Surrogate vs. klinische Endpunkte
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Surrogate vs. klinische Endpunkte
Surrogat- oder klinische Endpunkte? Etzel Gysling Diagnostisch-Therapeutisches Seminar an der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin – Inselspital Bern 30. April 2009 Infomed 2009 Eine Studie bei Typ-2-Diabetes • Man denkt, dass eine bessere metabolische Kontrolle des Typ-2-Diabetes zu einer Reduktion klinisch bedeutsamer Komplikationen führt • Man denkt, dass das glykosylierte Hämoglobin (HbA1c) ein gutes Mass für die metabolische Kontrolle eines Diabetes darstellt • Somit ist es sinnvoll, in einer Studie zu prüfen, ob mit niedrigerem HbA1c die Komplikationen seltener sind Studienanlage (HbA1c-Senkung) • An der Studie sollen Personen teilnehmen, die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweisen (→ je höher das primäre Risiko, desto kleiner und kürzer kann die Studie sein) • Zwei Strategien sollen verglichen werden: – Es werden HbA1c-Werte unter 6,0% angestrebt – Es werden HbA1c-Werte im Bereich zwischen 7,0% und 7,9% angestrebt (in der Erwartung, dass ein medianes Niveau von 7,5% erreicht wird) Studienendpunkte (HbA1c-Senkung) • Der primäre Endpunkt soll dem ersten Auftreten eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt oder nichttödlicher Schlaganfall) entsprechen • Die Studie sollte etwa 90% Power haben, um einen 15%igen Unterschied zwischen den beiden Gruppen feststellen zu können Methoden (HbA1c-Senkung) • Die stärkere Senkung des HbA1c soll durch den Einsatz von mehr Medikamenten (z.B. Insulin, neuere orale Antidaibetika wie Repaglinid (NovoNorm) und Rosiglitazon (Avandia) erreicht werden • Zudem sollen die Patientinnen und Patienten der intensiver behandelten Gruppe häufiger nachkontrolliert werden ACCORD-Studie • Eine Studie bei Typ-2-Diabeteskranken mit einem hohen kardiovaskulären Risiko • Der Studienarm, in dem eine möglichst starke HbA1c-Senkung angestrebt wurde, musste vorzeitig abgebrochen werden • Unter intensiver Therapie mehr Todesfälle (257) als unter «üblicher» Therapie (203 Todesfälle) ACCORD: Bedeutung? • Mortalität in Kontrollgruppe war relativ niedrig (10/1000 Teilnehmende/Jahr) – ÜberschussMortalität in Intensivgruppe 3/1000/Jahr • Angestrebtes Ziel (HbA1c<6,0%) riskant? • Kombination mit Insulin riskant? • In ADVANCE-Studie (HbA1c um 6,5%) keine erhöhte Mortalität ACCORD: Folgerungen • Einmal mehr wird klar, dass SurrogatEndpunkte oft nicht der Weisheit letzter Schluss sind • Unsere Patientinnen und Patienten brauchen Resultate von genügend langfristigen Studien mit aussagekräftigen Endpunkten • HbA1c unter 6,5% vielleicht doch nicht so gut? Warum Studien mit Surrogat-Endpunkten? • Studien mit klinisch relevanten Endpunkten sind in der Regel ausserordentlich aufwendig, müssen auf grosse Teilnehmerzahlen und auf eine lange Dauer angelegt sein • Vorteil der Surrogat-Endpunkte: innert relativ kurzer Zeit lassen sich mit vergleichsweise wenig Teilnehmenden «signifikante» Resultate erreichen Was uns wirklich interessiert • • • • • • • Vorzeitiger Tod Herzinfarkt Schlaganfall Nierenversagen Erblindung Periphere arterielle Verschlüsse Ketoazidose und Koma Was wir überprüfen • • • • • • Glykosyliertes Hämoglobin (HbA1c) Nüchtern-Blutzucker Postprandialer Blutzucker Orale Glukose-Belastung Albuminurie Gewicht Beispiele von Surrogat-Endpunkten • • • • • • • Reduktion der LDL-Cholesterinwerte Krankheitsfreies Intervall bei Krebs Prostata-spezifisches Antigen (PSA) CD4-Zahl, „Virusload“ Knochendichte (Densitometrie) Wertveränderung auf psychometrischen Skalen Phlebographisch nachweisbare Thrombosen Patho-Mechanismen Patho-Mechanismen Surrogatendpunkte Lipide Blutdruck Gefässveränderung Intervention und Surrogatendpunkte Lipide Blutdruck Gefässveränderung Intervention Krankheit – Surrogate – Klin. Endpunkte • Eine Krankheit kann auf verschiedenen Wegen zu verschiedenen klinisch relevanten Endpunkten führen • Eine Intervention kann verschiedene pathophysiologische Mechanismen auf verschiedene Weise (günstig oder ungünstig) beeinflussen Hierarchie der Surrogatendpunkte • Niveau 1: entspricht der Wirksamkeit auf einen echten klinisch relevanten Endpunkt • Niveau 2: validierter Surrogatendpunkt: Wirkung bezüglich klinisch relevanter Endpunkte dokumentiert; negative Auswirkungen fehlen • Niveau 3: nicht-validierter Surrogatendpunkt, günstiges Nutzen/Risiko-Verhältnis wahrsch. • Niveau 4: Nur biolog. Wirkung nachgewiesen • Fleming TR. Health Affairs 2005; 24: 67-78 Stellenwert der klin. Endpunkte • Gesamtmortalität • Krankheitsbezogene Mortalität (z.B. kardiovaskuläre Mortalität) • Morbidität mit langfristigen Auswirkungen auf die Lebensqualität • Morbidität mit kurzfristigen Auswirkungen • VORSICHT bei kombinierten Endpunkten! Das klassische Beispiel: CAST (1989) • CAST = Cardiac Arrhythmia Suppression Trial • Personen mit nicht oder wenig symptomatischen Extrasystolen nach einem Herzinfarkt wurden mit Antiarrhythmika bzw. Placebo behandelt • Die Medikamente unterdrückten die Extrasystolen «erfolgreich» • Nach durchschnittlich 10 Monaten waren unter Encainid oder Flecainid 7,7%, unter Placebo aber nur 3,0% gestorben Lipidsenkung: Beispiel 1 • Bevor die Resultate der Women‘s Health Study bekannt waren, wurde auf Grund verschiedener Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien angenommen, dass die Hormonsubstitution bei Frauen nach der Menopause die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität vorteilhaft beeinflussen würde • Daher die Studie HERS bei Frauen mit koronarer Herzkrankheit HERS (1998) • 2763 Frauen mit erwiesener KHK wurden mit Östrogen/Gestagen oder mit Placebo behandelt • Nach einem Jahr hatten die hormonbehandelten Frauen um 14% niedrigere LDL-C-Werte • Nach durchschnttlich 4 Jahren waren 131 Frauen der Hormongruppe, aber nur 123 der Placebogruppe gestorben • Besonders initial mehr Herzinfarkte in der Gruppe unter Hormonen! Lipidsenkung: Beispiel 2 • Auf Grund der verschiedenen Resultate der Studien mit Statinen wurde angenommen, das kardiovaskuläre Risiko sei umso kleiner je stärker die LDL- bzw. die Gesamt-Cholesterinwerte gesenkt werden könnten • Daher die Entwicklung eines Medikamentes, das die Lipidwerte über einen anderen Mechanismus als die Statine senkt: Ezetimib (Ezetrol) Ezetimib • Hemmt dosisabhängig die Resorption von Cholesterin (und von pflanzlichen Sterinen) im Darm und senkt deshalb bei Statin-behandelten Personen das LDL-C zusätzlich um rund 15% • Dagegen fehlen bis heute Nachweise einer zusätzlichen vorteilhaften Beeinflussung kardiovaskulärer Endpunkte • Wichtigste Studien: ENHANCE, SEAS ENHANCE, SEAS • ENHANCE: Ezetimib/Simvastatin vs Simvastatin. Evaluiert wurde die Intima-Media-Dicke der Karotis und der Femoralarterien – kein sign. Unterschied zwischen den Gruppen • SEAS: Ezetimib/Simvastatin vs Placebo bei Personen mit Aortenstenose. Kombination von kardiovaskulären Ereignissen als primärer Endpunkt – kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Achtung: signifikant mehr Krebsfälle bei den aktiv Behandelten! Cholesterinsenkung ist nicht alles • Auch wenn die Lipidwerte in der Statintherapie als gute Surrogatendpunkte erscheinen, ist dies keineswegs generell gültig • Hormonsubstitution als kardiovaskuläre Prophylaxe heute kontraindiziert • Ezetimib: Fundierte Hinweise auf Nachteile, insbesondere karzinogene Wirkung. Weitere Studien laufen. Ausserhalb der Studien besser nicht verwenden! «Fokussierter» Endpunkt • Da bei den nicht-steroidalen Antirheumatika die gastro-intestinale Toxizität als Hauptproblem erkannt war, wurde in den ersten Studien mit COX-2-Hemmern das Augenmerk auf die endoskopisch nachweisbaren Magenschleimhautveränderungen konzentriert • Ein Überschuss an kardiovaskulären Ereignissen war von Anfang an sichtbar, wurde jedoch «wegdiskutiert» Vioxx • Aus dem Nichtbeachten der kardiovaskulären Endpunkte (und der Gesamtmortalität) ergab sich schliesslich die Vioxx-Katastrophe • «In June 2000, Merck submitted to FDA a safety study called VIGOR (Vioxx Gastrointestinal Outcomes Research) that found an increased risk of serious cardiovascular events, including heart attacks and strokes, in patients taking Vioxx compared to patients taking naproxen» • Vioxx wurde erst im September 04 aus dem Handel gezogen • Verantwortlich: Hersteller, Forschende, Behörden Aktuell: Rivaroxaban (Xarelto) • Rivaroxaban ist das neue orale Antikoagulans zur Thromboembolie-Prophylaxe • Mehrere Studien zeigen, dass unter Rivaroxaban signifikant weniger phlebographisch nachweisbare tiefe Beinvenenthrombosen nachweisbar sind als unter niedermolekularem Heparin (Enoxaparin) • Wie steht es mit den Blutungen? Vorsicht: Blutungen • Gemäss den bisher vorliegenden Studienresultaten treten Blutungen unter Rivaroxaban nicht signifikant häufiger auf als unter Enoxaparin • Zahlenmässig waren jedoch gefährliche Blutungen unter Rivaroxaban deutlich häufiger (25 Fälle) als unter Enoxaparin (14 Fälle) • Merke: die bisher vorliegenden Studien hatten nicht die Power, bezüglich Blutungen aussagekräftige Daten zu liefern Memo 1 • Bei jeder Intervention sollten wir uns auf möglichst aussagekräftige klinische Endpunkte stützen können • Stattdessen müssen wir unsere therapeutischen Entscheide oft jahrelang bei neu eingeführten Medikamenten auf Surrogatendpunkte stützen, deren Stellenwert fragwürdig ist Memo 2 • Blutdruckwerte sind bisher einer der wenigen Surrogatendpunkte auf Niveau 2. Aber auch der BD hat nicht bei jeder Intervention einen sicheren Wert (siehe: Doxazosin in ALLHAT)! • Die Nutzen/Risiko-Abwägung ergibt nicht notwendigerweise allgemeingültige Schlüsse – die Wertung seitens der Behörden, der Ärzte und der PatientInnen kann recht verschieden ausfallen