Widmen wir uns einem Mann mit Namen Brillat Savarin (1755
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Widmen wir uns einem Mann mit Namen Brillat Savarin (1755
Das Leben in revolutionären Zeiten – reine Geschmackssache: Jean-Anthelme Brillat Savarin (1755-1826) Am Hungertuch hat der am 1. April 1755 in eine vermögende Juristenfamilie im französischen Belley im Dèpartement Ain geborene Jean-Anthelme Brillat-Savarin nie genagt. Die Französische Revolution wälzte auch sein Leben um. Schon blitzte auf Geheiß der Jakobiner der Stahl der Guillotine über seinem Hals. Doch seine geschmeidigen Finger retteten dem 35-jährigen das Leben. Sein Geigenspiel gefiel einer Dame mit Beziehungen, die ihm einen Pass beschaffte. Damit gelang ihm die Flucht über Deutschland, die Schweiz nach New York. Als er 1796 mittlerweile 40 Jahre alt nach Frankreich zurückkehrte, hatte sich sein Vermögen in nichts aufgelöst. Brillat-Savarin musste von vorne beginnen. Mit der Hinrichtung von Robespierre am 27. Juli 1794 hatte die Schreckensherrschaft der Jakobiner geendet. Nachdem Napoleon durch den Staatsstreich am 18. Brumaire VIII 1799 die Herrschaft an sich gerissen hatte, änderten sich auch die Zeiten für Brillat-Savarin. Im selben Jahr wurde er zum Richter am Kassationshof ernannt. Wieder etabliert, blieb nun Zeit, sich seinem Lebenswerk „Die Physiologie des guten Geschmacks“ tiefer zu widmen. Darin verband sich die analytische Schärfe des Juristen mit der Sinnenfreude des Feinschmeckers. Lebenserfahrung spiegelte sich in den genossenen Tafelfreuden und verpflichtete ihn auch als Autor auf einen erlesenen Stil und eine sorgsame Wortwahl zu achten. Ein Intellektueller und ein Lebemann, der die Verlockungen des Fleisches wie des Verstandes schätzte, aber beidem nie unterlag. Essen war für Brillat-Savarin Lebenskunst und Feinschmeckerei eine Wissenschaft. So schrieb er: „Die Feinschmeckerei untersucht Menschen und Dinge, um alles Kennenswerte von einem Lande zum anderen zu tragen, und macht ein klug geordnetes Mahl zu einem Gleichnis der Welt, in dem Alle ihre Teile wohlvertreten figurieren.“ Freiheit und Gleichheit auch an der Tafel Er stellte sich als Jurist und Genussmensch der neuen Zeit und ihrer Forderung nach Freiheit und Brüderlichkeit. Freiheit erstrebte er eher in der Zusammenstellung der Menüfolge, Gleichheit im Genuss mit allen Menschen, Brüderlichkeit feierte er an der Tafel. Anlass dazu gab es mehr als genug. Denn, wer als Koch der Französischen Revolution entkommen war, machte sich selbstständig und eröffnete eine Suppenküche, die bald auch die Lizenz für andere Speisen erhielt. Mit den französischen Restaurants kam die Zeit der Grand Chefs. Es war daher an der Zeit, dass auch hier Empfehlungen im Rang von Gesetzen das Benehmen bei Tisch regeln, nach dem die Jakobiner auch an der Tafel zügellos und ohne jede Manieren agiert hatten. Brillat-Savarin leitet eine neue Epoche der Kochbuchliteratur und mit ihr der Tafelkultur ein. Er wandte sich von der Rezeptsammlung mit ihrem „man nehme“ ab hin zu einer reflektierenden Ebene der Koch- und Küchengeschichte, dem Beginn der Tafelkultur in schriftlicher Form. Erst im Alter von siebzig Jahren veröffentlichte er seine gesammelten, systematisierten und komprimierten Erfahrungen: „Physiologie du gout ou médiation de gastronomie transcendante.“ Anonym erschien das Werk 1825. Der erste gastrosophische Gelehrte starb 1826. Blättern wir in der „Physiologe des Geschmacks“ zeigt sogleich ein Kerngedanke des Autors: „Ist dies ein Kochbuch?“, befragt er sich und seine Leser und nimmt bereits die Antwort vorweg: „Aber es ist keins und darin liegt sein Reiz. Scheint es vom Essen und der Küche zu sprechen, so spricht es doch nur von der Welt und den Menschen.“ „Lacht mit der Freiheit“ – Brillat-Savarins Vermächtnis Ein Akt geistiger Bewegung des vorrevolutionären Frankreichs findet sich in der Aussage „lacht mit der Freiheit“. Die Küche hatte Tatkraft, die eine neue Staatsform brauchte. Brillat- Savarin serviert eine Kulturgeschichte des Essens, Gedanken aus der Welt des erlesenen Geschmacks und Betrachtungen über den feinen Genuss, versehen mit pikanten Spitzen gegen seine Zeit. Nicht zuletzt deshalb verleiht die Gastronomische Akademie Deutschlands Persönlichkeiten die „Brillat-SavarinPlakette“, die sich in herausragender Weise um die Gast- und Tafelkultur verdient gemacht haben. Brillat-Savarins kulinarisches Vermächtnis bestimmt daher bis heute unser Leben. Wer um ein Bonmot über Tafelkultur sucht, der greift gerne in die „Physiologie du gout“. Stets aktuell kann man ihn zitieren mit seinem legendären Ausspruch: „Sag mir was du isst, und ich sage dir wer du bist.“ (Andrea Schmoll – alle Rechte vorbehalten – insbesondere ist das Werk mit allen Nutzungsund Leistungsrechten urheberrechtlich geschützt).