TAXI 01.p65 - TAXI Magazin
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TAXI 01.p65 - TAXI Magazin
Emir Kusturica & the No Smoking Orchestra: Unza Unza Time Cabiria-Barclay Blues Brothers und Alex Harvey verschmelzen in einem sprühenden Reigen guter Laune. Feststimmung kommt auf. Lust sich immer schneller im Kreis zu drehen. Stimmungsbilder von langen Tischen, feiernden, fröhlichen Menschen jeder Couleur. Musik die leise und laut angehört, positiv wahrgenommen wird. Dies macht die Mischung von Gitarre, Percussion, Tuba, Saxophon, Akkordeon und Violine aus. Eine potentielle Lieblings-CD. M:I-2: Music From and Inspired by... Edel/Phonag Neuankömmlinge, die aus der Vergangenheit oder der Zukunft in unserem Jahrzehnt gelandet sind, verschaffen sich den Überblick zunächst am besten mit diesem aktuellen Querschnitt durch die zeitgenössische (Rock-) Musik. Da gibt sich die Crème der fortschrittlichen Tonarbeite-rInnen ein Stelldichein. Als da wären: Limp Bizkit, Tori Amos, Chris Cornell, Metallica, Rob Zombie, Buckcherry, Butthole Surfers, um nur etwa die Hälfte zu nennen. Es treten hochinteressante Paarungen auf, wie Brian May mit den Foo Fighters (covern Pink Floyd), oder Kid Rock mit Uncle Kracker. Die afrikanischen Sängerinnen von Zap Mama liefern ein witziges Remake von Iko Iko und Filmkomponist Hans Zimmer hat eh überall seine Goldfinger mit drin... Wenn also Tom Cruise’s neuster Kassenknüller auch nicht über alle Zweifel erhaben sein mag und vor allem die dürftige Story nicht recht befriedigen kann, so ist zumindest die musikalische Umsetzung erste Sahne und nähert sich in keinem Moment dem seichten Mainstream an. Hats off! Jazzkantine: In Formation BMG/Ariola Über einem absolut melancholischen, schweren Hiphop-Beat, durchsetzt mit jazzigen Anleihen aus den letzten fünfzig Jahren Musikgeschichte, wird (selbst-?)ironisch das traurige Schicksal 14 TAXI 9/2000 des Profi(tanz-)musikers beschrieben, Hans- Dieter-Hüsch-artig vorgetragen von Sven Wegener, hauptamtlich Sänger der Berliner Elements of Crime. Dies als Bild für den einzigartigen Mix, den die Kantine nun schon seit sechs Jahren perfektioniert und erfolgreich unter die Leute gebracht hat. „Man muss sich die Jazzkantine vorstellen, als ein grösseres, gut ein gespieltes IN FORMATION snetz, welches wir über viele Jahre aufgebaut haben“, beschreibt Bassist und Produzent Christian Eitner den Projektcharakter des Ensembles. Gestandene Jazzer und Jazzrocker treffen auf die jungen Rapper Cappuccino, Tachiles und Aleksey, die einen völlig eigenen Umgang mit der deutschen Sprache entwickelt haben. Im Song „Gehirnzelle“ heisst es: „In meinem Kopf ist ein Gefängnis, ein mieses Verlies, wo es dreckig und eng is...“ Dann wird aufgezählt, wer da alles reingesperrt gehört. Es folgt die Beschreibung eines Ausbruchsversuchs: Das sind deutsche „Reims“ erster Güte, und diese CD strotzt davon. Dass sich auch die Musik hören lassen kann, dafür sorgen grossartige Instrumentalisten wie Nils Wogram (Posaune), Tom Bennecke (Gitarre), George Bishop (Tenor Sax), Jan Heie Erchinger (Key-boards), sein Bruder Dirk (Drums), DJ Air Knee (Turntables) und so illustre Gäste wie Bill Evans (Sax), Sam Leigh Brown (Vocals), Till Brönner (Trompete), Kelli Sae von Defunkt (Vocals), Signore Rossi (ItaloRap). Der Berliner Autor Ulrich Schlotmann hat Jazzlyrik beigetragen, die in zwei Stücken vertont wird. Das eine davon trägt er gleich selbst vor... Leute, lasst Euch sagen, diese CD ist voll konkret genial! (Dies ist eine Kaufempfehlung!) Bill Wyman’s Rhythm Kings: Groovin’ Roadrunner Als Ex-Stones-Bassist kann sich’s der Herr natürlich aussuchen. Er wählt souligen, gut geerdeten Rhythm&Blues mit club-bigem FrühSixties-Feel. Mit einer oder zwei Händen voll erlesener FreundInnen, darunter Georgie Fame, Gary Brooker (Procol Harum), Mick Taylor, Albert Lee, kocht Wyman zum dritten Mal ein brandheisses Süppchen. Gewürzt mit Beverley Skeetes Gänsehaut-Gesangspassagen und grossartig gefühlvollen instrumentalen Darbietungen aller Beteiligten. Als Ganzes sehr unaufdringlich und superprofessionell, aber HörerIn merkt, dass alle einen Riesenspass daran hatten, in entspannter Atmospäre ein Stück zeitloser Musik zu verewigen. Kid Rock: The History of Rock Warner Music Frech ist er, das muss man/frau ihm lassen. Acht Millionen Mal wanderte sein letztes Album “Devil Without A Cause” über den Ladentisch. Dies macht ihn, noch vor Metallica oder Korn, zum bestverdienenden US-Künstler in der Sparte Rock. Statt das Geld nun in Dotcom-Aktien anzulegen, verwendet er zumindest einen Teil davon, um zwei seiner längst vergriffenen Frühwerke neu abzumischen und technisch aufzumotzen. Die Songs von “The Polyfuze Method” (1993) und “Early Mornin’ Stoned Pimp” (1996) klingen auch so noch ziemlich hölzern und unausgegoren. Als ob er sich outen wollte, um zu sagen: “Denn siehe, auch ich hab mal mit’m 4-Spur angefangen!” Ob die Welt so ein Bekenntnis allerdings dringend gebraucht hat, bleibe dahingestellt. Interessant wird’s bei den unveröffentlichten Tracks, dem grollend-düster stampfenden “Dark & Grey” von 1994 zum einen, oder dem brandneuen Knaller “American Bad Ass”, wo Kid seine Trademarks, nämlich Ausrufer-Raps à la Beastie Boys, über Metallicas “Sad But True”Riff legt. Wirklich unverfroren, der Junge... Seine Fans werden sich diese Retrospektiv-Scheibe reinziehen müssen, alle andern warten lieber noch ein Jahr auf das nächste reguläre Album... oder kaufen die Single. Matthew Good Band: Beautyful Midnight Universal Der kanadische Vierer verbreitet melancholisch angehauchten (Gitarren-)Rock mit Alternativeund Grunge-Einflüssen. Soundanleihen aus Elektro und Dance, vereinzelte Hiphop-Rhythmen, die Atmosphäre erinnert zeitweise an späte New Wave: Insgesamt eine eigenartige, spannende Mischung. Matt Goods sehr emotionale Stimme reflektiert Innenwelten voller Sehnsucht, Schmerz, Wahnsinn, Fantasie und düsterer Langeweile. Der ideale Soundtrack für einen verregneten Sonntag...- Latin Club: Volume 1 Urban/Universal Tolle und bekannte Hits im Latingroove von „Mucho Mambo“ über „Blen Blen“ bis hin zu „Sing it Back“ von Moloko. Alles schön Non-Stopp ineinander gemixt von einem DJ Dan.Jel Schmidt. Trotzdem geht die Post auch nach mehrmaligem Anhören nur sehr verhalten ab. Vielleicht war der Blick auf den Beat-Counter wichtiger als das Gefühl? Bossa Nova: O. M. P. Soundtrack Verve Wie schon bei der alten Stan Getz Aufnahme mit Joao Gilbert plätschert der Bossa Nova gefällig einlullend und gefühlsintensiv vor sich hin. Eumir Deodato, Barbara Mendes, Djavan, Antonio Carlos Jobim, Ellis Regina sind GarantInnen für die richtige Intensität der brasilianisch inspirierten unterkühlt-explosiven Erotik. A Perfect Circle: Mer de Noms Virgin Records America Eine sehr spezielle Art von, sagen wir, ProgRock servieren uns die fünf AmerikanerInnen hier. In den Fachzeitschriften grosse Begeisterung ausgelöst hat ihre eigentümliche Verbindung exotisch-psychedelischer Harmonien mit komplexen Rhythmen, wobei eine starke Vorliebe für 6/8-Metren auffällt. Eine der wenigen Neuerscheinungen dieses Jahres ohne die obligaten HipHop-Anklänge, dafür mit Violine und abgefahrenen Keyboardsounds. Subtile Wechsel zwischen Aggression und Zärtlichkeit lassen erschaudern, es dämmert das Bild einer Paarung von frühen King Crimson mit späten Soundgarden...(Drücke ich mich klar genug aus?) Nix für Speedfreaks, jedenfalls. Und keine Schubladenband. Aber mit jedem Abspielen eröffnen sich neue Zugänge, und es gefällt besser... und besser... und besser! Azucar Amen Moreno: Sony Spain Ja, auch das gefällt. Eine gehörige Portion Kitsch und harmonisch alle Kanten und Ecken abgeschliffen, dazu gut getimte Stimmen ergibt eine gefällige Mixtur, bei der schon nach dem dritten mal anhören, das Mitsingen bei den AYAYAYAY-Refrains leicht fällt. Ansonsten viel Amor und Schwung. Zum Autofahren perfekt. Vermutlich fällt auch der Fensterputz bei diesen fröhlichen spanischen Melodien leicht. The Union Underground: ...an Education in Rebellion Columbia/Sony Ein düsteres amerikanisches Quartett zwischen Rage Against the Machine und Alice In Chains. Massive Gitarrengewitter und donnernde Grooves tragen Bryan Scotts monströse Stimme, die schmerzvolle Geschichten erzählt. Gleichwohl wird das Ganze nie weinerlich, eher kommt eine unverhohlene Aggression zu Tage, die manchmal erschreckend wirkt. Von Drogenhöllen sowie physischer und psychischer Gewalt ist die Rede; die Perspektive ist der Tod. Recht heftig für ein Debut-Album – es wird für die Truppe schwierig werden, diesen Gefühlsausbruch mit weiteren Alben noch zu übertreffen. Rebellion gegen das Leben als solches? Bozzio Levin Stevens: Situation Dangerous MagnaCarta/Disctrade Ein weiteres Mal haben die drei Musikalartisten zusammen gefunden, um ihre spannende Mixtur aus Jazz, Rock, Flamenco und Klassik auf Datenträger zu bannen. Klar war beim ersten Album alles noch überraschender und frischer – neu halt. Aber auch hier wird mit wohldosierter Virtuosität zu Werke gegangen, dass es eine Freude ist. Etwas weniger experimentell, etwas songorientierter und dadurch eingängiger und zugänglicher, als der von der Kritik verehrte Erstling, präsentiert sich der neue Release. Der Mix ist sehr transparent und kristallklar, verliert dadurch aber nicht an Kompaktheit. Vor allem Bozzios filigrane Drumarbeit beeindruckt immer auf’s neue. Seine zwei starken Mitmusiker stehen ihm aber in nichts nach: Ex-Billy-IdolGitarrero Stevens kitzelt aus Stahl- und Nylonsaiten Fantastisches, Tony Levin, bekannt aus King Crimson- und Peter Gabriel-Zeiten, verhilft den Kompositionen mit seinen melodiösen und präzisen Bassläufen zum abheben. Was vielleicht einen grossen komerziellen Durchbruch verhindert, ist das Fehlen jeglichen Gesangs. InstrumentalAlben sind halt nicht der Geschmack der grossen Mehrheit... DJ Koze: Music Is Okay Zomba/Musikvertrieb Der Hamburger Stefan Kozalla aka DJ Koze, ehemals Fischmob, verbindet Genialität mit einer gehörigen Portion schrägen Humors. Die fünfzehn Tracks bieten ausgeklügelte Remixe von Acts wie Fünf Sterne Deluxe, Tocotronic, Der Tobi und das Bo, den Goldenen Zitronen, Blumfeld und nicht zuletzt den Fantastischen Vier. Eingeleitet wird das Album von Kozes Vater, der sich darüber freut, dass sein Sohn “...nicht Zahnarzt, Rechtsanwalt oder Biologe oder so’n Quatsch geworden ist...”, sondern derbe Beatz bastelt, die auch ihn, den Vater, flashen. Mit raffiniert reduktionistischen Mitteln, gelingt es Koze, eine einmalige, witzig-nachdenkliche Grundstimmung zu erzeugen, die sich durch das ganze Album zieht und die er auch mit grossem Erfolg an der diesjährigen “Lethargy”-Party in der Zürcher Roten Fabrik live vorgeführt hat. Fishnet Stockings: Same Earforce/Disctrade Die drei Netzstrümpfe aus Biel haben sich vom eher puristischen Punkabilly früherer Veröffentlichungen entfernt. Zu hören gibt’s auf dem neuen Silberling zwischendurch etwa folkiges, oder auch Gitarrenpop bis zu hartem Rock. Diese stilistische Erweiterung steht dem Trio gut an. Auf diese Weise dürften auch neue HörerInnenkreise angesprochen werden, die sich für kraftvolle, frische Darbietungen erwärmen können. Ein gelungenes Remake von Clashs “I Fought The Law” fehlt ebensowenig wie die – selbstgeschriebene – Ballade “Heart To Tell”. Banjoklänge mischen sich mit Slidegitarren, druckvolles Schlagwerk umrahmt witzige Arrangements, alles hervorragend produziert vom talentierten Steve Kyburz: Eine rundum gelungene Scheibe! UFO: Covenant SPV/Phonag Die Herren Mogg (Voc,Keyb), Way (Bass), Schenker (Guit) und der neue Mann am Schlagzeug, Aynsley Dunbar, der schon bei Zappa und Whitesnake trommelte, verblüffen uns eigentlich nicht wirklich. Sie liefern ein grandioses Werk ab, aber, Hand auf’s Herz, wer hätte etwas anderes erwartet? Viele der Songs klingen altbekannt, da und dort tauchen Gesangsbögen und Gitarrenriffs auf, die sich an alte UFOKlassiker wie “Shoot, Shoot” oder “Rock Bottom” anlehnen. Die bandeigenen, unverwechselbaren Trademarks halt, und das ist sicher volle Absicht. Solange das Resultat so voller Druck und ansprechender Melodien rauskommt, ausgeliefert. Über die Aufnahmequalität dieser, an sich brilliant gespielten, “greatest hits”, legt der Schreibende den gnädigen Mantel des Schweigens. Aber für die elf neuen Titel auf der regulären Disc lohnt sich deren Anschaffung allemal! Women’s World Voices 2 Blue Flame/BMG Von Natacha Atlas zu Anne Clarke und Yulduz, das sind mal die bekannten Namen. Dazwischen verbergen sich Perlen und Juwelen aus Spanien, Türkei, Süd Afrika, Cap Verde, Frankreich, Griechenland und den USA. Alle Songs haben eines gemeinsam. Sie stammen aus weiblicher Feder und haben den magnetisch pulsierenden Groove der süchtig macht. Es sind leichte, weiche, intensive Töne. tanzbar, als Background und zum Träumen geeignet. Eine CD die bei jedem Anhören ein weiteres Geheimnis preis- De La Soul: Art Official Intelligence Tommy Boy/Musikvertrieb Die fünfte des Trios aus Amityville (USA): Posdnous, Dave und Maseo, deren epochaler Erstling „3 Feet High And Rising“ anno ‘89 von keinem geringeren als Prince produziert wurde, verkniffen es sich diesmal, ein Konzeptalbum mit durchgehendem Thema aufzunehmen. Sie wollten vielmehr die Weiterentwicklung ihrer manchmal unglaublichen Skills und ihres höchst kreativen Samplings aufzeigen. Ein weiteres Markenzeichen der Crew ist der ungekünstelte, natürliche Flow ihrer Raps. Sei dies bei Partykrachern wie „Declaration“ und „Squat“, oder bei souligeren Tracks wie „All Good?“, einer grossartigen Zusammenarbeit mit Chaka Khan und Palladino. Überhaupt liest sich die Gästeliste dieses Albums wie ein Who Is Who der HipHop-Szene: Mike D. und Ad Rock von den Beastie Boys, Busta Rhymes, Indeed, DV alias Khrist, Freddie Foxxx - und mehr in der Art... 17 hervorragend produzierte Kleinode, die Old School mit weit in die Zukunft weisenden Anwendungen der neusten Studio-Gimmicks verbinden, erfreuen Ohr und Herz. Inserat TAXI 9/2000 15