allerdings kann es zu Akzeptanzproblemen kommen, wenn dieses Leistungsniveau auf Grund der Kürzungen im zweiten Arbeitsmarkt nicht aufrechterhalten werden kann. Die Analyse der Zusatzleistungen erfolgte, indem drei aufeinander folgende Fragen gestellt wurden: 1. Wie wichtig ist Ihnen das folgende Angebot an Zusatzleistungen? (ohne Nennung der Preise) 2. Wie würden Sie die Preise für die folgenden Leistungen beurteilen? 3. Welche der Angebote würden Sie (zu diesen Preisen) gern in Anspruch nehmen? Die folgende Tabelle zeigt, dass die Beurteilung der Preise einen deutlichen Einfluss auf die potentielle Nachfrage nach den Leistungen hat. So werden beispielsweise Begleitleistungen von mehr als 96 40 vier Fünfteln der BefragungsteilnehmerInnen als wichtig eingestuft, der Preis für diese Leistung aber überwiegend als zu teuer empfunden, sodass die potentielle Nachfrage gegenüber der eigentlichen Präferenz auf 77% absinkt. Ein genau gegenteiliges Beispiel findet sich für den Mittagstisch in der Begegnungsstätte. Hier steigt die potentielle Nachfrage – wie angenommen wird, auch durch die als angemessen empfundenen Preise – von etwa 84% auf über 95% der Befragungsteilnehmer/innen. Tabelle 3: Analyse der Zusatzleistungen Präferenzen (N = 56) wichtig nicht wichtig Preise (N = 54) angemessen teuer/ zu teuer Nachfrage (N = 64) eher ja eher nein Hauswirtschaftliche Hilfe 94,3% 5,7% 37,0% 63,0% 84,6% 15,4% Reparaturservice 91,2% 8,8% 53,8% 46,2% 94,9% 5,1% Begleitleistungen/ kleine Erledigungen 85,3% 14,7% 22,5% 77,5% 77,1% 22,9% Mittagstisch in der Begegnungsstätte 84,4% 15,6% 73,8% 26,2% 95,3% 4,7% Waschsalon 84,4% 15,6% 70,0% 30,0% 83,6% 16,4% Hilfen bei der Körperpflege 70,4% 29,6% 30,8% 69,2% 79,4% 20,6% Anmietungen Gästezimmer 67,6% 32,4% 36,6% 63,4% 85,0% 15,0% 80,6% 19,4% 81,3% 18,7% 71,9% 28,1% 74,1% 25,9% Anmietung d. Begegnungsstätte bis 3 Std. Anm. d. Begegnungsstätte jede weitere Std. 66,7% 33,3% Eine weitere sehr wichtige Frage für die Weiterentwicklung der Angebotsstruktur in Trotha stellt sich in Bezug auf das Angebot eines Pflegedienstes im eigenen Haus. Aus diesem Grund wurden die BefragungsteilnehmerInnen nach ihren Wünschen bezüglich eines Pflegedienstes befragt. 13 BewohnerInnen gaben an, einen Pflegedienst im Haus oder in der Nähe zu wünschen, wobei 3 dieser BewohnerInnen bereits heute pflegebedürftig sind. 97 Dieses Ergebnis lässt folgende Aussagen zu: 1. Die Einrichtung eines eigenen Pflegedienstes oder eine Kooperation mit einem Pflegedienst erscheint zur Zeit dann sinnvoll, wenn Leistungen dieses Pflegedienstes auch in benachbarten Siedlungen nachgefragt würden. Dieses Nachfragepotential müsste analysiert werden. 2. Immerhin 10 Bewohner/innen, die heute noch nicht pflegebedürftig sind, wünschen sich einen Pflegedienst im Haus oder in der Nähe; dies bedeutet, dass die Einrichtung eines Pflegedienstes in einem der drei Punkthochhäuser in Trotha eine von den Bewohner/innen wahrgenommene Qualitätsverbesserung darstellen kann. 98 Ansätze zur Weiterentwicklung des Service-Wohnens in Halle Konrad Potthoff, Senioren-Kreativ-Verein Halle Mein Name ist Konrad Potthoff, ich bin geschäftsführender Vorsitzender des Senioren-Kreativ-Vereins. Ich bin jetzt in der etwas schwierigen Situation, dass ich in einer halben Stunde drei Tagesordnungspunkte abarbeiten muss. Ich werde es versuchen so zu packen, indem ich es mit These, Antithese und Synthese versuche (heute hat ja Hegel schon eine gewisse Rolle gespielt, indem vom Allgemeinen zum Besonderen gegangen worden ist). Ich möchte zunächst den ursprünglichen Ausgangspunkt schildern, wie wir zum Wohnprojekt gekommen sind; zum Zweiten aufzählen, was wir als gescheitert ansehen, und wo wir denken, dass – wenn wir darauf nicht reagieren würden – dieses Wohnprojekt früher oder später als gescheitert angesehen werden müsste; und dann versuchen, die Synthese zu schildern, nämlich wie wir auf diese Probleme antworten, wie wir versuchen, das in den Griff zu bekommen und das Projekt umzugestalten. Vielleicht noch eine kurze Ergänzung zum Senioren-Kreativ-Verein: Wir sind kein reiner Praktikerverein, sondern wir haben 500 Mitglieder, davon erscheinen bei Versammlungen 400. Wir organisieren im Monat ca. 500 Veranstaltungen, die 4.000 bis 5.000 Leute erreichen. Wir haben ca. 300 Mitarbeiter, viele auch aus dem zweiten Arbeitsmarkt. Wir haben 1.000 Kinder in den Kindergärten, also 150 der Mitarbeiterinnen sind allein schon Kindergärtnerinnen. Nun zum Wohnprojekt. Wie schon gesagt: Als Kulturverein gegründet, wurde Wohnen immer mehr zum Thema in unserem Verein. Unter den Mitgliedern wurde verstärkt auch die Frage gestellt, ob wir in dieser Richtung nicht etwas machen möchten. Trotha war eigentlich ganz anders angedacht, als es sich jetzt darstellt. Wir wollten ursprünglich ein Projekt schaffen, in dem sozusagen in einem vorhandenen Wohnumfeld (in einer ganz normalen Wohnsituation) eine Service-Station eingerichtet wird, die – wenn man so will – flankierende Dienstleistungen, die das Wohnen im Alter erleichtern, organisiert. Das hatte zwei Hintergründe: Einmal die Verbesserung des Wohnumfeldes älterer Menschen und zum Zweiten, dass wir versuchen, Arbeitsplätze zu schaffen, denn man muss auch die Situation im Osten im Blick haben - wir haben den Verein ja auch als Reflex auf die Wende und die auftretende Arbeitslosigkeit entstehen lassen. Wir vertreten ziemlich strikt die Philosophie, dass wir sagen: 99 wir wollen Arbeitsplätze in einem zweiten Arbeitsmarkt schaffen, die nicht davon leben, dass sie Sandhaufen von einer Seite auf die andere schütten, sondern, dass sie, z.B. im sozialen Bereich, sinnvolle Aufgaben bekommen. Das stellte sich damals, 1995, als wir uns dieses Wohnprojekt haben einfallen lassen, auch noch ganz anders dar. Da gab es z.B. im Chemiebereich allein 40.000 - 50.000 Entlassungen binnen kürzester Zeit, und über einen Fonds für ältere Beschäftigte sollte der Übergang in den Vorruhestand erleichtert werden. Die Initiatoren des Vereins waren der Meinung – damals noch –, dass ihre Arbeitskräfte, die von ihnen finanziert wurden und nur z.T. vom Arbeitsamt finanziert wurden, direkt im Dienstleistungsgewerbe tätig werden können. Da hat uns natürlich irgendwann früher oder später das Finanzamt mal zurückgepfiffen, und uns wurde klar, dass das im Grunde genommen nicht geht – aber so haben wir angefangen, speziell mit solchen Mitarbeitern. Und dann kam ein seltsamer Effekt - ich versuche jetzt einfach, das Projekt für Sie nachvollziehbar zu machen. Es gibt ja eine seltsame Sogwirkung bei solchen Projekten. Es gibt z.B. auch viele, die gern bei einem relativ erfolgreichen Projektansatz mitgehen – sagen wir es mal so vorsichtig ausgedrückt. Das war in diesem Falle das Land. Das Land war bereit, der Halleschen Wohnungsgesellschaft (HWG) speziell für diese drei Häuser Fördermittel zur Verfügung zu stellen, damit sie total saniert werden können. Das war von uns in dem Sinne nicht erwartet worden, denn wie hatten wir die Häuser vorgefunden? Wir hatten Häuser gesucht, in denen überdurchschnittlich viele ältere Menschen leben. Und wir kannten diese Häuser in Trotha als solche Häuser (ich sage das jetzt mal für die, die nicht hier aus dieser Ecke kommen), die zu DDR-Zeiten „Wohnklo mit Kochnische“ genannt wurden. Aber man muss Folgendes dazu sagen: Als diese Anfang der 60er Jahre gebaut wurden, waren das ganz begehrte Einraumwohnungen. Es bestand damals ein hoher Mangel an Einraumwohnungen. Aber 1990 waren die Häuser in einem Zustand, in dem sie schlicht und einfach „verslumten“. Die Hälfte der Bewohnerschaft war noch der alte Stamm, aber mittlerweile hat es auch viele Umsetzungen gegeben, z.B. von Alkoholkranken. Von den Wohnungen waren anfangs ca. 50 von Alkoholkranken belegt, jetzt haben wir noch immer einen ziemlich hohen Prozentsatz von ihnen; und das ist eine sehr problematische Bewohnergruppe. Wir konnten nun davon ausgehen, dass unser Projekt in der Form, wie wir es angedacht hatten, erst einmal gescheitert war, weil wir nicht in der angedachten Art und Weise Dienstleistungen anbieten konnten, sondern es war ein ganz anderes Phänomen, auf das erst 100 einmal reagiert werden musste. Diese drei Häuser wurden im bewohnten Zustand total saniert. Man stelle sich das vor: 27 qm, da müssen die Möbel früh von der einen Ecke in die andere gerückt werden und abgedeckt werden. Am Abend wieder an die alte Stelle, damit man überhaupt darin wohnen kann. Nun waren wir in der Situation, dass wir gesagt haben: O.K., wir engagieren uns dort. Das ist auch eine Chance, wenn wir jetzt, in dieser schwierigen Zeit, für die Mieter da sind, dann haben wir danach auch einen besseren Stand. Denn man darf dieses Projekt nicht verwechseln mit irgendeinem Neubau, wo unter diesen Bedingungen Menschen einziehen, sondern die ursprünglichen Mieter wohnten weiter dort, und wir kamen dann als „Projekt“ eigentlich nur hinzu. Das bedeutet schon eine bestimmte Qualität, eine bestimmte Arbeit und eine bestimmte Leistung, wenn man es tatsächlich schafft, binnen zwei Jahren 150 Mieter – also fast die Hälfte – davon zu überzeugen, dass sie eine solche Service-Vereinbarung abschließen und sich auf das Projekt einlassen. Denn es wohnen ja auch noch viele jüngere Leute in den Wohnhäusern, und es geht nicht darum, diese herauszudrängen - wir sind ja auch kein Freund von Gettoisierung des Wohnens von älteren Leuten. Es ist uns dann das Kunststück gelungen, eine Maßnahme mit 30 ABM-Mitarbeitern zu organisieren, die dann im Schichtsystem den Mietern geholfen haben, diese Sanierung zu überstehen. Das war hoch dramatisch. In dieser Zeit entstand die Begegnungsstätte Delta. Diese war auch ein Reflex auf die ganze Geschichte, da wir in dieser Begnungsstätte Betten aufgebaut hatten und man am Mittagstisch teilnehmen konnte. Wir haben dort Kulturarbeit gemacht, damit die Bewohner dieser Häuser die Möglichkeit hatten, sich tagsüber etwas von diesem Baugeschehen zu entfernen. Nun entstand ein neuer verrückter Effekt, an dem wir heute noch kranken und mit dem wir noch Riesenprobleme haben. Als diese Rekonstruktionsmaßnahmen beendet waren, hatten wir nach wie vor diese 30 Mitarbeiter und zusätzlich noch unsere anderen Mitarbeiter, die schon vorher in das Projekt einbezogen waren. So, was passierte nun? Wir hatten ja damals auch noch nicht allzu viele Service-Vereinbarungen. Die Folge war, dass wir (ich übertreibe etwas) einen besseren „Betreuungsschlüssel“ hatten als ein Intensivbett in einem Krankenhaus. Und diese Geschichte wirkt noch fort, weil die Anforderung an das Wohnen in diesem Hause teilweise wirklich von unangemessenen Erwartungen begleitet wird (deswegen bekomme ich bei der hohen Zufriedenheit, die in der Befragung ermittelt wurde, auch etwas Bauchschmerzen). Wir stehen nun vor der undankbaren Aufgabe, durch ein „Tal der Tränen“ zu marschieren, und dieses 101 ganze Projekt wieder auf ein Maß zurück zu bringen, in dem es machbar ist; und vor allen Dingen, wo es sich „rechnet“. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was im Augenblick hier im Osten los ist? Diese Riesenmogelpackung, die hier entstanden ist, kracht zusammen. Es hat faktisch kein Verein in dem letzten halben Jahr eine ABM-Maßnahme verlängert oder eine neue Maßnahme genehmigt bekommen. Keiner weiß so richtig, wie der zweite Arbeitsmarkt hier im Osten überhaupt weitergeht. Die Tendenz geht mehr in die Richtung wie im Westen. Das Zweite ist: In dem laufenden Haushaltsjahr sind von der Kommune 20% Haushaltskürzungen für freie Träger angemeldet worden. (Im Sommer waren wir schon mal so depressiv, dass wir uns besorgt gefragt haben, ob wir nicht evtl. hier bei dieser Gelegenheit die Grabrede auf unseren Verein halten müssen.) Es geht uns also im Augenblick tagtäglich darum, dass Vereine die Vereinslandschaft einigermaßen überstehen, und ich sage deswegen „Mogelpackung“, weil nach der Wende im Grunde genommen eine wunderbare Infrastruktur an sozialen und kulturellen Möglichkeiten, Vereinen usw. entstanden ist, aber diese Infrastruktur baut im Wesentlichen auf dem zweiten Arbeitsmarkt auf. Wenn das jetzt alles weg bricht, dann geht mehr verloren als nur diese (relativ sinnvollen) Arbeitsstellen des zweiten Arbeitsmarkts; dann brechen eben tatsächlich auch viele Initiativen, soziale Projekte usw. weg. Uns war das klar. Seit einem Jahr versuchen wir im Grunde genommen, dieses Wohnprojekt umzubauen, indem wir versuchen, vom zweiten Arbeitsmarkt unabhängig zu werden. Das ist eine riesengroße Aufgabe und ist im Grunde genommen ein Feilschen um jeden Posten, ein Feilschen um jede Tätigkeit, die wir eingeführt haben – wie können wir die halten? Unser ursprünglicher Anspruch war der, dass wir (das ist schon ein hoher Anspruch) für drei Hochhäuser eine 24-Stunden-Präsenz gewährleisten wollten. Das war deswegen notwendig (und das ist heute auch noch so), weil es dort sehr viel Randale gibt, wenn keiner aufpasst. Ein wichtiges Ergebnis dieser ersten Phase war letztlich, dass es uns gelungen ist, einen in meinen Augen relativ vorbildlichen und interessanten Vertrag zwischen einem gemeinnützigen Verein und einer Wohnungsgesellschaft auszuhandeln, dass sich eine Wohnungsgesellschaft und ein Verein gemeinsam darauf eingelassen haben, ein solches Projekt miteinander zu wagen. Das war sehr wichtig, jeder hat etwas davon. Wir haben davon, dass wir versuchen können, ein soziales Projekt aufzubauen. Die Wohnungsgesellschaft hat im Zweifelsfalle davon, dass 102 sie tatsächlich einen hohen Vermietungsstandard hat, eine fast 100%-ige Auslastung, also wenig Leerstand. Zum Zweiten hat sie durch unsere ständige Präsenz den Vorteil, dass ein Werterhalt dort in dieser Anlage stattfindet, und dass das, was dort investiert ist, tatsächlich noch ein Weilchen bestehen bleibt. Das war ein Ergebnis; und das zweite war schlicht und einfach, dass es damals noch keine solchen Workshops wie den heutigen hier gab - wir waren damals, als wir angefangen haben, relativ einsam mit dem Wissen und der Erkenntnis dessen, was eigentlich ältere Bürger an Dienstleistung wünschen und möchten. Wir konnten es relativ großzügig angehen, das herauszubekommen und ich denke, wir haben eine ganze Menge herausbekommen. Das wird uns auch helfen, z.B. in Zukunft den Preiskatalog der notwendigen Dienstleistungen etwas differenzierter zu gestalten, diese magischen 20 DM zu durchbrechen, anders heranzugehen und anders darüber nachzudenken. Dass man z.B. nicht mehr sagt: „für 20 DM gibt es eine pauschale Haushaltshilfe“, sondern dass man auch Fenster putzen anbietet, und dann weiß der, der Fenster putzt: Es darf nur 10 Minuten dauern, sonst ist es nicht bezahlt. Dann kann man das jedenfalls nicht für 5 DM machen. In dieser Richtung müssen wir mehr arbeiten. Die Antithese ist eigentlich die: Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, so wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter. Ein solches Wohnprojekt in so starkem Maße von dem Zweiten Arbeitsmarkt abhängig zu machen, führt früher oder später ins Nichts, weil kein Verlass darauf ist. Deswegen besteht schon seit einem Jahr unsere Überlegung, wie wir das ganze umgestalten. Wie gestalten wir es nun um? Unser ganzes Nachdenken ist zwangsläufig zielorientiert in einer Richtung. In diesen Häusern wohnen Menschen mit dem so genannten „WBS“ (Wohnberechtigungsschein). Einen Wohnberechtigungsschein bekommt derjenige, der weniger als 23.000 DM im Jahr zur Verfügung hat. D.h. dass es nur eine bestimmte Summe Geld gibt, die z.B. für ein solches ServiceWohnen von der Grundpauschale bis hin zur Dienstleistung ausgegeben werden kann. Wir wollen aber genau für diese Gruppe auch ein Projekt machen, denn – zumindest hier im Osten – werden bald die Renten in katastrophale Tiefen absacken. Das hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass wir z.B. noch einen hohen Anteil von älteren Frauen hatten, die zu DDR-Zeiten voll berufstätig waren. Dieser Anteil von Frauen wird immer weniger werden, weil nämlich die damals jüngeren Frauen nun ins Rentenalter kommen, die nach der Wende arbeitslos waren. Also geht die ganze Geschichte mit der 103 Rente nochmals herunter. Gleichzeitig werden es mehr Menschen in dem Alter sein. Wir werden also immer größere Gruppen haben, durch die auf die Gesellschaft ein Druck zukommt, dass irgendetwas für sie getan werden muss. Deswegen halten wir an diesem Modell fest. Denn es ist natürlich ganz einfach alles damit zu beantworten, dass man nur noch Projekte macht, in denen ein größeres Entgelt entgegen genommen wird, womit man z.B. das Personal durchfinanzieren kann. Unser Ehrgeiz ist der, mit dem spitzen Bleistift ganz differenziert zu rechnen, bei möglichst optimalen Service-Leistungen; das wirkt sich dann auf die Grundpauschale aus. Wir müssen auch das Notrufsystem ändern. Wir haben im Augenblick Notrufgeräte, die im Notfall am besten funktionieren, wenn man sie durchs Fenster wirft und es kracht dann unten. (Es sind Handsprechgeräte, die langsam ein bisschen veraltet sind.) Wir kommen wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit dem Ändern des Notrufsystems zwangsläufig in einen Bereich, wo wir irgendwann mal 100 DM berechnen müssen. Die Pauschale von 60 DM wird wahrscheinlich unterm Strich nicht zu halten sein. Für diese 100 DM wird es dann allerdings – wie schon gesagt – eine 24-Stunden-Präsenz geben. Es wird tagsüber einen Ansprechpartner geben, der ServiceLeistungen vermittelt, der berät etc. Wie viele das unterm Strich nutzen werden, kann man im Augenblick nicht beantworten, weil wir ja noch diesen Spielraum nach oben haben. Wir haben ja erst 150 Verträge, und rein theoretisch schließt jeder, der nun neu einzieht, einen Vertrag mit uns ab. Dadurch entsteht längerfristig die Bedarfsgrundlage, auf der wir ein Grundleistungspaket zusammen stellen und kalkulieren können; und dann gibt es einen Service vor Ort, also eine Service-Gruppe, die nur für diese Häuser tätig ist, und wir können natürlich nur so viele einstellen, wie tatsächlich Service angefordert wird. Ich versuche jetzt einmal zu erklären, wie dieses Modell sozusagen in Zukunft betrieben werden soll: Wir begreifen dieses Projekt mittlerweile als Projekt von vier Partnern. Das ist einmal einer von uns. Wir haben jetzt eine Dienstleistungs-GmbH gegründet, „49 Plus Dienstleistung“, die faktisch die Wohnprojekte betreiben und die Dienstleistung bereitstellen soll. Wenn wir nur diesen Betreiber hätten, würden wir uns nicht wesentlich von anderen kommerziellen Modellen unterscheiden. Der zweite Partner und gleichzeitig Gesamt-Koordinator ist nach wie vor der Senioren-Kreativ-Verein, der das gemeinnützige Element hineinbringt. Er wird nämlich in Zukunft die Begegnungsstätten betreiben. Wir haben insgesamt drei 104 Begegnungsstätten in dem Objekt und wir hoffen, dass es wenigstens für die Begegnungsstätten eine Möglichkeit gibt, Mitarbeiter über den zweiten Arbeitsmarkt zu beschäftigen. Der dritte Partner ist MediPart. Das ist ein Pflegedienst, der mit uns eng und vertraglich verbunden ist. Er wird eventuell – das ist noch nicht hundertprozentig geklärt – jetzt in den Häusern übergangsweise eine Kurzzeitpflege einrichten. Es soll von der HWG aus ein Verbindungsbau zwischen den Hochhäusern, die unmittelbar nebeneinander stehen, gebaut werden, und dann kommt dort die Kurzzeitpflege hinein. Das hat nun wieder den Vorteil, dass wir, wenn wir die Kurzzeitpflege in enger vertraglicher Bindung haben, auch das Problem der 24-Stunden-Präsenz teilweise mitgelöst haben. Wir haben dann auch eine höhere Qualität, was den Notruf anbetrifft. Denn das ist kein anonymer Notruf, der irgendwo aufläuft, sondern geschultes Personal kann Erste Hilfe leisten. Das ist zum Beispiel ein Qualitätsfaktor, den wir versuchen, damit zu erreichen. Außerdem gibt dieser Pflegedienst der „49 Plus GmbH“ Aufgaben ab. Also sie betreiben sozusagen die unmittelbare medizinische Pflege und beschäftigen die „49 Plus“ als Subunternehmer für alle hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, sodass beides in einander greift. Der vierte Partner ist die Hallesche Wohnungsgesellschaft, also der Besitzer der Häuser. Sie stellen uns einmal bestimmte Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung, unterstützen uns aber noch in einer ganz wichtigen Frage - das muss auch noch konsequent weiter ausgebaut werden: Zum Beispiel hat jetzt „49 Plus“ die Hausmeisterdienstleistungen in den Häusern übernommen. Wir stellen also der HWG den Hausmeister, den wir dort beschäftigen, in Rechnung. Der Hausmeister ist dann nicht dieser „anonyme Hausmeister“, sondern ist gleichzeitig mit dem entsprechenden Hintergrundwissen in unser Projekt eingebunden. Die HWG hilft auch, dass „49 Plus“ am Leben gehalten werden kann dadurch, dass andere Dienstleistungen, die von der HWG für diese Objekte gebraucht werden, von „49 Plus“ mit erledigt werden. Diese Vierer-Konstellation soll im Grunde genommen in Zukunft das Projekt dort händeln und uns in zunehmendem Maße von dem Zweiten Arbeitsmarkt unabhängig machen. Die Begegnung wird dann auch in aufsuchender Arbeit von den Begegnungsstätten ausgehen. Noch ein paar Worte dazu, was wir in Zukunft als Schwerpunkte dieses Projektes sehen: Wir haben ca. 35 demente Bewohner, die eine besondere Betreuung benötigen. Wir versuchen jetzt, ein „Projekt im Projekt“ zu organisieren: Wir entsprechen der Problemsituation, wie 105 sie besteht, indem wir mit bestimmten Menschen zusätzliche Sozialarbeit und Betreuungsarbeit organisieren wollen. Dann versuchen wir, von diesen Häusern aus auch ins Territorium zu kommen: Einmal mit „49 Plus“, aber auch mit dem Pflegedienst. Wir versuchen, weitere Dienstleistungen von Seiten der HWG zu übernehmen, um „49 Plus“ tatsächlich stabil zu machen, damit auch genügend Leute gehalten werden können, die bei Anforderung von Dienstleistungen reagieren können. Dann, was ganz wichtig ist: Wir legen sehr viel Wert auf das Ehrenamt. Ich denke, wir können vieles organisieren (und dadurch insgesamt für die Bewohner billiger machen), wenn wir bestimmte Dinge über das Ehrenamt organisieren. Es muss z.B. nicht immer den ganzen Tag ein hoch bezahlter Pförtner in der Loge sitzen, das könnte auch ein Ehrenamtlicher sein. Am besten wäre natürlich, es wäre jemand aus den Häusern, der noch die wichtige Komponente des „kleinen Schwätzchens“ mit einbezieht. Also: Erweiterung des Ehrenamts, natürlich auch im Bereich der Begegnungsstätte. Hinzu kommen all diese Dinge, die wir potenziell als Verein nutzen können. Zum Beispiel hat jetzt eine der ältesten Bewohnerinnen dieses Wohnprojektes ihre Lebenserinnerung geschrieben, und wir haben sie in dem vereinseigenen Verlag veröffentlicht. Man kann Lesungen von unseren schreibenden Senioren durchführen und ähnliche Angebote machen. Wir versuchen dabei sauber zu trennen: Die Dienstleistung, die getan werden muss, soll durch „49 Plus“ so erledigt werden, dass sie sich rechnet. Das Personal, das ich dort vorhalte, muss sich tatsächlich rechnen. Aber diese Komponente des Gespräches, des Herzlichen etc. muss dann in irgendeiner Form auch in Kommunikation miteinander von den Begegnungsstätten aus geleistet werden. Dann sind wir noch auf etwas ganz Wichtiges gestoßen, und damit möchte ich abschließen: Wir sind über das Phänomen der Begrifflichkeit gestolpert. Wir wagen es nicht mehr, unser Projekt „Betreutes Wohnen“ zu nennen, sondern wir machen ein „Service-Wohnen“. Wir können „betreute Wohnprojekte“, etwa für Demente, zusätzlich zum Service-Wohnen anstreben. Wir können bestimmte Projekte mit intensiverer Betreuung dort integrieren, aber insgesamt bieten wir ein Service-Wohnen an. Es handelt sich sozusagen um freie Menschen, die freie Mieter in normalen Mietverhältnissen sind, und wir bieten zusätzlich diese Service-Vereinbarung an. Wenn wir das nicht sauber 106 trennen, dann rächt sich das früher oder später, weil wir den Anspruch, der hinter dem „Betreuten Wohnen“ im Sinne einer Intensivbetreuung steht, unterm Strich nicht erfüllen können. Ich wünsche Ihnen viel Spaß: Schauen Sie sich unser Projekt an. Und ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Aufenthalt hier in unserer Stadt. 107 Qualitätsstandards des Service-Wohnens Qualitätsanforderungen an Betreutes Wohnen: Welche Hilfen brauchen Berater? Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe Eines der zentralen Probleme beim Betreuten Wohnen ist, dass es keine fest definierten Qualitätsstandards gibt und dass es keine Qualitätskontrollen auf dem Markt des Service-Wohnens gibt. Ich will hier nicht darüber sprechen, welche Mindestanforderungen im Bereich der baulichen Standards und in Bezug auf die Betreuungskonzeption erfüllt sein müssten, um von einem qualitativ wertvollen Angebot ausgehen zu können, das Betreutes Wohnen von normalem Wohnen unterscheidet und auch die Erhebung einer Betreuungspauschale in gewissen Grenzen erlaubt. Darüber wird das nachfolgende Referat von Herrn Prof. Saup auf Grund seiner interessanten Untersuchungsergebnisse ausführlicher informieren können. Ich möchte an dieser Stelle nur einen kurzen Überblick geben über die Instrumente, die erforderlich sind, um den Markt des Betreuten Senioren-Wohnens „zu zivilisieren“. Ich denke, dass man hierfür an drei Punkten ansetzen muss 1. Markttransparenz verbessern durch bessere Aufklärung der älteren Menschen 2. Unterstützung bieten bei der Wahrung und Durchsetzung der Rechte der Nutzer 3. Qualifizierung der Berater in kommunalen wie gemeinnützigen Senioren-Beratungsstellen Hierzu wurde ein Projektentwurf erarbeitet, den das KDA in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und dem Institut für angewandte Verbraucherforschung in Köln durchführen wird. Die Untersuchung umfasst drei Teilprojekte ⇒ Qualitative Interviews mit tatsächlichen und potentiellen Nutzern, um die Bewohnerzufriedenheit zu ermitteln (IFAV) ⇒ Erstellung eines Ratgeber mit Checklisten (AgV) ⇒ Erstellung einer Arbeitshilfe für Berater (KDA) 109 Ich will hier etwas näher auf die „Arbeitshilfe für Berater“ eingehen. Wie kann diese dazu beitragen, den Markt des Betreuten SeniorenWohnens zu zivilisieren? 1. Mehr Markttransparenz durch bessere Informationsmöglichkeiten Erfassung des lokalen Angebotes durch ein lokales Verzeichnis Wichtig ist zunächst einmal, dass Berater sich einen genauen Überblick über das lokale Angebot verschaffen. Es gibt keine zentrale Erfassung der Versorgungsangebote des Betreuten Wohnens, wie dies z.B. für andere Altenhilfeeinrichtungen in den Heimstatistiken erfolgt. Dies führt zu einer mangelnden Transparenz des Gesamtangebotes. Eine bundesweite und damit flächendeckende Überschaubarkeit des Gesamtangebotes ist kaum zu erreichen. Versuche in dieser Hinsicht sind problematisch, weil es keine klaren Begriffsdefinitionen gibt, welche Einrichtungen unter das Betreute Wohnen fallen und weil dieses Marktsegment zurzeit eine dynamische Entwicklung durchläuft. Dies wird schon an der Verdoppelung des Gesamtangebotes in den letzten Jahren deutlich. Nur auf lokaler Ebene wird man einen stets aktuellen Überblick herstellen können. Wünschenswert sind daher lokale Verzeichnisse. Vor allem auf regionaler Ebene muss der Markt des Betreuten Wohnens transparent gemacht werden. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Verzeichnissen auf regionaler Ebene, die das Angebot des Betreuten Wohnens erfassen. Dies ist ein erster Schritt, um potenzielle Nutzer über das örtliche Angebot informieren zu können. Aber wie geht man methodisch vor, um das lokale Spektrum auch der geplanten Angebote zu erfassen? Wie und wo macht man eine Adressenrecherche? Wie geht man vor, damit die Anbieter für die Bestandserhebung gewonnen werden können? An diesem Punkt setzt die Arbeitshilfe für Berater an. Die Arbeitshilfe für Berater soll beschreiben, mit welcher methodischen Vorgehensweise man das regionale Gesamtangebot erfassen kann. Qualitative Bewertung des lokalen Angebotes Um qualifiziert beraten zu können, reicht es nicht, dass man über die Anzahl und Verteilung der Angebote genau Bescheid weiß. Wichtig 110 ist, dass man das Angebot vor Ort qualitativ einschätzen kann und die Leistungsstandards der einzelnen Angebote vergleichen kann. Es gibt zurzeit vereinzelte Versuche von kommunalen Beratungsstellen, das regionale Angebot für sich zu erschließen und die Angebote mit Leistungen und Entgelten in vergleichender Form aufzuführen. Die Stadt Nürnberg ist hier beispielhaft hervorzuheben. Sie hat einen Leitfaden zur Beurteilung der Leistungen und der Qualität von Einrichtungen des Betreuten Wohnens in Nürnberg heraus gebracht, der auch überörtlich wichtige Informationen enthält, aber vor allem versucht, das lokale Angebot qualitativ transparent zu machen. Problematisch ist, dass jede einzelne Beratungsstelle darauf angewiesen ist, eigene Erhebungsinstrumente zur qualitativen Bewertung des Angebotes zu entwickeln. Dies bedeutet letztlich eine eigene Entwicklung von qualitativen Mindeststandards, die von den Beratungsstellen jeweils neu vorgenommen werden müssen. Bei der Erfassung der Angebote beschränkt man sich wegen dieser Problematik zumeist auf eine Adressenrecherche oder auf die Frage nach einigen wenigen quantitativen Strukturmerkmalen des regionalen Gesamtangebotes. An diesem Punkt setzt die Beraterhandreichung an. Sie soll Informationen darüber enthalten, wie man das regionale Gesamtangebot nach qualitativen Kriterien bewerten und kontrollieren kann. Die Kriterien zur Bestandsanalyse und Qualitätsbewertung sollten die Berater aber nicht nur in die Lage versetzen, die Nutzer bedarfsgerecht zu informieren, sondern auch interessierte ältere Menschen sowie Altenhilfeplaner für bestimmte grundlegende Problemaspekte des Betreuten Wohnens zu sensibilisieren und den Ausbau des lokalen Angebotes an Betreuten Wohneinrichtungen bedürfnisgerecht zu steuern. Die Beraterhandreichung soll deshalb auch Informationen enthalten, was bei der Bedarfsplanung vor Ort zu berücksichtigen ist. Sie sollte daher auch die Darstellung quantitativer und qualitativer Bedarfsplanungskriterien umfassen. 2. Fortlaufende Qualifizierung der Berater Wichtig ist aber nicht nur, dass das Angebot durch qualifizierte Informationen transparent gemacht wird, sondern dass die Berater vor Ort auch fortlaufend qualifiziert werden, damit sie entsprechend beraten 111 können. Die Arbeitshilfe sieht daher auch vor, Hilfen zur Qualifizierung und Fortbildung von Beratern zu geben: Die Beraterhandreichung soll deshalb auch Informations- und Fortbildungsmaterialien zu spezifischen Themen enthalten, die grundlegende Fragen zum Betreuten Wohnen umfassen, wie z.B. ⇒ Betreutes Wohnen und das Heimgesetz ⇒ Betreutes Wohnen und Sozialhilfe ⇒ Betreutes Wohnen und Vertragsgestaltung ⇒ Mitbestimmungsmöglichkeiten in Betreuten Wohnanlagen usw. 3. Unterstützung bei der Wahrung und Durchsetzung der Rechte der Nutzer Zur Zivilisierung des Marktes des Betreuten Senioren-Wohnens gehört aber nicht nur eine Optimierung der Markttransparenz durch bessere Information und Qualifizierung der Berater, sondern auch eine Unterstützung der Bewohner/Nutzer bei der Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechte. Rechtlich ist noch nicht geklärt, ob die Heimaufsicht zukünftig als Kontrollorgan und Anlaufstelle für Beschwerden von Bewohnern zuständig ist. Wenn das Betreute Wohnen im Rahmen der Novelle des Heimgesetzes nicht unter das Heimgesetz gestellt wird und damit nicht unter die staatliche Aufsicht fällt, müssen andere Kontrollorgane aufgebaut werden. Hier ist vor allem an eine Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen zu denken. SeniorenBeiräte, Senioren-Büros, Selbsthilfegruppen von Senioren-Organisationen, alte Menschen in Altenbegegnungsstätten und Altenklubs sollen als Kontrollinstanzen für den Markt des Betreuten Senioren-Wohnens gewonnen und damit die Selbsthilfepotenziale der älteren Menschen zur Zivilisierung des Marktes für Betreutes Wohnen aktiviert werden. Es sollen die regionalen Selbsthilfegruppen in ihrer Rolle als kontrollierende Instanzen für den Markt des Betreuten Senioren-Wohnens gewonnen werden, sodass sie sensibilisiert werden für die Missstände und bei der Planung oder bei Angeboten im Bestand korrigierend eingreifen können. 112 Die Arbeitshilfe für Berater wird deshalb beispielhafte Interventionsformen mit entsprechenden Hinweisen auf weiterführende Informationen darstellen. Sie wird Adressen und Konzepte von bereits bestehenden örtlichen Initiativen, die sich als Kontrollorgane des Betreuten Senioren-Wohnens verstehen, enthalten und Hinweise geben, wie ein Erfahrungsaustausch unter diesen Gruppen initiiert werden kann. Ich denke, dies sind Ansatzpunkte, um den Markt des Betreuten Senioren-Wohnens zu zivilisieren. Der erste/ wichtigste Schritt hierfür ist eine Definition von Mindestanforderungen an das Leistungsangebot im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens, um Missständen zu begegnen. Man braucht eine Definition von Mindestanforderungen, die von jeder altersgerechten Wohnanlage erfüllt werden sollten. Diese werden Maßstab für interne und externe Qualitätsprüfung sein, um den Markt des Betreutes Senioren- Wohnens zu zivilisieren. 113 Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität des Service-Wohnens Professor Dr. Winfried Saup, Universität Augsburg Bevor ich mich zu Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität des Service-Wohnens äußere, möchte ich einige Vorbemerkungen zur Begrifflichkeit meines Vortragstitels machen: „Service-Wohnen“ ist für mich ein zu hinterfragendes Konzept: Hat für die Älteren ein Service-Angebot überhaupt diese dominante Bedeutung, wie uns manche Bedarfsprognosen suggerieren? Für den Anbieter von Betreuungs- und Pflegedienstleistungen scheint das Interesse klarer zu sein; er möchte seine Dienstleistung verkaufen. Aber haben viele Ältere überhaupt die finanziellen Möglichkeiten, um diese Dienstleistungen einzukaufen? „Betreutes Wohnen“, auch das ist ein Begriffspaar, das in seiner Bedeutung so weit geht, dass der Begriff „Betreuung“ Erwartungen weckt, die selten einlösbar sind. Ich persönlich präferiere das Begriffspaar „Begleitetes Wohnen“: den Kern des „neuartigen“ Wohn- und Versorgungsangebotes für Ältere, das unter den oben genannten Begriffspaaren angeboten wird, sehe ich vor allem darin, dass im Lebens- und Wohnalltag jemand da ist, der nach mir schaut und der in Notfallsituationen für mich das Notwendige organisiert. Noch eine Vorbemerkung: Mindestanforderungen sind nach meinem Verständnis Minimalstandards, es sind keine anzustrebenden Planungsziele. Wir unterliegen bei der Anwendung der Heimmindestbauverordnung schon diesem Missverständnis; „Mindest“-Vorgaben für den Bau von Alten- und Pflegeheimen werden als anzustrebende Planungsziele missinterpretiert. Im folgenden ersten Teil meines Vortrags möchte ich Ihnen meine empirische Basis kurz vorstellen, auf der meine nachfolgenden Überlegungen zu den Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität (in der Regel) basieren. 1. Empirische Basis: Augsburger Längsschnittstudie zum Betreuten Wohnen im Alter Die Augsburger Studie zum Betreuten Wohnen sei kurz im Telegrammstil charakterisiert: Unser konzeptioneller Ansatz ist ein multiperspektivischer, d.h. wir lassen uns anregen von Fragestellungen und von Konzepten aus der Alterspsychologie, aus der Ökologischen Gerontologie - der umweltbezogenen Alterswissenschaft – wie auch 115 aus der psychologischen Life-Eventforschung, denn der Einzug in die betreute Wohnanlage ist u.U. ein wichtiger Lebens-Wendepunkt oder auch ein kritisches Lebensereignis im Lebenslauf einer Person. Auch lassen wir uns anregen von Fragestellungen und Konzepten aus den Pflegewissenschaften. Wir möchten auch einer „Bewohnerperspektive“ mehr Gewicht verleihen: Wir wissen viel zum Betreuten Wohnen aus Planerperspektive, und auch die Betreuungsträger können sich artikulieren. Aber es ist bislang zu wenig von den Nutzern und über die Nutzer - also von den älteren Bewohnern - bekannt. Unsere Fragestellungen sind auch alltagsnah und anwendungsrelevant. Ich möchte Ihnen Beispiele von Einzelfragen, die uns interessieren, geben: • Wie informiert sind ältere Menschen über das Betreute Wohnen und über alternative Betreuungs- und Versorgungsangebote vor Ort? Betreutes Wohnen stellt ja nur einen spezifischen Lösungsversuch von mehreren möglichen für eine aktuelle Problemlage des Alterswohnens dar. • Welche Vorstellungen, welche Erwartungen verknüpfen Ältere mit dem Einzug in eine Betreute Wohnung? Was sind die Einzugsgründe? Wer sind die Entscheidungsbeteiligten und wie sind die konkreten Entscheidungsabläufe, die letztlich zum Einzug führen? • Wie ist der körperliche und der psychische Gesundheitszustand? Wie ist die Alltagskompetenz zur Lebensführung der Älteren vor dem Einzug, und wie verändern sich diese Kompetenzbereiche im Laufe des Wohnens in einer Betreuten Wohnanlage? • Wie sind die sozialen Kontakt- und Hilfenetzwerke der Älteren zu Familienangehörigen, Nachbarn, Freunden vor und nach dem Einzug? • Was zeichnet das Wohnverhalten der Älteren in der Seniorenwohnanlage, in der Wohnung und im Wohngebäude sowie das aktionsräumliche Verhalten im nahen Wohnumfeld aus? • Welche Nutzungsmuster des Notrufsystems lassen sich bei den Älteren im Betreuten Wohnen feststellen? • Wie bewerten die Älteren subjektiv ihre neue Wohnung, das Wohngebäude, das neue Wohnumfeld? • Wie informiert sind die Älteren im Betreuten Wohnen über das Kontakt- und Betreuungsangebot des Betreuungsträgers? Wie intensiv nutzen sie die angebotenen Betreuungs- und Pflegedienstleistungen, und wie zufrieden oder unzufrieden sind sie damit? 116 Dies sind nur Beispiele einiger Fragestellungen, denen wir nachgehen. Wodurch zeichnet sich unsere Untersuchungsanlage aus? Zwei Merkmale sind wesentlich: Erstens haben wir verschiedene Untersuchungsgruppen und zweitens mehrere Erhebungszeitpunkte. Zum Ersten: Wir führen eine Vergleichsgruppen-Untersuchung durch, d.h. wir haben ältere Menschen im Betreuten Wohnen aus heimverbundenen Wohnanlagen, aus Wohnanlagen mit einem integrierten Pflegestützpunkt und aus sogenannten solitären Wohnanlagen. Durch die Probandenauswahl sind also unterschiedliche Organisationskonzepte des Betreuten Wohnens berücksichtigt. Zum Zweiten: Wir haben eine Untersuchung mit Mehrfacherhebungen. Wir kontaktieren die älteren Menschen bereits vor ihrem Einzug ins Betreute Wohnen das erste Mal; drei Monate nach Einzug ist die zweite Erhebungswelle, die dritte Erhebungswelle zwölf Monate nach Einzug. Zwei Jahre nach Einzug machen wir nur einen kurzen Check: Wer wohnt noch im Betreuten Wohnen, wer ist verstorben, wer ist in ein Heim umgezogen? Ein weiterer Erhebungszeitpunkt ist drei Jahre nach Einzug geplant. Wir begleiten also den Lebensweg älterer Menschen im Betreuten Wohnen über einen diachronisch erstreckten Zeitraum. Wie ist unser methodischer Forschungsansatz? Ich möchte ihn skizzieren als quantitativ-qualitativ, wobei der Schwerpunkt auf der Quantifizierung liegt. Es ist eine Interviewstudie mit offenen und geschlossenen Fragen. Sehr charakteristisch ist für unsere Arbeitsweise in den letzten zehn Jahren, dass wir ein Kärtchen-Verfahren im Interview einsetzen, wo wir Items und Antwortmöglichkeiten in Kärtchen-Form vorgeben. Probanden und Interviewer können wohl auch ein kurzes Gespräch über die thematisierten Sachverhalte führen, danach aber muss sich der Proband für eine der Antwortalternativen entscheiden. Wir setzen auch einen Zeitverwendungsbogen ein, weil wir wissen wollen, wann die Älteren aufstehen und zu Bett gehen und wie sie tagsüber die verschiedenen Räume in der Wohnung nutzen. Der dritte methodische Zugang: Wir observieren auch den ehemaligen Wohnstandort, d.h. durch einen „walk-aroundthe-block“ begehen wir das nähere Wohnumfeld - 300 Meter im Umkreis des Wohnstandortes - und halten die Infrastruktur des Wohnumfeldes fest. Wir haben auch Fremdratings über die interviewten Personen zu verschiedenen Aspekten. 117 Wie schaut die Stichprobengenerierung aus? Wir haben in die Studie neu gebaute Seniorenanlagen einbezogen, die also noch im Bau waren, als wir sie auswählten. Die Auswahl folgte auch pragmatischen Überlegungen, die Wohnanlagen sollten für uns von der Universität aus mit dem Auto innerhalb einer halben Stunde noch erreichbar sein. Sieben Wohnanlagen aus der Region Augsburg wurden ausgewählt: eine Wohnanlage ist heimverbunden mit 26 Wohnungen, eine andere ist ebenfalls heimverbunden mit 31 Wohnungen, eine dritte Wohnanlage ist eine Wohnanlage mit integriertem Pflegestützpunkt mit 45 Wohnungen, und die restlichen Wohnanlagen sind so genannte solitäre Wohnanlagen mit 53 Wohnungen bzw. 30 und 16 Wohnungen. Eine weitere solitäre Wohnanlage mit 34 Wohnungen könnte man als eine Modellwohnanlage betrachten, weil wir die Bauherren durch einen gerontologischen Advokatenplanungsansatz bereits in der Planungsphase beraten haben, d.h. das Architekturkonzept und das Betreuungskonzept wurde bereits in der Planungsphase nach gerontologischen und architekturpsychologischen Gesichtspunkten modifiziert und sicherlich auch optimiert. Zu unserer Stichprobe: In diesen 7 Wohnanlagen gab es insgesamt 240 Seniorenwohnungen. Von diesen Wohnungen waren 33 im Zeitraum von 12 Monaten nach Bezugsfertigkeit nicht belegt. In 9 Wohnungen lebten Menschen unter 60 Jahren. Somit lag die potenzielle Ausgangs-Stichprobe bei 198 älteren Personen. Es gelang uns, von diesen 198 Personen 173 in die erste Erhebungswelle einzubeziehen, dies entspricht einer Response-Rate von 87,4%. Die anderen 25 Personen waren entweder vor Einzug verstorben, verweigerten eine Teilnahme oder zogen in die Wohnung, die sie gekauft hatten, (noch) nicht ein. Bei der zweiten Erhebungswelle konnten wir von den 173 Personen der Ausgangsstichprobe noch 149 ein zweites Mal interviewen, dies entspricht einer Response-Rate von 86,1%. Auch bei der dritten Erhebungswelle ist die Beteiligung der älteren Bewohner wiederum hoch. Die sehr hohe Beteiligungsquote führen wir insbesondere auf eine Reihe von Motivierungs-Maßnahmen (wie persönliche Weihnachtsgrüße, Danke-Schön-Nachmittag, etc.) zurück. Eine hohe Beteiligungsquote ist uns sehr wichtig, weil durch selektive Stichprobenausfälle im Vorfeld einer Studie oder während deren Durchführung die Validität der Forschungsergebnisse bedroht sein kann. 118 2. Mindestanforderungen an Architektur Ich komme zum zweiten Teil, zu Mindestanforderungen an Architektur und Betreuung. Diese betrachte ich als Gerontologe und als Architekturpsychologe. Die ökologische Gerontologie legt ihren Fokus auf die Mensch-Umwelt-Beziehung im Alter, und Umweltbeziehungen im Alter sind vor allem Wohn-Umfeld-Beziehungen. Das Qualitätsspektrum Betreuter Wohnanlagen ist sehr breit, Sie wissen das aus Ihrem Umfeld. Nur teilweise gibt es in Bezug auf die Architektur und auf das Betreuungsangebot überzeugende Lösungen. Nicht selten gibt es überzogene Versprechungen auf Anbieterseite; dies kann zu Enttäuschungen auf der Bewohnerseite und zu Klagen über bauliche Mängel, über unzureichende Betreuung, über unangemessene Grundpauschalen führen. Aus meiner Sicht – diese dürfte wenigstens für Baden-Württemberg, teilweise auch für Bayern stimmen – ist die „Expansions- und Boomphase“ des Betreuten Wohnens vorbei. Wir befinden uns derzeit in einer gesunden – so möchte ich es bewerten – „Konsolidierungsphase“. Betreutes Wohnen ist aus meiner Sicht ein joint venture von Architekt/ Bauträger und Betreuungs- und Pflegediensten. Der Architekt schafft bauliche Voraussetzungen, setzt Rahmenbedingungen. Manchmal vergleiche ich sein Produkt mit der Hardware eines Computersystems. Aber die Pflege- und Betreuungsdienste, vor allem die Kontaktpersonen des Betreuungsträgers, stehen vor der Herausforderung, das Gebäude mit Leben zu füllen, eine Atmosphäre zu schaffen. Betreutes Wohnen ist aus meiner Sicht also mehr als nur Planen, Bauen, Verkaufen und Vermieten - das möchten ja oft die Bauträger nur. Es ist auch mehr als Betreiben, Begleiten und Betreuen. Betreutes Wohnen verbindet Schnittstellen von Architektur, Sozialplanung, Management, Betreuung und Qualitätssicherung. Es bedarf also eines multiperspektivischen und ganzheitlichen Lösungsansatzes. Worauf kommt es für die verschiedenen Gruppen an? Worauf kommt es für die Architekten und Baufachleute an? Dazu zwölf Aspekte: 1. Die Planung muss ganzheitlich sein. Alltag im Alter ist Wohnalltag. Unsere Umweltbezüge schrumpfen im hohen Alter oft auf die Größe des nahen Wohnumfeldes von 300 Meter um den Wohnstandort herum, manchmal auf die Größe der Wohnung, im Pflegeheim manchmal sogar auf die Größe des Zimmers und bei Bettlägerigen auf die Größe des Bettes. Alltag im Alter ist Wohnalltag: Die 119 Wohnung hat für die Alltagsgestaltung im Alter eine sehr große Bedeutung. Welche Funktion hat denn die Wohnung? Nun, die Wohnung ist zum einen ein Handlungsraum für die Durchführung unterschiedlicher Tätigkeiten. Beispielsweise, ich schaue fern und bügle dabei vielleicht Hemden. Aber die Wohnung ist auch Wahrnehmungsraum. Ich möchte optische, akustische, taktile Anmutungserfahrungen haben. Beim Blick auf eine Wand mutet mich diese optisch an. Ich erkenne Muster, Farben, Kontraste usw. Die Wohnung ist auch Wahrnehmungsraum für Geräusche, für Töne, ich möchte dort auch etwas hören. Die Wohnung ist auch Wahrnehmungsraum für mein „Takt-Gefühl“. Die Wohnung ist aber nicht nur Handlungs- und nicht nur Wahrnehmungsraum, sondern sie ist drittens auch Gefühlsraum. Ich möchte mich in meiner Wohnung behaglich fühlen, ich möchte mich dort zu Hause fühlen. Diese stimmt mich emotional. Die Wohnung ist darüber hinaus aber auch Identifikationsraum, sie ist ein Teil von mir, ich wohne als älterer Mensch oft Jahrzehnte schon in dieser Wohnung, sie ist Teil meiner eigenen Biografie. Architektur, wenn sie Seniorenwohnungen plant, soll nicht nur für den Handlungsraum planen. Ich komme noch darauf zurück. 2. Grundlegend aus meiner Sicht ist auch die Standortwahl. Es ist eine grundlegende Entscheidung mit weitreichenden Folgen für den Lebensalltag der Älteren. Nicht jedes Spekulationsobjekt eignet sich als Standort für eine Seniorenwohnanlage. Eine Seniorenwohnanlage müsste zentrumsnah platziert werden, mit sehr guter Infrastruktur im unmittelbaren Wohnumfeld. Wir wissen aus der gerontologischen Forschung, wie distanzempfindlich die außerhäuslichen Aktivitätsmuster alter Menschen sind. Es ist ein wesentlicher Gesichtspunkt. Aber es gibt noch weitere Gesichtspunkte. Wenn Sie sich mal anschauen, aus welcher Wohnumgebung ältere Menschen ins Betreute Wohnen ziehen: Nach unseren Forschungsergebnissen kommen viele aus einem Wohnumfeld mit relativ guter Infrastruktur. Bushaltestellen haben sie fast alle, Briefkästen auch, Gaststätten auch, Frisör, Bäckerei 60%, Bank, Sparkasse 50%, Apotheke, Arztpraxis. Und jeder Zweite hat das im unmittelbaren Umfeld von 300 Metern im Umkreis der Wohnung. Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist relevant in Bezug auf die Standortwahl. Viele ältere Menschen, die ins Betreute Wohnen ziehen, haben zum Zeitpunkt des Einzugs bereits gesundheitliche Beschwerden: 71% unserer Probanden haben beispielsweise Geh- und 120 Bewegungsbeschwerden. Deshalb ist dieses „Distancing“ so entscheidend. 80% haben andauernde oder wiederkehrende Beschwerden, 70% Geh- oder Bewegungsbeschwerden, 65% Herz-Kreislaufbeschwerden. Auch haben - und das scheint mir sehr wichtig zu sein - über 50% Sehbeschwerden, 50% Hörbeschwerden. Das sind Aspekte, die eigentlich bei jeder Planung mit bedacht werden müssten. Dass die Standortfrage für ältere Menschen sensibel ist, lässt sich auch an der subjektiven Bewertung von Merkmalen der Wohnung, des Wohngebäudes und des Wohnumfeldes erkennen. Die Wohnung und das Wohngebäude sind in unserer Untersuchung zur zweiten Erhebungswelle deutlich besser bewertet worden, als das aktuelle Wohnumfeld der Betreuten Senioren-Wohnanlage. 55% bewerten die Einkaufsmöglichkeiten um die Betreuten Wohnanlagen herum als gut. Nur 35% bewerten die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten als gut. Die Möglichkeit, in der Wohnumgebung im Freien auf einer Bank oder einer anderen Sitzgelegenheit Platz nehmen zu können, bewerten 44% als gut. Durch unsere 3. Erhebungswelle werden wir etwas darüber erfahren, wie erreichbar die infrastrukturellen Einrichtungen in der Wohnumgebung für die Älteren im Betreuten Wohnen sind, und wir werden auch mehr wissen über außerhäusliche Nutzungsmuster der Infrastruktur. 3. Bauen für Senioren braucht erweiterte Planungsgrundlagen. Die DIN 18025 ist sicherlich eine Errungenschaft, eine wichtige Planungsgrundlage, aber aus meiner Sicht müssten Barrieren- und Schwellenfreiheit eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. DINNormen alleine reichen nicht aus, weder DIN-Norm 18024 über die horizontale und vertikale Erschließung des Gebäudes, noch die DIN 18025, Teil 1 zur rollstuhlgerechten Wohnung, noch Teil 2 zur Barrierefreiheit. Aus meiner Sicht ist die DIN-Norm 18025 eine notwendige, aber keine hinreichende Planungsgrundlage. Man könnte auch fragen, ist diese DIN-Norm nicht eine etwas realitätsferne Betrachtung des Alltags alter Menschen? Ich tippe nur zwei Aspekte etwas provozierend an: Stigmatisiert eigentlich diese DINNorm nicht die Älteren zu häufig als Rollstuhlfahrer? Ältere werden in dieser Norm zu sehr als Behinderte, als Rollstuhlfahrer betrachtet. Ist das nicht ein falsches Bild vom Wohnen in Betreuten Wohnanlagen? Nur ein kleiner Teil der Älteren im Betreuten Wohnen hat einen Rollstuhl, schon mehr Personen haben eine Gehhilfe. Aber Gehen 121 mit einem Gehwagen oder Gehstock - dies ist ein ganz anderer Bewegungsablauf - impliziert andere Anforderungen an die WohnUmwelt als die Fortbewegung im Rollstuhl. Eine für einen Rollstuhlfahrer passende Greifhöhe (von 85 cm) kann dysfunktional für den Handlungs- und Bewegungsablauf eines rüstigen älteren Menschen oder eines Menschen mit einer Gehhilfe sein. Wir sind gewohnt, in einer bestimmten Höhe nach einem Lichtschalter zu greifen. Wir sind gewohnt, in einer bestimmten Höhe nach einem Türgriff zu greifen. Die durch die DIN 18025 nahegelegte Normierung auf 85 cm widerspricht unseren Wohngewohnheiten, unseren biografisch erworbenen Wohnerfahrungen. Wir sind es in der Regel nicht gewohnt, auf dieser Höhe nach Schalter und Griffen zu suchen. Die zweite Provokation: Signalisiert die DIN-Norm 18025 nicht auch ein rudimentäres Verständnis des Lebensalltags Älterer? Alltag im Alter ist Wohnalltag. Aber Wohnen ist mehr, als nur sich in der Wohnung bewegen (können). Das ist sicherlich wichtig und deshalb wird in der Planung auch so sehr auf Bewegungsräume geachtet. Die Bewegungsradien, die von Architekten in ihre Grundrisspläne eingezeichnet werden, sind Hinweise dafür. Aber Wohnen ist nicht nur herumlaufen! Wohnen ist auch Platz nehmen, ist Ausschau haben auf etwas Schönes. Wir brauchen eine ganzheitlichere Sicht des Alters-Wohnens, als sie in dieser Norm zum Ausdruck kommt. Wenn man sich zu einseitig, zu blind an dieser DIN-Norm 18025 orientiert, wird manches verabsolutiert, und dies kann zu Problemen führen; übrigens auch, wenn man sich an der DIN-Norm wohl orientiert, sie aber bei manch wichtigen Planungsaspekten dann doch missachtet: So werden beispielsweise Griffe und Lichtschalter auf einer Höhe von 85 cm plaziert, dann aber – in Abweichung von der Planungsvorgabe - der Rollladengurt deutlich höher, sodass der ältere Mensch sich strecken muss oder es gar nicht mehr schafft, diesen herunterzuziehen. Stimmig ist eine Planung auch nicht, wenn der Griff des Küchenfensters so hoch angebracht ist, dass selbst eine jüngere, rüstige Person nur mit Mühe danach greifen kann. Ich habe mehrere solcher Fehlplanungen im Betreuten Wohnen gesehen. Oder der Schließzylinder zur (Haus- bzw. Wohnungs-) Eingangstüre ist so niedrig angebracht, dass man sich bücken muss, um den Schlüssel ins Schloss zu führen. Man muss sich nicht nur bücken, sondern wirft oft dabei seinen eigenen Schatten auf das Türschloss; bei solch einer Planung soll es dann gelingen, den Schlüssel zielgenau in den Schließzylinder zu führen. 122 Die DIN-Norm 18025 orientiert sich zu sehr an Rollstuhlfahrern, sie ist für normale Ältere unter Umständen (manchmal, nicht immer) dysfunktional. Wir brauchen mehr als diese Orientierung an derartigen Planungsempfehlungen und -vorgaben. Meines Erachtens brauchen wir Architekten mit fundiertem Wissen über die Alltagsroutinen und die Kompetenzveränderungen alter Menschen, und sie brauchen zudem auch noch eine Sensibilität, ein Gespür für die Wohnwünsche und die Gewohnheiten von Älteren. Beides kann man erlernen, das eine, indem man Befunde aus der Ökologischen Gerontologie zur Kenntnis nimmt, das andere, indem man sich selbst einmal einer Umwelterfahrung aussetzt, die der von älteren Menschen entspricht oder wenigstens nahe kommt. Fort- und Weiterbildung von Planern (auch) durch einen „age-simulator“ oder UmweltSensibilisierungs-Übungen wären hier wichtig. 4. Es geht auch darum, ein durchdachtes Raumprogramm für eine Senioren-Wohnanlage zu entwickeln. Dazu gehört aus meiner Sicht nicht nur die Raumplanung, sondern auch das Setting-Programm. Das Setting-Programm ist die Vorstellung darüber, was in den Räumen geschehen soll. Was ist denn die Ausgangsproblematik? Ich will das an wenigen Beispielen illustrieren: a) In betreuten Wohnanlagen gibt es immer wieder auch Einraumwohnungen ohne getrennten Wohn- und Schlafbereich. Diese Wohnungen sind weder bei Älteren noch beim Pflegepersonal beliebt. Zudem haben diese auch ein sehr hohes Vermietungsrisiko: An Kapitalanleger, die oft wenig über die Wohnwünsche Älterer wissen, sind sie eigentlich noch relativ gut zu verkaufen, aber danach an Ältere eher schlecht zu vermieten. In unserer Stichprobe lebten nur 5,2% der Probanden in solchen Einraumwohnungen. In den von uns untersuchten Wohnanlagen waren die Einraumwohnungen eher vom Leerstand betroffen als die anderen Wohnungen. b) Als ein spezifisches Kennzeichen von betreuten Seniorenwohnanlagen werden in der Regel auch zusätzliche Gemeinschaftsund Betreuungsräumlichkeiten angesehen. Aber wir stellen fest, dass die Kommunikationsräumlichkeiten wie Cafeteria, Gruppenraum, Sitzecken, Sitznischen oft unterfrequentiert sind. Das heißt, das bloße Vorhandensein von Gemeinschaftsräumlichkeiten, von 123 Kommunikationsräumlichkeiten, garantiert noch nicht deren Nutzung. c) Auch beim Pflegebad – auch manchmal ein spezifisches Kennzeichen des Betreuten Wohnens – stellen wir eine sehr geringe Nutzungsfrequenz fest. Das Pflegebad bleibt oft ungenutzt – nun ja, es wird einmal im Jahr zum Sektempfang des Betreuungsdienstes genutzt. Aber ich finde, das ist eigentlich zu teuer. Warum wird es nicht genutzt? Vielleicht, weil derzeit kein Bedarf da ist? Möglicherweise wird sich dieser Bedarf erst in Zukunft entwickeln? Aber vielleicht ist es auch die schlechte Platzierung des Pflegebades, das oft im Kellergeschoss gelegen ist, manchmal nur über einen Außenflur erreichbar: Oft ist es so funktional ausgestattet, dass es einen wenig zur Nutzung einladenden Eindruck vermittelt, sogar eher als ein Raum in einem anatomischen oder pathologischen Institut anmutet als an ein Bad erinnert. d) Auch die Einzelbäder zeichnen sich nicht selten durch eine gewisse Gestaltungsarmut und Monotonie aus: Das Bad wird gefliest, meist deckenhoch, oft mit hellen/ weißen Fliesen. Welch eine Anmutungsqualität vermittelt denn ein solches Bad? Für mich ist Baden nicht nur ein Akt der Säuberung. Wenn ich bade, dann bade ich bei Kerzenlicht, dann bade ich bei einem Glas Rotwein, dann bade ich bei Musik von Maria Callas. Die Beispiele sollten zeigen: Wir können nicht einfach drauf los bauen, sondern wir benötigen ein differenziertes Raumprogramm für die Wohnanlage. Welche Gebäudegröße, welche Anzahl der Wohneinheiten? Wie soll das Lay-out des Baukörpers sein, welche Wohnungsgrößen, welche Zimmer-Anzahl, welche Raumsyntax, welche innenarchitektonische Gestaltung usw.? Was müsste also bei der Planung, beim Raumprogramm mitbedacht werden? Auch dazu einige Anregungen (jetzt kommt die positive Wendung): Zu den Kommunikationsräumlichkeiten Cafeteria, Gruppenraum: Bei diesen kommt es vor allem auch auf deren Platzierung innerhalb des Gebäudes an. Die Cafeteria/ der Gruppen- oder Aufenthaltsraum müsste eher im Erdgeschoss liegen, an Verhaltensknotenpunkten, dort wo die Bewohner im Lebensalltag auch mal vorbeikommen. Dieser Raum/ diese Cafeteria/ dieser Gruppenraum sollte auch einen Aufforderungscharakter haben: Die innenarchitektonische Gestaltung und die Möblierung müssten zur Attraktivität des Raumes beitragen. 124 Einen Aufforderungscharakter hat dieser Raum zusätzlich dann, wenn das Setting-Programm attraktiv ist. Ein anderer Gesichtspunkt: Halb-öffentliche, halb-private Sitzbereiche - Übergangszonen zwischen privaten und öffentlichen Bereichen des Wohngebäudes - sind ganz wichtig für die Initiierung von sozialen Kontakten. An solchen Arealen können sogenannte „Gartenzaun-Situationen“ entstehen, die ein Spiel der Annäherung und der Vermeidung sozialer Interaktionen – also den Prozess der Privatheitsregulation – begünstigen. Dass solche Gesichtspunkte, wenn sie bei der Planung beachtet werden, sich auch tatsächlich im Raum-Nutzungsverhalten der älteren Bewohner niederschlagen, will ich kurz andeuten. In unserer Studie haben wir auch untersucht, wie lange sich ältere Menschen im Betreuten Wohnen innerhalb bestimmter Räume aufhalten: im Bad oder in der Küche, im Wohnzimmer, in der eigenen Wohnung, im Wohngebäude, in anderen Wohnungen des Wohngebäudes, außerhalb des Gebäudes. Die mittlere Aufenthaltsdauer von Bewohnern innerhalb des Wohngebäudes (z.B. halb-öffentlichen Sitzgruppen, in Cafeteria, in Gruppenräumen) variiert zwischen den sieben Wohnanlagen deutlich. In jener Seniorenwohnanlage, in der besonders auf die Gestaltung von Sozialräumlichkeiten und von halb-öffentlichen/ halb-privaten Übergangszonen geachtet wurde, war die Nutzungsdauer mit Abstand am höchsten. 5. Bei Wohnungs- und Raumgrößen sollte man nicht zu sehr sparen wollen. Einraumwohnungen sind „mega-out“, sind längst überholt, auch wenn sie immer wieder vorkommen. Sie haben zu geringe Stellflächen, sie haben nicht die Möglichkeit einer differentiellen Regelung der Heizungstemperatur am Tag und in der Nacht; eine für den Aufenthalt tagsüber angenehme Raumtemperatur ist für einen erholsamen Schlaf in der Nacht meist zu hoch. Sie verhindern auch die Privatheitsregulation der Bewohner, wenn sie Besuch bekommen. Ich will das nicht vertiefen. Auch wenn die Herstellungskosten der Wohnungen niedriger sind, sollte bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung das höhere Vermietungsrisiko von Einraumwohnungen mit einkalkuliert werden. Einraumwohnungen lassen sich meist besser an Kapitalanleger verkaufen, als anschließend an Ältere vermieten. Welche Wohnfläche sollte die Wohnung haben? Nun, ich kann und will keine Norm definieren, ich kann nur Zusammenhänge aufzeigen zwischen der faktischen Wohnfläche und dem subjektiven Erleben der Wohnsituation, nämlich der Bewertung der Wohnungsgröße. Wir 125 haben Ältere ihre Wohnungsgrößen bewerten lassen: Wenn Ältere ihre Wohnungsgröße als gut bewerten, dann haben sie meistens im Schnitt eine Wohnung von 54, 55 qm, schlechter bewertete Wohnungsgrößen sind etwa 10 qm geringer. Die tatsächlichen Wohnbedingungen spiegeln sich also im subjektiven Erleben der Wohnungssituation wider. Wobei die Bewertung der Wohnsituation mit beeinflusst ist vom Wohnstandard, den ich „gewohnt“ bin, den ich bereits kenne. Wie groß sollte die Küche im Betreuten Wohnen sein? Wir haben auch die Küchengröße subjektiv bewerten lassen. Bei einer guten Bewertung haben wir eine durchschnittliche Küchengröße von 6,2 qm, bei einer schlechten Bewertung von 5,2 bis 5,3 qm. Darüber hinaus haben wir Raumnutzungsmuster untersucht und haben gefunden, dass ältere Menschen im Betreuten Wohnen sich durchschnittlich gesehen zwei Stunden und 29 Minuten am Tag in der Küche aufhalten. Das entspricht 16,6% der durchschnittlichen Wachzeit. Zum Vergleich: im Bad halten sich die Älteren nur 6,8% der Wachzeit auf. Nach meiner Auffassung brauchen wir im Betreuten Wohnen etwas größere Küchen, ich denke so etwa an 8 qm. Warum? Die Begründung kann ich hier nur andeuten: Die Reaktionsgeschwindigkeit im Alter wird geringer, in der Regel brauchen Ältere auch deshalb mehr Zeit, um Alltagstätigkeiten auszuführen. Sie brauchen auch mehr Zeit für die Hausarbeit, für das Kochen, für die Zubereitung der Mahlzeit usw. Die Hausarbeit ist also zeitlich gestreckt. Zudem können körperliche Beweglichkeit und körperliche Kräfte eingeschränkt sein, sodass viele die angesprochenen Alltagstätigkeiten im Sitzen ausführen möchten. Oft aber fehlt in der Küche die Fläche für einen ausreichend großen Sitzplatz, an dem die Küchenarbeit ausgeübt und an dem eine kleine Mahlzeit eingenommen werden könnte. Warum muss eine Mahlzeit im Wohnzimmer eingenommen werden? Stellen Sie sich doch einmal eine ältere Dame mit Gehwagen vor, die auf einem Tablett einen Sektkelch und eine Lachsschnitte ins Wohnzimmer jongliert. Wie ist es mit der Größe des Schlafzimmers? Überrascht war ich, als ich die subjektiven Bewertungen der Älteren von Wohnungsgröße, Küchengröße, Schlafzimmergröße miteinander verglich. Am wenigsten positiv wurde die Größe des Schlafzimmers bewertet. Dies mag mit eingeschränkten Stellmöglichkeiten für einen Kleiderschrank zusammenhängen, oder auch damit, dass das Schlafzimmer meist für eine Ehepaar geplant wurde (z.B. mit Platzierung von Lichtschaltern 126 neben einem Doppelbett), die Wohnung aber dann doch an eine alleinstehende Person vermietet wurde. 6. Die Erschließung der Wohnung scheint eine besondere Herausforderung für die Planer zu sein: offener Laubengang, geschlossener Laubengang oder doch Innenflur? Wir haben die Gestaltung der Flure bewerten lassen. Der offene Laubengang wird von älteren Menschen im Betreuten Wohnen häufiger negativ bewertet als ein gebäudeinterner Mittelflur. Offene Laubengänge werden von Älteren nicht selten als Gefahrenherde erlebt: Spritzwasser durch Niederschläge, Laub im Herbst, Regen, Schnee und gefrierendes Regenwasser im Winter; auch ist der Wohnungszugang zu wenig vor Fremden abgeschirmt. Das Sicherheitsrisiko des Laubengangs scheint höher zu sein als sein Nutzungswert. 7. Nun folgt ein ganz wichtiger Punkt: Wohnräume für Ältere müssen bis ins Detail durchdacht werden. Es kommt auch auf die vielen kleinräumlichen Wohnungsmerkmale an. Diese müssen mehr Beachtung bei der Planung und bei der Ausführung finden. Der Organismus im Alter ist störanfälliger als in jüngeren Jahren. Er reagiert empfindlicher, verletzbarer auf die kleinen Belastungen in der Wohnung, andererseits – und das ist die positive Wendung – sie sind auch sensitiver, ansprechbarer für günstige Wohnmerkmale. Die vielen kleinen Details in der Planung können in ihrer Summe zu einer entscheidenden Verbesserung des Wohnalltags im Alter beitragen. Ich nenne Beispiele: • Eine Farbgestaltung sollte abgestimmt sein auf die Wahrnehmungsfähigkeiten älterer Menschen. Deshalb müsste z.B. mehr auf Kontrastbildungen geachtet werden: Eine Säule, die im gleichen Farbton gehalten ist wie der Hintergrund, kann von Älteren schlechter wahrgenommen werden. Oder die Treppenstufen, die alle – also auch die erste und letzte Treppenstufe - die identische Farbe haben und optisch auch nicht vom Fußbodenbelag abgesetzt sind, können sehbeeinträchtigten Menschen Probleme bereiten. Große Glas- oder Fensterflächen, so schön sie mir heute anmuten, können dysfunktional für ältere Menschen sein, weil sie – wenn sie nicht optisch unterbrochen werden – vielleicht in ihren Abgrenzungen nicht richtig wahrgenommen werden. 127 • Denken Sie auch an die eingeschränkte Beweglichkeit der Armund Schultergelenke und an die nachlassende Muskelkraft im Alter. Solche Veränderungen müssten von Planern antizipiert werden: wenn man aus Kostengründen z.B. keinen elektrischen Rollladenöffner installieren möchte, so sollte man doch wenigstens für einen Minimalbetrag Leerrohre, die bei Bedarf eine Nachrüstung ermöglichen, vorsehen. • Oder denken Sie doch mal an die Sitzhöhe der Toiletten: Werden die Toiletten auf Standardhöhe (vom Installateur) platziert, dann sind sie in der Regel für ältere Menschen zwei bis drei Zentimeter zu tief angebracht. Den Älteren fällt es dann schwer aufzustehen. Das muss nicht sein. • Oder denken Sie einmal an die Gängigkeit der Gebäudezugangsund Zwischentüren: Diese Türen gehen manchmal sehr schwer auf. Wir haben in den Seniorenwohnanlagen, in welchen unsere Probanden wohnen, den Kraftaufwand gemessen, der nötig ist, um solche Türen zu öffnen. Ich war überrascht, dass die nötige Zugkraft manchmal bei 8 und 10 Kilopond lag! Wir konnten bei einigen Älteren dann ein spezifisches Bewegungsmuster beim Zutritt bzw. beim Verlassen des Gebäudes beobachten, wie ich es eigentlich nur Kriminal- oder Spionagefilmen kenne: Man öffnet die Türe nur einen Spalt weit und schiebt sich dann, weil man nicht genug Kraft hat, die Türe weiter zu öffnen, seitwärts durch den geöffneten Spalt. Das ist für mich ein klarer Planungs- und Einstellungsfehler. • Oder denken Sie an die Platzierung von Fenstergriffen, besonders des Küchenfensters. Das ist meist zu hoch angebracht. • Nur 71% in unserer Stichprobe bewerten die Bedienbarkeit der Rollläden als gut, 70,9% die Bedienbarkeit der Fenster. 70% bewerten das Haustürschloss als gut zu benutzen. M.E. müsste es zum guten Ton bei Architekten gehören, selbst einmal in dem Gebäude, das man für Senioren geplant hat, „Probe zu wohnen“. Dann würde man vielleicht spüren, wo Planungsmängel liegen. Und wenn die Architekten beim Probe-Wohnen noch ihre sensorische und körperliche Kompetenz einschränken, dadurch dass sie eine Klarsichtfolie auf die Brille kleben (oder eine Sonnenbrille aufsetzen), Ohropax in die Ohren stopfen, die Fingerkuppen mit Tesafilm bekleben und mit elastischen Binden Knie- und 128 Ellbogengelenke fest umwickeln, dann könnten die Planer vielleicht sogar ein wenig nachempfinden (oder vorausahnen), wie man sich als alter Mensch in diesem Gebäude (wohl- oder unwohl-) fühlt. 8. Wirtschaftlichkeit ist m.E. auch ein Gebot des Bauen und des Betriebs von Betreuten Wohnanlagen. Es geht darum, die Kosten für die Wohnungen vernünftig zu gestalten. Und zwar nicht nur die Investitionskosten, sondern auch die Betriebskosten, dies wird manchmal etwas vergessen. Wir haben bei älteren Menschen sehr große Einkommensunterschiede. Wir haben Sozialhilfeempfänger, wir haben aber auch – und das sind vor allem ältere Frauen – Personengruppen mit niedrigem Einkommen, die aus Scham keine Sozialhilfe beantragen und trotzdem ein Minimaleinkommen haben. Andererseits haben wir natürlich auch Ältere, die gut betucht sind und eine Seniorenwohnung kaufen, ohne eine Hypothek aufnehmen zu müssen. Wir brauchen Wohnraum für unterschiedliche Einkommensgruppen, für unterschiedliche Wohnwünsche. Das heißt, unterschiedlich große Wohnungen mit unterschiedlichen Komfort-Niveaus. Zur Wirtschaftlichkeit gehört m.E. auch die Frage, ob die Betreuungsträger am Gewinn des Verkaufs von betreuten Wohnungen nicht beteiligt sein müssten. Bauträger missbrauchen immer wieder – wie oft, das weiß ich nicht genau – Betreuungsträger für ihr Marketing. Sie können eine Eigentumswohnung mit dem Zusatz „Betreute (Senioren-) Wohnung“ in der Regel leichter verkaufen. Warum lassen sich manche Betreuungsträger so missbrauchen? Warum wird der Mehrwert des Bauträgers nicht etwas abgeschöpft, thesauriert z.B. in einen Fonds gesteckt, aus dem eine Sozialarbeiterin, die in der Seniorenwohnanlage tätig ist, bezahlt werden kann? Auf solche Ideen scheint man – wie die Liebenau-Stiftung bei Ravensburg – bislang vor allem in Schwaben zu kommen. 9. Betreute Wohnanlagen sollten vor Bezug durch die Älteren möglichst fertig gestellt sein. Ich sagte schon, der geschwächte Organismus ist anfällig für Kleinigkeiten. Die Bezugsfertigkeit eines Baus ist ein recht variables Datum. Oft erfolgt der Einzug von Älteren zu einem Zeitpunkt, an dem (nicht nur) noch „Kleinigkeiten“ zu machen sind. Für rüstige Erwachsene ist es kein Problem, beim Zugang zum Wohngebäude über eine Baudiele zu laufen, aber für einen älteren Menschen kann daraus ein sehr großes Problem erwachsen. Das Gangmuster im Alter ist störanfällig. Der Gang ist breitbeiniger, die 129 Beine werden nicht mehr so gehoben, Ältere schaukeln mehr zur Seite beim Gehen, der Armeinsatz ist geringer usw. Das heißt, die Stolpergefahr bei älteren Menschen ist in der Regel viel größer als bei jüngeren. Kleinigkeiten, kleine Unebenheiten, die stören, sind Barrieren, stellen ein Sicherheitsrisiko für den Lebensalltag im Alter dar. 64% unserer Probanden berichten, dass noch Bauarbeiten in ihrer Wohnanlage nach ihrem Bezug auszuführen waren. 10. Man muss auch mehr auf die kleinen Mängel in der Bauausführung achten. Damit meine ich beispielsweise unsauber gearbeitete Außenzugänge zur Haustüre. Da hat man einen Zugang, schön plan mit Betonplatten, Verbundsteinen, aber der Abschluss erfolgt dann aus Kostengründen durch ein Kopfsteinpflaster. Dies kann den Gang eines älteren Bewohners irritieren. Oder der Zugangsweg ist bei Erdbereichsarbeiten ungenügend verdichtet worden, sodass sich kleine Senkungen bilden können; ein Sammelbecken für Regenwasser entsteht, im Winter kann dieses gefrieren. Das ist für mich ein Ausführungsfehler. Für rüstige Personen ist dies kein Problem, sie machen einen großen Schritt und sind über die Pfütze gegangen, auch über das Glatteis. Aber für ältere Menschen entsteht eine Gefahrenquelle. Das müsste nicht sein. 44% unserer Probanden berichten zu T 2 noch von Mängeln in der Wohnung. Übrigens: Das Nachbesserungsmanagement der Bauträger scheint sehr unterschiedlich und nicht immer zufriedenstellend zu sein. Bei einigen ist so etwas wie eine Immunisierungsstrategie beobachtbar: der Bauträger nimmt die Planungsmängel zur Kenntnis, versichert deren Nachbesserung, ohne dass dann aber die nächsten Monate überhaupt etwas geschieht. 11. Bauen für Ältere heißt auch, eine Entwicklungsperspektive zu berücksichtigen. Die älteren Menschen, die in die von uns untersuchten Betreuten Wohnanlagen einzogen, sind in der Regel vorgeschädigt: 80% haben dauerhafte Beschwerden, über 60% haben Bewegungsbeschwerden. Dieser eingeschränkte Gesundheitszustand ist aber nur eine Momentaufnahme bei Einzug ins Betreute Wohnen. Dieser Gesundheitszustand wird sich verändern, in der Regel wird er abnehmen. Bei einem Teil der Älteren sind demenzielle Veränderungen zu erwarten. Prävalenzraten, die verschiedene epidemiologische Studien fanden, deuten darauf hin, dass jeder dritte bis fünfte Hoch- und Höchstbetagte, 85-, 90-, 95-Jährige mit demenziellen Veränderungen konfrontiert wird. Wir wissen auch um den weiteren 130 körperlichen Abbau mit zunehmendem Alter. Das Problem ist, dass „Beton“ über Jahre, über Jahrzehnte fix ist, der Organismus sich aber verändert und dann möglicherweise Umweltanforderungen nicht mehr zusammen harmonieren mit den individuellen körperlichen Kompetenzen. Was jetzt noch gut harmoniert, harmoniert dann nicht mehr. Solche Veränderungen der körperlichen und der geistigen Kompetenzen sollte man bei der Planung von Betreuten Seniorenwohnanlagen mitbedenken und wenigstens teilweise antizipieren: Im Hinblick auf demenzielle Veränderungen müsste man daran denken, einen Rauchmelder zu installieren. Wenn die Sehschwäche nachlässt, helfen Treppenstufen, die kontrastreich voneinander abgesetzt sind. Im Hinblick auf Bewegungseinschränkungen im Arm- und Schulterbereich sind – wie bereits gesagt – Leerrohre für die Nachrüstung eines elektrischen Rollladenöffners wichtig. Also die Entwicklungsperspektive muss mitbedacht werden, wenn die Betreute Seniorenwohnanlage auch noch in einigen Jahren für hochbetagte Senioren bewohnbar sein soll. 12. Mein letzter Punkt zur Architektur, meine letzte Anregung: Ich glaube, dass es möglich ist, vielleicht sogar notwendig ist, durch die Einbeziehung von gerontologisch geschulten „Advokatenplanern“ die Planung und den Bau Betreuter Seniorenwohnungen zu optimieren. Die Beteiligten, die Auftraggeber und die Bauherren, scheinen mir manchmal überfordert. Sie scheinen nicht so sehr sachkundig zu sein in Bezug auf die Wohngewohnheiten und Verhaltenskompetenzen Älterer. Auch die beteiligten Architekten scheinen mir manchmal zu wenig über die Wohngewohnheiten und Wohnwünsche und auch über Veränderungen in der körperlichen und psychischen Rüstigkeit von Älteren zu wissen. Sie scheinen mir nicht immer die nötige Expertise im Hinblick auf seniorengerechtes Bauen zu haben; vielleicht sind sie beim Industriebau oder normalen Wohnbau hervorragende Künstler oder gute Techniker, aber in Bezug auf das seniorengerechte Bauen vermisse ich manchmal die Expertise. Diese mangelnde Expertise könnte durch den Einbezug gerontologisch geschulter Advokatenplaner, die Kenntnisse haben, die Sensibilität haben, kompensiert werden. Der Entwurf des Architekten könnte optimiert werden; (kleine) Planungsfehler können bereits im Planungsstadium vermieden werden. Der Advokatenplaner liest die Planung des Architekten „Korrektur“, d.h. er liefert eine nutzerorientierte Evaluation der Wohnung und des Wohngebäudes noch in der Planungsphase, in der manches noch veränderbar und optimierbar ist. Es ist also eine pre-occupency-evaluation und nicht eine post131 occupency-evaluation. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Zugang – der Einbezug eines Advokatenplaners, der die Entwurfspläne überarbeitet und das Bauprojekt in seinen verschiedenen Phasen mitbegleitet - letztlich kostengünstiger ist, als manche Nachbesserung von Planungsfehlern nach Fertigstellung der Wohnanlage. 3. Überlegungen zu Mindestanforderungen an die Betreuungsrealität Ich möchte hierzu acht Aspekte nennen, einige von diesen implizieren eine Tätigkeitsbeschreibung für die Kontaktperson des Betreuungsdienstes. Für mich – ich sagte es schon – ist Betreutes Wohnen ein joint venture von Architektur und sozialer Betreuung. Beide Komponenten müssen miteinander harmonieren, aufeinander abgestimmt sein. Worauf müsste der Betreuungsträger achten? 1. Wichtig für den Betreuungsträger ist es, auch die Erwartungen der älteren Bewohner an das Betreute Wohnen kennenzulernen und eventuell zu modifizieren. Das Wortpaar „Betreutes Wohnen“ ist verführerisch. Es weckt unrealistische Erwartungen an Umfang und Dauer der Betreuung, an Kontinuität und Sicherheit, wie diese eigentlich nur im Heim möglich sind. Ältere Bewohner haben oft unklare Vorstellungen darüber, welche Wahl- und Grundleistungen sie in der Wohnanlage erhalten können, welche Leistungen bereits durch eine Grundpauschale abgegolten sind und welche Leistungen noch extra zu bezahlen sind. Der Betreuungsvertrag – sofern er klar und verbraucherfreundlich gestaltet ist - mag solche Aspekte differenziert aufführen, die kognitive Repräsentation des Betreuungsvertrages bei den Älteren jedoch ist selten so klar strukturiert. Diese Erfahrung und auch die überzogenen Versprechungen der Anbieter, insbesondere einer Werbestrategie, welche das Betreute Wohnen als „Alternative zum Heim“ anpreist, führen oft zu Enttäuschungen bei Älteren. Wenn die einmal gegebenen Informationen wieder vergessen werden, dann wäre es eine Aufgabe des Betreuungsdienstes, immer wieder zu informieren und über seine Angebote aufzuklären. Was sind die Erwartungen älterer Menschen ans Betreute Wohnen? Wir haben diese bei 173 älteren Personen, die in Betreute Wohnanlagen einzogen, zum Zeitpunkt des Einzuges (vor oder unmittelbar nach Einzugstermin) erkundet. Die nachfolgende Abbildung zeigt die (aufgrund faktorenanalytischer Berechnungen gruppierten) Antworten der Probanden. 132 Tabelle 1: t1-Erwartungen beim Einzug ins Betreute Wohnen (N=173) Ja Anzahl % letzte Station in der Wohnbiographie: Soll der letzte Wohnungsumzug in meinem Leben sein 164 95,9% 159 92,4% 155 89,6% 154 89,0% 145 83,8% 147 87,0% 112 65,5% 138 80,7% 133 79,6% 123 73,2% 119 70,8% 107 64,8% 129 75,4% 120 69,8% 115 66,9% 107 62,2% 99 58,2% 93 53,8% 57 33,7% 51 29,7% Privatheit bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit: Ich habe dann bei Pflegebedürftigkeit mein "eigenes Reich" Ermöglicht die selbständige Lebensführung auch bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit Absicherung für Not- und Bedarfslagen: Ich habe dann einen Krisennotruf rund um die Uhr Ich habe dann die Möglichkeit der Essensversorgung durch eine Zentralküche Sicherheit wie im Heim: Ich habe dann die Sicherheit wie im Heim, ohne in dieses umziehen zu müssen Ich kann dann einen Heimeinzug hinauszögern Versorgung wie im Pflegeheim: Ich bekomme dann auch bei dauerhafter schwerer Pflegebedürftigkeit Hilfe Ich kann dann Hilfe und Pflege rund um die Uhr erhalten Ich kann dann einen Heimeinzug vermeiden Ich werde dann bis zum Tode versorgt und gepflegt Ich werde dann auch bei Desorientierung und Verwirrtheit versorgt Komfort und Begleitung im Wohnalltag: Ich habe dann eine komfortable Wohnung Ich bin dann nicht allein und einsam Ich habe dann Angebote für die Freizeit Ich habe dann Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit anderen Bewohnern Ich habe dann einen "Fürsprecher" im Kontakt mit Behörden oder der Krankenkasse Praktische Alltagshilfe: Ich habe dann meine Ruhe und muss mich um gar nicht mehr kümmern Ich habe dann mehr praktische Hilfe im Haushalt Möglichkeit zum Engagement: Ich habe dann die Möglichkeit, im Haus aktiv zu werden und mich zu engagieren 133 Sie sehen, dass diese Erwartungen sehr hoch gesteckt sind. 97% bejahen das Statement „der Einzug ins Betreute Wohnen soll der letzte Wohnungsumzug in meinem Leben sein“. 92% erwarten, bei Pflegebedürftigkeit ihr eigenes Reich zu haben. Für 89% soll das Betreute Wohnen auch bei Hilfe und Pflegebedürftigkeit eine selbstständige Lebensführung ermöglichen. 89% erwarten, dann einen Krisennotruf rund um die Uhr zu haben. 83% erwarten die Möglichkeit der Essensversorgung durch eine Zentralküche. Nur 29% bejahen das Statement „ich habe dann die Möglichkeit, im Haus aktiv zu werden und mich zu engagieren“. Die Erwartungen ans Betreute Wohnen sind also sehr hoch gesteckt. Erste differentielle Auswertungen deuten darauf hin, dass in heimbezogenen Wohnanlagen die Erwartungen noch höher gesteckt sind. Dort erwarten noch mehr Ältere die Möglichkeit der Essenversorgung. Da erwarten noch mehr, dass sie im Betreuten Wohnen auch bei dauerhafter, schwerer Pflegebedürftigkeit Hilfe bekommen und bis zum Tode versorgt und gepflegt werden. Was sind denn die Gründe für den Einzug ins Betreute Wohnen? Oft sind es mehrere Gründe, und es gibt Gründe, die im Vordergrund der Entscheidung standen und Gründe, die eher im Hintergrund waren. Wir haben uns nach spezifischen Gründen erkundigt und in einem weiteren Erhebungsschritt, die individuelle Wichtigkeit des Einzugsgrundes exploriert. Die nachfolgende Tabelle gibt Ihnen einen Einblick in die Motivstruktur der Älteren bei der Entscheidung für das Betreute Wohnen. 134 Tabelle 2: t1-Motivstrukturen beim Einzug ins Betreute Wohnen (N=173) Ja Anzahl % Wichtigkeit (Median) Krisenvorsorge: Im Notfall möchte ich Hilfe haben Im Pflegefall soll Betreuung zur Verfügung stehen In unerwarteten Krisensituationen soll kurzfristig Hilfe verfügbar sein Ich möchte an ein Notrufsystem angeschlossen sein Ich hatte Angst, bewegunsunfähig in der eigenen Wohnung zu liegen und von niemandem bemerkt zu werden 150 149 86,7% 86,1% hoch hoch 144 83,2% hoch 111 64,2% hoch 94 54,3% hoch 121 69,9% hoch 70 40,5% mittel 81 46,8% mittel 56 32,4% hoch 71 22 41,0% 12,7% mittel mittel 66 38,2% hoch 56 54 31 27 32,4% 31,2% 18,2% 15,6% hoch hoch hoch hoch 46 24 16 26,6% 13,9% 9,2% mittel mittel mittel 26 15,0% mittel 13 7,5% mittel 9 9 5,2% 5,2% gering hoch Wunsch nach altersgerechter Wohnung: Gesundheitliche Gründe machen den Umzug in eine bequemere Wohnung notwendig Ich möchte eine schwellenfreie Wohnung haben Alterswohnen als Daseinsthema: Ich habe mir schon früher Gedanken über das Wohnen im Alter gemacht und mir vorgenommen, einmal umzuziehen Ich habe schon länger nach einer bequemeren Wohnung gesucht Mitmenschliche Nähe: Ich möchte mehr Kontakt zu Mitbewohnern haben Die bisherige Wohnumgebung ist mir zu unsicher Räumliche Nähe zur Filialgeneration: Ich wollte in die Nähe von Angehörigen ziehen Entlastung von häuslichen Pflichten: Die bisherige Wohnung ist zu groß Die bisherige Wohnung macht beim Wohnungsputz zuviel Arbeit Ich wollte im Winter nicht mehr Schnee schippen Ich wollte keine Kehrwoche mehr machen Widrige Wohnverhältnisse: Die bisherige Wohnung ist zu unbequem Die bisherige Wohnung ist zu schlecht ausgestattet Die bisherige Wohung hat nur Ofenheizung Unzufriedenheit mit Wohnumgebung: Die bisherige Wohnung hat zu wenig Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, usw. Die bisherige Wohnung ist zu schlecht gelegen Sonstige Gründe: Die Angehörigen haben das Haus übernommen Die bisherige Wohnung muß kurzfristig geräumt werden Die Erwartungen an das Betreute Wohnen sind sehr hoch gesteckt, dies kommt auch in den Einzugsgründen zum Ausdruck. Mit einer solchen Ausgangslage wird der Betreuungsdienst konfrontiert. Die Älteren erwarten meist mehr als tatsächlich leistbar ist. Und damit es nicht zu Enttäuschungen kommt, müssten diese Erwartungen modifiziert werden, vielleicht schon im Vorfeld durch entsprechende Aufklärung auch über die Grenzen des Betreuten Wohnens. Unsere 135 Studie zeigt, dass vor dem Einzug in die Betreute Seniorenwohnanlage nur 24,3% der Älteren Kontakt mit dem Betreuungsträger hatten. Also ich sehe hier eine Bringschuld des Betreuungsträgers. 2. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, den Bewohner/ die Bewohnerin beim Einzug ins Betreute Wohnen „in Empfang zu nehmen“. Wenn Sie ins Hotel kommen, dann werden Sie dort begrüßt. Wir stellen immer wieder fest, dass ältere Menschen ins Betreute Wohnen einziehen und verwundert sind, dass erst mehrere Tage bis mehrere Wochen vergehen müssen, bis jemand das erste Mal nach ihnen sieht. Da mangelt es manchmal an der Abstimmung zwischen Bauträger, Vermieter und Betreuungsdienst. Einzugstermine von Älteren werden nicht oder nicht fristgerecht übermittelt. Der Betreuungsträger wird dann nicht oder zu spät darüber informiert, dass eine Person neu einzieht. Der Einzug ins Betreute Wohnen ist ein ganz wichtiges Ereignis im Leben der Älteren. Es ist nach unseren Befunden für die meisten Älteren die hoffentlich letzte Wohnstation in der eigenen Wohnbiografie, und diesen Einzug gilt es zu begleiten. Ich sagte bereits, nur ein Viertel der Älteren hatte vor Einzug Kontakt mit dem Betreuungsträger. Wie ist es denn nach Einzug? 45% der Probanden berichten, dass der Betreuungsträger von sich aus in den ersten beiden Tagen nach Einzug Kontakt aufgenommen hat. Bei 17% erfolgte die erste Kontaktaufnahme des Betreuungsträgers einige Tage nach Einzug, bei 13% erst nach zwei Wochen und bei 11% erst 4 Wochen nach Einzug. 3% der Älteren gaben (3 Monate nach Einzug) an, dass eine Kontaktaufnahme bislang nicht erfolgte und 9% konnten keine Angaben mehr darüber machen. Ich könnte mir eine bessere Begleitung, einen besseren Empfang der Älteren im Betreuten Wohnen vorstellen. 3. Es ist wichtig, über die Funktionsweise des Notrufs und der Notrufbenutzung regelmäßig zu informieren und diese regelmäßig einzuüben. Das Erleben von Sicherheit ist im Alter zentral. Manchmal haben Ältere sogar ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis. Der Notruf ist ein wichtiger Teilaspekt der Lebenswirklichkeit im Betreuten Wohnen. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Älteren die Funktion eines Notrufes kennen, wenn diese ihnen einmal beschrieben worden ist. Wir stellen immer wieder Unsicherheiten im Umgang mit dem Notruf fest, manche Ältere wissen nicht, wie der Notruf 136 funktioniert. Das Notrufnutzungsverhalten müsste also in regelmäßigen Abständen eingeübt werden. Man müsste den Notruf als Test auslösen können, man müsste auch besichtigen, wo der Notruf eingeht, welche Personen diesen entgegen nehmen. Hilfreich wäre vielleicht auch ein „Flyer“, der kurz darüber informiert „wie kann ich wo wen erreichen?“. Solche „Kleinigkeiten“ fördern das Sicherheitserleben. Im Winter, zur kalten Jahreszeit, wenn man weniger Möglichkeiten hat, anderen Bewohnern „zufällig“ zu begegnen, scheinen häufiger Kontakt-Notrufe vorzukommen. 48% unserer Stichprobe berichten bei der zweiten Erhebungswelle drei Monate nach Einzug, eine ausführliche Notrufeinführung bekommen zu haben; 27% haben eine kurze und 24% haben (nach eigenem Bekunden) keine Notrufeinführung erhalten. 51% der Älteren haben den Notruf schon einmal versehentlich ausgelöst. Auch dies könnte ein Hinweis für Unsicherheiten im Umgang mit der Notrufanlage sein. 4. Eine Aufgabe des Betreuungsträgers ist es auch, immer wieder (die Betonung liegt auf „immer wieder“) über die Betreuungsleistungen, sowohl über Leistungen als auch über die Kosten dieser Leistungen zu informieren. Wir haben verschiedene (insgesamt 32) Grund- und Wahlleistungen im Betreuten Wohnen aufgelistet und haben die Älteren gefragt, ob diese Leistungen in der Grundpauschale enthalten sind, ob diese extra kosten, ob diese nicht erhältlich sind oder ob die Älteren darüber nicht Bescheid wissen. Auffällig ist der hohe Prozentsatz der „weiß-nicht“-Antworten. Dies deutet auf eine Unsicherheit, auf einen Mangel der Informiertheit der Älteren über die Betreuungs- und Pflegeangebote hin, sowohl über die Grund- als auch die Wahlleistungen. Auch hier sehe ich die Aufgabe für den Betreuungsträger, besser zu informieren. Wir haben zudem gefragt, ob diese (Grund- und Wahl-) Leistungen jetzt genutzt werden, ob die ältere Person diese zukünftig nutzen möchte, ob sie diese auch zukünftig nicht nutzen möchte oder ob die Person darüber keine Angaben machen kann. Hier ist der hohe Anteil der Nichtnutzer auffällig und der Personen, die sagen, auch in Zukunft (spezifische) Betreuungs- und Pflegedienstleistungen nicht nutzen zu wollen. Könnte dieser Befund vielleicht bedeuten, dass manche Dienstleistungen, die im Betreuten Wohnen angeboten werden, gar nicht so gewünscht werden? Was wird aus einem Angebot, das nicht oder zu wenig die Erwartungen potenzieller Kunden 137 trifft? Könnte man daraus folgern, dass das Konzept des Betreuten Wohnens modifiziert werden müsste? Ich will mich zum jetzigen Zeitpunkt hier noch nicht festlegen, weil wir noch keine differentiellen Auswertungen gemacht haben. 5. Es ist sehr wichtig, der sozialen Isolierung der Bewohner entgegen zu steuern durch die Förderung von sozialen Kontakten und den Aufbau von Hilfenetzwerken. Soziale Kontakte sind für das Wohlbefinden grundlegend. Die Bewohner im Betreuten Wohnen wohnen in der Regel alleine in der Wohnung. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle von ihnen ein funktionierendes, intaktes Hilfenetzwerk haben. Ein Drittel unserer T2-Stichprobe gibt an, keinen anderen Mitbewohner persönlich zu kennen. Es gilt, der Gefahr der sozialen Isolierung und Vereinsamung entgegenzusteuern. Kontaktpotenziale, die vielleicht latent vorhanden sind, müssten noch mehr unterstützt werden. Wir haben die Probanden gefragt, was sie denn bereit wären, mit einer Nachbarin oder einem Nachbarn zu tun. Wir wollten wissen, wo Potenziale – „helping hands“ - vorhanden sind, die vielleicht aktiviert werden könnten. 55% der Befragten wären bereit, gemeinsame Unternehmungen mit anderen Bewohnern im Betreuten Wohnen zu machen; 36% wären bereit, persönliche Dinge mit den Mitbewohnern zu besprechen. 41% wären bereit, sich für einige Tage um die andere Person z.B. bei vorübergehender Krankheit zu kümmern. 29% würden einen Mitbewohner oder eine Mitbewohnerin zum Arzt begleiten; 23% würden bei praktischen Dingen im Haushalt helfen, 24% würden zusammen mit dem Anderen Einkaufen gehen, 21% würden Zusammenkünfte und Feste in der Wohnanlage mitorganisieren helfen, aber nur 2,7% wären bereit, hin und wieder gemeinsam zu kochen. Zwischenfrage eines Teilnehmers: Sind das regelmäßige Aktivitäten gewesen, oder haben Sie gefragt: „nur ab und zu“? Das ab und zu zu machen, wären viele bereit, aber sobald es eine Art Verpflichtung ist, hört die Bereitschaft auf. Saup: Nein, wir haben drei Monate nach Einzug gefragt „wozu wären Sie denn bereit“, wir wollten Potenziale entdecken; bei der dritten Erhebungswelle (ein Jahr später) und bei der vierten Erhebungswelle (drei Jahre später) fragen wir dann „was haben Sie gemacht?“ 138 Ich glaube, Bereitschaften müssen geweckt werden, müssen begleitet werden, müssen unterstützt werden, damit sie zum Ausdruck kommen, damit sie manifest werden können. Und ich erwarte, dass sich im Verhalten der Älteren Unterschiede zeigen, auch deshalb, weil sich unsere Wohnanlagen hinsichtlich ihrer „kommunikativen Architektur“ und hinsichtlich ihrer Betreuungsrealität (aber nicht in der Betreuungskonzeption) von einander unterscheiden. 6. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, für die sozialen Räumlichkeiten im Betreuten Wohnen „behavior-settings“, die Benutzungsprogramme, mit zu planen, mit zu initiieren. Es geht darum, für die Cafeteria und andere Veranstaltungsräume Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Der Architekt hat nur die „Hardware“ zur Verfügung gestellt. Oft bleiben aber diese Räume ungenutzt. Man muss sich also „Möglichkeiten der Begegnung“ ausdenken. Was soll dort geschehen? Soll der Raum zu Ostern, zu Weihnachten gemeinsam mit Bewohnern geschmückt werden? Sollen dort auch Veranstaltungen mit dem Pfarrer, mit Gemeinderäten, mit Vereinen, mit Ärzten, mit dem Heilpraktiker sein? Sollen dort Vorträge zu hören sein über „Gesundheit im Alter“, „Ernährung im Alter“, „Gestaltung eines Testaments“ usw.? Wohl müsste dort auch Kaffee und Kuchen geboten werden, zu sozial verträglichen Preisen. Es geht auch darum, Sitzecken mit Leben zu füllen, denn die Sitzecken sind oft tot. Es geht darum, gemeinsam mit den Bewohnern (und da denke ich an die Betreuungskraft des Betreuungsträgers: Betreuung ist für mich soziale Alltagsbegleitung!) Sitzecken anzueignen, zu schmücken: Bewohner sollen sagen können „das ist unsere Ecke“, „die gehört zu uns“; dort dürfen Zeitschriften ausliegen, dort dürfen Gesellschaftsspiele gemacht werden, dort kann auch ein „Probesitzen“ initiiert werden, dort kann ein Skat-Turnier, ein „Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spiel, eine Vorleserunde stattfinden. Warum nicht? 7. Es geht auch darum, die Grenzen des Betreuten Wohnens anzusprechen und zu vermitteln. Wir haben bislang, glaube ich, noch zu wenig empirische Erfahrung über die Tragfähigkeit und die Grenzen des Betreuten Wohnens, abgesehen von Einzelfallschilderungen. Ich erwarte, dass die Grenzen des Betreuten Wohnens bei Multimorbidität und Demenz erreicht sein werden. Der Betreuungsträger bzw. die Kontaktperson des Betreuungsträgers müsste diese Grenzen 139 sensibel ansprechen, schrittweise ansprechen und auch einen Umzug in ein Pflegeheim als eine Möglichkeit für die Älteren erscheinen lassen. Man kann diese Thematik nicht tabuisieren, die Bedrohung durch den körperlich-seelischen Abbau erscheint mir bei Hochund Höchstbetagten real. Auf die Prävalenzraten für Demenz bei den Hoch- und Höchstbetagten habe ich ja bereits hingewiesen. Das durchschnittliche Eintrittsalter der Älteren bei Einzug ins Betreute Wohnen liegt in den von uns untersuchten Anlagen bei 78 Jahren, es ist also schon recht hoch. 8. Welche Rolle hat die Kontaktperson des Betreuungsträgers? Aus meiner Sicht hat sie eine Schlüsselstellung für das Funktionieren des Betreuten Wohnens. Was müsste sie denn für ein Arbeitsverständnis haben? Ich favorisiere einen zugehenden Ansatz: nicht abwarten, nicht Bürodienst machen, nicht die Arbeitszeit auf den Vormittag beschränken. Die Person müsste eine generelle Werthaltung den Älteren gegenüber haben, die getragen ist von einer Wertschätzung für die Älteren. Ich habe mir fünf Rollen ausgedacht, in denen ich mir so eine Dame vorstelle. (Ich denke tatsächlich immer an eine Dame, ich weiß auch nicht warum.) Erstens, sie könnte eine „Empfangsdame“ sein - wie im Hotel - für die Neuankömmlinge, die sie begrüßt, in Empfang nimmt. Zweitens, sie könnte eine „Moderatorin“ von zwischenmenschlichen Begegnungen sein. Sie bringt Einzelne zusammen, initiiert Treffen, schlichtet Konflikte, stimuliert Gruppenprozesse (also sozial-kommunikative Kompetenz wäre wichtig). Drittens, sie könnte „Konfidantin“ für einzelne Bewohner sein, also eine Vertrauensperson für Einzelne, also auch eine Trostspenderin für die Wechselfälle des Lebens. Eine vierte Rolle: Sie könnte „Pförtnerin“ für Informationen, auch für die Vermittlung von Diensten sein. Und schließlich fünftens könnte sie eine „Organisatorin" für diverse Aktivitäten und Veranstaltungen sein. Also Sie sehen, ich favorisiere eine Person mit guten kommunikativen Fähigkeiten, also weniger eine Kraft, die ihre Kompetenz primär im Pflegebereich hat. 140 Diskussion Joachimsthaler: Danke schön für Ihren interessanten und lebhaften Vortrag. Ich denke, er hat uns allen auch viel Neues gebracht, und wenn Sie jetzt Fragen haben, dann gebe ich Ihnen noch Gelegenheit dazu. Kremer-Preiß: Was mir noch ein bisschen gefehlt hat bei der Tätigkeitsbeschreibung für die Betreuungsträger, war der Zugang zu den Angehörigen. Vielfach läuft ja der Kontakt, der Einstieg in die Einrichtung und auch, dass viele Bewohner dort längerfristig bleiben können, nur, wenn Angehörige mithelfen. Wie sieht das aus? Engels: Ich habe zwei Fragen: Einmal die Frage bei der Auswahl der betreuten Wohnungen, die Sie in die Untersuchung einbezogen haben. Wir haben ja gestern über verschiedene Formen gesprochen, auch über die Form des Betreuten Wohnens in normalen Wohngebieten. Das haben Sie nicht einbezogen - haben Sie das bewusst nicht gemacht, weil Sie sagen, das ist einfach nicht vergleichbar, da sind die Voraussetzungen zu unterschiedlich, oder hatte das eher pragmatische Gründe? Meine zweite Frage: Wir haben immer das Problem, wenn Qualitätsstandards formuliert werden, dass wir auf der anderen Seite eine gewisse Realität haben, mit der wir das vergleichen müssen. Da gibt es in gewissem Maße auch Veränderungsmöglichkeiten, aber die stoßen auch an ihre Grenzen. Was machen wir mit dieser Diskrepanz? An einem Beispiel: Sie haben über die Wohnraumgröße gesagt, Einraumwohnungen sind „mega-out“, und die Bewohner selber betrachten Wohnraumgrößen unter 40 qm als quasi indiskutabel. Wir haben uns gestern Wohnungen angesehen, Einraumwohnungen mit ca. 25 qm. Was sagen wir jetzt dazu? Sagen wir: Pech gehabt, wir haben etwas übernommen, was für Betreutes Wohnen nicht geeignet ist – oder gibt es Anregungen, Empfehlungen, wie man auch hier mit einem Defizit so umgehen kann, dass man es auf irgendeine Weise kompensieren kann? 141 Teilnehmer: Darf ich die Frage kurz ergänzen? Ich meine, die Wohnungsgröße hat natürlich auch etwas mit dem Endmietpreis zu tun, und wir beobachten, dass die Wahl der Wohnung schlicht und einfach nicht nur nach ästhetischen, sondern auch finanziellen Gründen erfolgt. Stollarz: Das KDA hat eine Broschüre über gemeinschaftliches Wohnen herausgegeben, und ein wichtiges Kernprinzip dieser Art von Wohnformen ist die Selbstorganisation durch die Bewohner. Ich war selbst erstaunt, wie viel die selber machen können. Meine Frage: Bei allem, was Sie gesagt haben, waren eigentlich die Bewohner eine passive Masse, die von irgendjemand gemanagt werden muss. Inwieweit spielt bei Ihren Überlegungen oder Untersuchungen auch die Frage eine Rolle: Was machen die Bewohner unter sich aus, was machen die selbst, was organisieren sie selbst in so einer Wohnform? Teilnehmerin: Ich habe eine Frage zu dem „Advokatenplaner“, wie das mit Planungshilfen ist, um im Vorfeld schon Fehler zu vermeiden, die hinterher dann beim Bewohnen von diesen Betreuten Wohnanlagen Schwierigkeiten machen. Wie schaffen Sie es, eine gelungene Zusammenarbeit hinzukriegen? Ich weiß nicht, ob sich der eine oder andere Architekt dabei aufs Füßchen getreten fühlt, wenn da noch jemand nachplant. Wie kann man da eine gelungene Zusammenarbeit hinkriegen, ich denke auch zwischen Investoren und Maklern, wie kann man im Vorfeld solche Probleme schon einmal angehen? Da interessiert mich eine gute Zusammenarbeit, damit für alle Beteiligten auch ein befriedigendes Ergebnis rauskommt. Joachimsthaler: Danke für die Fragen. Jetzt bitte ich Professor Saup, die Fragen zu beantworten. Saup: Was ich Ihnen heute präsentiert habe, war sozusagen eine Momentaufnahme aus einer Forschungswerkstätte; ein Projekt, das läuft, worüber eigentlich noch nichts publiziert wurde. Einiges ist schon ausgewertet, Vieles noch nicht. Aber wir wissen schon etwas über 142 die Angehörigen, über ihr Engagement, darüber, was sie beim Umzug tun, und wir haben auch zu verschiedenen Erhebungszeitpunkten die Kontaktqualität und Intensität der Älteren zu den Angehörigen einschätzen lassen; aber ich kann heute die Daten nicht präsentieren. Es ist mir klar, dass dies ein wichtiger Punkt ist. Angehörige spielen schon im Vorfeld, bei der Entscheidung für den Umzug und auch bei der Auswahl der Wohnanlage, eine zentrale Rolle. Die Entscheidung wird - sofern Kinder vorhanden sind - immer im Familienkontext oder fast immer im Familienkontext fallen, das ist so weit schon klar. Die zweite Frage zur Auswahl der Betreuten Wohnanlagen: Mir geht es nicht darum, repräsentatives Datenmaterial liefern zu wollen. Meine Absicht ist, sozusagen ein Feld, das in der Weise noch nicht begangen worden ist, erstmals zu begehen und zu zeigen oder darauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, dieses Feld zu beschreiten. Wir wissen von Älteren im Betreuten Wohnen noch zu wenig, und wenn wir etwas wissen, so ist dieses Wissen meist retrospektiv generiert, im Rückblick, und es ist auch meist dadurch eingeschränkt, dass die Rücklaufquoten oft nur bei 30% bis 40%, teilweise noch niedriger, liegen. Wir wollten mit unserer Studie bewusst einen anderen Weg gehen, einen prospektiven Weg, deswegen die Längsschnittstudie. Wir begleiten den Lebensweg älterer Menschen im Betreuten Wohnen über einen längeren Zeitraum. Die Auswahl der Wohnanlagen erfolgte nach pragmatischen Gesichtspunkten. Wir haben jene Wohnanlagen genommen, die bei Planung und der ersten Phase unseres Projekts kurz vor der Bezugsfertigkeit standen. Eine Wohnanlage ist leider bezogen worden, bevor ich in der Lage war, diese T1-Fragen für den Interviewleitfaden fertigzustellen, deswegen haben wir dort nur unsere Pretests durchgeführt. Und dann haben wir jede Wohnanlage in der Region Augsburg genommen, die in den darauf folgenden eineinhalb Jahren fertiggestellt wurde. Die nächste Frage bezog sich auf den Wohnstandort und die Attraktivität der Wohnung. Mir ist natürlich klar, dass ich hier aus der Sicht eines Westdeutschen und eines Süddeutschen referiert habe. Und dass sie hier in den neuen Bundesländern andere Bedingungen im Betreuten Wohnen haben, erkenne ich. Lassen sie mich die gestellte Frage indirekt beantworten. Wir haben in einer Wohnanlage, einer solitären, kleinen Wohnanlage, die nur für einkommensschwache ältere Menschen ist (sie dürfen dort bestimmte Einkommensgrenzen 143 nicht überschreiten) etwas zusätzlich untersucht. Wir kontrastieren unser Datenmaterial, das wir haben, mit einer Vergleichsgruppe. Diese Vergleichsgruppe wird im Rahmen einer Diplomarbeit untersucht, und zwar haben wir Ältere befragt, die sich für diese Wohnanlage interessiert und angemeldet haben, aber sich dann von der Anmeldeliste haben streichen lassen. Wir wollten wissen, was die Attraktivität des Betreuten Wohnens im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus ausmacht - für die, die eingezogen sind und für die, die absprangen. Bei der Entscheidung gegen das Betreute Wohnen könnte auch die (kleine) Wohnungsgröße eine Rolle gespielt haben. Wir werden das bald wissen. Zur Selbstorganisation: Man kann in einem Forschungsprojekt nicht alles untersuchen, und dies ist bislang nicht unsere Fragestellung, ich kann Ihnen dazu wenig sagen. Das Einzige, was ich jetzt hier habe, sind diese Angaben zu den „helping hands“, zu den Potenzialen. Vielleicht wird ihre Frage zu einer Fragestellung, die wir im Rahmen von einer qualitativen Beschreibung einzelner Wohnanlagen (im Rahmen einer Diplomarbeit) beim vierten oder fünften Erhebungszeitpunkt aufgreifen. Es gibt ja viele interessante Fragen, die man in einer Studie einfach ausblenden muss; unsere Probanden sollen durch die Interviewteilnahme ja nicht überstrapaziert werden. Wir haben unseren empirischen Zugang pre-getestet und darauf hin sind einige Fragen weggefallen, weil wir gemerkt haben, das Interview dauert zu lange, überschreitet eine Stunde oder eineinhalb Stunden, das können wir nicht machen, sonst steigen uns die Leute beim nächsten Erhebungszeitpunkt aus. Man muss da immer einen Balanceakt wagen, und ich habe mich dafür entschieden, lieber weniger zu fragen und dafür die Stichprobe länger zusammen zu halten, dann weiß man im Endeffekt mehr. Die letzte Frage zum Advokatenplaner: Das Konzept als solches ist ja nicht neu, es stammt nicht von mir, sondern wurde in den 60erJahren im Rahmen von Stadtsanierungsmaßnahmen praktiziert. „Advocation planing“ in den USA und auch in Deutschland war damals ein partizipatives Planungskonzept. Diese Grundidee habe ich aufgegriffen und auf das Planen und Bauen für Senioren bezogen. Ob da Grundlagen vorliegen? Ja und nein, sie sind natürlich nicht so systematisch aufbereitet, dass ein Planer diese wie in einem Handbuch nachschlagen könnte. Mir persönlich war es wichtig, diesen Ansatz erstmal empirisch zu testen. Erste Erfahrungen zeigen, dass durch Advokatenplanung die Qualität des Planungsprozesses und die Qualität der betreuten Seniorenwohnanlage deutlich zu 144 steigern sind. Mir geht es nicht um post-occupency-evaluation - ein Planungsansatz, der von verschiedenen Kollegen vertreten wird, sondern mir geht es um die pre-occupency-evaluation, also um die nutzerorientierte Bewertung schon im Planungsstadium. Planungsfehler zu vermeiden, ist meist preiswerter, als Planungsmängel später durch Umbau- und Nachbesserungsmaßnahmen am Gebäude beheben zu wollen. Ich glaube wirklich, dass man im Vorfeld eine Planung optimieren kann, davon bin ich mittlerweile 100%ig überzeugt. Aber es gibt dabei Sensibilitäten zu beachten: Architektinnen scheinen weniger Berührungsängste zu haben als ihre männlichen Kollegen, die sich manchmal durch die Mitwirkung eines Gerontologen und Architekturpsychologen in ihrer Gestaltungsehre angegriffen fühlen. Mit meinen Optimierungsvorschlägen (die nicht selten auch Einsparungsmaßnahmen waren) habe ich bei Architekten manchmal mehr Widerstände erfahren. Planende Frauen scheinen für Anregungen aus anderen Professionen bislang mehr aufgeschlossen zu sein. Großhans: Mein Name ist Hartmut Großhans vom Gesamtbundesverband der Wohnungswirtschaft, und diesen Job, den Sie in der Beratung machen, den habe ich auch bei unseren Kollegen gemacht. Ich sage mal, 95% dessen, was Sie uns heute gesagt haben, hat nichts mit Geld zu tun, das kostet alles keine müde Mark mehr. Selbst wenn wir sagen, wir brauchen ein bisschen größere Wohnungen, ist zu überlegen, ob man den Grundriss besser, intelligenter organisiert - mit den Quadratmetern, die man hat. Wer nicht so viel Geld hat, kann sich auch auf einem kleinen Grundriss organisieren, wenn er gut ist. Alle anderen Dinge sind nur Fragen der Intelligenz. Wir haben zum Beispiel in Menden eine Einrichtung, in der wirklich ein Empfang wie im Hotel ist: Man kommt rein und hat das Gefühl, da wird man bedient. Einen Punkt wollte ich noch erwähnen: Wenn wir sagen „die alten Menschen“ - Sie untersuchen jetzt welche, und die haben jetzt ein bestimmtes Alter bis hochaltrig. Bitte haben Sie immer im Gedächtnis: dies geht ab 65 Jahren. Und ein ganzer Katalog dessen, was in diesen beiden Tagen darüber gesagt worden ist, wie man mich betreuen wird, da kann ich natürlich nur trocken husten. Ich bin 65 Jahre alt und habe gerade meine neue Wohnung altengerecht eingerichtet, genau so, wie Sie es gesagt haben. Und da betrifft diese „Angstphase“, über die Sie gesprochen haben, ob alles fertig ist, 145 jemanden, der gerade frisch aus dem Beruf kommt, nicht so sehr: Wir hatten noch einen Monat die Handwerker in der Wohnung und konnten „hinterher sein“ und sagen: Das wird runtergelegt, der Schalter kommt da hin, da muss noch ein bisschen geschlitzt werden und alles dieses. Das heißt, beim Interpretieren von Daten müssen wir uns doch immer die Alterskohorte angucken, über die wir Aussagen machen. Ansonsten kann ich nur empfehlen: Sie müssen Training machen bei unserem Wohnungsunternehmen! Joachimsthaler: Und bei den Bauträgern. Großhans: Über die Bauträger kann ich nichts sagen. Aber unsere Wohnungsunternehmen vermieten langfristig Wohnungen und vermieten Wohnungen mit „Service Plus“, damit sie sie ordentlich vermieten können - aus wirtschaftlichem Motiv. Aber es muss Inhouse-Seminare geben, da muss vom Chef bis zum Hausmeister trainiert werden. Saup: Eine kurze Reaktion darauf. Mein Altersspektrum, an das ich denke, ist nicht so groß. Mich würde mit 65 Jahren keiner locken, ins Betreute Wohnen zu ziehen. Auch die Werbung der Betreuten Wohnanlagen mit den rüstigen Jungsenioren, die mit einem Partner strahlend auf einer Parkbank sitzen - das ist nicht die Zielgruppe des Betreuten Wohnens, die ich aus Bayern und Baden-Württemberg so kenne. Es mag sein, dass es auch dieses Service-Wohnen für die Rüstigen gibt. Aber darüber rede ich nicht; ich habe hier über Hochaltrige geredet, ich sagte, das durchschnittliche Eintrittsalter ist 78 Jahre; meist mit vorgeschädigtem Gesundheitszustand. Großhans: Ich habe es nur deshalb gesagt, weil Sie ja auch geschaut haben, was passiert, wenn wir die Wohnung wollen. Ich bin Genossenschaftsmitglied, also Mieter, und habe in meiner Wohnung trotzdem etwas verändert, weil ich es für sinnvoll halte. Ich will nur sagen: Ich brauche jetzt noch keine Betreuung. Aber wir haben einen Waschtisch, den man unterrollen kann mit zwei Küchenelementen, die eigentlich auf Rollen gesetzte Küchenschränke sind und die man 146 rausrollen kann. Wir haben in meinem Arbeitszimmer ein Fenster mit einer Glasbrüstung, die so positioniert ist, dass da ein Pflegebett stehen kann, sodass ich, wenn ich da drin liege, in den grünen Hof gucken kann. Das heißt, auch wenn man selber noch das Gefühl hat, es sei weit weg, sollte man einfach überlegen, wie man, wenn man in das Alter kommt, von dem Sie sprechen, damit umgehen kann. Daran sollten wir mehr denken. Wenn wir es jetzt angehen, dann kostet es im Grunde wenig; nachher kostet es Geld. Saup: Ja, da gebe ich Ihnen recht. Joachimsthaler: Danke nochmal, Herr Professor Saup. Wir möchten jetzt in die Arbeitsgruppen gehen. Sie können aus dem Programm entnehmen, welche Thematiken die Arbeitsgruppen haben. Im Anschluss daran treffen wir uns wieder hier im Tagungsraum. 147 Berichte aus den Arbeitsgruppen Joachimsthaler: Ich hoffe, Sie hatten alle anregende Diskussionen in Ihren Arbeitsgruppen. Ich möchte jetzt darum bitten, dass aus den Arbeitsgruppen die Zusammenfassungen gegeben werden. Arbeitsgruppe 1: Marktchancen von Wohnangeboten mit Service (Engels) Unsere Eingangsfrage war: Welche Erfahrungen gibt es aus anderen Städten, aus anderen Regionen? Es hat sich dann ein Erfahrungsaustausch angeschlossen, der sehr gemischt war. Es hat sich wohl auch in anderen Gruppen gezeigt, dass es ein großes Gesprächsbedürfnis gab. Von daher haben wir uns zu verschiedenen thematischen Schwerpunkten ausgetauscht, und nicht nur stringent eine Frage bearbeitet. Es hat sich aber schon heraus kristallisiert, was die zentralen Probleme waren. Zunächst ging es um eine Begriffsklärung. Es gab nochmal das Bedürfnis, diesen Begriff des „Betreuten Wohnens“ bzw. des „Service-Wohnens“ genau abzugrenzen gegen Zwischenformen. Es wurde berichtet – es gibt ja immer wieder diesen Fall –, dass Wohnungsunternehmen ihren Leerstand so zu bewältigen oder attraktiv zu machen versuchen, dass sie einfach jemanden einstellen oder in irgendeiner Weise ein Betreuungskonzept anbieten, ohne dass dies wirklich ein durchdachtes Konzept von Betreutem Wohnen wäre. Die Frage war: Was soll Betreutes Wohnen bei „durchmischten“ Wohnungen oder Wohnanlagen heißen? Ist dann die gesamte Wohnanlage „Betreutes Wohnen“ oder gilt das nur für die, die einen Service-Vertrag haben? Es gibt da Grenzbereiche, wo unter dem Begriff „Wohnen Plus“ ein Wohnungsanbieter einen Sozialarbeiter einstellt, der für alle Bewohner zuständig ist und nicht nur für Ältere. Wir haben dann gesagt, dass wir uns auf Betreutes Wohnen für Ältere konzentrieren wollen. Es wurde dann im weiteren Verlauf der Diskussion die Frage gestellt: Wie ist es speziell bei gemischten Wohnbeständen mit dem Verhältnis zwischen Jung und Alt? Es hat ja sicher auch bestimmte Vorteile in der Bewohnerstruktur, wenn sie vermischt ist, und dann sähe es ja auch so aus, dass die Älteren einen Service-Vertrag annehmen, während andere in der Wohnanlage oder in dem Gebäude wohnen, für die das nicht gilt. Es wurde dabei differenziert zwischen einem stärker betreuungsorientiertem Interesse von 149 Hochaltrigen und stärker service-orientierten Interessen von jungen Alten. Als Vorteil wurde hier nochmals darauf hingewiesen, dass es gegenseitige Hilfepotenziale geben könnte, wenn Jung und Alt zusammen wohnen. Speziell von Halle wurde berichtet, dass hier ein Projekt geplant ist, wo in der unteren Ebene und im Erdgeschoss Senioren einziehen sollen und in den oberen Etagen Studenten. Davon erhofft man sich einen solchen Austausch und auch eine z.T. eine ehrenamtliche Steigerung der Betreuungsqualität. Nur die Fragen: Wo gibt es schon Erfahrungen mit solchen Wohnformen? Wo ist so etwas schon über längere Zeit praktiziert worden? Wie sieht die Realität von solchen gemischten Projekten aus? – waren schwer zu beantworten. Es handelt sich dabei doch eher um Konzepte. Dann kamen wir zu einem Punkt, der uns am längsten beschäftigt hat – nämlich die Frage: Wie können wir Marktchancen beeinflussen und verbessern? Im Vordergrund stand die These „Marktchancen erfordern differenzierte Konzepte“, Konzepte, die auf unterschiedliche Interessen- und Bedürfnislagen sowie auch auf regionale Spezifika hin differenziert sind. Als ein Beispiel wurde das hier in Halle schon zur Sprache gebrachte „Projekt im Projekt“, also Betreutes Wohnen für Demente innerhalb des Service-Wohnens, angesprochen. Das wäre ein spezifisches, auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittenes Konzept. Es wurde weiterhin darauf verwiesen, dass solche Abstimmungen natürlich ein generelles Case-Management erfordern und eine genaue Abstimmung auf das Quartier, die als wichtiger betrachtet wurde als die Planung im Vorhinein am grünen Tisch. D.h. also, wir haben zwar auch viel über Qualitätsnormen und über Anforderungen gesprochen, aber mindestens genau so wichtig ist es, sich von diesen Normen nicht bis zur letzten Planung bestimmen zu lassen, sondern die Planung auf die Bedürfnisse vor Ort abzustimmen. Ein Vorschlag war, zwischen Normen und Zielen zu unterscheiden. Normen wären die Mindestanforderung, über die wir auch bisher gesprochen haben; man sollte aber auch sagen können: Auch wenn die nicht erreichbar sind, wollen wir doch bestimmte Ziele verfolgen, die vielleicht mehr oder weniger oder auch nur zu einem geringen Teil erreicht werden. Aber wichtig wäre dabei vor allen Dingen die Abstimmung auf die regionalen Bedingungen, auf die Interessenlage vor Ort. An dieser Stelle wurde angemerkt, dass der Aspekt des „Normierten“, des Verallgemeinerten hier bei unserer Tagung zu sehr im Vordergrund gestanden habe und dass man doch auch an konkreten 150 Beispielen interessiert sei; auch daran interessiert, wo es dazu Informationsmaterial gebe. Das KDA hat nochmal darauf hingewiesen, dass dort Literatur und auch Beispiele abgefragt werden können. Ein Aspekt der Flexibilität ist auch die Frage nach „Markt“ und „Geld“. Ein Teilnehmer sagte: „Senioren, an die wir uns wenden, sind gar nicht marktfähig, die haben gar nicht das Geld.“ Es wurde aber klargestellt „marktfähig“ heißt: für verschiedenartige Bedürfnisse und auch für unterschiedliche Geldbeutel passende Konzepte anzubieten. Dabei ging es also wieder um Flexibilität, im Hinblick auf Personengruppen, auf regionale Erfordernisse, auf Siedlungserfordernisse und auf andere regionalspezifische Faktoren. Vom Baulichen her wurde für Flexibilität als Beispiel ein so genanntes „Schaltzimmer“ erwähnt. Wenn mal größere Wohnungen, mal kleinere Wohnungen gewünscht werden, dann gibt es dieses Modell, dass ein Schaltzimmer dazwischen mal der einen Wohnung, mal der anderen zugeordnet werden kann – je nach Bedarf. Arbeitsgruppe 2: Sind die Erfahrungen mit dem Service-Wohnen im früheren Bundesgebiet auf die neuen Länder übertragbar? (Narten) Wir haben erst einmal festgestellt, dass wir hauptsächlich Vorträge aus dem Westen gehört haben; in unserer Arbeitsgruppe waren aber fast nur Teilnehmer aus den neuen Ländern. Deshalb kamen wir schnell zur Frage der Übertragbarkeit, und wir haben festgestellt: Eigentlich ist da relativ wenig übertragbar, weil hier auch im Wesentlichen über neue Wohnanlagen berichtet worden ist. Wir waren uns ziemlich schnell einig, dass neue Wohnanlagen im Osten eine viel geringere Rolle spielen. Es wurde zwar gesagt, dass es auch hier ein gewisses Klientel gibt, das für solche Wohnanlagen in Frage kommt, dass Anlagen aber hier nicht Fuß fassen konnten. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass viele Wohnanlagen, die in dem Hochpreissegment angesiedelt waren, sich - im Unterschied zum Westen nicht etablieren konnten. Es wurde das Modell „Schwäbisch Hall“ angesprochen, wo man sich in Genossenschaften zusammentut, um so eine Wohnanlage zu realisieren. Das wurde noch als einigermaßen realistisch angesehen, aber sonst ging man ganz schnell dazu über zu sagen: Wir haben hier eigentlich andere Probleme, wir haben hier eine andere Wohnungsstruktur. Wir haben einen viel geringeren Anteil an 151 Eigentum; wir haben einen viel größeren Stellenwert der Wohnungsunternehmen; wir haben eben das typische Phänomen der Plattenbauten. Und hier muss angesetzt werden, d.h. wir müssen bei den Wohnungsunternehmen und bei den bestehenden Siedlungen ansetzen, wir müssen diese weiterentwickeln. Dies heißt zunächst einmal, sie für Alte bewohnbar zu machen: Barrierefreiheit herstellen so weit wie möglich, und dann die Dienstleistung dazu bringen. Es war ziemlich schnell klar, dass diese Dienstleistungen nicht allein auf der monetären und professionellen Ebene erbracht werden können, weil es nicht bezahlbar ist. Das Beispiel, dass keiner so gerne mehr als 20 DM für eine Haushaltshilfe zu zahlen bereit ist (auch i.d.R. im Westen nicht) wurde dann angeführt. Wir waren der Meinung, dass man zu anderen Konstrukten kommen muss, dass man eigentlich immer einen gewissen Mix an Dienstleistungsangeboten bringen muss. Das eine sind die wirklich professionell notwendigen Dienstleistungen, die auch nur von Professionellen erbracht werden und dann auch entsprechend bezahlt werden müssen. Dann gibt es diese eher halb-professionellen Dienste, die z.B. von Zivildienstleistenden sowie von ABM-Kräften erbracht werden können. Und dann gibt es aber auch noch – ganz wichtig – die nicht so leicht abrechenbaren Dienstleistungen, die sich eher im Nachbarschaftsverhältnis abspielen. Es ist wichtig, die Nachbarschaften zu fördern, um auch diese Ebene mit abdecken zu können. Das führt uns automatisch dazu, dass wir sagen müssen: Es ist ein Problem, wenn Plattenbauten zu Senioren-Wohnanlagen entwickelt werden, weil dann genau dieses Element der Nachbarschaftshilfe fehlen wird. Es wurden eher Konzepte genannt, bei denen man gezielt den Einzug junger Leute in diese Plattensiedlungen und auch in diese Hochhäuser, die mit diesen kleinen Wohnungen ausgestattet sind, mit niedrigen Mieten fördert, um eine gewisse Bindung auch junger Leute an das Quartier zu entwickeln. Auf diese Weise könnte man eine Mischung herstellen und fördern. Wir waren sehr unterschiedlicher Meinung, wie erfolgreich solche Konzepte sind. Ob es sinnvoll ist, mit den Mieten so stark herunter zu gehen, ob dann nicht irgendwann auch Grenzen für die Wohnungswirtschaft da sind, das wurde natürlich kontrovers diskutiert. Ich denke, wir waren uns ziemlich einig, dass nur in dieser Weiterentwicklung der bestehenden Siedlungen das Konzept für den Osten liegt. 152 Arbeitsgruppe 3: Qualitätsanforderungen und Qualitätssicherung im Service-Wohnen (Wiencke) Meine Name ist Marco Wiencke von der Koordinierungsstelle Hamburg. Ich habe die Arbeitsgruppe 3 moderiert. Es war eine sehr bunt besetzte und lebhafte Gruppe. Es war, vermutlich auch bedingt durch den ganzen Input, den wir über die zwei Tagen bekommen haben, ein großer Diskussionsbedarf vorhanden. Insofern waren die Fragen, die wir vorher erarbeitet hatten, auch nicht ganz stringent einzuhalten - viele Dinge haben sich direkt aus der inhaltlichen Debatte ergeben. Zum Thema „Wohnqualität“ – was gehört direkt zur Wohnqualität? – wurde ganz klar auf die baulichen Aspekte hingewiesen. Wir hatten auch eine Diskussion über das, was vorhin von Professor Saup angesprochen wurde, nämlich: Inwiefern sind diese DIN-Normen eigentlich sinnvoll oder auch nicht? Es wurde auch nochmal darauf hingewiesen, dass man in der jüngsten Vergangenheit gerade versucht hat, diese DIN-Normen auch tatsächlich durchzusetzen; und dass es insofern auch ein wenig kontraproduktiv ist, wenn in dieser Phase allzu sehr gegen solche Normen angebracht wird, weil z.B. diese Geschichte mit den Türgriffen auch nur eine Sache von Gewohnheiten ist, die auch – was auch die Erfahrung in vielen Bereichen zeigt – ziemlich schnell von älteren Menschen umgestellt werden können, sodass es häufig eher für Professionelle ein Problem darstellt, aber nicht für die älteren Menschen, wenn der Türgriff auf einmal weiter unten ist als gewohnt. Dann spielt natürlich das Wohnumfeld ein große Rolle. Für ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind wie ich es als junger Mensch noch sein kann, ist es natürlich vorrangig, dass sie die wichtigen Dinge wie Geschäfte, U-Bahn- oder Busverbindung, auch in einem kurzen Radius erreichen. Interessant wurde es bei der Frage: Welche Leistung sollte eigentlich angeboten werden? In dem Zusammenhang stellt sich immer die Frage: Inwiefern kann man Leistung als Mindeststandard festlegen, wenn wir ein so großes Spektrum von verschiedenen Konzepten haben? Es wurde ganz deutlich bejaht, dass es dieses breite Spektrum geben soll; dass wir ganz viele verschiedene ältere Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen haben und es von daher sinnvoll ist, diese verschiedenen Konzepte auch für die verschiedenen Bedürfnisse vorzuhalten; dass man das nicht versucht 153 einzuengen, indem man nur ein, zwei Konzepte in dem Zusammenhang schafft. Es wurden aber trotzdem zwei, drei Dinge genannt, die doch für Betreutes oder Service-Wohnen ganz elementar sind: Zum Beispiel die regelmäßige Betreuung. Wir haben es für ganz elementar erachtet, dass Betreutes Wohnen in Abgrenzung zum Wohnen in „normalen“ Wohnungen diese regelmäßige Betreuung vorhält, die schwieriger zu gewährleisten ist, wenn ein Hilfe- oder Pflegebedarf z.B. durch eine Sozialstation abgedeckt wird. Und dass man diese Möglichkeit hat, die baulichen Voraussetzungen nach DIN 18025 und DIN 18024 zu beurteilen, ist sicherlich auch ein Mindeststandard. „Mitbestimmung und Mitgestaltung“ zu ermöglichen, sollte auch ein Mindeststandard im Betreuten Wohnen sein: Dass man eben nicht nur über die Bedürfnisse der älteren Menschen spricht, sondern dass man ihnen auch die Möglichkeit bietet, aktiv mit einzugreifen. Zum Thema „Leistungsqualität“ kam ganz deutlich in dieser Gruppe heraus, dass es vor allen Dingen (auch das hat Professor Saup vorhin angedeutet) auch auf kommunikative Fähigkeiten der Menschen, die die Betreuung im Betreuten Wohnen oder im ServiceWohnen organisieren, ankommt. Es war weniger wichtig, was derjenige handwerklich kann, sondern dass auch eine Moderationsfähigkeit in dieser Einrichtung vorhanden ist. Ich hatte noch zwei Fragen, zu denen wir aus zeitlichen Gründen nicht mehr gekommen sind. Wir haben noch kurz über den Schutzbedarf der Bewohner gesprochen. Welcher Schutzbedarf ist eigentlich vorhanden? Und welche Konsequenzen – vielleicht auch rechtliche – sollten daraus entstehen? Dazu wurde auch gesagt, dass man bei dieser Frage die Vielfalt des Betreuten Wohnens berücksichtigen muss; und dass es von daher schwierig ist, grundsätzlich zu sagen, Betreutes Wohnen sollte unter das Heimgesetz oder unter das Mietgesetz fallen. Man muss auch gucken, wieweit die Betreuung jeweils geht. Es ist dementsprechend vielleicht sinnvoll, in einigen Häusern, die unter das Heimgesetz fallen, auch neue Regularien zu schaffen. Dabei kommt es vor allen Dingen auch auf eine interne Qualitätssicherung an. Es ist wichtig, dass es durch die Einbeziehung der Bewohner/innen im Hause vielleicht gar nicht erst so weit kommt, dass von außen rechtliche Bestimmungen notwendig werden, sondern dass die Häuser von allein in der Lage sind, dieses für sich wahrzunehmen und zu gestalten. Das wurde aber auch in diesem Zusammenhang nicht abschließend diskutiert. 154 Service-Wohnen: Bedarf und Marktchancen in den neuen Bundesländern Podiumsdiskussion Teilnehmer/innen: Frau Dr. Theren (Sozialministerium SachsenAnhalt), Herr Professor Nentwig (Bauhaus-Universität Weimar), Herr Eisenberg (Projektentwickler), Herr Dr. Bartaune (Hallesche Wohnungsgesellschaft), Herr Eberhard (Stadtseniorenrat Halle) Moderation: Dr. Engels Engels: Es ist ja immer die Frage, wie man eine solche Tagung, die voller Vorträge und Diskussionen steckt, geeignet zum Abschluss bringt zu einem Abschluss, bei dem noch einmal verschiedene Aspekte zur Sprache kommen, die seit gestern Mittag hier diskutiert wurden; eine Diskussion, bei der man auch nochmal Gelegenheit hat, zu reflektieren und nochmal letzte Fragen zu stellen. Wir haben uns überlegt, dass es eine geeignete Form eines solchen Abschlusses sein kann, dass wir zu den verschiedenen Aspekten, die wir hier besprochen haben, entsprechende Podiumsteilnehmer einladen. Zwar sind das z.T. Aspekte gewesen, die die Stadt Halle, die konkrete Wohnsituation sowie die konkreten Projekte betreffen, die wir uns gestern angesehen haben. Es sind aber auch Fragen, die das Land Sachsen-Anhalt insgesamt betreffen, oder noch weiter gegangen: die Situation der neuen Bundesländer, die hier doch etwas anders gelagert ist, gerade wenn es um neue Modelle geht. Letztlich, bei dem Stichwort „Neue Modelle“, führt der Zusammenhang in das Modellprogramm „Selbstständig Wohnen im Alter“, das wir hier insgesamt als Rahmen unserer Veranstaltung haben. In solchen regionalen Schichtungen haben wir die Podiumsteilnehmer ausgewählt. Ich will zunächst unsystematisch anfangen, die Podiumsteilnehmer vorzustellen: Frau Dr. Theren vom Sozialministerium Sachsen-Anhalt aus Magdeburg - vielen Dank, dass Sie gekommen sind; zu meiner Rechten Herr Professor Nentwig von der Bauhaus-Universität in Weimar; dann ganz rechts Herr Eisenberg, Projektentwickler und im Beirat unseres Modellprojekts. Und zur linken Seite Herr Dr. Bartaune von der Halleschen Wohnungsgesellschaft und Herr Eberhard vom Stadtseniorenrat Halle. Ich will jetzt bei Ihnen, Herr Eberhard, mit meinen Fragen beginnen. 155 Herr Eberhard, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Seniorenrats der Stadt Halle und zudem noch Leiter der Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“. Sie befassen sich in besonderer Weise mit diesen Fragen, die uns ja auch hier beschäftigt haben. Sie waren sehr interessiert dabei und haben überlegt: Was bedeutet das jetzt für uns Senioren? Wir haben auf der einen Seite interessante Modelle sowie interessante Vorschläge. Wir haben viel über Qualität gesprochen. Wir haben auf der anderen Seite gesagt: Die Situation stellt sich vielleicht im konkreten Fall anders dar. Wie haben Sie das aus Ihrer Sicht wahrgenommen? Eberhard: Zuerst herzlichen Dank an die Veranstalter, dass Sie den Seniorenrat eingeladen haben – also konkret an Frau Joachimsthaler. Ich sage das ganz bewusst, weil bei uns im Seniorenrat öfter auch die Bemerkung fällt: Es wird viel über Senioren diskutiert und wenig mit Senioren. Deshalb ist es ganz gut, wenn bei so einem Workshop auch die Vertreter der Senioren dabei sind. Nun konkret zum Thema „Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept“. Wir haben in Halle einige Möglichkeiten genutzt. Der Stand ist so – gestern sagte das die Frau Bürgermeisterin –, dass wir ungefähr 1.300 altengerechte Wohnungen anbieten können. Um da ein bisschen Information unter die Senioren zu bringen, haben wir versucht, mit den kommunalen Wohnungsunternehmen sowie mit den Wohnungsgenossenschaften, Stadtseniorengespräche zu organisieren, um erstmal die Fragestellung „Senioren-gerechtes Wohnen, Service-Wohnen“ bekannt zu machen, und wir haben auch Merkblätter herausgebracht. Wir haben uns damit natürlich nicht akademisch beschäftigt, sondern ganz konkret und haben den Senioren mitgeteilt: In Halle gibt es die und die Wohnungen, mit den und den Preisen. Daraus ergibt sich schon ein Problem; gern haben die Anbieter das alles nicht genannt. Aber wir hatten z.B. bei den Pauschalgebühren, die da zu zahlen sind, Differenzen zwischen 60,DM und 290,- DM, bei etwa vergleichbaren Angeboten. Wir glauben, dass wir die Fragen, die hier gestern gestellt wurden, versucht haben, auf lokaler Ebene dadurch zu lösen, dass wir erstmal den Senioren überhaupt die Information über das Angebot gegeben haben. Das Problem, das von Herrn Professor Saup hier akademisch gründlich und wissenschaftlich exakt dargestellt wurde, das haben wir in unseren Gesprächen auch schon längst erfahren. Die Senioren möchten insbesondere Sicherheit haben, und zwar Sicherheit vor 156 zwei wesentlichen Einschränkungen im Alter. Das ist die immer weiter steigende „je-älter-ich-werde-Einsamkeit“ und die immer weiter steigende Gebrechlichkeit – also Krankheit bis Altersverwirrtheit. D.h. die Erwartung ist, dass Betreutes Wohnen mehr Sicherheit – besonders für diese beiden Gebiete – bringt; von daher auch der Ansturm auf solche Angebote. In aller Deutlichkeit möchte ich nochmal sagen: Ganz schnell verfügt sind die Wohnungen, die wir anbieten, die gefördert sind und die zu 9 DM-Mietpreisen angeboten werden (wer einen Wohnberechtigungsschein hat, bekommt eine solche Wohnung). Schon schwieriger wird es bei Mieten, die 13 DM, 14 DM und 15 DM betragen, aber auch diese Wohnungen sind i.d.R. immer noch besetzt. Die Frage ist: Ist Service-Wohnen ein zukunftsorientiertes Wohnprojekt? Ich glaube, dass Service-Wohnen Zukunft hat, aber begrenzt. Es ist ein Segment im großen Angebot der Wohnungen. Nicht alle 60.000 Senioren von Halle werden in ServiceWohnungen oder Betreutes Wohnen ziehen. Aus den Erfahrungen, die wir in Gesprächen gewonnen haben, ist das Maximum beim Angebot auf dem Wohnungsmarkt auf diesem Sektor höchstens 10% - und das, meine ich, ist schon hoch. Aber das sind keine wissenschaftlichen Angaben, sondern Erfahrungen. Engels: Die letzte Schätzung, dass für 10% der Senioren ein Wohnen mit Service in Frage käme, ist sehr hoch - wir sprachen gestern über Schätzungen von 0,4% bis 2% der Senioren. Es ist auch gar nicht so gemeint, dass es ein Regelangebot oder das Standardangebot für eine möglichst große Gruppe sein soll, sondern es ist die Frage, für wen es genau passt. Eberhard: Mit dem Marktpotenzial von 10% sind nicht nur Betreuungsangebote gemeint, die vor allen Dingen für Hochbetagte in Frage kommen, sondern wir meinen damit alle Angebote von altengerechten Wohnungen, auch die, die die Möglichkeit der Service-Leistung nicht unbedingt integriert haben, aber möglich machen. Wir meinen das etwas breiter, um dies klar zu stellen. Engels: Vielen Dank für diese Klarstellung. Ich finde es auch sehr interessant, dass Sie für Halle eine Übersicht erstellt haben und damit die 157 „Markttransparenz“ – die ja immer gefordert wird – verbessert haben. Das ist eine sehr wertvolle Arbeit; umso wertvoller, als es ja aus der Sicht der Wohnungsgesellschaften zunächst darum geht, ein Problem zu lösen – nämlich das Problem, dass man z.T. große Bestände von leer stehenden Wohnungen hat. Man fragt sich: Wie können wir die attraktiver machen? Es wird dann in Zusammenarbeit mit einem Betreuungsträger versucht, diese Wohnungen durch ein Service-Angebot zu verbessern. Da ist es natürlich gut, wenn man einen genauen Überblick hat, welche Angebote mit welcher Qualität es gibt. Herr Dr. Bartaune. Sie sind von der Halleschen Wohnungsgesellschaft und arbeiten mit dem Senioren-Kreativ-Verein in dem Wohnprojekt zusammen, das wir gestern besucht haben. Könnten Sie kurz darstellen, welchen Stellenwert es für Sie hat, dass eine solche Kooperation möglich ist – dass ein solcher Betreuungsträger überhaupt auf dem Plan ist, an den Sie sich wenden können? Bartaune: Zu Ihrer Frage: Natürlich gibt es betriebswirtschaftliches Interesse. Die Senioren sind für uns ein interessanter Kundenkreis. Wir meinen, durch das Anbieten spezieller Dienstleistungen Kunden in unser Unternehmen locken zu können – und Kunden in unserem Unternehmen halten zu können. Das ist ein ganz offenes wirtschaftliches Interesse, das da vorliegt. Ein zweiter Punkt, den ich nennen möchte: Wir sind ein kommunales Unternehmen und haben von daher natürlich auch eine bestimmte Verantwortung zu übernehmen, die unser Gesellschafter von uns verlangt. Von daher sehen wir auch unsere Verantwortung darin, soziale Hilfe zu leisten – an den verschiedensten Fronten. Dass wir den Senioren-Kreativ-Verein für unsere drei Objekte gefunden haben, ist ein glückliches Zusammentreffen. Die Zusammenarbeit ist sehr gut und wir können über diese Wohnungen, die wir dort anbieten, unseren älteren Mitbürgern ein vernünftiges und würdevolles Leben garantieren. Von daher haben wir einen guten Ansatzpunkt gefunden, von dem aus wir die Zusammenarbeit auch weiter organisieren werden. 158 Engels: Eine Rückfrage noch dazu: Sie haben von der sozialen Verantwortung gesprochen, die Sie als kommunales Unternehmen haben. Natürlich spielt auch Geld eine Rolle. Heute Morgen kam in der Diskussion die Idee auf: Warum kann man eigentlich für diesen Qualitätszuwachs, den der Betreuungsträger dem Wohnungseigentümer liefert, nicht auch ein entsprechendes finanzielles Entgegenkommen erwarten? Es wurde von einem konkreten Beispiel berichtet, wo für diese Kombination von Wohnung und Betreuung/Service eine Sozialarbeiterstelle von der Wohnungsgesellschaft übernommen wurde. Es gäbe verschiedene Modelle, die vielleicht auch in anderen Kontexten entstehen, aber wie sehen Sie da die Kooperationsmöglichkeit? Wie dicht ist hier in Halle die Kooperation zwischen Wohnungsgesellschaft und Betreuungsträger, und wie weit geht gegenwärtig das Entgegenkommen? Man hat ja auch was voneinander. Bartaune: Das ist zwischen SKV und HWG ganz konkret geregelt. Wir leisten einen Zuschuss für dieses Projekt, ich habe einen Flyer mitgebracht, in dem wir Zahlen zu unserem Zuschuss, den wir zurzeit leisten, nennen. Wir meinen, dass das vernünftig und richtig ist, hier die finanzielle Unterstützung zu leisten, weil das spezifische Wissen doch eher bei dem Träger dieser Sozialmaßnahme zu finden ist. Wir unterstützen also den SKV im konkreten Beispiel über die drei Objekte mit etwa 0,35 DM je qm – also wir leisten auch finanziell etwas. Engels: Danke für Ihre Offenheit, für uns ist dies sehr interessant, damit wir auch für andere Modelle Vergleichsmöglichkeiten haben, wie so eine Kooperation eben auch finanziell läuft. Wenn wir jetzt über Halle hinausgehen und das Land SachsenAnhalt insgesamt betrachten, dann beschränkt sich unsere Fragestellung natürlich nicht nur auf das Geld. Das haben wir aber auch im Blick. Welchen Stellenwert hat das Betreute Wohnen bzw. das Service-Wohnen in der Senioren-Politik des Landes? Und welche konkreten Fördermöglichkeiten haben Sie da vorgesehen, Frau Dr. Theren? 159 Theren: Natürlich wird das Land immer mit Geld verbunden. Als Vertreterin des Sozialministeriums muss ich aber sagen: Wir sind nicht primär für Wohnungsbau zuständig, deswegen laufen auch die Förderprogramme des Landes im Bauministerium. Da gibt es noch eine ganze Menge: Es wurden sogar Programme zur Neuschaffung von altengerechten Wohnungen gefördert; wobei aber in der letzten Zeit vor allen Dingen auch Wohnraumanpassung gefördert wurde. Sicher ein sehr wichtiger Punkt, wenn auch nur im begrenzten Maße genutzt, sind die Leerstand-Programme: Förderprogramme auf 10.000 DM pro Einheit bei Neubau von Eigenheimen. Da hat man auch versucht, das Altern auch gleich bei den jungen Leuten, die bauen, perspektivisch einzubinden. Wenn Sie sagen „Betreutes Wohnen“, das ist etwas, wo wir fachlich immer so leichte Bauchschmerzen haben, das möchte ich auch gar nicht verhehlen; der Begriff gefällt uns überhaupt nicht. Denn es ist ein Begriff aus der Behindertenhilfe, und da sehen wir natürlich, auch aus fachlicher Sicht, nun nicht so unbedingt die Verknüpfung zur Senioren-Politik – zumal ja auch das Klientel, an das sich diese Angebote richtet, mit Behinderten nun gar nichts zu tun hat. Auch wegen der rechtlich erforderlichen Trennung bevorzugen wir, dass es baulich und von der technischen Ausstattung her „altengerechtes Wohnen“ ist, das durch die Möglichkeit ambulanter Dienste oder sonstiger Betreuungsangebote ergänzt werden kann. Gestern ist die Frage angesprochen worden, inwieweit auch das Betreute Wohnen unter das Heimgesetz fällt, dazu gab es ja in anderen Ländern schon einige Verfahren und auch Beschlussvorlagen von Oberverwaltungsgerichten. Das Betreute Wohnen bzw. das altengerechte Wohnen mit ambulanten Diensten fällt natürlich nicht darunter. Aber es ist nochmal klargestellt worden, dass eine Verkoppelung von Wohnen (wofür das Mietrecht zuständig ist) mit der Pflege, die dem Bewohner kein Wahlrecht überlässt, sich irgendeinen ambulanten Dienst beispielsweise aus Halle zu wählen, unter das Heimgesetz fällt. Es gibt ein drittes Änderungsgesetz zum Heimgesetz, was jetzt im Herbst in die Ausschüsse kommen soll. Darin ist durchaus sehr eindeutig formuliert, dass die Koppelung der Vermietung mit der Sicherstellung von Pflege oder sonstigen Angeboten dem Heimgesetz unterliegt – ich denke, dass dies eine sehr sinnvolle Klarstellung ist. Eine Vielzahl von Angeboten entspricht diesen Voraussetzungen nicht bzw. ist dann ein „Heim“ – mit allem, was sich dann daraus an rechtlichen Konsequenzen ergibt. Wir 160 haben im Rahmen der Pflegestruktur-Planung ja darauf hingewirkt, dass überall, wo neue Pflegeheime im Rahmen von Artikel 52 Pflegeversicherungsgesetz aufgebaut wurden, dieses Programm für die neuen Bundesländer errichtet wurde. Es ist auch von den Kreisen überwiegend in Anspruch genommen worden, Betreutes Wohnen bzw. altengerechtes Wohnen immer mit entsprechenden Nutzungsmöglichkeiten zu errichten. Zu der Inanspruchnahme können wir eigentlich auch nur sagen: Es boomt wie verrückt. Der soziale Wohnungsbau ist ein Punkt. Man sollte das allerdings auch nicht überschätzen, denn gerade wenn noch zwei Rentner vorhanden sind, also ein Ehepaar, dann wird die Schwelle zur Berechtigung für sozialen Wohnungsbau von der Rentenhöhe schnell überschritten. Ich würde auch sagen: Wir haben den Eindruck, dass 13 DM bis 15 DM an der Schmerzgrenze liegen, aber durchaus noch sehr gut gehen. Das ist ein Preis, der durchaus hier im Land Sachsen-Anhalt akzeptiert wird. Da haben wir den Eindruck, was auch heute in der Arbeitsgemeinschaft 2 gesagt wurde, dass natürlich insofern die Modelle der alten Länder nicht übertragbar sind. Wir haben oft ermüdende Gespräche im Ministerium, wenn Investoren kommen, die irgendwelche tollen Senioren-Residenzen fabrizieren wollen und wir sagen: Das wird wohl kaum laufen. In Magdeburg haben wir so eine Einrichtung: Die läuft nicht und ist wirklich überzogen teuer. Das ist die Sichtweise des Landes. Wie gesagt, wir haben auch weiter die Programme über den Wohnungsbau und versuchen, das aus dem Sozialministerium heraus ideell zu begleiten. Engels: Vielen Dank. Auch hier noch eine Rückfrage: Sie hatten eben diese Diskussion „Heimgesetz oder nicht“ angesprochen. Ich habe den Eindruck, dass diese Diskussion nur zu verstehen ist vor dem Hintergrund der Unsicherheit beim Service-Wohnen, dass es so große Qualitätsunterschiede gibt und dass die Meinung vertreten wird: Hier gibt es ein Schutzbedürfnis für die Bewohner. Ein Schutzbedürfnis, das schon bei der Vertragsgestaltung anfängt, die manchmal sehr intransparent ist, und hinreicht bis zu der Leistungsqualität. Vielleicht ist es nur eine Verlegenheitslösung, wenn man Zuflucht beim Heimgesetz sucht. Wie sehen Sie dieses Schutzbedürfnis, und welche anderen rechtlichen Möglichkeiten gäbe es, um hier mehr Klarheit und Transparenz hineinzubringen? 161 Theren: So würde ich das eigentlich nicht sehen. Man muss jetzt mal zwei verschiedene Dinge auseinander halten: Das Schutzbedürfnis entsteht nach Vorstellung des Gesetzgebers dann, wenn der alte Mensch eigentlich alle existenziellen Lebensbedürfnisse aus der Hand gibt, nämlich: Bestimmung von Wohnraum, Bestimmung von Unterkunft, Verpflegung und Pflege. Dieses ist – und das ist ja auch der Grund, warum das Heimgesetz mal geschaffen wurde – dann der Fall, wenn eine vollstationäre Form vorliegt, denn dann hat der Mensch tatsächlich auch durch diese komplexe vertragliche Gestaltung keinen Dispositionsraum. Man hat das – und das ist eigentlich schon die Abgrenzung – nur klarstellen wollen, weil einige Anbieter versucht haben, diesen Schutz des Heimgesetzes mit dieser totalen Aufgabe der Bestimmungsmöglichkeiten dieser verschiedenen Lebensbereiche zu unterlaufen, indem man es anders benannt hat. D.h. wenn ich kein Wahlrecht mehr habe, wenn mir beispielsweise etwas in der Pflege nicht gefällt, dann kann ich mir nicht einfach einen anderen Dienst holen, weil das in dem sog. „Service-Vertrag“ nicht möglich ist. Dann bin ich in der rechtlich geknebelten Situation wie im Heim – und das ist das Schutzbedürfnis. Ich weiß nicht, und ich meine (das ist immer eine ideologische Frage: einerseits Selbstbestimmtheit im Alter, andererseits Kontrolle), es würde sonst auch niemand auf die Idee kommen, zu sagen: Wenn jemand eine Wohnung sucht, hat er ein spezielles „Schutzbedürfnis“. Es gibt natürlich auch dort Schutzinstanzen (wie z.B. den Mieterschutzbund usw.), und ich denke, das ist etwas, was ältere Bürger auch in Anspruch nehmen können. Ein anderer Aspekt, aber das betrifft dann nicht mehr den vollstationären Bereich, ist die Frage: Wie kontrolliere ich ambulante Dienste? Wenn entsprechend dieser Klarstellung des Heimgesetzes das altengerechte Wohnen mit ambulanten Diensten oder Service-Wohnen sich darauf beschränkt, dass es nur die bauliche Möglichkeit für so einen ambulanten Dienst ermöglicht, dann reicht dieser Schutz – so wie er jetzt gesetzlich verankert ist – eigentlich schon aus. Hier sollte dem Missbrauch entgegengewirkt werden, wo sich Träger anders bezeichnet haben und versucht haben, durch eine Vertragsaufsplittung eines eigentlich zusammengehörenden Komplexes das Heimgesetz zu unterlaufen; das soll unterbunden werden. Engels: Sie haben mit der „Übertragbarkeit der Konzepte“, die doch maßgeblich auf Erfahrungen aus den westlichen Ländern beruhen, hier auf 162 die Situation in den neuen Ländern ein Stichwort angesprochen, das uns auch während der ganzen Tagung beschäftigt hat (heute noch einmal speziell in einer Arbeitsgruppe). Ich möchte Sie, Herr Professor Nentwig, nun bitten, aus Ihrer Sicht und aus Ihrer Erfahrung etwas zu dieser Frage zu sagen. Herr Professor Nentwig beschäftigt sich seit einiger Zeit in einer Arbeitsgruppe mit der Wohnsituation der Senioren in den neuen Ländern und mit neuen Wohnkonzepten unter architektonischen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten. Nentwig: Erstmal muss man dazu sagen, dass es eine Differenzierung gibt zwischen den Gemeinden und den größeren Städten, oder wenn man es noch genauer betrachtet: zwischen den Sozialhilfeträgern und Nicht-Sozialhilfeträgern. Wir haben gerade einen Wettbewerb „Senioren-freundliche Kommune in Thüringen“ durchgeführt. Da hat man ganz deutlich gesehen, dass auch kleine Gemeinden sehr gute Arbeit leisten können, dass sie sehr gut verschiedene Träger und Interessengruppen an einen Tisch bringen können, ohne dass es institutionell in irgendeiner Art und Weise getragen wird – während die größeren Städte natürlich andere Möglichkeiten haben. Um noch mal auf die Problematik der Dienste zurückzukommen: Natürlich gibt es hier strukturelle Probleme, was die Plattenbauten angeht. Wir haben bei uns eine Forschungsarbeit laufen über „Neues Wohnen für ostdeutsche Senioren“, die sich mit diesen unterschiedlichen Aspekten beschäftigt. Man kann sagen, dass „die Platte“ besser ist als ihr Ruf. Viele Menschen wohnen noch ganz gerne darin und wollen dort auch wohnen bleiben. Sie nehmen dann natürlich gerne Dienste in Anspruch, wenn sie die Wahlfreiheit haben – das ist ja heute schon mehrfach gesagt worden, es muss also ganz klar differenziert werden: Man möchte die Sicherheit haben, etwas in Anspruch nehmen zu können, aber nicht zu müssen (genau so möchte man, wenn man ein Auto kauft, vielleicht einen Airbag drin haben oder auch nicht). Vor diesem Hintergrund möchte ich gleich überleiten zu einem etwas spezielleren Thema. Die Dienste an sich, die hier angeboten werden und die auch hier diskutiert werden, sind ja in vielerlei Hinsicht gar nicht an das Älter-Sein gebunden, sondern sind auch für Jüngere akzeptabel, und das kann ein Vermarktungsinstrument der Wohnungswirtschaft sein, um Junge und Ältere zusammenzubringen; 163 wenn z.B. bauliche Voraussetzungen vorhanden sind, wenn Notrufsysteme installiert werden, über die dann z.B. auch Kommunikation laufen, über die evtl. andere Dienstleister abgefordert werden können. Da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, wie so etwas funktionieren kann. Engels: Wir kommen jetzt zu der bundesweiten Ebene, aber nicht in Form eines Repräsentanten der Bundesregierung, sondern in der Form eines langjährigen Experten. Herr Eisenberg, Projektentwickler, war früher in verschiedenen Ministerien bzw. Stadtverwaltungen tätig und ist schon seit Jahren mit der Entwicklung passender Konzepte im Behindertenbereich und jetzt auch im Seniorenbereich befasst. Herr Eisenberg hat außerdem die Diskussion und die Entwicklung dieses Projektes „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ als Beiratsmitglied mitverfolgt. Ich möchte Sie fragen: Welche Schlussfolgerungen würden Sie aus diesen verschiedenen Aspekten ziehen, die wir hier diskutiert haben? Was gibt es Ihrer Meinung nach primär zu klären, und wo kann man mit weiter führenden Konzepten ansetzen? Eisenberg: Ich denke, wenn wir an das Thema „Lebensräume für ältere Menschen“ herangehen wollen, ist die Hauptschwierigkeit, dass wir es hier mit verschiedenen Ebenen zu tun haben, die sehr gerne unter dem Aspekt „Betreutes Wohnen“ miteinander vermischt werden. Zunächst ist es ganz wichtig, dass sich die Frage des Wohnens, so weit ich nicht selbst Eigentümer bin, an die Wohnungsbaugesellschaften richtet. Die Wohnungsbaugesellschaften sind nicht nur Marktanbieter, sondern sind gerade im kommunalen Bereich auch in ihrer Verantwortung für das Wohnen gefordert, mit ihrer Kompetenz an die Sache heranzugehen. Ich habe vielfach bei der Umstrukturierung von Heimen in andere Wohnformen erlebt, dass sich Träger der Wohlfahrtspflege plötzlich auch als Wohnbauträger kompetent sahen. Dabei haben auch die Vertreter aus Ministerien immer wieder gewarnt und gesagt: Habt ihr überhaupt die Kompetenz, im Bereich der Wohnungswirtschaft tätig zu werden? Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man nicht auf dem falschen Klavier spielt. Die zweite Sache ist immer wieder eine Gefahr, auch hier bei der Tagung. Wenn ich vom „Betreuten Wohnen“ spreche, gehe ich von der Frage aus: Welche Hilfestellung brauchen ältere Menschen im 164 zunehmenden Alter, um im Wohnumfeld wohnen bleiben zu können? Das sind ganz differenzierte Ebenen. Wichtig ist, was wir auch diskutiert haben: „Barrierefreiheit ermöglicht ein möglichst langes Leben“. Es ist erstmal eine Grundvoraussetzung, ob ich mich bewegen kann. Da brauche ich noch gar nicht über Betreuung zu reden, das ist zunächst mal eine bautechnische Frage. Es ist für mich immer fatal, wenn man sagt: Beim privaten Träger kann ich die Barrierefreiheit nicht fordern, es ist ja kein öffentlicher Bau. (Wobei ich schon sage: Der nimmt so viel Steuerermäßigung in Anspruch, dass dies auch eine indirekte Subventionierung ist.) Wieso kann das Baurecht nicht hier viel stärker Platz greifen? Interessant ist, dass heute viele private Träger längst zum barrierefreien Bauen übergegangen sind, weil die Marktchance, nämlich ihre Wohnung langfristig zu vermieten, damit größer sind. Dann kommt die nächste Ebene (ich denke da an das Konzept in Aachen und in Augsburg): Wir brauchen eine systematische Bestandsaufnahme, wie ältere Leute leben, und es muss überlegt werden, in welcher Form dies möglich ist. Man braucht eine kleinräumige Infrastruktur, um mit den Betroffenen entsprechende Konzepte oder Angebotsformen weiter zu entwickeln. Das verändert sich auch sehr stark, aber hier sind m.E. die Kommunen/ die Kreise überhaupt nicht aus der Verantwortung genommen, im Rahmen der sozialen Daseinsvorsorge ein „niederschwelliges Angebot“, also eine Infrastruktur zu schaffen, die genau das Informationsbedürfnis der älteren Menschen befriedigt, damit sie sich orientieren können. Dazu brauche ich Leute. Und wenn das einem Träger übertragen wird – wie wir das gestern gehört haben –, dann braucht der Träger auch die Finanzierung, dass er dieses Angebot vorhalten kann, und zwar nicht mit Scheckkarte, sondern als niederschwelliges Beratungsangebot, damit überhaupt die Information da ist; also brauche ich ein neues Informationssystem. Weiterhin brauche ich Dienstleistungsbereiche, vor allem der hauswirtschaftlichen Assistenz (das finde ich in der Behindertenarbeit viel interessanter, dass viele Behinderte sagen: ich möchte nicht betreut werden, sondern ich brauche Assistenz). Und wir brauchen auch für Pflege, Krankenbehandlung und Therapie wohnortnahe Angebote, möglichst zugehend am Wohnort. Da sind m.E. die Sozialversicherungsträger, insbesondere auch die Pflegekassen gefordert (auch der Bund, vielleicht das Gesetz zu modifizieren), das, was im Gesetz steht, umzusetzen - nämlich dass wohnortnahe Angebote auch tatsächlich vorhanden sind und so ausgebaut sind, dass Pflege, 165 Rehabilitation sowie Gesundheitsversorgung sich auch wirklich gestalten lassen. Da besteht ein hoher Nachholbedarf. Wir sollten diese Verantwortung nicht dadurch kaschieren, dass wir sagen: Wir haben Konzepte von Betreutem Wohnen. Ich denke, es wird auch im Hinblick auf bestimmte Gruppen von Menschen (es wurden ja schon mal genannt: Demenz-Patienten, Alzheimer-Patienten, aber auch auf viele Menschen, die an anderen Beeinträchtigungen leiden), schlecht aussehen, wenn wir es nicht hinkriegen, dass sie vor Ort auch diese Behandlung und Rehabilitation als Anspruch auf eine Sozialleistung bekommen. Für mich ist die Grundforderung: Das Wohnen muss finanzierbar sein. Wenn das ganze Geld schon fürs Wohnen draufgeht, nehme ich dem Menschen auch Möglichkeiten, noch ein Stück sein Leben selbst zu gestalten. Das heißt nicht, dass ich hier alles kostenlos anbieten soll, aber die freie Verfügbarkeit, die mir die Möglichkeit gibt, auch noch Interessen wahr zu nehmen, kommt mir bei diesen Konzepten des „Betreuten Wohnens“ insgesamt zu kurz. Engels: Vielen Dank. Ich möchte einen kurzen Einschnitt machen. Wir haben jetzt jeden der Podiumsteilnehmer zu Wort kommen lassen und Ansichten und Positionen gehört. Dies soll jetzt erweitert werden zu einem allgemeinen Gespräch, d.h. Sie haben auch die Möglichkeit, sich mit Ihren Fragen an dieser Diskussion zu beteiligen. Professor Nentwig hatte noch eine Ergänzung dazu. Nentwig: Ganz kurz nur: Wichtig sind natürlich übergreifende, städtebauliche Konzepte über die reine Immobilie selbst hinaus. Wir haben z.B. Städten und Kommunen vorgeschlagen, Kataster zu erstellen, aus denen man erkennen kann, welche Wohnungen ebenerdig sind und mit relativ geringem Aufwand in barrierefreie Einheiten praktisch umgewandelt werden können. Über die Informationstechnologie wäre es überhaupt kein Problem, eine CD für Interessierte zu erstellen. So ein Medium ist eine Möglichkeit auch für potenzielle Investoren oder Träger – die technischen Möglichkeiten sind da, man muss sie nur ausnutzen und vor allen Dingen runde Tische bilden, die übergreifend wirken können. 166 Engels: Eine solche Erfassung von Wohnungen, die veränderbar sind, wäre sicher ein guter Ansatzpunkt, der noch weitere Schritte nach sich zieht; beispielsweise soziale Beratung und Umzugsmanagement, was wir eben auch schon hier angesprochen hatten. Wichtig wäre ein Gesamtkonzept, das die verschiedenen Aspekte berücksichtigt. Bambey: Mein Name ist Bambey, ich wohne in der Nähe von Kassel. Ich beschäftige mich seit 10 Jahren spezialisiert mit der Projektentwicklung für Senioren und soziale Immobilien. Ich habe insbesondere im ländlichen Bereich die Erfahrung gemacht, dass wir uns jeweils standardbezogen sehr gründlich überlegen müssen, wie die wohnortnahe Versorgung tatsächlich realisiert werden kann. Denn in der Vergangenheit wurde immer aus betriebswirtschaftlicher Sicht behauptet, kleinere Wohnanlagen mit teilstationären Einrichtungen seien im ländlichen Raum überhaupt nicht möglich. Insofern auch die Frage an das Podium: Inwieweit sehen Sie in Zukunft Möglichkeiten, diese wohnortnahe Versorgung über Konzepte umzusetzen? Gezielt hat mich an der neuen Landespflegekonzeption des Landes SachsenAnhalt, Frau Dr. Theren, Ihre Aussage interessiert unter dem Punkt: Vier Senioren-Service-Centren mit teilstationären Einrichtungen werden an vier Modellstandorten kreiert. Das würde ich gerne mit Ihnen persönlich besprechen, weil ich bestimmte Standortsituationen habe, die ich unter diesem Aspekt mit Ihren Vorstellungen einfach mal prüfen möchte. Aber die Frage generell: Inwieweit ist das von Ihnen konzeptionell vorgesehen? Und an Herrn Eisenberg bitte noch die Frage als langjährigen Praktiker in den verschiedensten Verantwortungsbereichen: Inwieweit sehen Sie die Möglichkeit, dass im Baurecht, was ich persönlich für außerordentlich wichtig hielte, die DIN 18025 generell vorgeschrieben wird? Ich sage das, weil ja mit dem Begriff „Betreutes Wohnen / Senioren-Residenz“ heute in vielen Fällen von den Bauträgern Schindluder getrieben wird. Theren: Da Sie mich direkt angesprochen haben: Wir haben das nicht nur klangvoll in die Pflegekonzeption hineingeschrieben, wir haben es auch durchaus gemacht. Zwei Projekte sind fertig, eins ist noch im Bau, das Vierte noch in der Planung. Es liegt natürlich die Betonung auf „Modell“ - Modell kann immer heißen: so funktioniert es nicht unbedingt so gut. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es immer 167 auf den konkreten Einzelfall ankommt. Gerade auch die Akzeptanz vor Ort, die Einbindung in eine gemeindliche Struktur – das kann durchaus auch eine ganz kleine Gemeinde sein. Und natürlich dann die Akzeptanz auch von der Heimleitung, wenn die eigentlich das mehr so übergestülpt bekommen oder meinen, es sei ihnen übergestülpt, dann funktioniert etwas auch nicht. Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die man theoretisch wunderbar in ein Konzept schreiben kann. Ob sich das dann alles so verwirklichen lässt, ist eine andere Sache. Deswegen kann ich auch sagen: Das Ergebnis, so weit wir es momentan haben (wir sind erst dabei, eine Evaluierung zu machen, wir haben derzeit noch keine konkreten Ergebnisse), scheint, trotz scheinbar gleicher Bedingungen, sehr abhängig von den Bedingungen vor Ort zu sein. Auf alle Fälle hat sich, um die flächendeckende Versorgung zu verankern, grundsätzlich die Ansiedlung in der Nähe von einem Pflegeheim als vorteilhaft erwiesen. Da ist in der Tat auch fast immer der teilstationäre Bereich dabei. Meistens ist auch die Kooperation mit einem ambulanten Dienst möglich, sodass dann der Aufwand an Infrastruktur nicht groß ist, auch selbst wenn es nur eine kleine Einrichtung an Wohnungen ist, weil diese mitgenutzt wird (was unter dem wunderbaren Stichwort „Synergie“ läuft). Wenn das wirklich ernst ist und nicht nur ein Vorwand, um letztlich doch noch irgendwas Neues für sich selber zu schaffen, ist es auch manchmal sehr schwierig, die Kooperation verschiedener Verbände zu sichern, das läuft auch nicht immer so, wie man sich das wünschen würde. Und wir haben, wenn man das mit den Landesentwicklungsplänen vergleicht, flächendeckend in Sachsen-Anhalt, mindestens in jedem Mittelzentrum, einen derartigen Komplex mit solchen Strukturen, z.T. sogar noch kleinräumiger. Wie gesagt, im Übrigen kommt es sehr auf den Einzelfall an. Engels: Vielen Dank. Auch Herr Eisenberg war unmittelbar angesprochen. Eisenberg: Vielleicht eine kurze Bemerkung zu unserer Bestandsuntersuchung, die wir in Thüringen gemacht haben. Wir haben festgestellt, dass die Standzeiten in Einrichtungen, die in Städte integriert sind, durchweg länger sind. Mir liegen im Augenblick keine weiteren Konzepte vor, wo man sagen kann: Auf dem Land funktioniert es genauso gut wie in der Stadt. Das sollte man einfach bedenken; diese ganze soziale 168 Infrastruktur, die in den Städten vorhanden ist, belebt natürlich auch die Einrichtung. Bezüglich des Baurechts fände ich es schon gut, wenn die Länderbauordnung ein Stück präzisiert würde; bestimmte Grundmerkmale sollten beim Bauen festgelegt werden. Ich hielte zunächst etwas für wichtiger, was eben auch von der Senioren-Vertretung gesagt wurde: In Dänemark ist es z.B. so, dass Sozialimmobilien für ältere Menschen nur gebaut werden, wenn der örtliche Senioren-Beirat beteiligt ist. Ich denke, das Mehr an Verbesserung kommt nur durch interdisziplinäres Austauschen zustande – das zeigen ja auch alle Beispiele, die wir heute gehört haben. Ich denke auch, diese Formen von Mitwirkung sollten viel stärker genutzt werden. Ich bin eigentlich entsetzt, dass die Heimmitwirkungsverordnung in ihrer Mitgestaltung kaum genutzt und eingefordert wird. Viele wissen gar nicht, dass eine solche Mitwirkung drin ist. Und ich würde mir wünschen, Frau Dr. Theren, dass Vertreter der Senioren-Vertretung oder Angehörige von Behinderten in ein solches Gremium mit hineingenommen werden, um an diesen Fragen mitzuarbeiten. Auch sehe ich die Frage der Zuordnung dieser Service- oder Betreuten Wohnungen zum Heimgesetz ein bisschen kritischer. Ich denke, es geht dabei nicht so sehr darum, auf der Grundlage des Urteils zu sagen, die ganzen Verordnungen beim Service-Wohnen wie Heimmindestbauordnung würden ja meistens durch die größeren Wohnflächen sowieso unterlaufen. Ich denke schon, dass wir dringend eine Stelle brauchen, durch die das Preis-Leistungs-Verhältnis überprüft wird (das kann auch über das Ambulante-Dienste-Gesetz gemacht werden). Wir können nicht einfach davon ausgehen, dass bei der Komplexität der Sache der Nutzer ständig in der Lage ist, dies noch zu durchschauen. Das sieht man ja auch bei den Pflegesätzen, wo ja immer unterstellt wird, das sei alles überprüft. Da hat sich so vieles in den Kosten verselbstständigt, was nicht mehr transparent ist. Ich hoffe, dass gerade die neue Generation der jüngeren Älteren, zu der ich auch zähle, dass wir es uns nicht mehr gefallen lassen, dass betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehbar ist, wie sich ein Pflegesatz zusammensetzt. Diese ständige Jammerei: „die Gelder reichen vorne und hinten nicht“, ist m.E. so nicht mehr gerechtfertigt, wenn nicht ganz konkret anhand der Wirtschaftspläne der einzelnen Einrichtungen nachvollziehbar ist, dass dem so ist. Es gibt Geschäftsführer von Heimen, die sagen: Es gibt keine Schwierigkeit, mit den heutigen Pflegesätzen mit 70% Fachpersonal ein Heim zu betreiben. Andere schreien: Es geht nicht. Und es ist keine 169 Kostentransparenz da. Ich sage das einfach mal in Richtung der Senioren-Vertetungen, hier wirklich mit den Verbraucherverbänden nachzuhaken, und diese Möglichkeiten, die wir heute haben, zu nutzen. Dann, denke ich, werden die Gesetze auch ein Stück modifiziert werden. Engels: Herr Eberhard, Sie waren als Vertreter des Seniorenrats auch direkt angesprochen. Mitwirkung in der Frage der Gestaltung, wenn ein neues Projekt aufgebaut oder saniert wird; Mitwirkung, indem man Wünsche und Bedürfnisse äußert; Mitwirkung aber auch in dem Sinne, wie Herr Eisenberg es zuletzt gefordert hat, im Sinne einer Kontrolle, wie die Preise überhaupt zustande kommen. Sie hatten eben davon berichtet, dass Sie eine Übersicht erstellt haben, wie das Preis-Leistungs-Verhältnis in den Einrichtungen hier in Halle ist. Wie sieht es aus, wenn es um diese weitergehende Mitwirkungsmöglichkeit geht? Sehen Sie sich da ausreichend berücksichtigt? Haben Sie das Gefühl, Sie stoßen auf offene Ohren? Oder haben Sie manchmal das Gefühl, Sie werden zwar mit eingeladen, aber dann machen die Leute doch das, was sie wollen? Eberhard: Ich fand die Anregung von Herrn Eisenberg sehr interessant. Aber dass wir irgendwo schon mal eine betriebswirtschaftliche Aufbereitung der Kostensätze bekommen hätten, habe ich noch nie erlebt. Allerdings muss ich sagen, wir haben es auch nicht gefordert. Ich weiß nur, mit unserer Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“ machen wir Folgendes: Wir besuchen alle Einrichtungen, um uns zu informieren und dadurch auch Kompetenz zu erwerben. Man kann nun nicht von Senioren erwarten, dass sie alle Fachleute auf den Gebieten sind, die hier dargestellt worden sind. Also versuchen wir, im Rahmen unserer Möglichkeiten Kompetenz durch Besuch und Diskussionen mit Anbietern zu erreichen. Ich weiß nicht, ob das gemacht würde, wenn wir sagen würden: Erzählen Sie uns doch mal, wie sich Ihre Kosten rein betriebswirtschaftlich zusammensetzen? Ich kann ja gleich mal die Frage an den Senioren-Kreativ-Verein stellen: Wie würden Sie denn das beantworten? Ich will damit nur sagen, Sie sind auch noch nicht gefragt worden, und man muss die Anregung sicher mal aufgreifen. 170 Über die Bedeutung der Seniorenräte in Bezug auf Pflegeheime möchte ich noch sagen: Wenn Sie sich im Sozialministerium mit dieser Frage befassen, dass die Pflegeheime im zunehmendem Maße kaum noch Leute haben, die in der Lage sind, einen Heimbeirat, so wie er gefordert ist, wirklich aktiv auszufüllen, dann müsste meiner Meinung nach eine Initiative von der Landesregierung ausgehen, dass diese Aufgabe nun von Senioren-Räten übernommen wird oder zumindest mitgetragen werden kann. Das ist ein echtes Problem. Theren: Das ist völlig richtig. Wie das Heimgesetz in den 60er Jahren konzipiert wurde (mit einem ganz anderen Klientel), das geht halt nicht mehr. Die Möglichkeit, dass die Angehörigen mitwirken, gibt es schon; das ist rechtlich durchaus möglich. Die Einbindung von Senioren-Räten ist natürlich auch so eine Sache, das kann man gesetzlich nicht einfach so regeln. Denn das hieße: Auch die älteren Leute, die jetzt in einer Einrichtung sind, und seien sie noch so pflegebedürftig, sind ja nicht automatisch entmündigt. Sie müssten zur Wahrnehmung der Rechte im Prinzip den Leuten eine Vollmacht geben. Da kann man nicht einfach so ex cathedra, von oben herab sagen: Der Seniorenrat, der macht das für euch. Da muss ich schon sagen, dass der Mensch selbstbestimmt und eben auch erst mal für sich selbst verantwortlich ist, solange nicht durch die Vormundschaftsgerichte eine entsprechende Verfügung erlassen worden ist. Wie gesagt: Man kann eine andere Regelung finden, auch was die Selbstbestimmtheit angeht. Das gibt es auch, das liegt an den Heimen, wenn die z.B. mit dem Seniorenrat vor Ort sowieso gut kooperieren, dann ergeben sich solche Kontakte auch; das ist regional sehr unterschiedlich, das hängt wieder von den regionalen Strukturen ab. Aber die Angehörigen können jetzt schon durchaus in einem Heimbeirat mitwirken – das geht. Fiedler: Fiedler ist mein Name, ich bin auch vom Seniorenrat Halle. Herr Eberhard ist der Leiter der Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“. Wir haben auch noch eine andere Arbeitsgruppe, die heißt „Gesundheit im Alter“ – und da spielt das schon eine Rolle. Wir versuchen seit Jahren, einen Erfahrungsaustausch mit den Heimbeiräten zu organisieren und da trifft das zu, was hier gesagt wurde: Deren Arbeit wird immer schwieriger und spärlicher, weil in den Pflegeheimen 171 eigentlich nur noch Pflegefälle sind. Allein die körperliche Möglichkeit, zu solchen Treffen zu kommen, ist häufig nicht gegeben. Wir haben uns Gedanken gemacht, dass die einzelnen Mitglieder dieser Arbeitsgruppe Patenschaften in den Pflegeheimen übernehmen, und zwar in der Gestalt, dass einer monatlich einmal in das Heim geht und innerhalb eines Jahres dann die Probleme, die Sorgen und Schwierigkeiten des Heimes einigermaßen kennen lernt, um die Interessen der Pflegebedürftigen gegenüber der Heimleitung wahrnehmen zu können. Es ist natürlich richtig, dass sich das Sozialministerium damit auch beschäftigen sollte. Denn Sie wissen, die ehrenamtliche Arbeit ist unentgeltlich, da werden auch keine Aufwandsentschädigungen gezahlt. Wir hatten einen Fall, dass bei der Sanierung eines Heimes die Anzahl der Heimbewohner verringert wurde und sich damit die Kosten erhöhten. Eine Dame hat sich bei uns beschwert, dass sie nun plötzlich mehr zahlen müsste, und da haben wir versucht, etwas Einfluss zu nehmen. Aber da gebe ich Herrn Eberhard völlig Recht, da sind wir auch überfordert, weil wir auch nicht die Fachleute sind, um eine Tiefenprüfung der Kalkulation zu machen. Engels: Vielen Dank für diesen Hinweis; wir sollten uns aber nicht zu sehr auf das Heim konzentrieren. Wir waren von der Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten des Seniorenbeirats zur Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten im Heim gekommen. Unser Thema wäre aber eigentlich die Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten beim Service-Wohnen – beim Planen von neuen Wohnformen. Eisenberg: Ich denke, da müsste noch sehr konkret nachgefragt werden, ob auch beim Service-Wohnen mal was Ähnliches gemacht wurde, was vom Grundsatz her im Heimgesetz angedacht war, nämlich die Mitwirkungsmöglichkeiten mit einzubeziehen. So etwas muss an konkreten Dingen und ganz verbindlich erfolgen. Patenschaften u. Ä. sind ja schön, aber sie haben keine rechtlichen Möglichkeiten. Es ist nur eine Anregung an die Senioren-Vertretung, die ja auch auf Bundesebene hier vertreten ist, bei der Diskussion um die Novellierung des Heimgesetzes ihre Vorstellungen, wie das Problem besser gelöst werden kann, doch noch einzubringen. Denn es ist schon ein Unterschied, ob ein Träger verpflichtet ist, konkrete Zahlen vorzulegen, oder ob man nur an diese Informationen kommt, weil man 172 guten Kontakt zueinander hat. Ich denke schon, dass es hier Regelungsbedarf gibt. Der entsteht nur, wenn stellvertretend für die Heimbewohner - das gilt auch für den Behindertenbereich - diese Vertretung mehr einfordert, als bisher gesetzlich vorgesehen ist bzw. wenn das vorhandene Gesetz wirklich angewendet wird. Nentwig: Vielleicht noch ein Hinweis zur Einbindung in die Planung. Ich kann dazu nur sagen: Es geht vor allen Dingen an die Adresse des Bauherren. Ich bin selbst Architekt, aber ich habe 10 Jahre lang nur Bauherren beraten und auf Bauherrenseite gearbeitet, und da gibt es Instrumentarien, wie Bauherren im Sinne einer Projektsteuerung beraten werden können. Da könnte man die Einbindung von Senioren-Beiräten fordern und forcieren, damit in einer sehr frühen Planungsphase ihre Belange berücksichtigt und dann entsprechend umgesetzt werden können. Engels: Herr Dr. Bartaune, wie sehen Sie die Frage der Beteiligung? Angenommen, Sie haben jetzt einen neuen Wohnungskomplex, den Sie sanieren und den Sie zur Neuvermietung attraktiv machen wollen. Zunächst hatten wir mal gefragt – in der ersten Fragerunde: Wie stellen Sie sich die Kooperation mit einem Serviceträger vor? Jetzt gehen wir noch einen Schritt zurück. Könnten Sie sich vorstellen, Betroffene – möglicherweise in Form des Senioren-Beirates und seiner Arbeitsgruppen, die sich ja damit befassen – einzuladen, eine Projektbegehung zu machen und sich zusammen zu setzen unter der Fragestellung: Wie können wir das machen? Was müsste hier vordringlich erfolgen? Bartaune: Das kann ich ganz einfach mit „ja“ beantworten. Das Problem geht aus meiner Sicht eigentlich schon ein Stückchen eher los. Warum kommen wir denn eigentlich zu solchen spezifischen Formen des Wohnens im Alter? Wir haben auf Grund der Wohnungsgrößen, die wir haben und auf Grund der Politik, die wir betreiben, kaum die Möglichkeit, Alt und Jung zusammen wohnen zu lassen und Familien zusammen bleiben zu lassen. Ich meine, als Wohnungsunternehmen ist es ein wichtiger Schritt, die Mieter auch so über die Wohnungsbestände zu verteilen, dass wir z.B. das Zusammenleben in der 173 Großfamilie weiter ermöglichen. Ich halte es für sehr wichtig, dass die Großmutter mit dem Enkel zusammen im gleichen Haus wohnen kann. Auf Grund der extremen Entwicklung, die wir auf dem Wohnungsmarkt haben, sage ich: Das ist eine gute Chance, die wir nutzen müssten; und auch unter dem betriebswirtschaftlichen Aspekt eine Chance für das Wohnungsunternehmen, zu zeigen, dass hier ein ordentliches Zusammenleben aller Generationen möglich ist. Ich glaube, der Generationenkonflikt entsteht zum großen Teil auch dadurch, dass fremde Generationen aufeinander treffen, und dass das nicht innerhalb einer familiären Entwicklung passiert. Ich sehe eine erste Chance darin, ganz bewusst darauf einzuwirken. Das ist dann Umzugsmanagement; das, was wir im Wohnungsunternehmen organisieren müssten, ist, die Oma zu den Kindern zu bringen und die Kinder zur Oma zu bringen. Engels: Was sich also herauskristallisiert, und das zeichnete sich auch schon in den Arbeitsgruppen ab, ist die Forderung nach einem Gesamtkonzept, das wirklich alle Aspekte des Service-Wohnens mit einbezieht. Ein Konzept, das sich sowohl über die Belegungsstruktur Gedanken macht, das aber auch bei Wohnformen, die für spezifische Gruppen gedacht sind, diese Gruppen frühzeitig beteiligt, wenn solche Einflussmöglichkeiten noch bestehen. Menzel: Dr. Menzel, Schwäbisch Hall Immobilien. Ich möchte hier noch einmal für unser Modell des genossenschaftlichen Wohnens, der Genossenschaft für seniorenfreundliches Wohnen werben – gerade im Zusammenhang mit der hier besprochenen Mitbestimmung. Wir begleiten derartige Prozesse im Sinne der Projektsteuerung. Von der Vorgehensweise entspricht das eigentlich genau den Wünschen, die hier genannt worden sind. Wir nehmen ein geeignetes Grundstück und geeignete Infrastrukturen und haben die Vorstellung, dass an dieser Stelle eine entsprechende Wohnanlage entstehen könnte. Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dann gehen wir mit diesen Vorstellungen nach außen und suchen zu diesem Zeitpunkt Interessenten, die älteren Bürger, die diese Wohnanlage dort bewohnen könnten. Damit besteht für die späteren Nutzer bereits im Vorfeld die Möglichkeit der Einflussnahme – selbstverständlich in bestimmtem Umfang - auch was die Bauausführung, den Grundriss und ähnliche Dinge anbelangt. Da das Ganze, wenn sich die Genossenschaft 174 gegründet hat, dann in der Rechtsform der Genossenschaft abläuft und „Mitbestimmung“ ein ureigenstes genossenschaftliches Grundprinzip darstellt, haben die Genossenschaftsmitglieder als Miteigentümer immer die Möglichkeit, auf die weitere Entwicklung in der Wohnanlage Einfluss zu nehmen – z.B. auch, was die kaufmännische Seite angeht. Die Genossenschaftsmitglieder können sehr wohl Informationen darüber einfordern, wie sich die Kosten (Nutzungsentgelt, Miete) zusammensetzen. Engels: Gut, davon kann man hier und da noch Einiges lernen. – Wir kommen langsam an das Ende unserer Tagung, und deswegen möchte ich nochmal eine Gelegenheit zum Abschluss-Statement geben. D.h. natürlich nicht, dass jetzt dringende Fragen, die noch aus dem Podium kommen, abgewürgt werden sollen; die können wir auch noch einflechten. An unsere Podiumsmitglieder möchte ich nochmal das Angebot machen: Wir dokumentieren unsere Diskussion und Sie haben jetzt die einmalige Gelegenheit, Wünsche im Hinblick auf Änderungen beim Service-Wohnen zu äußern. Diese Wünsche werden so weit verbreitet, dass sehr viele Menschen dazu Stellung nehmen können. Herr Eberhard, was ist Ihr wichtigstes Anliegen? Eberhard: Ich habe in der gestrigen Diskussion einen interessanten Vorschlag gehört. Wir haben in Halle festgestellt, dass häufig angebotene Dienstleistungen gar nicht angenommen werden, mag der Preis oder was immer der Grund sein. Gestern wurde von Herrn Dr. Köster meiner Meinung nach ein sehr interessanter Vorschlag gemacht, der auch gerade die von vielen befürchtete Vereinsamung anspricht: Eine Minimalbetreuung durch einen einmaligen Besuch im Monat zu einem Betreuungsentgelt von 20 bis 30 DM. Das war für mich überraschend. Aber es ist gar keine schlechte Idee, dass Sozialstationen oder irgendwelche anderen Träger versuchen, Senioren, die es wünschen, einmal im Monat zu besuchen. Da das auch rein ehrenamtlich in der Seniorenarbeit versucht wird und doch nicht so richtig zum Zuge kommt, ist das vielleicht die Möglichkeit: Ein Minimum-Betreuungsvertrag mit einem monatlichen Besuch - und das für 20 DM. Das ist etwas Neues, etwas Interessantes für mich, und ich will versuchen, das ein bisschen zu propagieren – ob das nicht eine Möglichkeit ist, der Vereinsamung entgegen zu steuern und gleichzeitig irgendwelche Kontakte zu schaffen. Dieses Problem 175 der Ehrenamtlichkeit haben wir nun mal, wir finden nicht mehr sehr viele Leute, die etwas umsonst machen. Das wäre hier ein kleiner Anreiz, ob man nicht so etwas organisieren kann. Das fand ich interessant. Engels: Herr Dr. Bartaune – ihr „letzter Wunsch“? Bartaune: Der Wunsch, den ich immer äußern würde: Stellt mehr Mittel zur Verfügung! Spezielle Förderprogramme, auch im Wohnungsbau, würden uns da sicherlich hilfreich unterstützen. Wir sind in dem konkreten Projekt mit dem SKV Halle in Vorleistung getreten. Es wäre besser, wenn weitere Finanzierungsquellen für solche Maßnahmen erschlossen werden könnten. Das könnten spezifische Förderprogramme auf Länderebene sein. Die Bereitschaft von unserer Seite, etwas zu tun, ist ungebrochen da, und wir sehen ja auch, welchen Spaß das macht, ein Problem zu lösen, wenn wir uns das Funktionieren der Wohnanlagen in Trotha ansehen. Engels: Vielen Dank. Frau Dr. Theren, was liegt Ihnen am meisten am Herzen? Theren: Wir haben immer das Problem, dass sich unter diesem scheinbar einheitlichen Begriff „senioren-“ oder „altengerecht“ unendlich Vieles verbirgt. Es sind ja schon mehr als zwei Generationen – wenn man anfängt mit den Vorruheständlern ab 55 Jahren. Es ist ein halbes Jahrhundert hoch unterschiedlicher Lebensformen. Deswegen ist unser Wunsch, dass generell einfach etwas menschenfreundlicher gebaut wird. Diese ganze Barrierefreiheit dient z.B. auch Müttern mit Kindern; selbst wenn man Einkaufstaschen hat, ist das ja alles nicht unkomfortabel. Man ist ja auch dabei, in den Landesbauordnungen entsprechende Regelungen zu verankern. Wünschenswert wäre etwas mehr Offenheit seitens der Architekten; es ist ja auch heute ein paar Mal gesagt worden, dass es nicht unbedingt mehr kostet, wenn man es schon vorher plant. Es ist nur eine Frage der Sensibilität: Wie man eigentlich für alle Lebensalter – und wenn man Altern als etwas 176 Prozesshaftes nimmt, dann auch für das Altern, egal bis zu welchem Zustand – planen kann. Das Zweite wäre nochmal speziell auf das Service-Wohnen bezogen: Ich denke, da sorgen auch zunehmend Marktmechanismen und Verbraucherverbände für Transparenz. Denn das ist natürlich schon ein Mangel, dass da einfach nebulöse Pakete angenommen werden, ohne dass man erkennen kann, was an Leistungen dahinter steht; wobei ich aber schon den Eindruck habe, dass die Verbraucher oder deren Angehörige dadurch auch sensibler werden. Engels: Vielen Dank. Ich denke, dass sich im Laufe dieser Entwicklung, gerade wenn es nicht mehr so boomt, sondern sich konsolidiert, deutlichere Profile herausbilden werden. Herr Professor Nentwig. Nentwig: An die Wohnungsbauunternehmen bzw. die Investoren könnte man die Forderung stellen, dass organisatorisch oder baulich die Möglichkeiten geschaffen werden, Service oder Dienste zu ermöglichen, die aber immer unter dem Aspekt der Wahlfreiheit gesehen werden müssen. Dies könnte auch dazu führen, dass Selbstorganisation gestärkt wird, und da muss ich Ihnen jetzt mal ein bisschen widersprechen, Herr Eberhard. Nach unserem Wettbewerb „Seniorenfreundliche Kommune“ können wir eigentlich nicht sagen, dass das Ehrenamt zurückgeht, sondern gerade bei den kleinen Gemeinden haben wir festgestellt, dass es sehr viel und unwahrscheinlich engagierte ehrenamtliche Arbeit gibt. So was kann man auch im Sinne dieser Service-Dienste fördern, man kann z.B. eine Patenschaft für ein Haustier übernehmen, das jemand nicht mehr ausführen kann. Darin sehe ich eine Zukunftschance: Organisatorische Grundformen schaffen, aber gleichzeitig eine sehr hohe Wahlfreiheit der Dienste und eine Selbstorganisation und Ehrenamt ermöglichen. Engels: Was wäre Ihnen wichtig, Herr Eisenberg? 177 Eisenberg: Drei Punkte: Das Erste wäre eine Modifizierung des Konzeptes, das Herr Köster vorgestellt hat. Damit sollte man sich in einer Tagung nochmal befassen. Ich habe mir kürzlich das Amsterdamer Konzept angeguckt, um es verkürzt zu sagen: Es wäre, bezogen auf die Einrichtung in Trotha, die wir uns gestern angeguckt haben, für einen Träger eine sektorisierte Verantwortung, Ältere über Angebote in einem Stadtteil zu informieren. Diese Information erfolgt bis zum 85. Lebensjahr über Ehrenamtliche. Diese Ehrenamtlichen sind bei dem Träger eingebunden, sodass sie, wenn Probleme auftreten, nicht irgendwo im freien Raum hängen. Die zweite Komponente ist die, über einen gewissen Niedrig-Service, nämlich Handwerkerangebote, den Kontakt zu älteren Leuten zu halten. Das Dritte ist, man sollte auch das Bedürfnis der älteren Leute nach Sicherheit im Wohnquartier ernst nehmen und aufarbeiten. Meine Anregung ist, dass man dieses Konzept, das im Rahmen einer Tagung des SeniorenBüros in Holland angesprochen wurde, auch in den Kreis der Koordinierungsstellen aufgreift. Die zweite Sache ist: Ich glaube, es wird notwendig sein, die Förderprogramme für Wohnungsbau und für ergänzende soziale Infrastrukturen nochmal kritisch neu zu gewichten. Als Ex-Thüringer kann ich sagen: Thüringen hat hier eine Lösung gefunden, indem zum Wohnungsbau ergänzende Fördermittel aus einem Topf des Sozialministeriums zur Verfügung gestellt werden, und zwar unter der Überschrift „barrierefreie Wohnungen und Kommunikationsstätten“. Wobei dieses Kozept, in Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium sowie dem Wohnungsbauministerium, nicht dazu gedacht war, selbst in den Wohnungsbau einzusteigen. Aber bei solchen Projekten, wie wir sie uns gestern angeguckt haben, wo jetzt keine große Fördermaßnahme nach dem Wohnungsbaugesetz besteht, ergänzend zu fördern, um die Infrastruktur behindertengerecht zu machen: also, dass ein Aufzug oder der Eingang neu gebaut wird; ich denke, eine solche ergänzende Förderung ist notwendig, weil wir bisher nur Konzepte zum Wohnungsbau und für stationäre Einrichtungen haben. Wir reden ständig davon, dass wir von dem Einen weg wollen, und haben aber nicht dafür Sorge getragen, dass die investiven Kosten, die ja anfallen, dann irgendwo aufgefangen werden. In Thüringen ist es so, dass 70% vom Land gefördert wird und 30% von den Trägern unter der Option, dass das nicht kostenerhöhend auf die Mieter umgelegt werden darf. Ich will nur sagen: Es gibt so eine Sache, die hat sich jetzt seit drei Jahren bewährt, und bei vielen der Projekte, die Sie ja auch aus der 178 Wohnungswirtschaft kennen, ist bekannt, wie hoch die flankierenden Kosten sind. Das Wesentliche war, dass sich beide Ministerien verständigt haben, dass es keine Doppelfinanzierung gibt, sondern dass die gegenseitige Hilfe als nicht förderschädlich gemacht wird. Das Dritte wäre der Wunsch, weiterhin über neue Mitwirkungsmöglichkeiten nachzudenken; aber in der Form, dass nicht jede SeniorenVertretung nun gleichzeitig auch Sachverständiger werden muss, sondern ich denke, dass Partizipation auch etwas damit zu tun hat, dass man die Leute so informiert, dass sie es mit ihrem Sachverstand nachvollziehen können. Vorhin wurde es ja gesagt: In der Genossenschaft wird das schon praktiziert. Engels: Vielen Dank, Herr Eisenberg. Wir haben gesehen, es konzentriert sich Vieles immer wieder um die Schlüsselbegriffe Geld, Mitwirkung und Transparenz. Ich habe den Eindruck, dass die Diskussionswünsche nun ziemlich erschöpft sind und auch eine körperliche Erschöpfung langsam um sich greift. Ich möchte jetzt zunächst Ihnen hier auf dem Podium, meine Damen und Herren, nochmal ganz herzlich danken, dass Sie uns geholfen haben, zum Abschluss dieser Veranstaltung komprimiert eine Fülle von wichtigen Aspekten anzusprechen und zu diskutieren. Ich möchte außerdem dem SeniorenKreativ-Verein und der Koordinierungsstelle ganz herzlich danken für diese sehr gute Organisation und für die von der Qualität her – das ist ja unser Stichwort – sehr schön vorbereitete und durchgeführte Tagung. Ich möchte dann allen Teilnehmern ganz herzlich danken, dass Sie bis zum Ende durchgehalten haben, und wünsche Ihnen einen guten Heimweg. Joachimsthaler: Ich möchte mich den Wünschen von Herrn Dr. Engels anschließen. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt in Halle. Ich hoffe auch, dass Sie viele Anregungen dieser interessanten Tagung mitnehmen. Wir sehen uns dann beim nächsten Workshop wieder. Guten Nachhauseweg und auf Wiedersehen. Ihnen, Herrn Engels, auch meinen Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung der Tagung. Ich denke, sie ist uns in Kooperation gut gelungen. 179 Anhang Anhang 1: Aachener Fragebogen zur Ermittlung des Betreuungsbedarfs Anhang 2: Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten Wohnens im Bestand in Aachen Anhang 3: Leistungsdokumentation in den Service-Wohnhäusern Trotha (ISG) 180 Anhang 1: Aachener Fragebogen zur Ermittlung des Betreuungsbedarfs (Köster) Fragebogen (Nr. ___) Straße: Hausnummer: Etage: Aufzug: ja/nein 1. Angaben zur Person: 1.1 Ihr Alter? ____ Jahre 1.2 Ihr Geschlecht? q weiblich q männlich 1.3 Ihr Familienstand? q verheiratet q ledig 1.4 Wieviele Personen umfaßt Ihr Haushalt? ____ 1.5 Haushaltsstruktur: Welche Personen wohnen in Ihrem Haushalt? q verwitwet q geschieden Befragte Person ALTER 1.6 Haben Sie Kinder, die außerhalb Ihres Haushalts wohnen? q ja q nein Wenn ja, wieviele? ________ Wohnorte Ihrer Kinder? ________________________________________________________ 1.7 Welchen Beruf haben Sie ausgeübt? ______________________________________________ 1.8 Welche Stellung hatten Sie in Ihrem Beruf? q Selbständiger 2. q Angestellter q Beamter q Arbeiter Angaben zur momentanen Wohnsituation: q Eigentümer q Mieter 2.1 Sind Sie Eigentümer oder Mieter Ihrer Wohnung? 2.2 Falls Sie Mieter Ihrer Wohnung sind, wie hoch ist Ihre aktuelle Warmmiete? _____ DM 2.3 Wieviele Zimmer stehen Ihnen als Wohnraum zur Verfügung? __________________________ 2.4 Bereiten Ihnen Gehen bzw. Treppensteigen Schwierigkeiten? Nutzen Sie bei Ihren Angaben bitte die folgende Tabelle mit einer Skala von 1-4 (1=sehr große Schwierigkeiten, 4=keine Schwierigkeiten)! Gehen 1 2 3 4 Treppensteigen 1 2 3 4 2.5 Welche Vorteile bietet Ihre derzeitige Wohnsituation? _________________________________ 2.6 Welche Nachteile bietet Ihre derzeitige Wohnsituation? ________________________________ 181 2.7 3. Gibt es in Ihrer Nähe die nachstehenden Einrichtungen? EINRICHTUNG JA ENTFERNUNG IN MIN ZU FUSS Ärzte / Apotheke Bäcker Metzger sonstige Lebensmittelgeschäfte Busstation Begegnungsstätte Friseur „Betreutes Wohnen“: 3.1 Ist Ihnen der Begriff „Betreutes Wohnen“ bekannt? q ja q nein Wenn ja, was verstehen Sie darunter? _____________________________________________ ____________________________________________________________________________ 3.2 Welche der unten aufgeführten Angebote würden Sie gerne in Anspruch nehmen und wie bewerten Sie auf einer Skala von 1-4 (1=sehr wichtig, 2=wichtig, 3=weniger wichtig, 4=unwichtig) die Bedeutung der einzelnen Leistungen? Kreuzen Sie außerdem bitte an, welche Angebote Sie als Grundpaket- bzw. als Wahlpaketleistungen in Anspruch nehmen möchten! ANGEBOT Ansprechpartner nur wochentags wochentags und am Wochenende vormittags nachmittags vor- und nachmittags rund um die Uhr im Haus außerhalb des Hauses (telefonisch erreichbar) Hausnotruf (zentraleEinsatzstelle) Organisation von Einkaufsdienst Fahrdienst Begleitdienst Besuchsdienst Hilfe beim Umgang mit Behörden Essensdienst * Frühstück * Mittagessen * Abendbrot * fahrbar * stationär Haushaltshilfe * Wohnungsreinigung * Waschen/Bügeln * Kochen 182 JA NEIN 1 2 3 4 GRUND- WAHLPAKET PAKET Pflegedienst * bei Krankheit * bei Pflegebedürftigkeit * Nagel- und Fußpflege Hausdienste Gebäudereinigung * Treppenhaus * Fenster Grünflächenpflege Winterdienst 3.3 4. Wieviel Geld wären Sie bereit, für das Grundpaket auszugeben? _______ DM Wären Sie bereit, zur Nutzung des Angebots „Betreutes Wohnen“, Ihre Wohnung zu wechseln? q ja q nein Wenn nein, warum nicht? _______________________________________________________ ____________________________________________________________________________ 5. Angaben zur zukünftigen Wohnsituation: 5.1 Wo müßte diese Wohnung liegen? Viertel? _____________________________________________________________________ Straße? _____________________________________________________________________ 5.2 Wieviele Zimmer sollte eine zukünftige Wohnung haben? ______________________________ 5.3 Welche besonderen Vorteile müßte diese Wohnung bieten? ____________________________ ____________________________________________________________________________ 6. Sonstige Bemerkungen: ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ 183 Anhang 2: Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten Wohnens im Bestand in Aachen Betreuungsvertrag Zwischen im folgenden Leistungserbringer genannt und im folgenden Leistungsnehmer genannt wird folgende Vereinbarung über die Erbringung von Betreuungsleistungen abgeschlossen: Zu den üblichen Dienstzeiten steht der Leistungserbringer als Ansprechpartner für den Leistungsnehmer zur Verfügung. Der Leistungserbringer verpflichtet sich, bei der Vermittlung von Einkaufsdiensten, Haushaltsführung, fahrbarem Mittagstisch, häuslicher Pflege u.ä. behilflich zu sein. Auf Wunsch informiert der Leistungserbringer über Angebote für ältere Menschen bzw. zum Thema “Alter” im Viertel. Der Leistungserbringer garantiert einen Besuch pro Monat im Haushalt des Leistungsnehmers. Die Kosten für die vorgenannten vier Leistungen betragen 30,00 DM pro Monat und werden vom Leistungsnehmer gezahlt. Für Bezieher von Wohngeld wird diese Pauschale in Absprache mit dem Wohnungsamt bei der Berechnung des Mietzuschusses berücksichtigt. Für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt ist von seiten der Sozialverwaltung eine Finanzierung der Betreuungspauschale nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG § 23 Abs. 1; ggf. mit Aufstockung des Mehrbedarfs über die vorgesehenen 20% des maßgebenden Regelsatzes) möglich. Weitergehende Betreuung wird gesondert zwischen Leistungsnehmer und Leistungserbringer vereinbart und die hierfür entstehenden Kosten ausgehandelt. Aachen, den (Leistungserbringer) 184 (Leistungsnehmer) Anhang 3: Leistungsdokumentation in den Service-Wohnhäusern Trotha (ISG) Leistungsdokumentation des Senioren-Kreativ-Vereins: Service-Wohnen in Trotha Erläuterung: Die Service-Leistungen, die für die Bewohner der drei Hochhäuser in Trotha erbracht werden, sollen in der Woche vom Montag, 17. Mai, bis Sonntag, 23. Mai dokumentiert werden. Ziel ist es, die Leistungsstruktur des SKV und die Nutzung durch die Bewohner/innen zu erfassen. Dazu sollen in jeder Spalte die Leistungen für eine Person notiert werden. Es ist nicht das Ziel der Dokumentation, die Arbeit einzelner Mitarbeiter/innen zu kontrollieren, sondern ein realistisches Bild von den gesamten Leistungen zu gewinnen, die für die Bewohner erbracht werden. Daher benötigen wir auch nicht die Namen der Mitarbeiter, sondern nur eine Nummer. Beispiel: Mitarbeiterin 13 hilft einer älteren, leicht verwirrten Dame beim Haarekämmen. Für diese Tätigkeit würden 8 Minuten benötigt, da aber die Dame viel erzählt, kommt noch 5 Minuten "Kommunikation" hinzu. Außerdem räumt die Mitarbeiterin bei dieser Gelegenheit etwas auf (3 Minuten) und spült das Frühstücksgeschirr (12 Minuten). Diese Tätigkeiten des Beispielfalls sind in der ersten Spalte eingetragen. Übergreifende Tätigkeiten, die sich nicht einem Kunden zuordnen lassen, können unter der Tabelle vermerkt werden. Datum: Arbeitsbeginn: ______ Uhr Mitarbeiter-Nr. ______ _____. Mai 1999 Arbeitsende: ______ Uhr Qualifikation: ____________________ Kunde / Kundin Nr. Alter Geschlecht: m / w Pflegestufe? (ohne Pflegebedarf: 0 bei Pflegebedarf: Stufe 1, 2 oder 3) Wirkt der/die Kund/in dement? 0=nicht dement, 1=leicht dement, 2=dement 01 Personenbezogene Leistungen leichte Hilfen Dauer in Minuten: (bei Kämmen, Rasieren, Anziehen etc.) Körperpflege (Waschen, Haare waschen, Duschen, Baden, Nagelpflege usw.) 03 medizinische Hilfen (Medikamente einteilen/ geben, Blutdruck messen, Verband wechseln etc.) 04 Beratung und Hilfe bei Anträgen (intensive Beratungsgespräche, Formulare ausfüllen, Briefe schreiben, Angehörige beraten etc.) 05 Kommunikation (Unterhaltung, Vorlesen etc.) 02 06 Haushaltsbezogene Leistungen kleinere Handgriffe (Aufräumen, Müll entsorgen, Geschirr spülen, Blumen gießen, Bett richten etc.) 07 Einzelhilfe bei Mahlzeiten (Hilfe bei Zubereitung oder beim Essen etc.) 08 Wäschedienst (Waschen im Waschsalon, Bügeln, Nähen, kleine Handwäsche etc.) 09 Wohnungsreinigung (Putzen, Fenster putzen, Staubsaugen, Bad reinigen, Gardinen wechseln etc.) 10 Außerhäusliche Leistungen kleine Erledigungen (kleiner Einkauf / etwas mitbringen, Gang zur Bank, Post etc.) 11 12 großer Einkauf für eine Person Begleitung einer Person (bei Behördengang, Arztbesuch etc.) Dauer insgesamt (in Minuten) : Übergreifende Tätigkeiten informelle Kommunikation / Erfahrungsaustausch mit Kolleg/innen _____ Minuten 14 formelle Kommunikation mit Kolleg/innen: Teamsitzungen etc. _____ Minuten 15 Tätigkeiten in der Begegnungsstätte (Mittagstisch, Betreuung, Reinigung etc.) _____ Minuten 13 Erledigungen für mehrere Kunden (z.B. Sammeleinkäufe) 17 sonstige Tätigkeiten 18 Fahrt- / Gehwege (z.B. zwischen 16 Wohnhäusern und Begegnungsstätte) _____Minuten _____Minuten _____Minuten 185