Schwerpunktheft: Aortenisthmusstenose
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Schwerpunktheft: Aortenisthmusstenose
Band 04 ⁄ Februar 2016 jahf Journal für angeborene Herzfehler Schwerpunktheft: Aortenisthmusstenose Deutsches Herzzentrum München des Freistaates Bayern Klinik an der Technischen Universität München Inhalt Vorwort 3 Peter Ewert · Harald Kaemmerer Aortenisthmusstenose: Anatomie, Epidemiologie, genetische Aspekte, unbehandelter Verlauf 4 Alfred Hager · Heide Seidel Pathophysiologie und Klinik der Aortenisthmusstenose (CoA) 8 Jochen Weil · Harald Kaemmerer 2D- und Doppler-Echokardiographie bei Patienten mit Aortenisthmusstenose (CoA) 14 Michael Hauser · Andreas Kühn · Renate Oberhoffer Chirurgische Therapie der Aortenisthmusstenose 20 Elisabeth Beran · Jelena Kasnar-Samprec · Julie Cleuziou · Christian Schreiber · Rüdiger Lange Invasive Diagnostik und Behandlung der Aortenisthmusstenose (CoA) 26 Andreas Eicken · Peter Ewert Die Aortenisthmusstenose im Erwachsenenalter 31 Harald Kaemmerer · András Szatmari · Claudia Pujol · Ekatherina Kusmenkov · Alexey Trepakov Nicole Nagdyman Die ambulante Blutdruck-Langzeitmessung: Diagnostik und Therapiesteuerung 40 Martin Middeke I-SWOT: Ein Instrument zur Individualisierung medizinischer Entscheidungen 46 Yskert von Kodolitsch · Arnim Sachweh · Alexander M. Bernhardt · Tilo Kölbel Hermann Reichenspurner · Christian Detter · Sebastian Debus Impressum 52 Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Prof. Dr. med. Peter Ewert Prof. Dr. Dr. Harald Kaemmerer in der vorliegenden Ausgabe des Journals für angeborene Herzfehler haben wir die „Aortenisthmusstenose“ (CoA) zum Hauptthema gemacht. Sämtliche Artikel hierzu wurden von Mitarbeitern unseres Hauses erstellt, denen wir für geleistete „Zusatzarbeit“ herzlich danken. Ziel des Heftes ist es, dem interessierten Leser zu verdeutlichen, dass es sich bei der CoA nicht um einen simplen Herzfehler handelt, sondern um eine komplexe Erkrankung, die das gesamte arterielle Gefäßsystem sowie das Myocard betreffen kann. Wir hoffen, dass es uns dabei gelungen ist, auch für Nicht-Spezialisten verständliche Informationen zu geben, die für die klinische Versorgung der betroffenen Patienten von praktischem Nutzen sind. Als Kontrastprogramm haben wir den Artikel von Prof. Yskert von Kodolitsch, Universitäres Herzzentrum Hamburg, „I-SWOT: Ein Instrument zur Individualisierung medizinischer Entscheidungen“ über strategisches Denken in der Medizin aufgenommen. Hier werden Denkanstöße gegeben, die vielleicht auch für eine optimierte Versorgung von Patienten mit angeborenen Herzfehlern oder mit pulmonaler Hypertonie hilfreich sein können. Gerne richten wir auch künftig unsere „JAHF“ auch nach Ihren Wünschen und Vorstellungen aus und sind Ihnen für Anregungen, Themen- oder Verbesserungsvorschläge sowie einen kollegialen Dialog dankbar. Wir verbleiben mit kollegialen Grüßen Wir danken der Firma Actelion, die uns die Herausgabe dieses Heftes wieder ermöglicht hat, ganz besonders auch deshalb, weil das aktuell behandelte Thema mit der pulmonalen Hypertonie nur in den seltenen Fällen zu tun hat, bei denen es durch die Linksherzbelastung zu einer pulmonalen Hypertonie (Klasse 2.4, “Congenital /acquired left heart inflow/outflow tract obstruction” der Nizza-Klassifikation) gekommen ist. Prof. Dr. med. Peter Ewert Prof. Dr. Dr. Harald Kaemmerer 3 Aortenisthmusstenose: Anatomie, Epidemiologie, genetische Aspekte, unbehandelter Verlauf Alfred Hager Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München Heide Seidel Humangenetische Sprechstunde in der Ambulanz der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München und Institut für Humangenetik, Technische Universität München Was ist wichtig? Anatomie Die Aortenisthmusstenose ist als eine Verengung am Ende des Aortenbogens nach Abgang der Arteria subclavia gegenüber dem Ansatz des Ligamentum arteriosum (ehemaliger Duktus arteriosus) definiert. Sie geht jedoch mit weiteren histologischen und funktionellen Veränderungen in allen elastischen Arterien einher und ist zusätzlich oft mit anderen Fehlbildungen insbesondere am linken Herzen oder im systemarteriellen Stromgebiet verbunden. Gelegentlich ist sie mit Syndromen verknüpft (z.B. Ullrich-Turner-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom). Die Aortenisthmusstenose (CoA, engl. coarctation of the aorta) ist eine Verengung am Ende des Aortenbogens nach Abgang der Arteria subclavia gegenüber dem Ansatz des Ligamentum arteriosum, bzw. gegenüber dem Duktus arteriosus. Embryologisch entsteht sie, wenn in der 6. Schwangerschaftswoche die linke 6. Kiemenbogenarterie Anschluss an die linke dorsale Aorta erhält. Diese linke dorsale Aorta obliteriert über der Mündung der 4. Kiemenbogenarterie (Aortenbogen), wird zwischen der 4. und 6. Kiemenbogenarterie zum Aortenisthmus und unterhalb der 6. Kiemenbogenarterie (Duktus arteriosus) zur Aorta descendens (Abb. 1). Die Arteria subclavia wiederum entsteht aus der 7. Intersegmentalarterie. Sie schiebt sich schon vor Entstehung des 6. Kiemenbogens lateral hoch und entspringt der Aorta zwischen der 4. und 6. Kiemenbogenarterie (Abb. 1). (1) Unbehandelt haben die Patienten eine deutlich verringerte Lebenserwartung, häufigste Todesursachen sind die Herzinsuffizienz, eine koronare Herzerkrankung, Aortenrupturen, Schlaganfälle oder Endokarditiden. 4 Über die Entstehung einer Aortenisthmusstenose gibt es mehrere Theorien: 1. Versprengtes Duktusgewebe: Diese Theorie besagt, dass Gewebe aus der 6. Kiemenbogenarterie beim Andocken an die dorsale Aorta in diese versprengt wird. Nach der Geburt kontrahiert sich mit dem Duktus arteriosus auch das Duktusgewebe im Aortenisthmus und eine Stenose entsteht. Gestützt wird diese Theorie von histologischen Untersuchungen, die das versprengte Duktusgewebe gegenüber der Insertionsstelle des Duktus in der Aorta nachweisen. Ferner hat sich klinisch gezeigt, 3. Genetik: Eine weitere Theorie geht von einer genetischen Ursache aus. Sie wird durch die Tatsache gestützt, dass histologische Wandveränderungen auch weit entfernt vom Aortenisthmus gefunden werden, die die Elastizität der Aorta einschränken und Aneurysmen z. B. in der Aorta ascendens oder im Circulus arteriosus cerebri (Willisii) fördern. Ferner sind Familien beschrieben, in denen überhäufig Aortenisthmusstenosen, bikuspide Aortenklappen, Aortenaneurysmata oder hypoplastische Linksherzsyndrome vorliegen. Hierfür scheinen Mutationen am NOTCH1-Gen mitverantwortlich zu sein (siehe Genetik). (2) Abb. 1: Entwicklung des Aortenbogens (nach Sadler, TW. Langman's Medical Embryology 8th edition. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins, 2000: 239–243) dass Prostaglandin E, das primär zur Erweiterung des Duktus arteriosus bei duktusabhängigen Herzfehlern eingesetzt wird, im Neugeborenenalter auch die Stenose erweitert. 2. Verminderter Blutfluss: Eine zweite Theorie führt die Entstehung einer CoA auf einen verminderten oder zumindest veränderten embryonalen und fötalen Blutfluss über den Aortenbogen zurück. Dieser auffällige Blutfluss vermindert nach Abgang der Kopf- und Armarterien den Fluss über den Aortenisthmus, so dass sich dieser nicht ausreichend entwickelt und am Ende hypoplastisch ist. Die Aorta descendens wird übrigens auch beim gesunden Föten im Wesentlichen über den Duktus gespeist, um das sauerstoffarme Blut zu den Iliakalgefäßen und schließlich in die Nabelarterien zu leiten. Gestützt wird diese Theorie von der Tatsache, dass die CoA sehr häufig mit Fehlbildungen des linken Herzens (Aortenklappenstenose, bikuspide Aortenklappe, Subaortenstenose, hypoplastisches Linksherzsyndrom) vergesellschaftet ist, die den Fluss in der Aorta ascendens verändern. Ferner zeigt sich typischerweise bei der CoA eine Verlängerung des distalen transversen Aortenbogens zwischen der Abgängen der linken Arteria carotis communis und der linken Arteria subclavia. Der Aortenbogen ist dann häufig selbst in diesem Abschnitt hypoplastisch und eng. Es gibt mehrere Einteilungen in der Nomenklatur von Aortenisthmusstenosen. Anhand von Begleitherzfehlern kann die CoA in drei Gruppen eingeteilt werden: 1. Die isolierte Aortenisthmusstenose umfasst Stenosen, bei denen, außer einem Duktus arteriosus, keine weiteren relevanten Herzfehler vorliegen. Bei detaillierten Betrachtung fällt aber auch in dieser Gruppe ein hohen Anteil von bikuspiden Aortenklappen, Subaortenstenosen, Parachute-Mitralklappen, verlängerten distalen Aortenbögen und Aneurysmata der Aorta ascendens und der Cerebralarterien auf. 2. Bei der Aortenisthmusstenose mit Ventrikelseptumdefekt liegt ein nach posterior verlagertes Outlet-Septum mit Malalignment-Ventrikelseptumdefekt, überreitender Pulmonalarterie, Subaortenstenose und offenem Duktus arteriosus vor. 3. Eine komplexe Aortenisthmusstenose kann in Verbindung mit vielen Herzfehlern auftreten. Hierzu gehören vor allem Linksherzobstruktionen (hochgradige Aortenstenose, Subaortenstenose, Mitralstenose, Shone-Komplex, hypoplastisches Linksherzsyndrom), aber auch der doppelte Auslass des rechten Ventrikels mit Transposition der großen Arterien und Aortenstenose (Taussig-Bing- 5 Komplex) oder der doppelte Einlass des linken Ventrikel mit Transposition der großen Arterien aus einer hypoplastischen rechtsventrikulären Auslasskammer. Anatomisch wurde früher die Aortenisthmusstenose in drei Formen eingeteilt: 1. Die präduktale oder infantile Aortenisthmusstenose mit Stenose vor Mündung des offen bleibenden Duktus arteriosus. Sie wird schon im Säuglingsalter symptomatisch. Man findet klinisch eine Differentialzyanose mit guten arteriellen Sauerstoff-Sättigungswerten in der oberen Extremität (insbesondere rechter Arm und Kopf) und einer deutliche Zyanose an den unteren Extremitäten. lieren. Alle Faktoren zusammengenommen, dürfte die Prävalenz der CoA ca. das Doppelte der oben angegebenen deutschen Studie sein, was sich mit Zahlen aus Tschechien deckt. (4) Die Geschlechterverteilung liegt bei 1,5–2:1 zugunsten des männlichen Geschlechtes. Genetische Aspekte Bei den meisten Patienten mit CoA ist keine familiäre Häufung zu erkennen. In großen epidemiologischen Studien zeigten sich jedoch vereinzelte Familien, in denen gehäuft eine kongenitale Aortenklappenstenose, eine bikuspide Aortenklappe, eine CoA und/oder ein hypoplastisches Linksherzsyndrom auftraten. 2. Die juxtaduktale Aortenistmusstenose als Intermediärform. 3. Die postduktale oder juvenile Aortenisthmusstenose mit Enge am Beginn der deszendierenden Aorta. Sie wird häufig erst im höherem Alter, durch die damit verbundene arterielle Hypertonie bei einer Blutdruckmessung erkannt. Heute bezeichnet man alle Aortenisthmusstenosen als juxtaduktal, da das stenosierende Gewebe immer gegenüber vom Duktus / Ligamentum arteriosum liegt. Offen ist jedoch, ob die manchmal erst im Jugendalter erkannte Aortenisthmusstenose im Kindesalter langsam entstanden ist, oder ob sie wegen der schwierigen und daher meist nicht durchgeführten Blutdruckmessung erst so spät diagnostiziert wurde. Der englische Begriff „coarctation of the aorta“ umfasst gelegentlich als atypische Coarctation auch Stenosen außerhalb des Isthmus. Üblicherweise werden aber aortale Stenosen außerhalb der Isthmusregion als supravalvuläre Aortenstenose (Aorta ascendens), Aortenbogenstenosen (proximaler oder distaler transverser Aortenbogen) oder „midaortic syndrome“ (Aorta descendens) bezeichnet. Genetisch konnte bei einigen dieser Patienten Mutationen im NOTCH1-Gen (2), im GATA5-Gen und an mehreren anderen Genloci nachgewiesen werden. (5) Bei der Vererbung wird daher selbst bei familiären Fällen von einer polygenen Vererbung oder monogenen Vererbung mit geringer Penetranz ausgegangen. Gelegentlich tritt die CoA auch in genetischen Syndromen auf: – Monosomie X (Ullrich-Turner-Syndrom): ca. 7–15% aller Kinder mit Monosomie X haben eine CoA, (6) ca. 5 % aller Mädchen mit CoA haben eine Monosomie X. (7) – Williams-Beuren-Syndrom: ca. 2–10% aller Patienten mit Williams-Beuren-Syndrom haben eine CoA , (8) nur sehr wenige Patienten mit CoA haben ein William-BeurenSyndrom. – Noonan-Syndrom: nur ca. 3 % aller Noonan-Patienten haben eine CoA (9) – Sonstige (z. B. Kabuki-Syndrom, Alagille-Syndrom, …) Im Gegensatz zum unterbrochenen Aortenbogen Typ B ist die CoA nur selten mit einem 22q11-Mikrodeletionssyndrom assoziiert. Epidemiologie Unbehandelter Verlauf Die Aortenisthmusstenose wird in Deutschland bei ca. 3,6 % aller Säuglinge mit angeborenen Herzfehlern bzw. bei 3,9 Säuglingen / 10.000 Lebendgeborene diagnostiziert. (3) In dieser Statistik wurden jedoch die komplexen Isthmusstenosen unter dem Hauptherzfehler eingruppiert und nur Diagnosen aus dem ersten Lebensjahr berücksichtigt. Die Eingruppierung in isolierte CoA, CoA mit Ventrikelseptumdefekt und komplexe CoA wird in chirurgischen Zusammenstellungen in etwa mit 1:1:1 angegeben. Über die Höhe der im Säuglingsalter unentdeckten CoA lässt sich nur speku- Eine unerkannte, kritische CoA führt nach der Geburt, wenn sich der Duktus verschließt, zum Kreislaufversagen bei unzureichender Perfusion der kaudalen Körperhälfte und damit häufig rasch zum Tode. Daher wird bei allen Säuglingen (nicht nur zur Entdeckung dieses kritischen Herzfehlers) ein Pulsoxymetriescreening an allen 4 Extremitäten empfohlen. Eine niedrigere Sättigung an den Beinen sollte eine rasche kinderkardiologische Untersuchung nach sich ziehen. 6 retrograd zurück zur deszendierenden thorakalen Aorta (siehe Abb. 2). Ein weiterer häufiger Umgehungskreislauf geht von der A. thoracica interna oder A. thoracica lateralis über epigastrische Arterien zur Arteria femoralis. Diese Kollateralen verhindern in Ruhe einen Gradienten über 40 mmHg. Unter Belastung kann der Gradient aber viel höher ansteigen und eine massive Belastungshypertonie auslösen. Wird diese arterielle Hypertonie nicht erkannt und ursächlich behandelt, können Folgeerkrankungen der Hypertonie entstehen, z.B. eine koronare Herzerkrankung und Schlaganfälle, aber auch Aneurysmata, insbesondere in der Aorta ascendens. In einer großen, 1970 publizierten Studie über den natürlichen Verlauf einer CoA, wurde eine reduzierte mittlere Lebenserwartung von 34 Jahren (bei damals 71 Jahren in der Allgemeinbevölkerung) angegeben. (12) Als Todesursache wurden in der 2. und 3. Lebensdekade die Aortenruptur und intrakranielle Blutungen genannt. In der 3.–5. Dekade überwiegt die Herzinsuffizienz, während eine Endokarditis zu jeder Zeit auftreten kann. Literatur Abb. 2: Aortenisthmusstenose mit Kollateralkreislauf (nach Brickner et al. [11]) Liegt eine (nicht-kritische) CoA vor, bildet sich über der Enge ein Druckunterschied (Gradient). Dieser Druckunterschied kann nicht-invasiv als Differenz zwischen rechtem Oberarm und Knöchel gemessen werden (wenn keine periphere Verschlusskrankheit diesen Druckunterschied in die Höhe treibt). Die Durchblutung der kaudalen Körperhälfte ist im Regelfall nicht gefährdet, da der bedeutende Regulationsmechanismus des Blutdruckes das Renin-Angiotension-System ist. Es reagiert sehr sensibel auf eine unzureichende Nierendurchblutung und reguliert über Renin und Angiotensin den Blutdruck hoch. Über diesen Mechanismus wird ein ausreichender Blutdruck in der kaudalen Körperhälfte sichergestellt. Vor der Stenose (Koronarien, rechter Arm, Carotisgefäße) entsteht allerdings eine arterielle Hypertonie. (10) Diese arterielle Hypertonie reagiert häufig unzureichend auf eine medikamentöse Therapie. Die Therapie einer CoA ist daher die Beseitigung der Stenose mit Erhalt der Compliance der Aorta. Besteht ein Druckgradient über eine CoA über Jahre unerkannt, entwickelt sich ein Kollateralkreislauf. Am häufigsten findet das Blut von den oberen Arteriae subclaviae über die Arteriae thoracica interna und Intercostalarterien dann 1. www.embryologie.ch, aufgerufen am 14.9.2015 2. McBride KL, Riley MF, Zender GA, et al. NOTCH1 mutations in individuals with left ventricular outflow tract malformations reduce ligand-induced signaling. Hum Mol Genet 2008; 17: 2886–93. 3. Lindinger A, Schwedler G, Hense HW. Prevalence of congenital heart defects in newborns in Germany: Results of the first registration year of the PAN Study (July 2006 to June 2007). Klin Padiatr 2010; 222: 321–6. 4. Samanek M, Voriskova M. Congenital heart disease among 815, 569 children born between 1980 and 1990 and their 15-year survival: a prospective Bohemia survival study. Pediatr Cardiol 1999; 20: 411–7. 5. Bonachea EM, Zender G, White P, et al. Use of a targeted, combinatorial next-generation sequencing approach for the study of bicuspid aortic valve. BMC Med Genomics 2014; 7: 56. 6. Bondy C, Bakalov VK, Cheng C, Olivieri L, Rosing DR, Arai AE. Bicuspid aortic valve and aortic coarctation are linked to deletion of the X chromosome short arm in Turner syndrome. J Med Genet 2013; 50: 662–5. 7. Wong SC, Burgess T, Cheung M, Zacharin M. The prevalence of turner syndrome in girls presenting with coarctation of the aorta. J Pediatr 2014; 164: 259–63. 8. Del Pasqua A, Rinelli G, Toscano A, et al. New findings concerning cardiovascular manifestations emerging from long-term follow-up of 150 patients with the Williams-Beuren-Beuren syndrome. Cardiol Young 2009; 19: 563–7. 9. Hickey EJ, Mehta R, Elmi M, et al. Survival implications: hypertrophic cardiomyopathy in Noonan syndrome. Congenit Heart Dis 2011; 6: 41–7. 10. Hager A. Hypertension in aortic coarctation. Minerva Cardioangiol 2009; 57: 733–42. 11. Brickner ME, Hillis LD, Lange RA. Congenital heart disease in adults. First of two parts. N Engl J Med 2000; 342: 256–63. 11. Campbell M. Natural history of coarctation of the aorta. Br Heart J 1970; 32: 633–40. 7 Pathophysiologie und Klinik der Aortenisthmusstenose (CoA) Jochen Weil Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler UKE Uniklinikum Hamburg-Eppendorf Harald Kaemmerer Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München Was ist wichtig? Pathophysiologie Durch die Enge im distalen Aortenbogen kommt es zu einer Druckbelastung des linken Ventrikels und zu einem arteriellen Hypertonus in den prästenotischen arteriellen Gefäßen (Arm-, Kopf-/Hals-, Koronargefäße) mit möglicherweise frühzeitigen arteriosklerotischen Gefäßwandveränderungen. • Typische Symptome sind Kopfschmerzen, Nasenbluten, Krämpfe/Schmerzen im Bauch und in den Beinen, selten ein zerebraler Insult. • Abgeschwächte oder nicht tastbare Pulse an den unteren Extremitäten stellen den wegweisenden Befund dar. • Auskultatorisch kann ein Gefäßgeräusch am Rücken zwischen den Schulterblättern zu hören sein. • Unabdingbar für die Diagnose ist eine Blutdruckmessung an ALLEN Extremitäten. Eine Blutdruckdifferenz zwischen oberen und unteren Extremitäten > 20mmHg spricht für eine Aortenisthmusstenose (CoA) • Eine Sonderform stellt die kritische CoA des Neugeborenen dar, welche eine ductus- abhängige Systemperfusion aufweist. Bei Verschluss des offenen Ductus arteriosus kommt es zu einem lebensbedrohlichen Schockzustand. Eine sofortige palliative medikamentöse Behandlung mit Prostaglandin zur Wiedereröffnung des Ductus ist lebensrettend. Die Verengung im distalen Aortenbogen führt zu einer Erhöhung der Nachlast des linken Ventrikels (LV). Entsprechend des Schweregrades der Stenose findet man eine leichte bis schwerwiegende Belastung des linken Herzens. Die klinische Ausprägung ist abhängig vom Schweregrad der CoA und vom Lebensalter des Patienten (1) 8 Aortenisthmusstenose in der Fetalzeit Beim Feten ist die Hämodynamik durch die CoA kaum beeinträchtigt, da in der fetalen Zirkulation nur 10% des Herzzeitvolumens (HZV) antegrad über den Aortenbogen fließt. Abb. 1: Schematische Darstellung einer kritischen Aortenistmusstenose beim Neugeborenen. Durch die hochgradige Stenose am distalen Aortenbogen ist die Perfusion der unteren Körperhälfte nur über den Fluss von desoxygeniertem Blut über den offenen Ductus arteriosus (rechts-links Shunt) aufrecht erhalten. Quelle: http://www.kinderherzzentrum-kiel.de/ herzfibel1/html/isthmusstenose.html Nach der Geburt kommt es zu einem Verschluss des Foramen ovale und des offenen Ductus arteriosus (PDA), sodass das gesamte HZV über den Aortenbogen fließen muss. In Abhängigkeit vom Schweregrad der Stenose kann es postnatal zu einer lebensbedrohlichen Verringerung der systemischen Perfusion kommen (kritische Aortenisthmusstenose des Neugeborenen). Kritische Aortenisthmusstenose des Neugeborenen Die kritische CoA im Neugeborenenalter stellt einen lebensbedrohlichen Zustand dar (2). Bei dieser Form der CoA ist die arterielle Perfusion der unteren Körperhälfte nur durch den Fluss über den offenen Ductus arteriosus gesichert. Es handelt sich um eine sogenannte Ductus-abhängige Zirkulation. Der rechte Ventrikel pumpt über den PDA desoxygeniertes Blut in die deszendierende Aorta (rechts-links Shunt auf Ductusebene), was zu einer messbaren Verringerung der Sauerstoffsättigung in den unteren Extremitäten führt (Abb.1) Nach Verschluss des PDA wird die untere Körperhälfte vermindert oder nicht mehr perfundiert. Durch die plötzliche Erhöhung der Nachlast des LV kommt es zur Herzinsuffi- zienz durch die linksventrikuläre Dysfunktion und zum Schock mit sekundärem Organversagen mit Nieren- und Leberinsuffizienz sowie nekrotisierender Enterokolitis (2). Nicht kritische Aortenisthmusstenose Bei dieser Form der CoA wird die untere Körperhälfte nach Verschluss des PDA antegrad perfundiert. Durch die Stenose kommt es zu einem arteriellen Hypertonus in den prästenotischen Gefäßen der oberen Körperhälfte und zu erniedrigten Blutdruckwerten in den unteren Extremitäten. Der arterielle Hypertonus führt zu einer Hypertrophie des linksventrikulären Myokards und im Erwachsenalter in den praestenotischen Gefäßen zu einem vorzeitigen arteriosklerotischen Umbau. Leitbefunde und Klinik Der wegweisende Befund für die Diagnose einer CoA sind abgeschwächte oder nicht tastbare Pulse an der unteren Extremität (A. femoralis, A. tibialis posterior oder A. dorsalis pedis). Unverzichtbar für die Diagnosestellung ist eine Blutdruckmessung an ALLEN Extremitäten. Bei der Blutdruck- 9 messung findet man höhere systolische Werte in den Armen als in den Beinen (Blutdruck-Gradient). Bei Jugendlichen und Erwachsenen kann trotz hochgradiger Stenosierung der Blutdruckgradient zwischen oberer und unterer Extremität gering oder nicht nachweisbar sein, wenn ein ausgeprägter Umgehungskreislauf durch arterielle Kollateralen besteht. Liegt ein Fehlabgang der rechten Arteria subclavia aus der deszendierenden Aorta (A. lusoria) vor, so kann der Blutdruck am rechten Arm sowie an den Beinen erniedrigt sein (Abb. 2). Ist der Abgang der linken A. subclavia in die Stenose einbezogen, so ist der Blutdruck am linken Arm niedriger als am rechten Arm. alzyanose mit normalen Sauerstoffsättigung in den präductalen Gefässen (Arm) und eine verminderte Sättigung in den postductalen Gefäßen (Bein). Verschließt sich der Ductus arteriosus, so kommen diese Neugeborenen in einen lebensbedrohlichen Zustand. Die Pulse an der unteren Extremität sind dann kaum oder nicht mehr zu tasten. Abb. 2: Schematische Darstellung des Aortenbogen mit Halsgefäßen. Die rechte A.subclavia (RSA) entspringt anormal, distal der linken A. sublavia, und überkreuzt die Wirbelsäule posterior des Ösophagus (Arteria lusoria). Bei einer Aortenisthmusstenose kann der Abgang dieser aberrierenden A. subclavia mit in die Stenose des distalen Aortenbogens einbezogen werden, so dass niedrigere Blutdruckwerte am rechten, als am linken Arm gemessen werden Quelle: http://fce-study.netdna-ssl.com/2/images/ upload-flashcards/76/43/70/3764370_m.gif Abb.3: Schematische Darstellung von Umgehungskreisläufen durch Kollateralen bei Patienten mit einer hochgradigen Aortenisthmusstenose (nach (4): Edwards JE, Brooks S. Edwards: Jesse E. Edwards' Synopsis of Congenital Heart Disease. Futura Pub Co Inc, 2000, ISBN-10: 0879934530, ISBN-13: 978-0879934538 Klinik bei Neugeborenen mit kritischer CoA Ist der Ductus arteriosus noch weit offen, so sind die Pulse an der unteren Extremität gut tastbar. Wegweisender Befund zur Diagnose einer ductusabhängigen Perfusion der unteren Körperhälfte stellt eine perkutan gemessene Sauerstoffsättigung < 95 % an den Beinen dar. Durch den rechtslinks Shunt auf Ductusebene kommt es zu einer Differenzi- 10 Es entwickelt sich eine Herzinsuffizienz durch den versagenden linken Ventrikel mit den typischen Befunden Tachypnoe, Lebervergrößerung und kühlen Extremitäten. Ein Herzgeräusch ist meistens nicht zu auskultieren. Wird nicht umgehend eine Behandlung eingeleitet, z. B. eine palliative medikamentöse Eröffnung des Ductus arteriosus durch Prostaglandin, so geraten die Neugeborenen in einen Schock und in ein sekundäres Organversagen. Klinik bei jungen Patienten jenseits der Neugeboren/Säuglingsperiode Bei Klein- und Schulkindern sowie Adoleszenten sind typische Symptome der CoA Kopfschmerzen und Nasenbluten, die durch den arteriellen Hypertonus in der oberen Körperhälfte hervorgerufen werden. Durch die Minderdurchblutung der unteren Extremität kann es zu Bauchschmerzen, Wadenschmerzen und zur Claudicatio intermittens bei Belastung kommen. Ein zerebraler Insult kann im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter manchmal die erste Symptomatik darstellen. Liegt ein genügend großer Umgehungskreislauf durch viele arteriellen Kollateralen vor, so ist es möglich, dass eine CoA über viele Jahre keine Symptome verursacht (Abb. 3). Palpatorisch kann man bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen hebenden linken Ventrikel und eventuell ein Schwirren im Jugulum finden. Sehr selten ist bei ausgeprägter Kollateralisierung auch ein Schwirren interkostal zu tasten. Bei der Auskultation ist ein spätsystolisches Geräusch mit punctum maximum infraclaviclär sowie zwischen den Schulterblättern am Rücken typisch. Die Auskultation am Rücken ist zwingend notwendig. Ist ein systolisch-diastolisches Geräusch am Rücken zu auskultieren, so stellt dies ein Hinweis für einen Umgehungskreislauf durch eine ausgeprägte arterielle Kollateralisierung dar. Bei einer Stenosierung in der abdominalen Aorta ist ein Systolikum über dem Bauchraum zu hören. Aortenistmustenose im Erwachsenalter Die Befunde im Erwachsenenalter ähneln denen der Kinder, können sich aber durchaus von diesen unterscheiden (3). Leitsymptome sind Kopfschmerzen, Nasenbluten, Schwindel, Tinnitus, Atemnot, Bauchschmerzen bei Belastung, Krämpfe in den Beinen bei körperlicher Anstrengung, kalte Füße, und sogar intrakranielle Blutungen. Klinische Merkmale sind ein arterieller Hypertonus an den oberen Extremitäten, eine Hypotonie an den unteren Extremitäten, eine verzögerte Pulswellen-Laufgeschwindigkeit zwischen oberen und unteren Extremitäten sowie ein am Brustkorb tastbarer Kollateralkreislauf (5, 6, 7). Die klinische Diagnose basiert auf der Pulsbeurteilung und gleichzeitigen Palpation des brachialen und femoralen Pulses sowie der Blutdruckmessung an ALLEN Extremitäten. Normalerweise ist der Blutdruck an den Beinen etwa 5–10 mmHg höher als an den Armen (4). Eine Blutdruckdifferenz von mehr als 20 mmHg zu Gunsten der Arme kann Hinweis auf eine CoA sein. Bei einer typischen CoA besteht an den Armen ein pulsus magnus et durus. Die Femoralispulse sind kaum tastbar. Bei gleichzeitiger höhergradigen Aorteninsuffizienz kann auch der typische pulsus celer et altus dominieren. Ein abgeschwächter Puls am linken Arm deutet auf einen abnormen Abgang der linken A. subclavia unterhalb der CoA hin oder eine Stenose dieses Gefäßes. Ein abgeschwächter Puls am rechten Arm ist Hinweis auf eine Abgangsanomalie oder Stenose der rechten A. subclavia. Weitere physikalische Befunde sind ein systolisches Schwirren im Jugulum oder starke Pulsationen der Halsgefäße sowie ein verbreiterter und hebender Herzspitzenstoß. Gelegentlich findet sich auch eine Temperaturdifferenz zwischen den wärmeren oberen und kühlen unteren Extremitäten. Bei der Auskultation fallen systolische Geräusche auf, die von der Stenose selbst, von Kollateralen oder den supraaortalen Gefäßen hervorgerufen werden. Nicht selten besteht ein Gefäßgeräusch zwischen den Schulterblättern, das vom ersten Herzton abgesetzt ist und über den zweiten Herzton hinaus anhalten kann. Dieses Geräusch ist auch nicht selten im Bereich der vorderen Brustwand zu hören. Bestehen Kollateralen, so können diese tastbar sein und zusätzlich ein kontinuierliches Geräusch verursachen. Weitere Tonphaenomene in Systole und/oder Diastole werden durch begleitende Anomalien oder eine atypische CoA bestimmt. Hierzu gehört ein lauter Aortenklappenschluss bei arterieller Hypertonie. Patienten mit einer bicuspiden Aortenklappe oder einem Aortenaneurysma präsentieren sich mit einem frühsystolischen Auswurfton. Bei stenosierter oder insuffizienter bicuspider Aortenklappe findet sich zusätzlich über der Herzbasis das hierfür typische spindelförmige, systolische Austreibungsgeräusch mit Fortleitung zu den Carotiden bzw. ein decrescendoförmiges, diastolisches Sofortgeräusch. Diastolische Geräusche finden sich 11 Abb. 4: „3-Zeichen“ oder „spiegelbildlich Epsilon-Zeichen“ der Aortenkonfiguration: Einkerbung der Aorta in Höhe der Stenose sowie prästenotische Dilatation der A. ascendens und der linken Aortenbogengefäße Quelle: http://www.imgneed.com/ coarctation-of-the-aorta-x-ray-wallpapers.html auch bei begleitender Parachute-Mitralklappe. Zu Änderungen der Lautstärke der Herztöne oder zum Auftreten von systolischen oder diastolischen Extratönen kann es in Abhängigkeit vom Blutdruck, vom kardialen Kompensationszustand oder vom Vorhandensein von Begleitanomalien kommen. Elektrokardiographie Befunde im Jugend- und Erwachsenenalter Die Elektrokardiographie liefert nicht selten Normalbefunde oder relativ Zeichen einer linksatrialen oder linksventrikulären Druckbelastung und Zeichen der linksventrikulären Ischämie oder Belastung. Viele Patienten haben eine Rechtsverspätung (5, 6, 7). Gerade bei Erwachsenen fallen immer wieder Erregungsrückbildungsstörungen in den Ableitungen II, III und aVF auf, die bei Belastung zunehmen und an Perfusionsstörungen im Hinterwandbereich denken lassen. Die Ursache hierfür ist nicht geklärt, könnte aber 12 Abb. 5: Durch Kollateralgefäße hervorgerufene Usuren am Rippen-Unterrand Quelle: http://www.imgneed.com/ coarctation-of-the-aorta-x-ray-wallpapers.html mit Größe und Abgang der Koronararterien zusammenhängen. Eigene Erfahrungen zeigen, dass diese Veränderungen nur selten auf interventionsbedürftige Koronarstenosen zurückzuführen sind. Betont werden sollte allerdings in diesem Zusammenhang dennoch der Stellenwert der Koronardiagnostik, da ältere Studien immer wieder auf die Gefahr einer frühzeitigen koronaren Herzkrankheit hinweisen, insbes. bei Patienten mit koronaren Risikofaktoren oder einem Alter über 40 Jahre. Ob diese Sorge gerechtfertigt ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Zumindest findet sich im eigenen Patientengut, das mehrere hundert Erwachsene mit CoA umfasst, keine auffallende Häufung einer stenosierenden koronaren Herzerkrankung. Röntgenuntersuchung des Thorax Befunde im Jugend- und Erwachsenenalter Die Röntgenuntersuchung des Thorax zeigt in typischen Fällen ein linksbetontes, aortenkonfiguriertes Herz, eine Literatur ektatische Aorta ascendens, ein Aorten-Kinking, eine Doppelkonturierung in der Region der absteigenden Aorta und eine Verbreiterung des Weichteilschatten des linken Arteria subclavia sinistra („3-Zeichen“ oder „spiegelbildlich Epsilon-Zeichen“ der Aortenkonfiguration [Abb. 4]) (5, 6, 7). Pathognomonisch sind, gerade bei älteren Patienten, durch Kollateralgefäße hervorgerufene Usuren am Unterrand der 3. und 4. (bis 10.) Rippe (Abb. 5). Ergänzt wird die klinische Untersuchung durch moderne bildgebende Verfahren, insbes. die Echokardiographie, die Magnetresonanztomographie, die Computertomographie und die Angiographie, inclusive Koronarangiographie. Aussagekraft und Stellenwert dieser Verfahren wird an anderer Stelle dieses Bandes im Detail dargestellt. 1. Haas NA, Ewert P, Hager A, Schlensack C. Aortenisthmusstenose im Kindes-und Jugendalter Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderkardiologie (DGPK) http://www.awmf.org/leitlinien/angemeldete-leitlinien.html http://www.kinderkardiologie.org/dgpkLeitlinien.shtml 2. Moss und Adams, Heart Diseases in Infants, Children and Adolescents. 8th ed., Lippincott Williams&Wilkins, 2013: 1044–1060. 3. Kaemmerer H. Aortenisthmusstenose. In: Schmaltz A.A.. Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH), S2-Leitlinien der DGK, DGPK und DGTHG zur Diagnostik und Therapie in Klinik und Praxis, Steinkopff Verlag 2008: 104–110. 4. Edwards JE, Brooks S. Edwards: Jesse E. Edwards' Synopsis of Congenital Heart Disease. Futura Pub Co Inc, 2000 5. Perloff JK, Marelli AJ. Perloff's Clinical Recognition of Congenital Heart Disease. 6th ed. Philadelphia: W. B. Saunders; 2012. 6. Kaemmerer H. Aortic Coarctation and Interrupted Aortic Arch. In: Gatzoulis M, EWebb G, Daubeney P, eds. Diagnosis and Management of Adult Congenital Heart Disease 2nd ed: Churchill Livingstone; 2011: 261–70. 7. Perloff JK, Child JS, Aboulhosn J, eds. Congenital heart disease in adults. 3rd ed. Philadelphia: W. B. Saunders Company; 2008 13 2D- und Doppler-Echokardiographie bei Patienten mit Aortenisthmusstenose (CoA) Michael Hauser Praxis für Kinderkardiologie, München Andreas Kühn Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München, Technische Universität München Renate Oberhoffer Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München, Technische Universität München Was ist wichtig? Die Echokardiographie (mit 2-D-Bild, Farbdoppler und CW-Doppler) bei Aortenisthmusstenose (CoA) beschreibt: • Lokalisation, Durchmesser und hämodynamische Wirksamkeit der CoA • Verlauf und Diameter der darstellbaren Anteile der Aorta ascendens, des Aortenbogens, der supraaortalen Gefäße und der Aorta ascendens • Lokalisation des Ductus Botalli (falls vorhanden), mit Richtung und Ausmaß eines noch vorhandenen Flusses • Begleitanomalien. Die pränatale Ultraschalldiagnostik kann folgende Hinweise auf eine CoA geben: • Im frühen Ultraschall verdickte Nackenfalte als Hinweis auf cardiale oder chromosomale Anomalien (z.B. Assoziation CoA mit Turner Syndrom) • Deutliche Rechtsherzdominanz mit Vergrößerung von rechtem Vorhof, Ventrikel und Pulmonalarterie, oft auch schon im 2. Trimenon, als indirektes Zeichen • Kalibersprung im Bereich des Aortenisthmus – häufig schwierige Darstellbarkeit wegen Überlagerung bei großem Ductus arteriosus • Begleithypoplasie des Aortenbogens bis hin zur retrograden Perfusion • Begleitanomalien 14 Die Aortenisthmusstenose (CoA) stellt in ihrer typischen Form eine aortale Lumeneinengung unmittelbar distal des Abgangs der linken A. subclavia dar. In den meisten Fälle wird die Obstruktion durch eine Einfaltung der posterioren aortalen Media hervorgerufen. Diese Einengung liegt in der Regel direkt gegenüber der ehemaligen Einmündung des Ductus arteriosus Botalli. Auch wenn man heutzutage alle Isthmusstenosen als juxtaductal gelegen beschreibt, ist zum klinischen Verständnis die alte Einteilung in präductale (infantile) Form (häufig ductusabhängig, oft assoziiert mit weiteren kardialen Fehlbildungen) und postductale Formen hilfreich. Abb. 1) Bicuspide Aortenklapppe Ventrikelseptumdefekt Offener Ductus arteriosus Botalli Hypoplasie des Aortenbogens Obstruktion der linksventrikuläre Einflussbahn (z. B. fusionierte Chordae) Obstruktion der linksvenrikulären Ausflussbahen (z. B. Aortenstenose) D-Transposition der großen Gefäße A. lusoria Atrio-ventrikulärer Septumdefekt Doubel outlet right ventricle Vorhofseptumdefekt Pathologische Anordnung der Papillarmuskel („parachute Mitralklappe“) Nekrose der Papillarmuskel mit Mitralinsuffizienz Turner Syndrom Shone Komplex Mikrodeletion 22q11.2 Aneurysmen des Circulus arteriosus cerebri Tabelle 1: Assoziierte Fehlbildungen Die CoA ist häufig mit kardio-vaskulären Fehlbildungen assoziiert oder Teil eines komplexeren Herzfehlers. Sie bestimmen den Verlauf der Erkrankung wesentlich mit und müssen im Rahmen der echokardiographischen Untersuchung mitdiagnostiziert werden (Tabelle 1). Zu den häufigsten Begleitanomalien gehören bicuspide Aortenklappen, subvalvuläre, valvuläre oder supravalvuläre Aortenstenosen sowie Mitralklappenstenosen. Die CoA kann auch Teil anderer komplexer angeborener Herzfehler sein, z. B. Transposition der großen Arterien, Taussig-BingAnomalie, double-inlet left ventricle, Tricuspidalatresie mit Transposition der großen Arterien oder hypoplastisches Linksherzsyndrom. Mit Hilfe der Echokardiographie kann die anatomische Einengung der Aorta im 2D-Bild und eine erhöhte Flussgeschwindigkeit durch die Doppler-Untersuchung dargestellt werden. Die CoA lässt sich am besten im 2D-Bild in der rechts-parasternalen oder suprasternal-parasagittalen Schnittebene bei Reklination des Kopfes darstellen (Abb. 2). Eine Darstellung gelingt auch von einer hohen links-parasternalen Einstellung mit lateraler Angulation zur linken Schulter („Ductus-Schnitt“). Von suprasternal werden die entsprechenden DopplerUntersuchungen zur Flussmessung durchgeführt. Um den Spitzen-Druckgradienten abzuschätzen, kann die Bernoulli-Gleichung eingesetzt werden. Wenn die proximale Strömungsgeschwindigkeit in der Aorta weniger als 1,5 m/s beträgt, kann die vereinfachte Gleichung verwendet werden: (VP = 4 x Vmax2). Ist die Strömungsgeschwindigkeit aber größer als 1,5 m/s, muss die erweiterte Bernoulli-Gleichung Anwendung finden: VP = 4 (V22 – V12). (VP, Druckgradient der Stenose in mm Hg; V1, Flussgeschwindigkeit (m/s) VOR der Stenose; V2, Flussgeschwindigkeit (m/s) IN der Stenose). Dabei gilt zu beachten: • Falsch-negative Ergebnisse – gut entwickelte Kollateralen können zur Unterschätzung des Druckgradienten führen. • Falsch-positive Ergebnisse – eine leicht vermehrte Strömungsgeschwindigkeit (1,5–2 m/s) kann in der absteigenden Aorta auch OHNE Gefäßverengung vorliegen, – Nach interventioneller oder operativer Behandlung finden sich bei verminderter Aorten-Compliance erhöhte systolische Strömungsgeschwindigkeiten. 15 Abb. 1: Prä-, juxta und postductale CoA Abb. 2: Darstellung des Aortenbogens in der suprasternal-parasagittalen Schnittebene Vor einem interventionellen- oder operativen Eingriff müssen nicht nur Lokalisation und Schweregrad der Einengung, sondern auch die Länge des engen Segments und vor allem die Region gegenüber der Einmündung der linken A. subclavia dargestellt werden (Abb. 3). Die Stenose selbst kann umschrieben oder langstreckig (tubulär) sein. Gerade bei Neugeborenen und Säuglingen kommt häufig eine Hypoplasie des transversen oder distalen Aortenbogens vor. Dabei ist die Distanz zwischen der linken A. carotis communis und der linken A. subclavia verlängert. Im Farb-Doppler tritt an der Stenose und distal davon ein Aliasing auf (Abb. 4); die systolische Flussgeschwindigkeit ist dabei erhöht. Im Falle eines engen Aortenbogens sind auch erhöhte Flussgeschwindigkeiten proximal der Stenose nachweisbar. Der systolische Druckgradient sollte aus diesem Grund nur mit Hilfe der erweiterten Bernoulli Gleichung berechnet werden P1–P2 = 4(v22-v12). Im Falle einer schweren Stenose ist über die Einengung sowohl ein systolischer als auch ein diastolischer Gradient messbar. Bei hoher systolischer Flussgeschwindigkeit ist wegen des persistierenden Druckgradienten ein kontinuierlicher diastolischer Fluss nachweisbar. Dies zeigt sich in dem typischen „Sägezahn-Muster“ der Doppler-Flusskurve (diastolischer „run-off“) (Abb. 5). 16 Abb. 3: 2-D Darstellung des Aortenbogens mit KopfHalsgefäßen und Einengung im Isthmusbereich Die Darstellung des kranialen Anteils der descendierenden Aorta kann sehr schwierig sein. In solchen Fällen sind dann indirekte Zeichen zur Einschätzung des Schweregrades einer CoA hilfreich. Die M-mode Untersuchung zeigt als indirekte Hinweise auf eine Aortenisthmusstenose eine konzentrische Hypertrophie und Funktionseinschränkung des linken Ventrikels durch die bestehende Druckbelastung. Mit zunehmendem Patientenalter finden sich zudem Hinweise auf eine diastolische Funktionsstörung. In der abdominellen Aorta (subcostaler longitudinaler Schnitt) zeigt die Dopplerflusskurve im Falle einer CoA einen verzögerten Anstieg des systolischen Flusssignals mit wenig Pulsatilität und kontinuierlichem diastolischem Vorwärtsfluss (Abb. 7 a) (Normalbefund: • pulsatiler Fluss mit steilem Anstieg des systolischen Flusssignals [„short time to peak velocity“], • negativer Fluss [„reversal flow“] in der frühen Diastole und • ein wenig ausgeprägter Vorwärtsfluss in der Diastole [Abb. 7 b]). Im Falle eines großen, noch offenen Ductus arteriosus Botalli wird durch diesen die Fluss- und Druckbelastung Abb. 4: Farb-Aliasing im Bereich des eingeengten Aortenisthmus Abb. 5: „Sägezahn-Muster“ der Doppler-Flusskurve (diastolischer „run-off“) Abb. 6: Angiographische Darstellung des „Shone-Komplexes der descendierenden Aorta gewährleistet. Die Diagnose einer relevanten Stenose ist dann mittels Doppleruntersuchung nicht möglich. In diesem Falle muss die anatomischen Darstellung der Enge im 2D-Bild erfolgen. Von besonderer Bedeutung ist, wie schon erwähnt, das Vorhandensein von Begleitanomalien. Diese müssen dem Untersucher bekannt sein und er muss nach ihnen bei jeder Untersuchung und Verlaufskontrolle fahnden und sie ggf. quantifizieren. Eine Sonderform ist die kritische CoA bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen, die durch eine „Ductusabhängigkeit“ und eine Beeinträchtigung der Funktion des linken Ventrikels („high-afterload ventricle) charakterisiert ist. Der Doppler Gradient wird vor allem dann unterschätzt, wenn eine Aorten- oder Mitralstenose oder eine eingeschränkte Funktion des linken Ventrikels vorhanden ist. Im Falle einer längerstreckigen Stenose kann die Bernoulli Gleichung nicht angewendet werden. Gelegentlich ist die CoA auch Teil des sogenannten ShoneKomplexes, der durch eine ringförmige Stenose oberhalb der Mitralklappe, durch eine parachute Mitralklappe (Obstruktion durch fusionierte Papillarmuskel), sowie durch eine muskuläre- bzw. fibromuskuläre Subaortenstenose charakterisiert ist (Abb. 6). Eine sekundäre Endokard-Fibroelastose kann bei Patienten mit CoA vorhanden sein und stellt sich im 2D-Bild als echogene Auskleidung des linken Ventrikels dar; häufig ist dabei die systolische und diastolische Funktion des linken Ventrikels gestört. Pränatale Diagnostik Erste indirekte Hinweise auf das Vorliegen einer CoA können in der frühen Schwangerschaft anlässlich der Messung der Nuchal translucency (NT-Nackenfalte) bestehen: eine verdickte NT kann generell auf eine chromosomale Anomalie oder auf das Vorliegen eines Vitiums deuten. Dabei ist insbesondere bei Vorliegen eines Turnersyndroms gezielt nach einer CoA zu fahnden- eine Assoziation wird in bis 45,3% der Fälle beschrieben und ist mit besonders dicken NT und auch Hydrops fetalis assoziiert. Eine CoA ist mittels früher Echokardiographie in der 12. bis 14. SSW kaum direkt darstellbar und allenfalls bei deutlicher Rechtsherzdominanz zu vermuten. Umgekehrt ist bei Verdachtsdiagnose einer CoA eine genetische Untersuchung zu empfehlen. Anlässlich der nach Mutterschaftsrichtlinien erfolgenden Ultraschalluntersuchungen in der 20. bzw. 30. SSE ist darauf zu achten, dass Vorhöfe, Ventrikel und Gefäße rechts- 17 Abb. 7 a: Dopplerflusskurve bei CoA in der abdominellen Aorta Abb. 7 b: Normale Dopplerflusskurve in der abdominellen Aorta bzw. linksseitig symmetrisch groß sind (Abb. 8). Jede ungewöhnliche Rechtsherzdominanz sollte ursächlich auch an eine CoA denken lassen. Diese Rechtsherzbelastung entsteht mutmasslich durch eine Volumenbelastung des rechten Herzens, das über den Ductus arteriosus zur Systemperfusion bei engem Aortenisthmus beiträgt. Zeitweise ist die Rechtsherzbelastung derart ausgeprägt, dass das linke Herz komprimiert erscheint. Auch eine tatsächliche Hypoplasie der linken Herzstrukturen kann vorliegen und ist nur durch farbdopplersonographisches Füllungsverhalten des linken Ventrikels und exakte Messung der Cavitäten unter Anwendung Gestationsalter entsprechender Referenzwerte differenzierbar. Erst nach komplettem postnatalen Verschluss des Ductus arteriosus wird die hämodynamische Bedeutung der pränatal vermuteten CoA klar. Aus diesem Grund sind pränatal falsch negative sowie falsch positive Diagnosen der CoA häufig. Viele serielle Messparameter zur besseren pränatalen Prädiktion der CoA lassen sich erheben wie Ventrikel- und Gefäßdimensionen, Isthmusdurchmesser, Ductusdurchmesser und ihre z-Werte oder die Isthmus-Ductus-Ratioerhoben im 3-Gefäß-Blick, der Nachweis einer sogenannten „shelf“ oder Turbulenzen in der Isthmusregion. Dennoch bleibt die pränatale Diagnose der CoA eine Herausforderung. Mit und ohne hypoplastischen linken Ventrikel ist eine Begleithypoplasie des Aortenbogens in vielen Fällen vorhanden. Auch eine retrograde Perfusion des Bogens ist farbdopplersonographisch bei hochgradiger CoA nachweisbar. Aufgrund des offenen Ductus arteriosus, der in der Isthmusregion inseriert, ist das postnatal typische dopplersonographische Sägezahnmuster mit entsprechender systolischer Gradientenbestimmung pränatal nicht möglich. Auch die gedämpfte Pulsatilität der Aorta descendens ist pränatal bei CoA nicht möglich. 18 Abb. 8 a: Fetaler 4-Kammerblick in der 27+1 SSW (Schwangerschaftswoche). Deutlich vergrößerter rechter Ventrikel (RV), * weiter Tricuspidalklappenring mit - insuffizienz (TI), komprimierter linker Ventrikel (LV) Abb. 8 b: Fetaler Aortenbogen in der 33 + 0 SSW. Zwischen Aorta ascendens mit relativ schmalem Durchmesser und Aorta descendens mit normalem Kaliber findet sich der retrograd perfuniderte Bereich (Pfeil), der der Isthmusstenose entspricht. Literatur Becker AE, Becker MJ, Edwards JE. Anomalies associated with coarctation of aorta. Particular reference to infancy. Circulation 1979; 41: 1067–1075. Evangelista A, Flachskampf FA, Erbel R. Echocardiography on aortic disease: EAE recommendations for clinical practice. Eur J Echocardiogr 2010; 11 :645–658. Bengur AR, Snider AR, Meliones IN, et al. Doppler evaluation of aortic valve area in children with aortic stenosis. Journal of the American Society of Cardiology 1991; 18: 1499–1505. Cheitlin MD, Robinovitz M, McAllister H, et al. 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Turner's syndrome in fetal life Ultrasound Obstet Gynecol. 2003 Sep; 22(3): 264–7. 19 Chirurgische Therapie der Aortenisthmusstenose Elisabeth Beran Jelena Kasnar-Samprec Julie Cleuziou Christian Schreiber Rüdiger Lange Klinik für Herz-und Gefäßchirurgie, Deutsches Herzzentrum München, Technische Universität München Was ist wichtig? • Die hochgradige neonatale Aortenisthmusstenose hat eine dringliche Operationsindikation. • In einem spezialisierten Zentrum ist die Letalität niedrig und die neurologische Komplikationsrate gering • Die isolierte Aortenisthmusstenose kann in den meisten Fällen mit Resektion und direkter End-zu-End Anastomose korrigiert werden. • Die Aortenisthmusstenose mit Aortenbogenhypoplasie wird mit „extended end-to-end“ Anastomose oder Waldhausen-Plastik therapiert • Bei erwachsenen Patienten ist das Protheseninterponat die Therapie der Wahl, eine Patchplastik soll vermieden werden. • Patienten müssen langfristig nachuntersucht werden. Hypertonus, Restenosen und Aneurysmabildung sind die Hauptkomplikationen im Langzeitverlauf 20 Die therapeutischen Maßnahmen beim Vorliegen einer Aortenisthmusstenose lassen sich in drei große Gruppen einteilen: MEDIKAMENTÖS THERAPIE INTERVENTIONELL CHIRURGISCH Abb. 1: Therapeutischen Maßnahmen bei Aortenisthmusstenosen Die medikamentöse Therapie spielt vor allem bei der kritischen neonatalen Aortenisthmusstenose eine entscheidende Rolle. Durch die Gabe von Prostaglandin E1 kann der Ductusverschluss verhindert werden oder ein bereits im Zugehen begriffener Ductus wiedereröffnet werden und das Kind stabilisiert werden. Die Interventionelle Therapie mit Ballondilatationen und Stentimplantationen hat sowohl bei primärer Aortenisthmusstenose als auch bei Restenosen nach Operation einen großen Stellenwert, wird aber in diesem Artikel nicht weiter beleuchtet. a) Schematische Darstellung vor und nach Resektion (aus Stark JF, de Leval MR. , Tsang VT. Surgery for Congenital Heart Defects, John Wiley & Sons Inc; 2006) b)Intraoperative Fotos (DHM): Resektion der Aortenisthmusstenose Chirurgische Therapie Die Indikation zur Operation besteht ab einem Ruhegradienten über die Aortenisthmusstenose von 20 mmHg. (1) Da während der Operation die Aorta für eine gewisse Zeit abgeklemmt werden muss, empfiehlt es sich zur Protektion des Rückenmarks, den Patienten während des Eingriffs nicht aktiv zu wärmen. Eine Körperkerntemperatur von 34°C ist wünschenswert, um das Paraplegierisiko zu minimieren. Seit der ersten erfolgreichen Operation der Aortenisthmusstenose 1944 durch Crafoord und Nylin (2) mit Resektion und anschließender End-zu-End Anastomose haben sich verschiedenste chirurgische Techniken entwickelt. Operativer Zugang ist bei linksdeszendierender Aorta eine posterolaterale Linksthorakotomie im 3. oder 4. Intercostalraum, bei rechtem Aortenbogen eine Rechtsthorakotomie. Die Hautinzision erfolgt ca. 1 Querfingerbreit caudal der Skapulaspitze und verläuft entlang der Rippen nach dorsal. Bei der „muscle sparing thoracotomy“ werden Musculus latissimus dorsi und Musculus trapezius mobilisiert, aber nicht inzidiert und bilden die Begrenzung des operativen Situs. Am Oberrand der 3. oder 4. Rippe wird die Pleura eröffnet, ein Sperrer eingesetzt und die linke Lunge mit Haken vorsichtig nach medial und caudal weggehalten. c) Markierung von Aorta descendens (links im Bild), Aortenbogen (rechts im Bild) sowie von zwei Intercostalarterien (oben und unten) d)Resezierte Aortenisthmusstenose Abb 2: Direkte End-zu-End Anastomose 21 a) Schematische Darstellung vor und nach Resektion und nach Anastomose (aus Stark JF, de Leval MR., Tsang VT. Surgery for Congenital Heart Defects, John Wiley & Sons Inc; 2006) b)Intraoperative Fotos (DHM): Abgeklemmt ist der Aortenbogen mit den supraaortalen Ästen (cranial) sowie die Aorta descendens (caudal) c) Extended end-to-end Anastomose d)Resezierte Aortenisthmusstenose mit hypoplastischem Aortenbogenanteil Abb. 3: Extendend end-to-end Anastomose (aus: Surgery for Congenital Heart Defects; J Stark, M.de Leval, VZ Tsang 2006) a) Schematische Darstellung Abb. 4: Waldhausenplastik oder „subclavian flap aortoplasty“ (aus Stark JF, de Leval MR., Tsang VT. Surgery for Congenital Heart Defects, John Wiley & Sons Inc; 2006) 22 Die Pleura parietalis wird über der Aorta descendens inzidiert. Die Aorta descendens, der Aortenbogen, die supraaortalen Äste und der Duktus arteriosus werden dargestellt und eindeutig identifiziert. Zur besseren Mobilisation kann der Duktus sofort zwischen zwei Durchstechungsligaturen durchtrennt werden. Handelt es sich jedoch um eine duktusabhängige Perfusion der unteren Körperhälfte, sollte dies erst unmittelbar vor Klemmen der Aorta geschehen. Es ist wesentlich für eine spannungsfreie Anastomose, dass die Aorta descendens mit ihren ersten Interkostalarterien gut mobilisiert ist und nach cranial verschoben werden kann. Die heute nach wie vor am häufigsten angewandte Methode ist die Resektion der Aortenisthmusstenose mit direkter End-zu-End Anastomose (Abb. 2). Hierbei wird die Aorta descendens distal der Aortenisthmusstenose und der distale Aortenbogen proximal des stenotischen Bereichs geklemmt und das betroffene Gebiet exzidiert. Es ist wesentlich, dass das gesamte veränderte Gewebe der Aorta reseziert wird, da sonst die Restenoserate deutlich erhöht ist. Durch Zueinanderführen der Klemmen wird es möglich, die Aorta mit einer direkten Naht wieder End-zu-End zu verbinden. a) Schematische Darstellung (aus Stark JF, de Leval MR., Tsang VT. Surgery for Congenital Heart Defects, John Wiley & Sons Inc; 2006) b)Intraoperative Fotos vor Resektion und nach Implantation einer Dacronprothese (Fotos: DHM) präoperativ postoperativ Abb. 5: Resektion der Stenose und eine Interposition einer Dacronprothese (aus: Surgery for Congenital Heart Defects; J Stark, M.de Leval, VZ Tsang 2006) Das Entfernen der Aortenklemmen muss langsam erfolgen, um einen abrupten Blutdruckabfall und das potentielle Auftreten von Kammerflimmern zu verhindern. Liegt zusätzlich zur Aortenisthmusstenose noch eine Aortenbogenhypoplasie vor, kann das stenotische Segment reseziert werden und eine End-zu-Seit oder „extended endto-end“ Anastomose durchgeführt werden (Abb. 3). Diese Methode wurde 1986 von S. Lansman et al beschrieben. (3) In diesem Fall muss die proximale Aortenklemme am proximalen Aortenbogen angebracht werden und kann auch gleichzeitig zum Ausklemmen der Arteria subclavia sinistra und eventuell der Arteria carotis sinistra verwendet werden. Der Truncus brachiocephalicus darf nicht beeinträchtigt werden. Die Inzision erfolgt im caudalen Bogenbereich nach proximal fast bis zur Klemme und im Bereich der Aorta descendens auf der lateralen Seite. Durch Verschieben und Approximieren der Klemmen wird die Rekonstruktion möglich. Eine weitere chirurgische Option bei hypoplastischem Aortenbogen ist die Waldhausenplastik oder „subclavian flap aortoplasty“ (4). Hierbei wird die Arteria subclavia sinistra, gegebenenfalls auch die Arteria subclavia dextra, durchtrennt und die Gefäßwand als Patchmaterial zur Augmentation des Aortenbogens herangezogen (Abb. 4). Die Augmentation der Aortenbogenenge durch eine Dacronpatchplastik wurde 1961 von Vossschulte beschrieben. (5) Aufgrund der hohen Inzidenz von Spätaneurysmen (6) im Operationsgebiet wird von dieser Technik und auch von der Erweiterung mit einem Goretexpatch (7) abgeraten. Zur Korrektur der adulten Aortenisthmusstenose wird vorzugsweise eine Resektion der Stenose und eine Interposition mit einer Dacronprothese empfohlen (Abb. 5). 23 Perioperativ und früh postoperativ Spät postoperativ • Blutung • Restenose • Neurologische Komplikationen • Paraplegie • Aneurysma • Chylothorax • Arterieller Hypertonus • Sepsis • Herzinsuffizienz Tab: 1: Potentielle Komplikationen bei und nach operativer Therapie Intraoperatives Monitoring Zur nicht invasiven Überwachung der cerebralen Durchblutung während der Operation ist die „NIRS“ (near infrared spectroscopy) sehr gut geeignet. Außerdem ist es wünschenswert, bei Operationen im Aortenisthmusbereich zwei arterielle Leitungen zu haben, eine in der rechten Radialarterie und eine in der Femoralarterie, um postoperative Gradienten sofort invasiv messen zu können. Langzeitverlauf Die Ergebnisse der operativen Therapie sind durchaus zufriedenstellend mit sehr niedriger Mortalität. Studien aus dem Deutschen Herzzentrum München beschreiben eine Langzeitmortalität von 2,6 %, eine Paraplegierate von 0,4% und eine Restenoserate – abhängig von Lebensalter, Körpergröße, sowie von der Morphe des Aortenbogens bei der Operation von 5–23%. (8, 9) Es ist wesentlich, dass Patienten nach einer Operation der Aortenisthmusstenose regelmäßig in einer spezifisch erfahrenen kardiologischen 24 Ambulanz kontrolliert werden. Mit der Operation wird die Stenose korrigiert, das Krankheitsbild der Aortenisthmusstenose im Langzeitverlauf ist jedoch viel komplexer. Die Inzidenz von arteriellem Hypertonus, Klappendegeneration bei begleitender bikuspider Aortenklappe und Aortenaneurysmaformation ist höher als in der Vergleichspopulation. (10, 11, 12) Literatur 1. Kirklin JW, Barrat-Boyes. Cardiac surgery. New York: John Wiley & Sons 1986; 1036–1080. 2. Crafoord C, Nylin G. Congenital coarctation of the aorta and its surgical treatment. J Thorac Surg. 1945; 14: 347. 3. Lansman, S., Shapiro, A.J., Schiller, M.S.: Extended aortic arch anastomosis for repair of coarctation in infancy. Circulation 1986, 74(Suppl I): 37–413. 4. Waldhausen, J.A., Nahrwold, D.L.: Repair of coarctation of the aorta with a subclavian flap. J Thorac Cardiovasc Surg 1966, 51: 532–533. 5. Vossschulte, K.: Surgical correction of coarctation of the aorta by an „isthmusplastic“ operation. Thorax 1961, 16: 338–345. 6. Aebert H, Laas J, Bednarski P, Koch U, Prokop M, Borst HG: High incidence of aneurysm formation following patch plasty repair of coarctation. Eur J Cardiothorac Surg 1993; 7: 200–205. 7. Backer CL, Paape K, Zales V, Weigel TJ, Mavroudis C: Coarctation of the aorta. Repair with polytetrafluoroethylene patch aortoplasty. Circulation 1995; 92 (Suppl II): II-132–II–136. 8. Hager A SC, Nutzl S, Hess J. Mortality and restenosis rate of surgical coarctation repair in infancy: a study of 191 patients. Cardiology. 2009; 112(1): 36. 9. Hager A KS, Kaemmerer H, Schreiber C, Hess J. Coarctation Long-term Assessment (COALA): significance of arterial hypertension in a cohort of 404 patients up to 27 years after surgical repair of isolated coarctation of the aorta, even in the absence of restenosis and prosthetic material. J Thorac Cardiovasc Surg. 2007; 134(3): 738. 10. Schreiber C, Pörner M, Tassani-Prell P, Kostolny M, Eicken A, Lange R.Aortic Aneurysm 31 Years after Coarctation Repair with Direct Anastomosis. Herz 31. 2006. Nr1 11. CohenM, Fuster V, Steele PM, et al. Coarctation of the aorta. Long-term follow-up and prediction of outcome after surgical correction. Circulation 1989; 80: 840–5. 12. Presbitero P, Demarie D, Villani M,et al. Long term results (15–30years) of surgical repair of aortic coarctation.Br Heart J 1987; 57: 462–7. 13. Stark JF, de Leval MR., Tsang VT. Surgery for Congenital Heart Defects, John Wiley & Sons Inc; 2006 ISBN-10: 0470093161 ISBN-13: 978-0470093160 25 Invasive Diagnostik und Behandlung der Aortenisthmusstenose (CoA) Andreas Eicken Peter Ewert Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München Nach klinischer Diagnose einer relevanten Aortenisthmusstenose besteht die Indikation zur Herzkatheteruntersuchung mit der Option zur Intervention. Was ist wichtig? • Die Stentimplantation bei CoA ist eine effektive und sichere Methode zur Beseitigung einer Stenose im Aortenisthmusbereich (CoA). • Die Stentversorgung ist Methode der Wahl zur Behandlung einer nativen oder Re-/Reststenose bei Jugendlichen und Erwachsenen mit CoA. • Im Säuglings und Kleinkindalter werden Kinder mit nativer CoA weiterhin primär herzchirurgisch behandelt. In diesem Lebensalter werden Kinder mit Re-CoA hinsichtlich der besten Behandlungsmöglichkeiten im kardiologisch/herzchirurgischen Team diskutiert und entsprechend behandelt. 26 Zu den Leitsymptomen gehören: • abgeschwächte Leistenpulse • arterieller Hypertonus an den oberen Extremitäten bei mehreren Messungen und/oder in der 24-Stunden-Blutdruckmessung (cave: A. lusoria), Belastungshypertonus • Blutdruckgradient > 20 mmHg zwischen oberen und unteren Extremitäten • linksventrikuläre Hypertrophie im EKG oder im Echokardiogramm • Flussbescheunigung im Isthmusbereich in der Dopplersonographie mit charakteristischem diastolischen Flussmuster • ggf. 3D-Darstellung des Aortenbogens mittel MRT/CT) Bei der Herzkatheteruntersuchung wird zunächst die Anatomie angiographisch dargestellt und dann der invasive Druckgradient genau lokalisiert. Bei geeigneter Anatomie wird die Enge durch Ballonangioplastie oder Stentimplantation geweitet. Die Indikation zur Behandlung der CoA ist in den Leitlinien der Fachgesellschaften festgelegt (1, 2). Die Ballonangioplastie einer CoA wurde 1979 erstmals beschrieben (3) und ist vor allem bei jungen Patienten mit Re-Coarctation indiziert (4). Abb. 1: Der Cheatham Platinum™ Stent besteht aus einem 0.013" Platinum/Iridium Draht im „zig pattern“, Laser geschweißt an den Verbindungsstellen mit 24 Karat Gold. Der Stent hat ein „closed cell design“; das heißt die Zellen können nicht seitlich eröffnet werden. Die Stents können von 12–28 mm gedehnt werden und sind in Längen von 16–45 mm erhältlich. Bei großen Diametern verkürzt sich der Stent signifikant. Der „Covered CP Stent™“ ist umhüllt mit ePTFE. Abb. 2: Der IntraStent® Max™ LD Biliary Stent ist ein Ballon expandierbarer „laser cut stainless steel – bare metal“ Stent. Der Stent ist in 26 und 36 mm Länge verfügbar und kann auf 26 mm dilatiert werden. Es findet sich hier ein „open cell design“, d.h. die Stents können seitlich eröffnet werden. Durch erfolgreiche Angioplastie kann in vielen Fällen eine risikoreiche Operation vermieden werden. Bei älteren Patienten mit Re-CoA ist die alleinige Ballonangioplastie wegen der elastischen Eigenschaften der Aortenwand nur in etwa 2/3 der Fälle dauerhaft erfolgreich (5) und es besteht daher die Indikation zur Stent-Implantation (6). Durch Stenting kann eine sofortige und dauerhafte Aufweitung der Aorta erreicht werden (7, 8). Patienten > 20 kg können mit Stents versorgt werden, die auf einen Diameter von > 20 mm aufgedehnt werden können. Patienten mit hochgradiger nativer CoA werden mit gecoverten Stents behandelt, um das Risiko einer Aortenwandverletzung zu minimieren (9, 10). Abb. 3: Der Andra Stent XL/XXL ist ein semiflexibler „hybrid cell, bare-metal“ Cobalt Chrom Stent, erhältlich in Längen von 13–57 mm und speziell entwickelt um Gefäße mit großen Durchmessern zu dilatieren. Die Verkürzung ist geringer, als bei den anderen beiden Stents. Abb. 4: Der Cook Formula™ Renal Balloon-Expandable Stent ist ein „hybrid open-cell design, bare metal stainless steel premounted“ Stent verfügbar in verschiedenen Größen. Er kann bis maximal 12 mm (Formula 414) bzw 16 mm gedehnt werden (Formula 535). Die an unserer Klinik heute bei CoA verwendeten Stents sind: • Cheatham Platinum-Stents (Abb. 1; bare metal and covered; NuMed Inc. Hopkinton, NY, USA; 8z Länge 16–45 mm), • Max™ LD Stents (Abb. 2; EV3 Endovascular, Inc. Plymouth, MN, USA; Länge 26 + 36 mm), • AndraStent XL/XXL (Abb.3; Andramed GmbH; 13–57 mm). 27 Abb. 5: Die AoD hat poststenotisch einen Diamter von 18 mm sowie zahlreichen große Kollateraleinmündungen. Eine Aortenatresie ist mit dieser Injektion noch nicht ausgeschlossen. Abb. 6: Gleichzeitige Injektion von KM über einen 5F-Pigtail Katheter im distalen Aortenbogen (prästenotisch, von A.brachialis links aus eingeführt) sowie über einen 6FMultipurpose-Katheter ( von der Leiste aus) stellt die zirkumskripte hochgradige Stenose dar. In Abhängigkeit von der Größe des Dilatationsballons muss zur Stentimplantation eine Schleuse gewählt werden, die ein bis zu 2F größeres Innenlumen hat, als zum Einführen des Ballons notwendig wäre. Die Größe des Implantationsballons richtet sich nach dem Durchmesser des distalen Aortenbogens, bzw. des transversen Aortenbogens. Dies beschränkt den Einsatz von großen Stents bei Säuglingen und jungen Kindern mit CoA. In ausgewählten Fällen kann über eine 4–6F Einführschleuse ein vormontierter Stent implantiert werden: • Osypka Babystent (Osypka AG, Rheinfelden-Herten, Deutschland. Vormontierter, 15 mm langer Stent auf 6 mm Ballon, dehnbar bis 12 mm, über 4F-Schleuse implantierbar): dieser Stent ist noch nicht CE-zertifiziert und wird in einer Zulassungsstudie evaluiert. • Cook Formula Stent (Abb. 4; Cook Medical; Bloomington, IN, USA. Vormontierter. 12 mm Stents auf 6 und 8 mm Ballon; durch 5- und 6F-Schleuse implantierbar; bis 14 mm dilatierbar). Diese Stents müssen ab einem Durchmesser von ca. 12–16 mm mit einem Hochdruckballon in Ihrer Circumferenz gesprengt und mit einem zweiten, größeren Stent geweitet werden, damit die Aorta Erwachsenengröße erreichen kann. 28 Abb. 7: Es war anschließend mögAbb. 8: Ein steifer Führungsdraht lich, von kranial, einen Terumo-Draht ermöglichte die Platzierung einer über die Engstelle in die descendie- langen, gebogenen 12F-Schleuse. rende Aorta zu manipulieren. Fallbericht 17-jähriger, sportlicher Patient in gutem AZ und EZ (189 cm, 87 kg) mit arteriellem Hypertonus am rechten Arm. Im auswärtigen MRT bestand der Verdacht auf das Vorliegen einer Aortenbogenatresie. In tiefer Sedierung wurde eine Femoralarterie punktiert (6F Schleuse) und der Druck registriert (A. femoralis dextra: 109/87/94 mmHg). Dann wurde versucht, den Aortenisthmus mit einem weichen Draht zu passieren, was aber nicht gelang. Die Angiographie der Aorta descendens zeigte eine 18 mm große thorakale Aorta mit zahlreichen Kollateraleinmündungen, keinen sicheren Kontrastmittel-Übertritt in den distalen Aortenbogen und einem fraglichen dünnen Auswaschjet des Kontrastmittels (Abb. 5). Daraufhin wurde die linke A. brachialis punktiert (Druck proximal der Stenose 149/91/110 mmHg). Die CoA wurde nun über einen 5F-Pigtail Katheter vom Arm sowie einen 6F-Multipurpose-Katheter von der Leiste aus dargestellt (Abb. 6). Es war anschließend möglich, von kranial, einen Terumo-Draht über die Engstelle in die descendierende Aorta zu manipulieren (Abb. 7). Dieser Draht wurde mit einer Schlinge gefangen, stabilisiert und der Katheter passierte die Stenose von kranial. Nun wurde ein langer Abb. 9: Ein 39 mm gecoverter 8zCheatham-Platinum-Stent wurde auf einem 16 mm Spezial Ballon-InBallon-Katheter (BIB®), der ein gleichmäßiges Öffnen und exaktes Positionieren von Stents ermöglicht, befestigt und in die Stenose vorgeführt. Abb. 10: Der Stent wurde zunächst mit dem 16 mm BiB-Ballon implantiert und dann gemeinsam mit einem vom Arm eingeführten 12 mm-Tyshak-Ballon erneut dilatiert. weicher Draht (noodle wire) eingeführt, mit einer Schlinge in der Aorta descendens gefangen und über die Scheuse in der Leiste nach außen geführt. Über diesen Draht konnte zunächst ein Multipurpose-Katheter über die CoA geschoben werden. Dann gelang nach Entfernung des „noodle wires“ die Sondierung der Aorta ascendens. Ein steifer Führungsdraht ermöglichte die Platzierung einer langen, gebogenen 12F-Schleuse (Abb. 8). Ein 39 mm gecoverter 8z-Cheatham-Platinum-Stent wurde auf einem 16 mm Spezial Ballon-In-Ballon-Katheter (BIB®), der ein gleichmäßiges Öffnen und exaktes Positionieren von Stents ermöglicht, befestigt und in die Stenose vorgeführt (Abb. 9). Durch Angiographien über den vom Arm aus liegenden Pigtail-Katheter konnte die Stentposition genau verfolgt werden. Der Stent wurde zunächst mit dem 16 mm BiB-Ballon implantiert und dann gemeinsam mit einem vom Arm eingeführten 12 mm-Tyshak-Ballon erneut dilatiert (Abb. 10). Postinterventionell verblieb eine sanduhrförmige Restenge an der Stelle der nativen CoA. Der invasive Druckgradient war von 40 auf 20 mmHg gesunken. Sechs Monate später wurde ein zweiter Stent (MaxLD 26 auf 16 mm BiB) in den oberen Stentanteil implantiert und mit Hochdruck (16 mm Atlas-Ballon) auf 16 mm aufgedehnt (Abb. 11). Abb. 11: Sechs Monate später wurde ein zweiter Stent (MaxLD 26 auf 16 mm BiB) in den oberen Stentanteil implantiert und mit Hochdruck (16 mm Atlas-Ballon) auf 16 mm aufgedehnt. Danach war kein Druckgradient mehr nachweisbar. Der Patient war unter ACE-Hemmer normoton und wurde 2 Tage nach dem Eingriff entlassen. Die eigene Erfahrung am DHM umfasst 213 Patienten (männlich 142), im medianen Alter von 16,6 Jahren (0,2–62,8 Jahre) und einem medianen Gewicht von 62 kg (4,6–116 kg), die wegen einer Re-CoA (n = 120) oder einer nativen CoA (n = 93) mit Stents behandelt wurden. Bei 70 Patienten wurde primär ein ummantelter Stent („covered stent“) verwendet. Alle zeigten postinterventionell einen signifikanten Abfall des invasiv gemessenen Druckgradienten und eine signifikante Weitung des engen Aortenabschnittes. Vor der Intervention hatten alle Patienten eine arterielle Hypertonie, die wegen der CoA nicht ausreichend medikamentös behandelt werden konnte. Nach der Intervention waren 84 % der Erwachsenen normoton, wobei allerdings 51 % der Patienten eine antihypertensive Medikation benötigten. Diese Daten entsprechen den Langzeitergebnissen nach chirurgischer CoA-Resektion. In einem großen Kollektiv unserer Klinik waren nur 43 % der Erwachsen postoperativ normoton (11). Vor der Intervention hatten alle Patienten eine arterielle Hypertonie, die bei der CoA nicht effektiv medikamentös behandelt werden konnte. 29 Literatur Die Ursachen des persistierenden arteriellen Hypertonus nach anatomisch erfolgreicher Weitung der Aorta ist multifaktoriell. Zum einen werden die Windkesselfunktion und damit die elastischen Eigenschaften der Aorta durch den Stent negativ beeinflusst. Zum anderen berichteten Ou et al. über den Zusammenhang von einem postoperativ persistierenden arteriellen Hypertonus und der Morphe des Aortenbogens (12). Vogt et al. wiesen bei Neugeborenen mit CoA reduzierte elastische Eigenschaften der prästenotischen Arterien nach (13), die trotz anatomisch „erfolgreicher“ Beseitigung der Stenose im Neugeborenenalter persistierten (14). Bei persistierendem oder neu auftretendem Hypertonus muss jedoch immer eine Re-CoA ausgeschlossen werden. Mögliche Komplikationen nach CoA-Stenting sind: Gefäßruptur, Aortenaneurysmen, Schlaganfall, „subclavian steel“ bei Überstenten der A. subclavia mit einem „covered“ stent, Stent-Migration oder Embolisation des Stents sowie Intimaproliferation und Stentfrakturen. Um zerebrale Komplikationen zu vermeiden sollten die Karotiden, unserer Meinung nach, nicht überstentet werden. Bei Überstenten der A. subclavia mit einem „covered stent“ kann der antegrade Fluss zum Arm durch Perforation des PTFE’s vom Arm aus bei vorheriger Kanülierung der A. brachialis erreicht werden. Die relativ große Einführschleuse kann arterielle Gefäßkomplikationen in der Leiste verursachen. Die Komplikationsrate nach CoA-Stenting betrug in einer großen, multizentrischen Studie 14 % (81/565). Sie lag in diesem Kollektiv bei Erwachsenen deutlich höher (31 %, mit zwei Todesfällen) als bei Kindern (15). Wenn der Stent bei der Implantation nicht voll expandiert werden kann oder soll und wenn der Patient noch wächst sind erneute Herzkatheteruntersuchungen mit eventuell multiplen Nachdilatationen des Stents notwendig und durchführbar. 30 1. Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, de Haan F, Deanfield JE, Galie N, Gatzoulis MA, Gohlke-Baerwolf C, Kaemmerer H, Kilner P, Meijboom F, Mulder BJ, Oechslin E, Oliver JM, Serraf A, Szatmari A, Thaulow E, Vouhe PR, Walma E; . ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart disease (new version 2010). European Heart Journal. 2010; 31(23): 2915. 2. Haas N.A., Ewert P, Hager A, Schlensak C. 9 Leitlinie Pädiatrische Kardiologie: Aortenisthmusstenose. www.kinderkardiologie.org. 2011: 1–10. 3. 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J Thorac Cardiovasc Surg. 2007; 134(3): 738. 12. Ou P Mousseaux E, Celermajer DS, Pedroni E, Vouhe P, Sidi D, Bonnet D. Aortic arch shape deformation after coarctation surgery: effect of blood pressure response. JTCVS. 2006; 132(5): 1105–1111. 13. Vogt M, Kühn A, Baumgartner D, Baumgartner C, Busch R, Kostolny M, Hess J. Impaired elastic properties of the ascending aorta in newborns before and early after successful coarctation repair: proof of a systemic vascular disease of the prestenotic arteries? Circulation. 2005; 111(24): 3269. 14. Kühn A, Baumgartner D, Baumgartner C, Hörer J, Schreiber C, Hess J, Vogt M. Impaired elastic properties of the ascending aorta persist within the first 3 years after neonatal coarctation repair. Pediatric Cardiology. 2009; 30(1): 46. 15. Forbes TJ, Garekar S, Amin Z, Zahn EM, Nykanen D, Moore P, Qureshi SA, Cheatham JP, Ebeid MR, Hijazi ZM, Sandhu S, Hagler DJ, Sievert H, Fagan TE, Ringewald J, Du W, Tang L, Wax DF, Rhodes J, Johnston TA, Jones TK, Turner DR, Pedra CA, Hellenbrand WE; Congenital Cardiovascular Interventional Study Consortium (CCISC). Procedural results and acute complications in stenting native and recurrent coarctation of the aorta in patients over 4 years of age: a multi-institutional study. catheter Cardiovasc Interv. 2007; 70(2): 276. Die Aortenisthmusstenose im Erwachsenenalter Harald Kaemmerer Claudia Pujol Ekatherina Kusmenkov Alexey Trepakov Nicole Nagdyman Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler Deutsches Herzzentrum München András Szatmári Hungarian Institute of Cardiology, Pediatric Cardiology, Budapest Was ist wichtig? • Die Aortenisthmusstenose (CoA) ist eine komplexe, kardiovaskuläre System-Erkrankung, die einer interventionellen oder chirurgischen Behandlung gut zugänglich ist. • Bei Erwachsenen mit CoA ist die interventionelle Behandlung in erfahrenen Händen das Verfahren der Wahl. Dies wurde insbesondere durch die jüngsten Fortschritte in der Stent-Technologie, u. a. mit der Entwicklung gecoverter Stents, möglich. • Neben der umschriebenen CoA bestehen häufig gleichzeitig andere kardiovaskuläre Anomalien und Probleme, wobei einer bicuspiden Aortenklappe, Gefäßwandveränderungen, einer arteriellen Hypertonie und vaskulären Aneurysmata besondere Bedeutung zukommt. • Auch nach einer primär erfolgreicher Behandlung finden sich fast regelhaft Rest- und Folgezustände mit gravierenden Auswirkungen auf die Prognose der Patienten, so dass diese besonders im Erwachsenenalter einer sorgfältigen Nachsorge, ggf. auch Behandlung, bedürfen. • Diagnostik und Therapie dieses komplexen angeborenen Herzfehlers sollten vorzugsweise in Kooperation mit einem Zentrum für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern erfolgen. Die Aortenisthmusstenose wird auch als Coarctatio aortae (CoA) bezeichnet. Sie ist als Teil einer generalisierten Arteriopathie eine komplexe kardiovaskuläre Erkrankung, und nicht nur eine umschriebene Aortenverengung (1, 2). Bei Erwachsenen liegt eine CoA fast immer distal des Abganges der linken Arteria subclavia, am Übergang des distalen Aortenbogens zur descendierenden Aorta. In seltenen Fällen kann eine CoA ektop in der ascendierenden, descendierenden oder abdominellen Aorta lokalisiert sein. Die ersten bekannten Beschreibungen stammen u. a. von Meckel (1750), Morgagni (1760), Jordan (1827), und Reynaud (1828) (3, 4). 31 Im Jahre 1903 unterteilte LM Bonnet die CoA in infantile und Erwachsenen-Typen. Der infantile Typ nach Bonnet war durch ein langes, schmales Aortensegment proximal des Ductus Botalli gekennzeichnet. Viele Patienten mit diesem Typ verstarben schon in früher Kindheit, häufig im Rahmen einer Herzinsuffizienz. Demgegenüber war der Erwachsenen-Typ durch eine umschriebene, postductal gelegene Aorten-Verengung gekennzeichnet und manifestierte sich klinisch nicht selten erst im späteren Lebensalter. Eine CoA kann als isolierter Defekt oder in Kombination mit anderen intra- und/oder extracardialen Anomalien auftreten. Sie ist oft assoziiert mit einer bicuspiden Aortenklappe (bis zu 85 %), einer subvalvulären, valvulären oder supravalvulären Aortenstenose, einer Mitralklappenstenose, anderen komplexen angeborenen Herzfehlern (z. B. Transposition der großen Arterien, Taussig-Bing-Anomalie, double-inlet left ventricle, Tricuspidalatresie mit Transposition der großen Arterien, hypoplastisches Linksherzsyndrom) oder mit intracerebralen Aneurysmata. Demgegenüber findet man eine CoA selten bei schweren rechtsseitigen Ausflusstraktobstruktionen. Eine CoA kann zudem mit einem Turner-, Noonan- oder Williams-Beuren-Syndrom, einem kongenitalen Rötelnsyndrom, einer Neurofibromatose, einer Takayasu-Aortitis oder einem Trauma vergesellschaftet sein. Klinischer Verlauf Der klinische Verlauf des Krankheitsbildes hängt maßgeblich von der vorliegenden Anatomie sowie vom Schweregrad der Stenose und den damit verbundenen Herz-Kreislaufbelastungen zusammen. A) Prae-ductale Aortenisthmusstenose • A-I: Taillierung mit verschlossenem Ductus arteriosus • A-II: schmaler Ductus arteriosus und Isthmushypoplasie • A-III:Isthmushypoplasie B) Juxta-ductale Aortenisthmusstenose C) Post-ductale Aortenisthmusstenose (aus: Sudhayakumar N et al: Coarctation of the Aorta. JPB 2008) (5) Abb. 1: Schematische Darstellung der verschiedenen Typen einer Aortenisthmusstenose Die Bonnet-Klassifikation wurde in der Folgezeit durch die „ductus tissue theory” ersetzt. Man sprach nun von einer prae-ductalen und post-ductalen CoA. Diese Unterteilung berücksichtigt die Pathogenese, gemäß der eine CoA postnatal, zum Zeitpunkt des Ductusverschlusses, durch Konstriktion von aberrantem Duktus-Gewebe entsteht. Somit liegt jede CoA „juxtaductal“. 32 Historische Studien belegen, dass innerhalb des ersten Lebensjahres 60 % der unbehandelten Patienten mit symptomatischer, hochgradiger CoA sowie 90% der Patienten mit komplizierter CoA verstarben. Von denen, welche die ersten zwei Jahre überlebten, starben 25 % vor dem 20. Lebensjahr, 50 % vor dem 32. Lebensjahr, 75 % vor dem 46. Lebensjahr und 92% vor dem 60. Lebensjahr (6). Einzelne Berichte beschreiben ein Überleben bis zum Alter von 78, 85 oder gar 92 Jahren (7). Generell gilt, dass unbehandelte Patienten, die spontan bis ins Erwachsenenalter überleben, zumeist eine milde CoA haben. Diese kann lange Zeit asymptomatisch sein, und bleibt nicht selten bis zur Adoleszenz oder gar bis zum höheren Erwachsenenalter unentdeckt. Hauptprobleme im natürlichen Verlauf, die durchaus letal enden können, sind Situationen wie Linksherzinsuffizienz (28 %), intrakranielle Blutungen (12 %), bakterielle Endokarditis (18 %), Aortenruptur/-Dissektion (21 %), vorzeitige koronare Herzkrankheit, und von assoziierten Herzfehlern ausgehende Komplikationen (8). Klinische, elektrokardiographische Befunde sowie Befunde der bildgebenden Untersuchungsverfahren bei Erwachsenen mit Aortenisthmusstenose werden an anderer Stelle im Detail dargestellt. A Resection/end–end C Interposition graft B Patch angioplasty D Subclavian flap E Resection/end–end Extended end–end Abb. 2: Schematische Darstellung wichtiger Operationsverfahren bei CoA (aus: Kaemmerer H: Aortic Coarctation and Interrupted Aortic Arch. In: Gatzoulis MA et al: Diagnosis and Management of Adult Congenital Heart Disease (14) Therapie Die Behandlung einer CoA erfolgt primär chirurgisch oder interventionell und zwar so früh wie möglich (9). Auch heute ist der optimale Behandlungszeitpunkt nicht gut bekannt. Er hängt u.a. von der Früh- und Spätmortalität der Eingriffe, dem Risiko von Re-Operationen oder Re-Interventionen sowie deren Auswirkung auf das BluthochdruckProfil ab (9). Eine kurative medikamentöse Therapie gibt es nicht. Sie dient fast ausschließlich der Behandlung von Komplikationen oder zur Überbrückung des Zeitraumes, bis der Patient einer angemessenen Therapie zugeführt werden kann. Im Erwachsenenalter findet man somit CoA’s nach interventioneller oder chirurgischer Behandlung oder solche, die noch einer definitiven Behandlung zugeführt werden müssen. Die erste erfolgreiche chirurgische CoA-Behandlung gelang 1944 in Form einer Resektion mit nachfolgender End-zu-End-Anastomose (10–12). In der Folgezeit wurde die Operationsmethode vielfach geändert. Einige Verfahren fanden allerdings nur kurze Zeit Anwendung und wurden wieder verlassen (13). Alle Verfahren hatten und haben das Ziel, die Stenose zu beseitigen, die Aorta spannungsfrei und das anastomosierte Gefäß frei durchgängig zu erhalten. Die Art des gewählten Eingriffes richtet sich dabei nach Art, Lokalisation und Ausdehnung der Stenose sowie dem Patientenalter. Alle Verfahren haben bestimmte Vorteile und Nachteile sowie Probleme im Langzeitverlauf. Besonderer Erwähnung bedürfen folgende Operationsverfahren, da auch heute noch viele Erwachsene, die mit einem dieser Verfahren operiert wurden, zur Verlaufskontrolle anstehen : • Resektion und End-zu-End Anastomose (nach CRAFOORD und NYLIN) • Resektion und Überbrückung durch Protheseninterposition (nach GROSS) • Direkte oder indirekte Isthmusplastik (nach VOSSSCHULTE) • Anlage eines Prothesenbypasses (nach BAFFES-MORRIS) • End-zu-Seit-Anastomose der linken A. subclavia mit der Aorta descendens (nach BLALOCK) • Resektion und End-zu-End-Anastomose der linken A. subclavia (nach CLAGETT) • Subclavia-Plastik (nach WALDHAUSEN). 33 Abb. 3: Aortenisthmusstenose im Langzeitverlauf: Pathophysiologische Veränderungen und deren klinische Konsequenzen (from: Bhatt AB, Defaria Yeh D. Long-term outcomes in coarctation of the aorta: an evolving story of success and new challenges. Heart. 2015 Aug 1; 101(15): 1173–5.) (22) Hinsichtlich der Morbidität und Mortalität der chirurgischen Behandlungsverfahren ist eine epochale Studie der Mayo-Clinic von 1989 erwähnenswert. Hierin liegen die Überlebensraten nach 10 Jahren bei 91 %, nach 20 Jahren bei 84 % und nach 30 Jahren bei 72 % (15). Trotz aller Verbesserungen der medizinischen und chirurgischen Versorgung fand sich in einer aktuellen Studie derselben Institution von 2013 eine sehr ähnliche postoperative Überlebensrate von 93 % nach 10 Jahren, 86 % nach 20 Jahren und 74 % nach 30 Jahren (9). Eine australischen Arbeitsgruppe berichtete kürzlich über eine statistische Überlebensrate von 98 % nach 40, 98 % nach 50 und 89 % nach 60 Jahren (16). Die chirurgische Reparatur einer CoA ist derzeit das primäre Verfahren bei Säuglingen und komplexen Läsionen (17). Als interventionelles Therapieverfahren steht bei der CoA seit 1982 die Ballonangioplastie zur Verfügung, die endovasculäre Stentversorgung seit 1991 (18, 19). Bei Erwachsenen mit CoA ist durch die jüngsten Fortschritte in der Stent-Technologie, u.a. mit der Entwicklung gecoverter Stents, die interventionelle Behandlung inzwischen in erfahrenen Händen das Verfahren der Wahl (17). Beide Methoden sind sowohl bei nativer CoA, als auch bei Reoder Reststenosen nach vorausgegangener chirurgischer Behandlung eingesetzt worden. 34 Rest- und Folgezustände der unterschiedlichen Behandlungsverfahren Im Folgenden werden typische Rest- und Folgezustände der unterschiedlichen Behandlungsverfahren beschrieben, die für die Langzeitbetreuung von Erwachsenen mit CoA von Bedeutung sind. Die operative Behandlung verbessert, zumindest kurzfristig, die klinische Symptomatik, das Blutdruckverhalten sowie die Überlebensrate. Allerdings scheint die Mortalität bei Patienten mit CoA langfristig aufgrund kardiovaskulärer Komplikationen höher als in der Allgemeinbevölkerung zu sein (19, 20). Die körperliche Leistungsfähigkeit ist meist nur leicht beeinträchtigt, und besser als bei vielen anderen angeborenen Herzfehlern (21). Zu den bedeutendsten Rest- und Folgezuständen bzw. Komplikationen der CoA-Behandlung gehören die arterielle Hypertonie, Re- oder Reststenosen sowie Aneurysmata in der Aorta ascendens oder in der ehemaligen CoA-Region. Zusätzliche Probleme können z. B. im Zusammenhang mit assoziierten Anomalien, einer bicuspiden Aortenklappe, Mitralklappen-Anomalien, einer koronaren Herzkrankheit, einer infektiösen Endokarditis oder zerebralen Gefäßanomalien auftreten. Zunehmend Beachtung findet auch eine Endotheldysfunktion und eine erhöhte Steifigkeit der Aorta, die zur Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung und einer diastolischen Herzinsuffizienz beitragen können (22). (Abb. 3) Arterielle Hypertonie Eine arterielle Hypertonie, in Ruhe oder unter Belastung, ist nach erfolgreicher CoA-Behandlung weit verbreitet, auch ohne Vorhandensein einer Re-/Reststenose (23, 20, 24, 25). Sie ist wichtiger Risikofaktor für eine erhöhte Morbidität und Letalität. Der arterielle Hypertonus bei CoA steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit Re-/Reststenosen, strukturellen Wandveränderungen der peripheren und zentralen Gefäße, Störungen der arteriellen Compliance, einem hypoplastischen Aortenbogen, einer abnormalen Gefäßwandreagibilität, einer abnormer Barorezeptorsensitivität, Veränderungen im Renin-Angiotensin-System, erhöhten Plasma-Adrenalin und -Noradrenalin-Werten oder einer coincidenten essentiellen arterieller Hypertonie. Selbst bei erfolgreich reparierter CoA finden sich Hinweise auf eine endotheliale Dysfunktion und eine Beeinträchtigung der arteriellen Dilatation durch postoperativ persistierende strukturelle und funktionelle Abnormalitäten im arteriellen Gefäßbett, das der Isthmusregion vorgeschaltet ist (26, 9). Sogar bei gut korrigierten, normotensiven CoA-Patienten kann die linksventrikuläre Muskelmasse erhöht sein und zu subendocardialen Ischämien, Arrhythmien und zu einer diastolischen Herzinsuffizienz führen (9). Insbesondere Patienten, die in der Frühzeit der Aortenchirurgie oder erst in höherem Lebensalter operiert wurden, sind gefährdet, frühzeitig einen arteriellen Hypertonus zu entwickeln (27). Je älter die Patienten zum Zeitpunkt der CoA-Reparatur waren, desto höher ist das Risiko einer postoperativen arteriellen Hypertonie (15). Demgegenüber haben Kinder, die bis zum 9. Lebensjahr operiert wurden, im späteren Leben häufiger einen normalen Blutdruck (9). Mehrere Studien belegen mit zunehmender Follow-upDauer nach CoA-Reparatur eine steigende Prävalenz von Bluthochdruck: 13 % nach 8 Jahren, 49 % nach 17 Jahren und 68 % nach 30 Jahren (28). Hypertensive Patienten sollen vor allem ab dem 3. und 4. Lebensjahrzehnt ein erhöhtes Risiko für eine frühzeitige koronare Herzkrankheit, ventrikuläre Funktionsstörungen und für Rupturen der Aorta oder zerebraler Aneurysmata haben. Prognostische Bedeutung und Behandlungsindikationen eines isolierten, belastungsinduzierten Hypertonus, der bei diesen Patienten nicht selten ist, wird kontrovers diskutiert (27, 29, 30). Re- oder Rest-Stenosen Re- oder Rest-Stenosen im ehemaligen Isthmusbereich sind nach CoA-Behandlung durch einen systolischen Gradienten von mehr als 20 mmHg gekennzeichnet (31). Diese Stenosen können eine arterielle Hypertonie mitbedingen oder aggravieren und zur Zunahme der linksventrikulären Muskelmasse, zur Entwicklung einer koronare Herzkrankheit und ⁄ oder Herzinsuffizienz beitragen. Postoperativ finden sich Re- oder Rest-Stenosen in älteren Studien bei 3–41 % aller Patienten und bei allen bekannten Operationstechniken (28, 32). Choudhary et al berichteten 2015 über eine Re-Coarctationsrate von 34 %, wobei diese seltener nach End-zu-End-Repair als bei anderen Verfahren festgestellt wurden (16). Man findet sie gehäuft bei kleinen Patienten, bei jungem Alter zum Zeitpunkt der Operation und bei hypoplastischem Aortenbogen. Zudem wird das Stenoserisiko von der Ära der Operation, der OP-Technik und dem Follow-up-Intervall beeinflusst. Besonders gefährdet sind Kinder, die im frühen Säuglingsalter operiert wurden. Bei diesen liegt die Inzidenz von Rest- und Re-Stenosen bei 20–38 %, während sie bei Patienten, die zum OP-Zeitpunkt älter als 3 Jahre waren, nur etwa 1,5 % ausmacht. Die Angioplastie einer CoA kann bei einer längerstreckigen Verengung oder bei seriellen Obstruktionen insbesondere aufgrund elastischer Rückstellkräfte nicht ausreichend effektiv sein. In solchen Situationen erweisen sich Stents zumindest kurz- bis mittelfristig als wirksam und sicher. Falls erforderlich können auch Re-Dilatationen im Stentbereich erfolgen. Eine umfassende Auswertung der Verläufe Abb. 4: Cardio-MRT: Aneurysma der Aorta ascendens (Durchmesser 83 mm) bei einem 49-jährigen Patienten mit CoA und bicuspider Aortenklappe, 39 Jahre nach End-End-Anastomose der CoA (S. Fratz, Deutsches Herzzentrum München). 35 nach Stentversorgung einer CoA liefert das Congenital Cardiovascular Interventional Study Consortium (CCISC) Register (33). Neue Entwicklungen gehen in Richtung resorbierbarer Stents. Aneurysmata der Aorta ascendens oder im Bereich des Aortenisthmus Aneurysmata der Aorta ascendens oder im Bereich des Aortenisthmus sind potentiell lebensbedrohlich, da sie dissezieren und rupturieren können. In postoperativen Verlaufsstudien wird dementsprechend immer wieder über Spättodesfälle durch eine Aortendissektion berichtet. Vorzugsweise ist dabei die Aorta ascendens betroffen. Warum Aneurysmata gerade hier auftreten, ist nicht vollständig geklärt, aber intrinsische Aortenwandveränderungen, assoziierte bicuspide Aortenklappen und ⁄ oder eine arterielle Hypertonie dürften mitverantwortlich sein (2). Alle Eingriffe (Operationen oder Interventionen) im Isthmusbereich sind mit dem Risiko einer Aneurysmabildung behaftet. Beeinflusst wird dies postoperativ vom Zeitpunkt, zu dem der Eingriff durchgeführt wurde, dem Patientenalter zum Operationszeitpunkt, dem postoperativen Intervall und der verwendeten chirurgischen Technik. Jüngere Studien zeigen, dass Aortenaneurysmata postoperativ nur bei 5–9 % der Patienten auftreten, während ältere Untersuchungen, insbes. nach Dacron-Patch-Aortoplastie, bei bis zu 33 %–51 % über Aneurysmabildungen berichten (34). Die niedrigste Inzidenz findet sich nach End-End-Anastomosen oder bei extraanatomischen Rohrprothesen. Aktuelle Daten von 2015 beschreiben Aneurysmata in der Aorta descendens in 18 %, wobei auch diese seltener nach End-zu-End-Repair als bei anderen Verfahren gefunden wurden (16). Ob und wann Aneurysmata postoperativ auftreten, kann nicht sicher vorhergesagt werden. Viele Aneurysmata sind Zufallsbefunde, weil sie nur selten Symptome hervorrufen. In Einzelfällen wurden postoperative Aneurysmata erst nach einem Intervall von mehr als 30 Jahren diagnostiziert. Nach interventionellen Eingriffen können Aneurysmata an einer nativen oder voroperierten Aorta durch Schädigung der Gefäßwandschichten schon während oder kurz nach der Behandlung auftreten (31). Selbst größere Wandeinrisse können sich aber post interventionem ohne Aneurysmabildung wieder zurückbilden. Das seltenere Auftreten von Aortendissektion oder -rupturen nach einer vorausgegangenen Operation kann sich durch Narbengewebe erklären lassen, das möglicherweise eine gewisse Stabilität und Protektion in dieser Region bieten kann (Abb. 4). 36 Infektiöse Endokarditis oder Aortitis Bislang wurde angenommen, dass Patienten mit nativer CoA primär wegen einer abnormen Gefäßwandstruktur, dem abnormem Blutfluss bei assoziierten Aorten- und Mitralklappen-Anomalien oder wegen persistierender Obstruktionen im CoA-Bereich für eine infektiöse Endokarditis oder Aortitis prädisponiert sind. Diese Gefahr soll auch nach chirurgischen oder interventionellen Eingriffen bestehen. Dementsprechend wurde über Jahrzehnte nach chirurgischer oder interventioneller Behandlung einer Aortenisthmusstenose bei gegebener Indikation eine lebenslange Endokarditisprophylaxe empfohlen. Folgt man aktuellen Leitlinienempfehlungen, so wird eine Endokarditisprophylaxe dennoch nicht mehr als zwingend erforderlich angesehen (35). Allerdings sollte man nach Ansicht der Autoren kritisch hinterfragen, ob diese revidierten Leitlinien, in denen die Indikation zur Endokarditisprophylaxe gelockert wurde, auch bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern Anwendung finden sollte, da diese ein vergleichsweise hohes Endokarditisrisiko haben! Immerhin ermöglicht das erwähnte Positionspapier zur Endokarditisprophylaxe dem behandelnden Arzt, die Durchführung einer Endokarditisprophylaxe individuell und in Absprache mit dem Patienten zu entscheiden. Abweichend von den gängigen Empfehlungen halten die Autoren an den älteren Empfehlungen fest und befürworten bei entsprechender Indikation eine Endokarditisprophylaxe – allerdings nach umfassender Information der Patienten. Bicuspide Aortenklappe Bis zu 50 % (-85 %) der CoA-Patienten haben eine bicuspide Aortenklappe (36). An dieser verursachen Fibrosierungen, Verkalkungen oder myxomatöse Degenerationen eine Aortenklappenstenose und / oder Aortenklappeninsuffizienz. Zudem prädisponiert diese Anomalie zur Ektasie bzw. Aneurysmabildung im Bereich der aufsteigenden Aorta, und letztere wiederum zur Aortendissektion und -ruptur (15). Die Komplikationsrate bei bicuspiden Aortenklappen steigt mit zunehmendem Alter. Aneurysma des Circulus Willisii Aneurysmata im Bereich des Circulus Willisii werden bei bis zu 11 % der Patienten mit CoA gefunden (37, 38). Die Größe dieser Aneurysmata sowie die Rupturgefahr steigt mit dem Alter und einem unzureichend eingestellten arteriellen Blutdruck. Vor der Ruptur kommt es nur in Einzelfällen zu Warnsymptomen wie Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit oder Schwäche. Viele Betroffene sind bis zur Ruptur asymptomatisch (39). Da eine Ruptur mit hoher Letalität einhergeht, sollte eine spezifische primärprophylaktische Behandlung umgehend nach Diagnosestellung erwogen werden. Ein generelles Screening auf cerebrovaskuläre Aneurysmata wird gegenwärtig allerdings noch kontrovers diskutiert (37). Koronare Herzkrankheit Wie schon erwähnt, finden sich in einigen älteren Studien Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine frühzeitige koronare Herzkrankheit, insbesondere bei hypertensiven Patienten ab dem 3. und 4. Lebensjahrzehnt. In der großen Mayo-Clinic-Studie von 1989 war eine koronare Herzkrankheit die häufigste Ursache der spät-postoperativen Todesfälle (15). Schon bei Kindern nach CoA-Operation wurde eine erhöhte Intima-Media-Dicke gefunden und als Hinweis auf ein erhöhtes Coronar-Risiko gewertet (40). Ob diese Sorge zu Recht besteht, ist unklar. Im eigenen Krankengut, das mehreren hundert erwachsenen CoA-Patienten umfasst, ist keine Häufung einer stenosierenden koronaren Herzerkrankung aufgefallen. Diese Beobachtung deckt sich mit kanadischen Daten, nach denen das alleinige Vorhandensein einer CoA kein Prädiktor für die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit ist (41). In dieser Studie wird aber dennoch auf die Bedeutung präventiver Maßnahmen hingewiesen. Schulterhochstand Ein linksseitiger Schulterhochstand findet sich bei vielen Erwachsenen nach links-lateraler Thorakotomie, die vermutlich zu einer Funktionsstörungen der peripheren nervalen Versorgung der Skelettmuskulatur des M. latissimus dorsi und M. serratus anterior führt (42). Dies kann thorakale Schmerzen verursachen, die als Stenocardien fehlinterpretiert werden. Schwangerschaft bei CoA Erfreulicherweise tolerieren viele Frauen nach erfolgreicher CoA-Behandlung eine Schwangerschaft ohne größere Probleme. Dennoch besteht bei nativer oder vorbehandelter CoA die Gefahr, dass sich aufgrund der physiologischen hämodynamischen und hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft insbesondere im dritten Trimenon oder peripartal Komplikationen einstellen (43). Dies macht eine multidisziplinäre Schwangerschaftsbetreuung erforderlich, in die Geburtshelfer, Gynaekologen, Neonatologen, Genetiker, Intensivmediziner, Anaesthesisten und ggf. auch Herzchirurgen integriert werden müssen. Das höchste Schwangerschaftsrisiko tragen Frauen mit unbehandelter CoA, Re-/Rest-CoA oder unzureichend eingestellter arterieller Hypertonie. Einzelne Berichte über mütterliche Todesfälle durch Aortendissektion oder Ruptur cerebraler Aneurysmata liegen vor. Besonders gefährdet hinsichtlich einer Aortendissektion/-ruptur während der Schwangerschaft oder unter der Geburt sind Frauen, die im Rahmen ihrer CoA ein Aortenaneurysma entwickelt haben (44). Das Wiederholungsrisiko einer CoA bei den Nachkommen von Eltern mit CoA ist erhöht und steigt mit der Anzahl betroffener Angehöriger. Das Wiederholungsrisiko einer CoA liegt bei etwa 2 % wenn ein Geschwisterkind betroffen ist und bei etwa 6 %, wenn zwei Geschwister betroffen sind (45). Eine fetale Echokardiographie zum Nachweis einer angeborenen Fehlbildung ist früh in der Schwangerschaft obligatorisch. Empfehlungen für Management von Erwachsenen mit Aortenisthmusstenose im Langzeitverlauf Eine CoA ist eine chronische Erkrankung, die wegen der insgesamt gegenüber einem Normalkollektiv erhöhten Morbidität und Letalität eine lebenslange serielle Nachbetreuung benötigt, um Probleme oder Komplikationen rechtzeitig zu identifizieren und zu behandeln (46). Alle Betroffenen, bei denen keine relevanten Residualbefunde vorliegen, sollten etwa einmal pro Jahr von einem EMAH-Kardiologen gesehen werden. Ist mit Komplikationen zu rechnen, sind engmaschigere Kontrollen erforderlich. Im Rahmen von Verlaufskontrollen und Nachsorgeuntersuchungen wird speziell nach Spätkomplikationen, insbesondere einer arteriellen Hypertonie, Re-Obstruktionen, Aneurysmata oder Komplikationen durch assoziierte Anomalien, gefahndet. Da die alleinige klinische Untersuchung dabei nicht ausreicht, ist der additive Einsatz moderner bildgebender Verfahren (MRT/CT) unabdingbar. Patienten ohne Re-/Restbefunde, ohne signifikanten Restgradient über die Isthmusregion, die einen normalen Blutdruck in Ruhe und bei Belastung haben, können in der Regel körperlich aktiv sein und ein Leben ohne wesentliche körperliche Einschränkungen führen. Ausgenommen hiervon sind exzessive statische Belastungen auf Wettkampfniveau (47, 48). Patienten mit arterieller Hypertonie, Re- oder Reststenosen im Isthmusbereich oder andere Komplikationen sollten schwere isometrische Belastungen vermeiden. Bei den folgenden Patienten oder Befundkonstellationen können chirurgische oder perkutane Behandlungen erforderlich werden (49, 17): • Symptomatische Patienten mit Blutdruckgradienten > 20 mmHg im Bereich des Aortenisthmus 37 • Asymptomatische Patienten mit Blutdruckgradienten > 20 mmHg im Bereich des Aortenisthmus und pathologischem Blutdruckverhalten während der Belastung oder mit signifikanter linksventrikulärer Hypertrophie. • Patienten mit Lumeneinengung der Aorta (in MRT, CT oder Angiographie) auf ≥ 50 % im Vergleich zur Aortenweite auf Höhe des Zwerchfelldurchtrittes, unabhängig vom Druckgradienten. • Höhergradige, begleitende Aortenklappenstenose oder -insuffizienz • Verschlechterung einer Herzinsuffizienz mit systolischer oder diastolischen Dysfunktion und ⁄ oder refraktärer Hypertonie • Aneurysma der Aorta ascendens • Aneurysma im ehemaligen CoA-Bereich • Symptomatische oder große Aneurysmata im Bereich des Circulus Willisii. • Bei ausgeprägten Kollateralen kann die Behandlung auch trotz Fehlen der genannten klinischen oder hämodynamischen Kriterien indiziert sein. Falls eine Behandlung erforderlich ist, sollte diese in einem Zentrum erfolgen, das tatsächlich über ausreichend Erfahrung in der Behandlung von Aortenisthmusstenosen aller Altersklassen verfügt. Die chirurgische Behandlung einer Re-CoA ist anspruchsvoll und mit einer erheblichen Morbidität, Mortalität und Rezidivrate belastet. Die wichtigsten Komplikationen nach Re-Operation oder bei Re-Intervention sind eine frühe paradoxe Rebound-Hypertonie, Restenosen, Aneurysmabildungen, cerebrale Insulte, Verletzungen des N. phrenicus oder des N. recurrens sowie Querschnittslähmungen. Die interventionelle Behandlung einer Re-CoA im Erwachsenenalter ist in erfahrenen Händen sicher und effektiv. Auch hier sind serielle Nachsorgeuntersuchungen notwendig. Empfehlungen zur pharmakologischen Behandlung Eine medikamentöse Behandlung zielt darauf ab, den Blutdruck vor und nach der Operation zu kontrollieren. Ein arterieller Hypertonus wird vorzugsweise mit Betablockern, ACE-Inhibitoren, AT-II-Antagonisten, Calcium-Antagonisten und/oder Diuretika behandelt. Es ist jedoch zu beachten, dass ACE-Hemmer oder AT-II-Antagonisten bei Vorliegen einer Restenge im Aortenbogen oder –isthmusbereich nicht unbedingt günstig sind. Bei einigen Betroffenen kann es durchaus schwierig sein, den Blutdruck in einen tolerablen „nahe-normotensiven“ Bereich zu senken. Gelegentlich, und nicht nur bei Restenosen, ist eine Kombinationstherapie mit mehreren Blutdrucksenkern erforderlich. Dabei muss beachtet werden, dass eine starke Blut- 38 drucksenkung nicht zu einer unzureichenden Perfusion der unteren Körperhälfte und der Nieren führt. Bei signifikanten Restenosen ist eine Pharmakotherapie nicht selten ineffektiv. Früh-postoperativ und postinterventionell kann es vor allem in den ersten 2–14 Tagen durch eine verzögerte Rückstellung des Barorezeptor-Reflexes zu einer paradoxen Hypertonie kommen. Dieses sog. „post-coarctation Syndrome“ manifestiert sich als schwere arterielle Hypertonie, die bis zu einer folgenschweren, mesenterialen Arteriitis fortschreiten kann. In solchen Fällen ist eine frühzeitige, aggressive antihypertensive Behandlung notwendig, wobei sich Betablockern als besonders wirksam erwiesen haben (50, 51). Da ein langjähriger arterieller Hypertonus das Risiko für eine koronare Herzkrankheit möglicherweise erhöhen kann, sollten zusätzliche coronare Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Fettstoffwechselstörungen und/oder Rauchen kontrolliert, modifiziert und ggf. pharmakologisch behandelt werden (41). Literatur 1. Marx GR. "Repaired" aortic coarctation in adults: not a „simple“ congenital heart defect. J Am Coll Cardiol 2000; 35: 1003–6. 2. Niwa K, Perloff JK, Bhuta SM, et al. Structural Abnormalities of Great Arterial Walls in Congenital Heart Disease Light and Electron Microscopic Analyses. Circulation 2001;103:393-400. 3. Acierno LJ, . 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N Engl J Med 1985;312:1224-8. 39 Die ambulante Blutdruck-Langzeitmessung – Diagnostik und Therapiesteuerung Martin Middeke Hypertoniezentrum München Hypertension Excellence Centre of the European Society of Hypertension (ESH) Die ambulante Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM) ist der Goldstandard zur Erfassung einer manifesten Hypertonie oder einer maskierten Hypertonie, zum Ausschluss einer Praxishypertonie, so wie zur Charakterisierung der Blutdruckvariabilität und des Tag-Nacht-Rhythmus, und somit zur Steuerung der antihypertensiven Chronotherapie. 40 Blutdruckvariabilität Die permanenten Fluktuationen des Blutdrucks sind für den Patienten immer wieder überraschend („Herr Doktor, mein Blutdruck schwankt so …“); sie haben aber auch große klinische Bedeutung. Das Ausmaß der hypertensiven Organschäden wird nicht nur von der absoluten Blutdruckhöhe bestimmt, sondern auch von der Variabilität des Blutdrucks. Blutdruckvariabilität ist ein (unabhängiger) Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse (3, 14, 16). Sie umfasst die Schwankungen mit jeder Herzaktion (beat-tobeat), Tag-Nacht-Schwankungen, Schwankungen von Tag zu Tag und saisonale Variationen. Eine erhöhte Blutdruckvariabilität am Tage erhöht das Risiko, während eine normale nächtliche Blutdrucksenkung das Risiko vermindert. Die Blutdruckvariabilität ist bei Hypertonikern ausgeprägter und frequenter als bei Normotonikern und nimmt mit dem Alter zu. Schnelle und kurzfristige Blutdruckschwankungen sind nicht zufällig, sondern unterliegen regelmäßigen und spontanen Oszillationen endogenen Ursprungs über einen Spektrumsbereich von ca. 0,016–0,04 Hertz (sehr niedrig frequente Vasomotoren-Aktivität zur lokalen Anpassung des Gefäßwiderstandes) über 0,05–0,2 Hertz (Mayer-Wellen als Marker der sympathischen Aktivität ca. 3–9/min) bis ca. 0,5–0,7 Hertz (respiratorische Wellen ca. 12–16/min). Diese Oszillationen sind im Rahmen der Hochdruckdiagnostik und -therapie nicht relevant und nur mittels kontinuierlicher beat-to-beat-Registrierung messbar. Die wichtigsten Determinanten der Blutdruckvariabilität sind in Abb. 1 dargestellt. • Körperliche Aktivität / Ruhe • Mentale und psychische Beanspruchung / Entspannung • Emotionales Befinden • Psychosoziale Einflüsse Der saisonale Rhythmus mit höheren Werten im Winter hat eine gewisse epidemiologische Bedeutung und ist am ehesten bedingt durch Kälte und Vitamin-D-Mangel. Einheitliche Normwerte für diese Parameter existieren nicht. Dies gilt auch für die simple Berechnung der Variabilität über mehrere Messungen in der Praxis oder Klinik und für die Selbstmessung der Patienten im Alltag. Die nationalen und internationalen Leitlinien betonen in den letzten Jahren die Bedeutung der Blutdruckvariabilität, geben aber keinerlei Empfehlungen für Normalwerte (16). • Gefäßtonus • Gefäßelastizität • VasomotorenAktivität Blutdruckvariabilität BlutdruckRhythmus • Zirkadian • saisonal • Baroreflexaktivität • Sympathikovagale Balance • Hormonelle Effekte • Humorale Faktoren Abb. 1: Determinanten der Blutdruckvariabilität (11) Die klinisch relevanteste und einfach messbare Blutdruckvariabilität spielt sich in zirkadianen und saisonalen Rhythmen ab. Die größte Bedeutung hat der mittels ambulanter Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM) ermittelte zirkadiane Rhythmus (Tag-Nacht-Rhythmus) mit einer Tag-NachtDifferenz von normalerweise ca. 10–20 mmHg. Das Ausmaß der Nachtabsenkung (in % des Tagesmittelwerts) definiert folgende Patientengruppen: • „normal dipper“ 10–20% • „non-dipper“< 10% • „inverted dipper“< 0% • „extreme dipper“ > 20% Sowohl eine erhöhte Tag-Nacht-Differenz bei starker Nachtabsenkung des Blutdrucks („extreme dipper“) als auch eine verminderte Differenz bei unzureichender Nachtabsenkung („non-dipper“) und damit verminderter Blutdruckvariabilität sind mit einem erhöhten Risiko verbunden (2). Hierzu liegen prospektive Studiendaten vor, die sowohl das erhöhte Risiko bei Normabweichungen vom normalen Rhythmus zeigen, als auch für die individuelle Wahl des Dosierungszeitpunkts und der Dosierungsintervalle von Bedeutung sind (4, 5, 8, 10). Am besten lässt sich mit der ambulanten BlutdruckLangzeitmessung überprüfen, ob tatsächlich eine abnorme Blutdruckvariabilität und evtl. krisenhafte Anstiege vorliegen, wie ausgeprägt sie sind, wie lange sie andauern und welche Alltagssituation hierfür verantwortlich ist. Hilfreich ist hier auch die telemetrische Übertragung der Blutdruckwerte aus der häuslichen Umgebung, um dieses in der Praxis gehäuft zu beobachtende Problem bei inzwischen vielen Millionen Selbstmessern zu lösen. Die Senkung des Blutdruckniveaus durch antihypertensive Therapie führt in der Regel auch zur Abnahme der Blutdruckvariabilität. Prospektive Studien, die zeigen, dass eine stärkere Senkung der Blutdruckvariabilität (z. B. SD der ABDM) kardiovaskuläre Ereignisse besser verhindern kann, liegen bisher nicht vor. Indirekte nichtinvasive BlutdruckLangzeitmessung Die Einführung der ambulanten, nichtinvasiven und diskontinuierlichen Blutdruck-Langzeitmessung in die klinische Routine hat die Kenntnisse über die normale TagNacht-Variabilität und deren Normabweichungen erheblich 41 bereichert und die Definition verschiedener Hochdruckformen ergänzt. Die Reproduzierbarkeit ist sehr gut und die Übereinstimmung mit einer kontinuierlichen Blutdruck-Registrierung ebenfalls (1, 17). Die Deutsche Hochdruckliga hat als eine der ersten Fachgesellschaften weltweit die Bedeutung der ABDM einschließlich der Blutdruckvariabilität und deren Anwendung in einer entsprechenden Leitlinie verfasst und kürzlich aktualisiert (1, 7). In Abb. 2 und 3 sind die nun auch international akzeptierten Normwerte aufgeführt und der „Dipper-Status“ definiert. In Abb. 4 werden die Äquivalenzwerte für die Blutdruckkategorie entsprechend der Einteilung bei der konventionellen Messung in der Praxis dargestellt (7). Die meisten Untersuchungen leiten die Blutdruckvariabilität aus der Standardabweichung über 24 Stunden und/oder am Tag und in der Nacht ab. Um den Einfluss der Tag-Nacht-Variabilität zu minimieren, wurden mathematische Modelle wie die residuale oder gewichtete Standardabweichung oder der Smoothness-Index vorgeschlagen. Diese Parameter haben sich in der Praxis bisher nicht durchgesetzt. Dies insbesondere weil die herkömmliche Software der ABDM-Anbieter keine entsprechenden Auswertungen vorhält. Es gibt auch für diese Parameter bisher keine einheitlichen Normwerte, die z. B. in Leitlinien empfohlen werden. Die meisten ABDM-Anbieter geben neben den wichtigen Mittelwerten für Tag, Nacht und 24 h auch die entsprechen- Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM): Normwerte und Definitionen Nachtabsenkung im Vergleich zum Tagesmittelwert (Dipper-Status) Mittelwerte Standardabweichung Dipper 10 – 20 % Tagesmittelwert <135/85 mmHg <12/10 mmHg Non-dipper < 10 % Nachtmittelwert <120/75 mmHg <14/10 mmHg Inverted dipper <0% Extreme dipper > 20 % 24h-Mittelwert <130/80 mmHg Abb. 2: Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung Abb. 3: Nachtabsenkung im Vergleich zum Tagesmittelwert (Dipper-Status) Die zirkadiane Blutdruckvariabilität wird unter Alltagsbedingungen entscheidend beeinflusst von der Abfolge von Aktivitäts- und Ruhephasen sowie von psychosozialen Verhaltensweisen und emotionalen Einflüssen. Abweichungen von der normalen Zeitstruktur des Blutdruckes sind relativ häufig, und haben vielfältige Ursachen, wie hormonelle und autonome Dysregulationen, und andere Faktoren der kardiovaskulären Regulation. Die Nierenfunktion hat hier eine herausragende Bedeutung (10). Die Chronopathologie (Abb. 5) beschreibt die verschiedenen Phänomene der Normabweichung im zeitlichen Verlauf, ihre Charakteristika, die Ursachen, die diagnostische und prognostische Bedeutung, sowie die therapeutischen Konsequenzen (12). Die Chronopharmakologie untersucht die Wirkung (Pharmakodynamik) der Antihypertensiva in Abhängigkeit von der Tageszeit, z. B. die morgendliche gegen abendliche Einnahme in Cross-over-Studien (5). Die erste Untersuchung bei Patienten mit primärer Hypertonie erfolgte 1991 (8). Antihypertensive Chronotherapie bedeutet den Zeitpunkt der Einnahme und die Dosierungsintervalle der Medikation individuell zu gestalten unter besonderer Berücksichtigung der Blutdruckvariabilität des einzelnen Patienten nach den Kriterien der ABDM. den Stardardabweichungen an. Aus einer großen weltweiten ABDM-Datenbank können die SD von unbehandelten Patienten mit Grenzwerthypertonie, also am Übergang zur manifesten Hypertonie, als Anhalt dienen (Abb. 2). Das Ergebnis der Blutdruckvariabilität ist u. a. auch abhängig von den Messintervallen. Die Vorgaben der Leitlinien sind alle 15 Minuten am Tage und alle 30 Minuten in der Nacht zu messen. Dabei sollte das display ausgeschaltet werden um eine (negative) Rückmeldung an den Patienten zu verhindern. Durch die relativ hohe Messdichte von ca. 70 Messungen über 24 Stunden steigt die Sicherheit bei der Bewertung des wahren Blutdruckniveaus im Vergleich zu Einzelmessungen drastisch an. Mit der ABDM können u. a. erfasst werden: die durchschnittliche Blutdruckhöhe am Tage und in der Nacht, Blutdruckschwankungen und die Blutdruckvariabilität (z. B. Standardabweichung), Fehlen oder Verminderung der normalen Blutdrucksenkung in der Nacht, oder außergewöhnliche Blutdruckanstiege in der Nacht oder in den Morgenstunden. Eine verminderte Nachtabsenkung des Blutdruckes bzw. ein Anstieg während des Schlafes ist häufig bei sekundären Hochdruckformen oder schweren hypertensiven Organschäden zu finden. Die alleinige Praxismessung führt in ca. 30 % zu einer falschen Charakterisierung der Patienten 42 bzw. der Blutdrucksituation (Praxishypertonie bzw. Praxisnormotonie oder maskierte Hypertonie). Die Praxishypertonie ist gekennzeichnet durch normale oder niedrige Blutdruckwerte in der ABDM und erhöhte Werte in der Praxis oder Klinik. Dies Phänomen ist hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist hingegen die maskierte Hypertonie. Maskierte Hypertonie Arbeitsalltag unter hoher Stressbelastung bei normalen Blutdruckwerten in der Praxis in Ruhe und unter standardisierter Belastung. Insbesondere die Diskrepanz zwischen hohem Blutdruck während mentaler Beanspruchung im Alltag und normaler Blutdruckreaktion unter standardisierter, körperlicher Belastung spricht für die ursächliche Beteiligung von Stress bei der Hochdruckentstehung. Diese Konstellation ist charakteristisch für diese besondere Hochdruckform. So kann ein wichtiger kausaler Faktor der primären Hypertonie aufgedeckt werden. Die maskierte Hypertonie ist definiert als eine Hypertonieform mit normalen Blutdruckwerten in der Praxis/Klinik Definition der Blutdruckkategorien Kategorie Optimal Normal Hochnormal Grad 1 Grad 2 Grad 3 Isolierte systolische Hypertonie Systolisch (mmHg) Praxis BD ABDM-TM <120 <115 <130 115–124 130–139 125–134 140–159 135–146 160–179 147–156 ≥ 180 ≥ 157 ≥ 140 ≥ 135 Diastolisch (mmHg) Praxis BD ABDM-TM < 80 < 75 < 85 75–79 85–89 80–84 90–99 85–89 100–109 90–95 ≥ 110 ≥ 96 < 90 < 85 ABDM-TM=Tagesmittelwert der ABDM Abb. 4: Definition der Blutdruckkategorien und erhöhten Werten im Alltag außerhalb der Praxis/Klinik in der ambulanten Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM) oder der Selbstmessung (13, 15). Die maskierte Hypertonie tritt bei unbehandelten Patienten auf, betrifft aber auch Hypertoniker unter antihypertensiver Therapie (6, 7, 8). In der deutschen Pharao-Studie war die maskierte Hypertonie mit 35 % doppelt so häufig wie die Praxishypertonie mit 16 % in einem Kollektiv von 1008 Patienten mit hoch normalem Blutdruck (6). Die korrekt durchgeführte Selbstmessung des Blutdruckes ist als Alternative bzw. ergänzend geeignet um eine Praxishypertonie bzw. eine maskierte Hypertonie zu erkennen. Die europäischen Leitlinien empfehlen ausdrücklich die Durchführung der ABDM zum Ausschluss einer Praxishypertonie und zur Erkennung einer maskierten Hypertonie (16). Die maskierte Hypertonie wird häufiger bei Männern beobachtet in Verbindung mit Lebensstilfaktoren (Raucher, Alkoholkonsum, Übergewicht) und psychosozialen Stressfaktoren (13, 15). Das Risiko entspricht dem der manifesten Hypertonie (15) und daraus ergibt sich die Behandlungsindikation. Die maskierte Hypertonie ist die klassische Form einer stressinduzierten Hypertonie mit erhöhtem Blutdruck im Antihypertensive Chronotherapie Antihypertensive Chronotherapie bedeutet den Zeitpunkt der Einnahme und die Dosierungsintervalle der Medikation individuell zu gestalten unter besonderer Berücksichtigung der Blutdruck-Variabilität des einzelnen Patienten nach den Kriterien der ABDM. Die blutdrucksenkende Wirkung einer Substanz kann ohne Berücksichtigung der Tageszeit, des Messzeitpunkts und des Zeitpunkts der Einnahme nicht umfassend beurteilt werden. Dies ist besonders wichtig mit Blick auf die 24-Stunden-Wirkung. Ebenso muss eine optimale antihypertensive Therapie hinsichtlich Dosis und Dosierungsintervallen den individuellen Blutdruckrhythmus über die Zeit berücksichtigen (Abb. 6). Für eine effektive antihypertensive Therapie, die insbesondere bei mittelschwerer bis schwerer Hypertonie mit oder ohne hypertensive Organschäden die Morbidität und Mortalität reduzieren soll, ist eine dauerhafte Blutdrucksenkung über 24 Stunden mit erhaltenem oder wieder hergestelltem Blutdruckrhythmus notwendig. An diesen Vorgaben müssen sich jede antihypertensive Wirksubstanz und jede Therapieform messen lassen. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik der Antihypertensiva sind ganz wesentlich von der Tageszeit abhängig (4, 5, 8, 10). Mit Blick auf den zirkadianen Blutdruckrhythmus und die 43 vielfältigen Formen des nächtlichen Blutdruckverhaltens ist eine individuelle Anpassung der Dosierungsintervalle bei einigen besonderen Patientenkollektiven zwingend notwendig. Insbesondere eine nächtliche Blutdrucksenkung und die Wiederherstellung eines normalen zirkadianen Rhythmus sind wichtige Therapieziele bei Risikopatienten mit nächtlicher Hypertonie (non dipper) oder einer Inversion des Blutdruckrhythmus (inverted dipper) z. B. bei der renalen Hypertonie. Betroffen sind insbesondere hypertensive Diabetiker, Patienten mit hypertensiven Organschäden wie Niereninsuffizienz und Hochdruckherz, und Patienten mit einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom. Die Verhinderung eines überschießenden morgendlichen Blutdruckanstiegs ist heute als weiteres Therapieziel defi- Diese zusätzliche abendliche Therapie ist bei Patienten mit einer Inversion des zirkadianen Blutdruckrhythmus unumgänglich, um eine ausreichende nächtliche Blutdrucksenkung zu erreichen. Die Nachtabsenkung des Blutdrucks ist bei älteren Patienten (> 70 Jahre) häufig vermindert. Bei älteren Hypertonikern hat der nächtliche Blutdruck eine ganz besondere Bedeutung: in der australischen nationalen Blutdruckstudie (ANBP 2) hatte nur der nächtliche Blutdruck eine signifikante Relation zu kardiovaskulären Ereignissen oder Tod, nicht jedoch der Tagesblutdruck und nicht der Praxisblutdruck. Abb. 5: Chronopathologie der arteriellen Hypertonie (12). Schematische Darstellung der Varianten des zirkadianen Rhythmus (Tag-Nacht-Rhythmus) Abb. 6: Antihypertensive Chronotherapie (12) bei verschiedenen zirkadianen Phänotypen der Hypertonie niert, um die Häufung kardio- und zerebrovaskulärer Komplikationen in den Morgenstunden besser zu verhindern. Um diese Therapieziele zu erreichen, ist eine individuelle Auswahl der antihypertensiven Substanzen ebenso notwendig, wie das richtige Dosierungsintervall. mit einer manifesten KHK oder Zerebralsklerose die Gefahr nächtlicher myokardialer oder zerebraler Ischämien erhöhen. Bei spontaner Blutdrucksenkung > 20 % in der Nacht (extreme dipper) darf daher keine abendliche Einnahme des Antihypertensivums erfolgen. Fällt der Blutdruck in der Nacht sehr stark ab, ist es sinnvoll, nach Maßgabe der Langzeitmessung am Tage evtl. nur eine Substanz mit mittellanger Wirkung einzusetzen. Chronotherapeutisches Vorgehen Bei der Mehrzahl der Patienten mit primärer Hypertonie ist ein normaler zirkadianer Rhythmus vorhanden. Hier wird mit einer langwirksamen Substanz in Monotherapie oder einer Kombinationstherapie und Einnahme mit dem Aufstehen bei den Patienten mit leichter bis mittelschwerer Hypertonie eine Blutdrucknormalisierung über 24 Stunden erreicht. Auch bei Patienten mit abgeschwächter oder aufgehobener nächtlicher Blutdrucksenkung ist zunächst ein Therapieversuch mit langwirksamen Substanzen und morgendlicher Einnahme angezeigt. Sollte hiermit keine ausreichende nächtliche Blutdrucksenkung erreichbar sein, ist evtl. eine zusätzliche abendliche Gabe eines Kalziumantagonisten, eines Alphablockers oder Clonidin angezeigt. 44 Aber auch ein zu starker Blutdruckabfall in der Nacht (extreme dipper) kann bei älteren Patienten, insbesondere Eine abendliche Dosierung eines Antihypertensivums ist nur sinnvoll und auch nur erlaubt, wenn mittels ABDM eine nächtliche Hypertonie nachgewiesen ist. Tab. 1: Antihypertensive Chronotherapie der Hypertonie (Therapiesteuerung mittels ABDM Ambulante Blutdruck-Langzeitmessung) • Morgendosis mit dem Aufstehen einnehmen, „auf der Bettkante“, um möglichst frühzeitig die antihypertensive Wirkung zu initiieren • Antihypertensiva mit nachgewiesener Langzeitwirkung nach ABDM-Kriterien bei unkomplizierter Hypertonie mit normalem Tag-Nacht-Rhythmus (normal dipper) • Morgendliche und abendliche Dosierung bei erhöhtem Tagesblutdruck und unzureichender Nachtabsenkung des Blutdrucks (non dipper/inverted dipper) • Antihypertensive Kombinationstherapie und alphaBlocker (z. B. Doxazosin) als abendliche Dosis bei therapierefraktärer nächtlicher Hypertonie (non dipper/ inverted dipper) • Keine abendliche Dosierung bei starker Nachtabsenkung des Blutdruckes (extreme dipper) • Einnahmezeitpunkt bei Schichtarbeit berücksichtigen (stets zu Beginn der aktiven Phase) Literatur 1. Anlauf M, Baumgart P, Franz I, Gotzen R, Krönig B, Meyer-Sabellek W, Middeke M, Schrader J, Schulte KL, Weber F. Statement on ambulatory blood pressure monitoring by the German Hypertension League. J Hum Hypertens 1995; 9: 777–779. 2. Dolan E, Stanton A, Thijs L et al. Superiority of ambulatory over clinic blood pressure measurement in predicting mortality: the Dublin outcome study. Hypertension 2005; 46: 156–161. 3. Hansen TW, Thijs L, Li Y et al. Prognostic value of reading-to-reading blood pressure variability over 24 hours in 8938 subjects from 11 populations. Hypertension 2010; 55: 1049–1057. 4. Hermida RC, Ayala DE, Mojon A, Fernandez JR. Influence of circadian time of hypertension treatment on cardiovascular risk: results of the MAPEC study. Chronobiol Int 2010; 27: 1629–1651. 5. Lemmer B. The importance of circadian rhythms on drug response in hypertension and coronary heart disease – from mice and man. Pharmcol & Therapeutics 2006; 111: 629–651. 6. Lüders S, Schrader J, Berger J, Unger T, Zidek W, Böhm M, Middeke M et al. PHARAO study group. J Hypertens 2008 Jul; 26(7): 1487–96. 7. Lüders S, Dechend R, Eckert S et al. 24-h-Langzeitmessung (ABDM). Kardiologe 2013; 7(3): 194–208. 8. Middeke M, Kluglich M, Holzgreve H. Chronopharmacology of captopril plus hydrochlorothiazide in hypertension: morning versus evening dosing. Chronobiol Intern 1991; 8: 506–510. 9. Middeke M, Schrader J. Nocturnal blood pressure in normotensive subjects and those with white coat, primary, and secondary hypertension. BMJ 1994; 308: 630–632. 10. Middeke M. Drug effects on blood pressure rhythm in secondary hypertension. Annals NY Academy of Science 1996; 783: 270–277. 11. Middeke M. Blutdruckvariabilität: Diagnostik, prognostische Bedeutung und therapeutische Konsequenzen. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 2362–66. 12. Middeke M. Chronopathologie der Hypertonie und antihypertensive Chronotherapie. Akt Kardiol 2013; 2: 183–188. 13. Middeke M, Goss F. 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J Hypertens 1991; 9: 115–119. 45 I-SWOT: Ein Instrument zur Individualisierung medizinischer Entscheidungen Yskert von Kodolitsch · Arnim Sachweh Alexander M. Bernhardt · Tilo Kölbel Hermann Reichenspurner · Christian Detter Sebastian Debus Deutsches Aorten Zentrum Hamburg am Universitären Herzzentrum der Universitätsklinik, Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Kardiologie und Kardiovaskuläre Chirurgie Jeder Patient stellt den Arzt vor die Herausforderung, Evidenz und Leitlinienempfehlungen an individuelle Eigenschaften des Patienten anzupassen. Zu diesen individuellen Eigenschaften zählen Besonderheiten der zu behandelnden Erkrankung, Begleiterkrankungen, Lebensgewohnheiten, und persönliche Präferenzen. Bis heute gibt es kein Instrument, das diese Anpassung formal erklärt und ermöglicht. I-SWOT ist ein Instrument, das diese Lücke füllt. I-SWOT besteht aus einer Vierfeldertafel, in deren Kopfzeile wir die Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) verschiedener Therapieoptionen auflisten. In der Vorspalte der Tafel listen wir die Chancen (Opportunities) und Gefahren (Threats) auf, die ihre Ursache in individuellen Charakteristika des Patienten haben. Es resultiert eine Vierfeldermatrix, die vier klassische Typen der Strategie darstellt: Erstens, „SO“, als Maximierung von Stärken und Chancen. Zweitens „WT“, als Minimierung von Schwächen und Gefahren. Drittens, „WO“, als Minimierung von Schwächen und Maximierung von Chancen. Viertens, „ST“, als Maximierung von Stärken und Minimierung von Gefahren. Die vier Typen der Strategie bilden die vier möglichen Grundvarianten einer individualisierten medizinischen Strategie ab. Anhand von Fallbeispielen aus den Fallkonferenzen des Deutschen Aortenzentrums Hamburg illustrieren wir den Einsatz von I-SWOT. 46 Schlüsselwörter Aorta, Strategie, SWOT, Medizinische Entscheidungsfindung, Evidenz-basierte Medizin Hintergrund Arzt und Patient erstreben einen maximalen Erfolg beim Einsatz medizinischer Standards. Dabei steht der Arzt vor der Herausforderung, Evidenz und Leitlinienempfehlungen an individuelle Eigenschaften des Patienten anzupassen. Zu den individuellen Eigenschaften des Patienten zählen Besonderheiten der zu behandelnden Erkrankung, Begleiterkrankungen, Lebensstil, und persönliche Präferenzen. Bis heute gibt es kein Instrument, das die Anpassung medizinischer Standards an individuelle Eigenschaf- Die vier Schritte von I-SWOT 1. Definiere das Ziel der Therapie und das Spektrum der evidenz-basierten Optionen. 2. Identifiziere die Stärken und Schwächen jeder einzelnen Therapieoption (SW-Matrix). Charakterisiere individuelle Patienteneigenschaften 3. als Chancen und Gefahren für die Therapie (OT-Matrix). Erstelle eine Vierfeldertafel der Typen 4. individualisierter medizinischer Strategie (I-SWOT-Matrix). Intern Stärken (S) Extern bezogen auf Therapie Schwächen (W) bezogen auf Therapie Chancen (O) bezogen auf Patient SO (Maxi-Maxi) Maximiere S & O WO (Mini-Maxi) Minimiere W & Maximiere O Chancen-orientierte Strategie Gafahren (T) bezogen auf Patient ST (Maxi-Mini) Maximiere S & Minimiere T Stärken-orientierte Strategie WT (Mini-Mini) Minimiere W & T Abbildung 1: I-SWOT-Matrix zur Erfassung der therapiebezogenen Stärken und Schwächen gegenüber den patientenbezogenen Chancen und Gefahren für den Behandlungserfolg Abbildung 2: Vier Schritte zur Etablierung einer individualisierten medizinischen Strategie ten des Patienten in Form einer formalen Methode erklärt oder systematisch anleitet. I-SWOT ist ein Instrument, das diese Aufgabe erfüllt. Im vorliegenden Aufsatz skizzieren wir den Einsatz von I-SWOT am Deutschen Aortenzentrum Hamburg (DAZH). Eine ausführliche Darstellung von I-SWOT liegt vor (1), die Darstellung der theoretischen Grundlagen findet sich als open access Publikation unter folgendem Link:http://cogentoa.tandfonline.com/doi/full/10.1080/233 1205X.2015.1109742" (2). wie er Stärken und Schwächen verschiedener Therapieoptionen in Abwägung von patienten-assoziierten Chancen und Gefahren zum optimalen Erfolg der Therapie nutzen kann. Wir verwenden die Bezeichnung „I-SWOT“ als „individualisierte SWOT Analyse“, um zu verdeutlichen, dass ISWOT eine Methode ist, mit der Ärzte Standards der medizinischen Leitlinien und evidenz-basiertes Wissen so auf individuelle Patienten anwenden, dass sie einen maximalen Erfolg der Therapie erzielen können. Was ist die Idee von I-SWOT? Die vier Grundvarianten individualisierter medizinischer Strategie Die SWOT-Analyse ist ein klassisches Instrument zur strategischen Planung. Beispiele der erfolgreichen Anwendung finden sich in der Kampfkunst, im Management, und in der Projektplanung (3). SWOT erreicht maximalen Erfolg indem es eigene Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) mit den Chancen (Opportunities) und Gefahren (Threats) vergleicht, die sich aus der Umwelt ergeben. Aus diesem Vergleich leitet der Entscheider eine „Strategie“ zur Vorgehensweise ab. So überlegt ein Kämpfer, wie er eigene Stärken und Schwächen erfolgreich einsetzt, um die vom Gegner ausgehenden Chancen und Gefahren optimal für seinen Sieg zu nutzen. In ähnlicher Weise überlegt der Arzt, Wir führen I-SWOT als Vierfeldertafel aus, in deren Kopfzeile wir die Stärken und Schwächen verschiedener Therapieoptionen auflisten. In der linken Spalte der Tafel tragen wir die Chancen und Gefahren auf, die ihre Ursache in individuellen Charakteristika des Patienten haben. Es resultiert eine Matrix, die vier klassische Typen der Strategie darstellt (Abbildung 1): Die SO Strategie maximiert beides, therapeutische Stärken und patienten-bezogene Chancen (Typ Maxi-Maxi). Diese Strategie bietet sich in Situationen an, in denen Stärken 47 Therapiebezogene Möglichkeiten Stärken (S) Schwächen (W) Patientenbezogene Möglichkeiten 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Chancen (O) (SO) Maxi-Maxi Strategie (WO) Mini-Maxi-Strategie Gefahren (T) (ST) Maxi-Mini Strategie (WT) Mini-Mini Strategie I-SWOT Matrix für: Aortenwurzel Aneurysma Patient: Name, Vorname Tag der Prüfung: 15.07.2015 Keine Operation (S1) Konservative Therapie (S2) Keine Antikoagulation (S3) Erhalt native Klappe (S4) Endokarditis selten (S5) Kein kardiopulmonaler Bypass (S6) Gute Ergebnisse (S7) Kürzere Klemmzeit (S8) Lebenslange Haltbarkeit (S9) Standardprozedur (S10) Kein sicherer Schutz (W1) Unverträglichkeit (W2) Innovative Therapie (W3) Erfahrung notwendig (W4) Nicht nicht verfügbar (W5) Lange Abklemmzeit (W6) Reoperation (W7) Prothesen-Patienten-Mismatch (W8) Orale Antikoagulation (W9) Endokarditisrisiko (W10) Abbildung 3: Beispiel eines standardisiertes Formulars für I-SWOT Analyse am Deutschen Aortenzentrum Hamburg und Chancen günstig sind. Beispielsweise kann bei einem Aneurysma der Aorten-Wurzel der Einsatz einer vielversprechenden, innovativen Technik trotz fehlender Langzeitergebnisse erwogen werden, wenn sich ein gebildeter, einsichtsfähiger, risikobereiter und stark motivierter Patient dazu bereit erklärt. Eine Gefahr dieses Strategietypus ist die Überschätzung von Stärken und Chancen. Die WT Strategie minimiert beides, therapeutische Schwächen und patienten-bezogene Gefahren (Typ Mini-Mini). Diese Strategie bietet sich in prekären Situation an, wenn Therapieoptionen minimal und Gefahren maximal sind. So minimiert ein Arzt die Therapie eines Patienten mit akuter Dissektion der Aorta aszendens auf Schmerztherapie und Blutdrucksenkung, weil in seinem Hause kein Herzchirurg verfügbar ist. Zudem möchte er der Gefahr eines Transportes in ein Herzzentrum aus dem Wege gehen. Mini-MiniStrategien bringen aber selten therapeutischen Erfolg. Wir sollten Situationen vermeiden, in denen diese Strategie nötig wird, oder wir sollten diese Strategie einsetzen, um Zeit zu gewinnen für die Verbesserung der Ausgangslage. chen dominieren, während das Umfeld erfolgversprechende Chancen bietet. Der oben genannte Arzt könnte einen Helikopter ordern, um den Patienten mit Aortendissektion in ein herzchirurgisches Zentrum zu verlegen. Dieser Arzt überbrückt Schwächen der Therapie durch Maximierung der Chancen. Prinzipiell sollten Ärzte oder Kliniken therapeutische Schwächen reduzieren und Stärken ausbauen. Die ST Strategie maximiert eigene Stärken und minimiert Gefahren (Stärken-orientierte Strategie). Klassisch sind nahezu hoffnungslose Situationen, in denen Ärzte die Gefahr nur durch maximales Ausspielen therapeutischer Stärke überwinden. Beispielsweise überwinden Chirurgen der Baylor Clinic das akute Risiko einer Ruptur bei progressiver Ausdehnung einer Aortendissektion vom Typ Crawford-II durch den einzeitig vorgenommenen Ersatz der gesamten Aorta (4). Stärken-orientierte Strategien müssen sich wappnen gegen Leichtsinn und Selbstüberschätzung. Die vier Schritte von I-SWOT Die WO Strategie minimiert Schwächen und maximiert Chancen (Chancen-orientierte Strategie). Ärzte bevorzugen diese Strategie in Situationen, in denen die eigenen Schwä- 48 SWOT ist eine Technik, die intuitiv angewendet werden kann: Ein Boxer wägt seine Fähigkeiten gegen die des Therapieoption Stärken (S) Schwächen (W) (1) Konservative Therapie · Vermeidung einer Operation (S1) · BAB und ARB verlangsamen die Progression einer Aorten-Erkrankung (S2) · Weitere Stärken: S3–S6 · Kein sicherer Schutz vor Ruptur der Aortenwurzel (W1) · Arzneimittelunverträglichkeit und Möglichkeit der Nichtwirksamkeit von BAB und ARB (W2) (2) Personalisierte externe Aortenwurzel Stabilisierung (PEARS) (5) · · · · · Innovative Therapie mit sehr dünner Datenlage sowie Eignung nur für Patienten bei kleinen Durchmessern der Aorta (üblicherweise <4.5 cm) (W3) · Erfolg ist abhängig vom Operateur (W4) · Technik wird weltweit nur an einem Zentrum eingesetzt (W5) (3) Reimplantation der Aortenklappe nach David (6) · Keine orale Antikoagulation (S3) · Vermeidung von Prothesen-PatientenMismatch (S4) · Geringes Risiko für Endokarditis (S5) · Gute Ergebnisse am DAZH (S7) · Erfolg ist abhängig vom Operateur (W4) · Lange Klemmzeiten (W6) · Re-Operation wegen Aortenklappeninsuffizienz (W7) (4) Ersatz der Aortenwurzel nach Bentall mit biologischer Klappenprothese (7) · Keine orale Antikoagulation (S3) · Kürzere Klemmzeit und leichtere Durchführung, als bei David Operation (S8) · Re-Operation wegen Aortenklappeninsuffizienz (W7); Prothesen-Patienten-Mismatch (W8) (5) Ersatz der Aortenwurzel nach Bentall mit mechanischer Klappenprothese (8) · Lebenslange Haltbarkeit (S9) · Etablierte Standardprozedur mit guten Langzeitergebnissen (S10) · · · · Keine orale Antikoagulation (S3) Erhaltung der nativen Aortenklappe (S4) Geringes Risiko für Endokarditis (S5) Vermeidung eines kardiopulmonalen Bypasses (S6) Prothesen-Patienten-Mismatch (W8) Orale Antikoagulation (W9) Hohes Risiko für Endokarditis (W10) Geräuschbelästigung durch mechanische Klappenprothese (W11) ARB, Angiotensin-II-Rezeptor Blocker; BAB, Beta-Blocker; DAZH, Deutsches Aortenzentrum Hamburg Tabelle 1: Evidenz-basierte Therapieoptionen zum Schutz vor Ruptur bei Aneurysma des Aortenbulbus: Stärken-Schwächen Matrix Gegners ab, ohne eine Vierfeldertafel anzufertigen. Auch klinische Entscheidungen fällen wir meistens, ohne expliziten Einsatz von Entscheidungstechniken. In den Fallkonferenzen am Deutschen Aorten-Zentrum Hamburg setzen wir I-SWOT ebenfalls häufig ohne die im Folgenden dargestellte formalisierte Vorgehensweise ein. Die folgende Darstellung dient der Verdeutlichung der Vorgehensweise, die wir in vier Schritten vollziehen: 1. Definiere das Ziel der Therapie und das Spektrum der evidenz-basierten Optionen. In diesem Schritt analysieren wir die klinische Problematik eines Patienten mit Aorten-Erkrankung, um ein Therapieziel zu formulieren. Beispiele eines solchen Ziels sind (i) „Schutz vor Ruptur bei Aneurysma des Aortenbulbus“, oder (ii) „Verhinderung eines Progresses der Falschlumenexpansion bei chronischer Aortendissektion vom Typ Stanford B“, oder (iii) „Stabilisierung der Aorta bei gedeckt rupturiertem Bauchaortenaneurysma“. Für jedes dieser Therapieziele beschreiben wir das Spektrum evidenz-basierter Optionen der Therapie. Wir wählen hier das Beispiel eines Patienten bei dem für das Therapieziel (i) „Schutz des Patienten vor Ruptur eines Aneurysma des Aortenbulbus“ nach Leitlinien-Empfehlung fünf verschiedene Optionen in Betracht kommen: Rein medikamentöse Therapie mittels Beta-Blockern (BAB) oder Angiotensin-IIRezeptor Blockern (ARB), elektiver Ersatz der Aortenwurzel in alternativen Verfahren in der PEARS-Technik nach Treasure (5), in der Technik nach David (6), in der Technik nach Bentall mit biologischer Aortenklappe (7), oder in der Technik nach Bentall mit mechanischem Klappenersatz (8). 2. Identifiziere die Stärken und Schwächen jeder einzelnen Therapieoption (SW-Matrix). Dieser Schritt erfordert die systematische Erfassung der Stärken und Schwächen jeder therapeutischer Option, wobei wir Informationen aus Studien, Einzelfallberichten, Leitlinien und aus unserer eigenen Erfahrung in einer Matrix zusammentragen, die das Stärken-Schwächen Profil sämtlicher Therapieoption für jedes definierte Therapieziel darstellt. Tabelle 1 zeigt das Beispiel einer SW-Matrix für das Therapieziel „Schutz des Patienten vor Ruptur bei Aneurysma des Aortenbulbus“. 49 3. Charakterisiere individuelle Patienteneigenschaften als Chancen und Gefahren für die Therapie (OT-Matrix). Der Kern einer individualisierten Behandlungsstrategie ist die Anpassung medizinischer Standards an die individuellen Charakteristika des Patienten (9). Im dritten Schritt der I-SWOT Analyse erfassen wir kritische individuelle Qualitäten der Patienten, die eine Chance oder eine Gefahr für die Therapie darstellen. Prinzipiell erfassen wir diese individuellen Qualitäten in drei relevante Dimensionen: (i) Physische Besonderheiten, wie Charakteristika der zu behandelnden AortenPathologie, Komorbiditäten, Vormedikation, Allergien, und physische Resilienz-Faktoren; (ii) soziale Besonderheiten, wie Familie, Wohnverhältnisse, finanzielle Ressourcen und andere sozio-ökonomische Resilienz-Faktoren; (iii) psychische und intellektuelle Faktoren, wie Einsichtsfähigkeit, Kooperativität, Bildungsstand, psychische Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depressionen, Optimismus, Motivation, Risikoaffinität, und psychische und mentale Resilienz-Faktoren. Schließlich erfassen wir die individuellen Werte und Präferenzen unserer Patienten, sofern sie Einfluss auf die Erreichung des Therapiezieles haben. Abschließend bewerten wir alle individuellen Faktoren unserer Patienten als Chancen oder als Gefahren bei der Erreichung des Therapiezieles und tragen diese in eine OT-Matrix ein. 4. Erstelle eine Vierfeldertafel der Typen individualisierter medizinischer Strategie (I-SWOT-Matrix). Im letzten Schritt von I-SWOT entwickeln wir vier Typen alternativer Strategien für einen individuellen Patienten. Jede Strategievariante ist evidenzbasiert und ist prinzipiell geeignet das angestrebte Therapieziel zu erreichen. Technisch gehen wir so vor, dass wir für viele Standardtherapieziele mit vorgefertigten I-SWOT-Formularen arbeiten. Das Beispiel eines solchen Formulars für das Therapieziel (i) „Schutz vor Ruptur bei Aneurysma des Aortenbulbus“ zeigen wir in Abbildung 3 Die Kopfzeile für dieses Therapieziel ist bereits fertig im Formular ausgefüllt. Wir listen in der Kopfzeile alle Stärken und Schwächen unabhängig von den einzelnen Therapieoptionen auf (siehe Schritt 2 und Tabelle 1). Im Gegensatz zur Kopfspalte ist die erste Spalte im Vordruck der I-SWOT-Matrix nicht ausgefüllt: Hier tragen wir die individuellen Charakteristika unserer jeweiligen Patienten als Chancen oder Gefahren für die Erreichung des Therapiezieles ein. 50 Beispiele für die Anwendung von I-SWOT Als Beispiel denken wir uns einen männlichen, 32-jährigen Patienten mit Marfan-Syndrom, der einen Progress seiner Aortenwurzel-Dilatation von 4,3 cm im Vorjahr auf aktuell 4,6 cm entwickelt hat. Alle fünf oben dargestellten Therapieoptionen zur Erreichung des Therapieziels „Schutz vor Ruptur bei Aneurysma des Aortenbulbus“ kommen nach Empfehlung aktueller Leitlinien für den Patienten in Betracht. Wir zeigen jetzt beispielhaft auf, wie der oben vorgestellte Patient durch Variation einiger psychischer Charakteristika für jeweils eine individuelle Variante der vier Grundtypen medizinischer Strategie besonders geeignet erscheint: SO-Strategie: Hier stellen wir uns oben genannten Patienten als kerngesunden, beruflich erfolgreichen Ingenieur vor, der in der Lage ist, seine Erkrankung nüchtern zu analysieren und seine Chancen realistisch abzuschätzen. Ihn fasziniert die innovative PEARS-Technik, und er beschließt nach England zu fahren, um sich von einem der international führenden Spezialisten operieren zu lassen. Hier verfolgt der Patient eine Maxi-Maxi-Strategie. WT-Strategie: Hier handelt es sich um den gleichen Patienten, von dem wir uns jetzt vorstellen, dass er ängstlich und abergläubisch ist, Joga macht, und bereits seit Jahren erkannt hat, dass westliche Medizin der Gesundheit schadet. Es gelingt Ihnen mit Mühe, den Patienten auf einen ARB einzustellen und ihn davon zu überzeugen, zu einer jährlichen transthorakalen Echokardiographie der Aorta zu erscheinen. Hier liegt eine Mini-Mini-Strategie vor. ST-Strategie: Alternativ könnte der Patient auch Doktor der Anthropologie sein, der von unstillbarem Ehrgeiz getrieben ist und darauf besteht, die nächsten fünf Jahre ohne Kontakt zur Zivilisation das Leben von Eingeborenen eines tropischen Regenwaldes zu beforschen. Sie unterziehen den Patienten vor seiner Abreise in den Dschungel einer David Operation, durch die Sie die Notwendigkeit einer im Regenwald nicht sicher durchführbaren oralen Antikoagulation vermeiden und das Risiko einer Endokarditis minimieren. Sie setzen darauf, dass Sie durch sichere Beherrschung der komplexen Operationstechnik eine dauerhaft haltbare Rekonstruktion der Aortenklappe erzielen. Das Vorgehen entspricht einer Stärken-orientierten Strategie, durch die Sie die Gefahren minimieren, die sich aus der mangelnden Einsichtsbereitschaft des Patienten ergeben. WO-Strategie: Schließlich malen wir uns den Patienten als einen sicherheitsbewussten Postbeamten aus, der als Junggeselle in seiner Freizeit mit Leidenschaft Kreuzworträtsel löst und Puzzlespiele zusammensetzt. Sie versorgen den Patienten mit einem mechanischen Aortenklappenersatz nach Bentall und unterweisen ihn im Gebrauch eines Gerätes zum Gerinnungs-Selbstmanagement: Als Standardtechnik mit guten operativen Ergebnissen und maximaler Haltbarkeit der Klappenprothese erfüllt dieser Operationstyp das Sicherheitsbedürfnis des Patienten. Die orale Antikoagulation als Schwäche der Prozedur minimieren Sie durch die zu erwartende Akribie des Patienten bei der INRSelbstmessung. Es handelt sich um eine Chancen-orientierte Strategie, die die Schwächen der Therapie minimiert, und die Chancen maximiert, die sich aus der Sorgfalt des Patienten ergeben. Schlussfolgerungen I-SWOT ist eine Methode, die medizinische Standards in Form von Evidenz und Leitlinien an die individuellen Gegebenheiten eines Patienten anpasst und so den Erfolg der medizinischen Therapie maximiert. I-SWOT verdeutlicht, dass es eine Wahl zwischen vier Grundtypen der Strategie gibt, und dass die persönliche Haltung von Arzt und Patient zu eigenen Stärken und Schwächen und zu externen Gefahren und Chancen bei der Wahl der Strategie von Bedeutung ist. Wir glauben, dass künftige Leitlinien neben evidenzbasierte Empfehlungenn auch Stärken-Schwächen-Matrices der alternativen Therapieoptionen liefern sollten. Literatur 1. von Kodolitsch Y, Bernhardt AM, Robinson PN, Kölbel T, Reichenspurner H, Debus S, et al. Analysis of Strengths, Weaknesses, Opportunities, and Threats as a tool for translating evidence into Individualized medical strategies (I-SWOT). AORTA. 2015; in press. 2. von Kodolitsch Y, Bernhardt AM, Kölbel T, Detter C, Reichenspurner H, Debus ES. Maximizing therapeutic success: The key concepts of individualized medical strategy (IMS). Cogent Medicine, Cogent Medicine. 2015/12/31 2015;2(1):1109742. http://cogentoa.tandfonline.com/doi/ full/10.1080/2331205X.2015.1109742 3. Weihrich H. The TOWS matrix: A tool for situational analysis. In: Dyson RG, editor. Strategic Planning: Models and Analytical Techniques: Wiley; 1990. p. 17–36. 4. LeMaire S, de la Cruz K, Coselli J. The Thoracoabdominal Aorta in Marfan Syndrome. In: Bonser RS, Pagano D, Haverich A, Mascaro J, editors. Controversies in Aortic Dissection and Aneurysmal Disease: Springer London; 2014. p. 423–34. 5. Treasure T, Takkenberg JJ, Golesworthy T, Rega F, Petrou M, Rosendahl U, et al. Personalised external aortic root support (PEARS) in Marfan syndrome: analysis of 1-9 year outcomes by intention-to-treat in a cohort of the first 30 consecutive patients to receive a novel tissue and valve-conserving procedure, compared with the published results of aortic root replacement. Heart. 2014; 100(12): 969–75. 6. David TE, Feindel CM. An aortic valve-sparing operation for patients with aortic incompetence and aneurysm of the ascending aorta. The Journal of thoracic and cardiovascular surgery. 1992; 103(4): 617–21; discussion 22. 7. Hilgenberg AD, Mora BN. Composite aortic root replacement with a bovine pericardial valve conduit. Ann Thorac Surg. 2003; 75(4): 1338–9. 8. Bentall H, De Bono A. A technique for complete replacement of the ascending aorta. Thorax. 1968; 23(4): 338–9. 9. von Kodolitsch Y, Overlack C, Kodolitsch K, Bernhardt A, Detter C, Epskamp H, et al. Strategic thinking as the key to surgical excellence. Medical thought style in the tradition of Kant and Clausewitz. Z HerzThorax- Gefäßchir. 2013; 27(4): 282–9. Das Potenzial von I-SWOT im Rahmen der studentischen Ausbildung erscheint erheblich – besonders, weil I-SWOT individualisierte Entscheidungen methodisch nachvollziehbar macht. Da die I-SWOT Analyse in ihrem Formalisierungsgrad flexibel ist, kann der Zeitaufwand leicht situationsgerecht angepasst werden. Der Einsatz standardisierter Formulare hält den Zeitaufwand der Methode auch bei hohem Formalisierungsgrad gering. Nach unserer Erfahrung ist I-SWOT ein einfach bedienbares Instrument, das die Qualität medizinischer Entscheidung im Sinne von individueller Patientenorientierung verbessert. Strategien, die in der vorliegenden Darstellung am Beispiel einer Aortenerkrankung diskutiert wurden, lassen sich selbstverständlich auch auf andere Krankheitsbilder, wie z.B. die pulmonalarterielle Hypertonie, übertragen. 51 Impressum Herausgeber Deutsches Herzzentrum München Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie Klinik an der Technischen Universität München Lazarettstraße 36 · 80636 München 52 Redaktionsleitung Prof. Dr. Dr. Harald Kaemmerer Prof. Dr. med. Peter Ewert Feedback, Fragen, Kritik und Anregungen richten Sie bitte an Kaemmerer@dhm.mhn.de Layout, Satz & Druck Jungbluth Digital+Print, Freiburg Nachdruck nur unter genauer Quellenangabe und mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers ⁄ der Autoren gestattet. Notizen 53 Notizen 54 Mit freundlicher Unterstützung: Anregungen richten Sie bitte an: Kaemmerer@dhm.mhn.de ISSN 2198-8811