der Zeitschrift November 2009, Nummer 21
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der Zeitschrift November 2009, Nummer 21
Editorial Contenido / Inhalt Liebe Mitglieder und Freunde von AMPAL, im Jahr 2009 gab es mehrere relevante Veranstaltungen im Zeichen der deutschen Sprache. In Jena und Weimar fand die Internationale Deutschlehrer-Tagung statt, in Monterrey das 9. AMPAL-Treffen und der Lateinamerikanische Germanistenkongress ALEG, wurde in Argentinien ausgetragen. Bei dieser Tagung wurde Olivia Díaz zur Präsidentin des Germanistikverbandes gewählt. Der AMPAL-Vorstand gratuliert herzlich und wünscht viel Erfolg. Weiters gibt es Fachartikel zu diversen Themen wie z. B. den aktuellen Tendenzen der Bedeutung der Muttersprache im Fremdsprachenunterricht, den erworbenen Kenntnissen mit der Lernplattform Moodle im DaFUnterricht und der kritischen Hinterfragung, ob die Fremdbilder durch intensivere Kontakte wirklich objektiver werden und zu interkulturellen Kompetenzen führen. Zudem können Sie in einem Interview nachlesen, wie 4 Prepa-Schüler aus Guadalajara ihrer ersten Deutschlandreise entgegenfiebern. Wir sind jetzt schon gespannt, was sie uns nach der Reise berichten und wünschen ihnen viele bereichernde Erlebnisse auf dieser Reise. AMPAL Intern 2 BEWERTUNG UND ZERTIFIKATION EINE GROßE HERAUSFORDERUNG EL GRAN RETO: EVALUACIÓN Y CERTIFICACIÓN 3 DEUTSCH BEWEGT Verónica Cedeño Mora Informes / Berichte 4 ALEG 2009 GRENZGÄNGE - OLIVIA DIAZ IST NEUE PRÄSIDENTIN DES LATEINAMERIKANISCHEN GERMANISTIKVERBANDES Dr. Florian Gräfe 4 VIER PREPA - SCHÜLER AUS GUADALAJARA FIEBERN IHRER ERSTEN DEUTSCHLANDREISE ENTGEGEN Die nächsten DACH-Tage werden wie gewohnt wieder in Mexiko-Stadt organisiert und haben auf Wunsch der in Monterrey anwesenden Mitglieder zwei zur Auswahl stehende Schwerpunkte, in die man sich während drei einhalb Tagen vertiefen kann. Die Themen lauten: 1. Neue Medien für DaF und 2. DACH-Landeskunde und interkulturelle Kompetenz. 8 GUANAJUATO BLICKT NACH ÖSTERREICH Annette Gradl Marika Loos Auf der Website und durch Rundbriefe werden Sie die aktuellen Informationen erhalten. 10 20 JAHRE MAUERFALL EIN PERSÖNLICHER RÜCKBLICK UND LANDESKUNDE FÜR DEN DAF-UNTERRICHT Ulrike Sperr 11 AUCH IN HERMOSILLO IST DIE MAUER GEFALLEN. EIN BERICHT VOM KULTURFEST AN DER UNIVERSIDAD DE SONORA Karin Neudecker Diana Thieme Der Vorstand ampal Asociación Mexicana de Profesores de Alemán, A.C. Mexikanischer Deutschlehrerverband Presidente / Vorsitzender Manuel Campos Cabezas Página web: www.ampal.info Secretaria / Schriftführerin Helena Knapp Comité Editorial / Herausgeber Franziska Bard Manuel Campos Cabezas Verónica Cedeño Frida Corte Monika Honti Helena Knapp Annette Gradl Marika Loos Tesorera / Kassenwartin Verónica Cedeño Vocales / Beisitzer Franziska Bard Frida Corte Monika Honti Dirección / Postanschrift Calle Kepler # 157 11590, Colonia Anzures Del. Miguel Hidalgo Ciudad de México Cuenta Bancaria Banamex 958 7978366 Suc. 958, México, D.F. Clabe: 0021 80095879783669 SWIFT: BNMXMXMM Redacción / Schriftleitung Helena Knapp helena_knapp@yahoo.com Los artículos publicados son responsabilidad de los autores y sólo podrán ser reproducidos citando la fuente. Tiraje / Auflage: 1000 ISSN: 1665-5729 Info-AMPAL No. 21 Noviembre 2009 Artículos / Artikel 14 WEBGESTÜTZTES LERNEN MIT MOODLE IM DAF-UNTERRICHT Dr. Tülin Arslan 17 OBJEKTIVERE FREMDBILDER DURCH KONTAKTE, WISSEN UND GUTE ABSICHTEN? TEIL 1 Dorit Heike Gruhn 22 DIE RÜCKKEHR DER MUTTERSPRACHE ALS ALTERNATIVES LEHRMITTEL IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT Dr. Eda B. Bakıner Dr. Emra Büyüknisan Foto de Portada: http://historiahervas.wordpress.com/tag/guerra-berlin/ AMPAL Intern BEWERTUNG UND ZERTIFIKATION EINE GROßE HERAUSFORDERUNG EL GRAN RETO: EVALUACIÓN Y CERTIFICACIÓN Zu diesem Thema fand vom 12. bis zum 14. September 2009 an der Universidad Autónoma de Nuevo León endlich das für Mai geplante und in letzter Minute wegen Schweinegrippealarm verschobene, Ampal-Treffen statt. Auf diesem Weg möchte sich Ampal bei dem hervorragenden Team in Monterrey ganz herzlich für die großartige und unermüdliche Unterstützung bedanken. Ein großer Dank an Maestra Sara Alicia Ancira Arechiga und Lic. Ana Elizabeth Rojas Martínez beide waren wirklich rund um die Uhr für uns da. Weiters danken wir allen beteiligten Organisationen, die uns bei der Planung, Vorbereitung, Durchführung und auch finanziell unterstützt haben. Ein Dank den Verantwortlichen an den Konsulaten und Botschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, im Goethe Institut, im DAAD, im Bundesministerium für Unterricht Kunst und Kultur Österreich und im Foro Cultural de Austria. Ein besonderer Dank auch an die Verlage, Hueber, Klett, Cornelsen und an die Librería Hemybooks für ihr Sponsoring. 2 noviembre 2009 # 21 info-ampal AMPAL Intern Verónica Cedeño Mora DEUTSCH BEWEGT IDT 2009 IN JENA UND WEIMAR Die Internationale Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer hat nach 16 Jahren w i e d e r i n D e u t s c h l a n d stattgefunden. Gastgeber waren die Städte Jena und Weimar und die F r i e d r i c h - S c h i l l e rUniversität Jena. Unter dem Motto Deutsch bewegt haben sich vom 3. bis zum 8. August 2009 etwa 3000 TeilnehmerInnen aus mehr als 115 Ländern getroffen. Unterrichtswelten bewegen angemeldet, wo es interessante Beiträge und Erfahrungsberichte über und mit der Arbeit mit Medien Bei der Tagung wurden 44 paralelle Sektionen in neun Sektionsbereichen angeboten und es gab auch ein Rahmenprogramm mit kulturellen Angeboten, Ausflügen und den ,,Länderfenstern“. Durch diese ,,Fenster“ hatten die einzelnen Deutschlehrerverbände die Möglichkeit sowohl das Land, als auch die Ve r b a n d s a r b e i t Auch vorzustellen. AMPAL war mit einem Tisch mit verschiedenen Ausgaben der Zeitschrift info-ampal, typischen mexikanischen Süßigkeiten und einer Flasche Tequila zum Anbieten vertreten. Die Besucher wurden von Mitgliedern des AMPAL-Vorstands über unsere Arbeit und die Treffen in Mexiko informiert. im Deutschunterricht gab, von traditionellen Medien wie Lernplakaten, Bildern, Filmen, u.s.w. bis zu Online-Plattformen und selbstproduzierten Podcasts. Empfehlenswert finde ich das kostenlose Online-Magazin mit Lernmaterialien zu aktuellen Themen. Ich habe mich zu dem Sektionsbereich E: Mediale Zur Erholung gab es dann mitten in der Tagungswoche ein Ausflugs- info-ampal # 21 programm mit einem vielfältigen Angebot. Da aber alle Fahrten ausverkauft waren, bin ich auf eigene Faust los und in die nicht weit von We i m a r e n t f e r n t e Gedenkstätte Buchenwald gefahren, wo man sich über die Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald und auch über das sowjetische Speziellager Nummer 2 informieren kann. Auch ein Besuch beim Goethehaus war ein Teil der bereichernden Erfahrungen die ich von IDT 2009 mitgenommen habe. Am Ende der Tagung wurde der neue Vorstand des IDVs für die Periode 2009 bis 2013 gewählt. Der nächste Tagungsort wird übrigens 2013 in Bozen sein. Ein Teil vom Ampalstand Weitere Informationen über den IDV gibt es auf der folgenden W e b s i t e : www.idvnetz.org Verónica Cedeño Mora Deutschlehrerin am CELE, UNAM und an der Deutschen Schule Xochimilco. AMPAL-Schatzmeisterin veronica_cedenom@yahoo.com.mx november 2009 3 Informes Dr. Florian Gräfe ALEG 2009-GRENZGÄNGE OLIVIA DIAZ IST NEUE PRÄSIDENTIN DES LATEINAMERIKANISCHEN GERMANISTIKVERBANDES Unter dem Motto Grenzgänge fand in Córdoba, Argentinien vom 21. bis 25. September 2009 zum 13. Mal der in dreijährigem Turnus ausgetragene Kongress des lateinamerikanischen Germanistenverbandes statt. Über 200 Germanisten aus fast allen lateinamerikanischen Staaten, aus den deutschsprachigen Ländern und den USA trugen unter den Hauptsektionen Literatur/Kultur, Linguistik, Übersetzung sowie Deutsch als Fremdsprache Ergebnisse aktueller Forschung vor. Schwerpunkt der lateinamerikanischen Forschung ist weiterhin die Literaturwissenschaft, was sich auch daran zeigte, dass die Mehrheit der Beiträge auf diese Sektion entfiel. Besondere Bedeutung kam auch den zahlreichen Plenarvorträgen aus allen genannten Teilbereichen der Germanistik zu: Dieter Rall etwa untersuchte im Eröffnungsvortrag die literarische Behandlung der Erdpole als ‚Grenzregionen’ schlechthin, Erwin Tschirner stellte anhand der Partikelverben Teilergebnisse der Leipziger Forschung zum Wortschatzgebrauch in Deutsch als Fremdsprache vor. Besondere Erwähnung verdient auch der Grenzgang zwischen Theologie und Literaturwissenschaft, den Karl-Josef Kuschel anhand einer Neuinterpretation von Lessings Nathan der Weise wagte. Innerhalb der Teilsektionen wurde auf eine inhaltliche Unterteilung verzichtet, so dass der Kongressbesucher zwar ein kaleidoskopisches Gesamtbild über lateinamerikanische Forschungsbereiche erhielt, die thematische Heterogenität erschwerte jedoch in einigen Fällen eine fachlich weiterführende Diskussion. In der Generalversammlung wurde Olivia Díaz, derzeit Leiterin der Sprachabteilung an der Universität Guadalajara, zur neuen Präsidentin des lateinamerikanischen Germanistenverbandes gewählt, so dass 2012 der 14. Kongress wieder nach Mexiko kommt. Die neuen Veranstalter freuen sich auf eine rege Beteiligung möglichst vieler mexikanischer Germanisten. Auf einer entsprechenden Internetseite wird in Kürze über das Datum und die geplanten Schwerpunkte informiert. Dr. Florian Gräfe DAAD-Lektor, Guadalajara graefe@daadmx.org Diana Thieme VIER PREPA - SCHÜLER AUS GUADALAJARA FIEBERN IHRER ERSTEN DEUTSCHLANDREISE ENTGEGEN EIN INTERVIEW MIT RUTH MUÑOZ ESCOTO, PABLO ESTEBAN MIRAMONTES ELÓRTEGUI, IVAN AGUAYO CORONADO UND KEVIN GONZÁLEZ BRACAMONTES, SCHÜLER DER PREPARATORIA NÚMERO 5 DE LA UNIVERSIDAD DE GUADALAJARA Ruth, Pablo, Ivan und Kevin, ihr vier lernt ja Deutsch an der Prepa 5. Könnt ihr euch zuerst einmal kurz vorstellen, etwas zu euren Hobbys, eurer Familie sagen und warum ihr Deutsch lernt? Hallo, ich heiße Ruth und bin 17 Jahre alt. Meine Familie ist sehr groß und ich habe viele Verwandte. Ich bin das älteste Kind in meiner Familie und ich habe noch zwei Brüder. Meine Hobbys sind Lesen, Filme 4 noviembre 2009 ansehen und mit Freunden ausgehen. Ich lerne Deutsch, weil ich sehr an der deutschen Kultur und dem deutschen Lebensstil interessiert bin. Ich heiße Pablo und bin 16. Ich lese gern und fahre auch gern Rad. Ich habe fünf Schwestern und einen Bruder. Ich lerne Deutsch, weil es mir gefällt. Die Sprache ist ganz anders als andere Sprachen und ich finde Deutschland auch sehr interessant. # 21 info-ampal Berichte Ich bin Ivan und bin auch 16 Jahre alt. Mein Hobby ist Tanzen. Ich bin in drei verschiedenen Tanzgruppen aktiv: Folklore, Hip Hop und Ballett. Ich möchte später sehr gern in Deutschland studieren u n d vielleicht an einem Austauschprogramm teilnehmen. Hallo, ich heiße Kevin und ich bin 17. Ich höre gern Musik und lese gern. Meine Familie ist sehr klein. Ich habe eine Schwester, die heißt Alexis. Meine Eltern heißen Susana und Enrique. Ich lerne Deutsch, weil mich Fremdsprachen und fremde Kulturen schon immer interessiert haben. Außerdem ist es mein großer Wunsch, später in Deutschland zu studieren. Ruth, was weißt du bisher über die deutschsprachigen Länder, deren Kultur und Menschen? Ich habe von Freunden gehört, dass die Mexikaner in Deutschland herzlich willkommen sind und das freut mich natürlich sehr! Zudem weiß ich, dass es in Deutschland große Wissenschaftler und Musiker gab und dass sich das Essen sehr vom mexikanischen Essen unterscheidet. Das Bier und die Bratwurst sind typisch für Deutschland. Ivan, du bist einer der vier Stipendiaten, der zu einem PASCH Jugendkurs nach Deutschland fliegen darf. Herzlichen Glückwunsch noch einmal! Wie wurden denn die vier Schüler ausgewählt, kannst du darüber etwas sagen? Das Auswahlverfahren war wirklich sehr anspruchsvoll. Ich hätte mir nie erträumen lassen, zu den Stipendienkandidaten zu gehören. Zuerst wurden 16 Schüler aus den beiden Deutschkursen des zweiten Semesters ausgewählt. Alle 16 mussten einen Test schreiben. Die acht Besten wurden zu einem Interview eingeladen. Schließlich wurden die vier Sieger bestimmt. Für mich war das alles sehr stressig info-ampal # 21 Die vier Stipendiaten Pablo, Ivan, Kevin und Ruth (von links nach rechts) aber gleichzeitig auch sehr aufregend. Pablo, wie war das für dich, als du erfahren hast, dass du ein Stipendium bekommst? Kannst du dich daran erinnern, wie du reagiert hast? Als ich die E-Mail gelesen habe, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich habe meine Eltern umarmt und auch ein bisschen vor Freude geweint. Dann habe ich mit meinem Vater ein Bier getrunken und so meine Stipendienzusage gefeiert. Kevin, was sagen deine Familie, Freunde und Klassenkameraden zu deiner Deutschlandreise? Meine Familie und Freunde sind sehr aufgeregt und hören nicht auf, mich zu beauftragen, viel aus Deutschland mitzubringen und die Liste der Mitbringsel wird immer länger. Ruth, wann fliegst du nach Deutschland, wohin und mit wem? Am Samstag, den 4. Juli um 16:30 Uhr fliegen wir - Pablo, Ivan und ich - nach Mexiko Stadt. Dort haben wir zwei Stunden Aufenthalt. Dann fliegen wir weiter nach Amsterdam und zum Schluss nach Düsseldorf, unserem Stipendienort. Kevin, ist es für dich in irgendeiner Weise ein Problem, dass du nicht wie die anderen nach Düsseldorf sondern alleine nach Varenholz im Kalletal gehst? Ich bin schon ein bisschen beunruhigt, weil es natürlich nicht das Gleiche ist, allein zu reisen, ganz ohne Begleitung. Aber dennoch glaube ich, dass das Alleinreisen auch ein interessanter Teil dieser Reise sein kann. Pablo, weißt du etwas über deinen Stipendienort in Deutschland? Wo bist du untergebracht? Ich werde in einer Jugendherberge am Ufer des Rheins in Düsseldorf, einer sehr modernen Stadt, übernachten. Und du Kevin, wo übernachtest du in Varenholz/Kalletal? In einem Schloss und darauf freue ich mich sehr. Ivan, wie stellst du dir deinen Aufenthalt in Deutschland vor? Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was mich erwartet. Ich möchte lieber offen für alle Möglichkeiten sein. Es gibt an jedem Ort ja sehr viel Kultur november 2009 5 Informes zu entdecken. Ich weiß nur, dass wir viel Deutsch lernen werden und dass während der drei W o c h e n verschiedenste F r e i z e i t a ktivitäten angeboten werden. Ruth, welche drei Dinge packst du außer Reisepass und Flugticket unbedingt in deinen Koffer? Meine Kamera halte ich für sehr wichtig, meinen MP3-Player und ein Wörterbuch. Pablo, gibt es etwas, worauf du ganz besonderes gespannt bist, etwas, was dich ganz speziell an Deutschland interessiert? Ich möchte gern das deutsche Essen probieren und sehen wie der öffentliche Transport funktioniert und wie die Leute in Deutschland leben. Mich interessieren auch die deutschen Städte und wie dort alles geregelt ist. Ivan, wie fühlst du dich so kurz vor deiner Deutschlandreise? Bist du aufgeregt? Ja, ich bin sehr aufgeregt. Je mehr sich der Abflugtag nähert, umso nervöser werde ich. Dennoch nimmt mir die ganze Aufregung auf keinen Fall die Vorfreude und die Gewissheit, dass ich in Deutschland großartige Momente erleben werde. Kevin, gibt es etwas, wovor du Angst hast? Es gibt für mich keinen Grund, Angst zu haben. Alles ist sehr spannend. Ruth, wirst du etwas oder jemanden aus Guadalajara in den drei Wochen vermissen? Ich werde meine Familie vermissen, aber ich glaube, dass ist ganz normal. Hierzulande ist man daran gewöhnt tagtäglich mit der Familie zusammen zu sein. Ivan, wie sieht es mit deinen Deutschkenntnissen aus? Bist du deiner Meinung nach gut vorbereitet? Ich verstehe ganz gut Deutsch, fast ohne große Probleme. Aber ich denke, ich muss noch viel lernen, um mich wohler und sicherer mit der deutschen Sprache zu fühlen. Kevin, weißt du schon, was du dir aus Deutschland mitbringen wirst, ein Souvenir, eine Süßigkeit oder ein Buch? Die Wunschliste der Mitbringsel ist schon sehr lang und wird immer länger. Das Meiste sind kleine Dinge wie Schokolade für Freunde und Klassenkameraden. Ich habe das Gefühl, dass ich für all die Sachen nicht genug Platz in meinem Gepäck auf dem Rückflug haben werde. Ganz lieben Dank Ruth, Pablo, Ivan und Kevin für dieses Interview. Ich wünsche euch eine gute Reise und einen unvergesslichen Aufenthalt in Deutschland. Natürlich bin ich schon sehr auf eure Reiseberichte gespannt. Das Interview auf Spanisch führte Diana Thieme, DaF-Lehrerin an der Preparatoria 5 de la Universidad de Guadalajara. Die Prepa 5 ist die erste Schule in Jalisco, die im Rahmen der Initiative Partnerschulen der Zukunft (PASCH) seit einem Jahr Deutsch als zweite Fremdsprache anbietet. dianathieme@yahoo.de Ein Vorbereitungsworkshop mit den Stipendiaten: Pablo, Ivan, Ruth und Kevin. (von links nach rechts) 6 noviembre 2009 # 21 info-ampal Informes Annette Gradl Marika Loos GUANAJUATO BLICKT NACH ÖSTERREICH unter der Regie Tom Hanks. Im deutschsprachigen Raum wurde er vor allem durch seine Hauptrolle in der populären TV-Serie Verbotene Liebe bekannt. 2001 adaptierte er den von Wolf Haas veröff e n t l i c h t e n Kriminalroman Wie die Tiere für die Bühne, was er im September schließlich auch in der Universität Guanajuato aufführte. Wie die Tiere ? Bereits vor Beginn des Theaterstücks bekundeStudentInnen der Deutschabteilung beim Tanzworkshop mit Christoph Dostal ten sowohl zahlreiche StudentInnen als auch Zur Freude der DeutschstudentInnen Landeskunde und Tanz und Theater. unzählige Kulturinteressierte aus des Departamento de Lenguas der Um eine ausreichende Platzanzahl der Region um Guanajuato ihr reges Universität Guanajuato fand das zu gewährleisten, wurden beide Interesse an dem Stück Wie die bereits für den vergangenen April Workshops zwei Mal angeboten. Tiere, was an der beträchtlichen angekündigte – jedoch aufgrund der Besucherzahl ersichtlich wurde. Schweinegrippe wieder abgesagte - Christoph Dostal Schauplatz des Theaterstücks Wie Programm Una mirada hacia Der 1972 in Niederösterreich gebodie Tiere ist die österreichische Austria vom 9. bis 10. September rene und am Konservatorium der Hauptstadt Wien, die unter anderem Stadt Wien ausgebildete Schau2009 endlich statt. für ihre nahezu pathologische Liebe spieler gab sein Leinwanddebüt in zu Hunden bekannt ist. Eben diese Trotz anfänglicher Startschwierigkeiten der Hauptrolle des österreichischen Hunde werden Opfer mysteriöser ließen sich weder Helena Knapp – Kinofilms Ich Gelobe, welcher 1994 Morde, ein Fall mit dem nun Lehrbeauftragte und Koordinatorin als „Bester Ausländischer Film“ für Privatdetektiv Brenner beauftragt der Deutschabteilung der UG – noch den Oscar nominiert wurde. wird. Nach intensiven Nachforschungen das österreichische Ministerium für Außerdem genoss Dostal in wird dieser jedoch ebenfalls in den Unterricht, Kunst und Kultur – allen Großbritannien eine ChoreografieIntrigensumpf hineingezogen und voran Gertrude Zhao-Heissenberger und Tanzausbildung an der London gerät letztendlich selbst ins – nicht entmutigen, die entsprechen- Contemporary Dance School, welKreuzverhör. den Vorkehrungen zu treffen, so che er in Zusammenarbeit mit der Dostal gelang es, ein perfektes dass die Veranstaltungen schließlich Tanzlegende Bob Curtis an der Bob Verwirrungsspiel zu inszenieren, Curtis Modern Dance Company gut besucht stattfinden konnten. indem sich die Rollen von Für den 9. 9. 2009 war eine ausbaute. Danach wirkte Dostal in Verfolgern und Verfolgten auf rätTheateraufführung der besonderen zahlreichen internationalen Filmselhafte Weise verschoben und die Art angekündigt, am nächsten Tag produktionen mit, unter anderem in Frage nach dem wahren Mörder folgten Workshops zu den Themen Steven Spielbergs Band of Brothers 8 noviembre 2009 # 21 info-ampal Berichte immer dringlicher wurde. Durch seine Darbietung des Theaterstücks schaffte er es, die StudentInnen vollkommen in seinen Bann zu ziehen. Alle zehn Charaktere des Stücks Wie die Tiere wurden von Dostal dargestellt, wobei man die unterschiedlichen Figuren an Mimik, Gestik, Stimme und Verhalten Dostals eindeutig identifizieren konnte. Dank zahlreicher interaktiver Elemente hätte das Theaterstück an Abwechslungsreichtum kaum übertroffen werden können. Neben eingeblendeten Musik- und Videosequenzen sowie Tanzeinlagen und Witzen kamen die ZuschauerInnen in den Genuss, selbst in das Theaterstück mit einbezogen zu werden. Diese äußerst ausdrucksstarke schauspielerische Leistung wurde zudem von improvisierten Hintergrundgeräuschen, beabsichtigtem Schweigen und Gesprächen mit dem Publikum unterbrochen, eine Abwechslung, die im Auditorium mit herzlichem Lachen erwidert wurde. Tanz- und Schauspielversuche sowie österreichischer Kulturworkshop. Unter der professionellen Anleitung von Christoph Dostal hatten die mexikanischen DeutschstudentInnen im Workshop Tanz und Theater die Gelegenheit, AfroModern Dance nach Bob Curtis zu lernen. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus klassischem Ballett, Modernem Tanz und afrikanischen Tanzelementen. Zuerst zögerlich, dann aber mit zunehmender Begeisterung zeigten sich so einige Tanztalente unter den TeilnehmerInnen. Direkt im Anschluss, an den Theaterworkshop, präsentierten sich auch überraschend viele schauspielerische Talente, als es darum ging, eine kurze Szene auf Deutsch zu spielen. Dabei sollten sich Gruppen von zwei bis drei StudentInnen eine neue Situation ausdenken, in der die Charaktere aus dem Stück verarbeitet werden sollten. An Leidenschaft fehlte es den Mexikanern und Mexikanerinnen keinesfalls. Vor Ort wurde die konstruktive Kritik Christophs in einem oder zwei Schritten in die Tat umgesetzt. Roland Fischer Professor für Deutsch als Fremdsprache an der österreichischen Universität Linz, bot zeitgleich einen Kulturund Landeskundeworkshop an. Aufbauend auf das vorhandene Vorwissen gelang ihm der Zugang zu den StudentInnen, um mit ihnen über österreichische aber auch deutsche Stereotypen zu sprechen, diese aber auf Stichhaltigkeit zu überprüfen. Sein Ziel war der Abbau von Vorurteilen und das Beantworten der Fragen, die die mexikanischen StudentInnen in Bezug darauf hatten. Der Sieger des Landeskundetests konnte den Abend schließlich mit einer ihm noch unbekannten rot-gold glänzenden Mozartkugel als Belohnung verbringen. Wir danken den OrganisatorInnen und LeiterInnen der Workshops für ihre ausgezeichnete Arbeit und den von ihnen gebotenen Blick nach Österreich. Annette Gradl Universität Regensburg Marika Loos Universtiät Dresden Praktikantinnen für DaF an der Deutschabteilung der Universität Guanajuato Workshop Landeskunde mit Roland Fischer info-ampal # 21 november 2009 9 Informes Ulrike Sperr 20 JAHRE MAUERFALL EIN PERSÖNLICHER RÜCKBLICK UND LANDESKUNDE FÜR DEN DAF-UNTERRICHT 20 Jahre sind eine lange Zeit, besonders wenn man, wie in meinem Fall, die letzten 10 Jahre davon nicht persönlich in Deutschland beobachten konnte. Doch was wäre gewesen, wenn man die Mauer am 9. November 1989 nicht geöffnet hätte? Was, wenn das geteilte Deutschland knapp ein Jahr später nicht wiedervereinigt worden wäre? Dann wäre zumindest ich heute ein ganz anderer Mensch. Im Februar 1990 hatte ich das Glück, während einer Klassenfahrt nach West-Berlin beobachten zu dürfen, wie Teile der Mauer zum ersten Mal durch Maschinen beseitigt wurden. Unter Anwesenheit des damals regierenden Bürgermeisters Walter Momper, erkennbar an dem für ihn typischen roten Schal, der am Potsdamer Platz vor laufenden Fernsehkamaras eine kurze Rede hielt, begannen mehrere Bagger den Betonwall einzureißen. Nötig wäre das wohl nicht unbedingt gewesen, denn in den drei Monaten seit ihrer Öffnung hatten die sogenannten ,,Mauerspechte” mit Hammer und Meißel schon so viele große und kleine Löcher hineingebohrt, dass es ohne Weiteres möglich war, diese als inoffizielle Grenzübergänge zu gebrauchen. Dieser Versuchung konnte auch ich an diesem 19. Februar 1990 nicht widerstehen, nachdem ein Vopo (Volkspolizist der DDR) mir mitgeteilt hatte, dass ich als Bürgerin der BRD nicht wie die Bürger von West-Berlin einfach mit meinem Personalausweis über die Grenze durfte, sondern dazu meinen Reisepass benötigte. Denn auch drei Monate nach der Grenzöffnung durfte man die Mauer nur an den offiziellen Grenzübergängen, an denen strikte Kontrollen stattfanden passieren, und unter Umständen bekam man innerhalb weniger Tage alle Seiten seines Reisepasses vollgestempelt. Natürlich musste nach den Mauerlöchern noch der ehemalige Todesstreifen und eine zweite ,,Mauer” in Form eines Stacheldrahtzaunes überwunden werden. Anschließend konnte ich über ein paar Plastikpipelines am Spreeufer entlang nach Ostberlin gelangen. Meine West-Berliner Freunde kannten sich dort schon aus und führten mich herum, kauften mir Vita Cola und Bowu1 sowie einen Eisbecher mit Sahne für eine Mark fünfzig. Für mich als Jugendliche war das Abenteuer pur. Vielleicht war diese Klassenfahrt und die vielen Reisen, die ich als Kind von meinem Wohnort Nürnberg in meine Geburtsstadt West-Berlin unternahm, der Grund dafür, dass ich mich später dazu entschied, ein neues Abenteuer zu beginnen und in Leipzig zu studieren. Während dieser Reisen durfte ich zwar nur kurzzeitig in den Osten Deutschlands „schnuppern“, doch dadurch wurde in mir eine gewisse Faszination geweckt sowie der Wunsch, Ostdeutschland besser kennen zu lernen. Der Hauptgrund war aber, dass die Universität Leipzig als einzige in Deutschland die beiden Studiengänge anbot, die ich studieren wollte: DiplomÜbersetzen und Journalistik. Rückblickend kann ich sagen, dass der Kulturschock für mich damals innerhalb meines eigenen Landes vier Jahre nach dem Mauerfall viel größer war als während meiner ersten Zeit in Mexiko. So fuhr ich während meines ersten Jahres in Leipzig fast jedes Wochenende nach Nürnberg, um meine Freunde und Familie zu sehen, aber auch um den “Luxus” eines wirklichen Badezimmers mit Badewanne, Dusche und Warmwasser sowie einer Zentralheizung genießen zu können. In den fünf Jahren, die ich im Osten verbrachte, habe ich es nicht gelernt einen Kohleofen anzuheizen und konnte mich auch nie richtig an die Campingduschen in den Küchen gewöhnen, die in unsanierten Altbauwohnungen dort üblich waren. Auf lange Sicht waren das jedoch die einzigen Abstriche, die ich machen musste, denn in allen anderen Bereichen war meine Zeit in Leipzig unvergleichbar und unersetzlich. Dank meiner relativ dialektfreien Aussprache konnte ich dort nur selten als ,,Wessi”2 enttarnt werden und traf deshalb auch nur selten auf Vorurteile. 1 Bockwurst 2 Westdeutsche/r; die Bezeichnungen “Wessi/s” und “Ossis” werden hier der Einfachheit halber verwendet, wobei eine Stereotypisierung vermieden werden soll. 10 noviembre 2009 # 21 info-ampal Berichte Dank meiner Thüringer Mitbewohnerin konnte ich so richtig in die ,,Ossikultur” eintauchen, so dass ich mich während meiner Reisen in die “Heimat” Nürnberg nicht mehr wirklich mit allen ,,Wessis” identifizieren konnte. Dank einer Recherchearbeit für einen Journalistikkurs erfuhr ich viel über das Leben der DDR-Studenten vor dem Mauerfall, ja sogar so viel, dass ich mir gewünscht hätte ich könne die Zeit zurückdrehen und selbst erleben, wie es früher gewesen war. Ich begann die ,,Ostalgie”3 einiger Kommilitonen zu verstehen, genoss zahlreiche ,,Ossipartys” und am besten gefiel es mir in den typischen Studentenclubs. Wenn ich heute nach Leipzig zurückkehre, werde ich selbst (n)ostalgisch, da von dem damaligen “Umbruchgefühl” heute kaum noch etwas zu spüren ist. Ich glaube, ich war damals einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und kann mit Worten gar nicht beschreiben, wie sehr mich diese Zeit im Osten Deutschlands geprägt hat. Deshalb ist es für mich wichtig, auch meinen Schülern ein Stück dieser Art von Landeskunde mitzugeben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies für mich am besten mit themenbezogenen Liedern (z.B. ,,Kling Klang” von der ostdeutschen Band Keimzeit) sowie persönlichen Berichten und Geschichten funktioniert. Jedenfalls ist das Thema Mauerfall meiner Meinung nach für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache zu wichtig, um einfach ausgeklammert zu werden, wie es die meisten Lehrwerke für das Niveau A1/A2 tun. Es gibt zwar Lehrwerke, wie z. B. Moment mal 1 von Langenscheidt oder Tangram 2 A von Hueber, die dem Thema Mauer immerhin Teile eines Kapitels widmen, jedoch scheinen die Studenten persönliche Berichte und Geschichte weit mehr zu interessieren. Gleichzeitig können dadurch Informationslücken zum Thema „Jüngere europäische Geschichte“ geschlossen werden. In Fortgeschrittenkursen bietet sich zusätzlich die Möglichkeit, Ausschnitte aus der vielfältigen (Nach-)Wende- bzw. Mauerliteratur zu behandeln wie z.B. Zonenkinder von Jana Hensel oder die Romane von Thomas Brüssig, z. B. Wie es leuchtet. Ulrike Sperr Coordinadora del Centro de Aprendizaje de Lenguas Departamento de Lenguas Universidad de las Américas Puebla ulrike.sperr@udlap.mx Karin Neudecker AUCH IN HERMOSILLO IST DIE MAUER GEFALLEN. EIN BERICHT VOM KULTURFEST AN DER UNIVERSIDAD DE SONORA In den Sprachkursen an unserer Universität wird neben der Vermittlung von Sprachwissen und -fertigkeiten ein besonderer Wert auf den landeskundlichen Aspekt, wie die Vermittlung von Traditionen und kulturellen Eigenheiten der Länder gelegt, deren Sprache erlernt wird. Dem liegt das Konzept zugrunde, dass Sprache und Kultur eine nicht voneinander zu trennende Einheit sind. So haben sich im Laufe der Jahre an der Fremdsprachenabteilung der UNISON einige kulturelle Veranstaltungen etabliert, die aus dem Jahres- bzw. Semesterrhythmus nicht mehr wegzudenken sind, wie der Tag der Erde, der Internationale Tag der Frau, der Altar für die Verstorbenen, d a s F u ß b a l l t u r n i e r, d i e internationale Weihnachtsfeier und das Internationale Kulturfest. Letzteres wurde vor 12 Jahren zum ersten Mal Ende Oktober im Zusammenhang mit dem Tag der Vereinten Nationen im kleinen Rahmen organisiert. Seitdem hat diese Veranstaltung immer mehr an Bedeutung gewonnen und wird schon Wochen zuvor sowohl von der Fremdsprachengemeinde als auch von Teilen anderer Fakultäten und der Bevölkerung allgemein mit Spannung erwartet. Das Fest ist in drei Bereiche geteilt: die Informationsstände mit landeskundlichen Themen, die Essensstände mit typischen Speisen aus den verschiedenen Ländern (von den Studenten selbst zubereitet) und das Show Programm, das parallel dazu auf einer Bühne dargeboten wird. 3 Wortspiel / Verschmelzung der Wörter “Ost” und “Nostalgie” info-ampal # 21 november 2009 11 Informes Studenten beim Gestalten ihres Mauerteils Für uns drei Deutschlehrerinnen stand ziemlich schnell das diesjährige Thema der Deutschabteilung fest: der 20. Jahrestag des Mauerfalls konnte einfach nicht übergangen werden. In Arbeitsteilung entwickelten die verschiedenen Deutschgruppen (in diesem Semester gab es 6 Niveaus) je nach Deutschkenntnissen die Beiträge. Je mehr sie sich in das Thema vertieften, desto größer wurde die Auswahl an Aspekten und Informationen, die es Wert waren weiterzugeben: die Geschichte der Mauer, Einzelschicksale, die Lebensbedingungen in Ost und West, typische Konsumprodukte beider Länder, die Geschichte der Nationalhymne, der Tag der Grenzöffnung und das große “Fest der Freiheit” am 9. November in Berlin mit der von der Bundesregierung organisierten und vom Goethe - Institut internationalisierten Dominoaktion. Neben den Infowänden wollten wir im Showprogramm einen Stück zum Gedenken an den Mauerfall vorstellen. Da uns eine Dominoaktion im Kleinen auf einer Bühne zu riskant erschien und sicher nicht den Effekt wie die großen Steine vor dem Brandenburger Tor gehabt hätte, entschlossen wir uns zu einer Alternative. Wir wollten eine Mauer aus großen Kartons aufbauen und diese dann wieder abtragen. Dazu sollten Schlagwörter aus der Hymne auf Deutsch und Spanisch proklamiert werden. Für uns Lehrerinnen war es erstaunlich zu sehen, mit welchem Interesse die Studenten, die größtenteils noch gar nicht geboren waren, als die Mauer fiel, sich diesem ,,deutschen“ Thema widmeten. Es wurden Referate gehalten, die Hymne eingeübt, Plakate und Bildmaterial gestaltet und am meisten Spass machte natürlich das Anmalen der 10 Mauersteine. Dabei hatten alle die Freiheit, sich persönlich zum Thema auszudrücken, eine 12 noviembre 2009 künstlerische Note zu hinterlassen oder sich in die Situation eines Berliner „Mauermalers” zu versetzen. Im Hinblick auf die interkulturelle Auseinandersetzung und Reflexion zum Thema wurde die Mauerreise des Goethe-Instituts zu einem zentralen Punkt gemacht. Die Studenten waren beeindruckt, dass Mexiko aufgrund seiner Grenzsituation zu den USA eines der wenigen weltweit ausgewählten Länder war, das eingeladen wurde, einen Mauerstein zu gestalten. Die eigene Erfahrung von Teilung, Abgrenzung, Diskriminierung und Ängsten gab Stoff für bereichernde Unterrichtsgespräche. Hermosillo ist nur 3 Autostunden von der Grenze zu Arizona entfernt und viele haben ihre persönlichen Erfahrungen an der Grenze gemacht. Nach intensiver Vorbereitungszeit kam endlich der Tag. Unser Infostand wurde mit viel Interesse besucht und manch einer las alle Einzelheiten. Die Maueraktion auf der Bühne wurde kommentiert mit den Worten: ,,beeindruckend”, ,,tiefgreifend”, ,,dieses Jahr der wichtigste Beitrag”. Aber leider ist nichts perfekt und so tönte die Musik der Bundeswehrkapelle mit der Deutschlandhymne vorzeitig mitten in den Mauerakt. Für diejenigen Besucher, die den leiblichen Genuss vorzogen, gab es am deutschen Stand Gulasch, Apfelstrudel und Berliner. Für uns Lehrerinnen an der Fremdsprachenabteilung bedeuten diese Veranstaltungen natürlich immer Mehrarbeit, einen Eingriff in die gewohnte Unterrichtsroutine, Motivationsarbeit, der Einsatz sämtlicher praktischer Fertigkeiten und manchmal auch Zeitdruck, um das Unterrichtsprogramm durchzubringen. Aber am Ende stellen wir immer fest: Es hat sich gelohnt. Lic. Karin Neudecker DaF - Lehrerin Koordinatorin für Fremdsprachen ausser Englisch an der Universität von Sonora karin@lenext.uson.mx # 21 info-ampal Artículos Dr. Tülin Arslan WEBGESTÜTZTES LERNEN MIT MOODLE IM DAF-UNTERRICHT In der DaF-Forschung bzw. DaF-Didaktik ist immer häufiger die Rede vom webgestützten Lernen oder neuen Medien im Unterricht. Den Unterricht nur online zu gestalten, erscheint aber nicht sinnvoll zu sein, denn Präsenzunterricht - ist für die kommunikative Gestaltung der Lernumgebung unabdingbar. Deswegen ist es sinnvoller, den Präsenzunterricht mit webgestützten Tools zu erweitern. Wer sich für webgestützte Tools interessiert, stößt daher unwillkürlich auf Begriffe wie Lernplattformen, CMS, LMS, web2.0, etc. Lernplattformen sowie webgestützte Tools wie Foren, Chats, Wikis und Blogs werden immer mehr zu einem wesentlichen Teil des Unterrichtsprozesses. Eine der beliebtesten Lernplattformen ist Moodle. Moodle ist die Abkürzung für Modular Object Orientes Dynamic Learning Environment (modulare, objektorientierte und dynamische Lernumgebung). Moodle wurde von Martin Dougiamas an der Curtin Univetsity of Technology in Australien entwickelt und wird als freie Software zur Verfügung gestellt. Der Gedanke hinter dieser Software ist eine soziale, fördernde Pädagogik. Dieser Gedanke geht auf die Lerntheorie des Konstruktivismus zurück. Moodle unterstützt die aktiven und sozial Lernenden, die ihr Wissen in einem aktiven Aneignungsprozess strukturieren. „Heute steht Moodle als - Name für ein sich immer weiterentwickelndes Lernportal, das weltweit bei ehrenden und lernenden Personen und Institutionen immer beliebter wird, - Begriff für eine einfache Lerntechnik und das Kennenlernen neuer Lernmethoden, die die Kreativität und Aufnahmefähigkeit der Lernenden fördern, - Tätigkeit, sich mit einem Thema intuitiv zu beschäftigen, sich Dinge herauszupicken und in der Gemeinschaft mit anderen Lernenden zu neuen Einsichten zu kommen und neue Gedanken zu entwickeln“ (Gertsch, Fredi 2007). Moodle ist zurzeit eine sehr beliebte Lernplattform. Die roten Punkte (siehe Abb. 1) zeigen die Moodle Sites weltweit. Moodle hat über eine Million registrierte Benutzer in 75 verschiedenen Sprachen aus 193 Ländern. Es gibt 50,000 registrierte Moodlesites. Um Zugang zur Lernplattform Moodle zu schaffen müssen sich die Lernenden über den Link login (Abb. 2) zuerst registrieren. Das Registrieren ist einmalig aber man muss sich jedes Mal anmelden. Abb. 2 Die wichtigsten Bausteine von Moodle sind die Kurse. Die Kurse sind inhaltlich und didaktisch aufbereitete Lerneinheiten, in denen man beliebig entweder Arbeitsmaterial (Abb. 3) oder Aktivitäten (Abb. 4) anlegen kann. Abb. 3 Abb. 1 14 noviembre 2009 # 21 info-ampal Artikel Abb. 4 Jede Aktivität wird als Modul bezeichnet und jedes Modul hat in sich eine pädagogische Funktion. In der nachfolgenden Liste sind die pädagogischen Funktionen der Module zu sehen. Pädagogische Funktionen der Module im Überblick In diesem Artikel werden die Module Aufgabe (Online Lernbüchern als Thema bearbeitet wird (Abb. 6). Lernende, sogar mit geringen Sprachkenntnissen, können einen einfachen Text über ihren Tag verfassen und absenden. Der Lehrer kontrolliert den Text und schickt ihn zurück (Abb. 6). Die Lernenden haben die Möglichkeit den korrigierten Text mit ihrem Originaltext zu vergleichen. Dieses Modul ist eines der meist verwendeten Aktivitäten von Moodle. Man kann aber auch eine Webseite verlinken und die Lernenden eine virtuelle Recherche machen lassen, zum Beispiel über das Thema Jugendherberge. Die Lernenden werden aufgefordert, die Webseite www.jugendherberge.de anzuklicken. Mit einer klaren Beschreibung und deutlichen Anweisungen machen sich die Lernenden auf die Suche nach Informationen (Abb.5). Dabei spielt die exakte Aufgabenstellung eine große Rolle, da Lerner der Grundstufe schnell in der Fülle authentischer Materialien verloren gehen können. Auf diese Weise erhalten die Lernenden Zugang zur realen Welt und das autonome Lernen wird damit gefördert. Der Lerner kann selbst bestimmen über welche Jugendherberge er schreiben möchte und die visuellen Webseiten motivieren dabei zum Lernen. (Quelle: Hilgenstock/Jirmann 2005: 38) Textangabe), Forum, Hot-Potaoes-Test, und Wiki thematisiert und Beispiele aus der Praxis gegeben. Aufgabe (Online Texteingabe) Online Texteingabe eignet sich sehr gut für die Erweiterung der Schreibfertigkeit. Dieses Modul bietet den Lernenden die Möglichkeit einen Text mit Hilfe eines Editors zu erstellen und an den Lehrenden zu senden. Bei Online Texteingabe lässt man den Lernenden einen Text über ein bestimmtes Thema schreiben, z. B. über einen Tagesablauf, der in vielen info-ampal # 21 Abb. 5 november 2009 15 Artículos Abb. 6 Forum Das Modul Forum schafft einen virtuellen Ort, in dem Meinungen asynchron ausgetauscht und Fragen zu einem Thema gestellt werden können. Ein Forum besteht aus „Diskussionsfäden“, die mit einem Thema beginnen und mit den Beiträgen wachsen (Abb. 7). Die Kooperation schafft eine virtuelle, soziale Komponente, die für effektives Lernen sehr wichtig ist. Foren können mit verschiedenen Absichten eröffnet werden, z. B. können sie als Treffpunkt zum Diskutieren, für allgemeine Ankündigungen zum Kurs, (die nur vom Lehrer eingetragen werden können), zum freien Meinungsaustausch, für Fragen über Lernmethoden oder Lernstrategien oder zu Themen, die zum Unterrichtsplan gehören, genutzt werden. Unten (Abb. 6) ist ein Beispiel zu einem Thema aus dem Unterrichtsplan „Macht Geld glücklich?“ gegeben. Sprachunterricht und für didaktische Konzepte. Die Software, die man von der Webseite www.hotpotatoes.de kostenlos herunterladen kann, besteht aus fünf verschiedenen Aufgabentypen (JClose, JCross, JMatch, JMix und Jquiz) (Abb. 8). Unten sehen Sie eine Abbildung (Abb. 9) von JCross. Diese interaktive Aufgaben können von den Lernenden mit wenig Aufwand bearbeitet werden. Hot-Potatoes-Tests werden häufig als Alternative zur Lernaktivität Test eingesetzt. Die Tests werden an einem Computer erstellt und in den Moodle-Kurs integriert. Nachdem die Lernenden die Tests gelöst haben, werden die Ergebnisse automatisch ausgewertet. Durch die automatische Auswertung bekommen die Lernenden sofort ein Feedback und haben dadurch auch die Möglichkeit ihre Fehler zu sehen und sie zu korrigieren. Abb. 8 Abb. 9 Abb. 7 Hot-Potatoes-Test Der Hot-Potatoes-Test gehört zwar nicht zur MoodleStandart-Installation, wird aber von vielen gerne eingesetzt. Hot-Potatoes eignet sich für den 16 noviembre 2009 Wiki Mit Wiki können die Lernenden gemeinsam Texte bearbeiten, in dem sie einfache Formate zur Gestaltung eines Textes benutzen. Veränderungen und Ergänzungen zu einem Text werden sofort veröffentlicht. Wikis ermöglichen eine gemeinsame Arbeit an Texten, die man erweitern, kürzen und auch löschen kann. Alle # 21 info-ampal Artikel kann. Die Verwendungsmöglichkeiten können vom Lehrer beliebig erweitert werden. Abb. 10 Veränderungen werden von Moodle gespeichert und jeder kann verfolgen, wer an dem Text etwas abgeändert oder hinzugefügt hat. Ein methodischdidaktischer Einsatz von Wikis bietet sich im Bereich der Gestaltung von Geschichten an (Abb. 10). Im Sinne einer Schreibwerkstatt entsteht ein gemeinsamer Text. Eine weitere Einsatzmöglichkeit von Wikis ist die Führung eines Lerntagebuchs, um den eigenen Lernweg zu reflektieren. Dafür verfügt jeder Lerner über sein eigenes Wiki, das nur von ihm selbst kontrolliert werden Literaturverzeichis: Gertsch, F. (2007). Das Moodle 1.8 Praxisbuch- OnlineLernumgebungen anbieten und verwalten. München: AddisonWesley Verlag. Höbarth, U. (2007). Konstruktivistisches Lernen mit MoodlePraktische Einsatzmöglichkeiten in Bildungsinstitutionen. Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch. Rice IV, W.H. (2006). Moodle E-Learning Course Development- A complete guide to successful using Moodle. Birmingham-UK: Packt Publishing Ltd. Rinder, A. (2003). Das konstruktivistische Lernparadigma und die neuen Medien. Info DaF- Informationen Deutsch als Fremdsprache, 30,1, 3-22 München: IUDICIUM Verlag. Webseiten www.moodle.org www.hotpotatoes.de www.tulinarslanlcom/moodle Dr. Tülin Arslan Universität Yeditepe, Istanbul Türkei tulin.ar@hotmail.com Dorit Heike Gruhn OBJEKTIVERE FREMDBILDER DURCH KONTAKTE, WISSEN UND GUTE ABSICHTEN? TEIL 1 In seinen ,,philosophischen Untersuchungen über die Amerikaner” schreibt der preußische Philosoph Kornelius de Paw 1768 folgendes: ,,Las lenguas de América son tan estrechas y escasas de palabras, que no es posible explicar en ellas ningún concepto metafísico. No hay ninguna de estas lenguas en que se pueda contar arriba de tres.” Diese Behauptung stößt auf den vehementen Widerspruch des mexikanischen Jesuitenpaters und Geschichtsforschers Francisco Xavier Clavijero, der 1780 kontert: Cualquiera que lea estas decisiones magistrales de Paw, se persuadirá sin duda que decide así después de haber viajado por toda la América, de haber tratado con todas aquellas naciones y haber examinado todas info-ampal # 21 sus lenguas. Pero no es así. Paw, sin salir de su gabinete de Berlín, sabe las cosas de América mejor que los mismos americanos, y en el conocimiento de aquellas lenguas excede a los que las hablan” . Eine Menge Tinte muss Clavijero noch verspritzen, um diese und viele weitere Behauptungen Paws detailliert zu widerlegen, denn dessen Werk steht ganz und gar unter dem Vorzeichen, die Überlegenheit der europäischen Völker gegenüber den amerikanischen zu beweisen. Drei Elemente scheinen mir hier von Interesse, die ich beim Aufzählen gleichzeitig durch Fragen erweitern möchte: 1. Sicher waren im 18. Jahrhundert die Möglichkeiten grenzüberschreitend zu reisen und andere Kulturen vor Ort kennenzulernen auf relativ wenige Personen beschränkt. Doch hat der in den letzten Jahrzehnten stark zu Trend zugenommene Auslandsreisen und -aufenthalten zu einem Abbau von Vorurteilen geführt? 2. Damals gab es weder Fernsehen noch Internet und auch wesentlich weniger Printmedien als heute, einmal abgesehen davon, dass der Zugang zum Wissen allein schon durch die allgemein hohen Analphabetenquoten weltweit beschränkt war. Ist aber der gegenwärtig immer größer werdenden Flut an Wissen und Dokumentation aus aller Welt mehr zu trauen als den Aussagen eines Paw und hilft diese, Vorurteile abzubauen? november 2009 17 Artículos 3. Wie steht es mit dem Überlegenheitsdünkel, den Paw hier unter dem Deckmantel der Wissenschaft an den Tag legt? Sind in Zeiten, in denen Vorträge und Fortbildungsveranstaltungen rund um die interkulturelle Kompetenz überall auf der Tagesordnung stehen, zumindest wir Sprachlehrer und Sprachenlerner davor gefeit? Bevor ich aber detaillierter auf diese Punkte eingehe, möchte ich etwas ausholen, und ein paar allgemeine Anmerkungen machen zu politischen Grenzen, der physischen oder auch nur geistigen Überschreitung derselben, sowie zu den Kulturen, die sie angeblich voneinander trennen. 1. Nationalstaaten als Kulturhybride Politische Grenzen sind menschengemachte Trennlinien, deren Existenz und Verlauf zeitlichen Änderungen unterliegen. Denken wir nur daran, dass man zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Ausweispapiere benötigte, um von einem deutschen Kleinstaat in den nächsten zu gelangen, während in der Gegenwart die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Grenzen ganz Europas im Schrumpfen begriffen ist. Und während manchen Menschen das physische Überschreiten nationalstaatlicher Grenzen immer leichter gemacht wird, lässt eine wachsende Zahl anderer beim bloßen Versuch dazu ihr Leben. Mexikaner verdursten in der Wüste von Arizona, Afrikaner ertrinken im Mittelmeer. Die vorwiegend politischen und wirtschaftlichen Beweggründe von Grenzziehungen haben es auch mit sich gebracht, dass Grenzen eben nicht - wie oft fälschlicherweise angenommen auf gleichsam natürliche Weise Sprachen und Kulturen voneinander trennen. Große Anstrengungen waren notwendig, um über Staatsapparat und B i l d u n g s s y s t e m 18 noviembre 2009 Homogenisierungsprozesse einzuleiten, die in den meisten Nationalstaaten bis heute nicht abgeschlossen sind. Auch in der Gegenwart existieren innerhalb der meisten Nationalstaaten noch diverse ethnische Minderheiten mit ihren jeweiligen Sprachen sowie unterschiedliche kulturelle Elemente. Das mag banal klingen, wird aber in vielen Texten und Veranstaltungen zu Themen der Interkulturalität immer noch schlichtweg übersehen. Da wird über die deutsche oder die mexikanische Kultur referiert, da werden Rezepte verteilt, wie den Vertretern der ,,anderen Kultur” zu begegnen sei, gerade so als ob diese als feste, unwandelbare Einheit existieren würde. Sicher, Unterschiede zwischen den Menschen aus verschiedenen Weltgegenden lassen sich nicht leugnen. In Deutschland isst man Schwarzbrot, in Mexikano Tortillas aus Maismehl. Aber was ist mit Guatemala, wo ebenfalls MaisTortillas gegessen werden? Was mit Nordmexiko, wo man in der Regel Weizen vorzieht? Wo stecken wir die Bewohner dieser Gegenden hin? Die kulturellen Unterschiede zwischen den Menschen entziehen sich nicht jeglichem wissenschaftlichen Beschreibungsversuch, so gibt es z. B. interessante Studien zu kulturbedingtem Umgang mit Raum oder Zeit. Schwierig wird es aber, wenn es um eine genaue zeitliche, räumliche oder ethnische Eingrenzung des Beschriebenen geht. Nicht nur, dass wir über Max Webers Definition von Ethnie als einer “Glaubensgemeinschaft” , also eines sozialen Konstrukts, bis heute nicht hinausgekommen sind, eine gesamtgesellschaftliche Beschreibung kultureller Merkmale kann vielleicht gerade noch für manche Agrargesellschaften geleistet werden, in denen alle Mitglieder eindeutigen gemeinsamen Wertordnungen und Normen folgen. Und selbst das ist nicht sicher. Für komplexe Gesellschaften gefällt mir das Bild vieler Schichten, die sich überlappen, ohne jemals völlig kongruent zu sein - jede Schicht mit ihren spezifischen kulturellen Eigenheiten, die mehr oder weniger schnellen Wandlungsprozessen unterworfen sind. Zunächst einmal gibt es da allgemeinmenschliche, also universalistische Grundbedingungen des menschlichen Lebens (Ernährung, Bildung von Fortpflanzungsgemeinschaften, Krankheit, Tod usw.), der sich jede Gemeinschaft auf die ein oder andere Weise stellen muss. Dann kommt ein gemeinsamer politisch-wirtschaftlicher und institutioneller Rahmen, der historisch gewachsen ist und über Generationen tradiert, aber auch transformiert wird. Darüber lagern sich regionale, religiöse, subkulturspezifische, d. h. allgemein soziokulturelle Unterschiede, dann auch Einwandererkulturen und nicht zuletzt persönliche Merkmale der Individuen. Nicht vergessen werden darf, dass die gegenwärtigen Globalisierungstendenzen, die Durchdringung der Welt mit denselben marktbezogenen Gesetzen von Effizienz und Zweckrationalität, und die (fast) weltweite Konsumgemeinschaft, die bestehenden kulturellen Unterschiede verwässern, ja deren ohnehin nicht klar definierbaren Grenzen noch weiter verwischen, während sich manche Gruppen - wohl als Reaktion darauf zu ethnischen und kulturellen Eigenheiten bekennen, die in der von ihnen beanspruchten Form möglicherweise nie existiert haben. Wie soll sich nun der arme Sprachenlerner, aber auch der arme Sprachenlehrer in diesem unüberschaubaren Gemenge der unterschiedlichsten kulturellen Einflüsse und Überschneidungen zurechtfinden? Wie sich dem vorgeblich fremden und # 21 info-ampal Artículos begrifflich gar nicht mehr fassbaren Kulturhybrid nähern? Hat er eine andere Wahl, als zu Vereinfachungen, sprich Stereotypen und den darauf aufbauenden Vorurteilen zu greifen? Nun, Vereinfachungen sind oftmals notwendig, um überhaupt mit einer allzu komplexen Realität umgehen zu können. Auch scheinen Stereotypen- und Vorurteilsbildung aus dem Miteinander menschlicher Gruppen nicht wegzudenken zu sein, haben sie doch eine wichtige Abgrenzungs- und Identitätsbildungsfunktion. Insofern wird man sie kaum jemals völlig aus der Welt schaffen können. Dennoch: Gerade Sprachlehrer und Sprachenlerner sollten sich um deren kleinstmögliches Ausmaß bemühen bzw. realistischer gesprochen - sich ihrer eigenen Vorurteilsstrukturen zumindest bewusst werden. Und, um wieder auf die eingänglichen Fragen zurückzukommen, gilt es zu durchleuchten, welche Rolle dabei Auslandsaufenthalte, Informationen und Selbstzuschreibungen spielen können. 2. Führen Kontakte mit anderen Kulturen zu interkultureller Kompetenz? Nicht wenige Europäer haben versucht, Mexiko ihr ureigenes Weltbild aufzuprägen. Auch heute wird landläufig noch angenommen, dass die beiden Ersteren gleichsam automatisch zu interkultureller Kompetenz führen würden. Mehr Wissen, so verhieß die Aufklärung, sei ein sicheres Mittel gegen Vorurteile, gegen das bloße Meinen und Glauben . Und Alexander von Humboldt fügte hinzu: ,,Die gefährlichste Weltanschauung, ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie gesehen haben” . Doch die Auffassung, dass allein durch persönliche Anschauung und Kontakte - in der Forschung als 'Kontakthypothese' bezeichnet - Vorurteile abgebaut werden könnten, wird gegenwärtig ernsthaft angezweifelt. Es liegt auf der Hand, dass ein deutscher Tourist, der zwei Wochen lang in Mexiko durch Pyramidenstätten und komfortable Hotels geführt wird und seinen Urlaub in Cancún beendet, hinterher wenig mehr über das Urlaubsland wissen wird, als vorher, zumal die Reiseveranstalter bemüht sein werden, 20 noviembre 2009 sämtliche Klischees zu bedienen, die der Kunde erwartet. Schreibt der auf diese Weise Gereiste dann zu Hause ein Buch, wird das in Bezug auf die subjektive Beliebigkeit der Aussagen den Arbeiten Paws in nichts nachstehen; Paw hatte sich - wie schon erwähnt - vom heimatlichen Schreibtisch nicht fortbewegt. Aber wie werden die Schriften von Gastschülern, Austauschstudenten oder auch Firmenangehörigen ausfallen, die in der Regel mehrere Monate oder Jahre in einem anderen Land bleiben und intensivere Kontakte zur einheimischen Bevölkerung pflegen können? Um es vorwegzunehmen: Wahrscheinlich auch nicht besser. Jeder kennt Deutsche und andere Ausländer, die schon lange in Mexiko leben, und sich den lieben langen Tag nur über Mexiko und die Mexikaner beschweren (was sich umgekehrt in Deutschland natürlich auch beobachten lässt). Woran liegt das? ,,Die naive Erwartung, dass allein schon eine Auslandsreise […] Stereotype zu Fall bringe, ist durch eine ganze Anzahl psychologischer Untersuchungen in Frage gestellt worden”, schreibt Hermann Bausinger schon 1988. Und Alexander Au spezifiziert aus aktueller Perspektive: ,,Interaktion von Kommunikationspartnern differenter Kulturstandards führt durch die Eigendynamik kommunikativer Prozesse eher zur Verstärkung von bestehenden Vorurteilen und also auch zur Behinderung von echten (interkulturellen) Kommunikationsprozessen […]” . Ich nehme an, dass hier unter ,,Eigendynamik kommunikativer Prozesse” kulturell unterschiedliche Kommunikationsstandards und -riten, auch unter Einbezug von pragmatischen und semantischen Aspekten, gemeint sind, die bei Nichtkenntnis des Anderen auch dann zu Mißverständnissen und Fehlinterpretationen führen können, wenn es keine Verständigungsschwierigkeiten auf der formalsprachlichen Ebene gibt. Darüberhinaus wird der Abbau von Vorurteilen durch Mechanismen verhindert, die unsere Wahrnehmung leiten. Ulrich Bauer schreibt dazu: Das Bedürfnis nach Festschreibung der Anderen als Fremden ist offensichtlich sehr ausgeprägt und sichert unsere Weltwahrnehmung ab. […] Diese Prozesse funktionieren völlig ohne rationale Rückbindung an die beobachtbare Realität, also ohne Rücksicht auf die Frage, welcher Anteil der Fremdgruppe sich entsprechend der stereotypen Erwartung verhält, oder gar, welche Verhaltensmuster im Rahmen einer selektiven Wahrnehmung überhaupt registriert werden. Findet der Kontakt nicht zwischen Personen statt, sondern zum Beispiel auf dem heimischen Sofa über das Medium Literatur, sind dieselben Mechanismen am Greifen. Der Literaturbetrieb steuert nicht nur Erwartungshaltungen (und somit die Wahrnehmung) bezüglich des ,,Anderen”, er bedient sie auch. Sehr anschaulich verdeutlicht das ein # 21 info-ampal Artikel Vorfall, der sich in den USA zugetragen hat : Im Rahmen eines Booms lateinamerikanischer Literatur in den 90er Jahren werden drei unbekannte lateinamerikanische Schriftsteller von einem begeisterten Verleger angeheuert, um in seiner angesehen Literaturzeitschrift zu veröffentlichen. Bald darauf sind auch drei Manuskripte fertig - von denen aber dann ganz unerwarteterweise zwei abgelehnt werden. Der Grund: Die Autoren hatten gegen den 'heiligen Code des magischen Realismus' verstoßen und waren damit uninteressant. 'Diese Texte hätten in jedwedem Land der Ersten Welt geschrieben sein können', argumentiert der Verleger. Ähnliches könnte sich sicher auch in Verlagshäusern des deutschsprachigen Raumes zutragen, oder hat sich schon tausende Male zugetragen. Ich selbst bin gerade dabei, die biographische Schrift einer Lateinamerikanerin ins Deutsche zu übersetzen und bin diesbezüglich in eine Auseinandersetzung mit dem Verleger geraten: Beschreibt die Autorin doch in erster Linie einen politischen Kampf, wobei ihr persönliches Leben eher als Kulisse und Erfahrungshintergrund ins Blickfeld gerät. Der Verleger möchte aber das politische Element abschwächen, denn das - so meint er interessiert das deutschsprachige Publikum nicht. “Die wollen etwas über das Leben der armen unterdrückten Indio-Bäuerin vom Lande erfahren”. Eine Festschreibung von der Art, wie die Autorin sie eben gerade überwinden wollte. Kurz: Gedruckt wird, was verkaufsträchtig ist. Unsere Wahrnehmung wird also bereits fokussiert, bevor wir überhaupt etwas wahrnehmen können. Die vorgefertigten Bilder, die daraufhin entstehen, suchen dann nicht nur in der Literatur, sondern auch im Falle eines persönlichen Kontaktes immer wieder nach Bestätigung. Halten wir also fest, dass Kontakte zu Menschen aus anderen Kulturen, bei denen der eigene Blick nicht in seiner Bedingtheit reflektiert wird, keinesfalls automatisch zu interkultureller Kompetenz führen. Mit anderen Worten: Die ,,Wege in die fremde Kultur” müssen ,,methodisiert” werden, ,,aus dem naiven kontrastiven Erfahrungsmodus” ist ein ,,kontrollierter Zugang zu machen” . Dorit Heike Gruhn Lehrkraft an der Sprachenfakultät der Benemérita Universidad Autónoma de Puebla heike50@hotmail.com Kornelius de Paw: Philosophische Untersuchungen über die Amerikaner, Berlin 1768. Zit. in span. Übers. nach Clavijero, Francisco Xavier Clavijero, La cultura de los mexicanos, Planeta 2002 (aus: Historia antigua de México, Bd. 4 von 10, Italien 1780/81), S. 56. 2 ebd. 3 Besonders treffend und präzise erscheind mir die folgende Definition von ,,interkulturell”, die dieser Arbeit unterlegt werden soll: ,,Von Interkulturalität ist ein Verhältnis dann geprägt, wenn es (1) Begriffe nicht als binäre, sondern als relationale auffasst, (2) in das Verstehen des Anderen das Verstehen des eigenen Blickwinkels mit einschließt, (3) jede Beziehung also auch zu einer Selbstaufklärung durch Distanzierung und Selbstkritik führt, (4) diese Selbstkritik eine Selbstveränderung impliziert und (5) diese Selbstveränderung zu einem qualitativ neuen Verhältnis zwischen den Kulturen führt.” Alexandra Hausstein: Interkulturalität. In: Ralf Schnell (Hg.) Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart, Metzler 2000, S. 231f. Hier zit. nach Bauer 2003, S. 16. 4 Edward Hall: The hidden dimension, Anchor Books/Doubleday 1990 (Raum) und Robert Levine: Geography of Time: On Tempo, Culture and the Pace of Life, Basic Books 1998 (Zeit). 5 ,,Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider, oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen […] ethnische Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft vorliegt oder nicht”. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, S. 237. 6 vgl. Armin Nassehi: Von der Lösung zum Problem. In: KulturAustausch 4/2004, S. 36. 7 zit. nach Georg Schütte: Der Atlantik ist schmaler geworden. In: KulturAustausch 2/1999, S. 62. 8 Hermann Bausinger: Stereotypie und Wirklichkeit. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14/1988, S. 165. 9 Alexander Au: Vom Wandel der Gesellschaft, dem Konzept ,,eine Sprache können” und dem Erlernen interkultureller Kompetenz. In: DaF-Brücke 6/2004, S. 33. 10 Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen von Johan Galtung: Structure, culture and intellectual style. In: Social Science Information 20/1981, S. 817-856. 11 Ulrich Bauer: Zur Vermittlung der deutschen Sprache in Mexiko - Xenologische Überlegungen, in: Memorias VI Encuentro AMPAL 2003, S. 14. Vgl. dazu auch die Studie von Norbert Elias: Etablierte und Außenseiter, Suhrkamp 1965, die am Beispiel zweier englischen Vorortgemeinden anschaulich nachvollzieht, wie Fremdzuschreibungen entstehen und tradiert werden, die sich jeglicher empirischer Nachweisbarkeit entziehen. 12 aus Ray-Güde Mertin: Die Magie der alten Männer. In: KulturAustausch 2/1999, S. 78f. 13 Hermann Bausinger: Stereotypie und Wirklichkeit. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14/1988, S. 160. 1 info-ampal # 21 november 2009 21 Artículos Dr. Eda B. Bakıner Dr. Emra Büyüknisan DIE RÜCKKEHR DER MUTTERSPRACHE ALS ALTERNATIVES LEHRMITTEL IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT Zusammenfassung Wie allgemein bekannt ist, zeigt ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Fremdsprachenlehrens, dass die Muttersprache und somit auch die Translation als Lehrmittel aus bestimmten Gründen für lange Zeit aus dem Fremdsprachenunterricht ausgeschlossen wurden. Ein ausschlaggebender Grund für diese Entwicklung waren die negativen Einflüsse der GrammatikÜbersetzungsmethode, die über Jahrzehnte als Hauptprinzip im Fremdsprachenunterricht galt. Doch neuere Diskussionen wenden sich erneut dem Einsatz der Translation als alternatives Lehrmittel im Fremdsprachenunterricht zu. Das Ziel dieses Artikels ist die Argumentation für den Einsatz der Translation als alternatives Mittel im Fremd-sprachenunterricht. Historischer Rückblick Bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden Fremdsprachen vorwiegend mit Hilfe der Methode des Vergleichs zur Muttersprache gelehrt, während als primäres Lernziel der Erwerb von grammatischen und syntaktischen Strukturen der zu erlernenden Fremdsprache angesehen wurde. Nach der G r a m m a t i k -Übersetzungsmethode setzte sich Ende des 20. Jahrhunderts jedoch definitiv die Einsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht durch, wodurch die Muttersprache endgültig aus dem Fremdsprachenunterricht verbannt wurde. Die behavioristische Lernmethode wurde entwickelt und unterstützte die Ansicht der aktiven Sprachbeherrschung als ein Kommunikationsmittel, das die Übersetzung im Fremdsprachenunterricht als ein Hindernis definierte. Anhänger der einsprachigen, kommuni- 22 noviembre 2009 kativen Methode vertraten die Meinung, dass die Translation die direkte Handhabung der Fremdsprache unterbreche und den Lernenden nur indirekt mit der Fremdsprache in Verbindung setze. Außerdem zählte die Translation nicht zu den vier Sprachfertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben, was als weiteres Argument gegen den Einsatz d e r T r a n s l a t i o n i m Fremdsprachenunterricht eingesetzt wurde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch, nachdem die einsprachige Methode intensiv kritisiert wurde, sind erneut Diskussionen und mehrfache Überlegungen zum Einsatz der Translation als Mittel im Fremdsprachenunterricht (FSU) zu beobachten. Als Grund für diese Entwicklung sind die positiven Einflüsse der teilweise eingesetzten Muttersprache beim Fremdsprachenerwerb, die anhand von Forschungsarbeiten konkretisiert wurden, zu nennen (vgl. z. B. Königs 2000:9). In diesem Zusammenhang werden Translationsübungen als Lehrmittel im Fremdsprachenunterricht zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. Es bietet sich daher unter bestimmten Umständen wieder an, die Translation bzw. Translationsübungen als Mittel für bestimmte Lernziele in den Fremdsprachenunterricht einzubauen. Vorteile der Translation als alternatives Lehrmittel im Fremdsprachenunterricht Lehr- und Übungsmaterialien im FSU konzentrieren sich hauptsächlich auf die Entwicklung der vier Fertigkeiten Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen in der zu erwerbenden Fremdsprache. Ob die Translation als eine fünfte Fertigkeit neu definiert werden sollte, ist eine vielleicht noch nicht abgeschlossene Debatte. Dass aber die Translation ein effektives Lehr- und Übungsmittel für die Entwicklung der vier betreffenden Fertigkeiten ist, ist im Rahmen des Fremdsprachenlehrens eine unumstrittene Tatsache (vgl. Königs 2000: 10). Sowohl bei den schriftlichen als eventuell auch bei den mündlichen Translationstechniken sind bestimmte Fertigkeiten erforderlich. Konkreter ausgedrückt, der translatorische Prozess z.B. in die Muttersprache beinhaltet zunächst das Lesen bzw. das Hören eines bestimmten fremdsprachlichen Textes, welcher vor der Translationspraxis natürlich auch das Verstehen des betreffenden Textes bedingt verlangt (vgl. Stolze 2008: 112-116). Der Prozess der Translation aus der Muttersprache dagegen beinhaltet das Schreiben oder die mündliche Herstellung (Sprechen) eines fremdsprachlichen Textes (vgl. Stolze 2008: 118-122). Diese Prozesse allein zeigen, dass schriftliche und auch mündliche Translationsübungen sowohl aus der als auch in die Muttersprache den aktiven Umgang mit den vier Sprachfertigkeiten erfordern, d. h. bei bewusstem Einsatz die Weiterentwicklung dieser Fertigkeiten bei den Lernenden in der Fremdsprache eindeutig fördern. Ein weiteres Argument dafür, dass die Translation als ein hilfreiches und das Unterrichtsziel förderndes Mittel in den FSU aufgenommen werden sollte, ist der natürliche Prozess der I n formationssammlung im menschlichen Bewusstsein. Die Lernpsychologie als Teil der kognitiven Psychologie deutet darauf hin, dass der menschliche Lernprozess eine Art der Informationsverarbeitung darstellt. Demnach werden neue, noch zu erwerbende Informationen im Bearbeitungssystem des menschlichen Gehirns auf der Strukturbasis bereits # 21 info-ampal Artikel erworbener und bekannter Informationen rezipiert (vgl. Tönshoff 1992 und Störkel 2005: 342-346). Die Aufnahme neuer Informationen kann sich dementsprechend nur mit Hilfe von vorher bereits aufgenommenen Informationen verwirklichen. Aus einer anderen Perspektive betrachtet heißt das, dass der Erwerb einer neuen Fremdsprache ausschließlich mit dem Aufbau auf vorher erworbene und somit bereits bestehende Informationen, also u.a. mit Hilfe der Muttersprache, stattfinden kann (vgl. Königs 2000: 9). Dass die Translation nicht nur aus theoretischer sondern auch aus praktischer, Sicht einen motivierenden Einfluss auf das Fremdsprachenlernen hat, zeigt eine auf das Ziel dieser Arbeit fokussierte Umfragestudie im Rahmen der intensiven Erasmus-Sprachkurse (am Beispiel von Türkisch als Fremdsprache). Die Frage, ob der Vergleich mit einer vorher erworbenen Sprache bzw. der Muttersprache einen hilfreichen Einfluss auf das Verstehen von grammatikalischen Strukturen der neu zu erwerbenden Fremdsprache hat, beantworteten 72.73 % der 2027jährigen Studenten positiv. Nur 27.27 % der Beteiligten waren sich nicht sicher. Auf die Frage, ob der Vergleich von Muttersprache und neu zu erlernender Sprache dazu beiträgt, Ausdrücke in der Zielsprache besser anzueignen, gaben 72.73 % eben dieser Studenten wiederum positive Antworten. 9.1 % gaben negative Antworten wobei 18.17 % sich nicht sicher waren. Auf die Frage, ob im FSU Translationsübungen gewünscht und bevorzugt werden, antworteten 100 % der Studenten positiv. Dabei ist zu erwähnen, dass einige Studenten folgende zusätzliche Überlegungen aufgeführt haben: „Es hilft mir, Satzstrukturen zu verstehen.“ „Es ist sehr amüsant.“ „Es ist sehr entscheidend für die Schreibfertigkeit, für Vorbereitung auf Prüfungen und für Hausaufgaben.“ Außerdem kreuzten neun von elf Studenten - auf die Frage‚ welche Übungen sie im FSU am meisten motivieren - unter der Auswahl ‚Lückentext', ‚Translationsübungen', ‚Vervollständigen von Sätzen', ‚Satzbau info-ampal # 21 mit bestimmten angegebenen Wörtern' und ‚Wortpaarkombination' die Antwort ‚Translationsübungen' an. Die statistischen Ergebnisse zu dieser Frage zeigen auch hier wieder, dass die Studenten definitiv Translationsübungen im Fremdsprachenunterricht befürworten. 81,81 % entschieden sich für Translation als motivierende Übung im Unterricht. Mit Frage 8: „Haben Ihnen Translationsübungen vom Türkischen ins Englische oder vom Türkischen ins Deutsche dabei geholfen, Sprachstrukturen im EILC Türkischunterricht Stufe II besser zu verstehen?“, sollte herausgefunden werden, ob die Translationsübungen im intensiven Sprachkurs im Rahmen von Erasmus besonders für die Studenten der deutschen Muttersprache eine entscheidende Unterstützung waren. An diesem Punkt sollte ergänzt werden, dass eine der unterrichtenden Lehrkräfte zweisprachig aufgewachsen ist und sowohl Deutsch als auch Türkisch perfekt beherrscht. 100 % der Studenten stimmten zu, dass beidseitige Translationsübungen ihnen halfen, Sprachstrukturen generell besser zu verstehen. Anhand dieser Studie wurde erwiesen, dass die Haltung der Studenten zur Translation als Lehrmittel im FSU im Allgemeinen sehr positiv ausfällt. Anders ausgedrückt hat diese Studie, wenn auch nur in einem kleinen Rahmen, konkret gezeigt, dass Translationsübungen nicht nur aus der Perspektive des Lehrenden sondern auch aus der Perspektive des Lernenden einen effektiven, zielorientierten und motivierenden Einfluss auf den Prozess des Fremdsprachenerwerbs haben. Äußerungen, welche von den teilnehmenden Studenten vertreten werden, unterstreichen besonders die Relevanz der Translation als Lehrmittel im FSU: „Meiner Meinung nach war es eine der besten Übungen überhaupt… Ich denke, es sollte über einen längeren Zeitraum hinweg praktiziert werden. Ich denke, Translationsübungen tragen zum Bewusstwerden über die gemachten Fehler bei… Denn auch wenn ich spreche, übersetze ich die Sätze zuerst ins Türkische. Ich denke auf Deutsch und versuche türkisch zu sprechen. Also ist das Übersetzen auch ein alltäglicher Prozess. Und wenn ich schreibe, kann ich sehen, welche Fehler ich mache, welche Fehler ich wiederhole, woran ich arbeiten muss… So habe ich das z. B. auch beim Portugiesischlernen gemacht. Wir hatten eine Liste von Fehlern wie Grammatikfehler, Rechtschreibfehler, etc. und haben immer angekreuzt, wo wir während der Translationsübungen Fehler gemacht haben. So wussten wir immer, an welchen grammatischen Strukturen wir noch arbeiten müssen… Ich denke, es ist sehr wichtig. In vielen Fremdsprachenklassen haben wir das noch nicht gemacht. Es sind viel mehr gemischte Translationsübungen notwendig“. Schlussfolgerung Das Ziel dieses Vorhabens bestand darin, Argumente für den Einsatz der Translation als Lehrmittel im FSU aufzuführen. Wie dem obigen Zitat zu entnehmen ist, reflektiert auch die Ansicht der Studenten, die eine Fremdsprache erlernen, wie natürlich, selbstverständlich und alltäglich die Anwendung der Translation beim Erlernen und beim Einsatz einer Fremdsprache ist. Dem ist zu entnehmen, dass die Muttersprache, und infolgedessen auch die Translation als zielunterstützendes Mittel im FSU eingebaut werden sollte. Sowohl die Tatsache, dass die Rezeption neuer Informationen auf Basis bereits bestehender Informationen verwirklicht wird, als auch die Tatsache, dass Translationsübungen die vier Sprachfertigkeiten fördern und auch die Beobachtung, dass Studenten beim Fremdsprachenlernen durch Translationsübungen motiviert werden, deuten konkret darauf hin, dass die Muttersprache aus dem Fremdsprachenunterricht nicht vollständig ausgeschlossen werden sollte, sondern bis zu einem gewissen Grad effektiv eingesetzt werden kann. An diesem Punkt ist auch zu beachten, dass nicht nur der bloße Einsatz der Translation als Mittel im FSU sondern auch das Ausmaß der für die november 2009 23 Artículos Translationsübungen benötigten Zeit eine wichtige Rolle spielt. Außerdem könnte z. B. anhand eines Feedbacks über gemachte Fehler während der Translationsübungen das Sprachbewusstsein bei den Lernenden sensibilisiert werden. Anhang Beispiel eines Umfragebogens, welcher mit elf Studenten des EILC (Türkisch als Fremdsprache) der Universität Çukurova (2009) durchgeführt wurde : Umfragebogen Mit dieser Umfrage untersuchen wir den Einfluss von Translation und Translationsübungen im EILC Türkisch L2. Ihre Anworten werden einen wichtigen Beitrag zu dieser Studie und den zukünftigen EILC-Kursen leisten. Wir danken Ihnen dafür, dass Sie sich Zeit für diese Umfrage nehmen. 1. Denken Sie, dass die Translation im Fremdsprachenunterricht nützlich ist? 2. Hilft Ihnen der Vergleich von einer vorher erlernten Sprache (oder der Muttersprache) mit der zu erlernenden Fremdsprache beim Verstehen von grammatischen Strukturen? 3. Hilft Ihnen der Vergleich von einer vorher erlernten Sprache (oder der Muttersprache) mit der zu erlernenden Fremdsprache beim Verstehen von sprachlichen Ausdrücken? 4. Mögen Sie Translationsübungen beim Erlernen von Fremdsprachen? 5. Wie ausreichend fanden Sie die Translationsübungen in Ihrem Türkischbuch II und im Unterricht? 6. Welche Art von Übungen im Fremdsprachenunterricht motivieren Sie am meisten? (Sie können mehr als eine Antwort ankreuzen) a) Lückentext b) Translationsübungen c) Vervollständigen von Sätzen d) Satzbau mit bestimmten Wörtern e) Wortpaarkombination 7. Sind Sie der Meinung, dass die Translation als zusätzliche Lernstrategie im Fremdsprachunterricht angewendet werden sollte (wie z.B. Lesen, Hören, Sprechen, Schreiben)? 1 8. Haben Ihnen Translationsübungen vom Türkischen ins Englische oder vom Türkischen ins Deutsche dabei geholfen, Sprachstrukturen im EILC Türkischunterricht Stufe II besser zu verstehen? 9. Wenn ja, wie? 10. Was denken Sie über die Anzahl der Translationsübungen im EILC Türkischunterricht Stufe II? a) zu viel (Zeitverschwendung) b) ausreichend c) zu wenig (wir benötigen mehr) Vielen Dank für Ihre Mitarbeit! Quellenverzeichnis Gündog˘du, Mehmet/Büyüknisan, Emra (2005). Übersetzung im DaF-Unterricht. In: Tagungsbeiträge zum IX. Internationalen Germanistensymposium. „Wissen-KulturSprache und Europa“ - neue Konstruktionen und neue Tendenzen, Eskig˘ehir: Anadolu Universität. S. 188-197. Königs, Frank G. (2000). Übersetzen im Fremsprachenunterricht? Ja, aber anders! In: Fremdsprache Deutsch, Heft 23, S. 6-13. Lindemann, B. (2001). Zum universitären Übersetzungsunterricht im Bereich DaF (am Beispiel Norwegen). DaF 3, S. 153-158. Schroedter-Albers, H. (2000). Vom Sprachvergleich zum Übersetzen. In: Fremdsprache Deutsch, Heft 23, S. 19-23. Stolze, Radegundis (2008). Übersetzungstheorien. 5. Auflage. Tübingen: Narr. Störkel, Friederike (2005). Aufnehmen,Verarbeiten, Speichern und Abrufen: Grundlagen der biologischen Informationsverarbeitung am Beispiel von Gehirn und Immunsystem. Berlin/Heidelberg: Springer. Tönshoff, Wolfgang (1992). Kognitivierende Verfahren im Fremdsprachenunterricht. Hamburg: Verlag Dr. Kovac. Dr. Eda B. Bakıner, Universität Çukurova, Türkei, edabuyuknisan@hotmail.com Dr. Emra Büyüknisan, Universität Mersin, Türkei, emra78@hotmail.com Erasmus Intensive Language Courses (EILC) sind obligatorische Sprachkurse im Rahmen des Erasmus Studenten- und Lehrkräfteaustauschprogrammes, die in einer relativ kurzen Zeitspanne sowohl die Übermittlung der Sprache als auch der Kultur des besuchten Landes anstreben. 2 Daten im Rahmen dieses unsererseits hergestellten Fragebogens wurden auch für andere Studien verwendet, zur Unterstüztung dieser Studie wurden jedoch nur die Fragen 2, 3, 4 und 6 bewertet. Der originale Fragebogen wurde auf Englisch hergestellt, für diese Studie indessen von uns ins Deutsche übersetzt. 24 noviembre 2009 # 21 info-ampal