Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept

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Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept
Service-Wohnen als
zukunftsorientiertes Wohnkonzept
Dokumentation des vierten Workshops im Rahmen des
Modellprogramms „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
am 14. und 15. September 1999 in Halle/ Saale
Bearbeiter:
Dr. Heike Engel und Dr. Dietrich Engels
unter Mitarbeit von Ulrike Schüller und Miriam Martin
ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH
Köln, im April 2000
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort
5
Begrüßung
Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle
7
Grußwort
Frau Bürgermeisterin Szabados, Stadt Halle
9
Thematische Einführung
Ist das Service-Wohnen ein Wohnkonzept der Zukunft?
Dr. Dietrich Engels, ISG Sozialforschung und
Gesellschaftspolitik GmbH
13
Konzepte und Entwicklungsstand des Service-Wohnens
Zum Entwicklungsstand des betreuten Wohnens in
Deutschland
Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe
21
Diskussion
37
Wohnen mit Service: Ein Markt der Zukunft?
Britta Steves, empirica – qualitative Marktforschung
39
Betreutes Wohnen ohne Umzug
Dr. Gerrit Köster, Leitstelle „Älter werden“ der Stadt Aachen
61
Diskussion
81
Service-Wohnen in Halle-Trotha
Entwicklung des Senioren-Kreativ-Vereins und
Vorstellung der Mitarbeiter/innen der
Koordinierungsstelle
Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle
85
Bedarfsanalyse zum Service-Wohnen in Halle:
Empirische Ergebnisse
Dr. Heike Engel, ISG Sozialforschung und
Gesellschaftspolitik GmbH
89
Ansätze zur Weiterentwicklung des Service-Wohnens
in Halle
Konrad Potthoff, Senioren-Kreativ-Verein Halle
99
Qualitätsstandards des Service-Wohnens
Qualitätsanforderungen an Betreutes Wohnen: Welche
Hilfen brauchen Berater?
Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe
109
Mindestanforderungen an Architektur und
Betreuungsrealität des Service-Wohnens
Professor Dr. Winfried Saup, Universität Augsburg
115
Diskussion
141
Berichte aus den Arbeitsgruppen
149
Service-Wohnen: Bedarf und Marktchancen in den
neuen Bundesländern
Podiumsdiskussion
Teilnehmer/innen: Frau Dr. Theren (Sozialministerium
Sachsen-Anhalt), Herr Professor Nentwig (BauhausUniversität Weimar), Herr Eisenberg (Projektentwickler),
Herr Dr. Bartaune (Hallesche Wohnungsgesellschaft),
Herr Eberhard (Stadtseniorenrat Halle)
Moderation: Dr. Engels
155
Anhang:
Anhang 1:
180
181
Anhang 2:
Anhang 3:
Aachener Fragebogen zur Ermittlung des
Betreuungsbedarfs
Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten
Wohnens im Bestand in Aachen
Leistungsdokumentation in den ServiceWohnhäusern Trotha (ISG)
184
185
Vorwort
Im „Service-Wohnen“ wird eine Wohnform mit einem Dienstleistungsangebot verknüpft mit dem Ziel, eine möglichst selbstständige
Lebensführung im Privathaushalt mit professioneller Unterstützung
und Absicherung zu verbinden. Eine altengerechte Bauweise ist die
Voraussetzung für diese Wohnform; darauf aufbauend wird ein Set
an Dienstleistungen angeboten, das von Hausmeistertätigkeit/ technischen Hilfen über hauswirtschaftliche Leistungen bis zu Betreuung,
Beratung und Vermittlung von Hilfe- und Pflegeleistungen reicht.
Unterschiedlich ist das Spektrum der angebotenen Serviceleistungen
ebenso wie die Form der Leistungserbringung, die i.d.R. pauschal
abgegoltene Grundleistungen mit einzeln zu vergütenden Zusatzleistungen kombiniert. Unterschiedlich ist weiterhin, ob ein Verbleib in
der Wohnung auch bei (zunehmender) Pflegebedürftigkeit möglich ist
oder nicht.
Im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ hat die Koordinierungsstelle Halle am 14. und 15.
September 1999 einen Workshop mit dem Titel „Service-Wohnen
als zukunftsorientiertes Wohnkonzept“ durchgeführt. Im Rahmen der
Schwerpunktberatung hat die ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH diesen Workshop inhaltlich vorbereitet und
dokumentiert.
Zur Einführung in den Workshop wurden einige zentrale Konzepte,
der Entwicklungsstand und die bisherigen Erfahrungen des ServiceWohnens vorgestellt und erörtert. Dabei kamen unter anderem auch
die Rolle der Bewohner als „Kunde“ von Service-Leistungen und die
Erweiterung des Konzeptes auf „normale“ Wohngebiete zur Sprache.
Im Einzelnen orientierten sich die Vorträge an den Fragestellungen
• Wie hat sich das betreute Wohnen in den letzten Jahren in
Deutschland entwickelt? Welcher Trend ist absehbar?
• Sollte ein Konzept angestrebt werden, in dem der Bewohner als
selbstbewusster Kunde einzelne Service-Leistungen einkauft,
oder hat auch der Ansatz einer umfassenden „Betreuung“ seine
Berechtigung?
• Bleibt Service-Wohnen in der Praxis auf Wohnanlagen beschränkt, oder gibt es auch erfolgreiche Beispiele für betreutes
Wohnen in „normalen“ Wohngebieten?
5
Das Service-Wohnen in Halle wurde als Praxisbeispiel vorgestellt
und erörtert. Dazu gehörten Informationen zum Trägerverein, eine
Situationsbeschreibung aus der Sicht der Praxis und empirische
Untersuchungsergebnisse der wissenschaftlichen Schwerpunktberatung. Vor dem Hintergrund dieser Fallstudie besuchten die
Workshop-Teilnehmer die Service-Wohnanlagen in Halle-Trotha.
Empirische Erfahrungsberichte über das Service-Wohnen sind unmittelbar mit der normativen Fragestellung verknüpft,
• welche Qualitätsstandards in architektonischer Hinsicht zugrunde
zu legen sind,
• welches Spektrum an Dienstleistungen und welche Servicequalität
des betreuten Wohnens zu fordern sind,
• durch welche vertragliche Konstruktion ein hinreichender Schutz
der Bewohner gewährleistet ist und
• welche Verfahren geeignet sind, die Einhaltung von Qualitätsanforderungen zu überprüfen.
Im Rahmen des Workshops wurden verschiedene Ansätze, solche
Qualitätsstandards zu erarbeiten, vorgestellt.
Die Einschätzungen des Bedarfs an betreuten Wohnangeboten
schwanken zwischen Euphorie und Skepsis: Eröffnet sich hier ein
neuer Dienstleistungsbereich, der zur weiteren Expansion tendiert,
oder ist die Begeisterung über die neue Wohnform bereits einer Enttäuschung gewichen? Wie stellen sich die Marktchancen dieser Angebotsform speziell in den neuen Bundesländern dar? Diese Fragestellungen wurden im Rahmen des Workshops zunächst in
Arbeitsgruppen und dann in Form einer Podiumsdiskussion erörtert.
Allen, die inhaltlich und organisatorisch an dem Workshop und seiner
Dokumentation mitgearbeitet haben, möchten wir an dieser Stelle
herzlich danken!
Heike Engel und Dietrich Engels
6
Begrüßung
Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle
Meine Damen und Herren, liebe Gäste in der Saale-Stadt Halle, ich
möchte Sie als Leiterin der Koordinierungsstelle und Ausrichter dieses Workshops hier im Maritim-Hotel in Halle begrüßen. Ich hoffe,
Sie hatten eine angenehme Anreise und haben sich gut eingerichtet.
Ich wünsche uns eine interessante und erfolgreiche Tagung.
Zunächst etwas Organisatorisches zum heutigen Ablauf der Tagung:
Wir haben ab 16:00 Uhr die Vorträge zu unserem Service-Wohnen
vorgesehen und werden anschließend mit der Straßenbahn in das
Wohnprojekt fahren. Nachdem wir dort das Wohnprojekt besichtigt
haben, lade ich Sie in die Begegnungsstätte Delta ein, wo die Möglichkeit besteht, gemeinsam abend zu essen. Anschließend besteht
die Möglichkeit, an einem Stadtrundgang durch die historische
Altstadt von Halle teilzunehmen. Und wir können dann in dem Gasthaus „Althalle“ den ersten Tag des Workshops gemütlich ausklingen
lassen. So viel nur zum Ablauf heute. Morgen geht es dann hier im
Hotel weiter.
Sie haben es ja vielleicht schon erfahren: Frau Sachse arbeitet nicht
mehr im Modellprogramm mit, sie ist aus dem IES ausgeschieden.
Frau Mette, die Nachfolgerin, möchte sich jetzt kurz vorstellen.
Mette:
Ich möchte den Start dieses Workshops nutzen, um mich kurz vorzustellen, sehr geehrte Damen und Herren. Mein Name ist Inge
Mette vom Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung.
Ich bin die Nachfolgerin von Frau Sachse. Ich habe es gerne übernommen, von Frau Sachse noch einmal herzliche Grüße an Sie alle
auszurichten und Ihnen ein gutes Gelingen des Modellprojektes zu
wünschen. Frau Sachse hat ganz kurzfristig eine neue berufliche
Perspektive ergriffen und ist deswegen zum Ende des Monats Juli
bei uns aus dem Institut ausgestiegen. Für mich ist dies der AuftaktWorkshop. Ich freue mich darauf, Sie alle kennenzulernen. Ich wünsche uns allen, besonders bei den interessanten Themen, die uns
heute und morgen geboten werden, einen wunderschönen, interessanten und sehr diskussionsreichen Workshop.
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Joachimsthaler:
Ich möchte nun Frau Bürgermeisterin Szabados um ihr Grußwort
bitten, bevor dann Herr Engels den Einführungsvortrag hält und uns
auf die Thematik des Workshops einstimmt.
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Grußwort
Frau Bürgermeisterin Szabados, Stadt Halle
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie in der Stadt
Halle herzlich willkommen heißen. Im Rahmen des Bundesmodellprojektes „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ sind Sie hierher gekommen, um darüber zu diskutieren, ob Service-Wohnen als zukunftsorientierte Wohnform die Anerkennung findet, die es finden sollte.
Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass darüber diskutiert
wird - und das möglichst nicht nur in Fachkreisen, sondern unter Einbeziehung der Betroffenen, nämlich der älteren Menschen: Was ist
denn nun wirklich gewollt? Damit nicht irgendetwas drüber gestülpt
wird. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass ich den Vorsitzenden unseres Seniorenbeirates, Herrn Dr. Fiedler, mit einigen
anderen Vertretern des Seniorenbeirates auch hier unter Ihnen sehe.
Meine Damen und Herren, zu Zeiten der DDR war es so, dass viele
ältere Menschen in Heime gingen oder „gegangen wurden“; ganz
speziell hier bei uns in Halle mit einem großen Anteil an Neubaugebieten - gut 2/3 der Menschen wohnten hier in Halle 1989 in Neubaugebieten. Wir haben große Neubaugebiete, wie Halle Neustadt,
Silberhöhe, Heide Nord, deswegen hatten wir zur Wendezeit etwa
2.500 Altenheimplätze. Und in den Altenheimen waren von Schwerpflegebedürftigen bis „nur alten“ Menschen (auch psychisch kranken
Menschen) doch alles recht zusammen gewürfelt. Das hatte die
Ursache, dass es in den kleinen Wohnungen, wir hatten DDR-weit
etwa einen Schnitt von 25 qm pro Person, natürlich schwierig war,
auch noch die alten Menschen dort mit zu behalten. Die Familienstrukturen und die Wohnungen passten schlicht und einfach nicht
zusammen.
Nach der Wende ist hier sehr massiv versucht worden, sagen wir
mal, diese Ungleichgewichte abzubauen – es war an vielen Stellen
nicht menschenwürdig, auch in den Altenheimen dominierten noch
die 4-, 5- und 6-Bett-Zimmer, die Menschen wurden an vielen Stellen
abgeschoben, ruhig gestellt. Man ging im Großen und Ganzen davon
aus: Dort sind sie jetzt und da haben sie es trocken und warm. Aber
von einem wirklich „selbstbestimmten“ Leben im Alter konnte dort
(zumindestens in den Großstädten) nicht in jedem Falle die Rede
sein. Die Situation in unseren Altenheimen war nicht vorzeigenswert.
Wir haben dann versucht, die Altenheime umzustrukturieren, und ich
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war auch ganz froh, als wir dann endlich das Pflegeversicherungsgesetz hatten, was uns in der Finanzierung erheblich unterstützt hat.
Wir werden jetzt mittelfristig etwa 1.600 stationäre Pflegeplätze in der
Stadt haben, wir haben im Moment noch 1.900 bis 2.000. Die Altenpflegeheime sind die Einrichtungen, in die in den letzten Jahren sehr
viel Geld geflossen ist. Wenn ich das in solchen Diskussionen darstelle, hat es immer so ein bisschen den Anschein, wir würden dort
sparen wollen. Wir gehen ja von vielen Plätzen, die wir hatten, auf
weniger. Deshalb ist es mir immer ein ganz großes Anliegen, zu
erläutern, dass es kein Qualitätsverlust, sondern im Gegenteil eine
Verbesserung der Qualität ist, wenn wir alternativ Wohnformen
anbieten, damit ältere und alte Menschen möglichst lange in ihrem
angestammten Wohnumfeld bleiben können.
Wir haben seit den ersten Anfängen 1992 schon 1.300 Wohnungen
in dieser Stadt, die als alten- und behindertengerecht bezeichnet
werden können. Aber ich wehre mich auch immer dagegen, wenn
man Barrierefreiheit sofort gleichsetzt mit altengerechtem Wohnen.
Ich denke, wenn man mit den älteren Menschen redet, wollen die
etwas ganz anderes. Und da, glaube ich, sind wir an dem Punkt: Sie
wollen nämlich so viel Hilfe, wie sie brauchen, und so viel Hilfe, wie
sie nötig haben. Aber sie wollen nicht überversorgt werden. Deswegen diese alternativen Wohnangebote, die wirklich den subjektiven Einstellungen von Senioren entsprechen – und „Senioren“ ist
ja bitte nicht gleichzusetzen mit „Pflegebedürftigkeit“. Das ist ein
Anliegen, das wir hier in dieser Stadt insgesamt hatten. Wir haben
das lange diskutiert, das ist in dem ersten Altenhilfeplan dieser Stadt
festgelegt worden, und wir haben uns daran in den letzten Jahren
entlang gehangelt. Ich glaube, wir haben im Moment eine Situation,
die uns doch recht optimistisch in die Zukunft blicken lässt.
Das konnte aber auch nur erreicht werden, weil es in dieser Stadt
Menschen gibt, die sich in Vereinen und Verbänden gefunden haben.
Die Wohlfahrtsverbände und die freien Träger von Sozialleistungen haben uns hierbei unterstützt, indem sie kreativ Vorstellungen
entwickelt haben und es verstanden haben, auch Wohnungsgesellschaften mit ins Boot zu nehmen. Das ist nämlich nicht so alltäglich.
Der Senioren-Kreativ-Verein war einer der ersten Vereine, der sich
eines Hochhauses oder mehrerer Hochhäuser angenommen hat und
zusammen mit einer kommunalen Wohnungsgesellschaft dieses Service-Wohnen hier angeboten hat. Das war auch nicht gleich
so selbstverständlich. Da gab es andere Wohlfahrtsverbände, die
nun meinten, man nehme ihnen dort etwas weg. Das war ein
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Findungsprozess. Aber ich denke, mittlerweile ist es so, dass die
einzelnen Anbieter ihren Platz gefunden haben. Wenn dann immer
mal noch so ein bisschen Konkurrenz ist, kann das ja nicht verkehrt
sein.
Meine Damen und Herren, danke, dass Sie hierher gekommen sind,
danke, dass Sie hier diskutieren. Ich werde mich informieren lassen,
was am Ende als Ergebnis steht, um uns daran auch bei unserer
weiteren Arbeit zu orientieren. Aber Eines lassen Sie mich bitte noch
sagen: Lassen Sie sich bitte nicht nur in diesem, wenn auch schönen
Raum festhalten. Sehen Sie sich in der Stadt um; es lohnt sich wirklich. Nicht nur, weil das Goethe zu Schiller gesagt hat, sondern es ist
wirklich so. Gucken Sie, was hier in den letzten Jahren gelaufen ist:
die Häuser, die saniert worden sind. Das ist nur ein Teil - das, was
das meiste Geld gekostet hat, sehen Sie nicht, nämlich die Infrastruktur, die Kanäle usw., zur Stabilisierung der Verhältnisse dort. Ich
habe etwas in der Tagungsmappe vermisst: Wir haben ein Papier
über die Kulturmeile bei Tag und bei Nacht. Ich könnte mir vorstellen,
dass das nicht ganz uninteressant für Sie ist.
Herzlich willkommen und alles Gute! Danke.
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Thematische Einführung
Ist das Service-Wohnen ein Wohnkonzept der Zukunft?
Dr. Dietrich Engels, ISG Sozialforschung und
Gesellschaftspolitik GmbH
Das „betreute Wohnen“ oder „Service-Wohnen“ hat in den 90er-Jahren eine enorme Konjunktur erlebt; es ist so „schick“ geworden, dass
mancher Anbieter sich dieser Bezeichnung bedient, noch bevor er
sich über die damit verbundenen Leistungen Gedanken gemacht hat.
Unser Workshop dient dazu, das Konzept des Service-Wohnens klar
zu profilieren, verschiedene Varianten zu vergleichen und offene
Fragen zu beantworten.
Was macht das Wohnen mit Service so attraktiv?
Die Wohnbedürfnisse älterer Menschen sind in den letzten Jahren
prägnanter bewusst geworden: Das selbstständige Leben im eigenen
Haushalt hat einen hohen Stellenwert, während ein Umzug in ein
Altenpflegeheim nur als letzte Möglichkeit in Betracht kommt.
Allerdings nimmt die Kompetenz zu völlig eigenständiger Haushaltsführung mit zunehmendem Alter ab. Wer dann nicht durch Familienangehörige oder Nachbarn regelmäßige Hilfe erhält, wird durch
alltägliche Anforderungen wie einkaufen, Wäsche waschen, Wohnung putzen usw. bald überfordert. Und er lebt riskant: Vor allem die
Älteren, die allein leben, sind bei einem Sturz oder anderen Unfall in
ihrer Wohnung kaum geschützt. Daher ist die Attraktivität der
Verknüpfung des Wohnens im Privathaushalt mit einem Dienstleistungsangebot verständlich: Sie erlaubt eine weitgehend selbstständige Haushaltsführung, das Service-Team leistet bei Bedarf Unterstützung und ist im Notfall schnell erreichbar. Selbstständiges Wohnen einerseits, Hilfeleistung und Absicherung andererseits: Für ein
spezielles Wohnbedürfnis älterer Menschen, die in einer Zwischenphase leben, wird hier ein differenziertes Angebot gemacht. Aber wo
liegen die Grenzen dieser Wohnform? Dazu einige Fragen:
1.
Wie viele Schwellen sind zu überwinden?
Schwellen im Fußboden gibt es beim Service-Wohnen nicht mehr –
eine altengerecht bzw. behindertengerecht gestaltete Wohnung ist
hier vorausgesetzt. Aber werden andere Schwellen aufgebaut?
Zunächst die Frage:
13
1.1 Muss ich zum Service-Wohnen hingehen, oder kommt der
Service zu mir?
• Das „Leben in der eigenen Wohnung“ wird häufig als „Weiterleben
in der gewohnten Wohnung“ verstanden. Um dort ein
Serviceangebot machen zu können, müssen der Zuschnitt der
Wohnung, die Zugänge zur Wohnung und die Wohnumgebung
auch für Gehbehinderte und Pflegebedürftige geeignet sein.
Außerdem muss die Struktur der Dienstleistungsanbieter in der
Wohnumgebung gut ausgebaut sein (Pflegedienste, hauswirtschaftliche Hilfsdienste, Mahlzeitendienste und Fahrdienste müssen gut erreichbar sein). Aus der Perspektive des Anbieters stellt
sich die Frage, ob eine ständige Erreichbarkeit in wirtschaftlicher
Weise garantiert werden kann, wenn die betreuten Wohnungen
weit voneinander entfernt liegen.
• In einer betreuten Wohnanlage sind beide Probleme gelöst: Die
Wohnungen sind geeignet, und die ständige Erreichbarkeit des
Dienstleisters ist gesichert – allerdings um den Preis eines
Umzugs, die langjährig gewohnte Wohnung muss verlassen werden.
Dies ist ein Vorteil für Personen, deren Wohnung von schlechter
Qualität war und nicht bedarfsgerecht angepasst werden konnte. Für
welche Personengruppen wäre dagegen ein Service-Angebot in der
gewohnten Wohnung die bessere Lösung?
1.2 Bleibt es bei einem Umzug, oder droht ein weiterer?
Wer sich für das Service-Wohnen entscheidet, kann sicher sein, dass
er im Bedarfsfalle Hilfe- und Pflegeleistungen erhält. Aber gilt dieses
Angebot auch noch bei schwerster Pflegebedürftigkeit, oder wird in
diesem Falle ein weiterer Umzug in ein Pflegeheim erforderlich?
Manche Einrichtungen (wie etwa das Haus am Weinberg in Stuttgart)
sind stolz darauf, dass sie im Rahmen ihres Service-Wohnens alle
Phasen des zu Ende gehenden Lebens, von leichtem Hilfebedarf bis
zum schwersten Pflegebedarf, ohne weiteren Umzug ermöglichen.
Dazu ist eine Personal- und Sachstruktur erforderlich, die auch
schwere Pflege erlaubt (etwa die mitgenutzte Pflegestruktur eines
benachbarten Pflegeheims oder ein eigener Pflegebaustein).
Die Nachteile sind allerdings, dass die Bewohnerstruktur einer solchen Einrichtung im Laufe der Zeit altert und sich zunehmend eine
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Pflegeheim-Atmosphäre verbreitet – die typischen Adressaten des
Service-Wohnens in der „Zwischenphase“ werden dadurch eher
abgeschreckt. Daher schränken andere Einrichtungen ihr ServiceAngebot von vorn herein auf leichteren Hilfe- und Pflegebedarf ein
(und stimmen darauf auch ihre Personalkapazität ab).
Es bleibt also die Frage: Das Service-Wohnen ist primär ein Angebot
für ältere Menschen in einer „Zwischenphase“ – welche Lösungen
werden aber angeboten, wenn ein Bewohner auf Grund gesundheitlicher Verschlechterung aus dieser Phase herauswächst?
2.
Welchen Service umfasst das Angebot?
Ein häufiger Einwand gegen das Service-Wohnen ist, dass die
erbrachten Leistungen nicht immer in einer angemessenen Relation
zu ihrem Preis stehen. Die Beurteilung der Service-Qualität ist um so
schwieriger, als es hier um zwei unterschiedliche Arten von
Leistungen geht: Einerseits um einzelne, überprüfbare Dienstleistungen - hier muss der Preis der in Anspruch genommenen Leistung
genau entsprechen; und andererseits um die Vorhaltung von „Sicherheit“ – hier ist es wie mit Polizei oder Feuerwehr: man zahlt Steuern
dafür, um sich sicher zu fühlen, und hofft gleichzeitig, die Leistung
nicht in Anspruch nehmen zu müssen.
Beim Service-Wohnen wird unterschieden zwischen Grundleistungen
mit pauschaler Berechnung und Zusatzleistungen, die in der Regel
einzeln abgerechnet werden. Zu den Grundleistungen gehört z.B.,
dass ein Hausmeister ansprechbar ist, dass ein Sozialarbeiter
ansprechbar ist und dass ein Notrufsystem installiert ist. Hiermit
werden also ein Sicherheitsrahmen und grundlegende Dienstleistungen abgegolten (was genau zu den Grundleistungen gehört, wird von
Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich abgegrenzt). Zu den
Zusatzleistungen gehören Einkaufsdienst, Wäschedienst, Mahlzeitendienst usw. Bei der Beurteilung beider Verfahren spielen unterschiedliche Interessen eine Rolle: Pauschale Preise machen die
Dienstleistungsstruktur für den Anbieter besser kalkulierbar; Einzelabrechnungen machen dagegen die Leistungen für die Bewohner
transparenter. In welcher Relation sollten Grundleistungen und Einzelleistungen angeboten werden, um beide Interessen berücksichtigen zu können? Wie sehen die Leistungen genau aus, die als
Grund- oder Zusatzservice angeboten werden, und wie kann die
Qualität der unterschiedlichen Leistungsarten kontrolliert werden?
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Vor diesem Hintergrund ist das sog. „Düsseldorfer Urteil“ zu sehen,
das auf Grund des Instanzenweges jetzt „Münsteraner Urteil“ heißt.
Dort war das Service-Wohnen in einem konkreten Fall als „heimähnliche Leistung“ eingestuft worden, weil der Mietvertrag mit einer
pauschal vergüteten Vollversorgung gekoppelt war. Heißt das nun,
dass generell das Heimgesetz für das Service-Wohnen gilt, und
dieses damit der Qualitätskontrolle der Heimaufsicht unterliegt? Eine
Ausweitung stationärer Kriterien auf eine nicht-stationäre Angebotsform ist nach Auskunft des zuständigen Referatsleiters im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht beabsichtigt. Es ist auch klar: Das Service-Wohnen will kein Heim sein,
und seine Bewohner wollen keine Heimbewohner sein. Diese Diskussion ist nur durch die Sorge über unsichere Leistungsqualität zu
erklären; daher die Frage: Gibt es ein Schutzbedürfnis der Bewohner, das gesetzliche Regelungen erfordert?
3.
Ist Service-Wohnen bezahlbar?
Nur mit einem klar profilierten Leistungsangebot kann man auf eine
Zahlungsbereitschaft der Kunden hoffen. Aber wie lässt sich ermitteln, welche Preise für welche Leistungen akzeptiert werden?
Im Service-Wohnen in Trotha bezahlen allein lebende Bewohner für
ein 25 m²-Appartement monatlich 460,- DM Warmmiete (bzw. 18,40
DM/m²). Hinzu kommt eine Pauschale für Grundleistungen in Höhe
von 60,- DM, weitere Einzelleistungen werden zu 10,- DM pro Stunde
in Rechnung gestellt (Stand: Jahresende 1998). Der im Sinne einer
besseren Planbarkeit verständliche Versuch des Anbieters, auch die
Zusatzleistungen zu pauschalieren (gedacht war an 50,- DM pro
Monat, also insgesamt 110,- DM für einen erweiterten Leistungsanspruch auf Grund- und Zusatzleistungen) wurde seitens der Bewohner nicht akzeptiert und daraufhin zurück genommen. Vergleicht man
damit die Kosten in dem o.g. Haus am Weinberg, so wurde dort im
Jahre 1993 für ein Ein-Personen-Appartement (mit 41 m² Wohnfläche, Warmmiete von 382,- DM bzw. 9,30 DM/m²) eine Grundpauschale in Höhe von 566,- DM pro Monat berechnet.1 Durch diese
Betreuungspauschale wurden Kosten für das bereitstehende Personal sowie für Notruf und den Betrieb der Gemeinschaftseinrichtungen
abgedeckt, während „zuwählbare Dienstleistungen“ gesondert
berechnet wurden.
1
16
Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (Hg.), Wohnungen für ältere
Menschen, Stuttgart 1993
In Stuttgart lag der Quadratmeter-Preis inklusive der Grundpauschale
im Jahr 1993 bei 23,12 DM/m², in Halle 1998 bei 20,80 DM/m². Das
Preisniveau ist bei einem Zeitabstand von fünf Jahren in etwa vergleichbar (auch wenn der Neubau in Stuttgart mit seiner großzügigen
Ausstattung nicht unmittelbar mit den Häusern in Halle-Trotha
vergleichbar ist), sehr unterschiedlich sind aber die Aufteilungen in
Wohnungsmiete und Service-Pauschale.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Spielräume
der Anbieter zur Preisgestaltung hat: Kann er beim Personal einsparen, wenn der Preis nicht mehr zu erhöhen ist? Und weiterhin: Welche finanziellen Mittel können (objektiv) bzw. wollen (subjektiv) die
Bewohner einsetzen, und bei welchem Preisniveau liegt die Grenze,
ab der man lieber auf die Inanspruchnahme einer Leistung verzichtet?
4.
Für welchen Personenkreis ist Service-Wohnen attraktiv?
Im Zusammenhang mit Ein- und Auszug wurde erwähnt, dass eine
Spannung besteht zwischen dem Zuschnitt des Service-Wohnens
auf den Adressaten in einer „Zwischenphase“ und der Entwicklung
seiner Kompetenz im weiteren Alterungsprozess, d.h. selbst wenn
die typischen Adressaten bei Einzug im Alter von 65 bis 75 Jahren
sind, ergibt sich zehn Jahre später eine ganz andere Altersstruktur.
Zugespitzt stellt sich die Frage: Kann das Service-Wohnen ein Altenpflegeheim ersetzen? Dieser hohe Anspruch wurde häufig erhoben
(und mit einem Seitenblick auf geringere Kosten schmackhaft
gemacht). In einer Broschüre der Westfälischen Hypothekenbank
heißt es, dass Service-Wohnungen „stationäre Einrichtungen vom
Markt verdrängt haben“.2 Dies kann jedoch, genau betrachtet, nur auf
Altenheime oder Altenwohnheime bezogen sein, die früher die einzige Alternative für Ältere zwischen bisheriger Privatwohnung und Pflegeheim waren, und die von ihrem Profil her quasi ein Vorläufer des
Service-Wohnens waren. Für die typischen Bewohner von Pflegeheimen mit schwerstem Pflegebedarf kann das Service-Wohnen
dagegen in der Regel keine gleichwertige Alternative bieten. Zudem
sind heute ca. 2/3 bis 3/4 der Pflegeheimbewohner dement und
wären mit einer eigenständigen Haushaltsführung überfordert.
2
Westfälische Hypothekenbank (Hg.), Der Markt für Seniorenimmobilien.
Entwicklungen, Einflussfaktoren, Trends, Dortmund 1999, S. 9
17
Demente Bewohner stellen das Service-Team vor besondere Probleme. In Trotha ist deren Anteil nicht unbeträchtlich, da die Bezeichnung „betreutes Wohnen“ von den Angehörigen im Sinne einer heimähnlichen Betreuung interpretiert wurde. Hieran knüpfen sich zwei
Fragestellungen an:
• Welche Ausschlusskriterien sollen bei der Auswahl der Bewohner
angelegt werden, und welche Einflussmöglichkeiten auf den Vertragsabschluss setzt dies voraus? In Trotha ist der Service-Vertrag nicht an den Mietvertrag gekoppelt, sodass der ServiceTräger keinen Einfluss auf die Belegungsstruktur hat.
• Wie geht man damit um, wenn Bewohner des Service-Wohnens
dement sind oder zunehmend dement werden? Welche ServiceFunktionen sind erforderlich, um diese Gruppe zu betreuen, und
sind diese Formen vom vorhandenen Personal leistbar? Welche
Formen des „betreuten Wohnens“ in dem Sinne, wie es in der
Psychiatrie praktiziert wird, kommen in Betracht, und welche organisatorischen Vorkehrungen erfordert dies? Wo liegt die Grenze
des Service-Wohnens, ab der ein Umzug ins Pflegeheim unausweichlich wird?
5.
Wie müssen die Wohnungen ausgestattet sein, und wie muss
der Service gestaltet sein?
Zu den wünschenswerten Standards des Service-Wohnens im Hinblick auf Wohnung, Wohnumgebung und Service existiert bereits
eine Reihe von Vorstellungen; einen hohen Bekanntheitsgrad haben
z.B. die von Schweikart und Wessel zusammen gestellten „Qualitätsmerkmale des betreuten Wohnens“.3 Bezüglich der architektonischen
Voraussetzungen fällt auf, dass die Appartements in Trotha mit 25 m²
für Einzelpersonen recht klein sind, es ist auch keine Trennung
zwischen Schlaf- und Wohnraum möglich. Bei einer Zusammenlegung zweier Appartements für Paare wird dagegen eine zufriedenstellende Wohnungsgröße erreicht.
Weitere Qualitätskriterien sind ein Balkon, ein ansprechend gestaltetes Außengelände mit Garten- oder Parkcharakter, verschiedene
Gemeinschaftsräume und Anderes mehr. Allerdings entscheidet die
3
18
R. Schweikart/ W. Wessel, Qualitätsmerkmale des betreuten Wohnens,
hrsg. von der Wüstenrot-Stiftung, Ludwigsburg 1995
Ausstattungsqualität nicht allein über die Attraktivität eines Angebotes; eine neuere Untersuchung hat ergeben: „Entgegen der Erwartung konnte kein Zusammenhang zwischen dem Erfolg einer Einrichtung und ihrer Ausstattungs- und Dienstleistungsqualität nachgewiesen werden.“4 Genau so wichtig ist etwa der regionale Bekanntheitsgrad. In Halle kommt hinzu, dass die in den 60er-Jahren im
Plattenbau-Verfahren gebauten Hochhäuser gerade unter den alt
Eingesessenen als qualitativ gut bewertet werden im Vergleich zur
üblichen Bausubstanz in der Stadt. Diese Wertschätzung dürfte sich
nach der Sanierung im Jahr 1996 noch verstärkt haben.
Bauliche Qualitätsstandards sind objektivierbar, deshalb lässt sich
hierüber eine Verständigung erzielen. Aber welchen Qualitätskriterien
müssen die Service-Leistungen genügen, und welche Qualität soll
das Versprechen von Sicherheit im Notfall haben? In diesem Bereich
ist die Festlegung von Standards schwieriger.
Damit will ich die Reihe meiner einleitenden Fragen beenden. Die
Frage der Wohn- und Service-Qualität wird letztlich dafür entscheidend sein, ob es sich beim Service-Wohnen um ein zukunftsträchtiges Wohnkonzept handelt. Gelingt es, eine hohe Qualität des Wohnens mit einer hohen Qualität der Service-Leistungen zu verbinden,
und dieses Angebot für die Adressaten auch bezahlbar zu gestalten?
Diese Frage wird sich wie ein Motto durch den gesamten Workshop
ziehen.
4
Westfälische Hypothekenbank 1999, a.a.O. S. 18
19
Konzepte und Entwicklungsstand des Service-Wohnens
Zum Entwicklungsstand des betreuten Wohnens in Deutschland
Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe
1.
Problemeinführung
Betreutes oder Service-Wohnen wird schon seit einiger Zeit mit einer
gewissen Euphorie als eine der Zukunftslösungen für das Wohnen
älterer Menschen propagiert. Und wenn man die Grundidee des
Betreuten Wohnens betrachtet, muss man eingestehen, dass dem
Betreuten Wohnen im Gesamtsystem der Wohn- und Betreuungsangebote für ältere Menschen tatsächlich eine besondere Stellung
zukommt. Es verbindet die Vorteile privater Wohnformen mit denen
institutioneller Wohnformen. Die Privatheit, Autonomie und Selbstständigkeit des Einzelnen soll erhalten bleiben, wobei gleichzeitig ein
hohes Maß an Sicherheit und Verfügbarkeit von Hilfs- und Betreuungsangeboten gewährleistet werden soll.
Vom Konzept verfolgt das Betreute Senioren-Wohnen schwerpunktmäßig drei Ziele:
⇒
Absicherung oder Wiederherstellung einer selbstständigen
Lebens- und Haushaltsführung auch im Falle von Hilfe- und
Pflegebedürftigkeit
⇒
Vermeidung der sozialen Isolation alter Menschen,
Erhaltung gewachsener sozialer Beziehungen und Förderung
der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft
⇒
Hinausschieben oder Vermeidung einer Heimunterbringung.
Auch bei den älteren Menschen selbst scheint diese Wohnform auf
breite Akzeptanz zu stoßen. Nach Untersuchungen zu den Wohnungswünschen älterer Menschen schwankt der Anteil zwischen
30% und knapp 40% der Älteren, die sich Service-Wohnen als
Lebensform vorstellen können, nur 16% lehnen diese Wohnform für
sich ab (Krings-Heckemeier 1996). Die Schader-Stiftung hat in ihrer
Untersuchung zu den Wohnungswünschen älterer Menschen ermittelt, dass das Service-Wohnen an dritter Stelle aller bevorzugten
Wohnalternativen bei den umzugswilligen älteren Menschen steht
(Heinze u.a. 1997).
21
Die älteren Menschen verbinden mit dieser Wohnform vielfältige
Erwartungen. In einer aktuellen Baden-Württemberger Untersuchung
wurde bei ca. 350 Personen nach den Gründen für den Einzug in
eine Wohnanlage gefragt (Sozialministerium Baden-Württemberg
1999). Neben dem Vorsorgeaspekt kommt ein großer Teil der Bewohner in die Einrichtung, weil sie in ihrer selbstständigen Lebensführung eingeschränkt sind: Über die Hälfte ziehen ein, weil ihre
frühere Wohnung zu groß oder nicht altersgemäß ausgestattet ist,
jeder Dritte wechselt, weil er pflegerische Hilfe oder Hilfe bei der
Haushaltsführung braucht, bei rund der Hälfte ist soziale Vereinsamung ein wesentlicher Grund für den Umzug.
Wie sieht nun die Praxis aus, erfüllen die derzeit realisierten Projekte
des Betreuten Wohnens diese konzeptionellen Ziele und Erwartungen?
Betrachtet man die in der Praxis realisierten Projekte, so wird deutlich, dass man von „dem“ Betreuten Wohnen oder „dem“ ServiceWohnen nicht sprechen kann. Die praktische Vielfalt wird schon in
den unterschiedlichen Begriffen, die man zu Beschreibung dieser
Versorgungsform wählt, deutlich: Man spricht von Betreutem Wohnen, Service-Wohnen, begleitetem Wohnen, unterstütztem Wohnen,
auch Senioren-Residenzen und Senioren-Wohnstifte werden darunter subsummiert.
2.
Darstellung unterschiedlicher Konzepte betreuter Wohnangebote für ältere Menschen
Die Vielfalt der in der Praxis laufenden Projekte zum Betreuten
Wohnen begründet sich zum einen aus unterschiedlichen Betreuungskonzepten. Betreutes Wohnen ist kein einheitlich geschlossenes
Konzept. Missverständlich ist die häufig vorgenommene Gleichsetzung des Prinzips „betreutes Wohnen“ mit der Wohnform „Betreute Wohnanlage“. Die Entkoppelung von Betreuung und Wohnform
eröffnet einen viel größeren Spielraum für die Entwicklung von
Wohnformen, als das etwa in der „Betreuten Wohnanlage“ der Fall
ist. Mit zunehmender Verbreitung ambulanter Pflegedienste einschließlich der Sicherstellung eines sozialen Austauschs durch
flächendeckende offene Altenhilfe, verbunden mit dem Angebot
eines quartiersbezogenen Hausnotrufsystems kann prinzipiell jede
normale Wohnung zu einer betreuten Wohnung werden.
22
Zu gliedern ist das Feld neuer betreuter Wohnangebote für ältere
Menschen – neben den konventionellen Wohnangeboten wie Altenwohnungen, Altenheim, Altenwohnheim, Altenpflegeheim – nach folgenden Schwerpunkten:
⇒
Zum einen gibt es neue Wohnformen, deren Betreuungskonzept
eine Weiterentwicklung des normalen Wohnens darstellt, wie
das „Wohnen Plus“ oder das „Betreute Wohnen im Bestand“.
Hierunter fällt auch eine Reihe von Gruppenwohnprojekten.
⇒
Zum anderen sind betreute Wohnformen Sonderwohnformen,
die eine Weiterentwicklung der traditionellen Heimunterbringung
sind.
Die wichtigste und am weitesten entwickelte Form des Betreuten
Wohnens sind zurzeit Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten/ Betreutes Wohnen in Wohnanlagen: Hier werden im
Wesentlichen Serviceleistungen von professionellen Diensten vorgehalten und erbracht. Zu unterscheiden sind nach der Art, wie diese
Leistungen organisiert werden:
- Eigenständige Wohnanlagen mit Service-Büro
- Eigenständige Wohnanlagen mit integrierten Serviceleistungen
- Heimverbundene Wohnprojekte
- Wohnprojekte im Hotelverbund
- Wohnstifte/ Senioren-Residenzen
Nach Untersuchungen des InWIS-Instituts nimmt im Bundesdurchschnitt das Betreute Wohnen, also altersgerechte Wohnanlagen mit
integriertem Dienstleistungsangebot, bei den unterschiedlichen
Wohnformen im Alter einen Anteil von ca. 38% ein, dazu kommen
noch einmal 6% Senioren-Residenzen mit hotelähnlichem Serviceangebot sowie 20% Verbundkonzepte, die verschiedene Formen
altersgerechten Wohnens von der reinen Altenwohnung über die
Service-Wohnung bis hin zur stationären Pflege miteinander kombinieren (InWis-Institut 1999).
Neben der Organisationsform unterscheiden sich die Wohnprojekte
nach der Betreuungskonzeption. Tendenziell lassen sich hier zwei
23
Modelle unterscheiden: Das Betreuungsmodell und das ServiceModell:
- Das Betreuungsmodell geht von der Notwendigkeit eines
besonderen Angebots für Hilfemanagement aus. Dieses
Angebot durch qualifiziertes Personal ist zentraler Bestandteil
eines pauschalen Grundservice. Als Klientel werden vor allem
ältere Menschen ab 70 Jahren mit größerem Hilfebedarf
angenommen.
- Das Service-Modell geht eher von einer Klientel aus, die
zwar Serviceangebote zur Verfügung haben möchte, ansonsten aber unabhängig wohnen will. Im Vordergrund steht
der abrufbare und nur nach Bedarf bezahlte Service.
Kontrovers wird in der Fachöffentlichkeit diskutiert, welche Betreuungskonzepte angemessen sind, d.h. wie weit die Hilfen zu gehen
haben und wie die Hilfen organisiert werden sollen:
- Die einen betonen den Selbstständigkeitsaspekt und sehen
Betreutes Wohnen maximal als Ersatz für das klassische
Altenheim und mehr nicht. Pflege kann hier als leichte bzw.
vorübergehende pflegerische Betreuung erbracht werden, ist
aber kein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes. Die Fähigkeit zu einer selbstständigen Haushaltsführung ist ein entscheidendes Kriterium für den Eintritt. Kritiker werfen dieser
Position vor, dass Betreutes Senioren-Wohnen mit einem
verengten Leistungsspektrum bis zum Altenheimniveau für
einige Bewohner erneut einen Umzug mit all seinen negativen
Begleitumständen erforderlich mache. Betreutes Wohnen mit
geringeren Leistungsangeboten sollte ersetzt werden durch
verbesserte Wohnberatung und Wohnungsanpassung sowie
den Ausbau sozialpflegerischer Dienste.
- Die anderen betonen den Sicherheitsaspekt. Betreutes
Wohnen soll älteren Menschen bei Wahrung des selbstständigen Mieterstatus alle benötigten Dienste, je nach Bedarf
auch die gesicherte Pflege wie im Pflegeheim bieten. Die
Absicherung von Dauer- und Schwerstpflege gehört mit zum
Konzept und bestimmt auch das bauliche Angebot. Betreutes
Wohnen wird in diesem Kontext als Ergänzung zum Pflegeheim gesehen. Kritiker meinen, die Ausrichtung des Betreuten
Senioren-Wohnens auf einen universalen Betreuungsanspruch sei mit eine Ursache dafür, dass Betreutes SeniorenWohnen gegenwärtig in Deutschland noch kein attraktives
24
Angebot für rüstige Senioren ist und so werde in Deutschland
die Chance vertan, eine Wohnform für jüngere Senioren zu
entwickeln. Zudem könne die Konzeption, ein umfassendes
Angebot zur Verfügung zu stellen, leicht mit dazu führen,
dass Überversorgungsstrukturen geschaffen werden.
Diese Aufstellung macht deutlich, dass Betreutes Wohnen kein
einheitlich geschlossenes Konzept ist und auch der Entwicklungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Auch in Zukunft wird es eher
auf eine Bandbreite von Projektmodellen hinauslaufen, die zwar dem
gemeinsamen Ziel der Verbindung von selbstständigem Wohnen und
dem Angebot von Hilfe- und Kommunikationsnetzen verpflichtet sind,
aber dies in unterschiedlicher Weise umsetzen. Eine Begriffsklärung
wird wahrscheinlich eher in der Ausdifferenzierung der Betreuungsmodelle als in deren Vereinheitlichung bestehen.
3.
Probleme bei der praktischen Umsetzung
In dieser praktischen Vielfalt manifestieren sich u.a. die unterschiedlichen regionalen Bedingungen und vielfältigen Bedarfslagen verschiedener Zielgruppen. Die praktische Vielfalt ist durchaus positiv zu
sehen, weil nur so ein hohes Maß an Wahlfreiheit und bedürfnisorientierter Bedarfsdeckung gewährleistet werden kann.
Problematisch ist aber, dass das Betreute Wohnen in Deutschland
immer noch ein „Experimentierfeld“ ist:
- Es fehlen Qualitätsstandards.
- Es besteht immer noch eine mangelnde Transparenz dieses
Angebots.
- Es gibt noch rechtliche Unklarheiten.
3.1 Fehlende Qualitätsstandards
Das Gesamtangebot wird – von wenigen Ausnahmen abgesehen –
nicht im Rahmen von definierten Mindestqualitätsstandards und
entsprechenden Qualitätskontrollen praktiziert. Das Fehlen verbindlicher Qualitätsnormen für das Betreute Wohnen hat in der Praxis
auch qualitativ zu einer großen Variationsbreite geführt, die nicht
immer bedarfsgerecht ist. Die in der Praxis realisierten Projekte
reichen von Angeboten, die ein überzeugendes Preis-Leistungs25
Verhältnis bieten bis zu Angeboten, die als völlig unzureichend und
überteuert einzustufen sind. Z.T. werden Betreute Wohnungen als
Alternative zum Heim angeboten, ohne auch nur annähernd für eine
entsprechende Betreuung zu sorgen. Bei frei finanzierten Wohnanlagen werden nicht selten Mieten verlangt, die weit über den ortsüblichen Vergleichsmieten liegen.
Seit einiger Zeit gibt es regionale Bemühungen, entsprechende Qualitätskriterien zu formulieren. Eine Reihe von Bundesländern (z.B.
Baden-Württemberg) fördert Betreute Senioren-Wohnanlagen nur,
wenn bestimmte Standards der Wohn- und Betreuungsqualität
gewährleistet sind. Das KDA hat eine Übersicht erstellt, welche Bundesländer mit welchen qualitativen Standards Betreute Wohneinrichtungen fördern.
Zur Qualitätsicherung für frei finanzierte Betreute Wohnungsangebote hat Baden-Württemberg ein Qualitätssiegel entwickelt, das Anlagen erwerben können, wenn bestimmte Anforderungen an das
Bauen, das Umfeld, den Grund- und Wahlservice sowie an die Vertragsgestaltung eingehalten werden. Diese Form der freiwilligen Qualitätskontrolle stößt auf relativ geringe Akzeptanz in der Praxis. Bisher
wurden erst neun Einrichtungen nach dieser freiwilligen Qualitätsprüfung zertifiziert, eine ganze Reihe von Einrichtungen steht aber
kurz vor der Zertifizierung.
3.2 Mangelnde Transparenz
Ein weiteres Problem ist, dass die große Unterschiedlichkeit und
Variationsbreite der Projekte zur mangelnden Transparenz des Gesamtangebotes sowie mangelnden Überschaubarkeit für interessierte
Ältere geführt hat. Die mangelnde Überschaubarkeit hat in manchen
Fällen Erwartungen und Vorstellungen der Bewohner geweckt, die
nicht erfüllt wurden. Teilweise wurde bereits bei einem eintretenden
leichten Hilfebedarf ein erneuter Umzug notwendig.
Verstärkt wurden in diesem Kontext Forderungen nach mehr Verbraucherschutz laut. Verschiedene Institutionen reagierten darauf
und haben einen Fragenkatalog oder sog. Checklisten oder die Entwicklung eines Mustervertrages als Orientierungshilfen für die Nutzer
zum Vergleich verschiedener Projekte entwickelt.
26
3.3 Rechtliche Unklarheiten
Ebenfalls problematisch ist, dass es im Bereich des Betreuten
Senioren-Wohnens eine Reihe juristisch ungeklärter Probleme und
rechtlicher Unklarheiten gibt. Das zentrale Problem in diesem
Zusammenhang dürfte die Diskussion sein, inwieweit Einrichtungen
des Betreuten Wohnens rechtlich „normale“ Wohnungen sind, die
unter die Schutzbestimmungen des Mietrechts fallen, oder als
Altenhilfeeinrichtungen unter die Bestimmungen des Heimgesetzes
einzuordnen sind, mit der Wirksamkeit aller entsprechenden Verordnungen des Heimgesetzes sowie Kontrollen durch die Heimaufsicht.
Seit 28. Januar 1999 gibt es ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes
Münster, dass Einrichtungen des Betreuten Wohnens als Heime
angesehen werden können und dann unter die Schutzbestimmungen
des Heimgesetzes fallen (AZ 50.423-31/7). Die Betreuten Wohneinrichtungen sind nach diesem Richterspruch Heime, weil sie, wie
diese, neben der Überlassung der Unterkunft auch die Gewährung
und Vorhaltung von Verpflegung und Betreuung bieten, wie nach § 1
HeimG. Damit das Heimgesetz gilt, müsse für die Mieter keineswegs
die Verpflichtung bestehen, bestimmte Verpflegungs- und Betreuungsleistungen auch tatsächlich abzunehmen. Es reiche aus, wenn
diese Verpflegungs- und Betreuungsleistungen vorgehalten, also im
Bedarfsfall ermöglicht und sichergestellt werden. Damit das Heimgesetz gilt, ist auch unerheblich, ob die Leistungen direkt vom Träger
oder von Dritten erbracht werden, wenn mit diesen verbindliche
Betreuungsverträge abgeschlossen werden.
Es herrscht zurzeit eine große Verunsicherung bei den Anbietern und
den Nutzern. In einzelnen Bundesländern hat dies bereits dazu
geführt, dass jetzt die Heimaufsichten beauftragt werden, die
Betreuten Wohnanlagen im Sinne des Heimgesetzes zu prüfen (wie
z.B. in Mecklenburg-Vorpommern). Nach dem Richterspruch ist jetzt
der Bund gefragt, im Rahmen der angekündigten Novellierung des
Heimgesetzes die Position des Betreuten Wohnens gesetzlich zu
regeln.
27
4.
Quantitativer Bestand und quantitative Entwicklung
4.1 Bestand
Einen genauen Überblick, wie viele ältere Menschen in Deutschland
derzeit im Betreuten Wohnen leben, gibt es nicht. Zum einen liegen
keine verlässlichen Zahlen vor, weil diese Sonderwohnform nicht in
der Heimstatistik aufgeführt wird. Zum anderen wird eine genaue
Bestandsaufnahme durch die unterschiedlichen Definitionen, was als
Betreute Wohnplätze zu zählen ist, erschwert.
Auch die Schätzungen, wie viele ältere Menschen im Service-Wohnen leben, sind sehr unterschiedlich. Nach Berechnungen der Sachverständigen-Kommission Zweiter Altenbericht dürften in Altenwohnungen bzw. im Betreuten Wohnen etwa 200.000 – 250.000
Menschen leben. Davon macht das Betreute Wohnen weniger als ein
Fünftel aus, also ca. 30.000 ältere Menschen. Hiernach leben – bezogen auf die Gesamtzahl der älteren Menschen mit 65 und mehr
Jahren – in Deutschland etwa 0,25% aller 65-Jährigen und Älteren im
Betreuten Wohnen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend: Zweiter Altenbericht – Wohnen im Alter, Bonn 1998).
Aktuellere Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der
Wohnprojekte mit Serviceangeboten für Senioren seit 1995 von rd.
1.500 auf schätzungsweise rd. 3.600 verdoppelt hat (empirica 1999).
Hier wird noch von einer Versorgungsquote von 1,6% der 65-Jährigen und Älteren ausgegangen. Jedoch gibt es sehr unterschiedliche
regionale Entwicklungen.
Vergleicht man internationale Zahlen, so wird deutlich, dass Deutschland im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens noch am Anfang
der Entwicklung steht. In Großbritannien und den USA leben 5% der
65-Jährigen in solchen Wohnanlagen.
4.2 Bedarf
Auch hinsichtlich der Einschätzung der Bedarfsentwicklung gehen
die Auffassungen sehr auseinander. Ein Anteil in Höhe von 3 – 4%
der über 60-jährigen, die angeblich ihren Lebensabend am liebsten
im Betreuten Wohnen verbringen wollen, wird immer wieder als
Orientierungsgröße genannt. Die Verlässlichkeit dieser Größe wird
aber zunehmend in Frage gestellt. In Baden-Württemberg wird als
Bedarfswert 1,5 – 2% der ab 70-Jährigen genannt. Andere schätzen
28
das Gesamtpotenzial an Veränderungsbedarf bestehender Wohnverhältnisse weitaus höher ein. Die Wüstenrot Stiftung geht davon aus,
dass die Potenziale die vorhandenen Kapazitäten derzeit um das 14bis 31-fache übersteigen (Wüstenrot Stiftung 1997). Die SchaderStiftung ermittelte in ihrer Studie zu den Wohnungswünschen, dass
sich 27% der westdeutschen und 25% der ostdeutschen Mieterhaushalte über 55 Jahre bei einem Wohnungswechsel im Alter
Service-Wohnen als Wohnform vorstellen können (Heinze u.a. 1997).
Es ist insgesamt wenig praktikabel, bundes- oder landesweit einheitliche Richtwerte zur Bedarfsabschätzung zu benennen, da Bedarfsaussagen nur unter Berücksichtigung konkreter regionaler und örtlicher Gegebenheiten und Bedingungen gemacht werden können.
Dabei sind verschiedene Kriterien für eine regionale Bedarfseinschätzung zu beachten. Bedeutsam für die quantitative Entwicklung
ist vor allem, inwieweit diese neue Wohnform bereits in der Region
praktiziert wird. Praxisberichte zeigen, dass die Nachfrage nach dieser neuen Wohnform bei weitem das Angebot übersteigt, wenn dort
entsprechende Projekte bereits realisiert wurden.
4.3 Entwicklung
Von der Entwicklung her scheint sich die erste Euphorie bei der Vermarktung der Sozialimmobilie „Betreutes Wohnen“ abzuschwächen.
Auch hier ist es, wie bei Heimeinrichtungen, in den letzten Jahren zu
Leerständen gekommen. Frei finanzierte Einrichtungen, die sich
baulich und organisatorisch am Vorbild des Wohnstifts orientierten
(große kompakte Gebäudekomplexe, hohe Mieten, kleine Wohnungen), haben zunehmend Vermarktungsschwierigkeiten. Im Gegensatz dazu ist die Nachfrage nach Anlagen im geförderten Mietwohnungsbau noch keineswegs befriedigt. Angebotslücken bestehen
auch für ältere Menschen der mittleren Einkommensgruppe, die die
hohen Preise der frei finanzierten Wohnanlagen nicht tragen können,
aber andererseits wegen ihres gehobenen Einkommens nicht
berechtigt sind, in geförderte Mietwohnungen einzuziehen.
29
5.
Qualitative Strukturaspekte
Die Diskussion um Qualitätsstandards von betreuten Wohnanlagen
konzentriert sich auf drei Themen
• Qualität der Wohnsituation
• Qualität des Leistungsangebotes
• Qualität der Vertragsgestaltung.
5.1 Qualität der Wohnsituation
Bei der Qualität der Wohnsituation geht es vor allem um den Standort der Einrichtung, die baulichen Standards und die Konzeptionierung der Gemeinschaftseinrichtungen.
⇒
Standort:
Das Ziel, durch betreute Wohnangebote die Selbstständigkeit älterer
Menschen so lange wie möglich zu erhalten, macht besondere
Anforderungen an den Standort der Betreuten Senioren-Wohnlagen
erforderlich. Konzeptionell wird gefordert, dass diese
-
in unmittelbarer Nähe von Orts- oder Stadtteilzentren liegen,
-
den Zugang zu den wichtigsten Einrichtungen zur Deckung des
täglichen Bedarf auch für mobilitätseingeschränkte Menschen
garantieren,
-
in das allgemeine soziale und kulturelle Umfeld integriert sein
und
-
eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gewährleisten sollen.
Strukturanalysen belegen, dass die Mehrzahl der Einrichtungen diese Qualitätskriterien erfüllen, es gibt jedoch auch Schwachstellen.
Nach Selbsteinschätzung der Einrichtungsbetreiber in BadenWürttemberg sind nur bei einem kleinen Teil der Wohnanlagen
zentrale Standorte zu finden, auch wenn dies bei der Mehrheit der
Anlagen durch eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr
ausgeglichen wird. Auch fehlt bei einigen die Nähe zu entsprechenden Versorgungsinstitutionen sowie Beratungsstellen oder
30
Begegnungsstätten zur sozialen und kulturellen Integration (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999).
⇒
Gemeinschaftseinrichtungen
Gemeinschaftseinrichtungen sollen nach den konzeptionellen Überlegungen Möglichkeiten zum sozialen Austausch außerhalb der Wohnung, aber innerhalb der Anlagen schaffen. In der Praxis gehören
Gemeinschaftseinrichtungen zum Standardangebot Betreuter Senioren-Einrichtungen.
Insgesamt fehlt es aber an einer bedarfsgerechten Konzeption für die
Vorhaltung von Gemeinschaftseinrichtungen. Praxisberichte zeigen,
dass Gemeinschaftseinrichtungen häufig zu groß sind und dadurch
zu hohe Kosten verursachen, ohne die Wohnqualität zu steigern.
Zum Teil werden Räume für Tätigkeiten vorgesehen, die auf wenig
Akzeptanz bei den Bewohner stoßen. Experten verweisen darauf,
dass bei der Planung dieses Angebot einerseits auf ein Minimum
reduziert und auf die lokalen Gegebenheiten sowie die anzusprechenden Zielgruppen abgestimmt werden sollte. Andererseits sollten
die Gemeinschaftseinrichtungen flexibel konzipiert werden, sodass
sie je nach sich verändernden Bedarfssituationen anders genutzt
werden können.
⇒
Bauliche Standards
Untersuchungen belegen, dass ältere Menschen in eine Betreute
Senioren-Wohnung u.a. auch deshalb umziehen, weil ihre alte
Wohnung nicht altersgerecht ausgestattet ist (Sozialministerium
Baden-Württemberg 1999). Ein wesentliches Qualitätskriterium für
Betreute Wohnanlagen ist die Bereitstellung von altersgerechtem
Wohnraum. Die Frage, was eine für ältere Menschen geeignete
Wohnung ist, wird heute weitgehend mit dem Begriff „Barrierefreiheit“
gleichgesetzt. Die Wohnung, die Wohnanlage und der Zugang zur
Wohnung sollen grundsätzlich so gestaltet sein, dass keine baulichen
Barrieren der Nutzung durch ältere Menschen entgegenstehen. Die
Standards für barrierfreies Bauen sind durch die DIN 18025, Teil 1
und 2 geregelt.
Wesentliches Qualitätskriterium für Betreutes Wohnen ist daher der
barrierefreie Zugang. Strukturuntersuchungen belegen, dass die
barrierefreie Erschließung Betreuter Altenwohnprojekte gegenüber
früheren Altenwohnungen weitgehend gegeben ist, jedoch gibt es
31
auch hier in der horizontalen und vertikalen Erschließung immer noch
Mängel. So sind nicht immer alle Räume der Wohnungen stufenlos
erreichbar oder es fehlt an ausreichenden Bewegungsflächen in der
Wohnung. Bei einer bundesweit untersuchten Stichprobe von
betreuten Altenwohnanlagen weist rund ein Viertel diese Mängel auf
(Kremer-Preiß 1997). Auffallend ist auch, dass in den wenigsten
Anlagen des betreuten Wohnens die Empfehlungen der DIN 18025,
Teil 2 vollständig befolgt werden. Beklagt werden vor allem die zu
geringen Bewegungsflächen auf Grund zu kleiner Wohnungen. Auch
bei der Vergabe des Gütesiegels zum Betreuten Wohnen in BadenWürttemberg scheitern viele Wohnanlagen eher an der Nichtrealisierung der baulichen Standards und weniger an den Betreuungskonzeptionen.
5.2 Qualität der Betreuungs- und Serviceleistungen
Neben einer altersgerechten Wohnung setzt eine selbstständige
Lebensführung im Alter voraus, dass im Falle von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit bedarfsspezifische Hilfeangebote zur Verfügung stehen.
Zu den qualitativen Bausteinen Betreuter Wohnanlagen gehört daher
auch ein entsprechendes Serviceangebot.
Das Dienstleistungsangebot setzt sich zusammen aus den Bereichen
-
Soziale und kulturelle Betreuung
-
Hauswirtschaftliche Hilfen
-
Pflegerische Hilfen
-
Haustechnischer Service.
Diese Leistungsbereiche werden in Form von Grundleistungen und
wählbaren Dienstleistungspaketen angeboten. Interessant für die
Einschätzung der Qualität der Einrichtungen ist vor allem deren
Grundleistungspaket. Ein umfassendes Angebot an Wahlleistungen
kann bei einer guten sozialen Infrastruktur durch externe Dienstleister gewährleistet werden. Dies ist weniger ein Zeichen für die
Leistungsqualität, als vielmehr für die Standortqualität der Einrichtung.
Das Kernstück der Grundleistungen bildet der Betreuungsservice.
Hierzu gehören persönliche Beratung und psycho-soziale Betreuung
sowie organisatorische Leistungen zur Bewältigung des Alltags und
Vermittlung von Leistungen bei auftretender Hilfebedürftigkeit.
32
Daneben gehören die Notrufsicherung und ein haustechnischer
Service zum Standard der Grundleistungen. Pflegerische und hauswirtschaftliche Hilfen sind demgegenüber i.d.R. Bestandteile der
wählbaren Zusatzleistungen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Frage: Was ist an Leistungsangeboten notwendig und sinnvoll? Zum minimalen Serviceangebot gehört die regelmäßige persönliche Betreuung im Einzelfall.
Dieses minimale Angebot muss gegeben sein, damit man von
„Betreutem Wohnen“ sprechen kann. Eine Notrufsicherung alleine
kann auch in normalen Wohnungen zu Hause gewährleistet werden,
aber nicht die regelmäßige Einzelfallbetreuung. Wie die regelmäßige
Einzelfallbetreuung aussehen soll, kann sehr unterschiedlich geregelt
sein – von Hausmeistermodellen bis zur fest angestellten Fachkraft
zur Betreuung ist alles möglich. Von allen in Baden-Württemberg
untersuchten Einrichtungen bietet rund die Hälfte nur diesen minimalen Standard an Grundserviceleistungen an (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999).
Die andere Hälfte bietet ein größeres Servicepaket. Einrichtungen,
die über das minimale Leistungsangebot hinaus Hilfen bei der Gestaltung der Hausgemeinschaft leisten und Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen, können als Einrichtungen des Betreuten
Wohnens mit mittlerem Leistungsniveau eingestuft werden. Bei
diesen Einrichtungen dürfte von der konzeptionellen Ausrichtung her
neben der altersgerechten Wohnraumsicherung ein Schwerpunkt auf
der sozialen Integration der älteren Menschen liegen. Rund 1/4 aller
untersuchten Einrichtungen in Baden-Württemberg lassen sich dieser
Kategorie zuordnen.
Von einem erweiterten Leistungsangebot kann ausgegangen werden, wenn neben der Notrufsicherung und den allgemeinen Betreuungsleistungen regelmäßige Beratung durch eine Betreuungskraft
mit festen Sprechzeiten, die Versorgung bei akuter Erkrankung sowie
der Betrieb eines Pflegestützpunktes, der auch eine Versorgung bei
dauernder Pflegebedürftigkeit ermöglicht, zum Serviceangebot
zählen. Rund 24% der untersuchten Einrichtungen in BadenWürttemberg haben ein solches erweitertes Grundserviceangebot.
Nur diese Einrichtungen können auf den Einzelfall bezogen als
Alternative zur stationären Versorgung eingestuft werden.
33
5.3 Qualität der Vertragsgestaltung
Zu den Qualitätsaspekten des Betreuten Senioren-Wohnens gehört
auch eine eindeutige und klare Vertragsgestaltung. Vertragsanalysen
zeigen aber, dass hier noch eine Reihe von Problemen juristisch
ungeklärt ist und eine Vielzahl vertragsrechtlicher Unklarheiten in der
Praxis besteht. Dies betrifft sowohl die Vertragsform als auch die
Vertragsgestaltung.
Vertragsgestaltung
Hinsichtlich der Vertragsgestaltung ist die mangelnde Transparenz
des Gesamtangebotes das wesentliche Problem. Die meisten Verträge zeichnen sich durch eine unpräzise Beschreibung der Leistungspflichten des Trägers aus. Insbesondere fehlt eine Konkretisierung der einzelnen Leistungspakete im Bereich der Grundleistungen. Bei den Wahlleistungen fehlen Hinweise, wer diese erbringt
und ob entsprechende verbindliche Absprachen mit externen Kooperationspartnern bestehen.
Vertragsform
Bezüglich der Vertragsform stehen zwei juristische Probleme im Vordergrund. Die Mehrheit der Betreuten Einrichtungen schließt mit den
Bewohnern neben dem Mietvertrag einen Betreuungsvertrag, beide
sind i.d.R. aneinander gekoppelt. Nur bei einer Minderheit der
untersuchten Einrichtungen kann der Betreuungsvertrag unabhängig
vom Mietvertrag gekündigt werden. Juristisch ist zurzeit noch nicht
geklärt, ob eine solche Koppelung nicht rechtswidrig ist bzw. ob ein
solches heimvertragsähnliches Gebilde den speziellen Schutzbestimmungen des Heimgesetzes unterliegt.
Ein weiteres juristisches Problem betrifft die Kündigungsregelungen.
Die Miet- und Betreuungsverträge werden i.d.R. unbefristet abgeschlossen. Rund 1/3 aller Einrichtungen in Baden-Württemberg legt
jedoch vertraglich fest, dass neben allgemeinen Kündigungsbestimmungen im Sinne der Regelungen des BGB bei erhöhter Pflegebedürftigkeit oder Verwirrtheit ein Verbleiben in der Wohnung nicht
mehr möglich ist (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999).
Juristisch ist zu prüfen, ob Pflegebedürftigkeit vertragsrechtlich als
Kündigungsgrund genannt werden darf. Wenn das Wohnen im Vordergrund der Vertragsgestaltung steht, ist das Mietrecht maßgeblich,
34
und hier stellt der Eintritt von Pflegebedürftigkeit kein Kündigungsgrund dar.
6.
Kostenstrukturen
Neben den Qualitätsunterschieden ist auch das sehr unterschiedliche
Kostenvolumen in den verschiedenen Wohnprojekten auffallend.
Dies betrifft die monatlichen Fixkosten für Miete, Betriebskosten,
Nebenkosten und die monatliche Betreuungspauschale.
Alleine bei der Nettokaltmiete ermittelte die Untersuchung des
InWis-Instituts im
- öffentlich geförderten Bereich eine Spanne von 4,15 DM/qm
bis 30,50 DM/qm
- frei finanzierten Bereich eine Spanne von 6,43 DM/qm bis
70,-- DM/qm.
Auch bei den Betreuungspauschalen sind die Spannen groß. Das
InWis-Institut kommt auf eine Spanne von 20,-- DM bis 1.000,-- DM
für eine Einpersonenwohnung pro Monat (InWis-Institut 1999).
Die verschiedenen Kostenpauschalen lassen sich z.T. aus dem
unterschiedlichen Leistungsangebot erklären. Dies betrifft aber nicht
alle Preisunterschiede. Marktanalysen zeigen, dass die Unterschiede
zwischen den Miethöhen nur zu 46% mit zusätzlichen Ausstattungsund Dienstleistungsqualitäten zu erklären sind. Die Hälfte der Mietpreisunterschiede bleiben ungeklärt. Und bei den Betreuungspauschalen schwanken die Preise bei identischen Leistungsangeboten zwischen 70,-- und 500,-- DM im Monat.
7.
Zukünftige Anforderungen
Betreutes Wohnen ist kein einheitlich geschlossenes Konzept, und
auch die zukünftige Entwicklung wird nach bisherigen Erfahrungen
nicht auf ein einheitliches Konzept hinauslaufen, sondern wahrscheinlich eher zu einer weiteren Ausdifferenzierung führen. Dies ist
auch nicht negativ zu sehen, da nur so den unterschiedlichen Bedürfnislagen älterer Menschen begegnet werden kann.
35
Wesentlich ist aber,
- dass Mindestqualitätsstandards klar definiert und verbindlich
gemacht werden,
- dass für die Nutzer das Leistungsangebot Betreuter Wohneinrichtungen transparent und überschaubar im Sinne eines
Verbraucherschutzes gemacht wird und
- dass rechtliche Unklarheiten beseitigt werden, vor allem ab
wann Einrichtungen unter die Schutzbestimmungen des
Heimgesetzes fallen.
Nur dann wird Betreutes Wohnen seiner Konzeption gerecht werden
können, eine selbstbestimmte Lebensführung auch bei Hilfe- und
Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen und eine bedarfsgerechte Alternative zu anderen Wohnformen im Alter sein.
36
Diskussion
Engels:
Vielen Dank für diese ausführlichen Informationen. Wir haben Ihnen
über eine Stunde Gelegenheit zum Zuhören gegeben und möchten
Ihnen jetzt auch Gelegenheit zu Rückfragen geben. Am besten
zuerst einmal unmittelbare Rückfragen an die Referentin. Wir werden
sicherlich im Laufe des Workshops noch Gelegenheit zur Diskussion
von Grundsatzfragen haben.
Klose:
Mein Name ist Wolfgang Klose, ich komme vom Paritätischen aus
Lüneburg. Wir haben in Lüneburg auch fünf Wohnanlagen mit
unterschiedlichen Betreuungskonzepten. Die rechtlichen Probleme,
die Sie angesprochen haben, machen uns auch ein bisschen Sorge.
Ich frage mich, inwieweit wir wie das Kaninchen auf die Schlange
starren und warten, bis nun Düsseldorf bzw. Münster irgendwann
sagt: „Heimgesetz ja oder nein“. Oder gibt es Bestrebungen, z.B.
auch über das KDA oder über das Bundesministerium, hier von
vorne herein für rechtliche Klarheit zu sorgen und dafür zu sorgen,
dass das Betreute Wohnen im ambulanten Bereich verankert wird,
wo es eigentlich, zumindest ist das unsere Auffassung, auch hin
gehört? Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt, mit dem ich immer Probleme habe, der mir auch
noch nie beantwortet werden konnte, ist folgender: Ist es juristisch
haltbar, Mietverträge an Betreuungsverträge zu koppeln? Wir
machen das ja, zumindest in Lüneburg. Aber irgendwo höre ich dann
immer: Das ist eigentlich nicht so ganz korrekt. Fällt das auch in
diesen schwammigen juristischen Bereich, oder gibt es dazu ein
klares Ja oder Nein?
Kremer-Preiß:
Diese Kopplung von Miet- und Betreuungsverträgen hat letztendlich
ja dazu geführt, dass es dieses Gerichtsurteil gegeben hat. Sobald
Sie koppeln, sobald Sie sagen: „Sie können im Grunde den Betreuungsvertrag nur kündigen, wenn Sie den Mietvertrag auch kündigen“,
stehen Sie im Grunde mit einem Bein (oder demnächst vielleicht mit
beiden Beinen) im Heimgesetz. Das war der Grund.
37
Zu ihrer anderen Frage, was man tun kann: Es gab in NordrheinWestfalen einen „runden Tisch“, an dem verschiedene Interessengruppen, unter anderem auch das KDA, vertreten waren, um zu
definieren, was denn jetzt Qualitätsstandards sein sollten, die
unabhängig vom Heimgesetz gelten sollten. Im Grunde wurde versucht, Abgrenzungskriterien zu entwickeln, dass Betreutes Wohnen
nicht unter das Heimgesetz fällt. Da hat uns aber dieses Gerichtsurteil im Grunde eingeholt, wir können momentan empfehlen, was wir
wollen – rechtlich wird das ganz anders aussehen, deswegen
braucht man eine gesetzliche Entscheidung. Man muss dann sagen:
„Unter den und den Bedingungen fällt man nicht ins Heimgesetz.“
Aber das ist eine Sache, die auch nur vom Bundesgesetzgeber
geklärt werden kann und auch geklärt werden muss. Empfehlungen
können wir viele geben, aber es nutzt Ihnen als Einrichtungsträger
nichts, weil Sie letztendlich mit diesen rechtlichen Folgen leben müssen.
Engels:
Nun möchte ich Frau Steves bitten, uns ihren Vortrag zu den Marktchancen zu präsentieren.
38
Wohnen mit Service: Ein Markt der Zukunft?
Britta Steves, empirica – qualitative Marktforschung
Vorbemerkung
Die Entwicklung des Betreuten- oder Service-Wohnens steht in direktem Zusammenhang mit den tief greifenden demografischen und
strukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft und den damit
einher gegangenen Entwicklungen in den konventionellen Wohnangeboten der Altenhilfe (Stichwort: Gesundheitsreform, Pflegeversicherung und Landespflegegesetze).
Schwerpunkt meines Vortrages sind die aktuelle Marktsituation
ebenso wie absehbare Trends im „Service-Wohnen“ in der Bundesrepublik Deutschland. Gegenstand sind hier u.a. auch die Erfolgsfaktoren, die geeignet erscheinen, die aktuelle Qualitätsdiskussion im
Sinne der dringend notwendigen Qualitätssicherung im ServiceWohnen voranzutreiben. Denn die Entwicklung und uns aus vielen
eigenen Untersuchungen vorliegende Erkenntnisse und Erfahrungen
im Service-Wohnen5 zeigen, dass letztlich nur die Angebote Akzeptanz und somit auch eine zukunftsträchtige Vermarktung finden werden, die die Qualität im Service-Wohnen zur entscheidenden Planungsgrundlage machen.
1.
Überblick über die Nachfragerseite
In Deutschland leben zur Zeit rd. 13 Mio. über 65-Jährige. Von diesen leben rd. 95% in privaten Haushalten in „normalen“ Wohnungen.
Dies stellt die dominante Wohnform im Alter dar. Die Älteren - Mieter
wie Eigentümer - haben in der Vergangenheit die Lösung „Weiterleben wie bisher“ bevorzugt. Sie sind weder nach dem Auszug der
Kinder noch beim Eintritt in den Ruhestand oder nach dem Tod eines
Ehegatten aus der Familienwohnung in eine kleinere Wohnung
umgezogen.
5
Erfahrungsspektrum von empirica: Standortanalysen in ganz Deutschland,
Untersuchungen zu Qualität, Konzeption, Bedarfs- und Potenzialabschätzungen; empirica-Datenbank „Seniorenimmobilien“, die rd. 3.500 altersgerechte Wohnanlagen umfasst, in denen ergänzende Serviceleistungen
angeboten werden, und die Ergebnisse von über 5.000 Senioreninterviews.
39
Ältere Menschen wollen gerne in der „vertrauten“ Nachbarschaft
leben. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass das
Verbleiben in der gewohnten Nachbarschaft auch Nachteile mit sich
bringt. Häufig kommt es zur parallelen Alterung in Wohngebieten. In
der Familienwohnung, die z.B. für eine Familie mit vier Personen
geplant war, wohnt oft nur noch eine Person. Die Kinder sind erwachsen, haben selbst einen Haushalt gegründet und sind fortgezogen.
Andere Mitbewohner sind gestorben. Viele der Älteren bleiben isoliert
zurück. Die Folge: Die Wohngebiete werden ereignisärmer.
Schließlich kommt es zu einer räumlichen Konzentration älterer Menschen in bestimmten Gebieten. So werden absehbar die in den 60er
und 70er Jahren entstandenen Wachstumsregionen im Umland der
großen Städte (30 bis 35 Jahre später) zu „Rentnernachbarschaften“.
Mit der einseitigen Altersstruktur nimmt die Möglichkeit gegenseitiger
Nachbarschaftshilfe ab. Ein weiterer Nachteil ist die zunehmend
ungünstige Versorgungsdichte. Da die Haushalte kleiner werden,
verringert sich mit der Bewohnerzahl auch die Kaufkraft. Einzelhandelsgeschäfte werden unrentabel. Die für eine selbstständige
Lebensführung notwendigen Angebote und Geschäfte fallen weg.
Auf Grund der starken Eigentumsbildung in den 60er und 70er Jahren lebt über die Hälfte der heute 50- bis 60-Jährigen in gut ausgestatteten Eigenheimen. Sollte sich das Mobilitätsverhalten der
Eigentümerhaushalte in den nächsten Jahren nicht grundsätzlich
ändern, so wird um die Jahrtausendwende die Mehrzahl der 65- bis
75-Jährigen in Einfamilienhäusern wohnen, die nicht altengerecht
ausgestattet sind. Gegenwärtig wächst die Zahl der älteren Haushalte, die sich mit zu großen, kaum eigenständig zu bewirtschaftenden Häusern und Gärten auseinander setzen. Mit zunehmendem
Alter wird diese Wohnsituation mehr und mehr als Last empfunden.
Trotz der Nachteile, die das Leben in der „vertrauten“ Nachbarschaft
mit sich bringt, wählt die Mehrzahl der Älteren die Lösung „Weiterleben wie bisher“. Sie wollen ihre Selbstständigkeit und ihren eigenen
Lebensstil bewahren. Die Alternativen, die zur normalen Wohnung
angeboten werden, sind meist wenig attraktiv. Institutionelle Wohnformen wie Altenpflegeheim, Altenheim und Altenwohnheim werden
allenfalls als „Notlösung“ akzeptiert. So leben nur rd. 5% der über 65Jährigen in Sonderwohnformen der Altenhilfe. Diese Wohnangebote,
die im Rahmen der Altenhilfe durch öffentliche und private Träger
errichtet und betrieben werden, entsprechen nicht den Lebens- und
40
Wohnvorstellungen der heutigen und zukünftigen Generation der
Älteren.6
3,9 Mio. der über 65-Jährigen sind Hilfe-/ Pflegebedürftige (2,34 Mio.
Hilfebedürftige und 1,60 Mio. Pflegebedürftige). 3,2 Mio. der Hilfe-/
Pflegebedürftigen leben in privaten Haushalten, wo sie bisher i.d.R.
durch die Familie versorgt bzw. gepflegt werden. So leben etwa 70%
der Pflegebedürftigen zu Hause und erhalten Hilfen im Rahmen
informeller Unterstützungssysteme. Die rd. 2,3 Mio. „Hilfebedürftigen“, die regelmäßig z.B. hauswirtschaftliche Unterstützung benötigen, werden zu fast 90% informell versorgt.
Die Anzahl der Senioren wächst, da die Lebenserwartung steigt: So
nehmen die über 60-Jährigen in den nächsten 15 Jahren um rd. 2
Mio. zu, bei gleichzeitig überproportionaler Zunahme der Hochaltrigen und damit der Hilfe- und Pflegebedürftigen. Die Zahl der über
80-Jährigen wird sich in der Zeitspanne von 1950 bis zum Jahre
2040 vervierfachen; dies bedeutet einen Anstieg von 1 Mio. auf ca.
4,4 Mio. Dagegen wird sich die Zahl der 60- bis 79-Jährigen im
gleichen Zeitraum in etwa verdoppeln. Mit der Zunahme der Hochaltrigkeit wächst die Anzahl der Personen, die auf Unterstützung im
Alter bis hin zur Hilfe bei Pflegebedürftigkeit angewiesen sind.
Die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen, wie Rückgang der überwiegend durch Kinder erbrachten Hilfs- und Betreuungsleistungen, sinkende Geburtenzahlen, Zunahme der Kinderlosigkeit und der Erwerbsquote der Frauen gehen einher mit veränderten subjektiven Einstellungen und Lebensstilen heutiger und
zukünftiger Senioren.
2.
Veränderte Nachfragetrends nach Wohnangeboten für das
Alter
Heute schon deutet sich bei der älteren Generation ein Werte- und
Einstellungswandel an. Selbst die „alten Alten“ akzeptieren die
institutionellen Wohnformen Altenwohnheim, Altenheim und Altenpflegeheim immer weniger. Gleichzeitig wächst bei ihnen aber auch
die Sorge, wie sie in ihrer oft nicht altengerechten und häufig zu
großen Wohnung auf Dauer alleine zurechtkommen werden. Die
6
Vgl. empirica: Altersgerechtes Wohnen, Antworten auf die demografische
Herausforderung. LBS (Hrsg.), Bonn 1993.
41
Frage, ob Kinder, Verwandte oder Nachbarn Pflege und Versorgung
auf sich nehmen können, ist vielfach ungeklärt.
Während die „alten Alten“ hoffen, dass sie nicht zu denjenigen gehören, die notfalls ins ungeliebte Heim umziehen müssen, zeigt sich bei
der Generation, die in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben
scheiden wird, eine hohe Mobilitätsbereitschaft.
Die Hauptgründe für den Mobilitätswunsch sind:
• Man möchte Isolation und Abhängigkeit im Alter möglichst weitgehend vermeiden.
• Man will im Alter „eigenständig“ (in einer „normalen“ Privatwohnung) wohnen mit der Option, dass für Krankheit und Pflegebedarf
Vorsorge getroffen ist.
• Vorsorge für den Fall eintretender Hilfs- und/ oder Pflegebedürftigkeit
• Der Mobilitätsbedarf beschränkt sich nicht nur auf die Überlegung,
noch einmal umzuziehen. Er beinhaltet auch Initiativen zur
baulichen, altersgerechten Veränderung am Haus bzw. in der
Wohnung.
3.
Service-Wohnen: Ein neuer Markt mit Zukunft
Service-Wohnen ist eine Wohnkonzeption, die den subjektiven
Einstellungen der jungen und zukünftigen Senioren entspricht und
den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Der Grundgedanke ist, dass jeder (sei es als Eigentümer oder als Mieter) in
seinen „eigenen vier Wänden“ lebt (unabhängig davon, ob als Wohneigentümer oder Mieter) und den Alltag mehr oder weniger alleine
bzw. im Haus- oder Nachbarschaftsverbund organisiert. Durch eine
Gestaltung und Ausstattung der Wohnung, die den möglichen
Bewegungseinschränkungen älterer Menschen Rechnung trägt, wird
das eigenständige Wohnen gefördert. Als Ergänzung werden
professionelle Serviceleistungen (bis hin zur Pflege) angeboten, die
man nach Bedarf abrufen kann und auch nur bei Inanspruchnahme
bezahlen muss.
In Anbetracht der zunehmend teuren Dienstleistungen und des Wunsches der Älteren, möglichst weitgehend aktiv den Alltag zu gestalten, müssen die Wohnangebote so ausgerichtet sein, dass ein Teil
42
der im Alter anfallenden Hilfeleistungen von den älteren Menschen
selbst organisiert werden kann. Allerdings darf die Selbsthilfestruktur
nicht überfordert werden. Professionelle Hilfeleistungen, vor allem,
wenn es sich um Pflege handelt, sind als flankierende Ergänzungen
unverzichtbar.
Wohnen mit Service ist eine Antwort auf die in den „normalen“
Nachbarschaften zunehmend ungünstigeren Lebensbedingungen für
ältere Menschen. Es schafft ein zusätzliches Angebot, das zwischen
der familialen Unterstützung in der angestammten Privatwohnung
und der stationären Heimpflege angesiedelt ist. Wohnen mit Service
ist kein „abgespeckter“ Ersatz für ein Pflegeheim. Es ist ein „Wohnen
plus“, das Ersatz bzw. Ergänzung für die zunehmend geringeren
familialen Unterstützungskapazitäten bietet.
Mit der Bezeichnung Wohnen mit Service werden verschiedene
Organisationsformen umschrieben. Sie alle verbindet das Ziel, das
Wohnprojekt so zu konzipieren, dass für die Bewohner neben der
Miete (bzw. dem Kaufpreis) keine bzw. kaum verpflichtende Grundpauschalen anfallen. Vielmehr wird in einem Leistungskatalog klar
festgelegt, welche konkreten Leistungen in welchem Umfang und zu
welchen Kosten und von wem bei Bedarf erbracht werden. ServiceWohnungen sind somit „richtige“ Wohnungen, kombiniert mit Serviceleistungen, die entweder vor Ort (d.h. innerhalb des Wohnprojektes) bereit gestellt oder durch externe Dienste erbracht werden.
Die Bewohner schließen in der Regel neben einem Kauf- oder Mietvertrag einen ergänzenden Betreuungs- bzw. Service-Vertrag ab.7
4.
Verschiedene Varianten des Service-Wohnens
Je nachdem, ob Individualität stärker betont, mehr Eigenleistungen
erwünscht bzw. professionelle Hilfeleistungen von Dritten beansprucht werden, sind verschiedene Kombinationen von Wohn- und
Serviceangeboten denkbar:
7
Bei einigen Projekten entsprechen die abgeschlossenen Verträge Heimverträgen. Sie werden oft nur anders genannt, um nicht einen Heimcharakter des Wohnprojektes zu signalisieren.
43
Abbildung 1: Verschiedene Varianten des Service-Wohnens
Altengerechte Anpassungsmaßnahmen
im Wohnungsbestand
Wohnprojekte mit
integrierten
Serviceangeboten
Selbstorganisierte
Gruppenwohnprojekte
Wohnprojekte
im Heimverbund
S
Wohnprojekte
mit flankierenden
Serviceangeboten
Wohnprojekte im
Hotelverbund
HOTEL
empirica
Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand
Vor dem Hintergrund, dass ca. 95% der Älteren in Deutschland zu
Hause wohnen bleiben, stellen altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand eine wesentliche wohnungspolitische
Herausforderung und Aufgabe der Wohnungswirtschaft dar. Es ist,
mit Blick auf die vorhandenen baulichen Gegebenheiten, vor allem
auch in Ostdeutschland ein zentrales Thema.
Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand bedeuten, dass in Wohngebieten mit einem hohen Anteil älterer Bewohner altengerechte Um-/ und Anbauten durchgeführt werden, sodass
kleinere altengerechte Wohnungen entstehen, die Selbstständigkeit
und Sicherheit bis ins hohe Alter garantieren. Dadurch können Heimaufenthalte vermieden und größere Wohnungen für jüngere Familien
freigemacht werden. Die wieder engere räumliche Beziehung zwischen den Generationen setzt gegenseitige Unterstützungsleistungen frei. Bei dieser Konzeption sind drei Varianten denkbar:
• Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen an vorhandenen Gebäuden;
44
• Kauf einer Gebrauchtimmobilie und anschließender Umbau in
kleine, altengerechte Wohnungen;
• Neubau altengerechter Wohnungen, falls entsprechende Grundstücke verfügbar sind.
Die Serviceleistungen stellen eine Mischung aus Eigenleistungen,
selbstorganisierter Nachbarschaftshilfe sowie flankierenden professionellen Leistungen dar.
Selbstorganisierte Gruppenwohnprojekte
Bei selbst organisierten Gruppenwohnprojekten als weitere Variante
des Service-Wohnens bestimmen die Bewohner möglichst weitgehend selbst die Wohnform, die Bewirtschaftung und die Betreuungsleistungen. Je nach gewünschter Individualität sind drei Varianten
denkbar:
• Wohngemeinschaft (persönlicher Wohnbereich für jeden)
• Hausgemeinschaft (in sich abgeschlossene Wohnung für jeden)
• Nachbarschaftsgemeinschaft (Zusammenschluss mehrerer Häuser)
Die Nachfrage nach selbst organisierten Gruppenwohnprojekten ist
hoch; z.Zt. sind uns bundesweit jedoch nicht mehr als rund 100
Projekte bekannt. Viele, die ein solches Projekt realisieren möchten, scheitern an den gegebenen schlechten finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie an mangelnder Unterstützung bzw. begleitendem professionellen Know-how. Insbesondere bei öffentlich geförderten Projekten mit verschiedenen involvierten Entscheidungsträgern kommt es häufig zu Interessenkonflikten, z.B. wenn es um die Regelung des Belegungsrechtes geht.
Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten
Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten sind altengerechte Wohnungen8 (z.T. auch barrierefreie Wohnungen), in die
8
Altengerechte Wohnungen sind „normale“ Wohnungen, die durch fachgerechte Anpassungsmaßnahmen (z.B. verringerte Schwellen, Haltegriffe,
bodengleiche Duschen, rutschfeste Bodenbeläge) auf die Wohnbedürfnisse
älterer Menschen zugeschnitten sind, sodass die selbstständige Lebensund Haushaltsführung möglichst lange aufrecht erhalten werden kann.
45
Nachbarschaft eingebunden bzw. in einem Wohnprojekt zusammengefasst. Die flankierenden Serviceleistungen (Hilfen bei der
Wohnungsreinigung, Versorgungen mit Essen, Vermittlung häuslicher Pflegeleistungen u.ä.) werden nicht vertraglich abgesichert und
demgemäß auch nicht pauschal, sondern nur entsprechend der
tatsächlichen Inanspruchnahme vergütet. Der Vorteil gegenüber
einer „einfachen“ altengerechten Wohnung besteht darin, dass die
Bewohner ggf. notwendige Betreuungsleistungen aus einem zwar
unverbindlichen, aber leicht zugänglichen und professionell unterbreiteten Zusatzangebot abrufen können. Solange diese Option nicht
wahrgenommen wird, wird ausschließlich der Miet- (inkl. Nebenkosten) bzw. der Kaufpreis fällig.
Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten
Bei Wohnprojekten mit integrierten Serviceangeboten bestimmen
„Profis“ weitgehend die Wohnform und deren organisatorische Rahmenbedingungen. Altengerechte Wohnungen (z. T. barrierefreie
Wohnungen9) werden mit einem vertraglich fixierten Dienstleistungsangebot kombiniert, das im Gegensatz zu nur flankierender Bereitstellung auch Entlastung und Sicherheit im Alter garantiert. Die
Wohn- und Betreuungskonzepte sind verschieden organisiert.
Es werden im Wesentlichen professionelle Dienstleistungen vorgehalten und erbracht. Denkbar sind folgende Varianten:
• Wohnprojekte mit integriertem Service-Stützpunkt (Serviceleistungen stehen direkt vor Ort zur Verfügung)
• Wohnprojekte mit Service-Büro (Serviceleistungen werden von
einem in das Projekt integrierten Büro vermittelt)
Die zusätzlichen Leistungsangebote werden über eine sog. Grundpauschale vergütet, die zusätzlich zur Miete (inkl. Nebenkosten) bzw.
Kaufpreis erhoben wird.
9
46
Barrierefreie Wohnungen garantieren älteren Bewohnern mit Behinderungen weitgehende Unabhängigkeit von fremder Hilfe. Barrierefreie
Wohnungen haben keine Schwellen, verfügen über ausreichende Bewegungsflächen. Die im Einzelnen zu berücksichtigenden Ausstattungsmerkmale sind in der DIN 18025 Teil 2 festgelegt.
Wohnprojekte im Heimverbund
Bei Wohnprojekten im Heimverbund ist eine altengerechte Wohnanlage räumlich und/ oder organisatorisch an ein Pflegeheim angebunden. Die Serviceleistungen werden durch dieses Pflegeheim
vorgehalten und erbracht. Hier steht die Pflege im Vordergrund.
Wohnprojekte im Hotelverbund
Eine altengerechte Wohnanlage ist räumlich und/ oder organisatorisch an ein Hotel angebunden, das die Serviceleistungen vorhält
und erbringt. Bei dieser Konzeption stehen hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen und die Möglichkeit, die Hotelinfrastruktur
(Schwimmbad, Restaurant u.ä.) mit zu nutzen, im Vordergrund.
Mit dem Pflege-Versicherungsgesetz ist eine langfristige Verlagerung
vom stationären zum ambulanten Pflegeangebot vorgezeichnet. Vor
dem Hintergrund, dass mittel- bis langfristig familiale Hilfeleistungen
zurück gehen, finden neue Wohnprojekte, die über die Pflegeversicherung abrechenbare ambulante Pflegedienste integrieren bzw.
flankierend organisieren, eine erhöhte Nachfrage. Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand und selbst organisierte
Gruppenwohnprojekte sind Varianten, die trotz entsprechender
Nachfrage bisher nur vereinzelt realisiert wurden. Das Gleiche gilt für
Wohnprojekte im Hotelverbund, die in den nächsten Jahren verstärkt
auf den Markt kommen werden. Bei den realisierten Projekten überwiegen zur Zeit die „Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten“
und die Wohnprojekte im Heimverbund.
Die eher konventionell ausgerichteten Wohnstifte bzw. Seniorenresidenzen10 entsprechen durch ihre hauswirtschaftliche Teil- bzw.
Vollversorgung nur partiell dem Grundgedanken des Service-Wohnens. In jüngster Zeit ist bei diesem Angebotssegment jedoch eine
verstärkte Umorientierung in Richtung Service-Wohnen zu beobachten. Eigenständige Wohneinheiten (Appartements und z.T. auch
Wohnungen) werden mit einem Pauschalpaket von Serviceleistungen kombiniert, wobei die Möglichkeit der Abwahl von Leistungen besteht.
10
„Seniorenresidenz“ und „Wohnstifte“ sind Bezeichnungen, die synonym
verwendet werden.
47
5.
Serviceleistungen, Vertragsformen und Finanzierungshilfen
Gewünschte Serviceleistungen
Nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen rangieren unter den
gewünschten Serviceleistungen medizinische und pflegerische Leistungen an erster Stelle, da sie im Falle einer längeren Krankheit bzw.
bei eintretender Pflegebedürftigkeit entsprechende Sicherheiten bieten. An zweiter Stelle stehen Hilfen zur Bewältigung des Alltags.
Dazu gehören Unterstützungen im Haushalt (Wohnungsreinigung,
Wäscheservice etc.), Hausmeisterdienste (Aufsichtsfunktion und
kleinere Reparaturen) sowie Fahr- und Bringdienste. In der Praxis
führt gerade die Schwierigkeit, kleinere Erledigungen des Alltags
selbst vorzunehmen, häufig dazu, dass ein Weiterleben in der
angestammten Wohnung nicht mehr möglich ist. Am wenigsten
Nachfrage besteht bei informellen Hilfen, z.B. Beratung bei Fragen
und Problemen usw. Aus Sicht der potentiellen Nachfrager sind dies
Leistungen, die nicht ständig vorgehalten werden müssen und die
sich in vielen Fällen von den Bewohnern selbst erbringen lassen
bzw. privat organisiert werden können. Allerdings besteht Bedarf an
Hilfeleistungen bei der Organisation von Freizeitaktivitäten. Dabei
geht es weniger um geselliges Beisammensein in der Wohnanlage;
gewünscht ist vielmehr die Teilnahme am „normalen“ gesellschaftlichen Leben. Besonders gefragt sind: Management von Städtereisen
und Ausflügen, das Besorgen von Karten für kulturelle Veranstaltungen u.ä.
Vertragsvarianten
Bei der Konzeption des Service-Wohnens („Betreuten Wohnens“)
sind auf Grund der Kombination: „Wohnangebot plus Dienstleistungen“ vertragliche Regelungen erforderlich, die vielfach rechtliches
Neuland betreten. Neben reinen Mietverträgen für Wohnungen mit
flankierenden Serviceangeboten stehen kombinierte Miet- (Kauf-)
und Serviceverträge in Wohnanlagen mit integrierten Serviceangeboten sowie Heimverträge (überwiegend bei Wohnstiften/ Seniorenresidenzen). Die Frage, welche Vertragsvariante gewählt wird, ist in
zweierlei Hinsicht relevant:
• Zum einen ist zu beachten, dass mit dem Heimbegriff verbundene
emotionale Zugangsbarrieren auch auf den Heimvertrag übertragen werden.
48
• Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Kombination von
Wohn- und zusätzlichen Serviceleistungsangeboten in Vielem
dem durch das Heimgesetz vorgegebenen Vertragskonzept entspricht. Bei einigen Projekten entsprechen die abgeschlossenen
Verträge Heimverträgen. Sie werden jedoch anders genannt, um
nicht einen Heimcharakter des Wohnprojektes zu signalisieren.
Die rechtssystematische Frage, ob Wohnprojekte mit integrierten
Serviceangeboten Einrichtungen im Sinne des Heimgesetzes
sind, ist nach wie vor offen.
Vor diesem Hintergrund wird die Frage, welcher Vertragstyp in einer
Seniorenimmobilie einzusetzen ist bzw. eingesetzt werden darf,
angesichts der unterschiedlichen Leistungsangebote z.Zt. nur auf
den Einzelfall bezogen zu bestimmen sein. Vorrangig ist zu prüfen,
ob und inwieweit die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen die
besonderen Vorschriften des Heimgesetzes Anwendung finden
müssen. In jedem Fall hat die Frage, welche vertragsrechtlichen
Schwerpunkte die fixierten Leistungen haben, sowohl aus der Sicht
der Bewohner als auch aus der Sicht der Investoren/ Betreiber
Gewicht. Während letztere darauf zu achten haben, dass ihre Mittel
wirtschaftlich und Gewinn bringend verwendet werden, werden erstere auf ein qualitativ und quantitativ bestandssicheres Leistungsangebot Wert legen. Daraus folgt, dass die mit unterschiedlichen sozialen
Schutzbestimmungen ausgestatteten rechtlichen Vorschriften, die
über die Anpassung und über die Kündigung des Vertrags sowie
über die Erhöhung des Entgelts entscheiden, maßgeblichen Einfluss
auf die Vertragsgestaltung der Wohnprojekte haben.
In der bisherigen Praxis werden sogenannte additive Verträge bevorzugt, die neben einem auf das Wohnrecht gerichteten Miet- bzw.
Kaufvertrag zusätzlich einen ergänzenden Betreuungs- bzw. Serviceleistungsvertrag beinhalten. Gelegentlich werden auch sogenannte
integrierte Verträge vereinbart, die sowohl die Abwicklung der mietals auch der dienstrechtlichen Leistungen in einem Vertrag regeln. In
beiden Fällen werden die verschiedenen Vertragselemente so
miteinander kombiniert, dass sie entsprechend dem Rechtscharakter
gemischter Verträge nur in ihrer Gesamtheit ein sinnvolles Ganzes
ergeben. Am deutlichsten realisiert der Heimvertrag, der seit der
1990 in Kraft getretenen Novelle des Heimgesetzes Miet- und
Betreuungsleistungen untrennbar miteinander verbindet, die Verschmelzung der verschiedenen Vertragstypen. Darüber hinaus gibt
es spezielle Vertragsformen, die z.B. den auf Nachbarschaftshilfe
49
gerichteten Zusammenschluss in selbst organisierten Wohnverbindungen/ Wohngemeinschaften regeln.
Additive Wohn-Serviceverträge bestehen aus einem Miet- bzw.
Kaufvertrag mit einem zusätzlichen Pauschalvertrag über Servicegrundleistungen. Beide Verträge sind, obwohl sie getrennt ausgefertigt und unterzeichnet sowie gesondert abgerechnet werden,
rechtlich miteinander gekoppelt. Der Betreuungsvertrag kann nur im
Zusammenhang mit der Auflösung des Wohnverhältnisses beendet
werden. Diese häufigste und damit auch geläufigste Vertragsform
des Service-Wohnens wird sowohl bei Wohnprojekten mit ausschließlich Mietwohnungen wie auch bei gemischten Strukturen
(Eigentumswohnungen und öffentlich geförderte sowie freifinanzierte
Wohnungen) eingesetzt. Die Wohnanlagen verfügen über ein
Service-Büro oder über einen Service-Stützpunkt. Die dort vermittelten oder angebotenen Leistungen werden von entsprechend qualifizierten, rechtlich selbstständig organisierten Betreuungskräften
erbracht. Auffällig sind die unterschiedlichen Vereinbarungen über
die Fortsetzung, Änderung oder Aufhebung des Vertrages beim
Eintritt dauernder schwerer Pflegebedürftigkeit.
Die integrierten Wohn-Serviceverträge bestehen aus einem Vertrag, in dem alle einschlägigen miet- und leistungsrelevanten Fragen
abschließend geregelt werden. Der Vermieter erfüllt entweder die
Serviceleistungen mit eigenem Personal oder legt vertraglich fest,
dass die Leistungen von qualifizierten Dritten (Vertrag zwischen
Vermieter und Betreuer) erbracht werden. Auch im letzten Fall verbleiben alle den Bewohner betreffenden Abrechnungsvorgänge in
der Hand des Vermieters. Diese Vertragsform des Service-Wohnens
entspricht in Vielem dem Konzept des Heimvertrages, ohne sich allerdings den dafür gesetzlich fixierten Bestimmungen, z.B. über die
Kündigung sowie über die Erhöhung des Entgelts, zu unterwerfen.
Angesichts noch fehlender praktischer und rechtlicher Erfahrungen
muss vorerst offenbleiben, ob und inwieweit den integrierten
Verträgen eine unzulässige Umgehung des Heimgesetzes angelastet
werden kann.
Heimverträge regeln alle Vermietungs-, Verpflegungs-, und Betreuungsleistungen in einem grundsätzlich auf Dauer abgeschlossenen
Vertrag. Den Vorschriften des Heimgesetzes (HeimG) entsprechend
sind sie in allen Einrichtungen anzuwenden, die alte Menschen sowie
pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend
zum Zwecke der Unterbringung aufnehmen. Die Unterbringung
50
umfasst neben der Überlassung der Unterkunft die Gewährung oder
Vorhaltung von Verpflegung, Betreuung oder auch - im Sinne einer
gesteigerten Betreuung - Pflege. Insbesondere fallen unter das
HeimG Altenwohnheime, Altenheime, Pflegeheime und Behindertenheime, da sie alte Menschen sowie pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen und betreuen.
Auch Mischeinrichtungen oder mehrgliedrige Heime, die in der Altenhilfe üblich sind, werden, soweit es sich nicht um Wohnungen
handelt, erfasst. Dies gilt vor allem für die Verbindung von Altenwohnheimen, Altenheim und Altenpflegeheim. Entscheidend ist
allein, ob und inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungen
objektiv erfüllt sind, unter denen die besonderen Vorschriften des
HeimG Anwendung finden. Es kommt also nicht auf die Bezeichnung
des Heimes an. Daher werden auch Wohnstifte, Altersruhesitze und
Altenpensionen vom Gesetz erfasst.
Das HeimG ist nicht anwendbar auf Anlagen, die nicht heimmäßig
betrieben werden, d.h., wo eine Betreuung und Versorgung nicht
erforderlich ist und auch nicht bereit gehalten wird. Eine Vermietung
von Räumen oder das Angebot von Reinigungsdiensten allein
genügen also nicht. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass Tageseinrichtungen und Krankenhäuser nicht vom Gesetz erfasst werden.
Soweit Krankenhausträger auch ein Heim betreiben, findet das Heimgesetz nur Anwendung, wenn das Heim wirtschaftlich und organisatorisch vom Krankenhaus getrennt ist. Bei Rehabilitationseinrichtungen gilt das HeimG nur für die Einrichtungsteile, die die
Voraussetzungen des o.a. Heimbegriffs erfüllen, d.h. dass neben der
Unterbringung auch Verpflegung und Betreuung gewährt und
vorgehalten wird. Auch Ferien- und Kurheime sowie alle Einrichtungen, in denen der Aufenthalt nur vorübergehend ist (z.B. Probewohnen oder Kurzzeitpflege), zählen nicht zu den Heimen des
Gesetzes. Ebenso wenig fallen Wohngemeinschaften alter Menschen und Behinderter, die in der Regel nicht unter der Verantwortung eines Trägers betrieben werden, unter das Heimgesetz.
Finanzierungshilfen der Länder
Zielgruppe der Nutzer von Seniorenimmobilien (Käufer/ Mieter) sind
nicht nur einkommensstarke Haushalte. Auch Personengruppen, die
sich aus Einkommensgründen keine frei finanzierte Wohnung leisten
können, werden in steigender Zahl Wohnprojekte mit integrierten
Serviceangeboten nachfragen. Für sie kommt eine Versorgung mit
51
Sozialwohnungen in Frage, für die öffentliche Finanzierungshilfen
einkalkuliert werden können.
Die staatliche Wohnungsbauförderung berücksichtigt bei der Wohnungsversorgung unter ihren Zielgruppen insbesondere auch die
älteren Bürger. Grundlage der direkten Wohnungsbauförderung ist
das Zweite Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG). Auf seiner Grundlage
erlassen die Länder Verwaltungsvorschriften als Durchführungsbestimmungen und setzen mit den jährlichen Wohnungsbauprogrammen ihren Förderungsschwerpunkt. Hinzu kommen steuerliche
Förderungsinstrumente, deren Abschreibungserleichterungen vor
allem für diejenigen zukünftigen Ruheständler interessant sind, die
sich frühzeitig für den Erwerb einer zunächst vermieteten oder den
Eltern überlassenen, später selbst zu nutzenden, altengerechten
Wohnung entscheiden.
Die speziellen Förderbestimmungen, die die Mehrzahl der Länder für
den Bau altengerechter Wohnungen erlassen, ergänzen die allgemeinen Bewilligungsansätze des sozialen Wohnungsbaus, die in
allen Ländern bei der Vergabe von Fördermitteln von Altenwohnungen zu berücksichtigen sind.
In Sachsen-Anhalt sieht die Förderungspraxis im Bereich der Schaffung alten- und behindertengerechter Wohnungen sehr schlecht aus.
Das im Rahmen des sozialen Mietwohnungsbaus erst 1997 aufgelegte Landesprogramm zur „Gewährung von Zuwendungen zur Neuschaffung von alten- und/ oder behindertengerechten Mietwohnungen“ wurde bereits 1998, auf Grund der allgemeinen Haushaltslage,
wieder gestrichen. Wie wir aus dem zuständigen Ressort des Wohnungsbauministeriums Sachsen-Anhalt wissen, werden z.Zt. nur
noch Zuwendungen zur Wohnungsanpassung für ältere und behinderte Personen gewährt. Weitere Sonderförderungen gibt es noch im
Rahmen des Programms der Sanierung unbewohnbarer Wohngebäude (hier wird der Umbau von leer stehenden und nicht mehr
bewohnbaren Alten- und Pflegeheimen zu altengerechten Mietwohnungen gefördert) und im Programm für die Neuschaffung bzw. den
Ersterwerb von neu erbauten Eigenheimen und Eigentumswohnungen zur Selbstnutzung.
Sowohl organisatorisch als auch fördersystematisch ist von der Wohnungsbauförderung die Investitionskostenförderung der Pflegeeinrichtungen zu trennen. Auf- und Ausbau der pflegerischen Infrastruktur gehören zu den Aufgaben der Länder. Das Pflege52
Versicherungsgesetz weist ihnen die Verantwortung für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur zu. Das Nähere zur
Planung und zur Förderung der Pflegeeinrichtungen wird durch
Landesrecht bestimmt.
In Sachsen-Anhalt können beim Bau von Altenpflegeheimen (§ 52
Pflegeversicherungsgesetz) die verbleibenden 10% Eigenanteil an
der Gesamtfinanzierung erlassen werden, wenn in der gleichen
Größenordnung (10%) altengerechte Mietwohnungen geschaffen
werden.
6.
Die Marktsituation – Status quo
Standorttypen
Je nach Zentralität, Einzugsbereich und Attraktivität als Wohnstandort für Senioren lassen sich innerhalb Deutschlands verschiedene
Standorttypen für Seniorenimmobilien unterscheiden.
Abbildung 2: Verteilung der Seniorenimmobilien mit eigenständigen
Wohnungen/ Appartements auf verschiedene Makrostandorttypen
50 %
Seniorenwohnanlagen
40 %
Whgn in Seniorenwohnanlagen
über 65jährige
30 %
20 %
10 %
0%
Überregionale
Überregionale
ZentrenGroßstädte
Zentren
Mittelstädte
Quelle: empirica-Datenbank, 1996
Ländlicher
Verdichtungs- Ländlicher
Raum
Raum
raum
Urlaubsregionen
empirica
In den überregionalen Zentren München, Hamburg und Berlin befinden sich mehr als 5% der Einrichtungen, in den Großstädten und
den sie umgebenden Verdichtungsräumen jeweils ca. 20%, in den
Mittelstädten ca. 12% und im ländlichen Raum ca. 35%. Eine
Sonderstellung nehmen die - zumeist ländlichen - Regionen mit
53
Urlaubscharakter ein. Obwohl sie zahlenmäßig gering sind, liegen
hier im gesamtdeutschen Vergleich ca. 8% der Seniorenimmobilien.
Die Verteilung der Einrichtungen auf die verschiedenen Regionstypen entspricht den relativen Anteilen der Senioren an der Gesamtbevölkerung. Nur im ländlichen Raum übersteigt der Anteil der über
65jährigen den Anteil der Seniorenimmobilien in diesem Gebietstyp.
Regionale Marktsituation
Von den im Bundesgebiet realisierten Seniorenwohnanlagen mit
eigenständigen Wohnungen/ Appartements lagen vor gut zwei Jahren nur ca. 6% in Ostdeutschland. In den letzten zwei Jahren sind
jedoch viele neue Angebote hinzu gekommen, vor allem in Leipzig
und Dresden. Aktuelle Zahlen hierzu werden z.Zt. in unserem Hause
erarbeitet. In Ostdeutschland befindet sich fast die Hälfte aller
Anlagen in kleinen Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern.
Häufig ist dabei auf Betreiben der Gemeinde oder eines örtlichen
Bauträgers auf eine bestehende Nachfragesituation reagiert worden.
Entsprechend groß ist der Anteil der Wohnanlagen mit weniger als
30 Wohnungen. Bei ca. zwei Dritteln handelt es sich um Wohnanlagen mit integrierten Service-Büros. Heimverbundene Anlagen
machen ca. ein Viertel aus. Der Großteil der Wohnungen wird
vermietet, wobei die Mieten 20 DM/qm in der Regel nicht überschreiten.
Im Schnitt ist rd. die Hälfte der im gesamten Bundesgebiet erbauten
Senioren-Wohnanlagen mit öffentlichen Mitteln gefördert worden.
Innerhalb Westdeutschlands hat sich der Markt für Seniorenimmobilien vor allem in den Bundesländern entwickelt, die dem Bau
altengerechter Wohnungen eine besondere Förderpriorität einräumen und die Vergabe der Mittel an die Gewährleistung von Betreuungsleistungen binden. Dazu gehören vor allem Baden-Württemberg
und Nordrhein-Westfalen.
54
7.
Die aktuelle und zukünftige Marktentwicklung:
Wachsendes Angebot
Abbildung 3: Angebotsentwicklung Service-Wohnen (Neue Projekte pro
Jahr)
500
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
vor
1990
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999 *
* Fertiggestellte Anlagen und bekannte Planungen bis August
Quelle: empirica-Datenbank mit rund 3.600 Projekten
(davon rd. 2.500 mit genauer Angabe des Baujahrs)
empirica
Der Markt für Service-Wohnungen ist einer der letzten großen
Wachstumsmärkte der Immobilienbranche. Bundesweit hat sich die
Zahl der Wohnprojekte mit Service-, Betreuungs- und Pflegeangeboten für Senioren seit 1995 von rund 1.500 auf schätzungsweise
3.600 mehr als verdoppelt.
Die Größe und die Ausstattung der neuen Service-Wohnprojekte
sowie die Art und der Umfang der Serviceleistungen werden vielfältiger. Neben großen, anspruchsvoll ausgestatteten Seniorenresidenzen/ Wohnstiften, die auch überregionale Nachfrage binden, werden
verstärkt kleinere, auf die lokale Nachfrage ausgerichtete Wohnanlagen gebaut.
Derzeit liegt der Versorgungsgrad mit Service-Wohnungen im Bundesdurchschnitt bei rd. 1,6 Wohneinheiten je 100 über 65-Jährige.
Diese Zahl schwankt in Abhängigkeit von der Standortattraktivität
zwischen 0,9% und 2,4%.
55
Die aktuellen Neubauprojekte sind auf einfach ausgestattete, preisgünstige Wohnanlagen für „Durchschnittsverdiener“ und auf Wohnanlagen mit überdurchschnittlichem Komfort für solventere Haushalte
ausgerichtet. In beiden Marktsegmenten ist es zu einem verstärkten
Wettbewerbsdruck gekommen. Akzeptanz und Vermarktungschancen des Service-Wohnens werden deshalb künftig noch stärker als
bisher davon abhängen, inwieweit die Gesamtkonzeption mit den
spezifischen Rahmenbedingungen des Standorts und der konkreten
Nachfragesituation vor Ort abgestimmt ist.
Der Markt für Seniorenimmobilien in der aktuellen Umsetzung ist ein
Krisenmarkt. Die rückläufigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt
und im Bürosektor haben dazu geführt, dass sich viele Newcomer
am Senioren-Immobilienmarkt versuchen. Der anhaltende Bauboom
lockt immer mehr Trittbrettfahrer an, die die Service-Wohnansprüche
der Kunden nicht erfüllen können. Das passiert beispielsweise, wenn
schwer zu vermarktende Standard-Wohnanlagen oder sogar Büround Gewerbeflächen „kurzerhand“ zu Service-Wohnprojekten „umgestrickt“ werden. Die Zahl der an falschen Standorten platzierten, nicht
nachfragegerechten Projekte ist gestiegen; es fehlt an standortbezogenen Bedarfsabschätzungen und Nachfrageanalysen sowie an
entsprechenden Konzeptionsentwicklungen und an Qualität im
Detail. Investoren, die ihre Planungen auf fehlerhafte Markteinschätzungen und nicht realisierbare Mieten gestützt haben, sind zu Anpassungsreaktionen gezwungen. Dementsprechend passt sich der
Preistrend für Wohnungen und Serviceleistungen dem Niveau des
normalen Wohnungsmarktes an. Der verstärkte Wettbewerbsdruck
führt jedoch durch wachsendes Verbraucherbewusstsein, Preisvergleichslisten gemäß Pflegeversicherungsgesetz und zunehmende
Qualität als Auswahlkriterium dazu, dass der reine, oft am einseitigen
Anlegerdruck orientierte Anlegermarkt geht und der Nutzermarkt
kommt. Im Vordergrund steht derzeit ein Abbau von Engpässen.
Jedoch werden wir noch im nächsten Jahr (2000) Projekte in der
Realisierung haben, die mit falschen Konzeptionen auf den Markt
gehen.
Angesichts der Einrichtungsvielfalt ist die Aussagekraft der durchschnittlichen Marktpreise für Service-Wohnprojekte begrenzt. Je
nach Wohnungsgröße und -ausstattung und abhängig vom Umfang
der jeweils bereit gestellten Serviceleistungen und Gemeinschaftsflächen variieren die Preisspannen sehr stark. Trotzdem bieten die in
der empirica-Datenbank gespeicherten Preisangaben eine Orientierungshilfe, auf deren Grundlage (rd. 3.600 gespeicherte Projekte)
56
z.Zt. Preisspannen bei Service-Wohnprojekten errechnet werden,
deren Zahlen im Herbst 1999 veröffentlicht werden können.
8.
Die Qualität
Schwierige Auswahlentscheidung
Das deutlich vergrößerte, sehr viel differenziertere Service-Wohnangebot und die erheblichen Preisunterschiede haben den Markt
unübersichtlicher gemacht. Interessierten Kunden fällt es zunehmend
schwerer, sich zwischen den vielfältigen Angeboten zurecht zu finden
und die richtige Wahl zu treffen. Zwar werben alle Projekte mit dem
Versprechen, die Anforderungen an ein altengerechtes, selbstständiges und sicheres Wohnen zu erfüllen - aber längst nicht alle halten
sich daran. Wer sich deshalb nicht nur auf die wohlklingende
Prospekte verlassen, sondern selber Angebotsvergleiche vornehmen
möchte, erkennt schnell, dass es kaum neutrale Informationshilfen
zur Qualitätsbewertung gibt. Welche Anforderungen ein ServiceWohnprojekt mindestens erfüllen sollte, und wie es sich mit dem
Angebot, der Qualität und dem Preis einer bestimmten Einrichtung
verhält, können bisher nur Marktexperten beurteilen. Entsprechend
groß ist die Unsicherheit der Kunden.
Ein allgemein anerkannter Qualitätsbegriff für Service-Wohnprojekte,
der einheitliche Mindeststandards für unterschiedlich kombinierte
Wohn- und Dienstleistungsangebote vorgibt, ist bisher nicht geprägt
worden. Ansätze zur Qualitätskontrolle beschränken sich auf freiwillige, interne Prüfverfahren. Beispiele aus Baden-Württemberg (Qualitätssiegel „Betreutes Wohnen“) und Süddeutschland (TÜV-Zertifikat
für Pflegeeinrichtungen) stoßen bei den Einrichtungsträgern aber nur
auf geringe Akzeptanz. Zertifizierungen, zu denen auch die dokumentierte Einhaltung bestimmter Qualitätsnormen auf der Grundlage
der internationalen Norm ISO 9000 ff. gehören, formulieren keine
qualitativen Ausstattungs- und Leistungsanforderungen. Sie stellen
Kriterien für ein wirksames Qualitätsmanagementsystem auf, das
eine systematische Verhütung von Fehlern möglich macht.
Kunden und Bewohnern von Service-Wohnprojekten stehen keine
Standards für eine eigenständige Qualitätsbewertung zur Verfügung.
Ihre Angebotsprüfungen bleiben auf die Anwendung von Checklisten
ohne praktikable, selber anzulegende Qualitätsmaßstäbe beschränkt.
Die unvollständige Nachfragersouveränität hat zwangsläufig einen
57
zeitlich verzögerten Qualitätswettbewerb zur Folge. Er bietet nach
wie vor Freiräume für schwarze Schafe und undurchsichtige Angebote.
Die wichtigsten Qualitätsstandards
Zur Umsetzung des Service-Wohnens bedarf es der abgestimmten
Verbindung räumlich-institutioneller Angebote (geeignete Wohnungen, evtl. stationäre bzw. teilstationäre oder ambulante Pflegeangebote) mit Dienstleistungsbereichen (z.B. Verpflegungsangebote,
hauswirtschaftliche Hilfe, Fahr- und Bringdienste) und einer organisatorisch-administrativen Struktur (öffentliche und/ oder freie Träger).
Neben den besonderen baulich-architektonischen Ansprüchen an die
Wohnung sind sozialräumliche und städtebauliche Anforderungen
(Verkehr, soziale Infrastruktur, Wohnumfeldgestaltung) zu berücksichtigen.
Auf Anregung der Landesbausparkassen, die ja schon seit Jahren in
dem Bereich Service-Wohnen mit dem Ziel aktiv sind, durch vielerlei
Untersuchungen, Gutachten und Veranstaltungen die Qualität im
Service-Wohnen voranzubringen, hat ein unabhängiges Expertengremium 1999 qualitative Ausstattungs- und Leistungsanforderungen
für Service-Wohnprojekte unter der Federführung unseres Hauses
erarbeitet. Es haben mehr als 20 Fachleute aus Politik (Bundes- und
Länderministerien), Wissenschaft und Praxis (Investoren, Betreiber
und Bewohner) gemeinsam eine konsensfähige Lösung vorgelegt,
deren Ergebnisse am 29. Oktober 1999 in Köln der Öffentlichkeit
vorgestellt werden. Was wir Ihnen, ohne dieser Veranstaltung zum
Abschluss dieses Vortrages vorweg zu greifen, kurz vorstellen können, sind die 10 Prüfsteine zur bedarfsgerechten Qualitätsbewertung
von Service-Wohnprojekten, auf die sich die Marktexperten weitgehend einvernehmlich verständigt haben.
Aufbau und Gliederung der vorgelegten Qualitätsanforderungen folgen einer abgestuften Vorgehensweise. Ausgangspunkt sind 10
Qualitätskomponenten, die schlagwortartig darüber informieren, welche Kriterien mit welchen Regelungsinhalten geprüft werden müssen.
Die Qualitätsprüfsteine sind kein Ersatz für Qualitätssiegel und Fachzertifizierungen. Sie beschreiben vielmehr „vorab definierte“ Qualitätsanforderungen, damit Ausstattungs- und Leistungsmerkmale von
Service-Wohnprojekten objektiv festgestellt werden können. Dabei
erfüllen die Qualitätsprüfsteine einen doppelten Zweck: Auf der Seite
58
der Anbieter können sie als Orientierungshilfe zur baulich und konzeptionell bedarfsgerechten Projektgestaltung eingesetzt werden, auf
der Seite der interessierten Mieter und Käufer als Orientierungshilfe
zur bedarfsgerechten Bewertung und Auswahl einer Service-Wohnung.
1.
Wohnlage
Erreichbarkeit der Einkaufs-/Versorgungsund Freizeitangebote
2.
Erschließung
Zugänglichkeit innerhalb des Wohnprojekts und zum Wohnprojekt
3.
Wohnumfeld
Lebensqualität durch Sichtbeziehungen
und Nachbarschaftsnutzungen
4.
Wohnsituation
Privatheit und Wohnqualität
5.
Gesellschaftliches Teilnahme ohne Zwangskontakte
Leben
6.
Serviceangebote
Grundpauschale und Wahlleistungen
7.
Pflegeangebote
Versorgungssicherheit für den Bedarfsfall
8.
Vertragsgestaltung
Autonomie, Wahlfreiheit und Mitwirkungsrechte
9.
Information und
Beratung
Umfassende Information und persönliche
Beratung
10. Preise
Transparenzgebot
59
Betreutes Wohnen ohne Umzug
Dr. Gerrit Köster, Leitstelle „Älter werden“ der Stadt Aachen
„Komm, wir finden einen Schatz“, sagte der kleine Tiger zum kleinen
Bären. Und nachdem sie den glücklichen Maulwurf, den Löwen mit
der blauen Hose, das verrückte Huhn und den Reiseesel Mallorca
um Rat gefragt hatten, fanden sie ihren Schatz!
„Oh Tiger“, rief der kleine Bär, „was sehen denn da unsere scharfen
Augen, sag‘?“ – „Ein Haus, Bär. Ein wunderbar, wundervoll schönes
Haus - mit Schornstein. Das schönste Haus der Welt, Bär. Darin wollen wir wohnen.“
Der kleine Bär baute einen Tisch, zwei Stühle und zwei Betten. „Ich
brauche zuerst einen Schaukelstuhl“, sagte der kleine Tiger, „denn
sonst kann ich mich nicht schaukeln“.
Dann pflanzten sie im Garten Pflanzen. Der kleine Bär ging fischen;
der kleine Tiger Pilze finden. Das kleine Haus bei den Sträuchern
kam ihnen jetzt so schön vor, wie kein Platz auf der Welt. „Ja“, sagte
der kleine Tiger, „da wollen wir nie, nie wieder weggehen.“11
1.
Einführung
Für viele ältere Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist es
ein zentrales Anliegen, in einer optimal ausgestatteten Wohnung und
in einem Wohnumfeld leben zu können, in dem sie alle Angebote zur
Befriedigung ihrer Bedürfnisse vorfinden.
Legt man etwa die Ergebnisse des Sozio-Ökonomischen Panels
zugrunde,12 so sind 64% der Mieter und 86% der Eigentümer auf
keinen Fall bereit, in eine andere Wohnung umzuziehen (Abb. 1). Nur
19% der Mieter und lediglich 3% der Eigentümer können sich einen
Umzug in eine andere Wohnung oder in ein anderes Haus vorstellen
- allerdings auch nur dann, wenn die neue Wohnung altengerecht
ausgestattet ist und man beim Umzug Unterstützung erhalten kann.
11
12
Nach Janosch: „Komm, wir finden einen Schatz“ und „Oh, wie schön ist
Panama“
Nach: HEINZE; R.G. u.a. : Neue Wohnung auch im Alter. Schader-Stiftung,
Darmstadt 1997, S. 19 und 20
61
Abbildung 1: Bereitschaft der älteren Bevölkerung in der BRD
zum Wohnungswechsel
Bereitschaft zum Wohnungswechsel
Mieter (SOEP)
Unspezifische
Bereitschaft
11%
Umzugsbereit
19%
Auf keinen Fall
64%
"Richtige"
Wohnung
nicht gefunden
6%
Bereitschaft
Bereitschaft zum
zum Wohnungswechsel
Wohnungswechsel
Eigentümer
Eigentümer (SOEP)
(SOEP)
Unspezifische
Unspezifische
Bereitschaft
Bereitschaft
10%
10%
Umzugsbereit
Umzugsbereit
3%
3%
Auf
keinen Fall
Fall
Auf keinen
86%
86%
62
"Richtige"
"Richtige"
Wohnung
Wohnung
nicht gefunden
(1%)
Berücksichtigt man zudem die Fülle von Anfragen, die z.B. beim
Seniorentelefon der Stadt Aachen als der zentralen Informations- und
Beratungsstelle zu Alternsfragen zum Thema „Betreutes Wohnen“
tagtäglich eingehen,13 ergab sich für die Leitstelle „Älter werden in
Aachen“14 die Notwendigkeit nach Möglichkeiten zu suchen, ältere
Menschen an einem System des „Betreuten Wohnens“ teilhaben zu
lassen, ohne dass sie dazu aber die eigenen vier Wände, ihre seit
langem vertraute Umgebung, verlassen müssen.
Im folgenden wird nun ein Konzept entwickelt und vorgestellt, das
diese beiden Optionen – Verbleib in der eigenen Wohnung und
gleichzeitig die Möglichkeit, die individuell gewünschten Dienste in
Anspruch nehmen zu können – miteinander verbindet. Dabei wurde
besonderer Wert darauf gelegt, dass diese neue Form des „Betreuten Wohnens“ auch für Personen zugänglich ist, die lediglich über ein
geringes Einkommen verfügen.
2.
Methodik
Voraussetzung für dieses Vorhaben war es, sich zunächst ein Bild
über die „individuell gewünschten Dienste“ zu verschaffen. Dazu hat
die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ in Zusammenarbeit mit dem
Geographischen Institut der RWTH Aachen eine Befragung durchgeführt. Ziel der Befragung war es, den Begriff des „Betreuten Wohnens“ insofern klarer fassen zu können, als die Zielgruppe selbst
Auskunft darüber geben sollte, was sie sich unter einem „Betreuten
Wohnen“ vorstellt, welche Dienstleistungen sie damit verbindet und
welchen Stellenwert sie jedem einzelnen dieser Angebote beimessen
würde.
Die Befragung selbst erfolgte als qualitative Erhebung in Form von
Tiefengesprächen durch Studierende des Geographischen Instituts
der RWTH Aachen. Der Fragebogen diente lediglich als Gesprächsleitfaden und enthielt eine Reihe offener Fragen.15 Damit wurde
13
14
15
Im Jahre 1999 registrierte das Seniorentelefon insgesamt 3.518 Anfragen.
15% bezogen sich auf den Bereich „Wohnen“ mit dem Schwerpunkt
„Betreutes Wohnen“.
Die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ ist eine Einrichtung der Stadt
Aachen, die die Aufgabe hat, die Altenarbeit zu fördern und zu koordinieren.
Vgl. Anhang 1
63
bezweckt, möglichst spontane und reichhaltige Antworten zu erhalten.
Die Auswahl der insgesamt 198 Probanden stellte eine geschichtete
Zufallsstichprobe dar, in der nur die 60- bis 75-jährige Bevölkerung
eingegangen ist, d.h. Personen, die zu den jüngeren älteren oder
zukünftigen älteren Personen zu zählen sind.
Die Befragung fand im Haushalt der Interviewpartner statt. Das
gestattete es den Befragern, sich auch ein Bild von der gesamten
Wohnsituation zu verschaffen und ggf. auf Hilfsmöglichkeiten durch
die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ aufmerksam machen zu können.
3.
Der Untersuchungsraum
Für die Befragung wurden zwei Aachener Wohnquartiere ausgewählt. Die beiden Viertel, Richterich und Haaren, liegen an der
Peripherie von Aachen (Abb. 2). Es handelt sich hierbei um zwei
ehemals unabhängige Gemeinden16 mit einem alten Dorfkern, um
den herum ab den 60er Jahren eine Reihe neuer Siedlungen mit
Einfamilienhäusern und Wohnblocks entstanden sind. Es konnte
nachgewiesen werden, dass damals 30- bis 40-Jährige – oft in
Zusammenhang mit einer Familiengründung – hierher gezogen
sind.17 Für sie - inzwischen selbst 60 bis 70 Jahre alt – wird das
Thema „Alter“ zu einer immer zentraleren Fragestellung.
Die Bevölkerung von Richterich und Haaren ist dadurch charakterisiert, dass 61% der Befragten als Eigentümer in ihren Wohnungen/ Häusern leben; 30% sind Selbstständige und Beamte. Nur 10%
der befragten Bewohner sind Arbeiter, d.h. es handelt sich um
Wohnquartiere der Mittelschicht, die in Zukunft generell für die Planung und die Konzeptentwicklung für ältere Menschen von besonderer Bedeutung sein werden. Derzeit leben drei Viertel von ihnen
noch mit ihren Partnern oder im Familienverband.
16
17
64
Die Eingemeindung erfolgte 1972 im Rahmen der kommunalen Neugliederung
KÖSTER, Gerrit: Gesamtkonzept Altenarbeit in Aachen. Erster Bericht zur
Altenplanung, Aachen 1991; KÖSTER, Gerrit: Richterich – Altenarbeit in
einem Aachener Stadtteil. Fünter Bericht zur Altenplanung, Aachen 1995
Abb. 2: Übersichtskarte Aachen
Lage der Untersuchungsgebiete
Richterich
Haaren
65
Das Problem des Alleinlebens ist für sie deshalb zwar noch nicht
relevant und 60% fühlen sich körperlich in bester Verfassung.18
Dennoch wurde versucht, sie im Laufe des Gesprächs auch mit einer
Zukunft zu konfrontieren, in der diese Kennzeichen vielleicht nur
noch bedingt zutreffen.
4.
Ergebnisse
4.1 Anforderungen an die Wohnung und an das Wohnumfeld
Es stellte sich zunächst die Frage, warum ältere Menschen so gerne
da leben, wo sie derzeit wohnen. Wie Tabelle 1 zeigt, gibt es dazu
auf die Wohnung selbst bezogen insgesamt vier große Themengruppen.
Wichtigstes Argument ist die Tatsache, dass rund ein Drittel der
Befragten in Eigentum oder in einer Wohnung mit einer niedrigen
Miete lebt. Allein 26% sind Eigentümer - wichtigstes Kriterium für die
so positive Bewertung der derzeitigen Wohnsituation.
Tabelle 1: Positive Bewertungskriterien für die Wohnungen (in %)
Eigentum
Niedrige Miete
Ausstattung der Wohnung, Komfort
Bewegungsfreiheit (barrierefrei)
Ruhige Lage, schöne Aussicht,
Grünflächen in der Nähe, Balkon
Gute Nachbarschaft, Nähe zur Familie,
Lange Verweildauer
Nennungen insgesamt (absolut)
Derzeitige
Wohnung
26
3
18
10
Wohnung
nach Umzug
27
12
4
147
35
3
30
24
62
Ein zweites Drittel hob die bereits jetzt komfortable Ausstattung der
Wohnung und ihre Barrierefreiheit hervor, d.h. die Tatsache, dass sie
18
66
Sie haben weder beim Gehen noch beim Treppensteigen irgendwelche
Probleme. 4% der Befragten sagten, beim Gehen, 6% beim Treppensteigen erhebliche Probleme zu haben.
in vollem Umfang den Bedürfnissen, die man zumindest zum Zeitpunkt der Erhebung hatte, entspricht.
Eine dritte Gruppe nannte die schöne Lage, die Nähe von Grünflächen oder das Vorhandensein eines Balkons als besonders
attraktiv. Damit tritt ein Gesichtspunkt in den Vordergrund, der eine
vermittelnde Stellung zwischen den rein wohnungsbezogenen und
den umfeldbezogenen Kriterien darstellt. Er zeigt aber, wie wichtig es
ist, auch für das Wohlbefinden innerhalb der Wohnung diese Rahmenbedingungen im Umfeld genießen zu können, gewissermaßen in
passiver Form.
Diese vermittelnde Rolle zwischen Wohnung und Wohnumfeld übernimmt auch der letzte Punkt, der die Einbindung in das soziale
Umfeld umschreibt. Besonders hervorzuheben ist, dass man bei dem
Punkt „Familie in der Nähe“ in erster Linie an die Nähe der Kinder
denkt, d.h. ein generationsübergreifender Aspekt von Bedeutung ist.
Gut die Hälfte der befragten Personen haben Kinder in Aachen, ein
Fünftel sogar innerhalb der Viertel, in denen die Befragungen stattfanden (Tab. 2). Der Hinweis auf eine lange Verweildauer in der
Wohnung kann in ähnlicher Weise interpretiert werden.
In beiden Fällen scheint sich das Bewusstsein, in ein soziales Umfeld
integriert zu sein, in sehr hohem Maße auf das Wohlbefinden in den
eigenen vier Wänden auszuwirken.
Tabelle 2: Anzahl und Wohnorte der Kinder
Wohnort der Kinder
Gleicher Ortsteil
Stadt/Kreis Aachen
Bis 100 km
100 – 500 km
Über 500 km
Insgesamt
1
40
65
29
12
7
153
2
15
34
22
12
17
110
Kind Nr.
3 4 5
6 2
13 5 3
9 4
10 2 1
13 3 4
51 16 8
Insg.
6
2
3
5
7
2
1
3
8
1
1
63
124
74
37
48
345
%
18
36
21
11
14
100
Es wurde darauf hingewiesen, dass die weitaus überwiegende Zahl
älterer Menschen zwar in ihren Wohnungen bleiben möchte, aber
von einigen auch ein Umzug in Erwägung gezogen wird. Deshalb soll
noch ein Blick auf die Anforderungen an eine neue Wohnung geworfen werden. Wie Tabelle 1 zeigt, spielen dann die altersgerechte
67
Ausstattung (54%) sowie die Lagefaktoren (35%) eine noch sehr viel
prägnantere Rolle.
Überraschen mag, dass der sozialen Einbindung scheinbar keine
Bedeutung beigemessen wird. Das ist in sofern zu relativieren, als
der Umzug in eine neue Wohnung mit dem Umzug in eine betreute
Wohnung verbunden sein soll. Viele Hilfen, die man jetzt durch Nachbarn oder die Familie erhält, wird man dann - so stellen sich die
Befragten das vor - durch die Betreuungsdienste erhalten. Auf diesen
Themenkomplex wird später noch einmal eingegangen.19
Zunächst sollen jedoch die Vorteile des Wohnumfeldes kurz umrissen werden (Tab. 3). Interessant scheint, dass neben dem allgemeinen Hinweis auf ein angenehmes Umfeld die Ausstattung mit
einer Basisinfrastruktur einen besonders hohen Stellenwert einnimmt
(32%). Dazu zählt an erster Stelle das Vorhandensein von Geschäften des täglichen und periodischen Bedarfs (Bäcker, Metzger,
Lebensmittel, Friseur u.ä.), d.h. die Erreichbarkeit von Dienstleistungen; aber ebenso eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder die Möglichkeit, sich im Umfeld frei bewegen zu können.
Nach den Erfahrungen mit den Bewertungskriterien für die Wohnung
ist klar, dass natürlich auch für das Wohnumfeld die ruhige Lage im
Grünen und die Einbindung in soziale Netzwerke nicht fehlen dürfen.
Tabelle 3: Positive Bewertungskriterien für das Wohnumfeld (in %)
Angenehmes Umfeld (allgemein)
Geschäfte in der Nähe
Stadtnähe, gute Verkehrsanbindung
Barrierefreies Umfeld
Ruhige Lage, schöne Aussicht,
Grünflächen in Nähe, Balkon
Gute Nachbarschaft, Nähe zur Familie
Nennungen insgesamt (absolut)
19
68
Vgl. S. 10f
Derzeitiges
Umfeld
21
20
5
7
Umfeld
nach Umzug
4
7
33
5
29
16
45
2
143
48
Weiterhin ist zu erkennen, dass die Anforderungen an das Wohnumfeld nach einem möglichen Umzug sich auch hier noch deutlicher
auf wenige Aspekte konzentrierten. Interessant ist beim Stichwort
„Mobilität“, dass dann weniger die Geschäfte in der Nähe als die
Stadtnähe insgesamt und ihre gute Erreichbarkeit in den Vordergrund rücken. Das kann einmal als Hinweis darauf gelten, dass man
über das doch bescheidene Angebot in einer ehemals unabhängigen
Gemeinde Wert auf die vielfältigere Auswahl legt, die das Zentrum
der Großstadt bietet. Zum anderen dürfte hier die noch gute Beweglichkeit der Probanden eine Rolle spielen.20
4.2 Anforderungen an ein „Betreutes Wohnen“
Nach diesen einleitenden Analysen zur Wohnsituation soll nun untersucht werden, was sich ältere Menschen über die genannten
Aspekte hinaus unter einem altersgerechten Wohnen vorstellen und
welche Erwartungen sie an den Begriff des „Betreuten Wohnens“
knüpfen.
Dazu wurde in zwei Schritten vorgegangen. Zunächst sollten die
Befragten spontan erläutern, was sie sich unter einem Betreuten
Wohnen vorstellen.
Besonders interessant ist der große Anteil derjenigen, die mit
„Betreuung zu Hause“ geantwortet haben und zwar „dort, wo ich jetzt
wohne“ (Tab. 4). Zusammen mit denjenigen, für die Betreutes Wohnen „Hilfe bei Bedarf“ und „karitative Hilfe“ - immer unter dem
Gesichtspunkt „bei mir Zuhause“ – ist, wünschten sich 62% der
Probanden ein Betreutes Wohnen „in den jetzigen, eigenen vier
Wänden“. Nur 16% der Befragten stellten sich unter Betreutem Wohnen ein Wohnen in einer Wohnanlage vor, weitere 14% das Leben in
einem Altenheim, zwei Alternativen, die mit einem Umzug verbunden
sind. Diese Werte korrelieren in auffälliger Weise mit denjenigen, die
sich auf die Bereitschaft der älteren Bevölkerung in der BRD zu
einem Wohnungswechsel beziehen.21
20
21
Vgl. Kap. 3
Vgl. Kap. 1
69
Tabelle 4: Vorstellungen älterer Menschen vom Betreuten Wohnen
Betreuung zu Hause
Hilfe bei Bedarf in meiner jetzigen Wohnung
Caritative Hilfe in meiner jetzigen Wohnung
Wohnen in einer Anlage (mit Umzug)
Wohnen im Altersheim
Sonstiges
Insgesamt
Absolut
34
%
27
30
16
20
18
10
23
12
16
14
8
128
100
Anschließend wurden den Befragten rund 30 verschiedene Serviceleistungen vorgelegt.22 Sie sollten nun zwei Entscheidungen treffen:
1.
2.
Welcher Service soll in der Wohnung angeboten werden, welcher nicht?
Welche Wichtigkeit kommt diesem Service zu? Hier war ein Wert
zwischen 1 (höchste Priorität) und 4 (niedrigste Priorität) anzugeben.
Wie Abbildung 3 zeigt, kann anhand dieser beiden Kriterien sehr
deutlich zwischen verschiedenen Gruppen von Diensten differenziert
werden. In eine erste Gruppe fallen Dienste, die von vielen Befragten
sowohl als gewünscht, als auch mit höchster Priorität versehen
worden sind (beide Säulen sind hoch). Andere Serviceleistungen
wurden zwar von vielen gewünscht, aber ihnen wurde nur von
wenigen eine hohe Priorität zugebilligt (linke Säule hoch, rechte
niedrig). Und eine weitere Gruppe von Diensten ist dadurch
gekennzeichnet, dass sie von wenigen gewünscht und gleichzeitig
von wenigen die höchste Priorität erhalten haben (beide Säulen sind
niedrig).
Die Bewertung der einzelnen Dienste in einer Rangfolge ergab sich
nun anhand eines Indexes, der aus der Summe von Wunsch und
Priorität gebildet wurde. Die Gruppenbildung erfolgte innerhalb dieser
Rangfolge durch das Verhältnis von Wunsch und Priorität.
22
70
Vgl. Anlage 1
0
Grünanlagen
Grünanlagen
pflegen
pflegen
Besuchsdienst
Besuchsdienst
Nagelpflege
Nagelpflege
Behördengänge
Behördengänge
gewünscht
höchste Priorität
Winterdienst
Winterdienst
Waschen
Waschen
Fahrdienst
Fahrdienst
WohnungsWohnungsreinigung
reinigung
Essensdienst
Essensdienst
Möglichkeit
Möglichkeit
Notruf
Notruf
Pflege
Pflege bei
bei
Krankheit
Krankheit
Abb. 3: Gewünschte Serviceleistungen für das
Betreute Wohnen
(Nennungen in %)
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
71
In die erste Gruppe mit den höchsten Anteilen von Wunsch und
Priorität fällt die Möglichkeit, bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit
gepflegt zu werden. Viele der Befragten ließen sich dabei von der
Vorstellung leiten, auf diese Weise einen Umzug in ein Altenheim so
weit wie möglich verhindern zu können. Der Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes wäre eine erste Möglichkeit, diesem Anliegen zu
entsprechen.
Praktisch gleichwertig ist der Wunsch, im Notfall Hilfe abrufen zu
können. In diesem Zusammenhang ist es von zentralem Interesse zu
wissen, wie nach der Vorstellung der Befragten die Möglichkeit eines
Notrufes organisiert sein soll. Deshalb wurde dieser Frage genauer
nachgegangen und erkundet, welche Kennzeichen für einen
Ansprechpartner gelten sollten. Das Ergebnis ist erstaunlich (Abb. 4):
65% der Befragten möchten zwar einen festen Ansprechpartner
haben, aber nur 31% meinen, dass dieser rund um die Uhr erreichbar sein soll. Und für lediglich 16% sollte der Ansprechpartner
innerhalb des Hauses erreichbar sein! Das ist eine klare Absage an
Wohnanlagen, die eine Betreuung rund um die Uhr im Haus
vorhalten. Dieser Service ist wegen der dadurch entstehenden Personalkosten nicht nur sehr teuer, er stellt diesem Ergebnis nach auch
eine völlige Überversorgung der Bewohner dar – ebenso wie die
prophylaktische Installation eines Hausnotrufsystems.
Abbildung 4: Die Erreichbarkeit des Ansprechpartners (in %)
%
70
65
60
50
40
31
30
16
20
10
0
Soll vorhanden
sein
Erreichbarkeit 24
Std.
Im Haus
erreichbar
Eine zweite wichtige Serviceleistung bezieht sich auf die Essensversorgung. Für 75% der Befragten sollte dabei das Essen im Rahmen
72
des „Essens auf Rädern“ nach Hause geliefert werden. Nur 25%
konnten sich einen stadtviertelbezogen stationären Mittagstisch vorstellen, der die Möglichkeit bieten würde, einer Vereinsamung älterer
Menschen in ihrer Wohnung entgegenzuwirken.23
Die Dienste mit geringerer Anzahl von Nennungen und geringeren
Prioritäten umfassen Arbeiten wie Waschen, Fenster putzen, Winterdienst, Putzen des Treppenhauses und die Erledigung von Behördengängen. Es handelt sich hierbei also vorwiegend um die Verrichtung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten, wie sie von Mobilen Sozialen
Diensten angeboten werden.
Erstaunlich für die letzte Gruppe von Diensten mit Nagelpflege,
Begleitdienst, Besuchsdienst, Kochen und die Pflege von Grünanlagen ist, dass die Begleit- und Besuchsdienste so weit hinten in den
Wünschen der Befragten angesiedelt sind. Diese geringe Bewertung
steht schließlich in keinem Verhältnis zu dem Stellenwert, dem die
Einbindung in das soziale Umfeld für die Befragten bei der Analyse
von Wohnung und Wohnumfeld zukam. Offensichtlich gehört die
Einbindung in ein soziales Umfeld nun doch zur privaten Sphäre und
kann und soll nicht durch Dienstleistungserbringer ersetzt werden.
Fasst man die Ergebnisse zusammen, kommt man zu den folgenden
Kriterien für ein bedarfsgerechtes Wohnen im Alter (Übersicht 1):
Übersicht 1: Bedarfsgerechtes Wohnen im Alter
Anspruch an die Wohnung
1.
2.
3.
Verbleib in der eigenen Wohnung
Altersgerechte Ausstattung der Wohnung
Möglichkeit, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen
(Vorhandensein eines festen Ansprechpartners zu den
Dienstzeiten, Hauswirtschaft, Pflege)
Anspruch an das Wohnumfeld
4.
5.
6.
23
Gute Nachbarschaft
Ausreichende Infrastruktur in der Umgebung
(Geschäfte, ÖPNV, Grünflächen)
Bei Umzug: Umzugshilfe
Diese Form der Essensversorgung wird deshalb von der Leitstelle „Älter
werden in Aachen“ besonders propagiert.
73
Von besonderer Bedeutung ist, dass die Möglichkeit besteht, in der
eigenen Wohnung bleiben zu können. Voraussetzung hierfür ist aber,
dass diese Wohnung altersgerecht ausgestattet ist und man hier eine
Reihe von Serviceleistungen – in erster Linie einen festen Ansprechpartner im Bedarfsfall, Hauswirtschaft und Pflege - in Anspruch nehmen kann.
Wichtig ist weiterhin, dass der ältere Mensch in ein positives soziales
Umfeld eingebettet ist und er Zugang zu einer ausreichenden Basisinfrastruktur in der Umgebung hat.
Ist schließlich ein Wohnungswechsel unvermeidbar, so soll dieser
Umzug durch eine Umzugshilfe begleitet werden können.
5.
Ableitung eines Konzeptes für ein Betreutes Wohnen ohne
Umzug
Anhand der beschriebenen Kriterien kann nun ein Konzept für ein
Betreutes Wohnen ohne Umzug abgeleitet werden. Der Verbleib in
der eigenen Wohnung bei gleichzeitiger Verbindlichkeit, einen festen
Ansprechpartner zur Verfügung zu haben, ist dadurch sicher zu stellen, dass zwischen dem interessierten Bewohner und einem Anbieter
des Betreuungskonzeptes ein Betreuungsvertrag abgeschlossen
wird.24 Dadurch erhält der Bewohner die von ihm gewünschte Sicherheit zu wissen, an wen er sich im Notfall wenden kann. In diesem
Betreuungsvertrag sollte sich der Anbieter im Sinne eines Minimalangebotes zumindest zu den folgenden vier Dienstleistungen verpflichten:
1. Als Ansprechpartner während der regulären Dienstzeiten zur
Verfügung stehen
2. Über Aktivitäten im Stadtviertel für ältere Menschen oder zum
Thema Alter informieren25
24
25
74
Vgl. das Muster für einen Betreuungsvertrag in Anlage 2
In Aachen kann dabei u.a. auf die Publikationen der Leitstelle “Älter werden
in Aachen” zurückgegriffen werden. So erscheint ½ jährlich die Broschüre
„Wir machen mit!“, in der die Freizeit- und Fortbildungsveranstaltungen aller
Fortbildungsträger insgesamt und auf Stadtviertelebene bezogen zusammengestellt sind.
3. Hilfe leisten in organisatorischen Dingen auf Anfrage, insbesondere bei der Vermittlung von Hilfen in den Bereichen
Hauswirtschaft und Pflege
4. Monatlich einen Hausbesuch durchführen
Gerade der letzte Punkt erscheint von besonderer Bedeutung. Denn
durch den monatlichen Hausbesuch soll zum einen sichergestellt
werden, dass sich der ältere Mensch tatsächlich in einem sozialen
Netzwerk aufgehoben fühlt, das auch persönlichen Charakter hat.
Dadurch wird ein Vertrauensverhältnis geschaffen, das den Bewohner im Bedarfsfall nicht in ein „schwarzes Loch“ fallen lässt. Vielmehr
weiß er - ebenso wie die betreuende Institution - bereits im Vorfeld,
mit wem er es zu tun haben wird.
Zudem erlaubt es der Hausbesuch, das Wohlbefinden eines älteren
Menschen und seine Entwicklung durch eine externe Fachkraft zu
beurteilen. Hierdurch lässt sich verhindern, dass der Zeitpunkt, zu
dem eine Unterstützung für einen älteren Menschen geboten
erscheint, verpasst wird und es ggf. zu Vereinsamung oder sogar zu
Verwahrlosung kommt.
Als Anbieter für ein derartiges Betreuungskonzept sind verschiedene
Institutionstypen denkbar. Primär ist hier an Mobile Soziale Dienste
oder Sozialstationen zu denken, die ohnehin hauswirtschaftliche oder
ambulante pflegerische Hilfen anbieten. Im Unterschied zu deren
traditionellen Einsätzen ist das Betreuungsangebot jedoch ein
prophylaktischer Einsatz ohne die Möglichkeit, diesen bereits von
Beginn an über Pflegeleistungen gewinnbringend abrechnen zu können. Andererseits werden besondere Vorteile darin gesehen, über
das Angebot des Betreuungspaketes zukünftige Kunden an sich zu
binden, denen im Bedarfsfall dann natürlich die eigenen (abrechnungsfähigen) Dienstleistungen angeboten werden können. Als vorteilhaft wird – im Rahmen der Wohlfahrtspflege – weiterhin gewertet,
den karitativen Charakter der präventiven Dienstleistung unterstreichen zu können.
Gerade dieser karitative Gesichtspunkt erhält einen besonderen Stellenwert, wenn Beratungsstellen, Besuchsdienste oder Einrichtungen
der Kirchengemeinden das Betreuungspaket anbieten. Da diese
nämlich nicht gleichzeitig Anbieter hauswirtschaftlicher oder pflegerischer ambulanter Dienste sind, entfällt für sie die Möglichkeit, aus
den anfangs investitionsintensiven Kunden in Zukunft lukrative
„abrechnungsfähige“ Kunden zu bekommen. Der Schwerpunkt der
75
Tätigkeit liegt hier vielmehr ausschließlich auf der persönlichen Kontaktebene. Für den Kunden liegt dabei ein besonderer Vorteil darin,
sicher sein zu können, nicht früher als vielleicht notwendig eine
(abrechnungsfähige) Dienstleistung aufgedrängt zu bekommen - aus
wirtschaftlichen Gründen für den Anbieter.
Prinzipiell ist der Einsatz von Ehrenamtlern für einen Teil der Hausbesuche denkbar. Voraussetzung dafür muss dann aber eine ausreichende Vorbereitung und Begleitung der Mitglieder der Dienste
sein. Jeder dritte oder vierte Einsatz sollte dennoch durch eine professionelle Fachkraft durchgeführt werden, so dass sich eine sinnvolle Ergänzung von Ehrenamt und professioneller Tätigkeit ergibt.
Das Konzept versteht sich als ein Minimalkonzept, das dem Sicherheitsbedürfnis älterer Menschen entspricht, ohne eine Überversorgung herbeizuführen. Bei Bedarf lässt sich der Leistungskatalog im
Einvernehmen zwischen Bewohner und Anbieter im Laufe der Zeit
erweitern oder ggf. auch wieder einschränken.
Ergänzt wird das Konzept in Aachen durch vier Angebote der kommunalen Leitstelle „Älter werden in Aachen“:
1. Wohnungsanpassung
Unter Wohnungsanpassung sind Änderungen an der Bausubstanz, Maßnahmen an Einrichtungsgegenständen und die
Beschaffung von Hilfsmitteln zu verstehen26. Das Angebot richtet
sich an Bewohner von Miet- oder Genossenschaftswohnungen
und private Eigentümer im selbstgenutzten Wohnraum, die das
60. Lebensjahr vollendet haben und wegen Altersbeschwerden
oder Pflegebedürftigkeit einer gezielten Verbesserung ihrer
Wohnverhältnisse bedürfen. Die Beratung ist kostenfrei. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Maßnahmen durch die
Stadt Aachen zu finanzieren bzw. einen Zuschuss zu den
Kosten zu erhalten27. Die Höhe des Zuschusses richtet sich
nach Einkommen und Vermögen des Antragstellers.
26
27
76
Z.B. Einbau und Umbau eines Bades, Verbreiterung des Türdurchgangs,
Einbau von Geräten zur Warmwasserbereitung, Erhöhung der Sitzmöbel,
Beschaffung eines Wannenliftes u.ä.
Dazu stehen in der Stadt Aachen Haushaltsmittel in Höhe von 100.000,-DM jährlich zur Verfügung
2. Wohnungstausch
Lässt sich eine Wohnung nicht anpassen, ist eine Anpassung
unangebracht28 oder wird der Bezug einer neuen Wohnung
gewünscht, können Organisation, Vorbereitung und Durchführung eines Umzugs unterstützt werden.29 Die Hilfen sind kostenfrei.
3. Finanzielle Hilfen zu Installation und Betrieb von Hausnotrufsystemen
In Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen können finanzielle Hilfen zu Installation und Betrieb eines Hausnotrufsystems
gewährt werden.
4. Information und Beratung durch das städtische Seniorentelefon
Unabhängig von der unmittelbaren Betreuung durch den Anbieter kann jeder Bürger der Stadt Aachen sich zu allen Fragen
rund um das Älterwerden beim städtischen Seniorentelefon
informieren und beraten lassen.
6.
Kosten und Finanzierung in Aachen
Ziel bei der Entwicklung des Konzept für ein Betreutes Wohnen ohne
Umzug war es in Aachen, ein Angebot zu schaffen, das auch allen
Personen mit geringem Einkommen offen steht und von ihnen
genutzt werden kann. Deshalb wurde eine Kostenpauschale für die
Betreuung in Höhe von 30,00 DM im Monat angesetzt, die vom
Bewohner an den Anbieter zu zahlen ist.
Für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt ist eine Finanzierung
der Pauschale – soweit sie 30,- DM monatlich nicht übersteigt – nach
dem Bundessozialhilfegesetz möglich (BSHG § 23 Abs. 1, ggf. mit
Aufstockung des Mehrbedarfs über die vorgesehenen 20% des
maßgebenden Regelsatzes).
28
29
Das kann z.B. der Fall sein, wenn eine Wohnung in der dritten Etage eines
Hauses ohne Aufzug liegt und der Bewohner keine Treppen mehr steigen
kann.
Die Hilfen umfassen z.B. Hausbesuche, Analysen des Wohnumfeldes,
Suche einer neuen Wohnung mit Besichtigungen, Gespräche mit Vermietern, Nachmietersuche, Planung des Umzugs, Einholen von Kostenvoranschlägen, Ummeldung von Strom und Gas, Mitteilungen an Behörden
o.ä.
77
Zudem wurde in Absprache mit dem Wohnungsamt der Stadt
Aachen vereinbart, dass die Betreuungspauschale - soweit sie 30,00
DM monatlich nicht übersteigt - bei der Kalkulation des Wohngeldes
nicht angerechnet wird.
Damit sind in Aachen die wichtigsten Komponenten, die sich bei der
Befragung ergeben haben, im Konzept kostengünstig berücksichtigt:
- Die Möglichkeit, in der eigenen Wohnung bleiben zu können
bei gleichzeitiger Anpassung oder Gestaltung/ Herrichtung
der Wohnung an die Bedürfnisse älterer Menschen.
- Über den Abschluss eines Betreuungsvertrages die Sicherheit zu gewähren, die ältere Menschen suchen.
- Durch die Vermeidung einer Überversorgung ein Angebot zu
schaffen, das für jeden erschwinglich, gleichzeitig aber
flexibel und erweiterbar ist.
7.
Erste Erfahrungen mit der Umsetzung des Konzeptes in
Aachen
Die Umsetzung des Konzeptes eines Betreuten Wohnens ohne
Umzug ist in Aachen zunächst nur zögerlich angelaufen. Die Sozialstationen der Wohlfahrtspflege haben bisher noch keine Betreuungen
übernommen. Wichtigstes Argument sind für sie die Kosten für den
monatlichen Hausbesuch, die durch die Kostenbeteiligung der
Interessenten in Höhe von 30,- DM nicht abgedeckt werden können.
Die Möglichkeit, über das Angebot zukünftige Kunden an sich zu binden, wird von den Aachener Sozialstationen der Wohlfahrtspflege so
nicht bewertet.
Inzwischen werden aber Überlegungen angestellt, durch den kombinierten Einsatz von Ehrenamtlern und Professionellen für den
Besuchsdienst in das Konzept einzusteigen.
Im Unterschied dazu hat eine private Sozialstation bereits sehr gute
Erfahrungen mit dem Konzept gemacht. Innerhalb des letzten Jahres
wurden insgesamt acht Personen von ihr begleitet. Von diesen sind
vier später in die ambulante Pflege der Sozialstation übernommen
worden. Nach Auskunft des Leiters der Station hat sich der ursprüngliche Einsatz damit auch wirtschaftlich gelohnt.
78
Wichtig war für diesen Einsatzleiter, die monatlichen prophylaktischen Besuche selbst durchzuführen und nicht an MitarbeiterInnen
zu delegieren. Dadurch hat sich ein für ihn wertvolles Vertrauensverhältnis gebildet, das nicht nur für die älteren Menschen, sondern
auch für den Einsatzleiter von Vorteil war, erlaubte es diesem doch,
die im Laufe der Zeit notwendig werdenden Einsätze im Voraus zu
planen.
Interesse an der Umsetzung des Konzeptes wird nun auch von
einigen Mobilen Sozialen Diensten signalisiert. Die Eigenbeteiligung
der Interessenten wird zwar auch von diesen als nicht kostendeckend gesehen, zumal die monatlichen Besuche von der jeweiligen Einsatzleitung bzw. ihrer Vertretung durchgeführt werden sollen.
Für die Dienste entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass eine
Reihe von älteren Menschen ohnedies zu einem Zeitpunkt mit den
MSD in Kontakt treten und dann auch besucht werden, zu dem ein
hauswirtschaftlicher Hilfebedarf eigentlich noch nicht vorhanden ist.
Das Betreute Wohnen ohne Umzug würde diesem Bedarf in vollem
Umfang entsprechen.
Eine weitere viel versprechende Alternative bildet die Anbindung des
Betreuungsdienstes an eine stadtviertelbezogene Beratungsstelle.30
Im konkreten Fall bildet die Beratungsstelle ein Teilangebot eines
Vereins (Altenarbeit in Forst e.V.31), in dem alle im Viertel in der
Altenarbeit tätigen Institutionen sowie Ehrenamtler zusammengeschlossen sind.32 Die Beratungsstelle wird trägerübergreifend finanziert.
Derzeit (März 2000) liegen vier Anträge von älteren Menschen vor,
die an dem Betreuungskonzept teilnehmen möchten. Der Besuchsdienst soll in einer Kombination von Ehrenamtlern und Professionellen und unter Ausnutzung aller im Verein zusammengeschlossenen
30
31
32
Forster Seniorenberatung
Weitere Angebote des Vereins sind: Kontaktstelle mit Frühstückstreff,
Begleitung ehrenamtlich Tätiger im Viertel, Organisation von Fortbildungsveranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Aachen
Zum Trägerverein gehören: Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt
und Aachen-Land (einschl. Sozialstation), Deutsches Rotes Kreuz, Ev.
Kirchengemeinde Aachen (Begegnungsstätten, Sonntagsküche), ein privates Altenheim, ein Altenheim eines Ordens, zwei katholische Pfarrgemeinden (drei Begegnungsstätten, Kranken-Besuchsdienst), Sozialdienst
Katholischer Männer e.V. und das Sozialwerk Aachener Christen e.V.
(Mobiler Sozialer Dienst)
79
Kompetenzen organisiert werden. Der Verein ist sich im klaren
darüber, dass eine Kostendeckung nicht zu erreichen ist. Er hält das
Angebot für seine Arbeit im Stadtviertel aber für so wichtig, dass er
es dennoch unterbreiten möchte.
8.
Perspektiven
Das Angebot eines Betreuten Wohnens ohne Umzug wird in Aachen
eine weitere Akzeptanz finden können, wenn die Öffentlichkeitsarbeit
für dieses Projekt intensiviert wird. Die bisher eingebundenen
Institutionen sind daran sehr interessiert, sodass eine gemeinsame
trägerübergreifende Öffentlichkeitsarbeit in Erwägung gezogen werden kann.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das Konzept in die richtige
Richtung weist. So sind nach seiner Veröffentlichung in den Fachzeitschriften „Forum Sozialstation“33 und „Pro Alter“34 inzwischen 41
Pflegedienste, Verbände und Kommunen aus der ganzen Bundesrepublik an die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ herangetreten, um
zusätzliche Informationen zu dem Angebot zu erhalten, die eine
Umsetzung vorbereiten helfen sollen. Es bleibt zu wünschen, dass
dieses Vorhaben auch in diesen Regionen auf fruchtbaren Boden
fällt.
33
34
80
Köster, G.: Betreut Wohnen – aber wie? In: Forum Sozialstation, Nr. 96,
Bonn, Februar 1999, S. 60-62
Kremer-Preiß, U.: Betreutes Wohnen ohne Umzug. In: Kuratorium
Deutsche Altershilfe, Pro Alter 4, Köln 1999, S. 80-81
Diskussion
Joachimsthaler:
Vielen Dank, Herr Dr. Köster. Ich glaube, wir haben als Koordinierungsstelle Halle davon viele Anregungen mitbekommen, ich habe
auch heftig mitgeschrieben. Das sind doch Ideen, die man auch hier
probieren könnte – gerade für den kleinen Geldbeutel.
Teilnehmerin:
Mich interessiert noch ein Punkt, der angesprochen, aber nicht erläutert wurde. Und zwar hatten Sie gesagt, Sie hätten eine „aktivierende Befragung“ gemacht, und dieser Aspekt würde mich noch mal –
zumindest kurz – interessieren.
Köster:
Innerhalb unserer Befragung versuchen wir (während der Befragungssituation oder meistens im Anschluss an diese Befragungssituation), den älteren Leuten die Angebote, die es in der Stadt
Aachen gibt, vorzustellen. Die Befrager haben immer ein ganzes
Paket an Broschüren mit, etwa die Broschüre „Einrichtungen der
Altenarbeit“, wo alle Institutionen, die in der Altenarbeit engagiert
sind, von wenig Hilfe – sprich Beratung, Kommunikation, Begegnungsstätten – über Wohnen, Wohnungsanpassung, über ambulante
Hilfen zu Hause bis zu stationären Hilfen mit Ansprechpartnern, mit
Telefonnummern, mit Öffnungszeiten/ Besonderheiten verzeichnet
sind, sodass man sich frühzeitig darüber informieren kann, um was
es geht. Wir haben z.B. die Broschüre „Wir machen mit“, Freizeitund Fortbildungsangebote, die ich eben schon genannt hatte. Dieses Heft wird zweimal im Jahr herausgegeben, und hier fassen wir
alles zusammen, was in Aachen von Bildungsträgern, an Angeboten
speziell für ältere Menschen oder zum Thema ältere Menschen
gemacht wird. Also von Führungen über Gedächtnistraining,
Französisch für 50+ oder einfach Fahrten, geselliges Beisammensein; alles einmal nach Sachgebieten und einmal nach Stadtvierteln geordnet, um einen stadtviertelbezogenen Ansatz miteinzubeziehen. Für mich in der Planung und in der Koordination von
Altenarbeit sind auch Informationen über den Senioren-Beirat
wichtig, weil ich über den Senioren-Beirat die Möglichkeit habe, die
Interessen älterer Menschen unmittelbar auch selber herauszubekommen. Wenn ich also eine örtliche „Arbeitsgemeinschaft Altenarbeit“ einberufe, dann ist es normalerweise einfach, die Institutionen
81
an einen Tisch zu bekommen, aber wie soll ich den älteren
Menschen an den Tisch bekommen? Dadurch habe ich hier die
Möglichkeit, das Ganze zu machen. Desweiteren unsere Broschüren
„Wohnungsanpassung“, „Wohnungstausch“ - was machen wir? In
was für einem Umfang machen wir das? An wen kann man sich
wenden? Wie wird so etwas finanziert? bzw. unsere zentrale
Informations- und Beratungsstelle, das „Senioren-Telefon“, wo man
alle Fragen rund um das Älterwerden einholen kann. Oder, was wir
jetzt neuerdings – seit einem Jahr – haben: unsere Hotline „Freie
Plätze in der Pflege“, wo alle Einrichtungen, die Pflege anbieten
(Kurzzeitpflege, vollstationäre Pflege oder ambulante Pflege) morgens bis 10.00 Uhr in der Leitstelle per Telefon oder Fax ihre freien
Kapazitäten melden können, und wir um 11.00 Uhr ein Band
besprechen mit allem, was an freien Kapazitäten gemeldet wird - das
man dann rund um die Uhr und auch am Wochenende abhören
kann. Also das wären alles Informationen und Broschüren, die wir
dann den älteren Menschen bei der Befragung auch überreichen –
kurz erläutern, was das ist und was man damit machen kann.
Dadurch, glaube ich, kann man auch eine gewisse Angst nehmen:
Was passiert denn im Fall x, wenn jetzt ich oder mein Nachbar oder
mein Ehepartner pflegebedürftig wird? Dass man auf jeden Fall
schon mal weiß: Da gibt es eine Institution, die mir helfen kann. Das
ist für uns die Idee, diese Information zu geben, auch z.B.
Information darüber zu geben, wo und wie man sich ehrenamtlich
engagieren kann.
Teilnehmerin:
Ich habe aufgenommen, dass Sie nicht ganz zufrieden sind mit der
Umsetzung Ihres Konzeptes - und habe nicht ganz verstanden,
woran das liegt. Liegt das an den Sozialstationen, die nicht bereit
sind, für diese 30 DM-Pauschale da einzusteigen oder liegt es doch
an den Älteren, die sagen: „Ich brauche auch dieses Minimalkonzept
nicht.“ Wie wird Ihre Idee an die Älteren herangetragen, erreichen Sie
praktisch nur die, die in Ihre Leitstelle kommen, oder arbeiten Sie
z.B. mit Vermietern zusammen?
Köster:
Ich weiß auch nicht, woran es hakt. Es hakt sicherlich einmal daran,
dass die Sozialstationen sagen: für 30 DM kann ich keine Fachkraft
rausschicken – das ist zu teuer. Sie akzeptieren auch das Argument
nicht, dass es auch subventionierte Öffentlichkeitsarbeit ist.
82
Weswegen es auch wenig angenommen wird, ist Folgendes: Wir
arbeiten in einer Koordinationsstelle für Altenarbeit. Ich kann, wenn
bestimmte Anbietergruppen das Konzept in Aachen blockieren, nicht
an die Presse gehen und sagen: Das ist unser Konzept, wer möchte
da mitmachen? Dann habe ich gleich diesen Anbieterblock gegen
mich, das kann ich mir als Koordinationsstelle nicht leisten. Es ist
eine leichte Gratwanderung. Wie gesagt: Über die Angebote bei den
eingestreuten Altenwohnungen bin ich guten Mutes, dass sich
zumindest ein Teil der Anbieter aus der Wohlfahrtspflege in diesem
Fall auch mit diesem System anfreunden könnte; denn das ist genau
unser Konzept, was sie dort anwenden. Ich fände es ganz schön,
wenn z.B. die privaten Anbieter, die eigentlich geschlossen dahinter
stehen, von sich aus an die Öffentlichkeit treten und sagen, welche
Erfahrungen sie gemacht haben. Ich kann das nicht. Wie erreicht
man die älteren Leute? Einmal ist dieses Konzept hier in unserem
Leitfaden, in unserer „Bibel“, beschrieben. Dann kriegen wir beim
Senioren-Telefon sehr viele Anfragen zum Betreuten Wohnen, weil
es en vogue ist. Dort informieren wir über die Institutionen und
Häuser, die speziell für Betreutes Wohnen errichtet worden sind. Wir
verschicken aber darüber hinaus auch immer die Liste der Sozialstationen inkl. Konzept, die an diesem Konzept teilnehmen. Für mich
ist aber verwunderlich, dass bisher so wenige ältere Leute sich dann
ihrerseits an die Sozialstationen wenden, und sagen: Das möchte ich
ganz gerne machen. Also das hakt noch, aber wie gesagt: In den
letzten 10 Jahren gab es immer Höhen und Tiefen in der Koordination von Altenarbeit. Das ist jetzt eine Teiltiefe und ich hoffe, dass
ich die demnächst auch überwinden kann.
Joachimsthaler:
Vielleicht können wir das morgen noch in den Arbeitsgruppen vertiefen. Gerade das ist ja ein Thema, denke ich, was viele interessiert.
Die nächsten Vorträge beschreiben die Situation bei uns in Halle. Ich
werde kurz den Senioren-Kreativ-Verein und die Arbeit der Koordinierungsstelle Halle vorstellen. Anschließend wird Frau Engel die
Forschungsergebnisse der Befragung in Halle-Trotha vorstellen. Herr
Potthoff wird dann im Anschluss die aktuelle Situation in Trotha
darstellen: Die Ansätze zur Weiterentwicklung und die Professionalisierung der Dienstleistungsstruktur. Wir fassen das dann zusammen
und werden im Anschluss daran nach Trotha ins Wohnprojekt fahren.
83
Service-Wohnen in Halle-Trotha
Entwicklung des Senioren-Kreativ-Vereins
und Vorstellung der Mitarbeiter/innen der Koordinierungsstelle
Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle
Der Senioren-Kreativ-Verein wurde 1993 als Kulturverein – hauptsächlich für ältere Bürger – in Halle gegründet. Zweck des Vereins ist
die Förderung der kulturellen, sozio-kulturellen und kreativen Betätigung älterer Menschen; ihnen Möglichkeiten für Aktivitäten, Kommunikation und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Von Anfang an haben
wir die Förderung generationsübergreifender Projekte als ein wesentliches Vereinsziel formuliert, weil die Arbeit nur für ältere Menschen
ein Beitrag dazu ist, sie zu isolieren. Der Senioren-Kreativ-Verein ist
auf Grund dieser Aktivitäten auch anerkannter Träger der freien
Jugendarbeit.
Im Prozess der Arbeit über mehrere Jahre stieß unser Verein auf das
Phänomen, dass Kulturarbeit nicht losgelöst von Sozialarbeit
betrachtet werden kann. Wir bemühen uns deshalb um eine ganzheitliche Betrachtungsweise mit dem Ziel einer vernünftigen Selbstbestimmung. Deshalb haben wir unsere kreativen und kulturellen
Angebote mit sozialen Projekten verknüpft.
Seit 1994 betreibt der Verein Begegnungsstätten in Stadtgebieten
von Halle und dabei überwiegend in den von Frau Szabados erwähnten großen Neubaugebieten, die in der Infrastruktur doch wesentlich
vernachlässigt sind. Das ist einmal auf der Silberhöhe die „Schöpfkelle“; in Heide-Nord das „Schöpfwerk“ und in Halle-Trotha die Begegnungsstätte „Delta“ in Zusammenarbeit mit dem Wohnprojekt dort.
1997 haben wir noch die Begegnungsstätte „Drogerie“ in einem ganz
kleinen Stadtteil „frohe Zukunft“ eröffnet. Diese Begegnungsstätten
tragen wesentlich zur Verbesserung des Wohnklimas bei, weil sie in
diesen traditionellen Schlaf- und Wohngebieten Kulturangebote
machen, Betätigungsangebote für sinnstiftende Freizeitangebote unterbreiten und Möglichkeiten geben, sich zu betätigen.
Wir versuchen auch Randgruppen, sowohl Senioren, aber auch Vorruheständler, ältere Arbeitslose und Jugendliche, zu integrieren. Der
Senioren-Kreativ-Verein hat eine Jugendfreizeiteinrichtung in freier
Trägerschaft, die ebenfalls in der Silberhöhe ist.
85
In den Begegnungsstätten findet ein reger Kontakt zwischen den
Generationen statt, weil die Räumlichkeiten sowohl von jungen wie
von älteren Menschen genutzt werden. Nicht zuletzt bieten die
Begegnungsstätten auch Möglichkeiten für Arbeitsplätze auf dem
Zweiten aber auch auf dem Ersten Arbeitsmarkt.
Seit 1996 haben wir angefangen, in Halle-Trotha das Wohnprojekt
aufzubauen – worauf ich aber jetzt nicht näher eingehen möchte.
1995 und 1997 wurde der Senioren-Kreativ-Verein mit Bundespreisen ausgezeichnet. Zum einen in dem Wettbewerb „Solidarität
der Generationen“, und ‘97 in dem Wettbewerb „Spiel, Sport und
Bewegung im Alter“. Der Senioren-Kreativ-Verein ist Träger von 10
Kindertagesstätten und zwei Horten. Auch hier wollen wir die generationsüberschreitenden Ansätze ausbauen und vertiefen. Das ganz
kurz zum Verein.
Nun noch zur Koordinierungsstelle: Seit August ’98 arbeiten wir in
dem Bundesmodellprojekt mit. Wir haben unsere Arbeit in drei Teilbereiche eingeteilt:
• Einmal das Wohnprojekt Trotha, wo Frau Dohndorf die Leiterin ist.
Wir wollen versuchen, dieses Modell auf standhafte Füße zu stellen, Weiterentwicklungen zu suchen (auch in die Richtung, die
Herr Dr. Köster eben dargestellt hat), einen Konsens zu finden
zwischen den Bedürfnissen nach Dienstleistung und dem kleinen
Geldbeutel, der doch bestimmte Zusatzleistungen nicht bezahlbar
macht. Es ist ein Modell, wo ältere Leute, die einen Wohnberechtigungsschein und geringe finanzielle Möglichkeiten haben, auf
Grund der Lage dort wohnen. Wir möchten erreichen, dass auch
diese Menschen ein Service-Wohnen haben.
• Der zweite Teil ist die Beratungsstelle für Wohnraumanpassung,
die leitet Frau Winter. Die Ziele der Wohnraumanpassung wurden
ja ausgiebig in Kassel diskutiert. Der Schwerpunkt hier liegt einmal
in der individuellen Beratung der Mieter bzw. Eigentümer über
Möglichkeiten der Wohnraumanpassung, über Möglichkeiten von
Hilfsmitteln, wie man sie erreicht, aber auch, wie man sie finanzieren kann und welche Fördermittel es dafür gibt. Wir bemühen
uns, für Rat suchende Bürger Kontakte zur Pflegekasse, Krankenkasse und auch zu den Vermietern herzustellen, um Wohnungsanpassungsmaßnahmen zu ermöglichen. Wesentlich für uns ist
es, dass wir in den drei Jahren ein Konzept entwickeln, wie die
Wohnberatungsstelle darüber hinaus kostenmäßig arbeiten kann
86
und wie auch Wohnungsgesellschaften und Privatvermieter einen
Beitrag dazu leisten können, so eine Finanzierbarkeit durchzuführen.
• Der dritte Teilbereich ist die Entwicklung neuer Wohnmodelle in
Halle. Wir wollen Anstoß geben, Mehrgenerations-Wohnprojekte
oder Senioren-Wohngemeinschaften zu initiieren, aber auch neue
Wohnanlagen mit Service für ältere Leute aufzubauen. Geplant ist
z.B., im Hafen ein altes Speichergebäude auszubauen. Dazu
haben wir einen Arbeitskreis „Wohnfantasien“ gegründet, in dem
auch ältere Menschen und Wohnungsgesellschaften mitarbeiten –
wo wir zusammen neue Wege suchen wollen.
Frau Engel wird jetzt die Ergebnisse einer Befragung in Trotha vorstellen.
87
Bedarfsanalyse zum Service-Wohnen in Halle:
Empirische Ergebnisse
Dr. Heike Engel, ISG Sozialforschung und
Gesellschaftspolitik GmbH
Die Koordinierungsstelle in Halle bietet in Trotha neben Beratungen
zu Wohnraumanpassungen „Service-Wohnen“ an. Hier leben in drei
Häusern insgesamt 368 Personen in 350 Ein- und Zwei-ZimmerWohnungen, wobei 155 (Stand September 1999) Bewohner/innen
einen Servicevertrag abgeschlossen haben und derzeit eine Pauschale von 60,- DM für den Grundservice bezahlen. Darüber hinaus
werden Zusatzleistungen angeboten, die ermäßigt mit 10,- DM pro
Stunde abgerechnet werden, sofern ein Service-Vertrag abgeschlossen wurde.
Diese Service-Leistungen werden derzeit zwar mit hohem Personaleinsatz (des 2. Arbeitsmarktes), aber wirtschaftlich nicht tragfähig
erbracht. Eine Aufgabe der Koordinierungsstelle ist es deshalb, den
Grundservice und die Leistungsstruktur für die (gesondert berechneten) Zusatzleistungen auf eine solide Finanzierungsbasis zu stellen.
Eine erfolgreiche Änderung der Angebots- und Preisstruktur bezogen
auf den Grundservice und die Zusatzleistungen setzt die Klärung
folgender Fragen voraus:
• Welche Leistungen werden derzeit von den MitarbeiterInnen des
Service-Wohnens erbracht?
• Wie groß ist das potentielle Klientel, das an derartigen Zusatzleistungen interessiert ist?
• In welchem Umfang werden die Zusatzleistungen voraussichtlich
nachgefragt werden?
• In welcher Relation steht die Inanspruchnahme dieser Zusatzleistungen zu deren Preis? Wie müssen die Preise kalkuliert sein,
um einerseits rentabel und andererseits für die Klienten akzeptabel zu sein?
Zur Klärung dieser Fragen soll die derzeitige Betreuungssituation in
Trotha analysiert werden. Es wurden hierzu zwei Instrumentarien
entworfen, wobei das erste Instrumentarium, die Leistungsdokumentation, der Analyse der derzeitigen Angebotsstruktur dient. Zweitens
wurde eine Bewohnerbefragung zur Analyse der Nachfrageseite
89
durchgeführt, wobei hier Wünsche und Zufriedenheit der Bewohner
und Bewohnerinnen sowie die Zahlungsbereitschaft für die zu erbringenden Dienstleistungen abgefragt wurden.
1.
Die Leistungsdokumentation
Zur Dokumentation der Leistungserbringung wurde ein einseitiger
Erhebungsbogen entwickelt,35 der in drei Teile gegliedert ist. Zunächst werden die betreuten Bewohner/innen anhand von Alter,
Demenz, Pflegestufe sowie Geschlecht beschrieben, und anschließend werden die für diese Bewohner/innen individuell erbrachten
Leistungen jeweils in Minutenwerten dokumentiert. Diese individuellen Leistungen werden nach
• personenbezogenen Leistungen (getrennt in: leichte Hilfen, Körperpflege, medizinische Hilfen, Beratung und Hilfe bei Anträgen
sowie Kommunikation),
• haushaltsbezogenen Leistungen (getrennt in: kleinere Handgriffe,
Einzelhilfe bei den Mahlzeiten, Wäschedienst sowie Wohnungsreinigung) und
• außerhäuslichen Leistungen (getrennt in: kleine Erledigungen,
großer Einkauf für eine Person sowie Begleitung einer Person)
aufgesplittet. Neben diesen individuellen Leistungen werden auch
übergreifende Leistungen erbracht, die im dritten Teil des Erhebungsbogens abgefragt wurden. Hierunter sind sowohl informelle als
auch formelle Kommunikation mit KollegInnen, die Tätigkeiten in der
Begegnungsstätte, die Erledigungen für mehrere Kunden gleichzeitig, sonstige Tätigkeiten sowie Fahrt- und Gehwege subsumiert.
Die Erhebung wurde in Trotha über den Zeitraum von einer Woche
durchgeführt: In diesen sieben Tagen wurden insgesamt 51 Dokumentationsbögen erstellt. Von den zwölf MitarbeiterInnen, die in
diesem Zeitraum arbeiteten, waren jeden Tag durchschnittlich etwa 7
MitarbeiterInnen im Einsatz, und es wurden insgesamt in 670 Einsätzen 284,5 Stunden erbracht.
35
90
Der Erhebungsbogen ist im Anhang abgedruckt.
Abbildung 1: Erbrachte Stundenzahl und Einsätze
Stunden
Individuelle Leistungen
45,7%
Übergreifende Leistungen
54,3%
Einsätze
Individuelle Leistungen
54,6%
Übergreifende Leistungen
45,4%
ISG 1999
Diese Leistungen wurden in individuelle Leistungen und übergreifende Leistungen aufgeteilt. Es ist in Abbildung 1 zu sehen, dass die
überwiegenden Zeitanteile für übergreifende Leistungen aufgebracht
werden, während individuelle Leistungen häufiger erbracht werden.
Dies bedeutet, dass die übergreifenden Leistungen zeitintensiver pro
Einsatz sind.
Eine nähere Betrachtung der übergreifenden Leistungen zeigt, dass
für die verschiedenen Tätigkeiten ungefähr die gleiche Anzahl an
Einsätzen erbracht wurde (50 bis 51 Einsätze innerhalb der Woche
insgesamt). Die Analyse der jeweils aufgewändeten Zeit ergab
jedoch, dass die Tätigkeiten in der Begegnungsstätte mit Abstand die
meiste Zeit in Anspruch nehmen, und zwar wurden insgesamt 54,7
Stunden an Zeit für die Begegnungsstätte erbracht. Die Kommunikation (formell oder informell) und die Fahrt- und Gehwege nehmen
17 bis 18 Stunden in Anspruch. Für die Erledigungen für mehrere
Kunden wird mit nur 10,9 Stunden verhältnismäßig wenig Zeit
aufgewändet. Sonstige Leistungen sind ein relativ großer Posten,
was deshalb nicht überraschend ist, weil im Tagesverlauf recht häufig Leistungen nebenbei erbracht werden, die nicht genau zugeordnet
werden können und dann den sonstigen Leistungen zugeordnet werden.
91
Abbildung 2: Übergreifende Leistungen
51
54,7
Tätigkeiten in der Begegnungstätte
Formelle Kommunikation
18,7
Inform elle Kommunikation
18,6
Fahrt-Gehwege
17,8
Erledigungen f. mehrere Kunden
51
50
51
51
10,9
Sonstige Tätigkeiten
0
34
10
20
Einsätze
Stunden
30
40
50
50
60
70
ISG 1999
Die Darstellung der individuellen Leistungen erfolgt anhand der
haushaltsbezogenen, der personenbezogenen und der außerhäuslichen Leistungen; aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde darauf
verzichtet, die individuellen Leistungen nach allen 12 Leistungsarten
aufzuteilen. Anhand von Abbildung 3 ist zu erkennen, dass haushaltsbezogene Leistungen am häufigsten erbracht werden und hierfür die meiste Zeit benötigt wird. So werden hier 77,5 Stunden in 195
Einsätzen erbracht, und es bezogen insgesamt 72 Bewohner oder
Bewohnerinnen diese Leistungen. Bei etwa gleicher Anzahl der
Bewohner/innen, die personenbezogene Leistungen erhalten haben,
wurden hier deutlich weniger Stunden (34) in weniger Einsätzen
(140) erbracht. Außerhäusliche Leistungen nahmen 26 Bewohner
und Bewohnerinnen in Anspruch, und es wurden 17 Stunden an
Leistungen erbracht.
92
Abbildung 3: Individuelle Leistungen
72
Haushaltsbezogene Leistungen
195
77,5
BewohnerInnen
Einsätze
Stunden
71
Personenbezogene Leistungen
140
34,5
26
35
17,8
Außerhäusliche Leistungen
0
50
100
150
200
250
ISG 1999
Auf der Basis dieser Leistungsdokumentation können erste Rückschlüsse auf die notwendige Qualifikation der MitarbeiterInnen gezogen werden: So können beispielsweise außerhäusliche Leistungen
sowie Teile der haushaltsbezogenen Leistungen oder Erledigungen
für mehrere Personen von Zivildienstleistenden oder entsprechend
gering qualifizierten MitarbeiterInnen erbracht werden, während personenbezogene Leistungen von gelernten oder geschulten MitarbeiterInnen erbracht werden sollten. Dies bedeutet, dass etwa 57 Stunden pro Woche von gut qualifizierten MitarbeiterInnen erbracht werden müssen, wovon 35 Stunden pro Woche auf personenbezogene
Leistungen und ca. 22 Stunden pro Woche auf Einzelhilfe bei den
Mahlzeiten entfallen.
2.
Die Bewohnerbefragung
Die Befragung der Bewohner/innen in Trotha erfolgte anhand eines
Befragungsbogens, der neben Fragen zur Person, zum Gesundheitszustand und zu sozialen Kontakten einen großen Block zum ServiceWohnen in Trotha enthält. Bevor die Auswertung des Service-Wohnens dargelegt wird, erscheint es sinnvoll, vorab die Bewohnerstruktur in Trotha vorzustellen. In den drei Hochhäusern mit
Service-Wohnen in Trotha existieren ungefähr 350 Haushalte. Die
Fragebögen wurden nur an 305 Haushalte verteilt, weil etwa 45
Haushalte, in denen Bewohner/innen mit schwerer Demenz leben,
nicht in die Befragung einbezogen wurden. Wir haben von diesen
93
305 Haushalten, an die die Bögen verteilt wurden, 90 zurückerhalten
– das entspricht einer Rücklaufquote von 30%. Da bei älteren
Befragten mit einer Rücklaufquote von 20% bis 30% gerechnet werden kann, ist dieses Ergebnis zufriedenstellend.
Tabelle 1: Alter und Geschlecht
Gesamt
unter 70
Jahren
70-79 Jahre
80 Jahre und
älter
Zusammen
Anzahl Anteil
Anzahl Anteil
Anzahl Anteil
Anzahl Anteil
15
18,3%
34
41,5%
33
40,2%
82
100,0%
Frauen
9
11,0%
31
37,8%
27
32,9%
67
81,7%
Männer
6
7,3%
3
3,7%
6
7,3%
15
18,0%
davon:
Die Altersstruktur der Befragungsteilnehmer/innen zeigt, dass über
80% der Bewohner/innen älter als 70 Jahre alt sind und ein sehr
großer Prozentsatz (40,2%) 80 Jahre und älter ist. Eine Unterteilung
nach dem Geschlecht zeigt des weiteren, dass die Männer vor allem
in den höheren Alterskohorten unterrepräsentiert sind.
Die Frage nach dem Gesundheitszustand beantworteten immerhin
18 der Befragten (21,2%) positiv (es geht ihnen gut), 55 der Befragten (64%) waren indifferent und antworteten: „es geht so“ und ungefähr 14% - also 12 Befragten - geht es schlecht oder sehr schlecht.
Bezogen auf die Bewohnerstruktur wird abschließend die Einkommenstruktur der Befragten vorgestellt, weil sich hieraus auch Rückschlüsse auf die jeweiligen Zahlungsbereitschaften ziehen lassen.
Fragen nach dem Einkommen sind immer etwas heikel und werden
ungern beantwortet, was sich auch hier in der Anzahl der Antworten
widerspiegelt (N=51).
Tabelle 2: Einkommen der Befragten
Anzahl
94
Anteil
800,- DM bis 999,- DM
4
7,8%
1.000,- DM bis 1.999,- DM
31
60,8%
2.000,- DM bis 2.999,- DM
13
25,5%
3.000,- DM o. mehr
3
5,9%
gesamt
51
100,0%
Drei Fünftel der Befragten, die diese Frage beantwortet haben,
haben ein Monatseinkommen zwischen 1.000,- DM und 2.000,- DM
und ein Viertel verfügt über ein Monatseinkommen von über 2.000,DM und unter 3.000,- DM.
Die Befragung der Bewohner/innen wurde mit dem Ziel durchgeführt,
die Angebotsstruktur an Grund- und Zusatzleistungen optimieren und
Preisspielräume für die angebotenen Zusatzleistungen ermitteln zu
können. Eine zentrale Rolle nehmen deshalb Fragen zum „ServiceWohnen“ ein: Hier werden sowohl die derzeitige Nutzung des Angebots an Grund- und Zusatzleistungen als auch (bezogen auf die
Zusatzleistungen) die Präferenzen und die preislichen Spielräume
ermittelt. Denn: Während die Servicepauschale in Höhe von 60,- DM
für allein Stehende und 110,- DM für Ehepaare pro Monat für die
Grundleistungen weiterhin bestehen bleibt, sollen die Preise für die
Zusatzleistungen von derzeit pauschal 10,- DM pro Stunde in Zukunft
je nach Leistung differenziert werden.
Ein erster Überblick über den Grundservice zeigt, dass die Begegnungsstätte und die Mieterzeitung von den BefragungsteilnehmerInnen mit 34 bzw. 33 Nennungen am häufigsten nachgefragt werden, also zentrale Leistungen darstellen, für die entsprechend Personal bereitgestellt werden muss. Die Vermittlung von Dienstleistungen sowie von medizinischen Hilfen und die Preisermäßigung/
Bevorzugung einer Zusatzleistung stellen ebenfalls Leistungen dar,
die recht häufig nachgefragt werden, gefolgt von dem dritten Block
(mobiles Notrufsystem, 24-Stunden-Bereitschaft und Beratung in persönlichen Angelegenheiten mit 11 bzw. 10 Nennungen). Auf der
anderen Seite wird weniger Personal für Kontakte zu Angehörigen
sowie für Hilfe und Beratung beim Einzug/ Umzugmanagement
benötigt, weil hier die Nachfrage geringer ausfällt.
95
Abbildung 4: Nachfrage nach den Grundleistungen
Offene Begegnungsstätte
34
Bereitstellung einer Mieterzeitung
33
Organisation und Vermittlung von
Dienstleistungen
19
Vermittlung medizinischer Hilfen
17
Preisermäßigung/bevorzugte Nutzung
der Zusatzleist
17
Mobiles Notrufsystem
11
24 Stunden Bereitschaft
10
Beratung in pers. Angelegenheiten
10
Kontakte zu Angehörigen
4
Hilfe und Beratung beim Einzug/
Umzugsmanagement
2
0
5
10
15
20
25
30
35
ISG 1999
Des weiteren wurde festgestellt, dass etwa 85% der 85 Befragungsteilnehmer/innen, die diese Frage beantwortet haben, sehr zufrieden
oder zufrieden mit dem angebotenen Grundservice sind. Dieses Ergebnis ist sehr erfreulich, weil es zeigt, dass die Arbeit des SeniorenKreativ-Vereins bei den Bewohner/innen, die die Leistungen in Anspruch nehmen, auf positive Resonanz stößt. Allerdings kann es zu
Akzeptanzproblemen kommen, wenn dieses Leistungsniveau auf
Grund der Kürzungen im zweiten Arbeitsmarkt nicht aufrechterhalten
werden kann.
Die Analyse der Zusatzleistungen erfolgte, indem drei aufeinander
folgende Fragen gestellt wurden:
1. Wie wichtig ist Ihnen das folgende Angebot an Zusatzleistungen?
(ohne Nennung der Preise)
2. Wie würden Sie die Preise für die folgenden Leistungen beurteilen?
3. Welche der Angebote würden Sie (zu diesen Preisen) gern in
Anspruch nehmen?
Die folgende Tabelle zeigt, dass die Beurteilung der Preise einen
deutlichen Einfluss auf die potentielle Nachfrage nach den Leistungen hat. So werden beispielsweise Begleitleistungen von mehr als
96
40
vier Fünfteln der BefragungsteilnehmerInnen als wichtig eingestuft,
der Preis für diese Leistung aber überwiegend als zu teuer empfunden, sodass die potentielle Nachfrage gegenüber der eigentlichen
Präferenz auf 77% absinkt. Ein genau gegenteiliges Beispiel findet
sich für den Mittagstisch in der Begegnungsstätte. Hier steigt die
potentielle Nachfrage – wie angenommen wird, auch durch die als
angemessen empfundenen Preise – von etwa 84% auf über 95% der
Befragungsteilnehmer/innen.
Tabelle 3: Analyse der Zusatzleistungen
Präferenzen
(N = 56)
wichtig
nicht
wichtig
Preise (N = 54)
angemessen
teuer/
zu teuer
Nachfrage (N = 64)
eher ja
eher nein
Hauswirtschaftliche
Hilfe
94,3%
5,7%
37,0%
63,0%
84,6%
15,4%
Reparaturservice
91,2%
8,8%
53,8%
46,2%
94,9%
5,1%
Begleitleistungen/
kleine Erledigungen
85,3%
14,7%
22,5%
77,5%
77,1%
22,9%
Mittagstisch in der
Begegnungsstätte
84,4%
15,6%
73,8%
26,2%
95,3%
4,7%
Waschsalon
84,4%
15,6%
70,0%
30,0%
83,6%
16,4%
Hilfen bei der Körperpflege
70,4%
29,6%
30,8%
69,2%
79,4%
20,6%
Anmietungen Gästezimmer
67,6%
32,4%
36,6%
63,4%
85,0%
15,0%
80,6%
19,4%
81,3%
18,7%
71,9%
28,1%
74,1%
25,9%
Anmietung d. Begegnungsstätte bis 3
Std.
Anm. d. Begegnungsstätte jede
weitere Std.
66,7%
33,3%
Eine weitere sehr wichtige Frage für die Weiterentwicklung der
Angebotsstruktur in Trotha stellt sich in Bezug auf das Angebot eines
Pflegedienstes im eigenen Haus. Aus diesem Grund wurden die
BefragungsteilnehmerInnen nach ihren Wünschen bezüglich eines
Pflegedienstes befragt. 13 BewohnerInnen gaben an, einen Pflegedienst im Haus oder in der Nähe zu wünschen, wobei 3 dieser
BewohnerInnen bereits heute pflegebedürftig sind.
97
Dieses Ergebnis lässt folgende Aussagen zu:
1. Die Einrichtung eines eigenen Pflegedienstes oder eine Kooperation mit einem Pflegedienst erscheint zur Zeit dann sinnvoll,
wenn Leistungen dieses Pflegedienstes auch in benachbarten
Siedlungen nachgefragt würden. Dieses Nachfragepotential müsste analysiert werden.
2. Immerhin 10 Bewohner/innen, die heute noch nicht pflegebedürftig
sind, wünschen sich einen Pflegedienst im Haus oder in der Nähe;
dies bedeutet, dass die Einrichtung eines Pflegedienstes in einem
der drei Punkthochhäuser in Trotha eine von den Bewohner/innen
wahrgenommene Qualitätsverbesserung darstellen kann.
98
Ansätze zur Weiterentwicklung des Service-Wohnens in Halle
Konrad Potthoff, Senioren-Kreativ-Verein Halle
Mein Name ist Konrad Potthoff, ich bin geschäftsführender Vorsitzender des Senioren-Kreativ-Vereins. Ich bin jetzt in der etwas schwierigen Situation, dass ich in einer halben Stunde drei Tagesordnungspunkte abarbeiten muss. Ich werde es versuchen so zu packen,
indem ich es mit These, Antithese und Synthese versuche (heute hat
ja Hegel schon eine gewisse Rolle gespielt, indem vom Allgemeinen
zum Besonderen gegangen worden ist). Ich möchte zunächst den
ursprünglichen Ausgangspunkt schildern, wie wir zum Wohnprojekt
gekommen sind; zum Zweiten aufzählen, was wir als gescheitert
ansehen, und wo wir denken, dass – wenn wir darauf nicht reagieren
würden – dieses Wohnprojekt früher oder später als gescheitert
angesehen werden müsste; und dann versuchen, die Synthese zu
schildern, nämlich wie wir auf diese Probleme antworten, wie wir versuchen, das in den Griff zu bekommen und das Projekt umzugestalten.
Vielleicht noch eine kurze Ergänzung zum Senioren-Kreativ-Verein:
Wir sind kein reiner Praktikerverein, sondern wir haben 500 Mitglieder, davon erscheinen bei Versammlungen 400. Wir organisieren im
Monat ca. 500 Veranstaltungen, die 4.000 bis 5.000 Leute erreichen.
Wir haben ca. 300 Mitarbeiter, viele auch aus dem zweiten Arbeitsmarkt. Wir haben 1.000 Kinder in den Kindergärten, also 150 der
Mitarbeiterinnen sind allein schon Kindergärtnerinnen.
Nun zum Wohnprojekt. Wie schon gesagt: Als Kulturverein gegründet, wurde Wohnen immer mehr zum Thema in unserem Verein.
Unter den Mitgliedern wurde verstärkt auch die Frage gestellt, ob wir
in dieser Richtung nicht etwas machen möchten. Trotha war eigentlich ganz anders angedacht, als es sich jetzt darstellt. Wir wollten
ursprünglich ein Projekt schaffen, in dem sozusagen in einem vorhandenen Wohnumfeld (in einer ganz normalen Wohnsituation) eine
Service-Station eingerichtet wird, die – wenn man so will – flankierende Dienstleistungen, die das Wohnen im Alter erleichtern, organisiert. Das hatte zwei Hintergründe: Einmal die Verbesserung des
Wohnumfeldes älterer Menschen und zum Zweiten, dass wir versuchen, Arbeitsplätze zu schaffen, denn man muss auch die Situation im Osten im Blick haben - wir haben den Verein ja auch als
Reflex auf die Wende und die auftretende Arbeitslosigkeit entstehen
lassen. Wir vertreten ziemlich strikt die Philosophie, dass wir sagen:
99
wir wollen Arbeitsplätze in einem zweiten Arbeitsmarkt schaffen, die
nicht davon leben, dass sie Sandhaufen von einer Seite auf die
andere schütten, sondern, dass sie, z.B. im sozialen Bereich, sinnvolle Aufgaben bekommen. Das stellte sich damals, 1995, als wir uns
dieses Wohnprojekt haben einfallen lassen, auch noch ganz anders
dar. Da gab es z.B. im Chemiebereich allein 40.000 - 50.000 Entlassungen binnen kürzester Zeit, und über einen Fonds für ältere
Beschäftigte sollte der Übergang in den Vorruhestand erleichtert
werden. Die Initiatoren des Vereins waren der Meinung – damals
noch –, dass ihre Arbeitskräfte, die von ihnen finanziert wurden und
nur z.T. vom Arbeitsamt finanziert wurden, direkt im Dienstleistungsgewerbe tätig werden können. Da hat uns natürlich irgendwann
früher oder später das Finanzamt mal zurückgepfiffen, und uns wurde klar, dass das im Grunde genommen nicht geht – aber so haben
wir angefangen, speziell mit solchen Mitarbeitern. Und dann kam ein
seltsamer Effekt - ich versuche jetzt einfach, das Projekt für Sie
nachvollziehbar zu machen. Es gibt ja eine seltsame Sogwirkung bei
solchen Projekten. Es gibt z.B. auch viele, die gern bei einem relativ
erfolgreichen Projektansatz mitgehen – sagen wir es mal so vorsichtig ausgedrückt. Das war in diesem Falle das Land. Das Land war
bereit, der Halleschen Wohnungsgesellschaft (HWG) speziell für
diese drei Häuser Fördermittel zur Verfügung zu stellen, damit sie
total saniert werden können. Das war von uns in dem Sinne nicht
erwartet worden, denn wie hatten wir die Häuser vorgefunden? Wir
hatten Häuser gesucht, in denen überdurchschnittlich viele ältere
Menschen leben. Und wir kannten diese Häuser in Trotha als solche
Häuser (ich sage das jetzt mal für die, die nicht hier aus dieser Ecke
kommen), die zu DDR-Zeiten „Wohnklo mit Kochnische“ genannt
wurden. Aber man muss Folgendes dazu sagen: Als diese Anfang
der 60er Jahre gebaut wurden, waren das ganz begehrte Einraumwohnungen. Es bestand damals ein hoher Mangel an Einraumwohnungen. Aber 1990 waren die Häuser in einem Zustand, in dem
sie schlicht und einfach „verslumten“. Die Hälfte der Bewohnerschaft
war noch der alte Stamm, aber mittlerweile hat es auch viele
Umsetzungen gegeben, z.B. von Alkoholkranken. Von den Wohnungen waren anfangs ca. 50 von Alkoholkranken belegt, jetzt haben wir
noch immer einen ziemlich hohen Prozentsatz von ihnen; und das ist
eine sehr problematische Bewohnergruppe.
Wir konnten nun davon ausgehen, dass unser Projekt in der Form,
wie wir es angedacht hatten, erst einmal gescheitert war, weil wir
nicht in der angedachten Art und Weise Dienstleistungen anbieten
konnten, sondern es war ein ganz anderes Phänomen, auf das erst
100
einmal reagiert werden musste. Diese drei Häuser wurden im
bewohnten Zustand total saniert. Man stelle sich das vor: 27 qm, da
müssen die Möbel früh von der einen Ecke in die andere gerückt
werden und abgedeckt werden. Am Abend wieder an die alte Stelle,
damit man überhaupt darin wohnen kann. Nun waren wir in der
Situation, dass wir gesagt haben: O.K., wir engagieren uns dort. Das
ist auch eine Chance, wenn wir jetzt, in dieser schwierigen Zeit, für
die Mieter da sind, dann haben wir danach auch einen besseren
Stand. Denn man darf dieses Projekt nicht verwechseln mit irgendeinem Neubau, wo unter diesen Bedingungen Menschen einziehen,
sondern die ursprünglichen Mieter wohnten weiter dort, und wir
kamen dann als „Projekt“ eigentlich nur hinzu. Das bedeutet schon
eine bestimmte Qualität, eine bestimmte Arbeit und eine bestimmte
Leistung, wenn man es tatsächlich schafft, binnen zwei Jahren 150
Mieter – also fast die Hälfte – davon zu überzeugen, dass sie eine
solche Service-Vereinbarung abschließen und sich auf das Projekt
einlassen. Denn es wohnen ja auch noch viele jüngere Leute in den
Wohnhäusern, und es geht nicht darum, diese herauszudrängen - wir
sind ja auch kein Freund von Gettoisierung des Wohnens von älteren
Leuten. Es ist uns dann das Kunststück gelungen, eine Maßnahme
mit 30 ABM-Mitarbeitern zu organisieren, die dann im Schichtsystem
den Mietern geholfen haben, diese Sanierung zu überstehen. Das
war hoch dramatisch. In dieser Zeit entstand die Begegnungsstätte
Delta. Diese war auch ein Reflex auf die ganze Geschichte, da wir in
dieser Begnungsstätte Betten aufgebaut hatten und man am Mittagstisch teilnehmen konnte. Wir haben dort Kulturarbeit gemacht, damit
die Bewohner dieser Häuser die Möglichkeit hatten, sich tagsüber
etwas von diesem Baugeschehen zu entfernen.
Nun entstand ein neuer verrückter Effekt, an dem wir heute noch
kranken und mit dem wir noch Riesenprobleme haben. Als diese
Rekonstruktionsmaßnahmen beendet waren, hatten wir nach wie vor
diese 30 Mitarbeiter und zusätzlich noch unsere anderen Mitarbeiter,
die schon vorher in das Projekt einbezogen waren. So, was passierte
nun? Wir hatten ja damals auch noch nicht allzu viele Service-Vereinbarungen. Die Folge war, dass wir (ich übertreibe etwas) einen besseren „Betreuungsschlüssel“ hatten als ein Intensivbett in einem
Krankenhaus. Und diese Geschichte wirkt noch fort, weil die Anforderung an das Wohnen in diesem Hause teilweise wirklich von unangemessenen Erwartungen begleitet wird (deswegen bekomme ich
bei der hohen Zufriedenheit, die in der Befragung ermittelt wurde,
auch etwas Bauchschmerzen). Wir stehen nun vor der undankbaren
Aufgabe, durch ein „Tal der Tränen“ zu marschieren, und dieses
101
ganze Projekt wieder auf ein Maß zurück zu bringen, in dem es
machbar ist; und vor allen Dingen, wo es sich „rechnet“. Ich weiß
nicht, ob Sie wissen, was im Augenblick hier im Osten los ist? Diese
Riesenmogelpackung, die hier entstanden ist, kracht zusammen. Es
hat faktisch kein Verein in dem letzten halben Jahr eine ABM-Maßnahme verlängert oder eine neue Maßnahme genehmigt bekommen.
Keiner weiß so richtig, wie der zweite Arbeitsmarkt hier im Osten
überhaupt weitergeht. Die Tendenz geht mehr in die Richtung wie im
Westen.
Das Zweite ist: In dem laufenden Haushaltsjahr sind von der Kommune 20% Haushaltskürzungen für freie Träger angemeldet worden.
(Im Sommer waren wir schon mal so depressiv, dass wir uns besorgt
gefragt haben, ob wir nicht evtl. hier bei dieser Gelegenheit die Grabrede auf unseren Verein halten müssen.) Es geht uns also im Augenblick tagtäglich darum, dass Vereine die Vereinslandschaft einigermaßen überstehen, und ich sage deswegen „Mogelpackung“, weil
nach der Wende im Grunde genommen eine wunderbare Infrastruktur an sozialen und kulturellen Möglichkeiten, Vereinen usw. entstanden ist, aber diese Infrastruktur baut im Wesentlichen auf dem
zweiten Arbeitsmarkt auf. Wenn das jetzt alles weg bricht, dann geht
mehr verloren als nur diese (relativ sinnvollen) Arbeitsstellen des
zweiten Arbeitsmarkts; dann brechen eben tatsächlich auch viele
Initiativen, soziale Projekte usw. weg.
Uns war das klar. Seit einem Jahr versuchen wir im Grunde genommen, dieses Wohnprojekt umzubauen, indem wir versuchen, vom
zweiten Arbeitsmarkt unabhängig zu werden. Das ist eine riesengroße Aufgabe und ist im Grunde genommen ein Feilschen um jeden
Posten, ein Feilschen um jede Tätigkeit, die wir eingeführt haben –
wie können wir die halten? Unser ursprünglicher Anspruch war der,
dass wir (das ist schon ein hoher Anspruch) für drei Hochhäuser eine
24-Stunden-Präsenz gewährleisten wollten. Das war deswegen notwendig (und das ist heute auch noch so), weil es dort sehr viel
Randale gibt, wenn keiner aufpasst. Ein wichtiges Ergebnis dieser
ersten Phase war letztlich, dass es uns gelungen ist, einen in meinen
Augen relativ vorbildlichen und interessanten Vertrag zwischen
einem gemeinnützigen Verein und einer Wohnungsgesellschaft auszuhandeln, dass sich eine Wohnungsgesellschaft und ein Verein
gemeinsam darauf eingelassen haben, ein solches Projekt miteinander zu wagen. Das war sehr wichtig, jeder hat etwas davon. Wir
haben davon, dass wir versuchen können, ein soziales Projekt aufzubauen. Die Wohnungsgesellschaft hat im Zweifelsfalle davon, dass
102
sie tatsächlich einen hohen Vermietungsstandard hat, eine fast
100%-ige Auslastung, also wenig Leerstand. Zum Zweiten hat sie
durch unsere ständige Präsenz den Vorteil, dass ein Werterhalt dort
in dieser Anlage stattfindet, und dass das, was dort investiert ist,
tatsächlich noch ein Weilchen bestehen bleibt.
Das war ein Ergebnis; und das zweite war schlicht und einfach, dass
es damals noch keine solchen Workshops wie den heutigen hier gab
- wir waren damals, als wir angefangen haben, relativ einsam mit
dem Wissen und der Erkenntnis dessen, was eigentlich ältere Bürger
an Dienstleistung wünschen und möchten. Wir konnten es relativ
großzügig angehen, das herauszubekommen und ich denke, wir
haben eine ganze Menge herausbekommen. Das wird uns auch helfen, z.B. in Zukunft den Preiskatalog der notwendigen Dienstleistungen etwas differenzierter zu gestalten, diese magischen 20 DM zu
durchbrechen, anders heranzugehen und anders darüber nachzudenken. Dass man z.B. nicht mehr sagt: „für 20 DM gibt es eine
pauschale Haushaltshilfe“, sondern dass man auch Fenster putzen
anbietet, und dann weiß der, der Fenster putzt: Es darf nur 10
Minuten dauern, sonst ist es nicht bezahlt. Dann kann man das
jedenfalls nicht für 5 DM machen. In dieser Richtung müssen wir
mehr arbeiten. Die Antithese ist eigentlich die: Wir sind zu der
Erkenntnis gekommen, so wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter. Ein
solches Wohnprojekt in so starkem Maße von dem Zweiten Arbeitsmarkt abhängig zu machen, führt früher oder später ins Nichts, weil
kein Verlass darauf ist. Deswegen besteht schon seit einem Jahr
unsere Überlegung, wie wir das ganze umgestalten.
Wie gestalten wir es nun um? Unser ganzes Nachdenken ist zwangsläufig zielorientiert in einer Richtung. In diesen Häusern wohnen
Menschen mit dem so genannten „WBS“ (Wohnberechtigungsschein). Einen Wohnberechtigungsschein bekommt derjenige, der
weniger als 23.000 DM im Jahr zur Verfügung hat. D.h. dass es nur
eine bestimmte Summe Geld gibt, die z.B. für ein solches ServiceWohnen von der Grundpauschale bis hin zur Dienstleistung ausgegeben werden kann. Wir wollen aber genau für diese Gruppe auch
ein Projekt machen, denn – zumindest hier im Osten – werden bald
die Renten in katastrophale Tiefen absacken. Das hängt schlicht und
einfach damit zusammen, dass wir z.B. noch einen hohen Anteil von
älteren Frauen hatten, die zu DDR-Zeiten voll berufstätig waren.
Dieser Anteil von Frauen wird immer weniger werden, weil nämlich
die damals jüngeren Frauen nun ins Rentenalter kommen, die nach
der Wende arbeitslos waren. Also geht die ganze Geschichte mit der
103
Rente nochmals herunter. Gleichzeitig werden es mehr Menschen in
dem Alter sein. Wir werden also immer größere Gruppen haben,
durch die auf die Gesellschaft ein Druck zukommt, dass irgendetwas
für sie getan werden muss. Deswegen halten wir an diesem Modell
fest. Denn es ist natürlich ganz einfach alles damit zu beantworten,
dass man nur noch Projekte macht, in denen ein größeres Entgelt
entgegen genommen wird, womit man z.B. das Personal durchfinanzieren kann. Unser Ehrgeiz ist der, mit dem spitzen Bleistift ganz
differenziert zu rechnen, bei möglichst optimalen Service-Leistungen;
das wirkt sich dann auf die Grundpauschale aus.
Wir müssen auch das Notrufsystem ändern. Wir haben im Augenblick Notrufgeräte, die im Notfall am besten funktionieren, wenn man
sie durchs Fenster wirft und es kracht dann unten. (Es sind Handsprechgeräte, die langsam ein bisschen veraltet sind.) Wir kommen
wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit dem Ändern des Notrufsystems zwangsläufig in einen Bereich, wo wir irgendwann mal 100
DM berechnen müssen. Die Pauschale von 60 DM wird wahrscheinlich unterm Strich nicht zu halten sein. Für diese 100 DM wird es
dann allerdings – wie schon gesagt – eine 24-Stunden-Präsenz
geben. Es wird tagsüber einen Ansprechpartner geben, der ServiceLeistungen vermittelt, der berät etc. Wie viele das unterm Strich nutzen werden, kann man im Augenblick nicht beantworten, weil wir ja
noch diesen Spielraum nach oben haben. Wir haben ja erst 150
Verträge, und rein theoretisch schließt jeder, der nun neu einzieht,
einen Vertrag mit uns ab. Dadurch entsteht längerfristig die Bedarfsgrundlage, auf der wir ein Grundleistungspaket zusammen stellen
und kalkulieren können; und dann gibt es einen Service vor Ort, also
eine Service-Gruppe, die nur für diese Häuser tätig ist, und wir können natürlich nur so viele einstellen, wie tatsächlich Service angefordert wird.
Ich versuche jetzt einmal zu erklären, wie dieses Modell sozusagen
in Zukunft betrieben werden soll: Wir begreifen dieses Projekt mittlerweile als Projekt von vier Partnern. Das ist einmal einer von uns.
Wir haben jetzt eine Dienstleistungs-GmbH gegründet, „49 Plus
Dienstleistung“, die faktisch die Wohnprojekte betreiben und die
Dienstleistung bereitstellen soll. Wenn wir nur diesen Betreiber hätten, würden wir uns nicht wesentlich von anderen kommerziellen Modellen unterscheiden. Der zweite Partner und gleichzeitig
Gesamt-Koordinator ist nach wie vor der Senioren-Kreativ-Verein,
der das gemeinnützige Element hineinbringt. Er wird nämlich in
Zukunft die Begegnungsstätten betreiben. Wir haben insgesamt drei
104
Begegnungsstätten in dem Objekt und wir hoffen, dass es wenigstens für die Begegnungsstätten eine Möglichkeit gibt, Mitarbeiter
über den zweiten Arbeitsmarkt zu beschäftigen. Der dritte Partner ist
MediPart. Das ist ein Pflegedienst, der mit uns eng und vertraglich
verbunden ist. Er wird eventuell – das ist noch nicht hundertprozentig
geklärt – jetzt in den Häusern übergangsweise eine Kurzzeitpflege
einrichten. Es soll von der HWG aus ein Verbindungsbau zwischen
den Hochhäusern, die unmittelbar nebeneinander stehen, gebaut
werden, und dann kommt dort die Kurzzeitpflege hinein. Das hat nun
wieder den Vorteil, dass wir, wenn wir die Kurzzeitpflege in enger
vertraglicher Bindung haben, auch das Problem der 24-Stunden-Präsenz teilweise mitgelöst haben.
Wir haben dann auch eine höhere Qualität, was den Notruf anbetrifft.
Denn das ist kein anonymer Notruf, der irgendwo aufläuft, sondern
geschultes Personal kann Erste Hilfe leisten. Das ist zum Beispiel ein
Qualitätsfaktor, den wir versuchen, damit zu erreichen. Außerdem
gibt dieser Pflegedienst der „49 Plus GmbH“ Aufgaben ab. Also sie
betreiben sozusagen die unmittelbare medizinische Pflege und
beschäftigen die „49 Plus“ als Subunternehmer für alle hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, sodass beides in einander greift. Der vierte
Partner ist die Hallesche Wohnungsgesellschaft, also der Besitzer
der Häuser. Sie stellen uns einmal bestimmte Räumlichkeiten
kostenlos zur Verfügung, unterstützen uns aber noch in einer ganz
wichtigen Frage - das muss auch noch konsequent weiter ausgebaut
werden: Zum Beispiel hat jetzt „49 Plus“ die Hausmeisterdienstleistungen in den Häusern übernommen. Wir stellen also der HWG
den Hausmeister, den wir dort beschäftigen, in Rechnung. Der Hausmeister ist dann nicht dieser „anonyme Hausmeister“, sondern ist
gleichzeitig mit dem entsprechenden Hintergrundwissen in unser
Projekt eingebunden. Die HWG hilft auch, dass „49 Plus“ am Leben
gehalten werden kann dadurch, dass andere Dienstleistungen, die
von der HWG für diese Objekte gebraucht werden, von „49 Plus“ mit
erledigt werden. Diese Vierer-Konstellation soll im Grunde genommen in Zukunft das Projekt dort händeln und uns in zunehmendem
Maße von dem Zweiten Arbeitsmarkt unabhängig machen. Die
Begegnung wird dann auch in aufsuchender Arbeit von den Begegnungsstätten ausgehen.
Noch ein paar Worte dazu, was wir in Zukunft als Schwerpunkte dieses Projektes sehen: Wir haben ca. 35 demente Bewohner, die eine
besondere Betreuung benötigen. Wir versuchen jetzt, ein „Projekt im
Projekt“ zu organisieren: Wir entsprechen der Problemsituation, wie
105
sie besteht, indem wir mit bestimmten Menschen zusätzliche Sozialarbeit und Betreuungsarbeit organisieren wollen.
Dann versuchen wir, von diesen Häusern aus auch ins Territorium zu
kommen: Einmal mit „49 Plus“, aber auch mit dem Pflegedienst. Wir
versuchen, weitere Dienstleistungen von Seiten der HWG zu übernehmen, um „49 Plus“ tatsächlich stabil zu machen, damit auch
genügend Leute gehalten werden können, die bei Anforderung von
Dienstleistungen reagieren können.
Dann, was ganz wichtig ist: Wir legen sehr viel Wert auf das Ehrenamt. Ich denke, wir können vieles organisieren (und dadurch
insgesamt für die Bewohner billiger machen), wenn wir bestimmte
Dinge über das Ehrenamt organisieren. Es muss z.B. nicht immer
den ganzen Tag ein hoch bezahlter Pförtner in der Loge sitzen, das
könnte auch ein Ehrenamtlicher sein. Am besten wäre natürlich, es
wäre jemand aus den Häusern, der noch die wichtige Komponente
des „kleinen Schwätzchens“ mit einbezieht. Also: Erweiterung des
Ehrenamts, natürlich auch im Bereich der Begegnungsstätte.
Hinzu kommen all diese Dinge, die wir potenziell als Verein nutzen
können. Zum Beispiel hat jetzt eine der ältesten Bewohnerinnen
dieses Wohnprojektes ihre Lebenserinnerung geschrieben, und wir
haben sie in dem vereinseigenen Verlag veröffentlicht. Man kann
Lesungen von unseren schreibenden Senioren durchführen und ähnliche Angebote machen. Wir versuchen dabei sauber zu trennen: Die
Dienstleistung, die getan werden muss, soll durch „49 Plus“ so
erledigt werden, dass sie sich rechnet. Das Personal, das ich dort
vorhalte, muss sich tatsächlich rechnen. Aber diese Komponente des
Gespräches, des Herzlichen etc. muss dann in irgendeiner Form
auch in Kommunikation miteinander von den Begegnungsstätten aus
geleistet werden.
Dann sind wir noch auf etwas ganz Wichtiges gestoßen, und damit
möchte ich abschließen: Wir sind über das Phänomen der Begrifflichkeit gestolpert. Wir wagen es nicht mehr, unser Projekt „Betreutes
Wohnen“ zu nennen, sondern wir machen ein „Service-Wohnen“. Wir
können „betreute Wohnprojekte“, etwa für Demente, zusätzlich zum
Service-Wohnen anstreben. Wir können bestimmte Projekte mit
intensiverer Betreuung dort integrieren, aber insgesamt bieten wir ein
Service-Wohnen an. Es handelt sich sozusagen um freie Menschen,
die freie Mieter in normalen Mietverhältnissen sind, und wir bieten
zusätzlich diese Service-Vereinbarung an. Wenn wir das nicht sauber
106
trennen, dann rächt sich das früher oder später, weil wir den
Anspruch, der hinter dem „Betreuten Wohnen“ im Sinne einer Intensivbetreuung steht, unterm Strich nicht erfüllen können.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß: Schauen Sie sich unser Projekt an.
Und ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Aufenthalt hier in
unserer Stadt.
107
Qualitätsstandards des Service-Wohnens
Qualitätsanforderungen an Betreutes Wohnen: Welche Hilfen
brauchen Berater?
Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe
Eines der zentralen Probleme beim Betreuten Wohnen ist, dass es
keine fest definierten Qualitätsstandards gibt und dass es keine Qualitätskontrollen auf dem Markt des Service-Wohnens gibt. Ich will hier
nicht darüber sprechen, welche Mindestanforderungen im Bereich
der baulichen Standards und in Bezug auf die Betreuungskonzeption
erfüllt sein müssten, um von einem qualitativ wertvollen Angebot
ausgehen zu können, das Betreutes Wohnen von normalem Wohnen
unterscheidet und auch die Erhebung einer Betreuungspauschale in
gewissen Grenzen erlaubt. Darüber wird das nachfolgende Referat
von Herrn Prof. Saup auf Grund seiner interessanten Untersuchungsergebnisse ausführlicher informieren können.
Ich möchte an dieser Stelle nur einen kurzen Überblick geben über
die Instrumente, die erforderlich sind, um den Markt des Betreuten
Senioren-Wohnens „zu zivilisieren“. Ich denke, dass man hierfür an
drei Punkten ansetzen muss
1. Markttransparenz verbessern durch bessere Aufklärung der älteren Menschen
2. Unterstützung bieten bei der Wahrung und Durchsetzung der
Rechte der Nutzer
3. Qualifizierung der Berater in kommunalen wie gemeinnützigen
Senioren-Beratungsstellen
Hierzu wurde ein Projektentwurf erarbeitet, den das KDA in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und dem
Institut für angewandte Verbraucherforschung in Köln durchführen
wird. Die Untersuchung umfasst drei Teilprojekte
⇒
Qualitative Interviews mit tatsächlichen und potentiellen Nutzern,
um die Bewohnerzufriedenheit zu ermitteln (IFAV)
⇒
Erstellung eines Ratgeber mit Checklisten (AgV)
⇒
Erstellung einer Arbeitshilfe für Berater (KDA)
109
Ich will hier etwas näher auf die „Arbeitshilfe für Berater“ eingehen.
Wie kann diese dazu beitragen, den Markt des Betreuten SeniorenWohnens zu zivilisieren?
1.
Mehr Markttransparenz durch bessere Informationsmöglichkeiten
Erfassung des lokalen Angebotes durch ein lokales Verzeichnis
Wichtig ist zunächst einmal, dass Berater sich einen genauen Überblick über das lokale Angebot verschaffen. Es gibt keine zentrale
Erfassung der Versorgungsangebote des Betreuten Wohnens, wie
dies z.B. für andere Altenhilfeeinrichtungen in den Heimstatistiken
erfolgt. Dies führt zu einer mangelnden Transparenz des Gesamtangebotes. Eine bundesweite und damit flächendeckende Überschaubarkeit des Gesamtangebotes ist kaum zu erreichen. Versuche
in dieser Hinsicht sind problematisch, weil es keine klaren Begriffsdefinitionen gibt, welche Einrichtungen unter das Betreute Wohnen
fallen und weil dieses Marktsegment zurzeit eine dynamische Entwicklung durchläuft. Dies wird schon an der Verdoppelung des
Gesamtangebotes in den letzten Jahren deutlich. Nur auf lokaler
Ebene wird man einen stets aktuellen Überblick herstellen können.
Wünschenswert sind daher lokale Verzeichnisse. Vor allem auf
regionaler Ebene muss der Markt des Betreuten Wohnens transparent gemacht werden. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Verzeichnissen auf regionaler Ebene, die das Angebot des Betreuten Wohnens erfassen. Dies ist ein erster Schritt, um potenzielle Nutzer über
das örtliche Angebot informieren zu können.
Aber wie geht man methodisch vor, um das lokale Spektrum auch
der geplanten Angebote zu erfassen? Wie und wo macht man eine
Adressenrecherche? Wie geht man vor, damit die Anbieter für die
Bestandserhebung gewonnen werden können? An diesem Punkt
setzt die Arbeitshilfe für Berater an. Die Arbeitshilfe für Berater soll
beschreiben, mit welcher methodischen Vorgehensweise man das
regionale Gesamtangebot erfassen kann.
Qualitative Bewertung des lokalen Angebotes
Um qualifiziert beraten zu können, reicht es nicht, dass man über die
Anzahl und Verteilung der Angebote genau Bescheid weiß. Wichtig
110
ist, dass man das Angebot vor Ort qualitativ einschätzen kann und
die Leistungsstandards der einzelnen Angebote vergleichen kann. Es
gibt zurzeit vereinzelte Versuche von kommunalen Beratungsstellen,
das regionale Angebot für sich zu erschließen und die Angebote mit
Leistungen und Entgelten in vergleichender Form aufzuführen. Die
Stadt Nürnberg ist hier beispielhaft hervorzuheben. Sie hat einen
Leitfaden zur Beurteilung der Leistungen und der Qualität von Einrichtungen des Betreuten Wohnens in Nürnberg heraus gebracht, der
auch überörtlich wichtige Informationen enthält, aber vor allem versucht, das lokale Angebot qualitativ transparent zu machen.
Problematisch ist, dass jede einzelne Beratungsstelle darauf angewiesen ist, eigene Erhebungsinstrumente zur qualitativen Bewertung
des Angebotes zu entwickeln. Dies bedeutet letztlich eine eigene
Entwicklung von qualitativen Mindeststandards, die von den Beratungsstellen jeweils neu vorgenommen werden müssen. Bei der
Erfassung der Angebote beschränkt man sich wegen dieser Problematik zumeist auf eine Adressenrecherche oder auf die Frage nach
einigen wenigen quantitativen Strukturmerkmalen des regionalen
Gesamtangebotes.
An diesem Punkt setzt die Beraterhandreichung an. Sie soll Informationen darüber enthalten, wie man das regionale Gesamtangebot
nach qualitativen Kriterien bewerten und kontrollieren kann.
Die Kriterien zur Bestandsanalyse und Qualitätsbewertung sollten die
Berater aber nicht nur in die Lage versetzen, die Nutzer bedarfsgerecht zu informieren, sondern auch interessierte ältere Menschen
sowie Altenhilfeplaner für bestimmte grundlegende Problemaspekte
des Betreuten Wohnens zu sensibilisieren und den Ausbau des lokalen Angebotes an Betreuten Wohneinrichtungen bedürfnisgerecht zu
steuern. Die Beraterhandreichung soll deshalb auch Informationen
enthalten, was bei der Bedarfsplanung vor Ort zu berücksichtigen ist.
Sie sollte daher auch die Darstellung quantitativer und qualitativer
Bedarfsplanungskriterien umfassen.
2.
Fortlaufende Qualifizierung der Berater
Wichtig ist aber nicht nur, dass das Angebot durch qualifizierte Informationen transparent gemacht wird, sondern dass die Berater vor Ort
auch fortlaufend qualifiziert werden, damit sie entsprechend beraten
111
können. Die Arbeitshilfe sieht daher auch vor, Hilfen zur Qualifizierung und Fortbildung von Beratern zu geben:
Die Beraterhandreichung soll deshalb auch Informations- und Fortbildungsmaterialien zu spezifischen Themen enthalten, die grundlegende Fragen zum Betreuten Wohnen umfassen, wie z.B.
⇒
Betreutes Wohnen und das Heimgesetz
⇒
Betreutes Wohnen und Sozialhilfe
⇒
Betreutes Wohnen und Vertragsgestaltung
⇒
Mitbestimmungsmöglichkeiten in Betreuten Wohnanlagen usw.
3.
Unterstützung bei der Wahrung und Durchsetzung der
Rechte der Nutzer
Zur Zivilisierung des Marktes des Betreuten Senioren-Wohnens
gehört aber nicht nur eine Optimierung der Markttransparenz durch
bessere Information und Qualifizierung der Berater, sondern auch
eine Unterstützung der Bewohner/Nutzer bei der Wahrung und
Durchsetzung ihrer Rechte.
Rechtlich ist noch nicht geklärt, ob die Heimaufsicht zukünftig als
Kontrollorgan und Anlaufstelle für Beschwerden von Bewohnern
zuständig ist. Wenn das Betreute Wohnen im Rahmen der Novelle
des Heimgesetzes nicht unter das Heimgesetz gestellt wird und
damit nicht unter die staatliche Aufsicht fällt, müssen andere Kontrollorgane aufgebaut werden.
Hier ist vor allem an eine Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen zu
denken. SeniorenBeiräte, Senioren-Büros, Selbsthilfegruppen von
Senioren-Organisationen, alte Menschen in Altenbegegnungsstätten
und Altenklubs sollen als Kontrollinstanzen für den Markt des Betreuten Senioren-Wohnens gewonnen und damit die Selbsthilfepotenziale der älteren Menschen zur Zivilisierung des Marktes für Betreutes Wohnen aktiviert werden. Es sollen die regionalen Selbsthilfegruppen in ihrer Rolle als kontrollierende Instanzen für den Markt des
Betreuten Senioren-Wohnens gewonnen werden, sodass sie
sensibilisiert werden für die Missstände und bei der Planung oder bei
Angeboten im Bestand korrigierend eingreifen können.
112
Die Arbeitshilfe für Berater wird deshalb beispielhafte Interventionsformen mit entsprechenden Hinweisen auf weiterführende Informationen darstellen. Sie wird Adressen und Konzepte von bereits bestehenden örtlichen Initiativen, die sich als Kontrollorgane des Betreuten
Senioren-Wohnens verstehen, enthalten und Hinweise geben, wie
ein Erfahrungsaustausch unter diesen Gruppen initiiert werden kann.
Ich denke, dies sind Ansatzpunkte, um den Markt des Betreuten
Senioren-Wohnens zu zivilisieren. Der erste/ wichtigste Schritt hierfür
ist eine Definition von Mindestanforderungen an das Leistungsangebot im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens, um Missständen zu begegnen. Man braucht eine Definition von Mindestanforderungen, die von jeder altersgerechten Wohnanlage erfüllt werden sollten. Diese werden Maßstab für interne und externe Qualitätsprüfung sein, um den Markt des Betreutes Senioren- Wohnens zu
zivilisieren.
113
Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität
des Service-Wohnens
Professor Dr. Winfried Saup, Universität Augsburg
Bevor ich mich zu Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität des Service-Wohnens äußere, möchte ich einige Vorbemerkungen zur Begrifflichkeit meines Vortragstitels machen:
„Service-Wohnen“ ist für mich ein zu hinterfragendes Konzept: Hat
für die Älteren ein Service-Angebot überhaupt diese dominante Bedeutung, wie uns manche Bedarfsprognosen suggerieren? Für den
Anbieter von Betreuungs- und Pflegedienstleistungen scheint das
Interesse klarer zu sein; er möchte seine Dienstleistung verkaufen.
Aber haben viele Ältere überhaupt die finanziellen Möglichkeiten, um
diese Dienstleistungen einzukaufen? „Betreutes Wohnen“, auch das
ist ein Begriffspaar, das in seiner Bedeutung so weit geht, dass der
Begriff „Betreuung“ Erwartungen weckt, die selten einlösbar sind. Ich
persönlich präferiere das Begriffspaar „Begleitetes Wohnen“: den
Kern des „neuartigen“ Wohn- und Versorgungsangebotes für Ältere,
das unter den oben genannten Begriffspaaren angeboten wird, sehe
ich vor allem darin, dass im Lebens- und Wohnalltag jemand da ist,
der nach mir schaut und der in Notfallsituationen für mich das
Notwendige organisiert. Noch eine Vorbemerkung: Mindestanforderungen sind nach meinem Verständnis Minimalstandards, es sind
keine anzustrebenden Planungsziele. Wir unterliegen bei der Anwendung der Heimmindestbauverordnung schon diesem Missverständnis; „Mindest“-Vorgaben für den Bau von Alten- und Pflegeheimen
werden als anzustrebende Planungsziele missinterpretiert.
Im folgenden ersten Teil meines Vortrags möchte ich Ihnen meine
empirische Basis kurz vorstellen, auf der meine nachfolgenden Überlegungen zu den Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealität (in der Regel) basieren.
1.
Empirische Basis: Augsburger Längsschnittstudie zum Betreuten Wohnen im Alter
Die Augsburger Studie zum Betreuten Wohnen sei kurz im Telegrammstil charakterisiert: Unser konzeptioneller Ansatz ist ein multiperspektivischer, d.h. wir lassen uns anregen von Fragestellungen
und von Konzepten aus der Alterspsychologie, aus der Ökologischen
Gerontologie - der umweltbezogenen Alterswissenschaft – wie auch
115
aus der psychologischen Life-Eventforschung, denn der Einzug in die
betreute Wohnanlage ist u.U. ein wichtiger Lebens-Wendepunkt oder
auch ein kritisches Lebensereignis im Lebenslauf einer Person. Auch
lassen wir uns anregen von Fragestellungen und Konzepten aus den
Pflegewissenschaften.
Wir möchten auch einer „Bewohnerperspektive“ mehr Gewicht verleihen: Wir wissen viel zum Betreuten Wohnen aus Planerperspektive, und auch die Betreuungsträger können sich artikulieren. Aber es
ist bislang zu wenig von den Nutzern und über die Nutzer
- also von den älteren Bewohnern - bekannt. Unsere Fragestellungen
sind auch alltagsnah und anwendungsrelevant. Ich möchte Ihnen
Beispiele von Einzelfragen, die uns interessieren, geben:
• Wie informiert sind ältere Menschen über das Betreute Wohnen
und über alternative Betreuungs- und Versorgungsangebote vor
Ort? Betreutes Wohnen stellt ja nur einen spezifischen Lösungsversuch von mehreren möglichen für eine aktuelle Problemlage
des Alterswohnens dar.
• Welche Vorstellungen, welche Erwartungen verknüpfen Ältere mit
dem Einzug in eine Betreute Wohnung? Was sind die Einzugsgründe? Wer sind die Entscheidungsbeteiligten und wie sind die
konkreten Entscheidungsabläufe, die letztlich zum Einzug führen?
• Wie ist der körperliche und der psychische Gesundheitszustand?
Wie ist die Alltagskompetenz zur Lebensführung der Älteren vor
dem Einzug, und wie verändern sich diese Kompetenzbereiche im
Laufe des Wohnens in einer Betreuten Wohnanlage?
• Wie sind die sozialen Kontakt- und Hilfenetzwerke der Älteren zu
Familienangehörigen, Nachbarn, Freunden vor und nach dem
Einzug?
• Was zeichnet das Wohnverhalten der Älteren in der Seniorenwohnanlage, in der Wohnung und im Wohngebäude sowie das
aktionsräumliche Verhalten im nahen Wohnumfeld aus?
• Welche Nutzungsmuster des Notrufsystems lassen sich bei den
Älteren im Betreuten Wohnen feststellen?
• Wie bewerten die Älteren subjektiv ihre neue Wohnung, das
Wohngebäude, das neue Wohnumfeld?
• Wie informiert sind die Älteren im Betreuten Wohnen über das
Kontakt- und Betreuungsangebot des Betreuungsträgers? Wie
intensiv nutzen sie die angebotenen Betreuungs- und Pflegedienstleistungen, und wie zufrieden oder unzufrieden sind sie
damit?
116
Dies sind nur Beispiele einiger Fragestellungen, denen wir nachgehen.
Wodurch zeichnet sich unsere Untersuchungsanlage aus? Zwei
Merkmale sind wesentlich: Erstens haben wir verschiedene Untersuchungsgruppen und zweitens mehrere Erhebungszeitpunkte.
Zum Ersten: Wir führen eine Vergleichsgruppen-Untersuchung durch,
d.h. wir haben ältere Menschen im Betreuten Wohnen aus heimverbundenen Wohnanlagen, aus Wohnanlagen mit einem integrierten
Pflegestützpunkt und aus sogenannten solitären Wohnanlagen.
Durch die Probandenauswahl sind also unterschiedliche Organisationskonzepte des Betreuten Wohnens berücksichtigt.
Zum Zweiten: Wir haben eine Untersuchung mit Mehrfacherhebungen. Wir kontaktieren die älteren Menschen bereits vor ihrem Einzug
ins Betreute Wohnen das erste Mal; drei Monate nach Einzug ist die
zweite Erhebungswelle, die dritte Erhebungswelle zwölf Monate nach
Einzug. Zwei Jahre nach Einzug machen wir nur einen kurzen
Check: Wer wohnt noch im Betreuten Wohnen, wer ist verstorben,
wer ist in ein Heim umgezogen? Ein weiterer Erhebungszeitpunkt ist
drei Jahre nach Einzug geplant. Wir begleiten also den Lebensweg
älterer Menschen im Betreuten Wohnen über einen diachronisch
erstreckten Zeitraum.
Wie ist unser methodischer Forschungsansatz? Ich möchte ihn skizzieren als quantitativ-qualitativ, wobei der Schwerpunkt auf der
Quantifizierung liegt. Es ist eine Interviewstudie mit offenen und
geschlossenen Fragen. Sehr charakteristisch ist für unsere Arbeitsweise in den letzten zehn Jahren, dass wir ein Kärtchen-Verfahren im
Interview einsetzen, wo wir Items und Antwortmöglichkeiten in
Kärtchen-Form vorgeben. Probanden und Interviewer können wohl
auch ein kurzes Gespräch über die thematisierten Sachverhalte führen, danach aber muss sich der Proband für eine der Antwortalternativen entscheiden. Wir setzen auch einen Zeitverwendungsbogen ein, weil wir wissen wollen, wann die Älteren aufstehen und zu
Bett gehen und wie sie tagsüber die verschiedenen Räume in der
Wohnung nutzen. Der dritte methodische Zugang: Wir observieren
auch den ehemaligen Wohnstandort, d.h. durch einen „walk-aroundthe-block“ begehen wir das nähere Wohnumfeld - 300 Meter im
Umkreis des Wohnstandortes - und halten die Infrastruktur des
Wohnumfeldes fest. Wir haben auch Fremdratings über die interviewten Personen zu verschiedenen Aspekten.
117
Wie schaut die Stichprobengenerierung aus? Wir haben in die Studie
neu gebaute Seniorenanlagen einbezogen, die also noch im Bau
waren, als wir sie auswählten. Die Auswahl folgte auch pragmatischen Überlegungen, die Wohnanlagen sollten für uns von der Universität aus mit dem Auto innerhalb einer halben Stunde noch
erreichbar sein. Sieben Wohnanlagen aus der Region Augsburg wurden ausgewählt: eine Wohnanlage ist heimverbunden mit 26 Wohnungen, eine andere ist ebenfalls heimverbunden mit 31 Wohnungen, eine dritte Wohnanlage ist eine Wohnanlage mit integriertem
Pflegestützpunkt mit 45 Wohnungen, und die restlichen Wohnanlagen sind so genannte solitäre Wohnanlagen mit 53 Wohnungen bzw.
30 und 16 Wohnungen. Eine weitere solitäre Wohnanlage mit 34
Wohnungen könnte man als eine Modellwohnanlage betrachten, weil
wir die Bauherren durch einen gerontologischen Advokatenplanungsansatz bereits in der Planungsphase beraten haben, d.h. das
Architekturkonzept und das Betreuungskonzept wurde bereits in der
Planungsphase nach gerontologischen und architekturpsychologischen Gesichtspunkten modifiziert und sicherlich auch optimiert.
Zu unserer Stichprobe: In diesen 7 Wohnanlagen gab es insgesamt
240 Seniorenwohnungen. Von diesen Wohnungen waren 33 im Zeitraum von 12 Monaten nach Bezugsfertigkeit nicht belegt. In 9 Wohnungen lebten Menschen unter 60 Jahren. Somit lag die potenzielle
Ausgangs-Stichprobe bei 198 älteren Personen. Es gelang uns, von
diesen 198 Personen 173 in die erste Erhebungswelle einzubeziehen, dies entspricht einer Response-Rate von 87,4%. Die anderen
25 Personen waren entweder vor Einzug verstorben, verweigerten
eine Teilnahme oder zogen in die Wohnung, die sie gekauft hatten,
(noch) nicht ein. Bei der zweiten Erhebungswelle konnten wir von
den 173 Personen der Ausgangsstichprobe noch 149 ein zweites Mal
interviewen, dies entspricht einer Response-Rate von 86,1%. Auch
bei der dritten Erhebungswelle ist die Beteiligung der älteren Bewohner wiederum hoch. Die sehr hohe Beteiligungsquote führen wir insbesondere auf eine Reihe von Motivierungs-Maßnahmen (wie persönliche Weihnachtsgrüße, Danke-Schön-Nachmittag, etc.) zurück.
Eine hohe Beteiligungsquote ist uns sehr wichtig, weil durch selektive
Stichprobenausfälle im Vorfeld einer Studie oder während deren
Durchführung die Validität der Forschungsergebnisse bedroht sein
kann.
118
2.
Mindestanforderungen an Architektur
Ich komme zum zweiten Teil, zu Mindestanforderungen an Architektur und Betreuung. Diese betrachte ich als Gerontologe und als
Architekturpsychologe. Die ökologische Gerontologie legt ihren
Fokus auf die Mensch-Umwelt-Beziehung im Alter, und Umweltbeziehungen im Alter sind vor allem Wohn-Umfeld-Beziehungen.
Das Qualitätsspektrum Betreuter Wohnanlagen ist sehr breit, Sie wissen das aus Ihrem Umfeld. Nur teilweise gibt es in Bezug auf die
Architektur und auf das Betreuungsangebot überzeugende Lösungen. Nicht selten gibt es überzogene Versprechungen auf Anbieterseite; dies kann zu Enttäuschungen auf der Bewohnerseite und zu
Klagen über bauliche Mängel, über unzureichende Betreuung, über
unangemessene Grundpauschalen führen. Aus meiner Sicht – diese
dürfte wenigstens für Baden-Württemberg, teilweise auch für
Bayern stimmen – ist die „Expansions- und Boomphase“ des Betreuten Wohnens vorbei. Wir befinden uns derzeit in einer gesunden – so möchte ich es bewerten – „Konsolidierungsphase“. Betreutes Wohnen ist aus meiner Sicht ein joint venture von Architekt/
Bauträger und Betreuungs- und Pflegediensten. Der Architekt schafft
bauliche Voraussetzungen, setzt Rahmenbedingungen. Manchmal
vergleiche ich sein Produkt mit der Hardware eines Computersystems. Aber die Pflege- und Betreuungsdienste, vor allem die
Kontaktpersonen des Betreuungsträgers, stehen vor der Herausforderung, das Gebäude mit Leben zu füllen, eine Atmosphäre zu
schaffen. Betreutes Wohnen ist aus meiner Sicht also mehr als nur
Planen, Bauen, Verkaufen und Vermieten - das möchten ja oft die
Bauträger nur. Es ist auch mehr als Betreiben, Begleiten und
Betreuen. Betreutes Wohnen verbindet Schnittstellen von Architektur,
Sozialplanung, Management, Betreuung und Qualitätssicherung. Es
bedarf also eines multiperspektivischen und ganzheitlichen Lösungsansatzes.
Worauf kommt es für die verschiedenen Gruppen an? Worauf kommt
es für die Architekten und Baufachleute an? Dazu zwölf Aspekte:
1. Die Planung muss ganzheitlich sein. Alltag im Alter ist Wohnalltag.
Unsere Umweltbezüge schrumpfen im hohen Alter oft auf die Größe
des nahen Wohnumfeldes von 300 Meter um den Wohnstandort
herum, manchmal auf die Größe der Wohnung, im Pflegeheim
manchmal sogar auf die Größe des Zimmers und bei Bettlägerigen
auf die Größe des Bettes. Alltag im Alter ist Wohnalltag: Die
119
Wohnung hat für die Alltagsgestaltung im Alter eine sehr große
Bedeutung. Welche Funktion hat denn die Wohnung? Nun, die Wohnung ist zum einen ein Handlungsraum für die Durchführung unterschiedlicher Tätigkeiten. Beispielsweise, ich schaue fern und bügle
dabei vielleicht Hemden. Aber die Wohnung ist auch Wahrnehmungsraum. Ich möchte optische, akustische, taktile Anmutungserfahrungen haben. Beim Blick auf eine Wand mutet mich diese
optisch an. Ich erkenne Muster, Farben, Kontraste usw. Die Wohnung ist auch Wahrnehmungsraum für Geräusche, für Töne, ich
möchte dort auch etwas hören. Die Wohnung ist auch Wahrnehmungsraum für mein „Takt-Gefühl“. Die Wohnung ist aber nicht nur
Handlungs- und nicht nur Wahrnehmungsraum, sondern sie ist
drittens auch Gefühlsraum. Ich möchte mich in meiner Wohnung
behaglich fühlen, ich möchte mich dort zu Hause fühlen. Diese
stimmt mich emotional. Die Wohnung ist darüber hinaus aber auch
Identifikationsraum, sie ist ein Teil von mir, ich wohne als älterer
Mensch oft Jahrzehnte schon in dieser Wohnung, sie ist Teil meiner
eigenen Biografie. Architektur, wenn sie Seniorenwohnungen plant,
soll nicht nur für den Handlungsraum planen. Ich komme noch darauf
zurück.
2. Grundlegend aus meiner Sicht ist auch die Standortwahl. Es ist
eine grundlegende Entscheidung mit weitreichenden Folgen für den
Lebensalltag der Älteren. Nicht jedes Spekulationsobjekt eignet sich
als Standort für eine Seniorenwohnanlage. Eine Seniorenwohnanlage müsste zentrumsnah platziert werden, mit sehr guter Infrastruktur im unmittelbaren Wohnumfeld. Wir wissen aus der gerontologischen Forschung, wie distanzempfindlich die außerhäuslichen
Aktivitätsmuster alter Menschen sind. Es ist ein wesentlicher Gesichtspunkt. Aber es gibt noch weitere Gesichtspunkte. Wenn Sie
sich mal anschauen, aus welcher Wohnumgebung ältere Menschen
ins Betreute Wohnen ziehen: Nach unseren Forschungsergebnissen
kommen viele aus einem Wohnumfeld mit relativ guter Infrastruktur.
Bushaltestellen haben sie fast alle, Briefkästen auch, Gaststätten
auch, Frisör, Bäckerei 60%, Bank, Sparkasse 50%, Apotheke, Arztpraxis. Und jeder Zweite hat das im unmittelbaren Umfeld von 300
Metern im Umkreis der Wohnung.
Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist relevant in Bezug auf die Standortwahl. Viele ältere Menschen, die ins Betreute Wohnen ziehen,
haben zum Zeitpunkt des Einzugs bereits gesundheitliche Beschwerden: 71% unserer Probanden haben beispielsweise Geh- und
120
Bewegungsbeschwerden. Deshalb ist dieses „Distancing“ so entscheidend. 80% haben andauernde oder wiederkehrende Beschwerden, 70% Geh- oder Bewegungsbeschwerden, 65% Herz-Kreislaufbeschwerden. Auch haben - und das scheint mir sehr wichtig zu
sein - über 50% Sehbeschwerden, 50% Hörbeschwerden. Das sind
Aspekte, die eigentlich bei jeder Planung mit bedacht werden müssten.
Dass die Standortfrage für ältere Menschen sensibel ist, lässt sich
auch an der subjektiven Bewertung von Merkmalen der Wohnung,
des Wohngebäudes und des Wohnumfeldes erkennen. Die Wohnung
und das Wohngebäude sind in unserer Untersuchung zur zweiten
Erhebungswelle deutlich besser bewertet worden, als das aktuelle
Wohnumfeld der Betreuten Senioren-Wohnanlage. 55% bewerten die
Einkaufsmöglichkeiten um die Betreuten Wohnanlagen herum als
gut. Nur 35% bewerten die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten als gut.
Die Möglichkeit, in der Wohnumgebung im Freien auf einer Bank
oder einer anderen Sitzgelegenheit Platz nehmen zu können, bewerten 44% als gut. Durch unsere 3. Erhebungswelle werden wir etwas
darüber erfahren, wie erreichbar die infrastrukturellen Einrichtungen
in der Wohnumgebung für die Älteren im Betreuten Wohnen sind,
und wir werden auch mehr wissen über außerhäusliche Nutzungsmuster der Infrastruktur.
3. Bauen für Senioren braucht erweiterte Planungsgrundlagen. Die
DIN 18025 ist sicherlich eine Errungenschaft, eine wichtige Planungsgrundlage, aber aus meiner Sicht müssten Barrieren- und
Schwellenfreiheit eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. DINNormen alleine reichen nicht aus, weder DIN-Norm 18024 über die
horizontale und vertikale Erschließung des Gebäudes, noch die DIN
18025, Teil 1 zur rollstuhlgerechten Wohnung, noch Teil 2 zur
Barrierefreiheit. Aus meiner Sicht ist die DIN-Norm 18025 eine notwendige, aber keine hinreichende Planungsgrundlage.
Man könnte auch fragen, ist diese DIN-Norm nicht eine etwas realitätsferne Betrachtung des Alltags alter Menschen? Ich tippe nur zwei
Aspekte etwas provozierend an: Stigmatisiert eigentlich diese DINNorm nicht die Älteren zu häufig als Rollstuhlfahrer? Ältere werden in
dieser Norm zu sehr als Behinderte, als Rollstuhlfahrer betrachtet. Ist
das nicht ein falsches Bild vom Wohnen in Betreuten Wohnanlagen?
Nur ein kleiner Teil der Älteren im Betreuten Wohnen hat einen
Rollstuhl, schon mehr Personen haben eine Gehhilfe. Aber Gehen
121
mit einem Gehwagen oder Gehstock - dies ist ein ganz anderer
Bewegungsablauf - impliziert andere Anforderungen an die WohnUmwelt als die Fortbewegung im Rollstuhl. Eine für einen Rollstuhlfahrer passende Greifhöhe (von 85 cm) kann dysfunktional für den
Handlungs- und Bewegungsablauf eines rüstigen älteren Menschen
oder eines Menschen mit einer Gehhilfe sein. Wir sind gewohnt, in
einer bestimmten Höhe nach einem Lichtschalter zu greifen. Wir sind
gewohnt, in einer bestimmten Höhe nach einem Türgriff zu greifen.
Die durch die DIN 18025 nahegelegte Normierung auf 85 cm widerspricht unseren Wohngewohnheiten, unseren biografisch erworbenen Wohnerfahrungen. Wir sind es in der Regel nicht gewohnt, auf
dieser Höhe nach Schalter und Griffen zu suchen.
Die zweite Provokation: Signalisiert die DIN-Norm 18025 nicht auch
ein rudimentäres Verständnis des Lebensalltags Älterer? Alltag im
Alter ist Wohnalltag. Aber Wohnen ist mehr, als nur sich in der Wohnung bewegen (können). Das ist sicherlich wichtig und deshalb wird
in der Planung auch so sehr auf Bewegungsräume geachtet. Die
Bewegungsradien, die von Architekten in ihre Grundrisspläne eingezeichnet werden, sind Hinweise dafür. Aber Wohnen ist nicht nur
herumlaufen! Wohnen ist auch Platz nehmen, ist Ausschau haben
auf etwas Schönes. Wir brauchen eine ganzheitlichere Sicht des
Alters-Wohnens, als sie in dieser Norm zum Ausdruck kommt.
Wenn man sich zu einseitig, zu blind an dieser DIN-Norm 18025
orientiert, wird manches verabsolutiert, und dies kann zu Problemen
führen; übrigens auch, wenn man sich an der DIN-Norm wohl
orientiert, sie aber bei manch wichtigen Planungsaspekten dann
doch missachtet: So werden beispielsweise Griffe und Lichtschalter
auf einer Höhe von 85 cm plaziert, dann aber – in Abweichung von
der Planungsvorgabe - der Rollladengurt deutlich höher, sodass der
ältere Mensch sich strecken muss oder es gar nicht mehr schafft,
diesen herunterzuziehen. Stimmig ist eine Planung auch nicht, wenn
der Griff des Küchenfensters so hoch angebracht ist, dass selbst
eine jüngere, rüstige Person nur mit Mühe danach greifen kann. Ich
habe mehrere solcher Fehlplanungen im Betreuten Wohnen gesehen. Oder der Schließzylinder zur (Haus- bzw. Wohnungs-) Eingangstüre ist so niedrig angebracht, dass man sich bücken muss, um
den Schlüssel ins Schloss zu führen. Man muss sich nicht nur
bücken, sondern wirft oft dabei seinen eigenen Schatten auf das
Türschloss; bei solch einer Planung soll es dann gelingen, den
Schlüssel zielgenau in den Schließzylinder zu führen.
122
Die DIN-Norm 18025 orientiert sich zu sehr an Rollstuhlfahrern, sie
ist für normale Ältere unter Umständen (manchmal, nicht immer)
dysfunktional. Wir brauchen mehr als diese Orientierung an derartigen Planungsempfehlungen und -vorgaben. Meines Erachtens
brauchen wir Architekten mit fundiertem Wissen über die Alltagsroutinen und die Kompetenzveränderungen alter Menschen, und sie
brauchen zudem auch noch eine Sensibilität, ein Gespür für die
Wohnwünsche und die Gewohnheiten von Älteren. Beides kann man
erlernen, das eine, indem man Befunde aus der Ökologischen
Gerontologie zur Kenntnis nimmt, das andere, indem man sich selbst
einmal einer Umwelterfahrung aussetzt, die der von älteren Menschen entspricht oder wenigstens nahe kommt. Fort- und Weiterbildung von Planern (auch) durch einen „age-simulator“ oder UmweltSensibilisierungs-Übungen wären hier wichtig.
4. Es geht auch darum, ein durchdachtes Raumprogramm für eine
Senioren-Wohnanlage zu entwickeln. Dazu gehört aus meiner Sicht
nicht nur die Raumplanung, sondern auch das Setting-Programm.
Das Setting-Programm ist die Vorstellung darüber, was in den Räumen geschehen soll.
Was ist denn die Ausgangsproblematik? Ich will das an wenigen
Beispielen illustrieren:
a) In betreuten Wohnanlagen gibt es immer wieder auch Einraumwohnungen ohne getrennten Wohn- und Schlafbereich. Diese
Wohnungen sind weder bei Älteren noch beim Pflegepersonal
beliebt. Zudem haben diese auch ein sehr hohes Vermietungsrisiko: An Kapitalanleger, die oft wenig über die Wohnwünsche
Älterer wissen, sind sie eigentlich noch relativ gut zu verkaufen,
aber danach an Ältere eher schlecht zu vermieten. In unserer
Stichprobe lebten nur 5,2% der Probanden in solchen Einraumwohnungen. In den von uns untersuchten Wohnanlagen waren die
Einraumwohnungen eher vom Leerstand betroffen als die anderen
Wohnungen.
b) Als ein spezifisches Kennzeichen von betreuten Seniorenwohnanlagen werden in der Regel auch zusätzliche Gemeinschaftsund Betreuungsräumlichkeiten angesehen. Aber wir stellen fest,
dass die Kommunikationsräumlichkeiten wie Cafeteria, Gruppenraum, Sitzecken, Sitznischen oft unterfrequentiert sind. Das heißt,
das bloße Vorhandensein von Gemeinschaftsräumlichkeiten, von
123
Kommunikationsräumlichkeiten, garantiert noch nicht deren Nutzung.
c) Auch beim Pflegebad – auch manchmal ein spezifisches Kennzeichen des Betreuten Wohnens – stellen wir eine sehr geringe
Nutzungsfrequenz fest. Das Pflegebad bleibt oft ungenutzt – nun
ja, es wird einmal im Jahr zum Sektempfang des Betreuungsdienstes genutzt. Aber ich finde, das ist eigentlich zu teuer.
Warum wird es nicht genutzt? Vielleicht, weil derzeit kein Bedarf
da ist? Möglicherweise wird sich dieser Bedarf erst in Zukunft
entwickeln? Aber vielleicht ist es auch die schlechte Platzierung
des Pflegebades, das oft im Kellergeschoss gelegen ist, manchmal nur über einen Außenflur erreichbar: Oft ist es so funktional
ausgestattet, dass es einen wenig zur Nutzung einladenden
Eindruck vermittelt, sogar eher als ein Raum in einem anatomischen oder pathologischen Institut anmutet als an ein Bad erinnert.
d) Auch die Einzelbäder zeichnen sich nicht selten durch eine gewisse Gestaltungsarmut und Monotonie aus: Das Bad wird gefliest,
meist deckenhoch, oft mit hellen/ weißen Fliesen. Welch eine
Anmutungsqualität vermittelt denn ein solches Bad? Für mich ist
Baden nicht nur ein Akt der Säuberung. Wenn ich bade, dann
bade ich bei Kerzenlicht, dann bade ich bei einem Glas Rotwein,
dann bade ich bei Musik von Maria Callas.
Die Beispiele sollten zeigen: Wir können nicht einfach drauf los
bauen, sondern wir benötigen ein differenziertes Raumprogramm für
die Wohnanlage. Welche Gebäudegröße, welche Anzahl der Wohneinheiten? Wie soll das Lay-out des Baukörpers sein, welche Wohnungsgrößen, welche Zimmer-Anzahl, welche Raumsyntax, welche
innenarchitektonische Gestaltung usw.? Was müsste also bei der
Planung, beim Raumprogramm mitbedacht werden? Auch dazu
einige Anregungen (jetzt kommt die positive Wendung):
Zu den Kommunikationsräumlichkeiten Cafeteria, Gruppenraum: Bei
diesen kommt es vor allem auch auf deren Platzierung innerhalb des
Gebäudes an. Die Cafeteria/ der Gruppen- oder Aufenthaltsraum
müsste eher im Erdgeschoss liegen, an Verhaltensknotenpunkten,
dort wo die Bewohner im Lebensalltag auch mal vorbeikommen.
Dieser Raum/ diese Cafeteria/ dieser Gruppenraum sollte auch einen
Aufforderungscharakter haben: Die innenarchitektonische Gestaltung
und die Möblierung müssten zur Attraktivität des Raumes beitragen.
124
Einen Aufforderungscharakter hat dieser Raum zusätzlich dann,
wenn das Setting-Programm attraktiv ist. Ein anderer Gesichtspunkt:
Halb-öffentliche, halb-private Sitzbereiche - Übergangszonen zwischen privaten und öffentlichen Bereichen des Wohngebäudes - sind
ganz wichtig für die Initiierung von sozialen Kontakten. An solchen
Arealen können sogenannte „Gartenzaun-Situationen“ entstehen, die
ein Spiel der Annäherung und der Vermeidung sozialer Interaktionen
– also den Prozess der Privatheitsregulation – begünstigen.
Dass solche Gesichtspunkte, wenn sie bei der Planung beachtet werden, sich auch tatsächlich im Raum-Nutzungsverhalten der älteren
Bewohner niederschlagen, will ich kurz andeuten. In unserer Studie
haben wir auch untersucht, wie lange sich ältere Menschen im
Betreuten Wohnen innerhalb bestimmter Räume aufhalten: im Bad
oder in der Küche, im Wohnzimmer, in der eigenen Wohnung, im
Wohngebäude, in anderen Wohnungen des Wohngebäudes, außerhalb des Gebäudes. Die mittlere Aufenthaltsdauer von Bewohnern
innerhalb des Wohngebäudes (z.B. halb-öffentlichen Sitzgruppen, in
Cafeteria, in Gruppenräumen) variiert zwischen den sieben Wohnanlagen deutlich. In jener Seniorenwohnanlage, in der besonders auf
die Gestaltung von Sozialräumlichkeiten und von halb-öffentlichen/
halb-privaten Übergangszonen geachtet wurde, war die Nutzungsdauer mit Abstand am höchsten.
5. Bei Wohnungs- und Raumgrößen sollte man nicht zu sehr sparen
wollen. Einraumwohnungen sind „mega-out“, sind längst überholt,
auch wenn sie immer wieder vorkommen. Sie haben zu geringe Stellflächen, sie haben nicht die Möglichkeit einer differentiellen Regelung
der Heizungstemperatur am Tag und in der Nacht; eine für den Aufenthalt tagsüber angenehme Raumtemperatur ist für einen erholsamen Schlaf in der Nacht meist zu hoch. Sie verhindern auch die
Privatheitsregulation der Bewohner, wenn sie Besuch bekommen.
Ich will das nicht vertiefen. Auch wenn die Herstellungskosten der
Wohnungen niedriger sind, sollte bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung das höhere Vermietungsrisiko von Einraumwohnungen mit einkalkuliert werden. Einraumwohnungen lassen sich meist besser an
Kapitalanleger verkaufen, als anschließend an Ältere vermieten.
Welche Wohnfläche sollte die Wohnung haben? Nun, ich kann und
will keine Norm definieren, ich kann nur Zusammenhänge aufzeigen
zwischen der faktischen Wohnfläche und dem subjektiven Erleben
der Wohnsituation, nämlich der Bewertung der Wohnungsgröße. Wir
125
haben Ältere ihre Wohnungsgrößen bewerten lassen: Wenn Ältere
ihre Wohnungsgröße als gut bewerten, dann haben sie meistens im
Schnitt eine Wohnung von 54, 55 qm, schlechter bewertete Wohnungsgrößen sind etwa 10 qm geringer. Die tatsächlichen Wohnbedingungen spiegeln sich also im subjektiven Erleben der Wohnungssituation wider. Wobei die Bewertung der Wohnsituation mit beeinflusst ist vom Wohnstandard, den ich „gewohnt“ bin, den ich bereits
kenne.
Wie groß sollte die Küche im Betreuten Wohnen sein? Wir haben
auch die Küchengröße subjektiv bewerten lassen. Bei einer guten
Bewertung haben wir eine durchschnittliche Küchengröße von 6,2
qm, bei einer schlechten Bewertung von 5,2 bis 5,3 qm. Darüber
hinaus haben wir Raumnutzungsmuster untersucht und haben gefunden, dass ältere Menschen im Betreuten Wohnen sich durchschnittlich gesehen zwei Stunden und 29 Minuten am Tag in der Küche
aufhalten. Das entspricht 16,6% der durchschnittlichen Wachzeit.
Zum Vergleich: im Bad halten sich die Älteren nur 6,8% der Wachzeit
auf. Nach meiner Auffassung brauchen wir im Betreuten Wohnen
etwas größere Küchen, ich denke so etwa an 8 qm. Warum? Die
Begründung kann ich hier nur andeuten: Die Reaktionsgeschwindigkeit im Alter wird geringer, in der Regel brauchen Ältere auch
deshalb mehr Zeit, um Alltagstätigkeiten auszuführen. Sie brauchen
auch mehr Zeit für die Hausarbeit, für das Kochen, für die Zubereitung der Mahlzeit usw. Die Hausarbeit ist also zeitlich gestreckt.
Zudem können körperliche Beweglichkeit und körperliche Kräfte
eingeschränkt sein, sodass viele die angesprochenen Alltagstätigkeiten im Sitzen ausführen möchten. Oft aber fehlt in der Küche die
Fläche für einen ausreichend großen Sitzplatz, an dem die Küchenarbeit ausgeübt und an dem eine kleine Mahlzeit eingenommen
werden könnte. Warum muss eine Mahlzeit im Wohnzimmer
eingenommen werden? Stellen Sie sich doch einmal eine ältere
Dame mit Gehwagen vor, die auf einem Tablett einen Sektkelch und
eine Lachsschnitte ins Wohnzimmer jongliert.
Wie ist es mit der Größe des Schlafzimmers? Überrascht war ich, als
ich die subjektiven Bewertungen der Älteren von Wohnungsgröße,
Küchengröße, Schlafzimmergröße miteinander verglich. Am wenigsten positiv wurde die Größe des Schlafzimmers bewertet. Dies mag
mit eingeschränkten Stellmöglichkeiten für einen Kleiderschrank zusammenhängen, oder auch damit, dass das Schlafzimmer meist für
eine Ehepaar geplant wurde (z.B. mit Platzierung von Lichtschaltern
126
neben einem Doppelbett), die Wohnung aber dann doch an eine
alleinstehende Person vermietet wurde.
6. Die Erschließung der Wohnung scheint eine besondere Herausforderung für die Planer zu sein: offener Laubengang, geschlossener
Laubengang oder doch Innenflur? Wir haben die Gestaltung der
Flure bewerten lassen. Der offene Laubengang wird von älteren
Menschen im Betreuten Wohnen häufiger negativ bewertet als ein
gebäudeinterner Mittelflur. Offene Laubengänge werden von Älteren
nicht selten als Gefahrenherde erlebt: Spritzwasser durch Niederschläge, Laub im Herbst, Regen, Schnee und gefrierendes Regenwasser im Winter; auch ist der Wohnungszugang zu wenig vor
Fremden abgeschirmt. Das Sicherheitsrisiko des Laubengangs
scheint höher zu sein als sein Nutzungswert.
7. Nun folgt ein ganz wichtiger Punkt: Wohnräume für Ältere müssen
bis ins Detail durchdacht werden. Es kommt auch auf die vielen kleinräumlichen Wohnungsmerkmale an. Diese müssen mehr Beachtung
bei der Planung und bei der Ausführung finden. Der Organismus im
Alter ist störanfälliger als in jüngeren Jahren. Er reagiert empfindlicher, verletzbarer auf die kleinen Belastungen in der Wohnung,
andererseits – und das ist die positive Wendung – sie sind auch
sensitiver, ansprechbarer für günstige Wohnmerkmale. Die vielen
kleinen Details in der Planung können in ihrer Summe zu einer
entscheidenden Verbesserung des Wohnalltags im Alter beitragen.
Ich nenne Beispiele:
• Eine Farbgestaltung sollte abgestimmt sein auf die Wahrnehmungsfähigkeiten älterer Menschen. Deshalb müsste z.B. mehr
auf Kontrastbildungen geachtet werden: Eine Säule, die im
gleichen Farbton gehalten ist wie der Hintergrund, kann von Älteren schlechter wahrgenommen werden. Oder die Treppenstufen,
die alle – also auch die erste und letzte Treppenstufe - die
identische Farbe haben und optisch auch nicht vom Fußbodenbelag abgesetzt sind, können sehbeeinträchtigten Menschen
Probleme bereiten. Große Glas- oder Fensterflächen, so schön
sie mir heute anmuten, können dysfunktional für ältere Menschen
sein, weil sie – wenn sie nicht optisch unterbrochen werden –
vielleicht in ihren Abgrenzungen nicht richtig wahrgenommen
werden.
127
• Denken Sie auch an die eingeschränkte Beweglichkeit der Armund Schultergelenke und an die nachlassende Muskelkraft im
Alter. Solche Veränderungen müssten von Planern antizipiert werden: wenn man aus Kostengründen z.B. keinen elektrischen Rollladenöffner installieren möchte, so sollte man doch wenigstens für
einen Minimalbetrag Leerrohre, die bei Bedarf eine Nachrüstung
ermöglichen, vorsehen.
• Oder denken Sie doch mal an die Sitzhöhe der Toiletten: Werden
die Toiletten auf Standardhöhe (vom Installateur) platziert, dann
sind sie in der Regel für ältere Menschen zwei bis drei Zentimeter
zu tief angebracht. Den Älteren fällt es dann schwer aufzustehen.
Das muss nicht sein.
• Oder denken Sie einmal an die Gängigkeit der Gebäudezugangsund Zwischentüren: Diese Türen gehen manchmal sehr schwer
auf. Wir haben in den Seniorenwohnanlagen, in welchen unsere
Probanden wohnen, den Kraftaufwand gemessen, der nötig ist,
um solche Türen zu öffnen. Ich war überrascht, dass die nötige
Zugkraft manchmal bei 8 und 10 Kilopond lag! Wir konnten bei
einigen Älteren dann ein spezifisches Bewegungsmuster beim
Zutritt bzw. beim Verlassen des Gebäudes beobachten, wie ich es
eigentlich nur Kriminal- oder Spionagefilmen kenne: Man öffnet
die Türe nur einen Spalt weit und schiebt sich dann, weil man
nicht genug Kraft hat, die Türe weiter zu öffnen, seitwärts durch
den geöffneten Spalt. Das ist für mich ein klarer Planungs- und
Einstellungsfehler.
• Oder denken Sie an die Platzierung von Fenstergriffen, besonders
des Küchenfensters. Das ist meist zu hoch angebracht.
• Nur 71% in unserer Stichprobe bewerten die Bedienbarkeit der
Rollläden als gut, 70,9% die Bedienbarkeit der Fenster. 70%
bewerten das Haustürschloss als gut zu benutzen.
M.E. müsste es zum guten Ton bei Architekten gehören, selbst einmal in dem Gebäude, das man für Senioren geplant hat, „Probe zu
wohnen“. Dann würde man vielleicht spüren, wo Planungsmängel
liegen. Und wenn die Architekten beim Probe-Wohnen noch ihre
sensorische und körperliche Kompetenz einschränken, dadurch dass
sie eine Klarsichtfolie auf die Brille kleben (oder eine Sonnenbrille
aufsetzen), Ohropax in die Ohren stopfen, die Fingerkuppen
mit Tesafilm bekleben und mit elastischen Binden Knie- und
128
Ellbogengelenke fest umwickeln, dann könnten die Planer vielleicht
sogar ein wenig nachempfinden (oder vorausahnen), wie man sich
als alter Mensch in diesem Gebäude (wohl- oder unwohl-) fühlt.
8. Wirtschaftlichkeit ist m.E. auch ein Gebot des Bauen und des
Betriebs von Betreuten Wohnanlagen. Es geht darum, die Kosten für
die Wohnungen vernünftig zu gestalten. Und zwar nicht nur die
Investitionskosten, sondern auch die Betriebskosten, dies wird
manchmal etwas vergessen. Wir haben bei älteren Menschen sehr
große Einkommensunterschiede. Wir haben Sozialhilfeempfänger, wir haben aber auch – und das sind vor allem ältere Frauen –
Personengruppen mit niedrigem Einkommen, die aus Scham keine
Sozialhilfe beantragen und trotzdem ein Minimaleinkommen haben.
Andererseits haben wir natürlich auch Ältere, die gut betucht sind
und eine Seniorenwohnung kaufen, ohne eine Hypothek aufnehmen
zu müssen. Wir brauchen Wohnraum für unterschiedliche Einkommensgruppen, für unterschiedliche Wohnwünsche. Das heißt, unterschiedlich große Wohnungen mit unterschiedlichen Komfort-Niveaus.
Zur Wirtschaftlichkeit gehört m.E. auch die Frage, ob die Betreuungsträger am Gewinn des Verkaufs von betreuten Wohnungen nicht
beteiligt sein müssten. Bauträger missbrauchen immer wieder
– wie oft, das weiß ich nicht genau – Betreuungsträger für ihr
Marketing. Sie können eine Eigentumswohnung mit dem Zusatz
„Betreute (Senioren-) Wohnung“ in der Regel leichter verkaufen.
Warum lassen sich manche Betreuungsträger so missbrauchen?
Warum wird der Mehrwert des Bauträgers nicht etwas abgeschöpft,
thesauriert z.B. in einen Fonds gesteckt, aus dem eine Sozialarbeiterin, die in der Seniorenwohnanlage tätig ist, bezahlt werden kann?
Auf solche Ideen scheint man – wie die Liebenau-Stiftung bei
Ravensburg – bislang vor allem in Schwaben zu kommen.
9. Betreute Wohnanlagen sollten vor Bezug durch die Älteren möglichst fertig gestellt sein. Ich sagte schon, der geschwächte Organismus ist anfällig für Kleinigkeiten. Die Bezugsfertigkeit eines Baus
ist ein recht variables Datum. Oft erfolgt der Einzug von Älteren zu
einem Zeitpunkt, an dem (nicht nur) noch „Kleinigkeiten“ zu machen
sind. Für rüstige Erwachsene ist es kein Problem, beim Zugang zum
Wohngebäude über eine Baudiele zu laufen, aber für einen älteren
Menschen kann daraus ein sehr großes Problem erwachsen. Das
Gangmuster im Alter ist störanfällig. Der Gang ist breitbeiniger, die
129
Beine werden nicht mehr so gehoben, Ältere schaukeln mehr zur
Seite beim Gehen, der Armeinsatz ist geringer usw. Das heißt, die
Stolpergefahr bei älteren Menschen ist in der Regel viel größer als
bei jüngeren. Kleinigkeiten, kleine Unebenheiten, die stören, sind
Barrieren, stellen ein Sicherheitsrisiko für den Lebensalltag im Alter
dar. 64% unserer Probanden berichten, dass noch Bauarbeiten in
ihrer Wohnanlage nach ihrem Bezug auszuführen waren.
10. Man muss auch mehr auf die kleinen Mängel in der Bauausführung achten. Damit meine ich beispielsweise unsauber gearbeitete Außenzugänge zur Haustüre. Da hat man einen Zugang, schön
plan mit Betonplatten, Verbundsteinen, aber der Abschluss erfolgt
dann aus Kostengründen durch ein Kopfsteinpflaster. Dies kann den
Gang eines älteren Bewohners irritieren. Oder der Zugangsweg ist
bei Erdbereichsarbeiten ungenügend verdichtet worden, sodass sich
kleine Senkungen bilden können; ein Sammelbecken für Regenwasser entsteht, im Winter kann dieses gefrieren. Das ist für mich ein
Ausführungsfehler. Für rüstige Personen ist dies kein Problem, sie
machen einen großen Schritt und sind über die Pfütze gegangen,
auch über das Glatteis. Aber für ältere Menschen entsteht eine
Gefahrenquelle. Das müsste nicht sein. 44% unserer Probanden
berichten zu T 2 noch von Mängeln in der Wohnung. Übrigens: Das
Nachbesserungsmanagement der Bauträger scheint sehr unterschiedlich und nicht immer zufriedenstellend zu sein. Bei einigen ist
so etwas wie eine Immunisierungsstrategie beobachtbar: der Bauträger nimmt die Planungsmängel zur Kenntnis, versichert deren
Nachbesserung, ohne dass dann aber die nächsten Monate überhaupt etwas geschieht.
11. Bauen für Ältere heißt auch, eine Entwicklungsperspektive zu berücksichtigen. Die älteren Menschen, die in die von uns untersuchten
Betreuten Wohnanlagen einzogen, sind in der Regel vorgeschädigt:
80% haben dauerhafte Beschwerden, über 60% haben Bewegungsbeschwerden. Dieser eingeschränkte Gesundheitszustand ist aber
nur eine Momentaufnahme bei Einzug ins Betreute Wohnen. Dieser Gesundheitszustand wird sich verändern, in der Regel wird er
abnehmen. Bei einem Teil der Älteren sind demenzielle Veränderungen zu erwarten. Prävalenzraten, die verschiedene epidemiologische Studien fanden, deuten darauf hin, dass jeder dritte bis fünfte
Hoch- und Höchstbetagte, 85-, 90-, 95-Jährige mit demenziellen
Veränderungen konfrontiert wird. Wir wissen auch um den weiteren
130
körperlichen Abbau mit zunehmendem Alter. Das Problem ist, dass
„Beton“ über Jahre, über Jahrzehnte fix ist, der Organismus sich aber
verändert und dann möglicherweise Umweltanforderungen nicht
mehr zusammen harmonieren mit den individuellen körperlichen
Kompetenzen. Was jetzt noch gut harmoniert, harmoniert dann nicht
mehr. Solche Veränderungen der körperlichen und der geistigen
Kompetenzen sollte man bei der Planung von Betreuten Seniorenwohnanlagen mitbedenken und wenigstens teilweise antizipieren: Im
Hinblick auf demenzielle Veränderungen müsste man daran denken,
einen Rauchmelder zu installieren. Wenn die Sehschwäche nachlässt, helfen Treppenstufen, die kontrastreich voneinander abgesetzt
sind. Im Hinblick auf Bewegungseinschränkungen im Arm- und
Schulterbereich sind – wie bereits gesagt – Leerrohre für die Nachrüstung eines elektrischen Rollladenöffners wichtig. Also die Entwicklungsperspektive muss mitbedacht werden, wenn die Betreute
Seniorenwohnanlage auch noch in einigen Jahren für hochbetagte
Senioren bewohnbar sein soll.
12. Mein letzter Punkt zur Architektur, meine letzte Anregung: Ich
glaube, dass es möglich ist, vielleicht sogar notwendig ist, durch die
Einbeziehung von gerontologisch geschulten „Advokatenplanern“ die
Planung und den Bau Betreuter Seniorenwohnungen zu optimieren.
Die Beteiligten, die Auftraggeber und die Bauherren, scheinen mir
manchmal überfordert. Sie scheinen nicht so sehr sachkundig zu
sein in Bezug auf die Wohngewohnheiten und Verhaltenskompetenzen Älterer. Auch die beteiligten Architekten scheinen mir
manchmal zu wenig über die Wohngewohnheiten und Wohnwünsche
und auch über Veränderungen in der körperlichen und psychischen
Rüstigkeit von Älteren zu wissen. Sie scheinen mir nicht immer die
nötige Expertise im Hinblick auf seniorengerechtes Bauen zu haben;
vielleicht sind sie beim Industriebau oder normalen Wohnbau hervorragende Künstler oder gute Techniker, aber in Bezug auf das
seniorengerechte Bauen vermisse ich manchmal die Expertise. Diese mangelnde Expertise könnte durch den Einbezug gerontologisch
geschulter Advokatenplaner, die Kenntnisse haben, die Sensibilität
haben, kompensiert werden. Der Entwurf des Architekten könnte
optimiert werden; (kleine) Planungsfehler können bereits im Planungsstadium vermieden werden. Der Advokatenplaner liest die Planung des Architekten „Korrektur“, d.h. er liefert eine nutzerorientierte
Evaluation der Wohnung und des Wohngebäudes noch in der Planungsphase, in der manches noch veränderbar und optimierbar ist.
Es ist also eine pre-occupency-evaluation und nicht eine post131
occupency-evaluation. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Zugang
– der Einbezug eines Advokatenplaners, der die Entwurfspläne überarbeitet und das Bauprojekt in seinen verschiedenen Phasen mitbegleitet - letztlich kostengünstiger ist, als manche Nachbesserung
von Planungsfehlern nach Fertigstellung der Wohnanlage.
3.
Überlegungen zu Mindestanforderungen an die Betreuungsrealität
Ich möchte hierzu acht Aspekte nennen, einige von diesen implizieren eine Tätigkeitsbeschreibung für die Kontaktperson des Betreuungsdienstes. Für mich – ich sagte es schon – ist Betreutes Wohnen
ein joint venture von Architektur und sozialer Betreuung. Beide
Komponenten müssen miteinander harmonieren, aufeinander abgestimmt sein. Worauf müsste der Betreuungsträger achten?
1. Wichtig für den Betreuungsträger ist es, auch die Erwartungen der
älteren Bewohner an das Betreute Wohnen kennenzulernen und
eventuell zu modifizieren. Das Wortpaar „Betreutes Wohnen“ ist verführerisch. Es weckt unrealistische Erwartungen an Umfang und
Dauer der Betreuung, an Kontinuität und Sicherheit, wie diese
eigentlich nur im Heim möglich sind. Ältere Bewohner haben oft
unklare Vorstellungen darüber, welche Wahl- und Grundleistungen
sie in der Wohnanlage erhalten können, welche Leistungen bereits
durch eine Grundpauschale abgegolten sind und welche Leistungen
noch extra zu bezahlen sind. Der Betreuungsvertrag – sofern er klar
und verbraucherfreundlich gestaltet ist - mag solche Aspekte differenziert aufführen, die kognitive Repräsentation des Betreuungsvertrages bei den Älteren jedoch ist selten so klar strukturiert. Diese
Erfahrung und auch die überzogenen Versprechungen der Anbieter,
insbesondere einer Werbestrategie, welche das Betreute Wohnen als
„Alternative zum Heim“ anpreist, führen oft zu Enttäuschungen bei
Älteren. Wenn die einmal gegebenen Informationen wieder vergessen werden, dann wäre es eine Aufgabe des Betreuungsdienstes,
immer wieder zu informieren und über seine Angebote aufzuklären.
Was sind die Erwartungen älterer Menschen ans Betreute Wohnen?
Wir haben diese bei 173 älteren Personen, die in Betreute Wohnanlagen einzogen, zum Zeitpunkt des Einzuges (vor oder unmittelbar
nach Einzugstermin) erkundet. Die nachfolgende Abbildung zeigt die
(aufgrund faktorenanalytischer Berechnungen gruppierten) Antworten
der Probanden.
132
Tabelle 1:
t1-Erwartungen beim Einzug ins Betreute Wohnen (N=173)
Ja
Anzahl
%
letzte Station in der Wohnbiographie:
Soll der letzte Wohnungsumzug in meinem Leben sein
164
95,9%
159
92,4%
155
89,6%
154
89,0%
145
83,8%
147
87,0%
112
65,5%
138
80,7%
133
79,6%
123
73,2%
119
70,8%
107
64,8%
129
75,4%
120
69,8%
115
66,9%
107
62,2%
99
58,2%
93
53,8%
57
33,7%
51
29,7%
Privatheit bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit:
Ich habe dann bei Pflegebedürftigkeit mein "eigenes Reich"
Ermöglicht die selbständige Lebensführung auch bei Hilfe- und
Pflegebedürftigkeit
Absicherung für Not- und Bedarfslagen:
Ich habe dann einen Krisennotruf rund um die Uhr
Ich habe dann die Möglichkeit der Essensversorgung durch eine
Zentralküche
Sicherheit wie im Heim:
Ich habe dann die Sicherheit wie im Heim, ohne in dieses
umziehen zu müssen
Ich kann dann einen Heimeinzug hinauszögern
Versorgung wie im Pflegeheim:
Ich bekomme dann auch bei dauerhafter schwerer
Pflegebedürftigkeit Hilfe
Ich kann dann Hilfe und Pflege rund um die Uhr erhalten
Ich kann dann einen Heimeinzug vermeiden
Ich werde dann bis zum Tode versorgt und gepflegt
Ich werde dann auch bei Desorientierung und Verwirrtheit versorgt
Komfort und Begleitung im Wohnalltag:
Ich habe dann eine komfortable Wohnung
Ich bin dann nicht allein und einsam
Ich habe dann Angebote für die Freizeit
Ich habe dann Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit
anderen Bewohnern
Ich habe dann einen "Fürsprecher" im Kontakt mit Behörden oder
der Krankenkasse
Praktische Alltagshilfe:
Ich habe dann meine Ruhe und muss mich um gar nicht mehr
kümmern
Ich habe dann mehr praktische Hilfe im Haushalt
Möglichkeit zum Engagement:
Ich habe dann die Möglichkeit, im Haus aktiv zu werden und mich
zu engagieren
133
Sie sehen, dass diese Erwartungen sehr hoch gesteckt sind. 97%
bejahen das Statement „der Einzug ins Betreute Wohnen soll der
letzte Wohnungsumzug in meinem Leben sein“. 92% erwarten, bei
Pflegebedürftigkeit ihr eigenes Reich zu haben. Für 89% soll das
Betreute Wohnen auch bei Hilfe und Pflegebedürftigkeit eine
selbstständige Lebensführung ermöglichen. 89% erwarten, dann
einen Krisennotruf rund um die Uhr zu haben. 83% erwarten die
Möglichkeit der Essensversorgung durch eine Zentralküche. Nur 29%
bejahen das Statement „ich habe dann die Möglichkeit, im Haus aktiv
zu werden und mich zu engagieren“.
Die Erwartungen ans Betreute Wohnen sind also sehr hoch gesteckt.
Erste differentielle Auswertungen deuten darauf hin, dass in heimbezogenen Wohnanlagen die Erwartungen noch höher gesteckt sind.
Dort erwarten noch mehr Ältere die Möglichkeit der Essenversorgung. Da erwarten noch mehr, dass sie im Betreuten Wohnen
auch bei dauerhafter, schwerer Pflegebedürftigkeit Hilfe bekommen
und bis zum Tode versorgt und gepflegt werden.
Was sind denn die Gründe für den Einzug ins Betreute Wohnen? Oft
sind es mehrere Gründe, und es gibt Gründe, die im Vordergrund der
Entscheidung standen und Gründe, die eher im Hintergrund waren.
Wir haben uns nach spezifischen Gründen erkundigt und in einem
weiteren Erhebungsschritt, die individuelle Wichtigkeit des Einzugsgrundes exploriert. Die nachfolgende Tabelle gibt Ihnen einen Einblick in die Motivstruktur der Älteren bei der Entscheidung für das
Betreute Wohnen.
134
Tabelle 2:
t1-Motivstrukturen beim Einzug ins Betreute Wohnen (N=173)
Ja
Anzahl
%
Wichtigkeit
(Median)
Krisenvorsorge:
Im Notfall möchte ich Hilfe haben
Im Pflegefall soll Betreuung zur Verfügung stehen
In unerwarteten Krisensituationen soll kurzfristig Hilfe verfügbar
sein
Ich möchte an ein Notrufsystem angeschlossen sein
Ich hatte Angst, bewegunsunfähig in der eigenen Wohnung zu
liegen und von niemandem bemerkt zu werden
150
149
86,7%
86,1%
hoch
hoch
144
83,2%
hoch
111
64,2%
hoch
94
54,3%
hoch
121
69,9%
hoch
70
40,5%
mittel
81
46,8%
mittel
56
32,4%
hoch
71
22
41,0%
12,7%
mittel
mittel
66
38,2%
hoch
56
54
31
27
32,4%
31,2%
18,2%
15,6%
hoch
hoch
hoch
hoch
46
24
16
26,6%
13,9%
9,2%
mittel
mittel
mittel
26
15,0%
mittel
13
7,5%
mittel
9
9
5,2%
5,2%
gering
hoch
Wunsch nach altersgerechter Wohnung:
Gesundheitliche Gründe machen den Umzug in eine bequemere
Wohnung notwendig
Ich möchte eine schwellenfreie Wohnung haben
Alterswohnen als Daseinsthema:
Ich habe mir schon früher Gedanken über das Wohnen im Alter
gemacht und mir vorgenommen, einmal umzuziehen
Ich habe schon länger nach einer bequemeren Wohnung gesucht
Mitmenschliche Nähe:
Ich möchte mehr Kontakt zu Mitbewohnern haben
Die bisherige Wohnumgebung ist mir zu unsicher
Räumliche Nähe zur Filialgeneration:
Ich wollte in die Nähe von Angehörigen ziehen
Entlastung von häuslichen Pflichten:
Die bisherige Wohnung ist zu groß
Die bisherige Wohnung macht beim Wohnungsputz zuviel Arbeit
Ich wollte im Winter nicht mehr Schnee schippen
Ich wollte keine Kehrwoche mehr machen
Widrige Wohnverhältnisse:
Die bisherige Wohnung ist zu unbequem
Die bisherige Wohnung ist zu schlecht ausgestattet
Die bisherige Wohung hat nur Ofenheizung
Unzufriedenheit mit Wohnumgebung:
Die bisherige Wohnung hat zu wenig Einkaufsmöglichkeiten,
Ärzte, usw.
Die bisherige Wohnung ist zu schlecht gelegen
Sonstige Gründe:
Die Angehörigen haben das Haus übernommen
Die bisherige Wohnung muß kurzfristig geräumt werden
Die Erwartungen an das Betreute Wohnen sind sehr hoch gesteckt,
dies kommt auch in den Einzugsgründen zum Ausdruck. Mit einer
solchen Ausgangslage wird der Betreuungsdienst konfrontiert. Die
Älteren erwarten meist mehr als tatsächlich leistbar ist. Und damit es
nicht zu Enttäuschungen kommt, müssten diese Erwartungen
modifiziert werden, vielleicht schon im Vorfeld durch entsprechende
Aufklärung auch über die Grenzen des Betreuten Wohnens. Unsere
135
Studie zeigt, dass vor dem Einzug in die Betreute Seniorenwohnanlage nur 24,3% der Älteren Kontakt mit dem Betreuungsträger
hatten. Also ich sehe hier eine Bringschuld des Betreuungsträgers.
2. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, den Bewohner/ die Bewohnerin beim Einzug ins Betreute Wohnen „in Empfang zu nehmen“.
Wenn Sie ins Hotel kommen, dann werden Sie dort begrüßt. Wir
stellen immer wieder fest, dass ältere Menschen ins Betreute
Wohnen einziehen und verwundert sind, dass erst mehrere Tage bis
mehrere Wochen vergehen müssen, bis jemand das erste Mal nach
ihnen sieht. Da mangelt es manchmal an der Abstimmung zwischen
Bauträger, Vermieter und Betreuungsdienst. Einzugstermine von
Älteren werden nicht oder nicht fristgerecht übermittelt. Der Betreuungsträger wird dann nicht oder zu spät darüber informiert, dass eine
Person neu einzieht.
Der Einzug ins Betreute Wohnen ist ein ganz wichtiges Ereignis im
Leben der Älteren. Es ist nach unseren Befunden für die meisten
Älteren die hoffentlich letzte Wohnstation in der eigenen Wohnbiografie, und diesen Einzug gilt es zu begleiten. Ich sagte bereits,
nur ein Viertel der Älteren hatte vor Einzug Kontakt mit dem Betreuungsträger. Wie ist es denn nach Einzug? 45% der Probanden
berichten, dass der Betreuungsträger von sich aus in den ersten beiden Tagen nach Einzug Kontakt aufgenommen hat. Bei 17% erfolgte
die erste Kontaktaufnahme des Betreuungsträgers einige Tage nach
Einzug, bei 13% erst nach zwei Wochen und bei 11% erst 4 Wochen
nach Einzug. 3% der Älteren gaben (3 Monate nach Einzug) an, dass
eine Kontaktaufnahme bislang nicht erfolgte und 9% konnten keine
Angaben mehr darüber machen. Ich könnte mir eine bessere
Begleitung, einen besseren Empfang der Älteren im Betreuten Wohnen vorstellen.
3. Es ist wichtig, über die Funktionsweise des Notrufs und der Notrufbenutzung regelmäßig zu informieren und diese regelmäßig einzuüben. Das Erleben von Sicherheit ist im Alter zentral. Manchmal
haben Ältere sogar ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis. Der Notruf ist ein wichtiger Teilaspekt der Lebenswirklichkeit im Betreuten
Wohnen. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Älteren die
Funktion eines Notrufes kennen, wenn diese ihnen einmal beschrieben worden ist. Wir stellen immer wieder Unsicherheiten im Umgang
mit dem Notruf fest, manche Ältere wissen nicht, wie der Notruf
136
funktioniert. Das Notrufnutzungsverhalten müsste also in regelmäßigen Abständen eingeübt werden. Man müsste den Notruf als
Test auslösen können, man müsste auch besichtigen, wo der Notruf
eingeht, welche Personen diesen entgegen nehmen. Hilfreich wäre
vielleicht auch ein „Flyer“, der kurz darüber informiert „wie kann ich
wo wen erreichen?“. Solche „Kleinigkeiten“ fördern das Sicherheitserleben. Im Winter, zur kalten Jahreszeit, wenn man weniger Möglichkeiten hat, anderen Bewohnern „zufällig“ zu begegnen, scheinen
häufiger Kontakt-Notrufe vorzukommen.
48% unserer Stichprobe berichten bei der zweiten Erhebungswelle
drei Monate nach Einzug, eine ausführliche Notrufeinführung bekommen zu haben; 27% haben eine kurze und 24% haben (nach
eigenem Bekunden) keine Notrufeinführung erhalten. 51% der Älteren haben den Notruf schon einmal versehentlich ausgelöst. Auch
dies könnte ein Hinweis für Unsicherheiten im Umgang mit der Notrufanlage sein.
4. Eine Aufgabe des Betreuungsträgers ist es auch, immer wieder
(die Betonung liegt auf „immer wieder“) über die Betreuungsleistungen, sowohl über Leistungen als auch über die Kosten dieser
Leistungen zu informieren. Wir haben verschiedene (insgesamt 32)
Grund- und Wahlleistungen im Betreuten Wohnen aufgelistet und
haben die Älteren gefragt, ob diese Leistungen in der Grundpauschale enthalten sind, ob diese extra kosten, ob diese nicht
erhältlich sind oder ob die Älteren darüber nicht Bescheid wissen.
Auffällig ist der hohe Prozentsatz der „weiß-nicht“-Antworten. Dies
deutet auf eine Unsicherheit, auf einen Mangel der Informiertheit der
Älteren über die Betreuungs- und Pflegeangebote hin, sowohl über
die Grund- als auch die Wahlleistungen. Auch hier sehe ich die
Aufgabe für den Betreuungsträger, besser zu informieren.
Wir haben zudem gefragt, ob diese (Grund- und Wahl-) Leistungen
jetzt genutzt werden, ob die ältere Person diese zukünftig nutzen
möchte, ob sie diese auch zukünftig nicht nutzen möchte oder ob die
Person darüber keine Angaben machen kann. Hier ist der hohe
Anteil der Nichtnutzer auffällig und der Personen, die sagen, auch in
Zukunft (spezifische) Betreuungs- und Pflegedienstleistungen nicht
nutzen zu wollen. Könnte dieser Befund vielleicht bedeuten, dass
manche Dienstleistungen, die im Betreuten Wohnen angeboten
werden, gar nicht so gewünscht werden? Was wird aus einem Angebot, das nicht oder zu wenig die Erwartungen potenzieller Kunden
137
trifft? Könnte man daraus folgern, dass das Konzept des Betreuten
Wohnens modifiziert werden müsste? Ich will mich zum jetzigen
Zeitpunkt hier noch nicht festlegen, weil wir noch keine differentiellen
Auswertungen gemacht haben.
5. Es ist sehr wichtig, der sozialen Isolierung der Bewohner entgegen
zu steuern durch die Förderung von sozialen Kontakten und den Aufbau von Hilfenetzwerken. Soziale Kontakte sind für das Wohlbefinden grundlegend. Die Bewohner im Betreuten Wohnen wohnen in
der Regel alleine in der Wohnung. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle von ihnen ein funktionierendes, intaktes Hilfenetzwerk haben. Ein Drittel unserer T2-Stichprobe gibt an, keinen anderen Mitbewohner persönlich zu kennen. Es gilt, der Gefahr der sozialen Isolierung und Vereinsamung entgegenzusteuern. Kontaktpotenziale, die vielleicht latent vorhanden sind, müssten noch mehr unterstützt werden. Wir haben die Probanden gefragt, was sie denn bereit
wären, mit einer Nachbarin oder einem Nachbarn zu tun. Wir wollten
wissen, wo Potenziale – „helping hands“ - vorhanden sind, die vielleicht aktiviert werden könnten.
55% der Befragten wären bereit, gemeinsame Unternehmungen mit
anderen Bewohnern im Betreuten Wohnen zu machen; 36% wären
bereit, persönliche Dinge mit den Mitbewohnern zu besprechen. 41%
wären bereit, sich für einige Tage um die andere Person z.B. bei
vorübergehender Krankheit zu kümmern. 29% würden einen Mitbewohner oder eine Mitbewohnerin zum Arzt begleiten; 23% würden
bei praktischen Dingen im Haushalt helfen, 24% würden zusammen
mit dem Anderen Einkaufen gehen, 21% würden Zusammenkünfte
und Feste in der Wohnanlage mitorganisieren helfen, aber nur 2,7%
wären bereit, hin und wieder gemeinsam zu kochen.
Zwischenfrage eines Teilnehmers:
Sind das regelmäßige Aktivitäten gewesen, oder haben Sie gefragt:
„nur ab und zu“? Das ab und zu zu machen, wären viele bereit, aber
sobald es eine Art Verpflichtung ist, hört die Bereitschaft auf.
Saup:
Nein, wir haben drei Monate nach Einzug gefragt „wozu wären Sie
denn bereit“, wir wollten Potenziale entdecken; bei der dritten Erhebungswelle (ein Jahr später) und bei der vierten Erhebungswelle
(drei Jahre später) fragen wir dann „was haben Sie gemacht?“
138
Ich glaube, Bereitschaften müssen geweckt werden, müssen begleitet werden, müssen unterstützt werden, damit sie zum Ausdruck
kommen, damit sie manifest werden können. Und ich erwarte, dass
sich im Verhalten der Älteren Unterschiede zeigen, auch deshalb,
weil sich unsere Wohnanlagen hinsichtlich ihrer „kommunikativen
Architektur“ und hinsichtlich ihrer Betreuungsrealität (aber nicht in der
Betreuungskonzeption) von einander unterscheiden.
6. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, für die sozialen Räumlichkeiten im Betreuten Wohnen „behavior-settings“, die Benutzungsprogramme, mit zu planen, mit zu initiieren. Es geht darum, für die
Cafeteria und andere Veranstaltungsräume Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Der Architekt hat nur die „Hardware“ zur
Verfügung gestellt. Oft bleiben aber diese Räume ungenutzt. Man
muss sich also „Möglichkeiten der Begegnung“ ausdenken. Was soll
dort geschehen? Soll der Raum zu Ostern, zu Weihnachten gemeinsam mit Bewohnern geschmückt werden? Sollen dort auch Veranstaltungen mit dem Pfarrer, mit Gemeinderäten, mit Vereinen, mit
Ärzten, mit dem Heilpraktiker sein? Sollen dort Vorträge zu hören
sein über „Gesundheit im Alter“, „Ernährung im Alter“, „Gestaltung
eines Testaments“ usw.? Wohl müsste dort auch Kaffee und Kuchen
geboten werden, zu sozial verträglichen Preisen.
Es geht auch darum, Sitzecken mit Leben zu füllen, denn die Sitzecken sind oft tot. Es geht darum, gemeinsam mit den Bewohnern
(und da denke ich an die Betreuungskraft des Betreuungsträgers:
Betreuung ist für mich soziale Alltagsbegleitung!) Sitzecken anzueignen, zu schmücken: Bewohner sollen sagen können „das ist
unsere Ecke“, „die gehört zu uns“; dort dürfen Zeitschriften ausliegen,
dort dürfen Gesellschaftsspiele gemacht werden, dort kann auch ein
„Probesitzen“ initiiert werden, dort kann ein Skat-Turnier, ein
„Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spiel, eine Vorleserunde stattfinden.
Warum nicht?
7. Es geht auch darum, die Grenzen des Betreuten Wohnens anzusprechen und zu vermitteln. Wir haben bislang, glaube ich, noch zu
wenig empirische Erfahrung über die Tragfähigkeit und die Grenzen
des Betreuten Wohnens, abgesehen von Einzelfallschilderungen. Ich
erwarte, dass die Grenzen des Betreuten Wohnens bei Multimorbidität und Demenz erreicht sein werden. Der Betreuungsträger bzw.
die Kontaktperson des Betreuungsträgers müsste diese Grenzen
139
sensibel ansprechen, schrittweise ansprechen und auch einen
Umzug in ein Pflegeheim als eine Möglichkeit für die Älteren erscheinen lassen. Man kann diese Thematik nicht tabuisieren, die Bedrohung durch den körperlich-seelischen Abbau erscheint mir bei Hochund Höchstbetagten real. Auf die Prävalenzraten für Demenz bei den
Hoch- und Höchstbetagten habe ich ja bereits hingewiesen. Das
durchschnittliche Eintrittsalter der Älteren bei Einzug ins Betreute
Wohnen liegt in den von uns untersuchten Anlagen bei 78 Jahren, es
ist also schon recht hoch.
8. Welche Rolle hat die Kontaktperson des Betreuungsträgers? Aus
meiner Sicht hat sie eine Schlüsselstellung für das Funktionieren des
Betreuten Wohnens. Was müsste sie denn für ein Arbeitsverständnis
haben? Ich favorisiere einen zugehenden Ansatz: nicht abwarten,
nicht Bürodienst machen, nicht die Arbeitszeit auf den Vormittag
beschränken. Die Person müsste eine generelle Werthaltung den
Älteren gegenüber haben, die getragen ist von einer Wertschätzung
für die Älteren. Ich habe mir fünf Rollen ausgedacht, in denen ich mir
so eine Dame vorstelle. (Ich denke tatsächlich immer an eine Dame,
ich weiß auch nicht warum.)
Erstens, sie könnte eine „Empfangsdame“ sein - wie im Hotel - für die
Neuankömmlinge, die sie begrüßt, in Empfang nimmt. Zweitens, sie
könnte eine „Moderatorin“ von zwischenmenschlichen Begegnungen
sein. Sie bringt Einzelne zusammen, initiiert Treffen, schlichtet Konflikte, stimuliert Gruppenprozesse (also sozial-kommunikative Kompetenz wäre wichtig). Drittens, sie könnte „Konfidantin“ für einzelne
Bewohner sein, also eine Vertrauensperson für Einzelne, also auch
eine Trostspenderin für die Wechselfälle des Lebens. Eine vierte Rolle: Sie könnte „Pförtnerin“ für Informationen, auch für die Vermittlung
von Diensten sein. Und schließlich fünftens könnte sie eine
„Organisatorin" für diverse Aktivitäten und Veranstaltungen sein. Also
Sie sehen, ich favorisiere eine Person mit guten kommunikativen
Fähigkeiten, also weniger eine Kraft, die ihre Kompetenz primär im
Pflegebereich hat.
140
Diskussion
Joachimsthaler:
Danke schön für Ihren interessanten und lebhaften Vortrag. Ich
denke, er hat uns allen auch viel Neues gebracht, und wenn Sie jetzt
Fragen haben, dann gebe ich Ihnen noch Gelegenheit dazu.
Kremer-Preiß:
Was mir noch ein bisschen gefehlt hat bei der Tätigkeitsbeschreibung für die Betreuungsträger, war der Zugang zu den Angehörigen. Vielfach läuft ja der Kontakt, der Einstieg in die Einrichtung
und auch, dass viele Bewohner dort längerfristig bleiben können, nur,
wenn Angehörige mithelfen. Wie sieht das aus?
Engels:
Ich habe zwei Fragen: Einmal die Frage bei der Auswahl der betreuten Wohnungen, die Sie in die Untersuchung einbezogen haben.
Wir haben ja gestern über verschiedene Formen gesprochen, auch
über die Form des Betreuten Wohnens in normalen Wohngebieten.
Das haben Sie nicht einbezogen - haben Sie das bewusst nicht
gemacht, weil Sie sagen, das ist einfach nicht vergleichbar, da sind
die Voraussetzungen zu unterschiedlich, oder hatte das eher
pragmatische Gründe?
Meine zweite Frage: Wir haben immer das Problem, wenn Qualitätsstandards formuliert werden, dass wir auf der anderen Seite eine
gewisse Realität haben, mit der wir das vergleichen müssen. Da gibt
es in gewissem Maße auch Veränderungsmöglichkeiten, aber die
stoßen auch an ihre Grenzen. Was machen wir mit dieser Diskrepanz? An einem Beispiel: Sie haben über die Wohnraumgröße
gesagt, Einraumwohnungen sind „mega-out“, und die Bewohner selber betrachten Wohnraumgrößen unter 40 qm als quasi indiskutabel.
Wir haben uns gestern Wohnungen angesehen, Einraumwohnungen
mit ca. 25 qm. Was sagen wir jetzt dazu? Sagen wir: Pech gehabt,
wir haben etwas übernommen, was für Betreutes Wohnen nicht
geeignet ist – oder gibt es Anregungen, Empfehlungen, wie man
auch hier mit einem Defizit so umgehen kann, dass man es auf
irgendeine Weise kompensieren kann?
141
Teilnehmer:
Darf ich die Frage kurz ergänzen? Ich meine, die Wohnungsgröße
hat natürlich auch etwas mit dem Endmietpreis zu tun, und wir
beobachten, dass die Wahl der Wohnung schlicht und einfach nicht
nur nach ästhetischen, sondern auch finanziellen Gründen erfolgt.
Stollarz:
Das KDA hat eine Broschüre über gemeinschaftliches Wohnen
herausgegeben, und ein wichtiges Kernprinzip dieser Art von Wohnformen ist die Selbstorganisation durch die Bewohner. Ich war selbst
erstaunt, wie viel die selber machen können. Meine Frage: Bei allem,
was Sie gesagt haben, waren eigentlich die Bewohner eine passive
Masse, die von irgendjemand gemanagt werden muss. Inwieweit
spielt bei Ihren Überlegungen oder Untersuchungen auch die Frage
eine Rolle: Was machen die Bewohner unter sich aus, was machen
die selbst, was organisieren sie selbst in so einer Wohnform?
Teilnehmerin:
Ich habe eine Frage zu dem „Advokatenplaner“, wie das mit Planungshilfen ist, um im Vorfeld schon Fehler zu vermeiden, die hinterher dann beim Bewohnen von diesen Betreuten Wohnanlagen
Schwierigkeiten machen. Wie schaffen Sie es, eine gelungene
Zusammenarbeit hinzukriegen? Ich weiß nicht, ob sich der eine oder
andere Architekt dabei aufs Füßchen getreten fühlt, wenn da noch
jemand nachplant. Wie kann man da eine gelungene Zusammenarbeit hinkriegen, ich denke auch zwischen Investoren und Maklern,
wie kann man im Vorfeld solche Probleme schon einmal angehen?
Da interessiert mich eine gute Zusammenarbeit, damit für alle Beteiligten auch ein befriedigendes Ergebnis rauskommt.
Joachimsthaler:
Danke für die Fragen. Jetzt bitte ich Professor Saup, die Fragen zu
beantworten.
Saup:
Was ich Ihnen heute präsentiert habe, war sozusagen eine Momentaufnahme aus einer Forschungswerkstätte; ein Projekt, das läuft,
worüber eigentlich noch nichts publiziert wurde. Einiges ist schon
ausgewertet, Vieles noch nicht. Aber wir wissen schon etwas über
142
die Angehörigen, über ihr Engagement, darüber, was sie beim
Umzug tun, und wir haben auch zu verschiedenen Erhebungszeitpunkten die Kontaktqualität und Intensität der Älteren zu den Angehörigen einschätzen lassen; aber ich kann heute die Daten nicht
präsentieren. Es ist mir klar, dass dies ein wichtiger Punkt ist.
Angehörige spielen schon im Vorfeld, bei der Entscheidung für den
Umzug und auch bei der Auswahl der Wohnanlage, eine zentrale
Rolle. Die Entscheidung wird - sofern Kinder vorhanden sind - immer
im Familienkontext oder fast immer im Familienkontext fallen, das ist
so weit schon klar.
Die zweite Frage zur Auswahl der Betreuten Wohnanlagen: Mir geht
es nicht darum, repräsentatives Datenmaterial liefern zu wollen.
Meine Absicht ist, sozusagen ein Feld, das in der Weise noch nicht
begangen worden ist, erstmals zu begehen und zu zeigen oder
darauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, dieses Feld zu beschreiten.
Wir wissen von Älteren im Betreuten Wohnen noch zu wenig, und
wenn wir etwas wissen, so ist dieses Wissen meist retrospektiv
generiert, im Rückblick, und es ist auch meist dadurch eingeschränkt,
dass die Rücklaufquoten oft nur bei 30% bis 40%, teilweise noch
niedriger, liegen. Wir wollten mit unserer Studie bewusst einen
anderen Weg gehen, einen prospektiven Weg, deswegen die Längsschnittstudie. Wir begleiten den Lebensweg älterer Menschen im
Betreuten Wohnen über einen längeren Zeitraum.
Die Auswahl der Wohnanlagen erfolgte nach pragmatischen Gesichtspunkten. Wir haben jene Wohnanlagen genommen, die bei Planung und der ersten Phase unseres Projekts kurz vor der Bezugsfertigkeit standen. Eine Wohnanlage ist leider bezogen worden,
bevor ich in der Lage war, diese T1-Fragen für den Interviewleitfaden
fertigzustellen, deswegen haben wir dort nur unsere Pretests durchgeführt. Und dann haben wir jede Wohnanlage in der Region
Augsburg genommen, die in den darauf folgenden eineinhalb Jahren
fertiggestellt wurde.
Die nächste Frage bezog sich auf den Wohnstandort und die Attraktivität der Wohnung. Mir ist natürlich klar, dass ich hier aus der Sicht
eines Westdeutschen und eines Süddeutschen referiert habe. Und
dass sie hier in den neuen Bundesländern andere Bedingungen im
Betreuten Wohnen haben, erkenne ich. Lassen sie mich die gestellte Frage indirekt beantworten. Wir haben in einer Wohnanlage, einer
solitären, kleinen Wohnanlage, die nur für einkommensschwache
ältere Menschen ist (sie dürfen dort bestimmte Einkommensgrenzen
143
nicht überschreiten) etwas zusätzlich untersucht. Wir kontrastieren
unser Datenmaterial, das wir haben, mit einer Vergleichsgruppe.
Diese Vergleichsgruppe wird im Rahmen einer Diplomarbeit untersucht, und zwar haben wir Ältere befragt, die sich für diese Wohnanlage interessiert und angemeldet haben, aber sich dann von der
Anmeldeliste haben streichen lassen. Wir wollten wissen, was die
Attraktivität des Betreuten Wohnens im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus ausmacht - für die, die eingezogen sind und für die, die
absprangen. Bei der Entscheidung gegen das Betreute Wohnen
könnte auch die (kleine) Wohnungsgröße eine Rolle gespielt haben.
Wir werden das bald wissen.
Zur Selbstorganisation: Man kann in einem Forschungsprojekt nicht
alles untersuchen, und dies ist bislang nicht unsere Fragestellung,
ich kann Ihnen dazu wenig sagen. Das Einzige, was ich jetzt hier
habe, sind diese Angaben zu den „helping hands“, zu den Potenzialen. Vielleicht wird ihre Frage zu einer Fragestellung, die wir im Rahmen von einer qualitativen Beschreibung einzelner Wohnanlagen (im
Rahmen einer Diplomarbeit) beim vierten oder fünften Erhebungszeitpunkt aufgreifen. Es gibt ja viele interessante Fragen, die man in
einer Studie einfach ausblenden muss; unsere Probanden sollen
durch die Interviewteilnahme ja nicht überstrapaziert werden. Wir
haben unseren empirischen Zugang pre-getestet und darauf hin sind
einige Fragen weggefallen, weil wir gemerkt haben, das Interview
dauert zu lange, überschreitet eine Stunde oder eineinhalb Stunden,
das können wir nicht machen, sonst steigen uns die Leute beim
nächsten Erhebungszeitpunkt aus. Man muss da immer einen
Balanceakt wagen, und ich habe mich dafür entschieden, lieber
weniger zu fragen und dafür die Stichprobe länger zusammen zu
halten, dann weiß man im Endeffekt mehr.
Die letzte Frage zum Advokatenplaner: Das Konzept als solches ist
ja nicht neu, es stammt nicht von mir, sondern wurde in den 60erJahren im Rahmen von Stadtsanierungsmaßnahmen praktiziert.
„Advocation planing“ in den USA und auch in Deutschland war
damals ein partizipatives Planungskonzept. Diese Grundidee habe
ich aufgegriffen und auf das Planen und Bauen für Senioren bezogen. Ob da Grundlagen vorliegen? Ja und nein, sie sind natürlich
nicht so systematisch aufbereitet, dass ein Planer diese wie in einem
Handbuch nachschlagen könnte. Mir persönlich war es wichtig, diesen Ansatz erstmal empirisch zu testen. Erste Erfahrungen zeigen,
dass durch Advokatenplanung die Qualität des Planungsprozesses
und die Qualität der betreuten Seniorenwohnanlage deutlich zu
144
steigern sind. Mir geht es nicht um post-occupency-evaluation - ein
Planungsansatz, der von verschiedenen Kollegen vertreten wird,
sondern mir geht es um die pre-occupency-evaluation, also um die
nutzerorientierte Bewertung schon im Planungsstadium. Planungsfehler zu vermeiden, ist meist preiswerter, als Planungsmängel
später durch Umbau- und Nachbesserungsmaßnahmen am Gebäude beheben zu wollen. Ich glaube wirklich, dass man im Vorfeld eine
Planung optimieren kann, davon bin ich mittlerweile 100%ig überzeugt. Aber es gibt dabei Sensibilitäten zu beachten: Architektinnen
scheinen weniger Berührungsängste zu haben als ihre männlichen
Kollegen, die sich manchmal durch die Mitwirkung eines Gerontologen und Architekturpsychologen in ihrer Gestaltungsehre angegriffen
fühlen. Mit meinen Optimierungsvorschlägen (die nicht selten auch
Einsparungsmaßnahmen waren) habe ich bei Architekten manchmal
mehr Widerstände erfahren. Planende Frauen scheinen für Anregungen aus anderen Professionen bislang mehr aufgeschlossen zu
sein.
Großhans:
Mein Name ist Hartmut Großhans vom Gesamtbundesverband der
Wohnungswirtschaft, und diesen Job, den Sie in der Beratung
machen, den habe ich auch bei unseren Kollegen gemacht. Ich sage
mal, 95% dessen, was Sie uns heute gesagt haben, hat nichts mit
Geld zu tun, das kostet alles keine müde Mark mehr. Selbst wenn wir
sagen, wir brauchen ein bisschen größere Wohnungen, ist zu überlegen, ob man den Grundriss besser, intelligenter organisiert - mit
den Quadratmetern, die man hat. Wer nicht so viel Geld hat, kann
sich auch auf einem kleinen Grundriss organisieren, wenn er gut ist.
Alle anderen Dinge sind nur Fragen der Intelligenz. Wir haben zum
Beispiel in Menden eine Einrichtung, in der wirklich ein Empfang wie
im Hotel ist: Man kommt rein und hat das Gefühl, da wird man
bedient.
Einen Punkt wollte ich noch erwähnen: Wenn wir sagen „die alten
Menschen“ - Sie untersuchen jetzt welche, und die haben jetzt ein
bestimmtes Alter bis hochaltrig. Bitte haben Sie immer im Gedächtnis: dies geht ab 65 Jahren. Und ein ganzer Katalog dessen, was in
diesen beiden Tagen darüber gesagt worden ist, wie man mich
betreuen wird, da kann ich natürlich nur trocken husten. Ich bin 65
Jahre alt und habe gerade meine neue Wohnung altengerecht
eingerichtet, genau so, wie Sie es gesagt haben. Und da betrifft diese „Angstphase“, über die Sie gesprochen haben, ob alles fertig ist,
145
jemanden, der gerade frisch aus dem Beruf kommt, nicht so sehr:
Wir hatten noch einen Monat die Handwerker in der Wohnung und
konnten „hinterher sein“ und sagen: Das wird runtergelegt, der
Schalter kommt da hin, da muss noch ein bisschen geschlitzt werden
und alles dieses. Das heißt, beim Interpretieren von Daten müssen
wir uns doch immer die Alterskohorte angucken, über die wir Aussagen machen. Ansonsten kann ich nur empfehlen: Sie müssen
Training machen bei unserem Wohnungsunternehmen!
Joachimsthaler:
Und bei den Bauträgern.
Großhans:
Über die Bauträger kann ich nichts sagen. Aber unsere Wohnungsunternehmen vermieten langfristig Wohnungen und vermieten Wohnungen mit „Service Plus“, damit sie sie ordentlich vermieten können
- aus wirtschaftlichem Motiv. Aber es muss Inhouse-Seminare geben,
da muss vom Chef bis zum Hausmeister trainiert werden.
Saup:
Eine kurze Reaktion darauf. Mein Altersspektrum, an das ich denke,
ist nicht so groß. Mich würde mit 65 Jahren keiner locken, ins
Betreute Wohnen zu ziehen. Auch die Werbung der Betreuten Wohnanlagen mit den rüstigen Jungsenioren, die mit einem Partner
strahlend auf einer Parkbank sitzen - das ist nicht die Zielgruppe des
Betreuten Wohnens, die ich aus Bayern und Baden-Württemberg so
kenne. Es mag sein, dass es auch dieses Service-Wohnen für die
Rüstigen gibt. Aber darüber rede ich nicht; ich habe hier über Hochaltrige geredet, ich sagte, das durchschnittliche Eintrittsalter ist 78
Jahre; meist mit vorgeschädigtem Gesundheitszustand.
Großhans:
Ich habe es nur deshalb gesagt, weil Sie ja auch geschaut haben,
was passiert, wenn wir die Wohnung wollen. Ich bin Genossenschaftsmitglied, also Mieter, und habe in meiner Wohnung trotzdem
etwas verändert, weil ich es für sinnvoll halte. Ich will nur sagen: Ich
brauche jetzt noch keine Betreuung. Aber wir haben einen Waschtisch, den man unterrollen kann mit zwei Küchenelementen, die
eigentlich auf Rollen gesetzte Küchenschränke sind und die man
146
rausrollen kann. Wir haben in meinem Arbeitszimmer ein Fenster mit
einer Glasbrüstung, die so positioniert ist, dass da ein Pflegebett
stehen kann, sodass ich, wenn ich da drin liege, in den grünen Hof
gucken kann. Das heißt, auch wenn man selber noch das Gefühl hat,
es sei weit weg, sollte man einfach überlegen, wie man, wenn man in
das Alter kommt, von dem Sie sprechen, damit umgehen kann.
Daran sollten wir mehr denken. Wenn wir es jetzt angehen, dann
kostet es im Grunde wenig; nachher kostet es Geld.
Saup:
Ja, da gebe ich Ihnen recht.
Joachimsthaler:
Danke nochmal, Herr Professor Saup.
Wir möchten jetzt in die Arbeitsgruppen gehen. Sie können aus dem
Programm entnehmen, welche Thematiken die Arbeitsgruppen
haben. Im Anschluss daran treffen wir uns wieder hier im Tagungsraum.
147
Berichte aus den Arbeitsgruppen
Joachimsthaler:
Ich hoffe, Sie hatten alle anregende Diskussionen in Ihren Arbeitsgruppen. Ich möchte jetzt darum bitten, dass aus den Arbeitsgruppen
die Zusammenfassungen gegeben werden.
Arbeitsgruppe 1: Marktchancen von Wohnangeboten mit Service
(Engels)
Unsere Eingangsfrage war: Welche Erfahrungen gibt es aus anderen
Städten, aus anderen Regionen? Es hat sich dann ein Erfahrungsaustausch angeschlossen, der sehr gemischt war. Es hat sich wohl
auch in anderen Gruppen gezeigt, dass es ein großes Gesprächsbedürfnis gab. Von daher haben wir uns zu verschiedenen thematischen Schwerpunkten ausgetauscht, und nicht nur stringent eine
Frage bearbeitet. Es hat sich aber schon heraus kristallisiert, was die
zentralen Probleme waren. Zunächst ging es um eine Begriffsklärung. Es gab nochmal das Bedürfnis, diesen Begriff des „Betreuten Wohnens“ bzw. des „Service-Wohnens“ genau abzugrenzen
gegen Zwischenformen. Es wurde berichtet – es gibt ja immer wieder
diesen Fall –, dass Wohnungsunternehmen ihren Leerstand so zu
bewältigen oder attraktiv zu machen versuchen, dass sie einfach
jemanden einstellen oder in irgendeiner Weise ein Betreuungskonzept anbieten, ohne dass dies wirklich ein durchdachtes Konzept von
Betreutem Wohnen wäre. Die Frage war: Was soll Betreutes Wohnen bei „durchmischten“ Wohnungen oder Wohnanlagen heißen? Ist
dann die gesamte Wohnanlage „Betreutes Wohnen“ oder gilt das nur
für die, die einen Service-Vertrag haben? Es gibt da Grenzbereiche,
wo unter dem Begriff „Wohnen Plus“ ein Wohnungsanbieter einen
Sozialarbeiter einstellt, der für alle Bewohner zuständig ist und nicht
nur für Ältere. Wir haben dann gesagt, dass wir uns auf Betreutes
Wohnen für Ältere konzentrieren wollen.
Es wurde dann im weiteren Verlauf der Diskussion die Frage gestellt:
Wie ist es speziell bei gemischten Wohnbeständen mit dem Verhältnis zwischen Jung und Alt? Es hat ja sicher auch bestimmte
Vorteile in der Bewohnerstruktur, wenn sie vermischt ist, und dann
sähe es ja auch so aus, dass die Älteren einen Service-Vertrag
annehmen, während andere in der Wohnanlage oder in dem Gebäude wohnen, für die das nicht gilt. Es wurde dabei differenziert
zwischen einem stärker betreuungsorientiertem Interesse von
149
Hochaltrigen und stärker service-orientierten Interessen von jungen
Alten. Als Vorteil wurde hier nochmals darauf hingewiesen, dass es
gegenseitige Hilfepotenziale geben könnte, wenn Jung und Alt
zusammen wohnen. Speziell von Halle wurde berichtet, dass hier ein
Projekt geplant ist, wo in der unteren Ebene und im Erdgeschoss
Senioren einziehen sollen und in den oberen Etagen Studenten.
Davon erhofft man sich einen solchen Austausch und auch eine z.T.
eine ehrenamtliche Steigerung der Betreuungsqualität. Nur die
Fragen: Wo gibt es schon Erfahrungen mit solchen Wohnformen?
Wo ist so etwas schon über längere Zeit praktiziert worden? Wie
sieht die Realität von solchen gemischten Projekten aus? – waren
schwer zu beantworten. Es handelt sich dabei doch eher um Konzepte.
Dann kamen wir zu einem Punkt, der uns am längsten beschäftigt
hat – nämlich die Frage: Wie können wir Marktchancen beeinflussen
und verbessern? Im Vordergrund stand die These „Marktchancen
erfordern differenzierte Konzepte“, Konzepte, die auf unterschiedliche Interessen- und Bedürfnislagen sowie auch auf regionale
Spezifika hin differenziert sind. Als ein Beispiel wurde das hier in
Halle schon zur Sprache gebrachte „Projekt im Projekt“, also
Betreutes Wohnen für Demente innerhalb des Service-Wohnens,
angesprochen. Das wäre ein spezifisches, auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittenes Konzept. Es wurde weiterhin darauf verwiesen,
dass solche Abstimmungen natürlich ein generelles Case-Management erfordern und eine genaue Abstimmung auf das Quartier, die
als wichtiger betrachtet wurde als die Planung im Vorhinein am
grünen Tisch. D.h. also, wir haben zwar auch viel über Qualitätsnormen und über Anforderungen gesprochen, aber mindestens
genau so wichtig ist es, sich von diesen Normen nicht bis zur letzten
Planung bestimmen zu lassen, sondern die Planung auf die
Bedürfnisse vor Ort abzustimmen. Ein Vorschlag war, zwischen Normen und Zielen zu unterscheiden. Normen wären die Mindestanforderung, über die wir auch bisher gesprochen haben; man sollte
aber auch sagen können: Auch wenn die nicht erreichbar sind,
wollen wir doch bestimmte Ziele verfolgen, die vielleicht mehr oder
weniger oder auch nur zu einem geringen Teil erreicht werden. Aber
wichtig wäre dabei vor allen Dingen die Abstimmung auf die
regionalen Bedingungen, auf die Interessenlage vor Ort.
An dieser Stelle wurde angemerkt, dass der Aspekt des „Normierten“, des Verallgemeinerten hier bei unserer Tagung zu sehr im
Vordergrund gestanden habe und dass man doch auch an konkreten
150
Beispielen interessiert sei; auch daran interessiert, wo es dazu Informationsmaterial gebe. Das KDA hat nochmal darauf hingewiesen,
dass dort Literatur und auch Beispiele abgefragt werden können.
Ein Aspekt der Flexibilität ist auch die Frage nach „Markt“ und „Geld“.
Ein Teilnehmer sagte: „Senioren, an die wir uns wenden, sind gar
nicht marktfähig, die haben gar nicht das Geld.“ Es wurde aber klargestellt „marktfähig“ heißt: für verschiedenartige Bedürfnisse und
auch für unterschiedliche Geldbeutel passende Konzepte anzubieten. Dabei ging es also wieder um Flexibilität, im Hinblick auf Personengruppen, auf regionale Erfordernisse, auf Siedlungserfordernisse und auf andere regionalspezifische Faktoren. Vom Baulichen
her wurde für Flexibilität als Beispiel ein so genanntes „Schaltzimmer“ erwähnt. Wenn mal größere Wohnungen, mal kleinere Wohnungen gewünscht werden, dann gibt es dieses Modell, dass ein Schaltzimmer dazwischen mal der einen Wohnung, mal der anderen
zugeordnet werden kann – je nach Bedarf.
Arbeitsgruppe 2: Sind die Erfahrungen mit dem Service-Wohnen im
früheren Bundesgebiet auf die neuen Länder übertragbar? (Narten)
Wir haben erst einmal festgestellt, dass wir hauptsächlich Vorträge
aus dem Westen gehört haben; in unserer Arbeitsgruppe waren aber
fast nur Teilnehmer aus den neuen Ländern. Deshalb kamen wir
schnell zur Frage der Übertragbarkeit, und wir haben festgestellt:
Eigentlich ist da relativ wenig übertragbar, weil hier auch im Wesentlichen über neue Wohnanlagen berichtet worden ist. Wir waren uns
ziemlich schnell einig, dass neue Wohnanlagen im Osten eine viel
geringere Rolle spielen. Es wurde zwar gesagt, dass es auch hier ein
gewisses Klientel gibt, das für solche Wohnanlagen in Frage kommt,
dass Anlagen aber hier nicht Fuß fassen konnten. Die bisherige
Erfahrung zeigt, dass viele Wohnanlagen, die in dem Hochpreissegment angesiedelt waren, sich - im Unterschied zum Westen nicht etablieren konnten.
Es wurde das Modell „Schwäbisch Hall“ angesprochen, wo man sich
in Genossenschaften zusammentut, um so eine Wohnanlage zu
realisieren. Das wurde noch als einigermaßen realistisch angesehen,
aber sonst ging man ganz schnell dazu über zu sagen: Wir haben
hier eigentlich andere Probleme, wir haben hier eine andere
Wohnungsstruktur. Wir haben einen viel geringeren Anteil an
151
Eigentum; wir haben einen viel größeren Stellenwert der Wohnungsunternehmen; wir haben eben das typische Phänomen der Plattenbauten. Und hier muss angesetzt werden, d.h. wir müssen bei den
Wohnungsunternehmen und bei den bestehenden Siedlungen ansetzen, wir müssen diese weiterentwickeln. Dies heißt zunächst einmal,
sie für Alte bewohnbar zu machen: Barrierefreiheit herstellen so weit
wie möglich, und dann die Dienstleistung dazu bringen. Es war
ziemlich schnell klar, dass diese Dienstleistungen nicht allein auf der
monetären und professionellen Ebene erbracht werden können, weil
es nicht bezahlbar ist. Das Beispiel, dass keiner so gerne mehr als
20 DM für eine Haushaltshilfe zu zahlen bereit ist (auch i.d.R. im
Westen nicht) wurde dann angeführt. Wir waren der Meinung, dass
man zu anderen Konstrukten kommen muss, dass man eigentlich
immer einen gewissen Mix an Dienstleistungsangeboten bringen
muss. Das eine sind die wirklich professionell notwendigen Dienstleistungen, die auch nur von Professionellen erbracht werden und
dann auch entsprechend bezahlt werden müssen. Dann gibt es diese
eher halb-professionellen Dienste, die z.B. von Zivildienstleistenden
sowie von ABM-Kräften erbracht werden können. Und dann gibt es
aber auch noch – ganz wichtig – die nicht so leicht abrechenbaren
Dienstleistungen, die sich eher im Nachbarschaftsverhältnis
abspielen. Es ist wichtig, die Nachbarschaften zu fördern, um auch
diese Ebene mit abdecken zu können. Das führt uns automatisch
dazu, dass wir sagen müssen: Es ist ein Problem, wenn Plattenbauten zu Senioren-Wohnanlagen entwickelt werden, weil dann
genau dieses Element der Nachbarschaftshilfe fehlen wird. Es wurden eher Konzepte genannt, bei denen man gezielt den Einzug
junger Leute in diese Plattensiedlungen und auch in diese Hochhäuser, die mit diesen kleinen Wohnungen ausgestattet sind, mit
niedrigen Mieten fördert, um eine gewisse Bindung auch junger
Leute an das Quartier zu entwickeln. Auf diese Weise könnte man
eine Mischung herstellen und fördern. Wir waren sehr unterschiedlicher Meinung, wie erfolgreich solche Konzepte sind. Ob es sinnvoll
ist, mit den Mieten so stark herunter zu gehen, ob dann nicht irgendwann auch Grenzen für die Wohnungswirtschaft da sind, das wurde
natürlich kontrovers diskutiert. Ich denke, wir waren uns ziemlich
einig, dass nur in dieser Weiterentwicklung der bestehenden Siedlungen das Konzept für den Osten liegt.
152
Arbeitsgruppe 3: Qualitätsanforderungen und Qualitätssicherung im
Service-Wohnen (Wiencke)
Meine Name ist Marco Wiencke von der Koordinierungsstelle
Hamburg. Ich habe die Arbeitsgruppe 3 moderiert. Es war eine sehr
bunt besetzte und lebhafte Gruppe. Es war, vermutlich auch bedingt
durch den ganzen Input, den wir über die zwei Tagen bekommen
haben, ein großer Diskussionsbedarf vorhanden. Insofern waren die
Fragen, die wir vorher erarbeitet hatten, auch nicht ganz stringent
einzuhalten - viele Dinge haben sich direkt aus der inhaltlichen
Debatte ergeben.
Zum Thema „Wohnqualität“ – was gehört direkt zur Wohnqualität? –
wurde ganz klar auf die baulichen Aspekte hingewiesen. Wir hatten
auch eine Diskussion über das, was vorhin von Professor Saup
angesprochen wurde, nämlich: Inwiefern sind diese DIN-Normen
eigentlich sinnvoll oder auch nicht? Es wurde auch nochmal darauf
hingewiesen, dass man in der jüngsten Vergangenheit gerade
versucht hat, diese DIN-Normen auch tatsächlich durchzusetzen; und
dass es insofern auch ein wenig kontraproduktiv ist, wenn in dieser
Phase allzu sehr gegen solche Normen angebracht wird, weil z.B.
diese Geschichte mit den Türgriffen auch nur eine Sache von
Gewohnheiten ist, die auch – was auch die Erfahrung in vielen
Bereichen zeigt – ziemlich schnell von älteren Menschen umgestellt
werden können, sodass es häufig eher für Professionelle ein
Problem darstellt, aber nicht für die älteren Menschen, wenn der
Türgriff auf einmal weiter unten ist als gewohnt.
Dann spielt natürlich das Wohnumfeld ein große Rolle. Für ältere
Menschen, die nicht mehr so mobil sind wie ich es als junger Mensch
noch sein kann, ist es natürlich vorrangig, dass sie die wichtigen
Dinge wie Geschäfte, U-Bahn- oder Busverbindung, auch in einem
kurzen Radius erreichen.
Interessant wurde es bei der Frage: Welche Leistung sollte eigentlich
angeboten werden? In dem Zusammenhang stellt sich immer die
Frage: Inwiefern kann man Leistung als Mindeststandard festlegen,
wenn wir ein so großes Spektrum von verschiedenen Konzepten
haben? Es wurde ganz deutlich bejaht, dass es dieses breite
Spektrum geben soll; dass wir ganz viele verschiedene ältere Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen haben und es von daher
sinnvoll ist, diese verschiedenen Konzepte auch für die verschiedenen Bedürfnisse vorzuhalten; dass man das nicht versucht
153
einzuengen, indem man nur ein, zwei Konzepte in dem Zusammenhang schafft. Es wurden aber trotzdem zwei, drei Dinge genannt,
die doch für Betreutes oder Service-Wohnen ganz elementar sind:
Zum Beispiel die regelmäßige Betreuung. Wir haben es für ganz
elementar erachtet, dass Betreutes Wohnen in Abgrenzung zum
Wohnen in „normalen“ Wohnungen diese regelmäßige Betreuung
vorhält, die schwieriger zu gewährleisten ist, wenn ein Hilfe- oder
Pflegebedarf z.B. durch eine Sozialstation abgedeckt wird. Und dass
man diese Möglichkeit hat, die baulichen Voraussetzungen nach DIN
18025 und DIN 18024 zu beurteilen, ist sicherlich auch ein Mindeststandard.
„Mitbestimmung und Mitgestaltung“ zu ermöglichen, sollte auch ein
Mindeststandard im Betreuten Wohnen sein: Dass man eben nicht
nur über die Bedürfnisse der älteren Menschen spricht, sondern dass
man ihnen auch die Möglichkeit bietet, aktiv mit einzugreifen.
Zum Thema „Leistungsqualität“ kam ganz deutlich in dieser Gruppe
heraus, dass es vor allen Dingen (auch das hat Professor Saup
vorhin angedeutet) auch auf kommunikative Fähigkeiten der Menschen, die die Betreuung im Betreuten Wohnen oder im ServiceWohnen organisieren, ankommt. Es war weniger wichtig, was derjenige handwerklich kann, sondern dass auch eine Moderationsfähigkeit in dieser Einrichtung vorhanden ist.
Ich hatte noch zwei Fragen, zu denen wir aus zeitlichen Gründen
nicht mehr gekommen sind. Wir haben noch kurz über den Schutzbedarf der Bewohner gesprochen. Welcher Schutzbedarf ist
eigentlich vorhanden? Und welche Konsequenzen – vielleicht auch
rechtliche – sollten daraus entstehen? Dazu wurde auch gesagt,
dass man bei dieser Frage die Vielfalt des Betreuten Wohnens
berücksichtigen muss; und dass es von daher schwierig ist, grundsätzlich zu sagen, Betreutes Wohnen sollte unter das Heimgesetz
oder unter das Mietgesetz fallen. Man muss auch gucken, wieweit
die Betreuung jeweils geht. Es ist dementsprechend vielleicht
sinnvoll, in einigen Häusern, die unter das Heimgesetz fallen, auch
neue Regularien zu schaffen. Dabei kommt es vor allen Dingen auch
auf eine interne Qualitätssicherung an. Es ist wichtig, dass es durch
die Einbeziehung der Bewohner/innen im Hause vielleicht gar nicht
erst so weit kommt, dass von außen rechtliche Bestimmungen
notwendig werden, sondern dass die Häuser von allein in der Lage
sind, dieses für sich wahrzunehmen und zu gestalten. Das wurde
aber auch in diesem Zusammenhang nicht abschließend diskutiert.
154
Service-Wohnen: Bedarf und Marktchancen in den neuen
Bundesländern
Podiumsdiskussion
Teilnehmer/innen: Frau Dr. Theren (Sozialministerium SachsenAnhalt), Herr Professor Nentwig (Bauhaus-Universität Weimar),
Herr Eisenberg (Projektentwickler), Herr Dr. Bartaune (Hallesche
Wohnungsgesellschaft), Herr Eberhard (Stadtseniorenrat Halle)
Moderation: Dr. Engels
Engels:
Es ist ja immer die Frage, wie man eine solche Tagung, die voller
Vorträge und Diskussionen steckt, geeignet zum Abschluss bringt zu einem Abschluss, bei dem noch einmal verschiedene Aspekte zur
Sprache kommen, die seit gestern Mittag hier diskutiert wurden; eine
Diskussion, bei der man auch nochmal Gelegenheit hat, zu
reflektieren und nochmal letzte Fragen zu stellen. Wir haben uns
überlegt, dass es eine geeignete Form eines solchen Abschlusses
sein kann, dass wir zu den verschiedenen Aspekten, die wir hier
besprochen haben, entsprechende Podiumsteilnehmer einladen.
Zwar sind das z.T. Aspekte gewesen, die die Stadt Halle, die
konkrete Wohnsituation sowie die konkreten Projekte betreffen, die
wir uns gestern angesehen haben. Es sind aber auch Fragen, die
das Land Sachsen-Anhalt insgesamt betreffen, oder noch weiter
gegangen: die Situation der neuen Bundesländer, die hier doch
etwas anders gelagert ist, gerade wenn es um neue Modelle geht.
Letztlich, bei dem Stichwort „Neue Modelle“, führt der Zusammenhang in das Modellprogramm „Selbstständig Wohnen im Alter“,
das wir hier insgesamt als Rahmen unserer Veranstaltung haben.
In solchen regionalen Schichtungen haben wir die Podiumsteilnehmer ausgewählt. Ich will zunächst unsystematisch anfangen, die
Podiumsteilnehmer vorzustellen: Frau Dr. Theren vom Sozialministerium Sachsen-Anhalt aus Magdeburg - vielen Dank, dass Sie
gekommen sind; zu meiner Rechten Herr Professor Nentwig von der
Bauhaus-Universität in Weimar; dann ganz rechts Herr Eisenberg,
Projektentwickler und im Beirat unseres Modellprojekts. Und zur linken Seite Herr Dr. Bartaune von der Halleschen Wohnungsgesellschaft und Herr Eberhard vom Stadtseniorenrat Halle. Ich will jetzt
bei Ihnen, Herr Eberhard, mit meinen Fragen beginnen.
155
Herr Eberhard, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Seniorenrats der Stadt Halle und zudem noch Leiter der Arbeitsgruppe
„Wohnen im Alter“. Sie befassen sich in besonderer Weise mit diesen
Fragen, die uns ja auch hier beschäftigt haben. Sie waren sehr
interessiert dabei und haben überlegt: Was bedeutet das jetzt für uns
Senioren? Wir haben auf der einen Seite interessante Modelle sowie
interessante Vorschläge. Wir haben viel über Qualität gesprochen.
Wir haben auf der anderen Seite gesagt: Die Situation stellt sich
vielleicht im konkreten Fall anders dar. Wie haben Sie das aus Ihrer
Sicht wahrgenommen?
Eberhard:
Zuerst herzlichen Dank an die Veranstalter, dass Sie den Seniorenrat
eingeladen haben – also konkret an Frau Joachimsthaler. Ich sage
das ganz bewusst, weil bei uns im Seniorenrat öfter auch die
Bemerkung fällt: Es wird viel über Senioren diskutiert und wenig mit
Senioren. Deshalb ist es ganz gut, wenn bei so einem Workshop
auch die Vertreter der Senioren dabei sind.
Nun konkret zum Thema „Service-Wohnen als zukunftsorientiertes
Wohnkonzept“. Wir haben in Halle einige Möglichkeiten genutzt. Der
Stand ist so – gestern sagte das die Frau Bürgermeisterin –, dass wir
ungefähr 1.300 altengerechte Wohnungen anbieten können. Um da
ein bisschen Information unter die Senioren zu bringen, haben wir
versucht, mit den kommunalen Wohnungsunternehmen sowie mit
den Wohnungsgenossenschaften, Stadtseniorengespräche zu organisieren, um erstmal die Fragestellung „Senioren-gerechtes Wohnen,
Service-Wohnen“ bekannt zu machen, und wir haben auch Merkblätter herausgebracht. Wir haben uns damit natürlich nicht
akademisch beschäftigt, sondern ganz konkret und haben den
Senioren mitgeteilt: In Halle gibt es die und die Wohnungen, mit den
und den Preisen. Daraus ergibt sich schon ein Problem; gern haben
die Anbieter das alles nicht genannt. Aber wir hatten z.B. bei den
Pauschalgebühren, die da zu zahlen sind, Differenzen zwischen 60,DM und 290,- DM, bei etwa vergleichbaren Angeboten. Wir glauben,
dass wir die Fragen, die hier gestern gestellt wurden, versucht
haben, auf lokaler Ebene dadurch zu lösen, dass wir erstmal den
Senioren überhaupt die Information über das Angebot gegeben
haben. Das Problem, das von Herrn Professor Saup hier akademisch
gründlich und wissenschaftlich exakt dargestellt wurde, das haben
wir in unseren Gesprächen auch schon längst erfahren. Die Senioren
möchten insbesondere Sicherheit haben, und zwar Sicherheit vor
156
zwei wesentlichen Einschränkungen im Alter. Das ist die immer
weiter steigende „je-älter-ich-werde-Einsamkeit“ und die immer weiter
steigende Gebrechlichkeit – also Krankheit bis Altersverwirrtheit. D.h.
die Erwartung ist, dass Betreutes Wohnen mehr Sicherheit –
besonders für diese beiden Gebiete – bringt; von daher auch der
Ansturm auf solche Angebote. In aller Deutlichkeit möchte ich
nochmal sagen: Ganz schnell verfügt sind die Wohnungen, die wir
anbieten, die gefördert sind und die zu 9 DM-Mietpreisen angeboten
werden (wer einen Wohnberechtigungsschein hat, bekommt eine
solche Wohnung). Schon schwieriger wird es bei Mieten, die 13 DM,
14 DM und 15 DM betragen, aber auch diese Wohnungen sind i.d.R.
immer noch besetzt. Die Frage ist: Ist Service-Wohnen ein zukunftsorientiertes Wohnprojekt? Ich glaube, dass Service-Wohnen Zukunft
hat, aber begrenzt. Es ist ein Segment im großen Angebot der
Wohnungen. Nicht alle 60.000 Senioren von Halle werden in ServiceWohnungen oder Betreutes Wohnen ziehen. Aus den Erfahrungen,
die wir in Gesprächen gewonnen haben, ist das Maximum beim
Angebot auf dem Wohnungsmarkt auf diesem Sektor höchstens 10%
- und das, meine ich, ist schon hoch. Aber das sind keine
wissenschaftlichen Angaben, sondern Erfahrungen.
Engels:
Die letzte Schätzung, dass für 10% der Senioren ein Wohnen mit
Service in Frage käme, ist sehr hoch - wir sprachen gestern über
Schätzungen von 0,4% bis 2% der Senioren. Es ist auch gar nicht so
gemeint, dass es ein Regelangebot oder das Standardangebot für
eine möglichst große Gruppe sein soll, sondern es ist die Frage, für
wen es genau passt.
Eberhard:
Mit dem Marktpotenzial von 10% sind nicht nur Betreuungsangebote
gemeint, die vor allen Dingen für Hochbetagte in Frage kommen,
sondern wir meinen damit alle Angebote von altengerechten Wohnungen, auch die, die die Möglichkeit der Service-Leistung nicht
unbedingt integriert haben, aber möglich machen. Wir meinen das
etwas breiter, um dies klar zu stellen.
Engels:
Vielen Dank für diese Klarstellung. Ich finde es auch sehr interessant, dass Sie für Halle eine Übersicht erstellt haben und damit die
157
„Markttransparenz“ – die ja immer gefordert wird – verbessert haben.
Das ist eine sehr wertvolle Arbeit; umso wertvoller, als es ja aus der
Sicht der Wohnungsgesellschaften zunächst darum geht, ein
Problem zu lösen – nämlich das Problem, dass man z.T. große
Bestände von leer stehenden Wohnungen hat. Man fragt sich: Wie
können wir die attraktiver machen? Es wird dann in Zusammenarbeit
mit einem Betreuungsträger versucht, diese Wohnungen durch ein
Service-Angebot zu verbessern. Da ist es natürlich gut, wenn man
einen genauen Überblick hat, welche Angebote mit welcher Qualität
es gibt.
Herr Dr. Bartaune. Sie sind von der Halleschen Wohnungsgesellschaft und arbeiten mit dem Senioren-Kreativ-Verein in dem Wohnprojekt zusammen, das wir gestern besucht haben. Könnten Sie kurz
darstellen, welchen Stellenwert es für Sie hat, dass eine solche
Kooperation möglich ist – dass ein solcher Betreuungsträger überhaupt auf dem Plan ist, an den Sie sich wenden können?
Bartaune:
Zu Ihrer Frage: Natürlich gibt es betriebswirtschaftliches Interesse.
Die Senioren sind für uns ein interessanter Kundenkreis. Wir meinen,
durch das Anbieten spezieller Dienstleistungen Kunden in unser
Unternehmen locken zu können – und Kunden in unserem Unternehmen halten zu können. Das ist ein ganz offenes wirtschaftliches
Interesse, das da vorliegt.
Ein zweiter Punkt, den ich nennen möchte: Wir sind ein kommunales
Unternehmen und haben von daher natürlich auch eine bestimmte
Verantwortung zu übernehmen, die unser Gesellschafter von uns
verlangt. Von daher sehen wir auch unsere Verantwortung darin,
soziale Hilfe zu leisten – an den verschiedensten Fronten. Dass wir
den Senioren-Kreativ-Verein für unsere drei Objekte gefunden
haben, ist ein glückliches Zusammentreffen. Die Zusammenarbeit ist
sehr gut und wir können über diese Wohnungen, die wir dort anbieten, unseren älteren Mitbürgern ein vernünftiges und würdevolles
Leben garantieren. Von daher haben wir einen guten Ansatzpunkt
gefunden, von dem aus wir die Zusammenarbeit auch weiter
organisieren werden.
158
Engels:
Eine Rückfrage noch dazu: Sie haben von der sozialen Verantwortung gesprochen, die Sie als kommunales Unternehmen haben.
Natürlich spielt auch Geld eine Rolle. Heute Morgen kam in der
Diskussion die Idee auf: Warum kann man eigentlich für diesen
Qualitätszuwachs, den der Betreuungsträger dem Wohnungseigentümer liefert, nicht auch ein entsprechendes finanzielles Entgegenkommen erwarten? Es wurde von einem konkreten Beispiel berichtet,
wo für diese Kombination von Wohnung und Betreuung/Service eine
Sozialarbeiterstelle von der Wohnungsgesellschaft übernommen
wurde. Es gäbe verschiedene Modelle, die vielleicht auch in anderen
Kontexten entstehen, aber wie sehen Sie da die Kooperationsmöglichkeit? Wie dicht ist hier in Halle die Kooperation zwischen Wohnungsgesellschaft und Betreuungsträger, und wie weit geht gegenwärtig das Entgegenkommen? Man hat ja auch was voneinander.
Bartaune:
Das ist zwischen SKV und HWG ganz konkret geregelt. Wir leisten
einen Zuschuss für dieses Projekt, ich habe einen Flyer mitgebracht,
in dem wir Zahlen zu unserem Zuschuss, den wir zurzeit leisten,
nennen. Wir meinen, dass das vernünftig und richtig ist, hier die
finanzielle Unterstützung zu leisten, weil das spezifische Wissen
doch eher bei dem Träger dieser Sozialmaßnahme zu finden ist. Wir
unterstützen also den SKV im konkreten Beispiel über die drei
Objekte mit etwa 0,35 DM je qm – also wir leisten auch finanziell
etwas.
Engels:
Danke für Ihre Offenheit, für uns ist dies sehr interessant, damit wir
auch für andere Modelle Vergleichsmöglichkeiten haben, wie so eine
Kooperation eben auch finanziell läuft.
Wenn wir jetzt über Halle hinausgehen und das Land SachsenAnhalt insgesamt betrachten, dann beschränkt sich unsere Fragestellung natürlich nicht nur auf das Geld. Das haben wir aber auch im
Blick. Welchen Stellenwert hat das Betreute Wohnen bzw. das
Service-Wohnen in der Senioren-Politik des Landes? Und welche
konkreten Fördermöglichkeiten haben Sie da vorgesehen, Frau Dr.
Theren?
159
Theren:
Natürlich wird das Land immer mit Geld verbunden. Als Vertreterin
des Sozialministeriums muss ich aber sagen: Wir sind nicht primär
für Wohnungsbau zuständig, deswegen laufen auch die Förderprogramme des Landes im Bauministerium. Da gibt es noch eine ganze
Menge: Es wurden sogar Programme zur Neuschaffung von
altengerechten Wohnungen gefördert; wobei aber in der letzten Zeit
vor allen Dingen auch Wohnraumanpassung gefördert wurde. Sicher
ein sehr wichtiger Punkt, wenn auch nur im begrenzten Maße
genutzt, sind die Leerstand-Programme: Förderprogramme auf
10.000 DM pro Einheit bei Neubau von Eigenheimen. Da hat man
auch versucht, das Altern auch gleich bei den jungen Leuten, die
bauen, perspektivisch einzubinden.
Wenn Sie sagen „Betreutes Wohnen“, das ist etwas, wo wir fachlich
immer so leichte Bauchschmerzen haben, das möchte ich auch gar
nicht verhehlen; der Begriff gefällt uns überhaupt nicht. Denn es ist
ein Begriff aus der Behindertenhilfe, und da sehen wir natürlich, auch
aus fachlicher Sicht, nun nicht so unbedingt die Verknüpfung zur
Senioren-Politik – zumal ja auch das Klientel, an das sich diese
Angebote richtet, mit Behinderten nun gar nichts zu tun hat. Auch
wegen der rechtlich erforderlichen Trennung bevorzugen wir, dass es
baulich und von der technischen Ausstattung her „altengerechtes
Wohnen“ ist, das durch die Möglichkeit ambulanter Dienste oder
sonstiger Betreuungsangebote ergänzt werden kann.
Gestern ist die Frage angesprochen worden, inwieweit auch das
Betreute Wohnen unter das Heimgesetz fällt, dazu gab es ja in
anderen Ländern schon einige Verfahren und auch Beschlussvorlagen von Oberverwaltungsgerichten. Das Betreute Wohnen bzw.
das altengerechte Wohnen mit ambulanten Diensten fällt natürlich
nicht darunter. Aber es ist nochmal klargestellt worden, dass eine
Verkoppelung von Wohnen (wofür das Mietrecht zuständig ist) mit
der Pflege, die dem Bewohner kein Wahlrecht überlässt, sich
irgendeinen ambulanten Dienst beispielsweise aus Halle zu wählen,
unter das Heimgesetz fällt. Es gibt ein drittes Änderungsgesetz zum
Heimgesetz, was jetzt im Herbst in die Ausschüsse kommen soll.
Darin ist durchaus sehr eindeutig formuliert, dass die Koppelung der
Vermietung mit der Sicherstellung von Pflege oder sonstigen Angeboten dem Heimgesetz unterliegt – ich denke, dass dies eine sehr
sinnvolle Klarstellung ist. Eine Vielzahl von Angeboten entspricht
diesen Voraussetzungen nicht bzw. ist dann ein „Heim“ – mit allem,
was sich dann daraus an rechtlichen Konsequenzen ergibt. Wir
160
haben im Rahmen der Pflegestruktur-Planung ja darauf hingewirkt,
dass überall, wo neue Pflegeheime im Rahmen von Artikel 52
Pflegeversicherungsgesetz aufgebaut wurden, dieses Programm für
die neuen Bundesländer errichtet wurde. Es ist auch von den Kreisen
überwiegend in Anspruch genommen worden, Betreutes Wohnen
bzw. altengerechtes Wohnen immer mit entsprechenden Nutzungsmöglichkeiten zu errichten. Zu der Inanspruchnahme können wir
eigentlich auch nur sagen: Es boomt wie verrückt. Der soziale Wohnungsbau ist ein Punkt. Man sollte das allerdings auch nicht
überschätzen, denn gerade wenn noch zwei Rentner vorhanden
sind, also ein Ehepaar, dann wird die Schwelle zur Berechtigung für
sozialen Wohnungsbau von der Rentenhöhe schnell überschritten.
Ich würde auch sagen: Wir haben den Eindruck, dass 13 DM bis 15
DM an der Schmerzgrenze liegen, aber durchaus noch sehr gut
gehen. Das ist ein Preis, der durchaus hier im Land Sachsen-Anhalt
akzeptiert wird. Da haben wir den Eindruck, was auch heute in der
Arbeitsgemeinschaft 2 gesagt wurde, dass natürlich insofern die
Modelle der alten Länder nicht übertragbar sind. Wir haben oft
ermüdende Gespräche im Ministerium, wenn Investoren kommen,
die irgendwelche tollen Senioren-Residenzen fabrizieren wollen und
wir sagen: Das wird wohl kaum laufen. In Magdeburg haben wir so
eine Einrichtung: Die läuft nicht und ist wirklich überzogen teuer.
Das ist die Sichtweise des Landes. Wie gesagt, wir haben auch
weiter die Programme über den Wohnungsbau und versuchen, das
aus dem Sozialministerium heraus ideell zu begleiten.
Engels:
Vielen Dank. Auch hier noch eine Rückfrage: Sie hatten eben diese
Diskussion „Heimgesetz oder nicht“ angesprochen. Ich habe den
Eindruck, dass diese Diskussion nur zu verstehen ist vor dem
Hintergrund der Unsicherheit beim Service-Wohnen, dass es so
große Qualitätsunterschiede gibt und dass die Meinung vertreten
wird: Hier gibt es ein Schutzbedürfnis für die Bewohner. Ein Schutzbedürfnis, das schon bei der Vertragsgestaltung anfängt, die manchmal sehr intransparent ist, und hinreicht bis zu der Leistungsqualität.
Vielleicht ist es nur eine Verlegenheitslösung, wenn man Zuflucht
beim Heimgesetz sucht. Wie sehen Sie dieses Schutzbedürfnis, und
welche anderen rechtlichen Möglichkeiten gäbe es, um hier mehr
Klarheit und Transparenz hineinzubringen?
161
Theren:
So würde ich das eigentlich nicht sehen. Man muss jetzt mal zwei
verschiedene Dinge auseinander halten: Das Schutzbedürfnis
entsteht nach Vorstellung des Gesetzgebers dann, wenn der alte
Mensch eigentlich alle existenziellen Lebensbedürfnisse aus der
Hand gibt, nämlich: Bestimmung von Wohnraum, Bestimmung von
Unterkunft, Verpflegung und Pflege. Dieses ist – und das ist ja auch
der Grund, warum das Heimgesetz mal geschaffen wurde – dann der
Fall, wenn eine vollstationäre Form vorliegt, denn dann hat der
Mensch tatsächlich auch durch diese komplexe vertragliche
Gestaltung keinen Dispositionsraum. Man hat das – und das ist
eigentlich schon die Abgrenzung – nur klarstellen wollen, weil einige
Anbieter versucht haben, diesen Schutz des Heimgesetzes mit
dieser totalen Aufgabe der Bestimmungsmöglichkeiten dieser verschiedenen Lebensbereiche zu unterlaufen, indem man es anders
benannt hat. D.h. wenn ich kein Wahlrecht mehr habe, wenn mir
beispielsweise etwas in der Pflege nicht gefällt, dann kann ich mir
nicht einfach einen anderen Dienst holen, weil das in dem sog.
„Service-Vertrag“ nicht möglich ist. Dann bin ich in der rechtlich
geknebelten Situation wie im Heim – und das ist das Schutzbedürfnis. Ich weiß nicht, und ich meine (das ist immer eine
ideologische Frage: einerseits Selbstbestimmtheit im Alter, andererseits Kontrolle), es würde sonst auch niemand auf die Idee kommen,
zu sagen: Wenn jemand eine Wohnung sucht, hat er ein spezielles
„Schutzbedürfnis“. Es gibt natürlich auch dort Schutzinstanzen (wie
z.B. den Mieterschutzbund usw.), und ich denke, das ist etwas, was
ältere Bürger auch in Anspruch nehmen können. Ein anderer Aspekt,
aber das betrifft dann nicht mehr den vollstationären Bereich, ist die
Frage: Wie kontrolliere ich ambulante Dienste? Wenn entsprechend
dieser Klarstellung des Heimgesetzes das altengerechte Wohnen mit
ambulanten Diensten oder Service-Wohnen sich darauf beschränkt,
dass es nur die bauliche Möglichkeit für so einen ambulanten Dienst
ermöglicht, dann reicht dieser Schutz – so wie er jetzt gesetzlich
verankert ist – eigentlich schon aus. Hier sollte dem Missbrauch
entgegengewirkt werden, wo sich Träger anders bezeichnet haben
und versucht haben, durch eine Vertragsaufsplittung eines eigentlich
zusammengehörenden Komplexes das Heimgesetz zu unterlaufen;
das soll unterbunden werden.
Engels:
Sie haben mit der „Übertragbarkeit der Konzepte“, die doch maßgeblich auf Erfahrungen aus den westlichen Ländern beruhen, hier auf
162
die Situation in den neuen Ländern ein Stichwort angesprochen, das
uns auch während der ganzen Tagung beschäftigt hat (heute noch
einmal speziell in einer Arbeitsgruppe). Ich möchte Sie, Herr
Professor Nentwig, nun bitten, aus Ihrer Sicht und aus Ihrer Erfahrung etwas zu dieser Frage zu sagen. Herr Professor Nentwig
beschäftigt sich seit einiger Zeit in einer Arbeitsgruppe mit der
Wohnsituation der Senioren in den neuen Ländern und mit neuen
Wohnkonzepten unter architektonischen, sozialen und ökologischen
Gesichtspunkten.
Nentwig:
Erstmal muss man dazu sagen, dass es eine Differenzierung gibt
zwischen den Gemeinden und den größeren Städten, oder wenn
man es noch genauer betrachtet: zwischen den Sozialhilfeträgern
und Nicht-Sozialhilfeträgern. Wir haben gerade einen Wettbewerb
„Senioren-freundliche Kommune in Thüringen“ durchgeführt. Da hat
man ganz deutlich gesehen, dass auch kleine Gemeinden sehr gute
Arbeit leisten können, dass sie sehr gut verschiedene Träger und
Interessengruppen an einen Tisch bringen können, ohne dass es
institutionell in irgendeiner Art und Weise getragen wird – während
die größeren Städte natürlich andere Möglichkeiten haben.
Um noch mal auf die Problematik der Dienste zurückzukommen:
Natürlich gibt es hier strukturelle Probleme, was die Plattenbauten
angeht. Wir haben bei uns eine Forschungsarbeit laufen über „Neues
Wohnen für ostdeutsche Senioren“, die sich mit diesen unterschiedlichen Aspekten beschäftigt. Man kann sagen, dass „die Platte“
besser ist als ihr Ruf. Viele Menschen wohnen noch ganz gerne darin
und wollen dort auch wohnen bleiben. Sie nehmen dann natürlich
gerne Dienste in Anspruch, wenn sie die Wahlfreiheit haben – das ist
ja heute schon mehrfach gesagt worden, es muss also ganz klar
differenziert werden: Man möchte die Sicherheit haben, etwas in
Anspruch nehmen zu können, aber nicht zu müssen (genau so
möchte man, wenn man ein Auto kauft, vielleicht einen Airbag drin
haben oder auch nicht).
Vor diesem Hintergrund möchte ich gleich überleiten zu einem etwas
spezielleren Thema. Die Dienste an sich, die hier angeboten werden
und die auch hier diskutiert werden, sind ja in vielerlei Hinsicht gar
nicht an das Älter-Sein gebunden, sondern sind auch für Jüngere
akzeptabel, und das kann ein Vermarktungsinstrument der Wohnungswirtschaft sein, um Junge und Ältere zusammenzubringen;
163
wenn z.B. bauliche Voraussetzungen vorhanden sind, wenn Notrufsysteme installiert werden, über die dann z.B. auch Kommunikation
laufen, über die evtl. andere Dienstleister abgefordert werden
können. Da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, wie so etwas
funktionieren kann.
Engels:
Wir kommen jetzt zu der bundesweiten Ebene, aber nicht in Form
eines Repräsentanten der Bundesregierung, sondern in der Form
eines langjährigen Experten. Herr Eisenberg, Projektentwickler, war
früher in verschiedenen Ministerien bzw. Stadtverwaltungen tätig und
ist schon seit Jahren mit der Entwicklung passender Konzepte im
Behindertenbereich und jetzt auch im Seniorenbereich befasst. Herr
Eisenberg hat außerdem die Diskussion und die Entwicklung dieses
Projektes „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ als Beiratsmitglied mitverfolgt. Ich möchte Sie fragen: Welche Schlussfolgerungen würden
Sie aus diesen verschiedenen Aspekten ziehen, die wir hier diskutiert
haben? Was gibt es Ihrer Meinung nach primär zu klären, und wo
kann man mit weiter führenden Konzepten ansetzen?
Eisenberg:
Ich denke, wenn wir an das Thema „Lebensräume für ältere Menschen“ herangehen wollen, ist die Hauptschwierigkeit, dass wir es
hier mit verschiedenen Ebenen zu tun haben, die sehr gerne unter
dem Aspekt „Betreutes Wohnen“ miteinander vermischt werden.
Zunächst ist es ganz wichtig, dass sich die Frage des Wohnens, so
weit ich nicht selbst Eigentümer bin, an die Wohnungsbaugesellschaften richtet. Die Wohnungsbaugesellschaften sind nicht nur
Marktanbieter, sondern sind gerade im kommunalen Bereich auch in
ihrer Verantwortung für das Wohnen gefordert, mit ihrer Kompetenz
an die Sache heranzugehen. Ich habe vielfach bei der Umstrukturierung von Heimen in andere Wohnformen erlebt, dass sich Träger der
Wohlfahrtspflege plötzlich auch als Wohnbauträger kompetent
sahen. Dabei haben auch die Vertreter aus Ministerien immer wieder
gewarnt und gesagt: Habt ihr überhaupt die Kompetenz, im Bereich
der Wohnungswirtschaft tätig zu werden? Ich denke, es ist ganz
wichtig, dass man nicht auf dem falschen Klavier spielt.
Die zweite Sache ist immer wieder eine Gefahr, auch hier bei der
Tagung. Wenn ich vom „Betreuten Wohnen“ spreche, gehe ich von
der Frage aus: Welche Hilfestellung brauchen ältere Menschen im
164
zunehmenden Alter, um im Wohnumfeld wohnen bleiben zu können?
Das sind ganz differenzierte Ebenen. Wichtig ist, was wir auch
diskutiert haben: „Barrierefreiheit ermöglicht ein möglichst langes
Leben“. Es ist erstmal eine Grundvoraussetzung, ob ich mich bewegen kann. Da brauche ich noch gar nicht über Betreuung zu reden,
das ist zunächst mal eine bautechnische Frage. Es ist für mich immer
fatal, wenn man sagt: Beim privaten Träger kann ich die
Barrierefreiheit nicht fordern, es ist ja kein öffentlicher Bau. (Wobei
ich schon sage: Der nimmt so viel Steuerermäßigung in Anspruch,
dass dies auch eine indirekte Subventionierung ist.) Wieso kann das
Baurecht nicht hier viel stärker Platz greifen? Interessant ist, dass
heute viele private Träger längst zum barrierefreien Bauen übergegangen sind, weil die Marktchance, nämlich ihre Wohnung langfristig
zu vermieten, damit größer sind.
Dann kommt die nächste Ebene (ich denke da an das Konzept in
Aachen und in Augsburg): Wir brauchen eine systematische
Bestandsaufnahme, wie ältere Leute leben, und es muss überlegt
werden, in welcher Form dies möglich ist. Man braucht eine kleinräumige Infrastruktur, um mit den Betroffenen entsprechende Konzepte oder Angebotsformen weiter zu entwickeln. Das verändert sich
auch sehr stark, aber hier sind m.E. die Kommunen/ die Kreise überhaupt nicht aus der Verantwortung genommen, im Rahmen der
sozialen Daseinsvorsorge ein „niederschwelliges Angebot“, also eine
Infrastruktur zu schaffen, die genau das Informationsbedürfnis der
älteren Menschen befriedigt, damit sie sich orientieren können. Dazu
brauche ich Leute. Und wenn das einem Träger übertragen wird
– wie wir das gestern gehört haben –, dann braucht der Träger auch
die Finanzierung, dass er dieses Angebot vorhalten kann, und zwar
nicht mit Scheckkarte, sondern als niederschwelliges Beratungsangebot, damit überhaupt die Information da ist; also brauche ich ein
neues Informationssystem.
Weiterhin brauche ich Dienstleistungsbereiche, vor allem der hauswirtschaftlichen Assistenz (das finde ich in der Behindertenarbeit viel
interessanter, dass viele Behinderte sagen: ich möchte nicht betreut
werden, sondern ich brauche Assistenz). Und wir brauchen auch für
Pflege, Krankenbehandlung und Therapie wohnortnahe Angebote,
möglichst zugehend am Wohnort. Da sind m.E. die Sozialversicherungsträger, insbesondere auch die Pflegekassen gefordert (auch
der Bund, vielleicht das Gesetz zu modifizieren), das, was im Gesetz
steht, umzusetzen - nämlich dass wohnortnahe Angebote auch
tatsächlich vorhanden sind und so ausgebaut sind, dass Pflege,
165
Rehabilitation sowie Gesundheitsversorgung sich auch wirklich
gestalten lassen. Da besteht ein hoher Nachholbedarf. Wir sollten
diese Verantwortung nicht dadurch kaschieren, dass wir sagen: Wir
haben Konzepte von Betreutem Wohnen. Ich denke, es wird auch im
Hinblick auf bestimmte Gruppen von Menschen (es wurden ja schon
mal genannt: Demenz-Patienten, Alzheimer-Patienten, aber auch auf
viele Menschen, die an anderen Beeinträchtigungen leiden), schlecht
aussehen, wenn wir es nicht hinkriegen, dass sie vor Ort auch diese
Behandlung und Rehabilitation als Anspruch auf eine Sozialleistung
bekommen. Für mich ist die Grundforderung: Das Wohnen muss
finanzierbar sein. Wenn das ganze Geld schon fürs Wohnen
draufgeht, nehme ich dem Menschen auch Möglichkeiten, noch ein
Stück sein Leben selbst zu gestalten. Das heißt nicht, dass ich hier
alles kostenlos anbieten soll, aber die freie Verfügbarkeit, die mir die
Möglichkeit gibt, auch noch Interessen wahr zu nehmen, kommt mir
bei diesen Konzepten des „Betreuten Wohnens“ insgesamt zu kurz.
Engels:
Vielen Dank. Ich möchte einen kurzen Einschnitt machen. Wir haben
jetzt jeden der Podiumsteilnehmer zu Wort kommen lassen und
Ansichten und Positionen gehört. Dies soll jetzt erweitert werden zu
einem allgemeinen Gespräch, d.h. Sie haben auch die Möglichkeit,
sich mit Ihren Fragen an dieser Diskussion zu beteiligen. Professor
Nentwig hatte noch eine Ergänzung dazu.
Nentwig:
Ganz kurz nur: Wichtig sind natürlich übergreifende, städtebauliche
Konzepte über die reine Immobilie selbst hinaus. Wir haben z.B.
Städten und Kommunen vorgeschlagen, Kataster zu erstellen, aus
denen man erkennen kann, welche Wohnungen ebenerdig sind und
mit relativ geringem Aufwand in barrierefreie Einheiten praktisch
umgewandelt werden können. Über die Informationstechnologie wäre
es überhaupt kein Problem, eine CD für Interessierte zu erstellen. So
ein Medium ist eine Möglichkeit auch für potenzielle Investoren oder
Träger – die technischen Möglichkeiten sind da, man muss sie nur
ausnutzen und vor allen Dingen runde Tische bilden, die übergreifend wirken können.
166
Engels:
Eine solche Erfassung von Wohnungen, die veränderbar sind, wäre
sicher ein guter Ansatzpunkt, der noch weitere Schritte nach sich
zieht; beispielsweise soziale Beratung und Umzugsmanagement,
was wir eben auch schon hier angesprochen hatten. Wichtig wäre ein
Gesamtkonzept, das die verschiedenen Aspekte berücksichtigt.
Bambey:
Mein Name ist Bambey, ich wohne in der Nähe von Kassel. Ich
beschäftige mich seit 10 Jahren spezialisiert mit der Projektentwicklung für Senioren und soziale Immobilien. Ich habe insbesondere im
ländlichen Bereich die Erfahrung gemacht, dass wir uns jeweils standardbezogen sehr gründlich überlegen müssen, wie die wohnortnahe
Versorgung tatsächlich realisiert werden kann. Denn in der Vergangenheit wurde immer aus betriebswirtschaftlicher Sicht behauptet,
kleinere Wohnanlagen mit teilstationären Einrichtungen seien im
ländlichen Raum überhaupt nicht möglich. Insofern auch die Frage
an das Podium: Inwieweit sehen Sie in Zukunft Möglichkeiten, diese
wohnortnahe Versorgung über Konzepte umzusetzen? Gezielt hat
mich an der neuen Landespflegekonzeption des Landes SachsenAnhalt, Frau Dr. Theren, Ihre Aussage interessiert unter dem Punkt:
Vier Senioren-Service-Centren mit teilstationären Einrichtungen werden an vier Modellstandorten kreiert. Das würde ich gerne mit Ihnen
persönlich besprechen, weil ich bestimmte Standortsituationen habe,
die ich unter diesem Aspekt mit Ihren Vorstellungen einfach mal
prüfen möchte. Aber die Frage generell: Inwieweit ist das von Ihnen
konzeptionell vorgesehen? Und an Herrn Eisenberg bitte noch die
Frage als langjährigen Praktiker in den verschiedensten Verantwortungsbereichen: Inwieweit sehen Sie die Möglichkeit, dass im Baurecht, was ich persönlich für außerordentlich wichtig hielte, die DIN
18025 generell vorgeschrieben wird? Ich sage das, weil ja mit dem
Begriff „Betreutes Wohnen / Senioren-Residenz“ heute in vielen
Fällen von den Bauträgern Schindluder getrieben wird.
Theren:
Da Sie mich direkt angesprochen haben: Wir haben das nicht nur
klangvoll in die Pflegekonzeption hineingeschrieben, wir haben es
auch durchaus gemacht. Zwei Projekte sind fertig, eins ist noch im
Bau, das Vierte noch in der Planung. Es liegt natürlich die Betonung
auf „Modell“ - Modell kann immer heißen: so funktioniert es nicht
unbedingt so gut. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es immer
167
auf den konkreten Einzelfall ankommt. Gerade auch die Akzeptanz
vor Ort, die Einbindung in eine gemeindliche Struktur – das kann
durchaus auch eine ganz kleine Gemeinde sein. Und natürlich dann
die Akzeptanz auch von der Heimleitung, wenn die eigentlich das
mehr so übergestülpt bekommen oder meinen, es sei ihnen übergestülpt, dann funktioniert etwas auch nicht. Es gibt eine Vielzahl von
Aspekten, die man theoretisch wunderbar in ein Konzept schreiben
kann. Ob sich das dann alles so verwirklichen lässt, ist eine andere
Sache. Deswegen kann ich auch sagen: Das Ergebnis, so weit wir es
momentan haben (wir sind erst dabei, eine Evaluierung zu machen,
wir haben derzeit noch keine konkreten Ergebnisse), scheint, trotz
scheinbar gleicher Bedingungen, sehr abhängig von den Bedingungen vor Ort zu sein. Auf alle Fälle hat sich, um die flächendeckende
Versorgung zu verankern, grundsätzlich die Ansiedlung in der Nähe
von einem Pflegeheim als vorteilhaft erwiesen. Da ist in der Tat auch
fast immer der teilstationäre Bereich dabei. Meistens ist auch die
Kooperation mit einem ambulanten Dienst möglich, sodass dann der
Aufwand an Infrastruktur nicht groß ist, auch selbst wenn es nur eine
kleine Einrichtung an Wohnungen ist, weil diese mitgenutzt wird (was
unter dem wunderbaren Stichwort „Synergie“ läuft). Wenn das
wirklich ernst ist und nicht nur ein Vorwand, um letztlich doch noch
irgendwas Neues für sich selber zu schaffen, ist es auch manchmal
sehr schwierig, die Kooperation verschiedener Verbände zu sichern,
das läuft auch nicht immer so, wie man sich das wünschen würde.
Und wir haben, wenn man das mit den Landesentwicklungsplänen
vergleicht, flächendeckend in Sachsen-Anhalt, mindestens in jedem
Mittelzentrum, einen derartigen Komplex mit solchen Strukturen, z.T.
sogar noch kleinräumiger. Wie gesagt, im Übrigen kommt es sehr auf
den Einzelfall an.
Engels:
Vielen Dank. Auch Herr Eisenberg war unmittelbar angesprochen.
Eisenberg:
Vielleicht eine kurze Bemerkung zu unserer Bestandsuntersuchung,
die wir in Thüringen gemacht haben. Wir haben festgestellt, dass die
Standzeiten in Einrichtungen, die in Städte integriert sind, durchweg
länger sind. Mir liegen im Augenblick keine weiteren Konzepte vor,
wo man sagen kann: Auf dem Land funktioniert es genauso gut wie
in der Stadt. Das sollte man einfach bedenken; diese ganze soziale
168
Infrastruktur, die in den Städten vorhanden ist, belebt natürlich auch
die Einrichtung.
Bezüglich des Baurechts fände ich es schon gut, wenn die Länderbauordnung ein Stück präzisiert würde; bestimmte Grundmerkmale
sollten beim Bauen festgelegt werden. Ich hielte zunächst etwas für
wichtiger, was eben auch von der Senioren-Vertretung gesagt wurde:
In Dänemark ist es z.B. so, dass Sozialimmobilien für ältere
Menschen nur gebaut werden, wenn der örtliche Senioren-Beirat
beteiligt ist. Ich denke, das Mehr an Verbesserung kommt nur durch
interdisziplinäres Austauschen zustande – das zeigen ja auch alle
Beispiele, die wir heute gehört haben. Ich denke auch, diese Formen
von Mitwirkung sollten viel stärker genutzt werden. Ich bin eigentlich
entsetzt, dass die Heimmitwirkungsverordnung in ihrer Mitgestaltung
kaum genutzt und eingefordert wird. Viele wissen gar nicht, dass eine
solche Mitwirkung drin ist. Und ich würde mir wünschen, Frau Dr.
Theren, dass Vertreter der Senioren-Vertretung oder Angehörige von
Behinderten in ein solches Gremium mit hineingenommen werden,
um an diesen Fragen mitzuarbeiten.
Auch sehe ich die Frage der Zuordnung dieser Service- oder Betreuten Wohnungen zum Heimgesetz ein bisschen kritischer. Ich denke,
es geht dabei nicht so sehr darum, auf der Grundlage des Urteils zu
sagen, die ganzen Verordnungen beim Service-Wohnen wie Heimmindestbauordnung würden ja meistens durch die größeren Wohnflächen sowieso unterlaufen. Ich denke schon, dass wir dringend
eine Stelle brauchen, durch die das Preis-Leistungs-Verhältnis
überprüft wird (das kann auch über das Ambulante-Dienste-Gesetz
gemacht werden). Wir können nicht einfach davon ausgehen, dass
bei der Komplexität der Sache der Nutzer ständig in der Lage ist,
dies noch zu durchschauen. Das sieht man ja auch bei den
Pflegesätzen, wo ja immer unterstellt wird, das sei alles überprüft. Da
hat sich so vieles in den Kosten verselbstständigt, was nicht mehr
transparent ist. Ich hoffe, dass gerade die neue Generation der
jüngeren Älteren, zu der ich auch zähle, dass wir es uns nicht mehr
gefallen lassen, dass betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehbar ist,
wie sich ein Pflegesatz zusammensetzt. Diese ständige Jammerei:
„die Gelder reichen vorne und hinten nicht“, ist m.E. so nicht mehr
gerechtfertigt, wenn nicht ganz konkret anhand der Wirtschaftspläne
der einzelnen Einrichtungen nachvollziehbar ist, dass dem so ist. Es
gibt Geschäftsführer von Heimen, die sagen: Es gibt keine Schwierigkeit, mit den heutigen Pflegesätzen mit 70% Fachpersonal ein
Heim zu betreiben. Andere schreien: Es geht nicht. Und es ist keine
169
Kostentransparenz da. Ich sage das einfach mal in Richtung der
Senioren-Vertetungen, hier wirklich mit den Verbraucherverbänden
nachzuhaken, und diese Möglichkeiten, die wir heute haben, zu
nutzen. Dann, denke ich, werden die Gesetze auch ein Stück
modifiziert werden.
Engels:
Herr Eberhard, Sie waren als Vertreter des Seniorenrats auch direkt
angesprochen. Mitwirkung in der Frage der Gestaltung, wenn ein
neues Projekt aufgebaut oder saniert wird; Mitwirkung, indem man
Wünsche und Bedürfnisse äußert; Mitwirkung aber auch in dem
Sinne, wie Herr Eisenberg es zuletzt gefordert hat, im Sinne einer
Kontrolle, wie die Preise überhaupt zustande kommen. Sie hatten
eben davon berichtet, dass Sie eine Übersicht erstellt haben, wie das
Preis-Leistungs-Verhältnis in den Einrichtungen hier in Halle ist. Wie
sieht es aus, wenn es um diese weitergehende Mitwirkungsmöglichkeit geht? Sehen Sie sich da ausreichend berücksichtigt? Haben
Sie das Gefühl, Sie stoßen auf offene Ohren? Oder haben Sie
manchmal das Gefühl, Sie werden zwar mit eingeladen, aber dann
machen die Leute doch das, was sie wollen?
Eberhard:
Ich fand die Anregung von Herrn Eisenberg sehr interessant. Aber
dass wir irgendwo schon mal eine betriebswirtschaftliche Aufbereitung der Kostensätze bekommen hätten, habe ich noch nie erlebt.
Allerdings muss ich sagen, wir haben es auch nicht gefordert. Ich
weiß nur, mit unserer Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“ machen wir
Folgendes: Wir besuchen alle Einrichtungen, um uns zu informieren
und dadurch auch Kompetenz zu erwerben. Man kann nun nicht von
Senioren erwarten, dass sie alle Fachleute auf den Gebieten sind,
die hier dargestellt worden sind. Also versuchen wir, im Rahmen
unserer Möglichkeiten Kompetenz durch Besuch und Diskussionen
mit Anbietern zu erreichen. Ich weiß nicht, ob das gemacht würde,
wenn wir sagen würden: Erzählen Sie uns doch mal, wie sich Ihre
Kosten rein betriebswirtschaftlich zusammensetzen? Ich kann ja
gleich mal die Frage an den Senioren-Kreativ-Verein stellen: Wie
würden Sie denn das beantworten? Ich will damit nur sagen, Sie sind
auch noch nicht gefragt worden, und man muss die Anregung sicher
mal aufgreifen.
170
Über die Bedeutung der Seniorenräte in Bezug auf Pflegeheime
möchte ich noch sagen: Wenn Sie sich im Sozialministerium mit
dieser Frage befassen, dass die Pflegeheime im zunehmendem
Maße kaum noch Leute haben, die in der Lage sind, einen Heimbeirat, so wie er gefordert ist, wirklich aktiv auszufüllen, dann müsste
meiner Meinung nach eine Initiative von der Landesregierung ausgehen, dass diese Aufgabe nun von Senioren-Räten übernommen
wird oder zumindest mitgetragen werden kann. Das ist ein echtes
Problem.
Theren:
Das ist völlig richtig. Wie das Heimgesetz in den 60er Jahren konzipiert wurde (mit einem ganz anderen Klientel), das geht halt nicht
mehr. Die Möglichkeit, dass die Angehörigen mitwirken, gibt es
schon; das ist rechtlich durchaus möglich. Die Einbindung von
Senioren-Räten ist natürlich auch so eine Sache, das kann man
gesetzlich nicht einfach so regeln. Denn das hieße: Auch die älteren
Leute, die jetzt in einer Einrichtung sind, und seien sie noch so
pflegebedürftig, sind ja nicht automatisch entmündigt. Sie müssten
zur Wahrnehmung der Rechte im Prinzip den Leuten eine Vollmacht
geben. Da kann man nicht einfach so ex cathedra, von oben herab
sagen: Der Seniorenrat, der macht das für euch. Da muss ich schon
sagen, dass der Mensch selbstbestimmt und eben auch erst mal für
sich selbst verantwortlich ist, solange nicht durch die Vormundschaftsgerichte eine entsprechende Verfügung erlassen worden ist.
Wie gesagt: Man kann eine andere Regelung finden, auch was die
Selbstbestimmtheit angeht. Das gibt es auch, das liegt an den
Heimen, wenn die z.B. mit dem Seniorenrat vor Ort sowieso gut
kooperieren, dann ergeben sich solche Kontakte auch; das ist
regional sehr unterschiedlich, das hängt wieder von den regionalen
Strukturen ab. Aber die Angehörigen können jetzt schon durchaus in
einem Heimbeirat mitwirken – das geht.
Fiedler:
Fiedler ist mein Name, ich bin auch vom Seniorenrat Halle. Herr
Eberhard ist der Leiter der Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“. Wir
haben auch noch eine andere Arbeitsgruppe, die heißt „Gesundheit
im Alter“ – und da spielt das schon eine Rolle. Wir versuchen seit
Jahren, einen Erfahrungsaustausch mit den Heimbeiräten zu organisieren und da trifft das zu, was hier gesagt wurde: Deren Arbeit wird
immer schwieriger und spärlicher, weil in den Pflegeheimen
171
eigentlich nur noch Pflegefälle sind. Allein die körperliche Möglichkeit, zu solchen Treffen zu kommen, ist häufig nicht gegeben. Wir
haben uns Gedanken gemacht, dass die einzelnen Mitglieder dieser
Arbeitsgruppe Patenschaften in den Pflegeheimen übernehmen, und
zwar in der Gestalt, dass einer monatlich einmal in das Heim geht
und innerhalb eines Jahres dann die Probleme, die Sorgen und
Schwierigkeiten des Heimes einigermaßen kennen lernt, um die
Interessen der Pflegebedürftigen gegenüber der Heimleitung wahrnehmen zu können. Es ist natürlich richtig, dass sich das Sozialministerium damit auch beschäftigen sollte. Denn Sie wissen, die
ehrenamtliche Arbeit ist unentgeltlich, da werden auch keine Aufwandsentschädigungen gezahlt. Wir hatten einen Fall, dass bei der
Sanierung eines Heimes die Anzahl der Heimbewohner verringert
wurde und sich damit die Kosten erhöhten. Eine Dame hat sich bei
uns beschwert, dass sie nun plötzlich mehr zahlen müsste, und da
haben wir versucht, etwas Einfluss zu nehmen. Aber da gebe ich
Herrn Eberhard völlig Recht, da sind wir auch überfordert, weil wir
auch nicht die Fachleute sind, um eine Tiefenprüfung der Kalkulation
zu machen.
Engels:
Vielen Dank für diesen Hinweis; wir sollten uns aber nicht zu sehr auf
das Heim konzentrieren. Wir waren von der Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten des Seniorenbeirats zur Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten im Heim gekommen. Unser Thema wäre aber eigentlich die Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten beim Service-Wohnen –
beim Planen von neuen Wohnformen.
Eisenberg:
Ich denke, da müsste noch sehr konkret nachgefragt werden, ob
auch beim Service-Wohnen mal was Ähnliches gemacht wurde, was
vom Grundsatz her im Heimgesetz angedacht war, nämlich die
Mitwirkungsmöglichkeiten mit einzubeziehen. So etwas muss an
konkreten Dingen und ganz verbindlich erfolgen. Patenschaften u. Ä.
sind ja schön, aber sie haben keine rechtlichen Möglichkeiten. Es ist
nur eine Anregung an die Senioren-Vertretung, die ja auch auf
Bundesebene hier vertreten ist, bei der Diskussion um die Novellierung des Heimgesetzes ihre Vorstellungen, wie das Problem besser gelöst werden kann, doch noch einzubringen. Denn es ist schon
ein Unterschied, ob ein Träger verpflichtet ist, konkrete Zahlen vorzulegen, oder ob man nur an diese Informationen kommt, weil man
172
guten Kontakt zueinander hat. Ich denke schon, dass es hier Regelungsbedarf gibt. Der entsteht nur, wenn stellvertretend für die Heimbewohner - das gilt auch für den Behindertenbereich - diese Vertretung mehr einfordert, als bisher gesetzlich vorgesehen ist bzw.
wenn das vorhandene Gesetz wirklich angewendet wird.
Nentwig:
Vielleicht noch ein Hinweis zur Einbindung in die Planung. Ich kann
dazu nur sagen: Es geht vor allen Dingen an die Adresse des
Bauherren. Ich bin selbst Architekt, aber ich habe 10 Jahre lang nur
Bauherren beraten und auf Bauherrenseite gearbeitet, und da gibt es
Instrumentarien, wie Bauherren im Sinne einer Projektsteuerung
beraten werden können. Da könnte man die Einbindung von Senioren-Beiräten fordern und forcieren, damit in einer sehr frühen Planungsphase ihre Belange berücksichtigt und dann entsprechend
umgesetzt werden können.
Engels:
Herr Dr. Bartaune, wie sehen Sie die Frage der Beteiligung? Angenommen, Sie haben jetzt einen neuen Wohnungskomplex, den Sie
sanieren und den Sie zur Neuvermietung attraktiv machen wollen.
Zunächst hatten wir mal gefragt – in der ersten Fragerunde: Wie stellen Sie sich die Kooperation mit einem Serviceträger vor? Jetzt
gehen wir noch einen Schritt zurück. Könnten Sie sich vorstellen,
Betroffene – möglicherweise in Form des Senioren-Beirates und seiner Arbeitsgruppen, die sich ja damit befassen – einzuladen, eine
Projektbegehung zu machen und sich zusammen zu setzen unter der
Fragestellung: Wie können wir das machen? Was müsste hier
vordringlich erfolgen?
Bartaune:
Das kann ich ganz einfach mit „ja“ beantworten. Das Problem geht
aus meiner Sicht eigentlich schon ein Stückchen eher los. Warum
kommen wir denn eigentlich zu solchen spezifischen Formen des
Wohnens im Alter? Wir haben auf Grund der Wohnungsgrößen, die
wir haben und auf Grund der Politik, die wir betreiben, kaum die
Möglichkeit, Alt und Jung zusammen wohnen zu lassen und Familien
zusammen bleiben zu lassen. Ich meine, als Wohnungsunternehmen
ist es ein wichtiger Schritt, die Mieter auch so über die Wohnungsbestände zu verteilen, dass wir z.B. das Zusammenleben in der
173
Großfamilie weiter ermöglichen. Ich halte es für sehr wichtig, dass
die Großmutter mit dem Enkel zusammen im gleichen Haus wohnen
kann. Auf Grund der extremen Entwicklung, die wir auf dem
Wohnungsmarkt haben, sage ich: Das ist eine gute Chance, die wir
nutzen müssten; und auch unter dem betriebswirtschaftlichen Aspekt
eine Chance für das Wohnungsunternehmen, zu zeigen, dass hier
ein ordentliches Zusammenleben aller Generationen möglich ist. Ich
glaube, der Generationenkonflikt entsteht zum großen Teil auch
dadurch, dass fremde Generationen aufeinander treffen, und dass
das nicht innerhalb einer familiären Entwicklung passiert. Ich sehe
eine erste Chance darin, ganz bewusst darauf einzuwirken. Das ist
dann Umzugsmanagement; das, was wir im Wohnungsunternehmen
organisieren müssten, ist, die Oma zu den Kindern zu bringen und
die Kinder zur Oma zu bringen.
Engels:
Was sich also herauskristallisiert, und das zeichnete sich auch schon
in den Arbeitsgruppen ab, ist die Forderung nach einem Gesamtkonzept, das wirklich alle Aspekte des Service-Wohnens mit einbezieht. Ein Konzept, das sich sowohl über die Belegungsstruktur
Gedanken macht, das aber auch bei Wohnformen, die für spezifische
Gruppen gedacht sind, diese Gruppen frühzeitig beteiligt, wenn
solche Einflussmöglichkeiten noch bestehen.
Menzel:
Dr. Menzel, Schwäbisch Hall Immobilien. Ich möchte hier noch einmal für unser Modell des genossenschaftlichen Wohnens, der
Genossenschaft für seniorenfreundliches Wohnen werben – gerade
im Zusammenhang mit der hier besprochenen Mitbestimmung. Wir
begleiten derartige Prozesse im Sinne der Projektsteuerung. Von der
Vorgehensweise entspricht das eigentlich genau den Wünschen, die
hier genannt worden sind. Wir nehmen ein geeignetes Grundstück
und geeignete Infrastrukturen und haben die Vorstellung, dass an
dieser Stelle eine entsprechende Wohnanlage entstehen könnte.
Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dann gehen wir mit diesen
Vorstellungen nach außen und suchen zu diesem Zeitpunkt Interessenten, die älteren Bürger, die diese Wohnanlage dort bewohnen
könnten. Damit besteht für die späteren Nutzer bereits im Vorfeld die
Möglichkeit der Einflussnahme – selbstverständlich in bestimmtem
Umfang - auch was die Bauausführung, den Grundriss und ähnliche
Dinge anbelangt. Da das Ganze, wenn sich die Genossenschaft
174
gegründet hat, dann in der Rechtsform der Genossenschaft abläuft
und „Mitbestimmung“ ein ureigenstes genossenschaftliches Grundprinzip darstellt, haben die Genossenschaftsmitglieder als Miteigentümer immer die Möglichkeit, auf die weitere Entwicklung in der
Wohnanlage Einfluss zu nehmen – z.B. auch, was die kaufmännische Seite angeht. Die Genossenschaftsmitglieder können sehr
wohl Informationen darüber einfordern, wie sich die Kosten (Nutzungsentgelt, Miete) zusammensetzen.
Engels:
Gut, davon kann man hier und da noch Einiges lernen. – Wir kommen langsam an das Ende unserer Tagung, und deswegen möchte
ich nochmal eine Gelegenheit zum Abschluss-Statement geben. D.h.
natürlich nicht, dass jetzt dringende Fragen, die noch aus dem
Podium kommen, abgewürgt werden sollen; die können wir auch
noch einflechten. An unsere Podiumsmitglieder möchte ich nochmal
das Angebot machen: Wir dokumentieren unsere Diskussion und Sie
haben jetzt die einmalige Gelegenheit, Wünsche im Hinblick auf
Änderungen beim Service-Wohnen zu äußern. Diese Wünsche werden so weit verbreitet, dass sehr viele Menschen dazu Stellung
nehmen können. Herr Eberhard, was ist Ihr wichtigstes Anliegen?
Eberhard:
Ich habe in der gestrigen Diskussion einen interessanten Vorschlag
gehört. Wir haben in Halle festgestellt, dass häufig angebotene
Dienstleistungen gar nicht angenommen werden, mag der Preis oder
was immer der Grund sein. Gestern wurde von Herrn Dr. Köster
meiner Meinung nach ein sehr interessanter Vorschlag gemacht, der
auch gerade die von vielen befürchtete Vereinsamung anspricht:
Eine Minimalbetreuung durch einen einmaligen Besuch im Monat zu
einem Betreuungsentgelt von 20 bis 30 DM. Das war für mich
überraschend. Aber es ist gar keine schlechte Idee, dass Sozialstationen oder irgendwelche anderen Träger versuchen, Senioren,
die es wünschen, einmal im Monat zu besuchen. Da das auch rein
ehrenamtlich in der Seniorenarbeit versucht wird und doch nicht so
richtig zum Zuge kommt, ist das vielleicht die Möglichkeit: Ein
Minimum-Betreuungsvertrag mit einem monatlichen Besuch - und
das für 20 DM. Das ist etwas Neues, etwas Interessantes für mich,
und ich will versuchen, das ein bisschen zu propagieren – ob das
nicht eine Möglichkeit ist, der Vereinsamung entgegen zu steuern
und gleichzeitig irgendwelche Kontakte zu schaffen. Dieses Problem
175
der Ehrenamtlichkeit haben wir nun mal, wir finden nicht mehr sehr
viele Leute, die etwas umsonst machen. Das wäre hier ein kleiner
Anreiz, ob man nicht so etwas organisieren kann. Das fand ich
interessant.
Engels:
Herr Dr. Bartaune – ihr „letzter Wunsch“?
Bartaune:
Der Wunsch, den ich immer äußern würde: Stellt mehr Mittel zur
Verfügung! Spezielle Förderprogramme, auch im Wohnungsbau,
würden uns da sicherlich hilfreich unterstützen. Wir sind in dem
konkreten Projekt mit dem SKV Halle in Vorleistung getreten. Es
wäre besser, wenn weitere Finanzierungsquellen für solche Maßnahmen erschlossen werden könnten. Das könnten spezifische
Förderprogramme auf Länderebene sein. Die Bereitschaft von
unserer Seite, etwas zu tun, ist ungebrochen da, und wir sehen ja
auch, welchen Spaß das macht, ein Problem zu lösen, wenn wir uns
das Funktionieren der Wohnanlagen in Trotha ansehen.
Engels:
Vielen Dank. Frau Dr. Theren, was liegt Ihnen am meisten am
Herzen?
Theren:
Wir haben immer das Problem, dass sich unter diesem scheinbar
einheitlichen Begriff „senioren-“ oder „altengerecht“ unendlich Vieles
verbirgt. Es sind ja schon mehr als zwei Generationen – wenn man
anfängt mit den Vorruheständlern ab 55 Jahren. Es ist ein halbes
Jahrhundert hoch unterschiedlicher Lebensformen. Deswegen ist
unser Wunsch, dass generell einfach etwas menschenfreundlicher
gebaut wird. Diese ganze Barrierefreiheit dient z.B. auch Müttern mit
Kindern; selbst wenn man Einkaufstaschen hat, ist das ja alles nicht
unkomfortabel. Man ist ja auch dabei, in den Landesbauordnungen
entsprechende Regelungen zu verankern. Wünschenswert wäre
etwas mehr Offenheit seitens der Architekten; es ist ja auch heute ein
paar Mal gesagt worden, dass es nicht unbedingt mehr kostet, wenn
man es schon vorher plant. Es ist nur eine Frage der Sensibilität: Wie
man eigentlich für alle Lebensalter – und wenn man Altern als etwas
176
Prozesshaftes nimmt, dann auch für das Altern, egal bis zu welchem
Zustand – planen kann.
Das Zweite wäre nochmal speziell auf das Service-Wohnen bezogen:
Ich denke, da sorgen auch zunehmend Marktmechanismen und
Verbraucherverbände für Transparenz. Denn das ist natürlich schon
ein Mangel, dass da einfach nebulöse Pakete angenommen werden,
ohne dass man erkennen kann, was an Leistungen dahinter steht;
wobei ich aber schon den Eindruck habe, dass die Verbraucher oder
deren Angehörige dadurch auch sensibler werden.
Engels:
Vielen Dank. Ich denke, dass sich im Laufe dieser Entwicklung,
gerade wenn es nicht mehr so boomt, sondern sich konsolidiert,
deutlichere Profile herausbilden werden. Herr Professor Nentwig.
Nentwig:
An die Wohnungsbauunternehmen bzw. die Investoren könnte man
die Forderung stellen, dass organisatorisch oder baulich die Möglichkeiten geschaffen werden, Service oder Dienste zu ermöglichen, die
aber immer unter dem Aspekt der Wahlfreiheit gesehen werden
müssen. Dies könnte auch dazu führen, dass Selbstorganisation
gestärkt wird, und da muss ich Ihnen jetzt mal ein bisschen widersprechen, Herr Eberhard. Nach unserem Wettbewerb „Seniorenfreundliche Kommune“ können wir eigentlich nicht sagen, dass das
Ehrenamt zurückgeht, sondern gerade bei den kleinen Gemeinden
haben wir festgestellt, dass es sehr viel und unwahrscheinlich
engagierte ehrenamtliche Arbeit gibt. So was kann man auch im
Sinne dieser Service-Dienste fördern, man kann z.B. eine Patenschaft für ein Haustier übernehmen, das jemand nicht mehr ausführen kann. Darin sehe ich eine Zukunftschance: Organisatorische
Grundformen schaffen, aber gleichzeitig eine sehr hohe Wahlfreiheit
der Dienste und eine Selbstorganisation und Ehrenamt ermöglichen.
Engels:
Was wäre Ihnen wichtig, Herr Eisenberg?
177
Eisenberg:
Drei Punkte: Das Erste wäre eine Modifizierung des Konzeptes, das
Herr Köster vorgestellt hat. Damit sollte man sich in einer Tagung
nochmal befassen. Ich habe mir kürzlich das Amsterdamer Konzept
angeguckt, um es verkürzt zu sagen: Es wäre, bezogen auf die
Einrichtung in Trotha, die wir uns gestern angeguckt haben, für einen
Träger eine sektorisierte Verantwortung, Ältere über Angebote in
einem Stadtteil zu informieren. Diese Information erfolgt bis zum 85.
Lebensjahr über Ehrenamtliche. Diese Ehrenamtlichen sind bei dem
Träger eingebunden, sodass sie, wenn Probleme auftreten, nicht
irgendwo im freien Raum hängen. Die zweite Komponente ist die,
über einen gewissen Niedrig-Service, nämlich Handwerkerangebote,
den Kontakt zu älteren Leuten zu halten. Das Dritte ist, man sollte
auch das Bedürfnis der älteren Leute nach Sicherheit im Wohnquartier ernst nehmen und aufarbeiten. Meine Anregung ist, dass
man dieses Konzept, das im Rahmen einer Tagung des SeniorenBüros in Holland angesprochen wurde, auch in den Kreis der Koordinierungsstellen aufgreift.
Die zweite Sache ist: Ich glaube, es wird notwendig sein, die Förderprogramme für Wohnungsbau und für ergänzende soziale Infrastrukturen nochmal kritisch neu zu gewichten. Als Ex-Thüringer kann
ich sagen: Thüringen hat hier eine Lösung gefunden, indem zum
Wohnungsbau ergänzende Fördermittel aus einem Topf des
Sozialministeriums zur Verfügung gestellt werden, und zwar unter
der Überschrift „barrierefreie Wohnungen und Kommunikationsstätten“. Wobei dieses Kozept, in Abstimmung mit dem Wirtschaftsministerium sowie dem Wohnungsbauministerium, nicht dazu
gedacht war, selbst in den Wohnungsbau einzusteigen. Aber bei
solchen Projekten, wie wir sie uns gestern angeguckt haben, wo jetzt
keine große Fördermaßnahme nach dem Wohnungsbaugesetz
besteht, ergänzend zu fördern, um die Infrastruktur behindertengerecht zu machen: also, dass ein Aufzug oder der Eingang neu
gebaut wird; ich denke, eine solche ergänzende Förderung ist notwendig, weil wir bisher nur Konzepte zum Wohnungsbau und für
stationäre Einrichtungen haben. Wir reden ständig davon, dass wir
von dem Einen weg wollen, und haben aber nicht dafür Sorge
getragen, dass die investiven Kosten, die ja anfallen, dann irgendwo
aufgefangen werden. In Thüringen ist es so, dass 70% vom Land
gefördert wird und 30% von den Trägern unter der Option, dass das
nicht kostenerhöhend auf die Mieter umgelegt werden darf. Ich will
nur sagen: Es gibt so eine Sache, die hat sich jetzt seit drei Jahren
bewährt, und bei vielen der Projekte, die Sie ja auch aus der
178
Wohnungswirtschaft kennen, ist bekannt, wie hoch die flankierenden
Kosten sind. Das Wesentliche war, dass sich beide Ministerien
verständigt haben, dass es keine Doppelfinanzierung gibt, sondern
dass die gegenseitige Hilfe als nicht förderschädlich gemacht wird.
Das Dritte wäre der Wunsch, weiterhin über neue Mitwirkungsmöglichkeiten nachzudenken; aber in der Form, dass nicht jede SeniorenVertretung nun gleichzeitig auch Sachverständiger werden muss,
sondern ich denke, dass Partizipation auch etwas damit zu tun hat,
dass man die Leute so informiert, dass sie es mit ihrem Sachverstand nachvollziehen können. Vorhin wurde es ja gesagt: In der
Genossenschaft wird das schon praktiziert.
Engels:
Vielen Dank, Herr Eisenberg. Wir haben gesehen, es konzentriert
sich Vieles immer wieder um die Schlüsselbegriffe Geld, Mitwirkung
und Transparenz. Ich habe den Eindruck, dass die Diskussionswünsche nun ziemlich erschöpft sind und auch eine körperliche
Erschöpfung langsam um sich greift. Ich möchte jetzt zunächst Ihnen
hier auf dem Podium, meine Damen und Herren, nochmal ganz
herzlich danken, dass Sie uns geholfen haben, zum Abschluss dieser
Veranstaltung komprimiert eine Fülle von wichtigen Aspekten anzusprechen und zu diskutieren. Ich möchte außerdem dem SeniorenKreativ-Verein und der Koordinierungsstelle ganz herzlich danken für
diese sehr gute Organisation und für die von der Qualität her – das
ist ja unser Stichwort – sehr schön vorbereitete und durchgeführte
Tagung. Ich möchte dann allen Teilnehmern ganz herzlich danken,
dass Sie bis zum Ende durchgehalten haben, und wünsche Ihnen
einen guten Heimweg.
Joachimsthaler:
Ich möchte mich den Wünschen von Herrn Dr. Engels anschließen.
Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt in Halle. Ich hoffe
auch, dass Sie viele Anregungen dieser interessanten Tagung
mitnehmen. Wir sehen uns dann beim nächsten Workshop wieder.
Guten Nachhauseweg und auf Wiedersehen. Ihnen, Herrn Engels,
auch meinen Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung der
Tagung. Ich denke, sie ist uns in Kooperation gut gelungen.
179
Anhang
Anhang 1:
Aachener Fragebogen zur Ermittlung des Betreuungsbedarfs
Anhang 2:
Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten Wohnens im Bestand in Aachen
Anhang 3:
Leistungsdokumentation in den Service-Wohnhäusern
Trotha (ISG)
180
Anhang 1:
Aachener Fragebogen zur Ermittlung des
Betreuungsbedarfs (Köster)
Fragebogen (Nr. ___)
Straße:
Hausnummer:
Etage:
Aufzug: ja/nein
1.
Angaben zur Person:
1.1
Ihr Alter? ____ Jahre
1.2
Ihr Geschlecht?
q weiblich
q männlich
1.3
Ihr Familienstand?
q verheiratet
q ledig
1.4
Wieviele Personen umfaßt Ihr Haushalt? ____
1.5
Haushaltsstruktur: Welche Personen wohnen in Ihrem Haushalt?
q verwitwet
q geschieden
Befragte Person
ALTER
1.6
Haben Sie Kinder, die außerhalb Ihres Haushalts wohnen? q ja
q nein
Wenn ja, wieviele? ________
Wohnorte Ihrer Kinder? ________________________________________________________
1.7
Welchen Beruf haben Sie ausgeübt? ______________________________________________
1.8
Welche Stellung hatten Sie in Ihrem Beruf?
q Selbständiger
2.
q Angestellter
q Beamter
q Arbeiter
Angaben zur momentanen Wohnsituation:
q Eigentümer
q Mieter
2.1
Sind Sie Eigentümer oder Mieter Ihrer Wohnung?
2.2
Falls Sie Mieter Ihrer Wohnung sind, wie hoch ist Ihre aktuelle Warmmiete? _____ DM
2.3
Wieviele Zimmer stehen Ihnen als Wohnraum zur Verfügung? __________________________
2.4
Bereiten Ihnen Gehen bzw. Treppensteigen Schwierigkeiten? Nutzen Sie bei Ihren Angaben bitte
die folgende Tabelle mit einer Skala von 1-4 (1=sehr große Schwierigkeiten, 4=keine
Schwierigkeiten)!
Gehen
1
2
3
4
Treppensteigen 1
2
3
4
2.5
Welche Vorteile bietet Ihre derzeitige Wohnsituation? _________________________________
2.6
Welche Nachteile bietet Ihre derzeitige Wohnsituation? ________________________________
181
2.7
3.
Gibt es in Ihrer Nähe die nachstehenden Einrichtungen?
EINRICHTUNG
JA
ENTFERNUNG IN MIN ZU FUSS
Ärzte / Apotheke
Bäcker
Metzger
sonstige Lebensmittelgeschäfte
Busstation
Begegnungsstätte
Friseur
„Betreutes Wohnen“:
3.1
Ist Ihnen der Begriff „Betreutes Wohnen“ bekannt?
q ja
q nein
Wenn ja, was verstehen Sie darunter? _____________________________________________
____________________________________________________________________________
3.2
Welche der unten aufgeführten Angebote würden Sie gerne in Anspruch nehmen und wie
bewerten Sie auf einer Skala von 1-4 (1=sehr wichtig, 2=wichtig, 3=weniger wichtig, 4=unwichtig)
die Bedeutung der einzelnen Leistungen?
Kreuzen Sie außerdem bitte an, welche Angebote Sie als Grundpaket- bzw. als
Wahlpaketleistungen in Anspruch nehmen möchten!
ANGEBOT
Ansprechpartner
nur wochentags
wochentags und am
Wochenende
vormittags
nachmittags
vor- und nachmittags
rund um die Uhr
im Haus
außerhalb des Hauses
(telefonisch erreichbar)
Hausnotruf (zentraleEinsatzstelle)
Organisation von
Einkaufsdienst
Fahrdienst
Begleitdienst
Besuchsdienst
Hilfe beim Umgang mit Behörden
Essensdienst
* Frühstück
* Mittagessen
* Abendbrot
* fahrbar
* stationär
Haushaltshilfe
* Wohnungsreinigung
* Waschen/Bügeln
* Kochen
182
JA
NEIN
1
2
3
4
GRUND- WAHLPAKET
PAKET
Pflegedienst
* bei Krankheit
* bei Pflegebedürftigkeit
* Nagel- und Fußpflege
Hausdienste
Gebäudereinigung
* Treppenhaus
* Fenster
Grünflächenpflege
Winterdienst
3.3
4.
Wieviel Geld wären Sie bereit, für das Grundpaket auszugeben? _______ DM
Wären Sie bereit, zur Nutzung des Angebots „Betreutes Wohnen“, Ihre Wohnung
zu wechseln?
q ja
q nein
Wenn nein, warum nicht? _______________________________________________________
____________________________________________________________________________
5.
Angaben zur zukünftigen Wohnsituation:
5.1
Wo müßte diese Wohnung liegen?
Viertel? _____________________________________________________________________
Straße? _____________________________________________________________________
5.2
Wieviele Zimmer sollte eine zukünftige Wohnung haben? ______________________________
5.3
Welche besonderen Vorteile müßte diese Wohnung bieten? ____________________________
____________________________________________________________________________
6.
Sonstige Bemerkungen:
____________________________________________________________________________
____________________________________________________________________________
____________________________________________________________________________
____________________________________________________________________________
____________________________________________________________________________
183
Anhang 2:
Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten
Wohnens im Bestand in Aachen
Betreuungsvertrag
Zwischen
im folgenden Leistungserbringer genannt
und
im folgenden Leistungsnehmer genannt
wird folgende Vereinbarung über die Erbringung von Betreuungsleistungen abgeschlossen:
Zu den üblichen Dienstzeiten steht der Leistungserbringer als Ansprechpartner für den
Leistungsnehmer zur Verfügung.
Der Leistungserbringer verpflichtet sich, bei der Vermittlung von Einkaufsdiensten,
Haushaltsführung, fahrbarem Mittagstisch, häuslicher Pflege u.ä. behilflich zu sein.
Auf Wunsch informiert der Leistungserbringer über Angebote für ältere Menschen bzw.
zum Thema “Alter” im Viertel.
Der Leistungserbringer garantiert einen Besuch pro Monat im Haushalt des Leistungsnehmers.
Die Kosten für die vorgenannten vier Leistungen betragen 30,00 DM pro Monat und
werden vom Leistungsnehmer gezahlt.
Für Bezieher von Wohngeld wird diese Pauschale in Absprache mit dem Wohnungsamt
bei der Berechnung des Mietzuschusses berücksichtigt.
Für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt ist von seiten der Sozialverwaltung eine
Finanzierung der Betreuungspauschale nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG § 23
Abs. 1; ggf. mit Aufstockung des Mehrbedarfs über die vorgesehenen 20% des maßgebenden Regelsatzes) möglich.
Weitergehende Betreuung wird gesondert zwischen Leistungsnehmer und Leistungserbringer vereinbart und die hierfür entstehenden Kosten ausgehandelt.
Aachen, den
(Leistungserbringer)
184
(Leistungsnehmer)
Anhang 3:
Leistungsdokumentation in den Service-Wohnhäusern Trotha (ISG)
Leistungsdokumentation des Senioren-Kreativ-Vereins: Service-Wohnen in Trotha
Erläuterung:
Die Service-Leistungen, die für die Bewohner der drei Hochhäuser in Trotha erbracht werden, sollen in der Woche vom Montag, 17. Mai,
bis Sonntag, 23. Mai dokumentiert werden. Ziel ist es, die Leistungsstruktur des SKV und die Nutzung durch die Bewohner/innen zu
erfassen. Dazu sollen in jeder Spalte die Leistungen für eine Person notiert werden. Es ist nicht das Ziel der Dokumentation, die
Arbeit einzelner Mitarbeiter/innen zu kontrollieren, sondern ein realistisches Bild von den gesamten Leistungen zu gewinnen, die für die
Bewohner erbracht werden. Daher benötigen wir auch nicht die Namen der Mitarbeiter, sondern nur eine Nummer.
Beispiel:
Mitarbeiterin 13 hilft einer älteren, leicht verwirrten Dame beim Haarekämmen. Für diese Tätigkeit würden 8 Minuten benötigt, da aber
die Dame viel erzählt, kommt noch 5 Minuten "Kommunikation" hinzu. Außerdem räumt die Mitarbeiterin bei dieser Gelegenheit etwas
auf (3 Minuten) und spült das Frühstücksgeschirr (12 Minuten). Diese Tätigkeiten des Beispielfalls sind in der ersten Spalte eingetragen.
Übergreifende Tätigkeiten, die sich nicht einem Kunden zuordnen lassen, können unter der Tabelle vermerkt werden.
Datum:
Arbeitsbeginn:
______ Uhr
Mitarbeiter-Nr. ______
_____. Mai 1999
Arbeitsende:
______ Uhr
Qualifikation:
____________________
Kunde / Kundin Nr.
Alter
Geschlecht: m / w
Pflegestufe? (ohne Pflegebedarf: 0
bei Pflegebedarf: Stufe 1, 2 oder 3)
Wirkt der/die Kund/in dement?
0=nicht dement, 1=leicht dement, 2=dement
01
Personenbezogene Leistungen
leichte Hilfen
Dauer in Minuten:
(bei Kämmen, Rasieren, Anziehen etc.)
Körperpflege (Waschen, Haare waschen,
Duschen, Baden, Nagelpflege usw.)
03 medizinische Hilfen (Medikamente einteilen/
geben, Blutdruck messen, Verband wechseln etc.)
04 Beratung und Hilfe bei Anträgen
(intensive Beratungsgespräche, Formulare ausfüllen, Briefe schreiben, Angehörige beraten etc.)
05 Kommunikation
(Unterhaltung, Vorlesen etc.)
02
06
Haushaltsbezogene Leistungen
kleinere Handgriffe (Aufräumen, Müll entsorgen,
Geschirr spülen, Blumen gießen, Bett richten etc.)
07
Einzelhilfe bei Mahlzeiten
(Hilfe bei Zubereitung oder beim Essen etc.)
08 Wäschedienst (Waschen im Waschsalon,
Bügeln, Nähen, kleine Handwäsche etc.)
09 Wohnungsreinigung (Putzen, Fenster putzen,
Staubsaugen, Bad reinigen, Gardinen wechseln etc.)
10
Außerhäusliche Leistungen
kleine Erledigungen (kleiner Einkauf /
etwas mitbringen, Gang zur Bank, Post etc.)
11
12
großer Einkauf für eine Person
Begleitung einer Person
(bei Behördengang, Arztbesuch etc.)
Dauer insgesamt (in Minuten) :
Übergreifende Tätigkeiten
informelle Kommunikation / Erfahrungsaustausch mit Kolleg/innen
_____ Minuten
14 formelle Kommunikation mit
Kolleg/innen: Teamsitzungen etc. _____ Minuten
15 Tätigkeiten in der Begegnungsstätte
(Mittagstisch, Betreuung, Reinigung etc.) _____ Minuten
13
Erledigungen für mehrere
Kunden (z.B. Sammeleinkäufe)
17 sonstige
Tätigkeiten
18 Fahrt- / Gehwege (z.B. zwischen
16
Wohnhäusern und Begegnungsstätte)
_____Minuten
_____Minuten
_____Minuten
185