Warten auf Godot Oder eher auf Erdogan? Der in Istanbul gegen 41

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Warten auf Godot Oder eher auf Erdogan? Der in Istanbul gegen 41
Warten auf Godot
Oder eher auf Erdogan?
Der in Istanbul gegen 41 Kollegen und Kolleginnen geführte Strafverfahren, besser bekannt unter
dem Namen KCK-Prozess, wurde am 6.05.2015 nach 6 Monatiger Verhandlungspause heute für 2
Stunden weitergeführt.
Der Gang des heutigen Prozesstages ist ohne die Kenntnis der politischen Situation in der Türkei nicht
nachvollziehbar. Heute konnten wir quasi Augenzeugen von dem werden, was es bedeutet, wenn die
Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat.
Zur Erinnerung: die Kollegen waren am 22. November 2011 verhaftet worden, die Hauptverhandlung
begann am 16. Juli 2012. Am 6.März 2014 wurde per Gesetzesänderung die Zuständigkeit von
Sonderkammern für politische Verfahren und somit die Kammer, die zum Zeitpunkt der
Anklageerhebung zuständig war, abgeschafft. Das führte nicht zur Einstellung des Verfahrens,
sondern zur Verweisung an eine ordentliche Strafkammer. Allerdings wurden die Kollegen mit der
Abschaffung der Sondergerichte von der Haft verschont.
Seit dem hat es mit dem heutigen Tag zwei Verhandlungstermine gegeben.
Hauptziel der Verteidigung ist an den beiden Verhandlungstagen Folgendes:
a) Sofortige Freispruch!
Laut § 5271 TR Strafprozessordnung kann ein sofortiger Freispruch ohne Beweisaufnahme beantragt
werden, wenn eine Bestrafung offensichtlich nicht angebracht oder wünschenswert ist oder der Fall
an sich von Gesetzeswegen abgelehnt werden muss.
b) Die Vorlage des Falles zum Verfassungsgericht
Die Sondergerichte wurden im Rahmen der Änderung der Anti-Terrorgesetzgebung verabschiedet.
Dabei sah die Änderung, die Abschaffung der Sondergerichtsbarkeit vor. Allerdings besagt Nr: 6526
der TK-Strafprozessordnung, dass das dann neu zuständig Gericht ab dem Punkt des Verfahrens
weitermachen darf, an dem das letzte Gericht aufgehört hat, also ohne Wiederholung der
Beweisaufnahme.
Das widerspricht sogar der übrigen Strafprozessordnung, die auch Regelungen über die Dauerhafte
Anwesenheit gleicher Gerichtspersonen enthält. Geschweige der Verletzung des Grundsatzes des
gesetzlichen Richters, der auch im türkischen recht verankert ist.
c) Überprüfung der vermeintlichen Beweise der Anklage auf die Gesetzesmäßigkeit ihrer Erhebung.
Sondergerichte, Sonderdezernate der Staatsanwaltschaft und Sonderabteilungen der Polizei wurden
abgeschafft, weil Ihnen illegale Ermittlungsmethoden vorgeworfen wurden. Dies, weil diese Beamten
Ermittlungen in Korruptionsfällen geführt haben.
Gegen etliche Polizeibeamte der Sonderabteilung wurden Ermittlungsverfahren wegen
Beweismanipulation eingeleitet. Einige dieser Beamte waren auch Ermittler in dem Verfahren gegen
unsere Kollegen. Am heutigen Verhandlungstag sollte es also auch um die Überprüfung von
erhobenen Beweisen gehen, deren Erhebungspersonen unter dem öffentlichen Verdacht der
Beweismanipulation stehen.
Das Gericht hatte zwischen den Verhandlungstagen bereits schriftlich die Vorlage des Falles zum
Verfassungsgericht wegen „mangelnder Ernsthaftigkeit“ des Antrages abgelehnt.
Heute sollte es wieder darum gehen, die obigen Punkte zu forcieren. Und wurde praktisch nicht
verhandelt. Der Verteidigung wurde Gelegenheit gegeben, Gegenvorstellung zur Entscheidung des
Gerichtes vorzutragen. Das Gericht nahm die Erklärungen höflich entgegen und verkündete, man
werde jetzt wieder unterbrechen und am 22. Oktober 2015 wieder verhandeln. Die Vertagung wurde
nicht begründet.
Über die Vertagung waren nur wir- die internationalen Beobachter- überrascht. Die türkischen
Kollegen hatten damit gerechnet, denn in der letzten Woche wurden in der Türkei 2 Richter
verhaftet, gegen 2 weitere Richter und 4 Staatsanwälte ergingen Haftbefehle. Der Vorwurf lautet
Landesverrat und Mitgliedschaft in einer staatsgefährdenden Organisation. Richter Metin Özcelik und
Mustafa Baser hatten eine Haftentlassung der wegen Korruption ermittelnden und deswegen
verhafteten 60 Polizeibeamten beschlossen. Noch am Tag der Verkündung der Beschlüsse wurden
Haftbefehle erlassen. Metin Özcelik wurde im Justizpalast verhaftet. Mustafa Baser wurde bislang
nicht in seiner Wohnung aufgefunden. Gestern wurden der ehemalige Generalstaatsanwalt von
Adana und 3 weitere Staatsanwälte verhaftet. Ihnen wird Landesverrat und Mitgliedschaft in einer
staatsgefährdenden Organisation vorgeworfen. Die Juristen hatten es gewagt, illegale
Waffentransporte nach Syrien zu stoppen.
Bei dieser gesellschaftlichen Situation, heißt es wohl für alle Beteiligten, abwarten, einfrieren, bloß
nichts entscheiden, was nicht genehm sein könnte. Die Justiz kapituliert, steckt den Kopf in den Sand
und wartet. Worauf denn nur?