Kreuzzug gegen die Rock-Musik in den USA
Transcription
Kreuzzug gegen die Rock-Musik in den USA
Kreuzzug gegen die Rock-Musik in den USA Poster des Schweizer Künstlers H. R. Giger brachte Punk-Band vor Gericht Seit zwei Jahren ist in den USA ein Kreuzzug gegen die Rock-Kultur im Gang. Jetzt hat er seinen bisherigen Höhepunkt erreicht: In Los Angeles steht die Punk-Gruppe «The Dead Kennedys» vor Gericht, weil sie mit einer Platte Minderjährige gefährdet haben soll. Anlass für die Klage war ein Poster des Schweizer Künstlers H. R. Giger, das der Platte beiliegt. VON MICHAEL LÜTSCHER «Wir sind nicht hierher gekommen, um Applaus zu ernten, nein, wir sind gekommen, weil wir glauben, dass die Plattenindustrie sich endlich reinigen sollte.» Die Peters-Brothers aus St. Paul im NordStaat Minnesota erhielten tatsächlich kaum Beifall, als sie Mitte Juli am «New Music Seminar» in New York zu einer Podiumsdiskussion erschienen. Was auch niemanden verwunderte: Das heuer zum achten Male durchgeführte Seminar ist ein Treffpunkt der innovativen, unabhängigen und vor allem jungen Kräfte innerhalb des internationalen Musikgeschäfts, und folglich stiessen die PfarrerBrüder hier auf hunderte von vehementen Gegnern ihrer Botschaft. Prince als Stein des Anstosses «Censorship (Zensur) - ein noch immer brandheisses Thema» hiess der Gegenstand der Podiumsdiskussion: Es ging um die letztlich Zensurversuchen gleichkommende Welle von Verkaufs- und Sendebehinderungen (und -Verhinderungen), welche sich in den vergangenen zwei Jahren über Amerikas Rock-Szene ergoss und deren Ende noch nicht absehbar ist. Konservative Kirchenführer und die Organisation einiger Ehefrauen mächtiger Washingtoner Politiker führen gemeinsam einen verbissenen Kampf gegen die Rock-Kultur. Vorab der zunehmende Eingang von Gewalt in Text und Abbildungen (Covers) ist ihnen ein Dorn im Auge, ebenso der vor allem bei Heavy-MetalBands häufige Hang zum Okkulten. Zudem missfallen ihnen Texte, in denen der Konsum von Alkohol und Drogen verherrlicht wird. Aber auch ausgelassene Worte über die Sexualität schätzen Leute wie der TV-Prediger Jimmy Swaggart oder die Frauen vom «Parents Music Resource Center» (PMRC) gar nicht. Sie möchten das alles von den empfindlichen Ohren ihrer und anderer Leute Kinder fernhalten. Der Aufruhr und die Ausbreitung der Anti-Rock-Bemühungen ist auf ein Anekdötchen zurückzuführen, über das man gerne schmunzeln würde, wären inzwischen nicht dessen Folgen bekannt. Da soll die elfjährige Tochter des Senators von Tennessee und jetzigen Anwärters auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur, Albert Gore, auf der elterlichen Stereoanlage Prince' Mega-Hit-Album «Purple Rain» angehört haben. Gross muss die Freude gewesen sein, grösser aber noch der Ärger, als Mama Tipper Gore im Song «Darling Nikki» die Zeile «sie masturbierte in der Hotellobby/mit einem Magazin» erhaschte und das Purple-Vinyl eiligst vom Plattenteller (wohl auf Nimmerwiedersehen) nahm. Mrs. Gore hat die Platte dagegen ihren Freundinnen vorgespielt - der Ehefrau des Finanzministers Baker, und den Senatorenfrauen Nevius und Howard. Die Damen hatten selbst schon ungefreute Überraschungen gemacht: Madonnas «Dress You Up», Cyndi Laupers «She Bop», ja gar Bruce Springsteens «I'm On Fire» landeten darum flugs auf ihrer (des PMRC) Liste derjenigen Titel und Interpreten, deren Platten sie mit einem «Rating» versehen wollten. In einem Brief forderten die Polit-Gattinnen den Präsidenten von Amerikas Schallplattenindustrie-Verband auf, die einzelnen Firmen dazu zu bewegen, entsprechende Platten mit warnenden Klebern zu versehen - etwa X für Obszönität, V für Gewalt, D/A für Drogen- und Alkoholverherrlichung und O für Okkultes. Ihre Idee: Eltern (die sich ja in der Rock-Musik nicht auskennen) sollten auf den ersten Blick erkennen, ob die Platte, die ihre Kinder begehren (oder gar schon erworben haben), ungefährlich oder gefährlich ist. Inzwischen hat sich die Auseinandersetzung von den Superstars hin zu den unbekannteren und kommerziell weit weniger erfolgreichen Künstlern verlegt. Amerikas Schallplattenindustrie hatte den vom PMRC gemachten «Rating»Vorschlag abgelehnt, stimmte dann allerdings - weil die Industrie gleichzeitig in Washington eine Lobby brauchte, um ein Gesetz zur Besteuerung der Leer-Kassetpdf created by www.littlegiger.com Was Prince in seinem Spielfilm «Purple Rain» zeigt, will ein Kreuzzug in den USA nun verhindern: Darstellung von Sex, Gewalt und Drogenszenen. (Bild Pressedienst) ten im Kongress durchzubringen - einem Kompromiss zu: Die Industrie setzt nach eigenem Gutdünken, bei entsprechenden Song-Texten die Worte «Explicit Lyrics Parental Advisory» auf das Cover. Allerdings gilt die Abmachung nur für Künstler, die das vertraglich überhaupt zulassen - mit andern Worten: Aufgrund des Marktgesetztes muss kein kommerziell erfolgreicher Act einen solchen Warnspruch akzeptieren. H. R. Giger - schädlich für Minderjährige? Das PMRC und an der New Yorker Diskussion auch die Peters-Brothers betonen immer wieder, dass sie gar nicht Zensur üben wollten. «Die Rocker haben das Recht zu singen, was immer sie wollen», erklärten die Peters' zur Verblüffung der Anwesenden, «aber die Eltern auf der andern Seite haben das Recht zu wissen, was vor sich geht.» Dann sollten sie sich doch mit den Platten auseinandersetzen, rief ihnen Jello Biafra, Sänger der inzwischen aufgelösten kalifornischen Punk-Gruppe «Dead Kennedys», zu: «Wenn sich gewisse Eltern davor fürchten, mit ihren Kindern darüber zu reden, so ist das ihr eigenes Problem.» Biafra gehört zu denjenigen Musikern, welche am eigenen Leib zu spüren bekamen, dass der Kreuzzug gegen die RockKultur eben doch Zensur bedeutet. Ihm droht als erstem Musiker in diesem Zusammenhang eine Bestrafung mit Busse oder gar Gefängnis. Seit Mitte August hat er sich in Los Angeles vor Gericht zu verantworten: Zusammen mit einem ehemaligen Manager seiner (unabhängigen) Plattenfirma Alternative Tentacles, zwei Leuten eines Plattenvertriebes und dem für den Druck der Plattencovers Verantwortlichen wurde Biafra wegen «Vertriebs und Ausstellung von schädlichem Material an Minderjährige» verklagt. Anlass für die Klage war ein der letzten «Dead Kennedys»-LP «Frankenchrist» beigelegter Poster des Schweizer Künstlers H. R. Giger. derjährige in zwölf weiteren US-Staaten. Die im Frühling 1986 eingereichte Klage blieb nicht ohne Folgen - Folgen, welche die New Yorker Diskussionsrunde an den blindwütigen Antikommunismus der 50er Jahre (McCarthy-Ära) denken Hessen. So zog etwa jene Schallplattenkette, wo der 13jährige Teenager die «Dead Kennedys»-Scheibe gekauft hatte, bei Bekanntwerden der Klage nicht nur die LP mit dem Giger-Poster, sondern die gesamte «Dead Kennedys»-Produktion aus dem Verkauf zurück - nicht zuletzt, um damit einer möglichen Anklage wegen des Verkaufs zu entgehen. Wenn dieses Beispiel Schule macht, würde - im Falle einer Verurteilung von Biafra & Co. - das Verbot betreffend den Verkauf an Minderjährige faktisch zu einem Veröffentlichungs- und Verkaufsverbot. Und das würde dann wohl einige Musiker mehr treffen als die doch eher unbekannten «Dead Kennedys». Biafra: «Werden wir in diesem Fall verurteilt, so wird jedermann, vom <Maximum Rock 'n' Roll>-Fazine bis zum <Penthouse>, von der unbekannten Punk-Gruppe bis zu Madonna in Schwierigkeiten geraten.» Repression nimmt zu Was aber, sollten Biafra & Co. gewinnen (das Giger-Poster war früher schon in verschiedenen Kunstkatalogen und Ausstellungen veröffentlicht worden)? Damit zu rechnen wagte am New Yorker Seminar niemand. Die Realität sieht nicht sehr freundlich aus. Das Seminar lieferte Beispiele dafür: Radiostationen dürfen auf politischen Druck hin gewisse Songs nicht mehr spielen, in Dallas wurde einer Station, die auf Street Music (Rap, Gogo, Hose etc.) spezialisiert war, auf Druck kirchlich-konservativer Kreise die Lizenz entzogen; LL Cool J, ein Rapper aus New York, erhielt in Georgia Auftrittsverbot; in San Antonio (Texas) und Seattle (Washington) wurden Gesetze erlassen, nach denen die unter 18jährigen Konzerte von Gruppen, die auf einer «rating list» stehen, nur noch in Begleitung Erwachsener besuchen dürfen, und aus den Regalen von 800 Filialen der Supermarktkette Wal-Mart sind nach einer Intervention des TV-Predigers Jimmy Swaggart sämtliche Rock-Magazine veschwunden, auch das etablierte «Rolling Stone». Dieser Prozess bildet im Zusammenhang mit der Anti-Rock-Welle den ersten Versuch, zumindest die Verbreitung künstlerischer Äusserungen auf gerichtlichem Wege zu unterbinden. Ausgelöst durch eine (nicht näher bezeichnete) Mutter, welche sich über Gigers fäulnis-befallene «Penis-Landschaft» («Penis-LandTrübe Aussichten? Danny Goldberg, scape») empörte, die ihre dreizehnjährige Plattenmanager und Präsident der gegen Tochter samt Platte dem elfjährigen Bru- jegliche Zensurversuche ankämpfenden der zum Geburtstag schenken wollte, «Musical Majority», gibt sich zuversichtwird dieser Prozess, wie auch immer er lich: «Hoffen wir, dass sich 1988, wenn ausgeht, wegweisend sein für den weite- wir einen neuen Präsidenten haben, das ren Verlauf der Zensurwelle. Ausser in Klima wieder bessert.» Sicher hat GoldKalifornien existieren ähnliche Gesetze berg dabei nicht an den möglichen Präsizur Verhinderung des Verkaufs an Min- dentschaftskandidaten Gore gedacht.