Feiern ist Pflicht

Transcription

Feiern ist Pflicht
50 Jahre Élysée-Vertrag zur deutsch-französischen Freundschaft
Feiern ist Pflicht
Aus den „Erbfeinden“ ist der „Motor Europas“ geworden
Das Thema
50 Jahre deutsch-französische Freundschaft, das
will gefeiert werden.
Bundestag und Assemblée Nationale treffen
sich am Dienstag zur gemeinsamen Sondersitzung, die beiden Regierungen setzen sich zusammen, und Reden gibt
es auch. Trotzdem lief es
schon mal besser.
VON CHRISTOPH SATOR
I
m Bundestag wird es
nächste Woche eng: Erstmals in seiner Geschichte
hat er am Dienstag ein komplettes Parlament aus dem
Ausland zu Gast: die 577 Abgeordneten der Assemblée Nationale aus Paris. Die gemeinsame Sondersitzung findet
zum 50-jährigen Bestehen des
Élysée-Vertrags statt, mit dem
die
beiden
„Erbfeinde“
Deutschland und Frankreich
ihre Aussöhnung besiegelten.
Zum Fest gehören noch ein
Termin bei Bundespräsident
Joachim Gauck, eine gemeinsame Kabinettssitzung, mehrere Festessen und ein Besuch
in der Philharmonie. Die Re-
den halten Kanzlerin Angela
Merkel und Präsident François
Hollande.
Dass nun so groß gefeiert
wird, war anfangs keine
Selbstverständlichkeit.
Der
Vertrag, den die Merkel-undHollande-Vorgänger Konrad
Adenauer und Charles de
Gaulle an jenem 22. Januar
1963 im Élysée-Palast unterzeichneten, galt sogar schon
als Totgeburt. Auf deutscher
Seite hegten viele seinerzeit
den berechtigten Verdacht,
dass der General damit die
Bundesrepublik
aus
dem
Machtbereich der USA herauslösen wollte. Deshalb stellte
der Bundestag dem Vertrag
eine Präambel vorweg.
Für de Gaulle hatte er damit
viel von seinem Wert verloren. „Verträge sind wie junge
Mädchen und Rosen. Sie halten so lange, wie sie halten“,
klagte er. Und fügte, wie nach
einer missratenen Hochzeitsnacht, hinzu: „Ich bin Jungfrau geblieben.“
Adenauer antwortete mit
der Feststellung, dass die
deutsch-französische Freundschaft wie eine Rose immer
wieder Blüten und Knospen
treiben und „alle Winterhärten“ überstehen werde. So
blumig redete man damals.
Abgesehen von den nun regelmäßig stattfindenden Treffen zwischen Kanzler, Präsident, Außen- und Verteidi-
Enges Verhältnis: Präsident Giscard d’Estaing und
Kanzler Schmidt 1977.
gungsministern entfaltete das
Abkommen in den ersten Jahren jedoch keine große Wirkung. Schwung kam in die Beziehungen erst durch Helmut
Schmidt und Valéry Giscard
d’Estaing sowie François Mitterrand und Helmut Kohl. Für
eine Weile galt das deutschfranzösische Paar als Garant
dafür, dass Europa allen
Schwierigkeiten zum Trotz vorankommt.
H
eute gibt es vermutlich
keine zwei Staaten auf
der Welt, die enger
miteinander verbunden sind.
Mehr als acht Millionen Deutsche und Franzosen nahmen
seit 1963 an Austauschprogrammen teil. Über den Rhein
hinweg gibt es 2200 Städtepartnerschaften. Frankreichs
Präsidenten und Deutschlands
Kanzler haben sich im vergangenen halben Jahrhundert so
oft gesehen, dass keiner mehr
mitzählen kann. Wie früher
die „Erzfeinde“ sind heute das
„Tandem“, die „Ehe“, der „Motor“ Klischee geworden.
Zur allgemeinen Feststellung gehört aber auch, dass
viel zum Ritual geworden ist.
Selbst das Feiern ist heute
Pflicht. Dass es schon einmal
besser lief, liegt nicht allein
daran, dass das Führungsduo
Merkel und Hollande bislang
eher ein unterkühltes Verhältnis pflegt. In der größer ge-
Umfrage in Frankreich und Deutschland
Welche Begriffe fallen Ihnen zuerst zu Deutschland ein?
18
18
16
16
16
14
12
29 %
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Bier
Berlin
Auto
Strenge, Steifheit
Nationalsozialismus, Hitler
Krieg
Mauerfall in Berlin, Wiedervereinigung
Europa, EU
Gastronomie (Würstchen, Sauerkraut u.a)
Welche Begriffe fallen Ihnen zuerst zu Frankreich ein?
Paris, Stadt der Liebe
Eiffelturm
37
Wein
32
Baguette, Croissant
27
Französische Küche
einzelne Reiseregionen Frankreichs
Käse (Camembert, Brie)
Sonne, Urlaub
diverse franz. Städte (außer Paris)
Kunst, Kultur, Literatur
56 %
8
8
12
21
20
18
wordenen EU mit ihren bald
28 Mitgliedern haben Berlin
und Paris an Einfluss verloren.
Auch sind EU-Parlament, EUKommission und auch Europäische Zentralbank mit den
verschiedenen Krisen und Reformen einflussreicher geworden.
Vor allem im Bereich der
Außenpolitik, wo man sich
schon 1963 versprochen hat-
Versöhnungsgeste an den Gräbern: Präsident Mitterrand und
Kanzler Kohl 1984 in Verdun.
WAS DENKEN DIE NACHBARN ÜBEREINANDER?
23
21
Symbolischer Bruderkuss: Bundeskanzler Konrad Adenauer und Frankreichs Präsident Charles de
Gaulle nach der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 22. Januar
1963 in Paris.
Fotos: dpa
te, in allen wichtigen Fragen
„so weit wie möglich zu einer
gleichgerichteten Haltung zu
gelangen“, tun sich immer
wieder Probleme auf. Jüngere
Beispiele dafür sind der Libyen-Krieg und die Aufwertung
der Palästinenser innerhalb
der Vereinten Nationen. Eine
tatsächlich gemeinsame Außenpolitik liegt weit entfernt. (dpa)
Seit einem Dreivierteljahr Partner: Kanzlerin
Merkel und Präsident Hollande.
HINTERGRUND
Auszug aus dem
Élysée-Vertrag
„Die Staats- und Regierungschefs konsultieren
sich vor jeder Entscheidung in allen wichtigen
Fragen der Außenpolitik
und in erster Linie in den
Fragen von gemeinsamem
Interesse, um so weit wie
möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen (...).
Der deutschen und
französischen Jugend sollen alle Möglichkeiten geboten werden, um die
Bande, die zwischen ihnen
bestehen, enger zu gestalten und ihr Verständnis
füreinander zu vertiefen.
Insbesondere wird der
Gruppenaustausch weiter
ausgebaut. Es wird ein
Austausch- und Förderungswerk der beiden Länder errichtet (...).“
Denk’ ich an Deutschland
Die einstigen Feinde sind sich heute sympathisch – trotz mancher Vorurteile
VON BIRGIT HOLZER
K
lischees über andere
Länder sind wichtig“,
sagt Plantu, einer der
berühmtesten Karikaturisten
Frankreichs, der sich wieder
und wieder mit dem deutschfranzösischen Paar auseinandergesetzt hat. Mit der Wurst
essenden Angela Merkel und
ihrem Gegenpart François
Hollande, dessen Nase der Rotwein zartrosa färbt. „Vorurteile vom anderen im Kopf zu haben heißt, sich überhaupt ein
Bild zu machen.“ Und das sei
der erste Schritt zu ihm hin.
So gesehen steht alles bestens zwischen den Nachbarn.
Denn Klischees herrschen
noch reichlich vor auf beiden
Seiten des Rheins, wie zwei
neue Erhebungen ergeben. Einer Umfrage zufolge, die das
französische
Meinungsforschungsinstitut ifop für die
deutsche
Botschaft
in
Deutschland und in Frankreich durchgeführt hat, ist das
Bild des jeweils anderen überwiegend positiv: Das sagen 85
Prozent der Franzosen und 87
Prozent der Deutschen.
Denken sie an Deutschland,
kommen den Franzosen als
erstes Angela Merkel, Bier,
Berlin und Autos in den Sinn.
Die Nachbarn gelten als
streng, fleißig, arbeitsam.
In den Köpfen der Deutschen stehen Meinungsforscher Jérôme Fouquet zufolge
Paris als Stadt der Liebe, seine
Monumente wie der Eiffelturm und seine Gaumenfreuden für Frankreich, während
die historische Dimension
kaum mehr präsent sei: „Nur
eine Minderheit der Deutschen kann ein Ereignis oder
eine historische Zeit zitieren.“
Mehr Franzosen assoziieren
dagegen Geschichtsereignisse
wie die Kriege oder die Wiedervereinigung Deutschlands.
T
rotzdem überwiegen aktuelle Herausforderungen und die Wahrnehmung als Freundschaft, ergibt
eine zweite Studie, die ARD,
Deutschlandfunk,
Radio
France und Arte anlässlich der
Jubiläumsfeierlichkeiten vorstellten. In einer nicht repräsentativen Umfrage beantworteten jeweils mehr als 12 000
Franzosen und Deutsche Fragen zum Nachbarn. Und siehe
da: Die deutsch-französische
Partnerschaft gilt als normal,
unverzichtbar. Während 73
Prozent der Deutschen min-
destens einmal in ihrem Leben in Frankreich waren, gaben das 63 Prozent der Franzosen für Deutschland an.
M
isstrauen gegenüber
dem Nachbarn empfinden nur noch 14
Prozent der Franzosen und sieben Prozent der Deutschen. Eigentlich eine gute Nachricht,
sagt Claire Demesmay, Leiterin der Arbeitsstelle Frankreich bei der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
in Berlin: „Die Banalisierung
der deutsch-französischen Beziehungen geht mit einem ruhigeren Blick auf das Partnerland einher. … Der direkte
Nachbar wird nicht mehr als
Bedrohung betrachtet.“
Und immer noch gilt: Franzosen respektieren die gestrengen und disziplinierten
Deutschen, während diese
Sympathie empfinden für die
genießerischen und kreativen
Franzosen. Wobei sie sich gut
zu ergänzen scheinen: Zwei
von drei der befragten Deutschen hatten bereits ein „kleines Abenteuer“ mit einem
Franzosen, gegen 38,6 Prozent
der Franzosen, die eine Liebelei mit einem Deutschen zu ihrem Erfahrungsschatz zählen.