Flexibilisierung auf breiter Ebene gefragt

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Flexibilisierung auf breiter Ebene gefragt
Hintergrund
Duales System der Berufsbildung auf dem Prüfstand
Flexibilisierung
auf breiter Ebene gefragt
Interview mit Dr. Paul Bösken-Diebels
D
as bislang bewährte duale Ausbildungssystem in Deutschland steht vor einer ungewissen Zukunft. Um den Belangen der Unternehmen, aber auch den Neigungen und Fähigkeiten der künftigen Auszubildenden Rechnung zu tragen, hat die Kammerorganisation Lösungswege erarbeitet, die insbesondere den Aspekt der notwendigen
Flexibilisierung berücksichtigen. Die „Thema Wirtschaft“-Redaktion sprach mit Dr.
Paul Bösken-Diebels, IHK-Vizepräsident und Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses der Kammer, über die notwendigen Neuerungen.
TW: Die rechtliche Grundlage des
dualen Ausbildungssystems feiert in diesem
Jahr ihren 30sten Geburtstag. Warum steht
diese Form der Partnerschaft von Betrieb und
Schule auf dem Prüfstand?
Dr. Bösken-Diebels: Die Antwort
ist einfach: Es gibt nichts, was man nicht
besser machen kann. Tatsache ist, daß das
duale System international noch immer als
vorbildlich gilt. Allerdings ist die Zukunft
des Berufsbildungsgesetzes noch nie so offen gewesen. Das liegt an den sich rasant
verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit zugleich an den sich
gravierend verändernden betrieblichen Be-
dingungen. Alles in allem ist mehr Flexibilität gefragt und – mit Blick auf unsere
Konkurrenz im Ausland – die Sicherung
unserer Wettbewerbsfähigkeit durch einen
überzeugenden fachlichen Nachwuchs.
TW: Wo sehen Sie die entscheidenden
Ansätze?
Dr. Bösken-Diebels: Angesichts
des Wandels in der Wirtschaft sehen die
Kammern schon seit längerer Zeit konkreten Handlungsbedarf. Dabei konzentrieren
sich die Forderungen insbesondere auf die
Verbesserung der schulischen Vorbereitung
der künftigen Auszubildenden, eine Flexibilisierung der Ausbildungszeiten und -in-
Dr. Paul Bösken-Diebels in einem Vortrag vor ehrenamtlichen Prüfern.
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Foto: Ullrich Sorbe
halte und die Möglichkeit, durch gestufte
Ausbildungsgänge auch denjenigen eher
praktisch begabten Jugendlichen eine berufliche Qualifizierung zu bieten, die mit
den hoch anspruchsvollen neuen Berufsbildern überfordert wären.
TW: Diese Vorschläge dürften sicherlich sehr kontrovers zwischen den verschiedenen Beteiligten der beruflichen Bildung diskutiert werden.
Dr. Bösken-Diebels: Ohne Zweifel. Aber es hat sich gezeigt, daß dann,
wenn man vernünftig miteinander redet,
auch Ergebnisse erzielt werden. Erste Teilerfolge wurden bereits erzielt. Beispielsweise konnte mit der Einführung der betrieblichen Projektarbeit im Rahmen der
Ausbildung in den neuen IT-Berufen sowie
beim Mechatroniker einer wichtigen Forderung der Unternehmen nach stärkerer
Berücksichtigung der individuellen betrieblichen Anforderungen Rechnung getragen werden. Ebenso wichtig ist es auch,
daß im Zusammenhang mit dem Ausbildungskonsens NRW mit den Berufsbildenden Schulen wichtige Vereinbarungen getroffen wurden, die die Abstimmung zwischen Schule und Betrieb im Rahmen der
Organisation des Berufsschulunterrichts
verbessern.
TW: Dieses dürfte einen „Rattenschwanz“ von Veränderungen nach sich ziehen, beispielsweise beim Prüfungswesen.
Dr. Bösken-Diebels: Es gibt hier in
der Tat noch eine ganze Reihe ungelöster
Fragen zu beantworten. So sehr auch die
neue Struktur der Prüfung in den IT-Berufen sowie beim Mechatroniker den individuellen betrieblichen Anforderungen gerechter wird, der steigende Prüfungsaufwand stellt eine neue Herausforderung dar.
Gleiches gilt für die Abwicklung der Abschlußprüfungen in den neugeordneten
Metall- und Elektroberufen. Hier kommt
es darauf an, die Gratwanderung zwischen
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Minimierung des betrieblichen Aufwandes
und der Beanspruchung der für die Kammer ehrenamtlich engagierten Prüferinnen
und Prüfer aus Unternehmen und Schulen
einerseits sowie der Sicherstellung qualitativer Standards im Hinblick auf die Aussagekraft der Prüfungen andererseits zu meistern.
TW: Wo liegen denn derzeit noch die
„Knackpunkte“ in der Diskussion mit den
Beteiligten in der Berufsausbildung?
Dr. Bösken-Diebels: Während die
Kultusministerkonferenz naturgemäß die
Notwendigkeit einer stärkeren schulischen
Ausprägung der Berufsausbildung hervorhebt und die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen priorisiert, schlägt der
DGB eine stärkere Modularisierung der
Berufsausbildung vor. Der Schwerpunkt
soll hierbei auf der Vermittlung von
Grundlagen für Flexibilität und Weiterbildungsvermögen sowie von Schlüsselqualifikationen statt technischem Detailwissen
und Handfertigkeiten liegen. Die Vorstellungen des DGB gehen dabei so weit, daß
Teilqualifikationen in einem Berufsbildungspaß zu zertifizieren seien, so daß die
Abschlußprüfung bisheriger Prägung überflüssig werden könne. Das würde aber die
vollständige Aufgabe unserer Anforderungen an eine qualifizierte Ausbildung der
Nachwuchskräfte bedeuten. Insofern müssen wir mit praktikablen Modellen gegensteuern.
TW: Gibt es hierzu konkrete Vorstellungen?
Dr. Bösken-Diebels: Diese sind bereits formuliert worden als „Leitlinien Ausbildungsreform – Wege zu einer modernen
Beruflichkeit“. Das Wesentliche ist: Sie tragen der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Reform der Berufsausbildung Rechnung, ohne jedoch – und das ist ein ganz
entscheidender Punkt – die Anforderungen
hinsichtlich einer betrieblich geprägten
Fachkräftequalifikation bei Integration der
Schlüsselqualifikationen mit dem Ziel einer umfassenden Berufsfähigkeit außer
acht zu lassen.
TW: Welche Kernaussagen beinhalten
diese Leitlinien?
Dr. Bösken-Diebels: Die drei zugrundeliegenden Prämissen lassen erkennen, daß das Thema „Flexibilisierung“
stark im Vordergrund steht. Konkret geht
es um den Erhalt des Berufsprinzips bei innerer Flexibilisierung – nicht alle müssen
alles lernen oder vermitteln –, die Weiter16
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entwicklung einer Berufsstruktur, die auch
ohne über- und außerbetriebliche Modelle
beziehungsweise Verbünde auskommt,
und die Flexibilität der konkreten Ausbildung nach den Vorstellungen der Betriebe,
aber auch den Eignungen und Neigungen
der Jugendlichen.
TW: Ein Modell ist nur so gut, wie es
auch in der Praxis umgesetzt werden kann.
Wie soll dieses aussehen?
Dr. Bösken-Diebels: Die Flexibilisierung der Ausbildungsdauer soll dadurch
ermöglicht werden, daß ein Betrieb die jeweilige Ausbildungsdauer für die berufsprofilgebenden Qualifikationen festlegt
und die entsprechenden Inhalte auswählt.
Dabei sollen die Leistungsfähigkeit des
Auszubildenden und sein Qualifikationsbedarf berücksichtigt werden. Die Flexibilisierung der Tiefe und Breite der Ausbildung soll durch Wahloptionen für Betrieb
und Auszubildenden ermöglicht werden,
und zwar so, daß beide Seiten innerhalb eines vereinbarten Zeitkorridors entscheiden, ob und welche vertiefenden, ergänzenden oder sonstigen Qualifikationen neben den berufsprofilgebenden Standards
angeboten werden sollen.
TW: Was versprechen Sie sich generell
von diesen Neuerungen?
Dr. Bösken-Diebels: Wir sind in
der Kammerorganisation davon überzeugt,
daß dieses sogenannte Satellitenmodell zur
Entlastung der Betriebe, zu mehr begabungsgerechten Ausbildungsangeboten
und im Ergebnis zu einer Steigerung der
Ausbildungsqualität führen wird. Damit
wird letztlich sowohl den Unternehmen,
den künftigen Fachkräften und insgesamt
auch dem Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb geholfen.
TW: Sie selbst sind ja nicht nur ehrenamtlich auf diesem wichtigen Feld aktiv, sondern geben der Ausbildung auch im eigenen
Unternehmen, der Privatbrauerei Diebels in
Issum, einen besonderen Stellenwert.
Dr. Bösken-Diebels: Wir sind traditionell ein starker Ausbildungsbetrieb,
und zwar sowohl im kaufmännischen als
auch im gewerblich-technischen Bereich.
Die Nachwuchssicherung ist in dem auch
für die Brauereien härter gewordenen
Wettbewerb von großer Bedeutung. Vor
diesem Hintergrund begrüßen wir selbstverständlich auch die IHK-Initiativen zur
Flexibilisierung des Ausbildungswesens,
weil wir von der zu erwartenden Qualitätsverbesserung überzeugt sind. Darüber hinThema Wirtschaft 7-8/99
aus wollen wir natürlich unseren Beitrag
leisten, jungen Menschen eine gute Chance
für die berufliche Zukunft zu geben.
TW: War das auch der Ansatz für Ihre
jüngste Initiative, mit der Sie jungen Menschen Praktika im Bereich der Musikindustrie zur Verfügung stellen wollen?
Dr. Bösken-Diebels: Genau darauf
zielt unsere Aktion „Diebels Einblick“ ab.
Wir sind seit nunmehr zwei Jahren im Musiksponsoring aktiv, und wir haben festgestellt, daß die Musikbranche boomt, allerdings nur auf wenige engagierte und geeignete Nachwuchskräfte zurückgreifen kann,
da entsprechende Ausbildungsgrundlagen
nicht gegeben sind. Insofern lebt das Geschäft von Quereinsteigern. Hierzu bieten
wir Praktika an, die die erforderlichen
Grundlagen vermitteln.
TW: Wie wird dieses Angebot angenommen?
Dr. Bösken-Diebels: Die Resonanz
darauf ist überwältigend. Für die erste
Praktikumsrunde, die jetzt im August startet, sind 45 Bewerber aus über 5 000 Kandidaten ausgewählt und zur Vorstellung bei
ihren Traumfirmen eingeladen worden. 15
von ihnen winkt ein Praktikumsplatz. Die
Gehälter werden im übrigen von uns gezahlt.
TW: Wie erklären Sie sich diesen Zuspruch?
Dr. Bösken-Diebels: Zunächst einmal zieht die Musikbranche junge Menschen magisch an. Zudem haben wir
starke, namhafte Partner gewonnen wie
BMG Ariola, Rough Trade, Virgin, EastWest, Warner Special Marketing, Intercord, Vans Warped Tour, Concert Cooperation Bonn, Target Veranstaltungs GmbH
und WOM World of Music. Als Medienpartner begeisterten sich sofort Visions,
Radio Energy, Flyer Up-Dates und der
Musiksender MTV. Diese Namen haben
einfach eine besondere Zugkraft bei den
jungen Leuten. Ihnen können wir jetzt
durch unsere guten Kontakte in der Musikbranche die attraktivsten Praktika anbieten.
TW: Wir bedanken uns bei Ihnen für
das Gespräch und wünschen viel Erfolg mit
dieser interessanten Initiative.
A. K.
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