Der Westsaharakonflikt - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

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Der Westsaharakonflikt - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
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Der Westsaharakonflikt
Juni 2014
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Abstract
Die Westsahara liegt im Nordwesten Afrikas an der Küste zum Atlantischen Ozean. Die
Küstengewässer sind fischreich, während sich im Landesinneren wertvolle Phosphatlagerstätten befinden. Die Bevölkerung wird auf über 500.000 Personen geschätzt, wovon
viele aus Marokko eingewandert sind. Ein Großteil der Sahrauis, der autochthonen
Bevölkerung der Westsahara, lebt in Flüchtlingslagern in Tindouf (Algerien). Im Bereich
der Menschenrechte stellt die Beschränkung der bürgerlichen Freiheiten und politischen
Rechte der Verfechter der Unabhängigkeit ein Problem dar.
Von 1884 bis 1975 war das Gebiet eine spanische Kolonie, auch wenn Spanien erst in den
letzten Jahrzehnten Kontrolle über die Sahrauistämme im Landesinneren ausgeübt hat. Als
Spanien zustimmte seine Kolonialmacht abzutreten, forderten Marokko und Mauretanien
ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof an. Dieses legten beide Länder so aus,
dass ihre historischen Ansprüche auf das Gebiet bestätigt wurden, woraufhin Marokko
und Mauretanien die Westsahara besetzten. Die Polisario, die Befreiungsbewegung der
Sahrauis, mit Unterstützung aus Algerien und Libyen, startete Angriffe gegen Marokko
und Mauretanien. Als Mauretanien sich letztendlich gezwungen sah, seinen Anteil der
Westsahara abzutreten, übernahm diesen Marokko.
Obwohl militärische Auseinandersetzungen weiterhin fortbestanden, war Marokko in der
Lage die Beherrschung des Gebiets mit der Erbauung eines 2.000 km langen Schutzwalls
zu sichern. Zwischen 1990 und 1991 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einen Plan, der
zu einem Referendum führen sollte, bei dem zwischen der Unabhängigkeit der Westsahara
und der Integration mit Marokko abgestimmt werden sollte. Doch beide Seiten hatten
nicht vereinbare Vorstellungen davon, wer wahlberechtigt sein sollte. Immer, wenn ein
Wählerverzeichnis von einer Seite vorgeschlagen wurde, lehnte es die andere Seite ab, sodass
der UN-Plan schließlich aufgegeben wurde. Nachfolgende Bemühungen, beide Parteien
dazu zu bringen, alternative Pläne zu akzeptieren, sind gescheitert. Eine marokkanische
Initiative für einen regionalen Autonomiestatuts ist der letzte Stand.
Abstract
The Western Sahara is a territory in north-west Africa situated on the Atlantic coast line.
The coastal waters are rich in fish and inland precious phosphate deposits have been found.
The population is estimated at just over 500,000 of which many have come from Morocco.
The majority of the Sahrawi, the autochthon population of the Western Sahara, lives in
refugee camps in Tindouf (Algeria). A problem has arisen in the field of human rights which
has resulted from the limitation of civil liberty and the political rights of the advocates of
independence.
Between 1884 and 1975 the territory was a Spanish colony even though Spain exercised
control over the Sahrawi tribes only during the course of the last decades. When Spain
agreed to surrender its colonial power, Morocco and Mauritania asked the International
Court of Justice for an assessment of territorial rights. Both countries interpreted the
resulting assessment as confirmation of their historic claims to the territory, whereupon
Morocco and Mauritania occupied the Western Sahara. The Polisario, the Sahrawi Liberation
Movement, supported by citizens from Algeria and Libya, started attacking Morocco and
Mauritania. When Mauritania was eventually forced to give up its share of the Western
Sahara, Morocco took over the territory.
Although military conflicts continued, Morocco was able to control the territory by building
a 2,000-km-long protective barrier, the Moroccan Wall. Between 1990 and 1991 the UN
Security Council adopted a plan which was supposed to lead to a referendum where votes
could be cast for either the independence of the Western Sahara or the integration with
Morocco. Both parties, however, had incompatible ideas on who would be eligible to vote.
Whenever an electoral register was proposed, the other party declined which eventually
lead to the UN plan being abandoned. Subsequent efforts to make both parties accept
alternative plans failed. The last update refers to a Moroccan initiative to arrive at a regional
autonomous status.
Inhalt
1. Entwicklung
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1.1. Hintergrund des Konfliktes
1.2. Die ersten Versuche der Entkonolialisierung
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10
1.3. Beginn des Westsaharakrieges und Grüner Marsch
12
1.4. Der Westsaharakrieg
1.4.1. Der Krieg gegen Mauretanien (1975-1979)
1.4.2. Der Krieg gegen Marokko (1979-1981)
13
14
15
1.5. Diplomatischer Kampf
1.5.1. Der Friedensplan der ONU-OUA von 1990-1991
1.5.2. Die Baker-Pläne
1.5.3. Jüngste Entwicklungen
16
17
18
19
2. Rohstoffe 2.1.
2.2.
2.3.
2.4.
Phosphat
Eisenherz und sonstige Mineralien
Erdöl und Erdgas
Fischerei
2 1
21
22
22
3. Aktuelle Lage
3.1. Flüchtlingslager
3.2. Menschenrechte
20
23
23
24
4. Ausblick
Literaturverzeichnis
27
Anhang
Abbildung 1. Spanisch Westafrika bis 1956
Abbildung 2. Westsahara (MINURSO-Einsatzgebiet)
30
31
25
9
1. Entwicklung
Die Westsahara liegt im Nordwesten Afrikas an der Küste zum Atlantischen Ozean. Das
Gebiet entspricht dem westlichen Teil der Saharawüste und umfasst 266.000 km². Im
Norden grenzt es an Marokko (443 km Landesgrenze), im Nordosten an Algerien (42 km)
und im Osten und im Süden an Mauretanien (1.561 km). Die Küstengewässer sind fischreich,
während sich im Landesinneren wertvolle Phosphatlagerstätten befinden. Die Bevölkerung
wird auf über 500.000 Personen geschätzt, wovon viele aus Marokko eingewandert sind.
Ein Großteil der Sahrauis, der autochthonen Bevölkerung der Westsahara, lebt in Flüchtlingslagern in Tindouf (Algerien).
1.1. Hintergrund des Konfliktes
Im 19. Jahrhundert beschränkten sich die Beziehungen zwischen Spanien und der
Westsahara hauptsächlich auf den Fischfang. Als kurz vor der Jahrhundertwende die
Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Kolonialmächten bevor­
stand, musste Spanien um seine Herrschaft im Norden Marokkos und über die Kanarischen
Inseln bangen, die schon damals als See- und Militärstützpunkte für die Kontrolle des
Handels im Mittelmeer und an der westafrikanischen Küste von großer Bedeutung waren.
Um seine Vorherrschaft zu sichern, erklärte Spanien 1884 das gesamte Gebiet von Río de
Oro über Angra de Cintra bis hin zum Cabo Blanco zu spanischem Protektorat. Am 10. Juli
1885 wurde die gesamte Küste von Bojador bis Cabo Blanco dem Überseeministerium in
Madrid unterstellt.1 Die Sahrauis leisteten jedoch erbitterten Widerstand. Ihr nomadischer
Lebensstil und die harten Wüstenbedingungen führten dazu, dass eine effektive Kontrolle
der Spanier über die Westsahara nicht möglich war.
Währenddessen war Frankreich zur vorherrschenden Macht im Nordwesten Afrikas ge­
worden und hoffte darauf, seine Gebiete zu vergrößern. Im Jahre 1886 begannen die
Verhandlungen, um die Grenzen zwischen der französischen und der spanischen Zone
zu definieren. Sie wurden bis 1900 fortgesetzt, als der erste geheime französisch-spani­
sche Vertrag unterschrieben wurde, in dem sich Spanien und Frankreich zunächst auf
die Südgrenze der Westsahara einigten, die noch ihrem heutigen Verlauf entspricht. In
zwei weiteren geheimen Abkommen 1904 und 1912 verkleinerte Frankreich die spa­
nische Einflusszone in Südmarokko. Spanien behielt neben der Westsahara nur einen
Küstenstreifen im Norden Marokkos sowie die Enklave Ifni bei Tiznit und einen schmalen
Landstreifen von Tarfaya bis zum Tal des Draa.
Bei all diesen Verträgen stand außer Frage, dass die Gebiete Saguia el Hamra und Río de
Oro – die heutige Westsahara – außerhalb des marokkanischen Territoriums lagen und un­
ter spanischer Kolonialherrschaft bleiben sollten. Sie wurden auch verwaltungstechnisch
anders behandelt: Während der Landstreifen entlang der marokkanischen Mittelmeerküste
und der sogenannte Tarfaya-Streifen ein Protektorat (Protectorado Español de Marruecos)
bildeten, erhielten Saguia el Hamra und Rió de Oro den Status einer Kolonie. Diese
1
Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 85.
10
Entscheidung führte zu einer klaren Trennung bezüglich der rechtlichen Situation zweier
Teile desselben geografischen, kulturellen und ethnischen Gebietes.2 Jedoch wurde damals
das Problem, das eine Teilung des Gebiets der Sahrauis darstellte, dadurch gelindert, dass
Spanien beide Zonen verwaltete. Die Situation verschärfte sich erst, als Marokko 1956 die
Unabhängigkeit erlangte und der neue König Mohamed V. die Idee eines „Groß-Marokkos“
als politische Grundlage der neuen alawidischen3 Monarchie aufnahm, indem er die Forderungen von Allal el Fassi, dem großen Patriarchen des marokkanischen Nationalismus und
Oberhaupt der nationalistischen Partei Istiqlal aufgriff. Der Monarch war der Meinung,
dass sich die politischen Grenzen Marokkos von Tanger im Norden bis zum Senegal erstrec­
ken sollten. Dieses Gebiet umfasste neben Spanisch-Sahara Mauretanien, die algerische
Twat-Region und Gebiete von Mali bis Timbuktu. Darin eingeschlossen waren wichtige
Lagerstätten von Mineralien wie Kohle aus Kenadsa, Kohlenwasserstoffe aus In Salah,
Mangan aus Yebel Guettara, Eisen aus Bechar und Tinduf, Eisen aus Zueratt (alle in Algerien
unter französischer Herrschaft) und Kupfer aus Akjoujtin in Mauretanien und Phosphate
aus Spanisch-Sahara.4
Spanien erkannte ebenfalls die Unabhängigkeit Marokkos an und gab das Protektorat
über Nord-Marokko auf. An der Mittelmeerküste blieben nur noch die Städte Ceuta und
Mellila in spanischem Besitz. Die Kolonien in Spanisch-Westafrika wollte Diktator Franco
allerdings nicht aufgeben, was letztendlich zum Ifni-Krieg führte, in dem Marokko ohne
vorherige Kriegserklärung in Ifni und Sahara einmarschierte. Den Krieg gewann letztend­
lich Spanien mit Unterstützung französischer Kräfte. Am 1. April 1958 unterzeichneten
Spanien und Marokko das Abkommen von Angra de Cintra. Marokko erhielt die Region von
Tarfayabis und Spanien behielt Sidi Ifni und Spanisch-Westafrika. Ab diesem Zeitpunkt ge­
währte die spanische Regierung dem Rest des sahrauischen Gebiets unter seiner Verwaltung
den Status einer Provinz.
1.2. Die ersten Versuche der Entkolonialisierung
Am 14. Dezember 1960 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen
die Resolution 1514 (XV) zur Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an kolo­
niale Länder und Völker.5 Die Vereinten Nationen kodifizierten damit auf gewisse Weise
das Grundprinzip des internationalen Rechts, das das Recht auf Selbstbestimmung der
unterdrückten Völker unter kolonialer Herrschaft festlegte sowie das Verfahren, wie dieses
Recht auszuführen sei, bis hin zum Erlangen der Unabhängigkeit, sofern diese gewünscht
war. Man kann daher sagen, dass diese Resolution den juristischen Grundstein für den
Unabhängigkeitsprozess in Afrika legte. In den 1960er Jahren löste sich der Großteil des
afrikanischen Territoriums von der europäischen Vormundschaft, nicht so jedoch die
Westsahara.
Anfang der 1970er Jahre schien es, als würde die Westsahara entgegen des Wider-stands
der spanischen Regierung einem ähnlichen Prozess hin zur Unabhängigkeit folgen, wie die
restlichen Länder Afrikas. 1963 erschien die Westsahara auf der UN-Liste der Länder, de­
2
3
4
5
Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 2.
Die Alawiden (auch: Alaouiten oder Zweite Scherifen-Dynastie) sind seit dem Jahr 1664 die herrschende Königsdynastie in Marokko.
Reyner, Anthony S. (1963): Morocco’s International Boundaries. A Factual Background. In: The Journal of Modern African Studies, 1(3), S.
313-326.
Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1514 (XV), vom 14.12.1960, http://www.un.org/Depts/german/gv-early/
ar1514-xv.pdf, Abruf am 16.05.2014.
11
nen das Recht auf Selbstbestimmung immer noch verwehrt wurde. Am 16. Dezember 1965
verabschiedete die UN-Vollversammlung ihren ersten Beschluss zur Westsahara (2072), in
dem Spanien aufgefordert wurde, alle notwendigen Maßnahmen zur Entkolonialisierung
dieses Gebietes zu treffen. Diese Resolution wurde laut Rössel (1991) mit einer Mehrheit
von 100 zu zwei Stimmen (Spanien, Portugal) angenommen, wobei die Vereinigten Staaten,
Großbritannien, Frankreich und Südafrika sich enthielten. Da man sich über die Wünsche
der Bewohner der Westsahara im Unklaren war, verabschiedete die Generalversammlung
am 20. Dezember 1966 eine zweite Resolution (2229), die die Enklave Ifni und die
Westsahara behandelte und dabei explizit zwischen den beiden Fällen unterschied. Danach
sollte Spanien zum „frühst möglichen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit den Wünschen
der einheimischen Bevölkerung und in Rücksprache mit den Regierungen Mauretaniens
und Marokkos sowie anderen interessierten Parteien Verfahrensweisen für die Abhaltung
eines Referendums unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen festlegen, das der
Bevölkerung die freie Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes ermöglichen sollte“6.
Wahlberechtigt war nur die autochthone Bevölkerung des Gebiets, sodass Spanien auch den
geflohenen Sahrauis aus den Nachbarländern die Rückkehr in ihr Land ermöglichen sollte.
Doch der spanische Diktator Franco lehnte ein Referendum ab und auch die sechs weiteren
Resolutionen zur Westsahara, die die UN-Vollversammlung danach bis 1973 verabschiedete,
blieben erfolgslos. Spanien entschied sich dafür, die Westsahara zu fördern und auf diese
Weise die internationalen Einsprüche auszugleichen und die wachsenden Forderungen der
Bevölkerung zum Schweigen zu bringen. In dieser Zeit wurde das Unternehmens Empresa
Nacional Minera del Sáhara (Enminsa) mit amerikanischem und englischem Kapital gegrün­
det, das sich dem Abbau von Phosphat beschäftigt. In Bou Craa gibt es außergewöhnliche
Phosphatvorkommen, die ab 1972 von Enminsa abgebaut wurden.7
Die mangelnde Entschlusskraft der spanischen Regierung eine friedliche Entkolonialisierung des Territoriums durchzuführen, führte dazu, dass besonders die jüngeren Sahrauis
glaubten, dass ein Dialog mit der Besatzungsmacht nicht möglich sei und man folglich zum
bewaffneten Kampf übergehen müsse. 1973 gründeten sahrauische Kämpfer die Volksfront
zur Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro (von spanisch Frente Popular para la
Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro, kurz: Frente Polisario), die sich die algerische
Revolution zum Vorbild nahm.8 Doch für den Westen, insbesondere für die USA, war die
Schaffung eins schwachen sozialistischen Staates an der nordatlantischen afrikanischen
Küste keine Option. Im Kontext des Kalten Krieges befürchtete man, dass die unabhängige
Westsahara unter algerischen Einfluss geraten würde, der letztendlich auch Marokko, den
Verbündeten der Vereinigten Staaten, erreichen könnte. Außerdem lief man im Falle der
Unabhängigkeit der Westsahara Gefahr, dass die ehemalige Sowjetunion diesen Umstand
ausnützen könnte, um einen Marinestützpunkt in einem sahrauischen Hafen zu errich­
ten.9 Die Integration der Westsahara in Marokko schien daher die beste Option, um diese
Gefahr abzuwenden. Das Gründungsmanifest der Frente Polisario nannte jedoch nicht ex­
plizit die Unabhängigkeit als Ziel. Ahmedou Ould Souilem, eines der Gründungsmitglieder,
erklärte, dass die im Namen enthaltene „liberación“ sich auf die Befreiung von der spa­
6
7
8
9
Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 156.
Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 4.
Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press,
S. 115.
Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 5.
12
nischen Kolonialbeherrschung bezog und dass es aber kein politisches Programm für die
Unabhängigkeit des Gebiets bedeutete.10
1.3. Beginn des Westsaharakrieges und Grüner Marsch
Bis 1974 bestand die Strategie Spaniens darin, die Entkolonialisierung der Westsahara
so lange wie möglich zu verzögern. Aber die Position Spaniens war international immer
schwieriger zu verteidigen. Die wachsende politische Stärke der Frente Polisario zeigte die
immer größere Schwierigkeit, die Westsahara unter spanischer Hoheit zu behalten. Nach
und nach setzte sich die Idee durch, dass der Moment gekommen sei, eine Lösung zu fin­
den, die die Erwartungen der Bevölkerung berücksichtigt. In diesem Kontext bat die UNGeneralversammlung den Internationalen Gerichtshof (IGH) um ein Gutachten, das klären
sollte, ob die Westsahara im Moment der Kolonialisierung durch Spanien niemandem ge­
hört hatte (terra nullius) und welche rechtlichen Bindungen es zwischen diesem Gebiet und
dem Königreich Marokko sowie der sog. mauretanischen Einheit gab.11 Am 16. Oktober 1975
gab der IGH sein Gutachten öffentlich bekannt. In Bezug auf die erste der beiden Fragen
stellte der Gerichtshof fest, dass die Westsahara bis zur Ankunft der Europäer 1884 kei­
neswegs terra nullis gewesen sei, sondern dass das Gebiet von einer Bevölkerung bewohnt
worden war, die zwar nomadisch lebte, aber dennoch sozial und politisch in Stämmen
organisiert war und von Oberhäuptern repräsentiert wurde. In Bezug auf die zweite Frage
erklärte man, dass das Material und die Informationen, die dem Gericht vorlagen, keine
Beziehung von territorialer Souveränität zwischen dem Gebiet der Westsahara und dem
Königreich Marokko oder der mauretanischen Einheit nachwiesen12, sondern nur die eine
oder andere Beziehung zwischen den Stämmen, die als Nomaden bis nach Marokko gekom­
men waren sowie ein paar Rechte Mauretaniens über sahrauische Weidezonen. Damit wies
der Gerichtshof die marokkanischen und mauretanischen Ansprüche auf die Westsahara
zurück und empfahl die Durchführung eines Referendums, um die Frage zu klären, ob die
Sahrauis die Unabhängigkeit oder die Annexion zu Marokko oder Mauretanien wollten.
Marokko jedoch interpretierte die Anerkennung der Stammesbindungen der Sahrauis zu
marokkanischen Sultanen in seinem eigenen Interesse. Nur ein paar Stunden nach der
Veröffentlichung der Ergebnisse des IGH am 16. Oktober 1975 gab Hassan II. den Grünen
Marsch13 bekannt, eine Massendemonstration durch die Westsahara, die im November statt­
finden und Spanien zur Übergabe der Kolonie an Marokko zwingen sollte.
Am 31. Oktober 1975 überquerten marokkanische Truppen im von Spanien geräumten
Nordosten des Landes die Grenze der Westsahara und drangen bis Hausa und Farsia vor.14
Von Anfang an leistete die Polisario Widerstand und es kam zu ersten Kämpfen. Während
die internationalen Medien die Vorbereitung des „friedlichen Grünen Marsches“ beobach­
teten, begann der Krieg um die Westsahara. Ende November 1975 befanden sich zahlreiche
sahrauische Städte unter marokkanischer Kontrolle, und die Gräueltaten der Invasoren
10 Pham, Peter J. (2010): Not Another Failed State. Toward a Realistic Solution in the Western Sahara. In: The Journal of the Middle East and
Africa, 1 (1), S. 7.
11 Internationaler Gerichtshof (1975): Sahara Occidental. Avis consultative du 16 d’octobre 1975, http://www.icj-cij.org/docket/files/61/6195.
pdf, Abruf am 19.05.2014.
12 ibid.
13 Der Marsch wurde nach der heiligen Farbe des Islam benannt.
14 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 176.
13
wurden bekannt: Plünderungen, Brandstiftung, Massenfestnahmen, Folterungen,
Morde, Vergewaltigungen. Zehntausende Sahrauis flohen ins Landesinnere in die von der
Polisario kontrollierten Zonen. Der schwere Weg dorthin und die harten Bedingungen
(Hitze, Wasser- und Lebensmittelmangel, Krankheiten) kosteten viele das Leben. Schon bald
waren die Lager im Landesinneren überfüllt, die hygienischen Zustände mangelhaft, Essen
und Wasser mussten stark rationiert werden.
In der Zwischenzeit, am 6. November 1975, begann der angekündigte Grüne Marsch.
350.000 größtenteils unbewaffnete Marokkaner, die man zuvor im ganzen Land rekrutiert
hatte, zogen vom südlichen Marokko nach Spanisch-Sahara, der heutigen Westsahara. Der
Marsch sollte so lange fortgeführt werden, bis Spanien sich bereit erkläre, die Westsahara an
Marokko abzutreten. Der Monarch gab später selbst zu, dass es sich beim Grünen Marsch
um eine „schreckliche, aber dennoch legitime Erpressung gehandelt habe“15, die durch kei­
nerlei Gesetz verurteilbar sei. Der UN-Sicherheitsrat, der auf Antrag Spaniens zusammen­
gekommen war, drängte Marokko zu einem Rückzug aus der Westsahara, verhängte aber
keine konkreten Sanktionen, als seine Beschlüsse ignoriert wurden.16 Am 14. November
1975 unterschrieb Spanien, das in dem Moment mit inneren Angelegenheiten und mit
Francos immer schlechterem Gesundheitszustand17 beschäftigt war, das geheime Madrider
Abkommen mit Marokko und Mauretanien. Darin wurde die Westsahara geteilt, wovon der
größte Teil an Marokko ging, während nur ein kleiner Streifen im Süden an Mauretanien
übergeben werden sollte. Als Frist für den Rückzug Spaniens aus der Westsahara wurde der
28. Februar 1976 festgelegt. Die Gültigkeit dieses Abkommens wurde von der internatio­
nalen Gemeinschaft nie in Frage gestellt. Erst 1978 enthüllte die spanische Presse, welchen
Preis Marokko für den Rückzug Spaniens gezahlt hat. In den geheimen Zusatzprotokollen
des Abkommens wurden Spanien u.a. Fischfangrechte über einen Zeitraum von 12 Jahren
vor der Küste der Westsahara sowie Anteile in Höhe von 35% an den Phosphatminen zu­
gestanden. Außerdem versprach Hassan II., seine Ansprüche auf die spanischen Enklaven
Ceuta und Melilla so lange zurückzustellen, bis Großbritannien Gibraltar an Spanien abträ­
te. Auch verpflichtete sich Marokko, Spanien die Nutzung von Militärstützpunkten in der
Westsahara zuzugestehen.18
1.4. Der Westsaharakrieg
Noch vor dem Abzug der Spanier bombardierte die marokkanische Armee am 18., 20. und
23. Februar 1976 die ersten notdürftigen Flüchtlingslager im Osten der Westsahara mit - in­
ternational verbotenen - Napalm- und Phosphorbomben. Neutrale Beobachter bestätigten
die Augenzeugenberichte der Sahrauis. Diese sprachen von „Gräueltaten, die Ausdruck
übelster Barbarei“ seien und warnten vor einem „drohenden Völkermord“19 an den Sahrauis.
Doch die Luftangriffe wurden bis Ende März 1976 fortgesetzt, bis Algerien seine Grenzen
15 Bárbulo, Tomás (2005): “Un chantaje horrible, pero lícito”, según Hasán II. In: El País vom 07.11.2005, http://elpais.com/diario/2005/11/07/
internacional/1131318009_850215.html, Abruf am 15.04.2014.
16 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 47.
17 Der Diktator hatte mehrere Herzattacken erlitten und lag im Sterben.
18 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University
Press, S. 6.
19 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 182.
14
öffnete, um die sahrauischen Flüchtlinge in Tindouf aufzunehmen. Viele mussten hunderte
Kilometer zu Fuß wandern, obwohl die Polisario mit allen verfügbaren Fahrzeugen versuch­
te, die Flüchtlinge zu schützen und außer Landes zu bringen. Auch die Flüchtlingskaravanen
wurden von der marokkanischen Luftwaffe bombardiert, hunderte von Menschen kamen
ums Leben. Letztendlich wurde die sahrauische Bevölkerung geteilt in diejenigen, die nach
Algerien fliehen konnten und jene, die im von Marokko besetzten Gebiet blieben.
Am 28. Februar 1976 riefen die Sahrauis in Bir Lehlou, einem Lager in der Wüste etwa 130
km von der algerischen Grenze entfernt, die Demokratische Arabische Republik Sahara
(DARS) aus. Die DARS stellte sich als ein freier, unabhängiger, souveräner Staat dar, der von
einem demokratischen Staatssystem regiert werden sollte und dessen Staatsreligion der
Islam war.20 Neben Arabisch sollte auch Spanisch Amtssprache sein.21 Die DARS erklärte ih­
ren Beitritt zur UNO, zur Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und zur Arabischen
Liga sowie die Anerkennung der Menschenrechte. Die Frente Polisario lehnte das Madrider
Abkommen ab und gab bekannt, dass sie weiterhin für die Unabhängigkeit der Westsahara
kämpfen würde. Auch wenn die sahrauischen Befreiungskämpfer zu Beginn des Krieges vor
allem mit der Evakuierung der Flüchtlinge beschäftigt waren, taten sie doch gleichzeitig
alles in ihrer Macht stehende, um den Besatzern militärisch wie politisch Widerstand zu lei­
sten. Algerien, als der stärkste regionale Verbündete der Sahrauis, versorgte die Front nicht
nur mit Flüchtlingseinrichtungen, sondern auch mit Waffen, militärischen Stützpunkten
und Training für die Guerillaarmee.22 Innerhalb von Monaten wuchs die Armee auf mehrere
tausend bewaffnete Kämpfer an und Anfang der 1980er Jahre war der bewaffnete Flügel der
Frente Polisario rund 15.000 Mann stark.23
1.4.1. Der Krieg gegen Mauretanien (1975-1979)
Polisarios Priorität galt der Niederschlagung Mauretaniens, dem schwächeren der beiden
Gegner. Mauretanien hatte eine nur 3.000 Mann starke Armee und einige paramilitäri­
sche Einheiten. Außerdem war Mauretanien eines der ärmsten Länder der Welt, das von
seinen Eisenerzexporten abhängig war. Die Polisario-Guerillas machten daher die rund
650 km lange Schienenverbindung von den Minen zum Hafen von Nwadhibou zu einem
ihrer Hauptangriffsziele, um den Export von Eisenerz zu unterbrechen.24 Die mauretani­
schen Streitkräfte mussten sich aufteilen und waren nicht in der Lage, das Territorium vor
Eingriffen zu verteidigen. Daher sah sich Präsident Ould Daddah gezwungen, einen mi­
litärischen Beistandspakt mit Marokko abzuschließen und rief später auch die Luftwaffe
der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zu Hilfe. Die Polisario griff immer wieder Züge
an und nahm französische Eisenbahntechniker als Geiseln, woraufhin Frankreich zahlrei­
che Luftangriffe startete, bei denen auch Napalm- und Phosphorbomben eingesetzt wur­
den, wobei auch mehr als einhundert mauretanische Gefangene der Polisario umkamen.25
20 Die Bekanntmachung kann auf der folgenden Internetseite in französischer Sprache nachgelesen werden: http://www.arso.org/03-1f.htm,
Abruf am 20.05.2014.
21 Damit ist die Westsahara das einzige Land in der arabisch-islamischen Welt, in dem offiziell Spanisch gesprochen wird. Siehe Piniés, Jaime
de et al. (2014): Manifiesto por una política digna de España en el Sáhara Occidental, vom 28.04.2014, http://www.frentepolisario.com/modules.php?name=News&file=article&sid=7069, Abruf am 29.04.2014.
22 Diego Aguirre, José Ramón (1991): Guerra en el Sáhara. Madrid: Istmo, S. 262.
23 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 56.
24 Der Eisenerzabbau brachte mehr als 80 Prozent der Exporteinnahmen des Landes ein, sodass eine wirkungsvolle Störung der Produktion
zum wirtschaftlichen Kollaps des Kriegsgegners führen musste.
25 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 194.
15
Obwohl die sahrauische Befreiungsbewegung bei den französischen Bombardements
schwere Verluste erlitt, wurden die Anschläge auf die Eisenbahnlinie unvermindert fort­
gesetzt. In Folge dessen sanken die Eisenerzexporte Mauretaniens drastisch. 1979 war
Mauretanien, das kurz vor einem Staatsbankrott stand, gezwungen, seine Truppen aus der
Westsahara zurückzuziehen, verhandelte ein Friedensabkommen mit der Frente Polisario
und verzichtete letztendlich auf all seine territorialen Ansprüche.
Obwohl der Rückzug Mauretaniens aus dem Westsaharakrieg einen großen militärischen
und diplomatischen Erfolg für die Frente Polisario darstellte, waren die praktischen Folgen
sehr begrenzt. Die Antwort Marokkos auf die „mauretanische Kapitulation“ und den „Verrat
der Verpflichtungen aus dem Madrider Abkommen“26 ließ nicht auf sich warten und be­
stand aus der Besetzung der mauretanischen Zone, ohne dass die Streitkräfte der Polisario
dies verhindern konnten. Marokko argumentierte, dass wenn Mauretanien auf den Teil ver­
zichtete, der ihm im Madrider Abkommen zugeteilt worden war, so konnte Marokko das
Gebiet auf legale Weise besetzen. Am 14. August 1979 marschierte Marokko in Dakhla27 ein
und ernannte die Stadt zur Hauptstadt der neuen marokkanischen Provinz Río de Oro, die
das ganze Gebiet umfasste, dessen Verwaltung im Madrider Abkommen Mauretanien zuge­
sprochen worden war.
1.4.2.Der Krieg gegen Marokko (1979-1981)
Für die Frente Polisario stellte Marokko einen schwierigeren Kontrahenten dar als die frü­
heren Gegner Spanien und Mauretanien. Marokko, mit anfangs 40.000 Soldaten, erhielt
starke militärische Unterstützung von Frankreich und den USA.28 Hatte die Guerilla mit der
Stilllegung des Eisenerzabbaus den Wirtschaftsnerv Mauretaniens getroffen, so richteten
sich die Polisario-Angriffe im marokkanisch kontrollierten Teil der Westsahara entspre­
chend gegen die Phosphatproduktion von Bou Craa: Die Stromleitungen zur Mine wurden
in der Wüste gekappt, das Förderband zerstört. Die Polisario störte auch den Fischfang vor
der Küste des Landes, attackierte regelmäßig internationale Fischerboote und nahm Fischer
aus Spanien, Marokko, Portugal und Südkorea gefangen, die aber nach Verhandlungen mit
Algerien wieder freigelassen wurden.
Nach dem sahrauischen Sieg über Mauretanien weitete die Polisario den Krieg auf marok­
kanische Militärtransporte, Stellungen und Ortschaften in Südmarokko aus. Anfang der
1980er Jahre erreichen die Kämpfe zwischen den sahrauischen und den marokkanischen
Truppen ihren Höhepunkt. Besonders im Landesinneren hatte die Polisario taktische
Vorteile.29 Sie drang immer mehr in marokkanisches Gebiet ein und brachte Marokko gro­
ße sowohl personelle als auch materielle Verluste ein. Hassans Truppen waren gezwungen
Stützpunkte im Landesinneren aufzugeben, um die Verteidigung in wichtigeren Städten
und Stützpunkten in Küstennähe zu verstärken. Anfang der 1980er kontrollierten die ma­
rokkanischen Besatzungstruppen zwar weiterhin die Hauptorte des Landes El Aaiun, Smara,
26 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 9.
27 Früherer spanischer Name: Villa Cisneros.
28 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 57.
29 Boukhari, Ahmed (2004): Las dimensiones internacionales del conflicto del Sahara occidental y sus repercusiones para una alternativa marroquí. Documento de Trabajo 16/2004 del Real Instituto Elcano, vom 19.04.2004, http://www.realinstitutoelcano.org/documentos/99/DT16-2004-E.pdf, Abruf am 24.04.2004, S. 59.
16
Bojador und Dakhla, aber fünf Sechstel des Wüstenterritoriums befanden sich in der Hand
der Polisario.30
Konfrontiert mit den hohen Verlusten an Menschenleben und Ausrüstung, die die Verteidigung der weit zerstreuten und freiliegenden Außenposten mit sich brachte, zog sich die
marokkanische Armee zurück und konzentrierte sich darauf, die Polisario aus dem Gebiet
im Nordwesten der Sakiyat al-Hamra-Region fernzuhalten, wo sich u.a. die PhosphatMinen Bou Craas befanden. Um dies zu erreichen, begann Marokko 1981 das Gebiet von den
Angriffen der Frente Polisario abzuschotten, indem man mit dem Bau einer Schutzmauer,
der so genannten Berme, begann. Zwischen 1980 und 1987 errichtete Marokko insgesamt
sechs solcher Verteidigungsmauern. Sie bestehen aus Sand und Steinen, sind zwischen zwei
und drei Metern hoch und insgesamt etwa 2.000 km lang. Entlang der Sandwälle gibt es alle
fünf bis sechs Kilometer einen größeren marokkanischen Truppenstützpunkt, dazwischen
kleinere Wachposten. Hinter der vorderen Mauer gibt es oft noch einen zweiten Sandwall
zur Verstärkung. Vor den Mauern wurden Minen und Stacheldraht verlegt. Außerdem be­
sitzen die Marokkaner ein hoch entwickeltes elektronisches Überwachungsnetz, das von
den USA und Frankreich bereitgestellt wurde.31 Das Schutzwallsystem teilt seither die
Westsahara in zwei Gebiete: die marokkanisch besetzte Zone westlich der Berme und die
von der Polisario kontrollierte Zone östlich davon.
Die Schutzwälle änderten den Verlauf des Westsaharakriegs, da sie die Wirksamkeit der
Polisario-Überfälle begrenzten. Marokko konnte sich nun fast voll und ganz auf die Verteidigung konzentrieren und dadurch schneller reagieren, wenn die Guerillas versuchten,
diese zu durchbrechen. Doch die Frente Polisario fand bald die Schwachstellen der Schutzwälle, sodass es zwischen 1983 und 1991 zu einer Reihe von schweren Auseinandersetzungen kam. Sahrauischen Kämpfern gelang es dabei, unbemerkt bis zum Wall vorzu­
dringen, schnell die marokkanischen Positionen zu überrennen, marokkanische Soldaten
gefangen zu nehmen oder zu töten und große Mengen an Waffen und Ausrüstung zu erbeu­
ten.32
1.5. Diplomatischer Kampf
Die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten des Kampfes waren für beide Seiten enorm.
1988 kamen sowohl die Frente Polisario als auch das marokkanische Heer nach den vielen
Jahren ununterbrochenen Krieges in der Wüste an ihre Grenzen33 und erkannten, dass ein
militärischer Sieg wohl nicht möglich war. Der militärische Gleichstand schien somit eine
friedliche Lösung möglich zu machen. Die Vereinten Nationen und die Organisation für
Afrikanische Einheit (OAU) sollten die politischen Verhandlungen einleiten.
30 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 202.
31 Boukhari, Ahmed (2004): Las dimensiones internacionales del conflicto del Sahara occidental y sus repercusiones para una alternativa marroquí. Documento de Trabajo 16/2004 del Real Instituto Elcano, vom 19.04.2004, http://www.realinstitutoelcano.org/documentos/99/DT16-2004-E.pdf, Abruf am 24.04.2004, S. 59.
32 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 60.
33 Anfang der 1990er Jahre steckte Marokko in der tiefsten wirtschaftlichen und politischen Krise seit seiner Unabhängigkeit 1956.
Hauptgrund für das enorme Anwachsen der Verschuldung waren die hohen militärischen Ausgaben.
17
1.5.1. Der Friedensplan der ONU-OUA von 1990-1991
Die Bemühungen der VN und der OAU zeigten ihre ersten Erfolge in vorsichtigen
Annäherungsgesprächen. Der UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar stellte im Juni
1990 einen Friedensplan vor. Die zentralen Punkte des Planes, der einen groben Zeitplan
enthielt, waren: Vereinbarung eines Waffenstillstands, stufenweiser Truppenrückzug,
Rückführung der Flüchtlinge und die Durchführung eines Referendums, das von der ONU
organisiert und überwacht werden sollte.34 Eine Kommission sollte den spanischen Zensus
von 1974 aktualisieren und die sahrauischen Wahlberechtigten festlegen, die zwischen der
Unabhängigkeit und der Eingliederung in Marokko wählen müssten. Das Referendum sollte
24 Wochen nach Eintreten des Waffenstillstandes durchgeführt werden.35 Am 29. April 1991
stimmte der UN-Sicherheitsrat der Umsetzung des Planes zu und beschloss außerdem eine
Mission, die Mission des Nations Unies pour l’organisation d’un référendum au Sahara occidental (kurz: MINURSO) einzusetzen, die den Waffenstillstand sowie die Durchführung des
Referendums überwachen sollte. Letzteres solle innerhalb von sechs Monaten abgehalten
werden, spätestens jedoch im Februar 1992.36 Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario
nahmen den Plan im Prinzip an und es schien, als stünde man vor einer baldigen Lösung
des Westsaharakonfliktes.
Dennoch gab es Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Plans: Die marokkanische Verwaltung blieb weiterhin in der Westsahara und auch die dort stationierte marokkanische
Armee von 160.000 Mann wurde nicht auf die vorgesehenen 65.000 reduziert.37 Aber der
Hauptgrund, weswegen es letztendlich bis heute nicht zu einem Referendum gekommen
ist, ist die Wählerschaft: Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario haben sehr unter­
schiedliche Ansichten darüber, wer stimmberechtigt ist und wer nicht. Trotzdem entsandte
Pérez de Cuéllar die ersten MINURSO-Truppen und Zivilisten in die Westsahara, obwohl
die Frage nach den Wahlberechtigten noch nicht gelöst war, und sorgte dafür, dass der
Waffenstillstand am 6. September 1991 in Kraft trat.38
Zuvor legte Marokko der MINURSO im April 1991 eine Liste mit 120.000 angeblichen
Bewohnern der Westsahara vor, die zum aktualisierten spanischen Zensus von 1974 hin­
zugefügt und individuell geprüft werden sollten. Außerdem ließ Hassan II. im September
1991 170.000 Marokkaner für das Referendum in die Westsahara umsiedeln („Zweiter
Grüner Marsch“). Die Kriterien zur Identifizierung der Wahlberechtigen wurden wieder­
holt geändert, ius sanguinis und ius solis hinzugefügt, sowie die Zugehörigkeit zu einem
der sahrauischen Stämme anerkannt. Marokko bestach Mitglieder der Identifikationskommission, damit sie die Anträge auf Wahlberechtigung marokkanischer Bürger an­
nahm. Auch wurde nachgewiesen, dass die MINURSO 4.000 von Marokko gesponserte
Kandidaten im Wählerverzeichnis aufgenommen hatte.39 All dies führte dazu, dass der
Identifikationsprozess an Glaubwürdigkeit verlor und schließlich Mitte der 1990er Jahre
zum Stehen kam.
34 Jensen, Erik (2012): Western Sahara. Anatomy of a Stalemate? 2. Aufl., Boulder, Colorado und London: Lynne Rienner Publishers, S. 29.
35 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 61.
36 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.12.
37 Ruf, Werner (2003): Westsahara. Die Polisario am Ende? Der größte Verlierer ist das sahrauische Volk selbst. In: Gesellschaft der Freunde des
Sahrauischen Volkes (Hg.): inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten), von Januar 2004, http://www.ag-friedensforschung.de/
regionen/Westsahara/polisario2.html, Abruf am 22.05.2014.
38 Jensen, Erik (2012): Western Sahara. Anatomy of a Stalemate? 2. Aufl., Boulder, Colorado und London: Lynne Rienner Publishers, S. 44.
39 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press,
S. 195.
18
1.5.2. Die Baker-Pläne
Im Februar 1997 ernannte der neue UN-Staatssekretär Kofi Annan den Nordamerikaner
James Baker zum UN-Verhandlungsführer für die Westsahara. Man hoffte, dass Bakers per­
sönliches Ansehen, seine große internationale Erfahrung und seine engen Beziehungen zur
amerikanischen Regierung ausreichen würden, um den Friedensprozess endgültig voran­
zubringen. Nachdem er sich mit den höchsten Vertretern der marokkanischen Regierung,
des Frente Polisario, Algeriens und Mauretaniens getroffen hatte, kam er zu dem Schluss,
dass die einzige realistische Art den Friedensprozess in die Wege zu leiten, die direkte und
private Verhandlung zwischen den Parteien war, unter der Aufsicht der UNO und mit der
Anwesenheit von Beobachtern aus Algerien und Mauretanien. Auf diese Weise fanden im
Sommer 1997 verschiedene Gesprächsrunden in London und Lissabon statt, in denen man
versuchte, das Problem der Identifizierung der Wahlberechtigten zu lösen, während man
zugleich auch versuchte Maßnahmen zur Durchführung des Friedensplans festzulegen.
Die letzte Gesprächsrunde fand in Houston statt, wo beide Seiten ein Abkommen (Houston
Accords) unterschrieben.40
Am 3. September 1998 wurde der Identifikationsprozess abgeschlossen und die MINURSO
veröffentlichte eine provisorische Liste. Zuvor waren 147.249 Anträge untersucht wor­
den, wovon nur 84.249 die Wahlberechtigung für das Referendum erhielten.41 Marokko
legte Einspruch gegen diese Zahl ein und bestand auf die Aufnahme von 79.125 neuen
Personen. Diese Diskussionen über die Identifikation der Wahlberechtigten legten den
Prozess letztendlich lahm. Laut Fuente Cobo (2011: 13) deutete alles darauf hin, dass eine
Wählerschaft von weniger als 100.000 Personen die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass bei ei­
nem Referendum für die Unabhängigkeit gestimmt werden würde, wohingegen eine höhere
Wählerschaft die Annexion der Westsahara mit sich führen würde.
Baker blieb keine andere Möglichkeit als einen neuen Plan zu entwickeln. Der Baker
Plan I bezeichnete sich ausdrücklich als Grundlage für eine „politische Lösung“ des
Westsaharakonfliktes, also nicht auf dem Völkerrecht basierend. Er sollte von beiden
Parteien unterschrieben werden, doch die Polisario lehnte ihn von vornherein ab. Der
Grund: Ein Referendum für die Unabhängigkeit war darin nicht explizit vorgesehen.
Stattdessen war geplant, der Westsahara eine gewisse Autonomie zuzugestehen, jedoch un­
ter marokkanischer Souveränität.42 Der Baker Plan I wurde vom Sicherheitsrat der UN nicht
verabschiedet; stattdessen schlug dieser weitere Verhandlungen zwischen beiden Parteien
vor, sodass Baker ihn überarbeitete.
Die zweite Version des Baker-Plans43 sah eine autonome sahrauische Übergangs-regierung
(die sog. Western Sahara Authority, kurz: WSA) von fünf Jahren vor, auf die ein Referendum
über die Unabhängigkeit folgen sollte. An diesem Referendum sollte die gesamte gegenwär­
tige Bevölkerung der Westsahara teilnehmen, inklusive der Menschen, die nach 1975 aus
Marokko hinzugezogen waren, was die Polisario bisher strikt abgelehnt hatte. Andererseits
missfiel es Marokko, dass die lokale Übergangsregierung (die WSA) nur von „echten“
Sahrauis gewählt werden sollte, die als solche von der MINURSO identifiziert worden waren,
40 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press,
S. 208.
41 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.13.
42 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press,
S. 223.
43 Offizieller Name: Peace Plan for the Self-Determination for the People of Western Sahara.
19
auch wenn Marokko während dieser Zeit die Souveränität über das Gebiet noch behal­
ten würde. Marokko erhob schon früh Einwände gegen den Baker-Plan II, und Algerien
sowie die Frente Polisario akzeptierten ihn nur widerwillig. Im Juli 2003 billigte der UNSicherheitsrat den Plan und rief die Parteien dazu auf, ihn zu erfüllen. Doch Marokko
lehnte den Baker-Plan II ab und verkündete, man würde jetzt und auch in Zukunft keinem
Referendum mehr zustimmen, dass die Unabhängigkeit der Westsahara als Option enthal­
te.44
Im Juni 2004 gab Baker aus Protest sein Amt auf. Er wies darauf hin, dass aufgrund der
unvereinbaren Positionen Marokkos und der Polisario sowie der Weigerung des Sicherheitsrates eine Lösung trotz der Einwände der Parteien durchzusetzen, es keine Möglichkeit für
eine Kompromisslösung zu geben scheine.45
1.5.3. Jüngste Entwicklungen
Nach Bakers Rücktritt schien die Situation zu eskalieren. Ab Mai 2005 fanden in mehre­
ren Städten der Westsahara Demonstrationen und Aufstände statt, die von der Polisario
den Beinamen „Intifada für die Unabhängigkeit“ erhielten und die von jungen Sahrauis
angeführt wurden. Ausländische Journalisten wurden des Landes verwiesen, nachdem sie
Demonstranten interviewt haben, 14 Aktivisten wurden festgenommen.46
Im August 2005 übernahm der holländische Diplomat Peter Van Walsum die Rolle Bakers.
Nach seiner ersten Reise nach Rabat, Tindouf, Argel und Nouakchott fasste er die Positionen
der beiden Parteien als „nahezu unvereinbar“ zusammen. Er sah es als notwendig an, den
Streit durch „direkte Gespräche ohne vorherige Bedingungen“ beizulegen, d.h. vorerst nicht
von der Unabhängigkeit als Möglichkeit auszugehen und eine „politische Lösung zu fin­
den, die gerecht, dauerhaft und für beide Seiten akzeptabel sei“47. Der Autonomiestatus der
Westsahara schien ihm daher eine gute Kompromisslösung.
Die Idee der Autonomie war nicht neu; schon 1980 hatte Hassan II. verkündet, dass alles
„bis auf das Siegel und die Flagge“48 verhandelbar sei, was die Möglichkeit zu umfassen
schien, der Westsahara einen großen Grad an Selbstverwaltung zuzusprechen. Am 11. April
2007 legte Marokko mit französischer, amerikanischer und spanischer Unterstützung eine
Initiative zur Autonomie der Westsahara beim neuen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon
vor. Dieser Plan wurde von der Polisario kategorisch abgelehnt. Dennoch erschien er dem
Sicherheitsrat sinnvoll. Im Juni 2007 begann daher die erste Verhandlungsrunde zwischen
Marokko und der Polisario in Manhasset, New York. Es wurden keine Durchbrüche erreicht
und die Parteien trafen sich noch für drei weitere Runden; die letzte im März 2008 und er­
44 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.17.
45 „Well I think any dispute like this is solvable given goodwill on the part of both parties but you haven’t had that. If you don’t have that, if
they’re not willing to exercise the political will necessary to reach a solution and the Security Council is not willing to move from Chapter
6, that is consensus, to Chapter 7 where they can ask the parties, force the parties, one or both of them, to do something they don’t want
to do. Then I don’t know where the solution comes from. This issue is really not unlike the Arab-Israeli dispute: two different peoples claiming the same land. One is very strong, one has won the war, one is in occupation and the other is very weak” (Baker in Zunes, Stephen und
Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 238).
46 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press,
S. 140.
47 Bolopion, Philippe (2008): Le médiateur de l’ONU écarte l’indépendance du Sahara occidental. In: Le Monde vom 22.04.2008, http://
www.lemonde.fr/afrique/article/2008/04/22/le-mediateur-de-l-onu-ecarte-l-independance-du-sahara-occidental_1036908_3212.
html?xtor=RSS-3210, Abruf am 22.05.2014.
48 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.17.
20
neut ohne jeglichen Erfolg.
Die Frente Polisario kündigte an, dass sie bereit wäre, die direkten Verhandlungen mit
Marokko fortzuführen, aber nur unter der Bedingung, dass Van Walsum ersetzt würde,
da er zugunsten Marokkos voreingenommen sei. Van Walsum hatte mehrfach verkündet,
die Unabhängigkeit der Westsahara sei eine unrealistische Option, auch wenn sie sich auf
internationales Recht stütze.49 Am 21. August 2008 lief sein Mandat aus und wurde vom
Generalsekretär Ban Ki-Moon nicht verlängert. Stattdessen wurde der amerikanische
Diplomat Christopher Ross zum persönlichen Gesandten für die Westsahara des UNStaatssekretärs ernannt. Dieser schaffte es mit großen Mühen, dass sich Marokko und die
Polisario im Dezember 2010 nach zwei Jahren wieder zu Verhandlungen trafen, doch erneut
kam es zu keinen Ergebnissen.
Zwischen dem 8. und 9. November 2010 kam es zu Zusammenstößen zwischen marokkani­
schen Sicherheitskräften und sahrauischen Zivilisten in Gdeim Izik, einem Wüstengebiet 16 km von Al Aaiun entfernt, wo 20.000 Sahrauis friedlich für eine Verbesserung ihrer
sozialen und ökonomischen Situation demonstrierten. Dabei wurden 4.500 Menschen ver­
letzt, 2.000 festgenommen.50
Seit seiner Gründung wird das Mandat der MINURSO immer wieder um ein Jahr verlän­
gert – eine Resolution, die die Notwendigkeit anerkennt, die Menschenrechtslage in der
Westsahara zu verbessern, aber ohne dass dies zu einer Ausweitung des Mandats geführt
hätte. Die Verhandlungen werden zwar weiterhin fortgeführt, führen aber bisher zu keinem
Ergebnis. Ban Ki-Moon hat angekündigt, den Verhandlungsprozess zu überprüfen, wenn bis
April 2015 keine Lösung des Konflikts gefunden wird.51
2. Rohstoffe
Die Rohstoffvorkommen in der Westsahara sind der Hauptgrund für das internationa­
le Interesse an einem Gebiet, das hauptsächlich aus Wüste besteht und nur spärlich be­
siedelt ist. 1974 bezeichnete die Weltbank die Westsahara wegen seiner Fischbestände,
seiner immensen Phosphatvorkommen und großen Ölreserven als eines der reichsten
Länder der Maghrebregion.52 Während die Kontrolle über die Phosphatvorkommen
der Westsahara einer der Faktoren für Marokkos Entscheidung gewesen sein mag, die
Westsahara zu besetzen, so sind es die Kontrolle der Fischbestände und die Hoffnung auf
Erdöl die heutzutage in Marokko im Vordergrund stehen. Für Marokko sind die Rohstoffe
der Westsahara von größter Bedeutung; nicht nur in Hinblick auf die dringend benötigten
Beschäftigungsmöglichkeiten sondern auch in Hinblick auf eine Vergrößerung des Anteils
Marokkos am Weltphosphatmarkt. Dadurch sichert sich Marokko die Kontrolle über einen
Großteil der Nordatlantikküste und dessen Reichtum. Desweiteren besteht die Hoffnung,
Marokkos Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren.53
49 Cembrero, Ignacio (2008): Un Sáhara independiente es inalcanzable. In: El País vom 8. August 2008, http://elpais.com/diario/2008/08/08/
internacional/1218146401_850215.html, Abruf am 22.05.2014.
50 Calvo, Erena und Ana del Barrio (2010): El Ejército marroquí desmantela por la fuerza el campamento de protesta saharaui. In: El Mundo
vom 8. November 2011, http://www.elmundo.es/elmundo/2010/11/08/internacional/1289203693.html, Abruf am 22.05.2014.
51 El pueblo saharaui celebra el 41 aniversario del inicio de la lucha armada. In: Sahara Press Service vom 20. 05.2014, http://www.spsrasd.
info/es/content/el-pueblo-saharaui-celebra-el-41-aniversario-del-inicio-de-la-lucha-armada, Abruf am 22.05.2014.
52 Pinto Leite, Pedro (2006): International legality versus realpolitik. The cases of Western Sahara and East Timor. In: Olsson, Claes (Hrsg.)
(2006): The Western Sahara Conflict. The Role of Natural Resources in Decolonization. Uppsala: Nordiska Afrikainstitutet, S.16.
53 Shelley, Toby (2004): Endgame in the Western Sahara. What future for Africa’s last colony? London: Zed Books Ltd, S. 62.
21
Marokko behandelt das von ihm kontrollierte Gebiet der Westsahara als Teil seines
Königreiches und wirbt Investoren an. Von dem Wirtschaftswachstum bekommen die
Sahrauis allerdings kaum etwas ab, da die Firmen hauptsächlich marokkanische und fran­
zösische Arbeiter einstellen und die Gewinne an den Sahrauis vorbei nach Marokko abflie­
ßen. Damit wird gegen geltendes Völkerrecht verstoßen.54
2.1. Phosphat
Bou Craa liegt etwa 100 km südöstlich von El Aaiun und verfügt über eines der größten
Phosphatvorkommen der Welt. Phosphat ist wesentlicher Bestandteil in Dünge- und
Reinigungsmitteln. Die Phosphatvorkommen in Bou Craa wurden 1945 vom spanischen
Geologen Manuel Alia Medina entdeckt und werden auf etwa zwei Milliarden Tonnen ge­
schätzt. 1964 schätzten Geologen von ENMINSA die Phosphatvorkommen in der gesamten
Westsahara auf zehn Milliarden Tonnen.55. Der Übertagebergbau von Bou Craa erstreckt
sich über 250 km². Das Phosphat, das seit 1972 abgebaut wird, wird über ein 96 km langes
Förderband, dem längster dieser Art in der Welt, zur Küste transportiert. 1976 wurde das
Förderband, an dessen Bau auch die deutschen Firmen Krupp, Clouth, Strabagbau, Pohlig
Heckel-Bleichert und Klöckner-Humboldt-Deutz beteiligt waren, von der Frente Polisario
zerstört; bis 1982 stand der Phosphatabbau still.56
Heute wird Bou Craa fast ausschließlich von Angestellten des marokkanischen Staats57
konzerns Office Chérifien des Phosphates (OCP, Scherifisches Amt für Phosphate) bewohnt.
OCP ist Weltmarktführer in der Phosphat- und Düngemittelproduktion und außerdem
der weltweit größte Exporteur von Rohphosphat und Phosphorsäure. 2012 trug die
Phosphatindustrie 6 % zum marokkanischen BIP bei. Insgesamt verfügt Marokko über
die weltweit größten Reserven dieses Minerals.58 Die durchschnittliche Produktion von
hochwertig verarbeitetem Phosphat in Bou Craa beläuft sich jährlich auf etwa 3 Millionen
Tonnen59, was etwa 10 % des vom OCP abgebauten Phosphats darstellt.
2.2. Eisenerz und sonstige Mineralien
Die Eisenerzvorkommen am nordöstlichen Rand der Tiris-Ebene schätzt man auf etwa
72 Millionen Tonnen, nur wenige Kilometer entfernt von den großen mauretanischen
Erzgruben von Zouerate. Die Bestände der Westsahara sollen aber größer und von besserer
Qualität sein.60 Es gibt auch auf den für die Raum- und Luftfahrt verwendeten, äußerst selte­
nen Rohstoff Vanadium. Ebenso wurden in der Westsahara folgende Bodenschätze nach54 Matthaei, Katrin (2013): Im Schatten der Mali-Krise. In: DW vom 28.02.2013, http://dw.de/p/17mHb, Abruf am 23.04.2014.
55 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 18.
56 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 129.
57 Das OCP ist verantwortlich für die Verwaltung und Kontrolle jeglicher Aspekte des Phosphatabbaus und dessen Aufbereitung.
58 Quarante, Olivier (2014): Die Schätze der Westsahara. In: Le Monde diplomatique Nr. 10360 vom 14.03.2014, S. 14.
59 Eyckmans, Sara, John Gurr und Cate Lewis (2010): Western Sahara. Bou Craa Phosphate Mine, 15.11.2010, http://bhpbillitonwatch.
net/2010/11/15/western-sahara-bou-craa-phosphate-mine/, Abruf am 14.04.2014.
60 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 19.
22
gewiesen: Wolfram, Platin, Gold, Chrom, Zinn, Bergyll, Mangan, Kupfer, Nickel, Magnetit,
Ilmenit und Uran.61
2.3. Erdöl und Erdgas
Während der spanischen Herrschaft wurden mit Hilfe von BP und Philips Oil Company die
ersten Erkundungen nach Erdölvorkommen in der Westsahara unternommen, jedoch
wurden diese aufgrund des Kriegs zwischen Marokko und der Polisario sowie des ungelösten rechtlichen Status des Gebiets abgebrochen. Nachdem man beträchtliche förderbare
Ölfelder im benachbarten Mauretanien entdeckt hatte, wuchsen jedoch die Hoffnungen
Marokkos auf mögliche Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Westsahara, da die Geologie
der Westsahara der Mauretaniens sehr ähnelt. Deswegen schloss die marokkanische
Regierung Verträge mit ausländischen Unternehmen über die Erkundung von Ölvorkommen, u.a. 2001 mit dem amerikanischen Unternehmen Kerr McGee und dem französi­
schen Unternehmen TotalFinaElf (Total SA). Aufgrund starker internationaler Proteste zog
sich Kerr McGee 2006 zurück;62 die Forschungsgebiete wurden vom US-amerikanischen
Energiekonzern Kosmos Energy übernommen. Total SA führt seit Juli 2013 seismische
Erkundungen auf einer mehr als 100.000 km² großen Fläche vor der Küste der Westsahara
durch und hat erst im Februar 2014 seinen Vertrag mit Marokko erneuert.63
Schon 2002 hat der damalige UN-Subsekretär Hans Corell gewarnt: „Wenn gesucht und
gefördert wird, ohne die Interessen der Bevölkerung der Westsahara zu berücksichtigen,
wird das internationale Recht verletzt“64. Doch die Energiekonzerne beteuern, sie wür­
den sich an alle Gesetze, Regulierungen und Entscheidungen der UN und der EU hal­
ten und die Wirtschafts- und Menschenrechtsstandards der UN respektieren. Diverse
Nichtregierungsorganisationen haben daran jedoch ihre Zweifel. Die Western Sahra
Resource Watch (WSRW), eine internationale Nichtregierungsorganisation, die die wirt­
schaftlichen Aktivitäten Marokkos in der Westsahara beobachtet, befürchtet, dass eine
Lösung des Westsaharakonflikts noch mehr erschwert würde, wenn tatsächlich Erdöl ge­
funden werden sollte. Derzeit laufen sechs Erdöl- und Erdgasprogramme in der Westsahara.
Die Abkommen wurden zwischen Marokko und sechs unterschiedlichen ausländischen
Unternehmen geschlossen.65
2.4. Fischerei
Die Küste der Westsahara ist 2.200 km lang und zählt zu den fischreichsten Gewässern
der Erde; dennoch haben sich die Sahrauis traditionell nicht mit der Fischerei be­
schäftigt.66 Spanische Fischer von den Kanarischen Inseln begannen bereits im späten
61 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef:
Horlemann, S. 126.
62 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit,
Universität Wien, S. 20.
63 Das Projekt hat den Namen „Anzarane Offshore“; in der Schlacht von Bir Anzarane vom 12. September 1979 hatten die marokkanischen
Streitkräfte den Frente Polisario vernichtend geschlagen.
64 Wandler, Reiner (2014): Ressourcenstreit in der Westsahara“. In: TAZ vom 23.04.2014, http://www.taz.de/!137201/, Abruf am 29.04.2014.
65 WSRW Report (2013): Totally wrong. Total SA in occupied Western Sahara, http://www.wsrw.org/files/dated/2013-09-01/totally_wrong.
pdf, Abruf am 13.05.2014, S.2.
66 Das liegt zum einen Teil daran, dass das Gebiet nur wenige Naturhäfen hat und dass Fischen aufgrund der Steilküsten mit den starken
Strömungen entlang der Küste äußerst gefährlich ist. Außerdem gab es kaum Holz für den Bau von Fischerbooten.
23
15. Jahrhundert vor der Küste der Westsahara zu fischen. Spanien expandierte seinen
Fischereisektor in diesem Gebiet während des 20. Jahrhunderts und fing jährlich 225.000
Tonnen Fisch, bis Marokko 1975 die Kolonie übernahm und die Anlagen der Fischindustrie
mit dem Bau neuer Häfen verbesserte. Heute erwirtschaftet der Fischereisektor 17 % des
Bruttoinlandsprodukts der Westsahara, in ihm arbeiten 31 % der Beschäftigten des Gebietes
und 78 % des gesamten marokkanischen Fischfangs stammt aus den Gewässern der
Westsahara.67
1977 griff die Frente Polisario mehrere Fischtrawler an und bezeichnete die Fischereiaktivitäten als eine Verletzung der territorialen Gewässer der Demokratischen Arabischen
Republik Sahara. Durch die Errichtung des marokkanischen Walls zwischen 1981 und 1987
wurde die Polisario fast gänzlich vom Atlantik abgeschnitten und die Angriffe hörten auf.
Die langfristige Ausbeutung der Fisch- und Meerestierbestände hat zu einer Über-fischung
geführt, was zu einem massiven Rückgang der Fischbestände geführt hat. Dennoch hat
das EU-Parlament im Dezember 2013 der vierten Erneuerung des Partnerschaftlichen
Fischereiabkommens mit Marokko zugestimmt, das für die Jahre 2014 bis 2017 gelten soll
und das Ende Februar 2012 abgelaufene Abkommen ersetzt.68 In der Vergangenheit hatten
europäische Fangschiffe vor der Küste Marokkos und der Westsahara unter einem Übereinkommen gefischt, das vom Abkommen von Madrid von 1975 abgeleitet worden war; als
Spanien zur EU beitrat, wurde Spaniens Abkommen mit Rabat von der EU übernommen.
3. Aktuelle Lage
Der Friedensplan ist gescheitert, die Baker-Pläne wurden nicht angenommen, auch die
Gespräche zwischen den Parteien haben keinerlei Durchbruch geschafft und der Sicherheitsrat weigert sich eine Lösung zu erzwingen. Die Parteien werden zur Kooperation ge­
drängt, aber nicht mit Sanktionen bedroht. Seit dem Waffenstillstand von 1991 hat es keine
wirklichen Veränderungen im Westsaharakonflikt gegeben. Marokko besetzt weiterhin 85 %
des Gebietes der Westsahara und verwaltet dieses durch marokkanische Institutionen und
nach marokkanischem Recht. Ein Teil der sahrauischen Bevölkerung lebt in der marokkani­
schen Zone westlich des Schutzwalls, getrennt von dem Rest ihrer Landsleute, die wiederum
größtenteils in Flüchtlingslagern in Algerien leben.
3.1. Flüchtlingslager
Die Flüchtlingslager der Westsahara sind eine weltweite Rarität, da sie ohne Beteiligung des
UNHCR errichtet wurden.69 Die Sahrauis verwalten ihre Camps selbst, ohne nennenswerte
Intervention, weder von Algerien noch von internationalen Institutionen. Sie unterstehen
der Frente Polisario und dem Regierungschef der DARS. Nach mehr als dreißig Jahren70
67 Quarante, Olivier (2014): Die Schätze der Westsahara. In: Le Monde diplomatique Nr. 10360 vom 14.03.2014, S. 14.
68 Europäische Kommission: Marokko. Partnerschaftliches Fischereiabkommen, http://ec.europa.eu/fisheries/cfp/international/agreements/
morocco/index_de.htm, Abruf am 21.05.2014.
69 Herz, Manuel (Hg.) (2013): From Camp to City. Refugee Camps of the Western Sahara. Zürich: Lars Müller/ETH Studio Basel, S. 79.
70 Mittlerweile wächst die dritte Generation der Sahrauis in den Flüchtlingslagern heran.
24
ähneln die Lager kleinen Städten, längst wurden kleine Häuser neben den Zelten errich­
tet. Gleichzeitig möchte man nicht den Eindruck erwecken, man habe sich mit der Lage
abgefunden und richte sich endgültig in Algerien ein.71 Während Flüchtlingslager oft als
Orte der Verzweiflung gesehen werden, als Orte der totalen Kontrolle oder als Gebiete ei­
nes humanitären Regimes, sind die Lager der Sahrauis eher das Umfeld selbstverwalteten
täglichen Lebens. Die Sahrauis nutzen die Lager um Institutionen zu entwickeln, die auf ihr
eigenes Land übertragen werden können, sobald eine Lösung (die Unabhängigkeit) für den
Westsaharakonflikt gefunden wird. Die Lager können als eine Art Testphase gesehen wer­
den, in denen der sahrauische Staat vorgebildet wird. Die Zeit in den Lagern wird von den
Flüchtlingen besonders für kulturelle und soziale Tätigkeiten genutzt, was eine Abwendung
von ihren Stammestraditionen und die Entwicklung einer fast urbanen, emanzipierten
Gesellschaft bedeutet.72 Es gibt alles, was ein moderner Staat braucht: Armee, Polizei,
Gerichte, Gefängnisse, Schulen, Krankenhäuser, kulturelle Einrichtungen, eine Radio- und
eine Fernsehstation. Die Polisario hat von Anfang an der Bildung große Bedeutung zuge­
sprochen. Es gilt die allgemeine Schulpflicht, und die Schüler verbringen nicht nur sechs
Tage der Woche (vormittags und nachmittags) in der Schule, sondern sie haben auch außer­
schulische Aktivitäten an ihrem einzigen freien Tag. Während der Sommerferien bringen
die älteren Schüler den Erwachsenen das Lesen und Schreiben bei, während die jüngeren
für Ferienkolonien nach Europa reisen. Viele junge Erwachsene studieren im Ausland, vor
allem in Algerien, Kuba und Spanien, kehren aber meist nach dem Studium wieder in die
Lager zurück.73
3.2. Menschenrechte
Die Menschenrechtssituation in dem von Marokko besetzten Gebiet der Westsahara ist die
gleiche wie im Rest des Königreichs: Die Bürger dürfen die Monarchie nicht in Frage stellen,
die Regierung ist korrupt und die Sicherheitskräfte missachten die Rechtsstaatlichkeit. Das
wichtigste Problem speziell in der Westsahara sind die Beschränkungen der bürgerlichen
Freiheiten und politischen Rechte der Verfechter der Unabhängigkeit. Dies beinhaltet die
Einschränkung der Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, verlängerte Inhaftierung von
andersdenkenden Personen, und körperlicher und verbaler Missbrauch von Gefangenen in
der Haft. Auch erkennt die marokkanische Regierung weiterhin keine Vereinigungen für die
Unabhängigkeit der Westsahara an. Es herrscht weitreichende Straffreiheit bei Verbrechen
von Marokkanern gegenüber Sahrauis und Menschenrechtsverletzungen werden nicht ver­
folgt.74 Ausländische Journalisten, die über die Situation in der Westsahara berichten wollen,
werden beobachtet oder sogar festgenommen.75
Die MINURSO, die Mission der UNO für ein Referendum in der Westsahara, hat nur ein
Mandat um die Einhaltung des Waffenstillstands zu garantieren und ein Referendum vor71 Signer, David (2014): Jahrzehntelanges Warten im Sand. In: Neue Zürcher Zeitung vom 16.03.2014, http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/jahrzehntelanges-warten-im-sand-1.18263419, Abruf am 23.04.2014.
72 Herz, Manuel (Hg.) (2013): From Camp to City. Refugee Camps of the Western Sahara. Zürich: Lars Müller/ETH Studio Basel, S. 18.
73 Velloso, Agustín (2005): La educación en el Sáhara Occidental. El exilio permanente. In: Comité de Solidaridad con la Causa Árabe, X(1016),
http://www.nodo50.org/csca/agenda05/misc/sahara-velloso_15-04-05.html, Abruf am 23.05.2014.
74 U.S. Departement of State (27.02.2013): Western Sahara 2013 Human Rights Report, http://www.state.gov/documents/
organization/220593.pdf, Abruf am 23.05.2014.
75 Vilalta, Marta (2014): Al-Aaiun és una ciutat policíaca que viu en estat de setge. In: VilaWeb vom 18.04.2014, http://www.vilaweb.cat/
noticia/4186121/20140418/marta-vilalta-aaiun-ciutat-policial-viu-setge.html, Abruf am 25.04.2014.
25
zubereiten, nicht aber um die Sahrauis zu schützen und die Menschenrechte zu wahren.
Diese werden in der Westsahara aber systematisch verletzt. Amnesty International kriti­
siert seit Jahren die Verletzung der Menschenrechte durch marokkanische Autoritäten, die
schon vor dem Westsaharakonflikt stattfanden, aber seit 1975 deutlich zugenommen ha­
ben.76 Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen fordern eine Ausweitung des Mandats der
MINURSO, jedoch vergebens.77
4. Ausblick
Laut Pinto Leite (2006) ist es unbestreitbar, dass die Mehrheit der Sahrauis in den Lagern
in Tindouf unter ihrer eigenen Verwaltung lebt, dass ein Teil der Westsahara schon befreit
ist, und dass die sahrauische Republik internationale Beziehungen mit mehr als 70 Staaten
unterhält. Die Westsahara erfüllt somit alle Eigenschaften eines souveränen Staates. Doch
die Gelegenheiten zu einer endgültigen Lösung des Westsahara-Konfliktes erscheinen und
verschwinden in zyklischen Bewegungen, ausgelöst von einer Reihe von Faktoren, die es bis
heute unmöglich machen, sich auf eine dauerhafte Lösung zu einigen.
Gelegentlich wird die Befürchtung geäußert, die Sahrauis könnten wieder den bewaffneten
Kampf aufnehmen. Dies erscheint jedoch nicht realistisch. Einerseits waren die bisherigen
militärischen Erfahrungen im Kampf gegen Marokko nicht immer gut. Des Weiteren
scheint sich die Polisario bewusst zu sein, dass jeglicher Versuch, zu den Waffen zu greifen,
als islamistischer Terrorismus gedeutet werden würde. Da dieser bei der internationalen
Gemeinschaft auf starke Ablehnung stößt, würde dies dem Ansehen der Sahrauis nur scha­
den.78
Viel wahrscheinlicher erscheint eine gewaltsame Reaktion der jugendlichen Sahrauis, die
größtenteils ihre Ursprungsheimat nie kennen gelernt haben und in den Flüchtlingslagern
keine Zukunftsperspektiven haben. Unter ihnen haben sich in den letzten Jahren Gruppen
wie die Jat Achahid gebildet, die der Frente Polisario und dem Einparteiensystem sehr kri­
tisch gegenüber steht. Doch die Jugendlichen könnten sich in ihrer Unzufriedenheit dem
Islamismus zuwenden. Allerdings herrscht unter den Sahrauis ein moderater Islam vor, in
dem insbesondere die Gleichberechtigung der Frauen weit entwickelt ist,79 und die Polisario,
die den Terrorismus als einen schlimmen Fehler im Kampf für die Unabhängigkeit betrach­
tet, kontrolliert die Entwicklung in den Lagern. Größer dürfte daher die Gefahr sein, dass
die junge Generation in den Flüchtlingslagern die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des
Konflikts mit Marokko verliert und deswegen wieder zu den Waffen greift.
Offensichtlich können den Westsaharakonflikt Marokko und die Sahrauis nicht alleine lö­
sen. Aber der UN-Sicherheitsrat war bisher nicht gewillt alles dafür zu tun, um eine dauer-
76 Pinto Leite, Pedro (2006): International legality versus realpolitik. The cases of Western Sahara and East Timor. In: Olsson, Claes (Hg.)
(2006): The Western Sahara Conflict. The Role of Natural Resources in Decolonization. Uppsala: Nordiska Afrikainstitutet, S. 14.
77 Das Mandat wird seit 1991 alljährlich verlängert, zuletzt Ende April 2014.
78 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del
Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.20.
79 Signer, David (2014): Jahrzehntelanges Warten im Sand. In: Neue Zürcher Zeitung vom 16.03.2014, http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/jahrzehntelanges-warten-im-sand-1.18263419, Abruf am 23.04.2014.
26
hafte Lösung zu finden. Obwohl der Sicherheitsrat es kategorisch ablehnt, eine Lösung
auch gegen der Willen einer der beteiligten Parteien durchzusetzen, so werden solche
Schritte doch unvermeidbar sein. Mittlerweile scheint der Sicherheitsrat dem Vorschlag
Marokkos nachzugeben, der eine Eingliederung der Westsahara als autonomes Gebiet in
das Königreich vorsieht. Um die Rückkehr der Sahrauis in eine autonome Westsahara zu
bewirken, müsste man aber zunächst eine sichere Umgebung für sie schaffen. In dem Fall
müssten die Sahrauis die Mehrheit der Bürger und der nationalen Sicherheitspräsenz aus­
machen. Dafür müssten aber sowohl der marokkanische Militärsicherheitsapparat und die
Zahl der marokkanischen Siedler abnehmen, und selbst dann würde die marokkanische
Regierung stets separatistische Bewegungen fürchten und eine hohe militärische Präsenz
fordern, um seine territoriale Integrität zu garantieren. Die Bedingungen in der Westsahara
wären daher sicherlich explosiv.
Darum stellt sich die Frage, ob die internationale Gemeinschaft, besonders der Sicherheitsrat, überhaupt gewillt ist in ein solches multinationales friedensschaffendes Projekt zu
investieren, das ein Autonomieabkommen darstellt. Damit solch politischer Kompromiss,
der auf geteilter Macht basiert, in der Westsahara funktioniert, muss eine Bereitschaft
von allen drei Seiten gegeben sein. Aber gerade diese Bereitschaft hat bisher gefehlt, und
zwar nicht nur auf Seiten der Polisario oder Marokkos, sondern auch, und das ist noch
viel wichtiger, auf Seiten des Sicherheitsrates selbst. Auch kann man sich fragen, wa­
rum man die Unabhängigkeit der Westsahara mit der Begründung ablehnt, man könne
sie nur unter Ausübung von Zwang erreichen, wenn die Autonomie sie ebenso erfordert.
Letztendlich ist die Autonomie eine Lösung, die sich viel schwieriger durchsetzen lässt als
eine Unabhängigkeit der Westsahara. Letztere erfordert nur gewaltfreien internationalen
Druck für Marokkos Rückzug aus dem besetzten Gebiet, was jedoch nicht im Interesse der
internationalen Gemeinschaft ist. Denn Marokko spielt nicht nur eine wichtige Rolle in der
Migrationspolitik als Grenzland zur Europäischen Union, sondern ist auch ein wichtiger
Handelspartner Europas80, der u.a. die Sicherung von Rohstoffen gewährleistet, die in der
Westsahara gewonnen werden.
Trotz der illegalen Besetzung durch das Königreich Marokko seit 1975 ist die Westsahara
gemäß den UN weiterhin ein Gebiet im Prozess der Entkolonialisierung. Diese ist aber erst
dann erreicht, wenn die Sahrauis ihr Recht auf Selbstbestimmung ohne jegliche Art von
Einschränkungen in einem Referendum unter der Aufsicht der UNO ausüben können, wo­
bei neben Integration und Autonomie die Unabhängigkeit eine Option sein muss.
80 Wandler, Reiner (2014): Ressourcenstreit in der Westsahara“. In: TAZ vom 23.04.2014, http://www.taz.de/!137201/, Abruf am 29.04.2014.
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30
Anhang
Abbildung 1. SPanisCh WestaFriKa bis 1956
Unveränderte Karte entnommen Wikipedia: Spanisch­ Marokko, http://de.wikipedia.org/wiki/Spanisch­Marokko; Link
zur Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by­sa/3.0/, Abruf am 20.05.2014
31
Abbildung 2. Westsahara (MINURSO-Einsatzgebiet)
Quelle: United Nations: MINURSO, Map No. 3691 Rev. 73, April 2014, http://www.un.org/Depts/Cartographic/
map/dpko/minurso.pdf, Abruf am 28.05.2014
32
Impressum
Herausgeber
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Referat 225 - Länderanalysen
90343 Nürnberg
Bezugsquelle
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Referat 224 - Rechtsprechungsanalysen
90343 Nürnberg
ivs-anfragen@bamf.bund.de
Download über https://milo.bamf.de
Stand
Juni 2014
Gestaltung/Druck
BAMF, Zentraler Service - Veranstaltungsmanagement/Besucherdienst, Publikationen
Bildnachweis
BAMF
34
www.bamf.de