Familie und Nachbarschaft in der Mongolei
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Familie und Nachbarschaft in der Mongolei
Ute Hennige Familie und Nachbarschaft in der Mongolei Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Familienbildungsprojekts FuN 2 Dieses Projekt entstand mit Hilfe von Fördermitteln und Spenden der Deutschen CARE Stiftung, des Senior Experten Service Bonn (SES), der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, des Instituts für präventive Pädagogik/Münster und der Autorin 3 Ute Hennige Familie und Nachbarschaft in der Mongolei Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Familienbildungsprojekts FuN Mit einem Beitrag von Bernd Brixius, Sabina Körner & Birgit Piltman Evangelische Hochschule Ludwigsburg Protestant University of Applied Sciences 4 © 2010/2014 by Ute Hennige, Evangelische Hochschule Ludwigsburg Protestant University of Applied Sciences Paulusweg 6, 71638 Ludwigsburg, Germany E-Mail: u.hennige@eh-ludwigsburg.de http://www.eh-ludwigsburg.de Titelbild: Familienwappen (gemalt von Familie Gankhuyag) © Copyright für Bilder: U. Hennige 5 Vor der ersten Sitzung von FuN 6 7 Vorwort zur Auflage 2014 Der folgende Bericht über eine Pilotstudie zur Familienbildung in der Mongolei wird hier vier Jahre nach seiner Fertigstellung weitgehend unverändert präsentiert. Geschrieben wurde er seinerzeit in erster Linie für die Förderer des Projekts, einige Teile wurden aus diesem Grund auch ins Mongolische übersetzt bzw. dort publiziert. In der Zwischenzeit sind in der Mongolei allerdings große ökonomische Veränderungen von statten gegangen, und durch die von internationalen Konzernen betriebene Ausbeutung der enormen Bodenressourcen mit zweistelligen Wachstumsraten könnten sich für die Entwicklung des Landes ausgesprochen positive, ja glänzende Perspektiven abzeichnen - man hat sogar den Vergleich mit arabischen Erdölförderstaaten gewagt. Doch bislang sind noch keine einschneidenden Verbesserungen eingetreten, die auf ein baldiges Ende der wirtschaftlichen und sozialen Notlagen eines erheblichen Teils der Bevölkerung hindeuten. Zwar beginnt sich ein Mittelstand von Besserverdienenden zu entwickeln, und natürlich gibt es inzwischen eine Reihe von Millionären, doch In Ulaanbaatar lebt noch immer rd. ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze (2013), im Landesinneren sind es noch wesentlich mehr. Die Gründe sind vielfältig, so haben die Länder, die die Rohstoffe der Mongolei ausbeuten, nur geringes Interesse an Investitionen, die nicht unmittelbar ihren Interessen nutzen. Dazu kommt aber, dass vor allem Korruption und die Bereicherung weniger der Entwicklung des Landes großen Schaden zufügen. Auf dem weltweiten Korruptionsindex steht die Mongolei bei insgesamt rd. 180 Ländern zwar inzwischen „nur noch“ auf Platz 83 (2013) und hat sich damit in den vergangenen vier Jahren um 37 Plätze verbessert, das reicht aber zusammen mit den vielen strukturellen Problemen bei weitem nicht aus, um allen Bürgern und Bürgerinnen des Landes eine gleichberechtigte Teilhabe am Wohlstand zu sichern. Aus diesem Grund ist die Mongolei trotz ihres „Reichtums“ nach wie vor abhängig von Zuwendungen der Geberländer – hierzu gehört auch die BRD. Unser zweites derzeit laufendes und vom deutschen Bundesministerium für Gesundheit unterstütztes Projekt „Gesund-beschützt-geborgen - Frühe Hilfen für Familien“, das wir seit 2013 durchführen, zeigt erneut eindrücklich, wie groß der Bedarf im Bereich der primären Prävention noch ist (natürlich nicht nur da) und wie lernbegierig 8 die Professionellen und wie bedürftig die Familien sind. Umso wichtiger ist es, bei solchen Projekten Nachhaltigkeit als zentrales Ziel im Blick zu behalten und den Betroffenen Mittel und Wege aufzuzeigen, wie sie in Zukunft besser für sich selbst sorgen können. In dem hier beschriebenen Projekt über das präventive Familienbildungsprogramm FuN war das zumindest in Ansätzen der Fall: FuN wurde im Jahr 2011 von Unicef Mongolia übernommen und in weiteren Einrichtungen erfolgreich durchgeführt; darüber hinaus wird es von der damaligen Projektpartnerin noch immer angeboten, wenn auch nicht in dem Umfang und der Qualität, den oder die wir uns vorgestellt hatten – doch durchaus kreativ, z.B. bei Eltern von Straßenkindern, die von der Kinderhilfsorganisation World Vision in die Familien zurückbegleitet werden. Darüber hinaus ist es gelungen, die Mehrzahl der Familien, die an dem Projekt teilgenommen haben, zu motivieren, auch nach Programmabschluss Kontakt zu halten und sich gegenseitig zu unterstützen. Schließlich sei hinzugefügt, dass dieser Bericht in erster Linie für Praktikerinnen und Praktiker geschrieben ist. Diejenigen, die an der Umsetzung einer Projektidee in einer fremden Kultur und dem Einsatz des für uns schon längst gehörenden sozialwissenschaftlichen Instrumentariums wie zum Alltag Fragebögen und Leitfadeninterviews unter „Fremdheitsbedingungen“ interessiert sind, erhalten vielleicht einige Anregungen und Hinweise: Teil I – Erziehung und Familie in der Mongolei - ist vor allem für die Leser und Leserinnen interessant, die sich für das Land und die dort herrschenden Vorstellungen und Praxen von Familie und Erziehung nach dem politischen Transformationsprozess 1990 und seine psychosozialen Folgen interessieren. Teil II – Projektkonzeption und Projektdurchführung - bezieht sich schwerpunkt- mäßig auf das eingesetzte Familienprogramm FuN und beschreibt insbesondere seine theoretischen Hintergründe aus der strukturell-systemischen Familientherapie sowie die didaktischen, aus der Erwachsenenbildung abgeleiteten Vermittlungsprinzipien. 9 Es ist uns gelungen, diese Aspekte z.T. auch mittels Fotografien aus dem Arbeitsprozess mit den Familien zu veranschaulichen bzw. zu validieren. Die Fotografien befinden sich jedoch nicht in diesem Text, sondern in dem hier ebenfalls herunterzuladenden Vortrag. Teil III – der empirische Teil der Arbeit – umfasst zum einen die relativ aufwändigen Vorbereitungen der Evaluation sowie ihre methodischen Begrenzungen, die sich insbesondere auch daraus ergeben, dass sozialwissenschaftliche Methoden in der Mongolei noch weitgehend unbekannt sind und die „Ethik des Forschens“ offenbar einer westlichen Logik gehorcht, deren Relevanz schon bei scheinbar trivialen Fragen zur Diskussion steht. So haben Trainingsteilnehmern und –nehmerinnen es z.B. angelehnt, ihre Evaluationsfragebögen anonym auszufüllen: „Das gibt es bei uns nicht – ich stehe zu meiner Meinung, und ich möchte, dass Sie wissen, was ich denke!“ Des Weiteren werden in diesem Teil „Störungen“ im Arbeitsablauf beschrieben, die sich infolge der unterschiedlichen Kulturgrammatiken ergeben, aber es wird auch deutlich, wie positiv die Professionellen auf unser Weiterbildungsangebot reagiert haben. Schließlich werden die Ergebnisse im Einzelnen vorgestellt – dieser Abschnitt ist im Wesentlichen für diejenigen interessant, die sich über die konkrete soziale Lage und die Sichtweisen der mongolischen Familien ein Bild machen und etwas über die verschiedenen Auswertungsschritte und Befunde erfahren möchten, vielleicht auch im Hinblick auf eigene Untersuchungen. Und wer es eilig hat, wird die wichtigsten Ergebnisse des Projekts auch in der abschließenden Gesamtzusammenfassung finden. Reutlingen, 23.09.2014 Ute Hennige 10 Vorwort Im Jahr 2007 habe ich mich mehrere Wochen lang als Senior Expertin in der Mongolei aufgehalten, um eine Fachkollegin beim Aufbau einer psychologischen Beratungseinrichtung zu unterstützen. Ein besonders eindrückliche Erfahrung, die durch meinen Einblick in die Lebenslagen der Bevölkerung entstand und durch Gespräche mit mongolischen Experten und Expertinnen gestützt wurde, war, dass das Überleben des klassischen Familienverbands in der Mongolei – in einem noch stark von nomadischen Traditionen bestimmten Land, für das Familie das Zentrum des Lebens und Überlebens darstellt – seit der 1990 erfolgten politischen und ökonomischen Transformation stark bedroht war und ist. Das dokumentierte sich u.a. in dramatisch gestiegenen Scheidungsraten und hoher innerfamiliärer Gewalt. So entstand in gemeinsamen Überlegungen mit meiner mongolischen Projektpartnerin Soyolmaa Enkhbat – einer Germanistin und Psychologin – schließlich die Idee, ein Projekt durchzuführen, das Familien im Umgang mit dem Stress des Überlebens im Alltag unter schwierigen Bedingungen stärken und sie widerstandsfähiger und belastbarer machen könnte. Dabei war nicht an die Konservierung einer historisch überholten Lebensform gedacht, denn mit der weltweiten Modernisierung und Erosion tradierter Netzwerke sind vielfältige neue Lebensformen auf dem Vormarsch, die sich vermutlich auch in einem Land wie der Mongolei nicht aufhalten lassen werden – selbst in China, das die klassische Familienform wertschätzt, sind z.B. auf Grund der großen Binnenwanderungsbewegungen von Arbeitskräften neue Familienformen im Entstehen. Schließlich stieß ich bei meinen Recherchen – beraten von Frau Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler von der Hochschule Köln - auf ein Programm aus der Familienund Elternbildung, das vor allem für Familien geeignet ist, die in sozialen Randlagen der Gesellschaft leben und wenig Zugang zu Bildungsangeboten haben. Die spezifische Familienform war dabei von untergeordneter Bedeutung. Insbesondere schien dieses Programm geeignet, durch die Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen, solidarische Nachbarschaftsbeziehungen und Netzwerkbildungen eine nachhaltige Entwicklung einzuleiten und gleichzeitig die Kooperation der beteiligten Institutionen - 11 Kindergarten, Schule, familienunterstützende Dienste - zu fördern: es handelt sich um das Programm „Familie und Nachbarschaft“ (FuN), das in mehreren Bundesländern Deutschlands sowie in Österreich seit einigen Jahren mit Erfolg eingesetzt wird. Der entscheidende Schritt für Durchführung und Gelingen des Vorhabens war jedoch, dass es gelang, den Leiter des Instituts für präventive Pädagogik in Münster, Bernd Brixius, der die Entwicklung des Programms FuN und die Qualifizierung der Teamer/innen bzw. Trainer/innen mit verantwortet, für das Vorhaben zu gewinnen. Er sagte zu, der mongolischen Kooperationspartnerin nicht nur hier in der BRD einen Einblick in das Programm zu ermöglichen, sondern auch, im darauf folgenden Jahr, also 2009, unentgeltlich einen Qualifizierungskurs in der Mongolei durchzuführen und die Teams anschließend bei der Programmdurchführung zu unterstützen – was auch geschah. Der jetzt hier vorliegende Bericht dokumentiert die wichtigsten Ergebnisse des im Verlauf von drei Jahren entstandenen gemeinschaftlichen, kulturübergreifenden Projekts, das aufregend, lern- und arbeitsintensiv, anstrengend und manchmal durchaus nervenaufreibend war, von dem sich aber sagen lässt, dass der Ertrag den Aufwand in vollem Umfang rechtfertigt. Der Bericht ist dabei weniger für ein Fachpublikum, sondern vor allem für diejenigen Praktiker und Praktikerinnen gedacht, die ähnliche soziale Projekte in der Mongolei und vergleichbaren Ländern durchgeführt haben oder durchführen wollen oder die mit darüber entscheiden, ob solche Projekte durchgeführt werden können. Die Realisierung dieses Vorhabens war nur möglich mit der Unterstützung folgender Personen und Institutionen: • Die zuständige Leiterin für die Agenturen Soziales, Gesundheit & Ausbildung in der Stadtverwaltung von Ulaanbaatar, Frau Lkhamsuren, war bereit, alle Mitarbeiterinnen in den beteiligten Kindertagesstätten für die Fortbildung freizustellen, ein sehr großes Entgegenkommen. Ebenso unterstützte die Leiterin der Politikkoordination des Staatlichen Amtes für Kinder & Jugendliche, Frau Baigalmaa, engagiert das Projekt. • Die Vorsitzende des Dachverbandes für die nationale mongolische Familienbewegung und ehemalige Parlamentsabgeordnete, Frau Dr. Munkhuu, 12 und Herr Prof. Dr. Namjil, Direktor des Zentrums für Mongoleistudien und Leiter der Abteilung für Familienforschung an der Universität Ulaanbaatar, übernahmen die Schirmherrschaft für das Projekt. • Das Projekt konnte organisatorisch an das Institut für Angewandte Forschung • (IAF) der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg angebunden werden, ebenso unterstützte die Hochschule das Projekt finanziell. • Die Deutsche-CARE-Stiftung unterstützte das Projekt ebenfalls finanziell. • Der Senior Experten Service Bonn übernahm die Reisekosten. Allen direkt und indirekt am Gelingen Beteiligten sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt, nicht zuletzt den engagierten Teams in den Kindertagesstätten und den Familien, die uns mit großer Freundlichkeit empfangen und Einblick in ihr privates Leben gewährt haben. Reutlingen, den 23.05.2010 Ute Hennige 13 Inhaltsverzeichnis Einleitung 17 Teil I Erziehung und Familie in der Mongolei 1 Krise der Familie 21 23 2 Erziehung nach der Wende 3 Krise der Erziehung 24 26 4 Zusammenfassung und Fazit 28 Teil II Projektkonzeption und Projektdurchführung 31 1 Familien- und Elternbildung in der Mongolei 33 1.1 Notwendigkeit von Familien- und Elternbildung 1.2 FuN, ein präventives Familienbildungsprogramm 1.2.1 Hintergrund und Ziele 33 33 33 1.2.2 Ablauf und Inhalte 34 1.2.3 Exkurs: Theoretische Orientierung der pädagogischen Konzeption und Lernformen 35 1.2.4 Qualifizierung der Teams 43 1.3 Zusammenfassung und Fazit 43 2 Umsetzung des Projekts 2.1 Zeit- und Arbeitsplan 2.2 Die Teams 45 45 46 2.3 Durchführung 47 2.4 Zusammenfassung und Fazit 47 Teil III 49 Die Evaluation des Projekts 1 Vorbereitung 51 1.1 Die zentralen Fragestellungen 1.2 Methodische Begrenzungen 1.3 Evaluationsinstrumente 51 52 53 1.4 Anmerkungen zur Datenerhebung 54 14 1.5 Design 55 1.6 Auswertung 56 1.7 Zusammenfassung und Fazit 2 Ergebnisse 56 58 2.1 Qualifizierung der Teams 58 2.1.1 Ergebnisse der Abschlussbefragung 2.1.2 Die „Ambivalenten“ 2.1.3 „Störungen“ 58 60 61 2.1.4 Zusammenfassung und Fazit 62 2.2 Das Programm im Urteil der Familien 2.2.1 Auswahl der Familien 64 64 2.2.1.1 Stadtteile und Wohnquartiere 2.2.1.2 Die Anwerbung der Familien 64 64 2.2.1.3 Der sozio-ökonomische Hintergrund in den Wohnquartieren 65 2.2.1.4 Familienstand und soziale Lage der ausgewählten Familien 67 2.2.1.5 Zusammenfassung und Fazit 2.2.2 Die Familienbefragung 72 2.2.2.1 Die regelmäßigen Teilnehmer 2.2.2.2 Einzelbefunde 70 72 74 2.2.2.3 Zusammenfassung und 79 2.3 Die Wirkung des Programms aus Sicht der Teams 2.3.1 Ergebnisse der Intensivphase 83 83 2.3.2 Selbstorganisation und Fortsetzung des Programms 2.3.3 Zusammenfassung und Fazit 90 Teil IV Schlussfolgerungen und Ausblick Gesamtzusammenfassung Literatur 101 115 Materialband / Anhang (separat) 91 87 15 16 17 Einleitung 18 19 Die Mongolei steht seit ihrer Transformation in eine parlamentarische Demokratie und der Einführung der freien Marktwirtschaft im Jahr 1990 trotz unverkennbarer Fortschritte auch nach 20 Jahren noch vor großen Herausforderungen. Die extreme Verarmung großer Teile der Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme des Reichtums in wenigen Händen, Massenarbeitslosigkeit, die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise, Naturkatastrophen infolge des Klimawandels1, Landflucht wegen der enormen Disparitäten zwischen Stadt und Land und eine kaum noch beherrschbare Zuwanderungswelle in die stetig wachsenden Vorstädte der Hauptstadt, Misswirtschaft, politischer Dissens in zentralen Fragen u.v.a. verhindern stabile Fortschritte. Nicht verschwiegen werden soll auch, dass sich die Mongolei auf dem weltweiten Korruptionsindex im oberen Bereich (auf dem 120. Platz von insgesamt 180 Ländern) befindet, Tendenz steigend – nicht zuletzt eine Folge der außerordentlich reichhaltigen Bodenschätze, über die das Land verfügt und an deren Ausbeutung weltweit viele Konzerne größtes Interesse haben2. Doch hat die Mongolei auf der anderen Seite auch viele Ressourcen, die sie im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern einzigartig machen. Die mongolische Bevölkerung besitzt durch die Einführung der Schulpflicht seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein hohes Bildungsniveau, Männer und Frauen sind gleichberechtigt und Mädchen haben nicht nur den gleichen Zugang zu Bildungseinrichtungen, sondern – das ist nur bedingt ein Vorteil − sind in den weiterführenden Schulen und Hochschulen sogar stärker repräsentiert als Jungen (die schon früh in den Nomadenfamilien als Arbeitskräfte gebraucht werden), es gab und gibt noch immer eine große Lern-, Experimentier− und Risikobereitschaft, auch bei der Zentralregierung und den lokalen Behörden, hohes zivilgesellschaftliches Engagement 3 und Offenheit gegenüber Veränderungen4. Gleichzeitig gibt es eine traditionelle Nomadenkultur, die von der Mehrheit der Bevölkerung sehr geachtet wird und von der man sich wünscht, dass sie als Teil der mongolischen Identität auch im 21. Jahrhundert Bestand haben möge, und es gibt 1 Z.B. mehrere trockene Sommer gefolgt von eisigen und/oder schneereichen Wintern mit enormen Verlusten an Weidetieren, in diesem Winter 2009/2010 wird bei 43,6 Millionen Stück Vieh mit mehr als sechs Millionen toten Tieren gerechnet (www.mongolei-online.de, 22.-28.3.2010) 2 Vgl. www.mongolei-online.de, 6.-13.1.2010; Deutschland: 14. Platz 3 Vgl. UN Country Team u.a. (Hrsg.), Creating a culture of participation. Voices of Mongolian adolescents telling the UN Story. Ulaanbaatar 2004, 10 4 Gespräch mit Dr. Thomas Labahn, GTZ (www.mongolei-online.de, Sept. 2006) 20 noch immer ausgedehnte Familiennetzwerke, die die städtische und ländliche Bevölkerung miteinander verbinden und die nur 2,7 Millionen über das Land verstreuten Einwohner trotz der enormen Fläche (1.565,65 qkm) „zusammenhalten“5. Zudem ist die Mongolei ein sehr „junges“ und damit zukunftsorientiertes Land: Der Altersmedian für 2009 liegt bei 25,3 Jahren (Deutschland: 44,0 Jahre) und 28% der Bevölkerung ist jünger als 14 Jahre (Deutschland: 14%)6. Weiterhin hat das Land nach den extrem schwierigen 90er Jahren auch große Fortschritte in der Bekämpfung sozialer Probleme gemacht: u.a. durch erfolgreiche Kooperationen mit den UN und mit UNIFEM, der WHO und UNICEF, durch die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und des Bildungswesens und die Gründung eines Nationalen Zentrums gegen Gewalt, und es sind Hunderte von einheimischen und ausländischen Nicht-Regierungs−Organisationen aktiv, die in vielen Lebensbereichen zu erheblichen Verbesserungen beitragen konnten7. Vieles spricht zudem dafür, dass die Mongolei gegenwärtig an einem Wendepunkt ihrer Geschichte angekommen ist, denn neue Projekte zur Erschließung der nahezu unerschöpflichen Rohstoffe bieten die reale Chance eines Aufbruchs in die Moderne – bergen aber auch die Gefahr, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter vergrößert und sich der hart erkämpfte und gefeierte Aufbruch in Demokratie und freie Marktwirtschaft als Fehlschlag erweist. So gibt es vielfältige Gründe für Kooperation und Partnerschaft, zumal die Beziehungen zu Deutschland traditionell freundschaftlich sind und nicht wenige Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik in der ehemaligen DDR studiert haben und Deutsch8 sprechen. Auch die EU ist bestrebt, ihre Stellung „als vertrauenswürdiger und geschätzter Gesprächspartner im Dialog mit der Mongolei zu festigen“ und kommt in einem Strategiepapier zu dem Schluss: Die Mongolei verfügt über das Potenzial, nicht nur für Zentralasien ein Musterland zu werden, und der EU liegt viel daran, dies zu unterstützen…9 5 UNDP 2006, Unicef: At a glace: Mongolia, 2006. Dabei lebt inzwischen mehr als die Hälfte in der Hauptstadt, davon rd. 60 % in den Jurtenvierteln (www.mongolei-online.de, 05.06.2009, 14.20.12.2009) 6 CIA -The World Factbook 2009, Mongolia 7 Im Jahr 2006 gab es z.B. im ganzen Land 2000 NROs, davon in Ulaanbaatar allein 60 für und von Frauen (www.mongolei-online.de, 10.09.2006) 8 30.000 Mongolen sprechen Deutsch (Botschaft der Mongolei in der BRD (6.1.2008) 9 Mongolei-Europäische Gemeinschaft. Strategiepapier 2007-2013, 17, http://ec.europa/eu/external_relations/ mongolia/spimipa/sp_mongolia_de_23-02-2007.pdf 21 Teil I Erziehung und Familie in der Mongolei 22 23 1 Krise der Familie Die Familieneinheit hat in der Nomadenkultur einen sehr hohen Stellenwert. Unter den gegenwärtigen politischen und ökonomischen Bedingungen und der zunehmenden Orientierung an westlichen Wertvorstellungen droht sie jedoch auseinander zu brechen, was generell und unabhängig von der politischen Einstellung der Verantwortlichen mit großer Sorge betrachtet wird, weil damit ein Grundpfeiler des Zusammenhalts der Nation wegzubrechen droht. Als Beispiele hierfür werden genannt: 10/11 • Instabilität von Ehen, Zunahme von Ehescheidungen • Abnahme der Haushaltsgröße auf Kleinfamilienniveau • Kinderarbeit, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Straßenkinder, Kinderkriminalität, Schul-Dropouts12 • Einschränkung der Fürsorgekapazität der Familien, auch aufgrund der ökonomischen Lage • Zunahme der Zahl von alleinerziehenden Frauen bei gleichzeitiger Verarmung (Feminisierung der Armut) • Zunahme von Alkoholmissbrauch, vor allem bei Männern, 20% von ihnen gelten als exzessive Trinker, oft in Kombination mit Arbeitslosigkeit • Verantwortungsverweigerung von Vätern, z.B. in der Alimentenzahlung • Erosion von verwandtschaftlichen Bindungen und Solidargemeinschaften • u.a. Hinzu kommt ein hohes Ausmaß an häuslicher Gewalt: Jede dritte Frau in der Mongolei ist das Opfer von Gewalt in der Ehe, und die innerfamiliäre Gewalt wächst vor allem unter dem Einfluss von Alkohol, dabei wird vermutlich die Mehrheit der gewalttätigen Übergriffe überhaupt nicht angezeigt. Insgesamt ist die Gewalt gegenüber Frauen in den vergangenen Jahren alleine in der Hauptstadt um 30-35% angestiegen13. Deshalb hat sich auch der Anteil der Haushalte erhöht, der alleine von 10 Vgl. Unicef (Hrsg.), Situation analysis of children and women in Mongolia. Unicef-Mongolia, Ulaanbaatar 2007, 84 11 Amnesty International, Jahresbericht 2004; Mongolia NGO Report for Asia-Pacific NGO Forum Bejing + 10, Summery Statements, o.J. (2002); WHO, Centre for health development Kobe/Japan, National report on violence and health in Mongolia. 2007, 10 ff. 12 36% aller Mädchen und 35% aller Jungen arbeiten (Kinderarbeit in der Mongolei in: aktiv-gegenkinderarbeit.de/welt/asien/mongolei, 2009) 13 Die mongolische Verfassung von 1992 garantiert Frauen und Männern die gleichen Rechte, und inzwischen hat die Regierung auch ein Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedet. Problematisch ist allerdings, dass die Rechtsrealität oft anders aussieht; so können Frauen ihre Rechte vor Gericht 24 Frauen geführt wird. Frauengeführte Haushalte sind wiederum von Armut stärker betroffen, knapp die Hälfte von ihnen lebt unterhalb der Armutsgrenze14/15. 2 Erziehung nach der Wende Der bewusst organisierten Erziehung zur "sozialistischen Persönlichkeit" steht in einem demokratischen Land der westlichen Hemisphäre das (bürgerliche) Ideal der Eigenverantwortung, verbunden mit Gemeinschaftsfähigkeit, als Herzstück aller Erziehungsbemühungen gegenüber16. Neben der Fähigkeit, sich angemessen in sozialen Zusammenhängen zu bewegen, stehen die Entwicklung und Unterstützung von Individualität, Eigeninitiative, Selbstentfaltung, Selbstständigkeit, die Betonung des freien Willens, der Ausdruck von Gefühlen, liebevolle, verstehende Zuwendung der Erzieher/innen, das Partizipationsideal vom „Befehls−“ zum „Verhandlungshaushalt“ u.a. im Vordergrund − in der ehemaligen sozialistischen Mongolei natürlich kein Gegenstand und kein Ziel erzieherischer Maßnahmen, jetzt aber ein notwendiges und zentrales Erziehungsziel. Soll dieses demokratische Ideal in der demokratischen Mongolei auch nur annähernd umgesetzt werden, bedarf es also intensiver Anstrengungen in der Gesellschaft, insbesondere im Erziehungswesen. Zwar hat mit den gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der Jahre 1989/1990 der Stellenwert von Bildung und Erziehung in der Mongolei wegen der nötigen Positionierung im internationalen Wettbewerb eher noch zugenommen; der gute Wille konnte allerdings einen drastischen Einbruch der öffentlichen Bildungsausgaben nicht verhindern (von 1991 bis 1996 Rückgang absolut um rd. 50 %)17. Entsprechend begann die ehemals fast 100% betragende Schulbesuchsquote oft nicht durchsetzen, die Missachtung von Gesetzen wird nicht immer gerichtlich verfolgt, Gesetze werden unzureichend umgesetzt usw. 14 Unifem, Strenghten the Implementation of Laws on V(iolence)A(gainst)W(omen) in Mongolia. 2008 (Research Summery) 15 Implementation of the CEDAW in Mongolia – A Shadow Report, 2008 16 KJHG 1990: (1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit1 17 Für die folgenden Ausführungen vgl. Nelle, D., Mongolei: Reformen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. In: Verfassung und Recht in Übersee 36 (2003), 103-111 (abgedruckt in www.mongolei-online.de, Januar 2007) 25 in ländlichen Gebieten abzubröckeln. Immerhin gelang es jedoch, die Haushaltsanteile für die Bildung zu konsolidieren und die Schulbesuchsquote bei gut 96% zu stabilisieren. Doch das Lehrpersonal ist schlecht ausgebildet und die Bezahlung mehr als unangemessen, sodass sich die qualifizierteren Kräfte andere Arbeitsplätze suchen, die Schulgebäude sind marode und die Klassen − vor allem in den Städten – überbelegt, auf dem Land fehlen dagegen Schulen, die Nomadenkinder haben keine ausreichenden Übernachtungsmöglichkeiten, Eltern können für Uniformen und Lernmaterial nicht mehr aufkommen, die Kinder brechen die Schule ab usw.. Verschiedene Reformgesetzpakete gestatten inzwischen u.a. auch den Ausbau von Privatschulen, deren Jahresgebühren in der Regel aber das zwei- bis zehnfache eines durchschnittlichen Monatsgehalts betragen. Die Sicherung der Qualitätsstandards wirft zudem teilweise erhebliche Probleme auf. In das allgemeinbildende Schulwesen wird auch die Vorschulerziehung einbezogen. Auch hier sollen zusätzliche Ressourcen investiert werden. Zwar befindet sich fast jeder fünfte Einwohner der Mongolei im Vorschulalter, bedeutsam ist dieser Bereich jedoch fast ausschließlich für die Hauptstadt Ulaanbaatar, wo die Familienbande nicht mehr so eng sind wie auf dem Lande und wo allein die für einen sinnvollen Betrieb von Kindertageseinrichtungen notwendigen Gruppengrößen zusammen kommen. Doch in der Hauptstadt hat sich die Versorgung mit Kindergartenplätzen in den letzten Jahren verschlechtert: Im Jahr 2002 besuchten dort noch rd. 85.000 Kinder einen Kindergarten (davon 628 staatliche und fünf private)18 , heute gibt es in Ulaanbaatar nur noch 155 staatliche und 73 private Kita−Einrichtungen, die von 56.000 Kindern besucht werden. Festzuhalten ist zudem, dass gegenwärtig (2009/2010) die überwiegende Zahl der Erziehungsberechtigten und Pädagogen einen mehr oder weniger großen Teil ihrer Bildung und Erziehung noch in der mongolischen Volksrepublik erhalten haben, viele von ihnen sind aber anschließend während der Adoleszenz bzw. der beruflichen Qualifikation durch die Wirrnisse der Wendezeit gegangen und vermutlich mit vielen Brüchen, existenziellen Verunsicherungen und Krisen oder gar persönlichen Katastrophen erwachsen geworden. Letzteres gilt erst recht für die derzeit noch jungen Eltern, die – in den 80er Jahren geboren − bereits sehr früh die Folgen des Wandels zu verkraften hatten. 18 Vgl. Nelle, a.a.O. 26 3 Krise der Erziehung Die Mongolei hat bereits im Jahr 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert, doch trotz aller Bemühungen, die Forderungen der Konvention zu implementieren, werden Kinderrechte noch häufig missachtet. Ein inzwischen recht gut dokumentierter Sachverhalt ist das Ausmaß des Gebrauchs von Gewalt in der Erziehung. Das Nationale Zentrum gegen Gewalt hat z.B. festgestellt, dass 58% der befragten Kinder zu Hause − in der Regel ohne Zeugen − in irgendeiner Form Opfer von Misshandlung / Missbrauch durch die Eltern werden19. In einer anderen sehr sorgfältig durchgeführten Studie20 mit rd. 600 Kindern gaben 71% der Befragten an, dass sie regelmäßig von Lehrern, Müttern, Vätern, anderen Kindern, Geschwistern, Großeltern u.a. geschlagen würden (mit Gürteln, Feuerhaken, Linealen u.ä.). Gründe sind in erster Linie, dass sie zu Hause nicht helfen oder ungehorsam sind. Bei geschiedenen Eltern und Stiefeltern kommt solche Gewalt besonders häufig vor. Nur 2% der befragten Kinder waren niemals geschlagen worden. Ältere Kinder und Mädchen werden eher seelisch misshandelt. Auch in den Schulen, Kindergärten und Internaten erfahren nahezu alle Kinder Gewalt. Eine weitere Studie stellt fest, dass 60% der Vergewaltigungsopfer Kinder sind, fast die Hälfte von ihnen Mädchen unter 15 Jahren. Mehr als die Hälfte der Vergewaltigungen findet zu Hause oder in Fluren und Kellern von Wohnblocks statt21. 25% der Kinder werden auch, so eine andere Untersuchung, Opfer von Unterdrückung und Gewalt durch ihre Peers22. Die schwierige ökonomische Situation zwingt auch viele Kinder und Jugendliche, zum Familienunterhalt beizutragen, oft unter illegalen Bedingungen. Verlassene Kinder, die oft schon zu Hause Gewalt erlebt haben und sich dann auf der Strasse durchschlagen, sind zudem oft Opfer von sexuellem Missbrauch und genießen keinerlei sozialen Schutz. In einer Befragung von Jugendlichen äußerte mehr als ein Drittel von ihnen, dass ihre Eltern sie nicht verstehen würden23. Ein Fünftel gab an, dass ihre Eltern nicht für sie sorgen würden. Sie selbst litten unter ihrer Schüchternheit, einem Mangel an Selbstvertrauen, an Einsamkeit und Isolation. Zu Hause erwarte man von ihnen, dass Vgl. Unicef (Hrsg.), ebd. WHO, National report on violence and health in Mongolia, 10ff. 21 ebd. 22 ebd. 23 Diese Studie aus dem Jahr 2000 - der sog. MANAS Report (Mongolian Adolescents Needs Assesment Survey) - bezieht sich auf eine Erhebung bei 2500 mongolischen Jugendlichen; zitiert in: UN Country Team u.a. (Hrsg.), a.a.O., 74 19 20 27 sie einen großen Teil der Hausarbeit übernähmen und ansonsten in Gegenwart von Erwachsenen den Mund hielten. Man vertraue ihnen nicht, wenn sie außerhalb des Hauses mit ihren Freunden zusammen kommen wollten, und es gäbe wenig persönliche Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Unter Armutsbedingungen verschärft sich die Lage der Kinder noch einmal in spezifischer Weise, wie eine Studie24 aufzeigt: Da ihre Kontakte mit den Eltern im wesentlichen nur im Zusammenhang mit der Schule oder der geforderten Mitarbeit im Haushalt stattfinden, beziehen sich die Inhalte der Kommunikation im wesentlichen auch nur auf diese Themen. Das betrifft auch die Strafen: Eltern bestrafen ein Kind entweder, weil es zu spät nach Hause gekommen ist und versäumt hat, Brennholz oder Wasser usw. zu besorgen, oder weil es sich in der Schule schlecht betragen oder schlechte Leistungen gebracht hat. Wenn Jungen persönliche Probleme haben, ist für sie oftmals überhaupt kein Ansprechpartner in der Familie da, weil die Väter, um ein paar Tugrik zu verdienen, früh aus dem Haus gehen und erst spät zurückkommen, während die Mütter, die oft Heimarbeit machen, wenn überhaupt, dann mit ihren Töchtern, nicht aber mit den Söhnen persönliche Dinge besprechen25. Es gibt auch immer noch Eltern, die davon überzeugt sind, dass es ihre Pflicht ist, ihre Kinder körperlich zu strafen, vor allem die Söhne. Obwohl den zuständigen Behörden keine offiziellen Anzeigen vorliegen, muss davon ausgegangen werden, dass Kinder auch oft unter dem Einfluss von Alkohol misshandelt werden26. Besonders dramatisch auseinanderbrechen, wird Elternteile die Lage sterben, der Kinder, wenn nicht mehr Kinder die Familien versorgt oder beaufsichtigt werden oder von zu Hause weglaufen27. Selbst wenn die meisten zitierten Untersuchungen schon einige Jahre alt sind, gibt es wenig Grund für die Annahme, dass sich die Situation inzwischen merklich gebessert hat, zumal solche Entwicklungen in der Regel nicht von heute auf morgen stattfinden. In jedem Fall muss davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der jungen Generation – über die ältere ist nichts bekannt, aber es gibt ebenfalls wenig Unicef u.a. (Hrsg.), Children in Poverty. The living conditions of the children in peri-urban areas of Ulaanbaatar. Summery Report, Mongolia 2003 25 a.a.O., 21 26 Children in Poverty, a.a.O., 22 27 Unicef, Street and Unsupervised Children of Mongolia. July 2003, 9 24 28 Grund anzunehmen, dass es hier wesentlich besser war – mit alltäglicher Gewalt aufgewachsen ist und noch immer aufwächst28. Dabei gilt: Misshandlungen beinträchtigen die gesamte Entwicklung der Kinder − ihre Fähigkeit zu lernen, Vertrauen zu entwickeln und Beziehungen einzugehen. Sie haben häufig Ängste, Depressionen, Aggressionen und ein vermindertes Selbstwertgefühl zur Folge. Frühe Gewalterfahrungen führen im späteren Leben häufig zu Passivität, Alkoholmissbrauch, Drogenkonsum, sexuellem Risikoverhalten oder gar Selbstmord und natürlich zu weiterer Gewaltanwendung gegenüber den eigenen Kindern. Nach Schätzungen verüben in Industrieländern zwischen 40% und 70% der gegen ihre Partner gewalttätigen Männer auch Gewalt an ihren Kindern, und von allen körperlich misshandelten Frauen misshandelt ca. die Hälfte selbst ihre Kinder29. 4 Zusammenfassung und Fazit Die mongolische Gesellschaft ist eine Gesellschaft im Übergang, die von den Individuen verlangt, sich von ehemals für sicher gehaltenen und oft mühselig erworbenen Wissensbeständen, Handlungsmustern und Orientierungen zu verabschieden und sich neue anzueignen30. Nicht nur die materiellen, auch die psychosozialen Folgekosten dieses Transformationsprozesses sind für die Bevölkerung, sehr hoch, und es besteht großer Unterstützungsbedarf. So wurde auch von der neu gewählten Regierung 2007 beschlossen, Familienarbeit zu einem besonderen Schwerpunkt der zukünftigen Kinder−, Jugend− und Familienpolitik zu machen31. Der Weltbericht Gewalt und Gesundheit32 skizziert auch einige wirksame Wege zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und vernachlässi– gung, und mit an erster Stelle wird empfohlen: Elternkurse – Aufklärung der Eltern über Kindesentwicklung und Unterricht über eine stimmige Kindererziehung sowie die Hantierung familiärer Konflikte …33 28 Die Mongolei stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar: Nach einer Studie von Unicef erfahren rd. 60% der Kinder in Gesamteuropa und Zentralasien nach eigenen Angaben gewalttätiges Verhalten von Eltern und Betreuern, wobei Alkohol und Drogen eine immer wichtigere Rolle spielen. Dabei sind die Daten für Europa insofern verzerrt, als in Westeuropa die Zahlen wesentlich geringer sind als in den europäischen GUS-Staaten: www.unicef.org./cee-cis/index/html, 13.5.2005 29 www.unicef.org./cee-cis/index/html, 13.5.2005 30 Vgl. hierzu Welzer, H. (1993): Transitionen. Zur Sozialpsychologie biographischer Wandlungsprozesse. Tübingen: Ed. discord 31 Persönliche Mitteilung von Soyolmaa Enkhbat, 16.04.2008 32 UN, Rights of the child. Report on the independent expert for the Unites Nations study on violence against children. August 2006 33 www.unicef.org./cee-cis/index/html, 13.5.2005 29 In diesen Kontext ist das hier vorgestellte Projekt einzuordnen, mit dem versucht werden sollte, zumindest in einem kleinen und überschaubaren Sektor des sozialen Lebens den Boden für eine nachhaltig wirkende Um- und Neuorientierung vorzubereiten. 30 31 Teil II Projektkonzeption und Projektdurchführung 32 33 1 Familien- und Elternbildung in der Mongolei 1.1 Notwendigkeit von Familien- und Elternbildung In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs bieten tradierte Leitbilder, Normen und Werte auch keine Orientierung mehr für die Gestaltung von Familienerziehung − das Zusammenleben in einer Familie muss individuell gelernt und eigenverantwortlich gestaltet werden. Um Familien in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz zu stärken, damit sie ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können, ist z.B. bei uns in der BRD Familienbildung Teil des Leistungskatalogs der Jugendhilfe34. In der Mongolei gibt es bisher keine vergleichbaren Angebote. Deshalb sollte mit diesem Projekt ein spezielles präventives Familienbildungsprogramm erprobt werden − Familie und Nachbarschaft (FuN) − , das vor allem in Nordrhein-Westfalen, aber auch anderen Bundesländern und Österreich mit nachweislichem Erfolg eingesetzt wird35. 1.2 FuN, ein präventives Familienbildungsprogramm 1.2.1 Hintergrund und Ziele FuN ist ein niedrigschwelliges Programm, das sich in erster Linie an bildungsungewohnte und sozial benachteiligte Familien richtet und diese durch seine Ausrichtung und Gestaltung ansprechen will. Um diese Zielgruppe zu erreichen, führt der Weg über den direkten Kontakt und das persönliche Gespräch, weniger über die Vermittlung von Erziehungswissen, gezielten Verhaltensanweisungen oder Selbsterfahrungsübungen, wie das bei anderen Familienbildungsprogrammen häufig der Fall ist. Inhalt der Gespräche sind auch nicht die besonderen Probleme der Familie oder der Kinder, sondern es geht um die Chance, im Programm gemeinsam etwas 34 Vgl. KJHG, 1990 /1996 /2005, § 16: Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie (1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können. (2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere 1. Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen … 35 Vgl. Brixius, B., Koerner, S. & Piltmann, B.: FuN – der Name ist Programm – Familien lernen mit Spaß. In: Tschöpe-Scheffler, S. (Hrsg.)(2005): Konzepte der Elternbildung – eine kritische Übersicht. Leverkusen Opladen: Verlag Barbara Budrich, 137-159 34 zu erleben und zu lernen, das für das Gelingen des Zusammenlebens in der Familie wichtig und förderlich ist36. Dabei geht es vorrangig um die Unterstützung der Erziehungsautorität der Eltern, aber auch um die Vernetzung mit einer Institution bzw. einem Stadtteil. Knapp zusammengefasst werden folgende Hauptziele angestrebt: • Zusammenhalt und Strukturbildung in Familien entwickeln • Elternkompetenzen und Elternverantwortung stärken • Kommunikation und Konfliktfähigkeit innerhalb der Familie fördern • Kontakt, Selbsthilfe und Netzwerke von Familien aufbauen • Integration und Mitwirkung von Familien in pädagogischen Einrichtungen unterstützen. Diese Hauptziele werden unten ausführlicher dargestellt und begründet (S. 36 ff.). Es spielt im übrigen bei FuN keine Rolle, ob sich die Familie nach dem klassischen Zweielternmodell, dem Patchworkmodell, dem Eineltern− oder Stiefelternmodell, dem Mehrgenerationenmodell o.a. zusammensetzt − alle diese Formen gibt es in der Mongolei, auch wenn noch immer (wie in vielen Teilen Asiens) die klassische Zweielternfamilie dominiert − 37 , vorrangig ist vielmehr, dass FuN einen gemeinsamen Erfahrungsraum für die Erziehungspersonen und Kinder bietet (Großeltern, Tanten, Onkel u.a. eingeschlossen), der bei allen Beteiligten Lern− und Veränderungsprozesse in Gang setzen kann. 1.2.2 Ablauf und Inhalte FuN läuft in zwei Phasen ab, die erste Intensiv-Phase umfasst acht Sitzungen und dauert zwei Monate, die anschließende zweite Phase ein halbes Jahr; insgesamt ist also nach ca. acht Monaten ein Programmdurchlauf beendet, und anschließend organisieren sich die Familien selbst. • 36 Phase I besteht aus wöchentlich stattfindenden etwa dreistündigen Sitzungen, in In der Mongolei gibt es vermehrt nicht-eheliche Lebensgemeinschaften und alleine lebende Frauen und Mädchen mit und ohne Kinder, auch durch die Arbeitsmigration der Männer bedingt, und es spricht wenig dafür, dass das klassische Familienmodell mit zunehmender Modernisierung der Mongolei langfristig dominieren wird (vgl. www.mongolei-online.de, 4.-10.5.2009). Der Versuch, Eheschließungen z.B. finanziell zu honorieren, wurde inzwischen aus Sparzwängen wieder eingestellt 37 Vgl. Siems, D. (4.4.2010): Beziehungstrends, aol-Nachrichten 35 denen von mehreren Familien, die gemeinsam z.B. in einer Kindertagesstätte oder Grundschule am Projekt teilnehmen, bestimmte Programmelemente bearbeitet werden. Das Programm vermittelt den Familien Erziehungs− und Beziehungskompetenzen durch das gemeinsame Erleben von Übungen und Spielen, indem in einer Einheit immer in der gleichen Reihenfolge und im gleichen Zeitrhythmus folgende Programmelemente ablaufen: o Begrüßungsritual o ein Kooperationsspiel für die ganze Familie, z.B. Herstellung eines Familienwappens (Titelbild) o ein Kommunikationsspiel, z.B. eine gemeinsame Bildbetrachtung o gemeinsames Essen (von einer Familie vorbereitet) am „Familientisch“ o das Zweiergespräch (Austausch unter jeweils zwei Elternteilen) o die Elternzeit /parallel dazu die Kinderzeit (Elterngesprächsrunde, Kinderspielrunde) o das Spiel zu Zweit (ein Elternteil spielt mit einem Kind, Spielmaterial besteht aus „wertlosen“ oder einfachen Materialien wie Papierrollen, Federn, Wäscheklammern, Knöpfen, Schrauben, Wollfäden, Korken …) o das Überraschungsspiel in der gesamten Gruppe o das Abschlussritual • Phase II besteht aus einer halbjährigen begleiteten Selbstorganisationsphase, in der die Familien immer mehr Selbstverantwortung für die gemeinsamen Treffen übernehmen. In größeren Zeitabständen, z. B. alle zwei Wochen oder einmal monatlich, treffen sie sich am bekannten Treffpunkt. Ziel dieser Selbst- organisationsphase ist, dass sich im Umfeld der durchführenden Einrichtung und in enger Kooperation mit ihr ein FuN−Familienkreis bildet. Familien aus späteren FuNKursen können zu diesem Kreis stoßen und gemeinsam die Mitwirkung an den Erziehungsprozessen ihrer Kinder gestalten. Dieser Selbstorganisationsprozess wird für den Zeitraum eines halben Jahres von einer FuN−TeamerIn begleitet und unterstützt. 1.2.3 Exkurs Theoretische Orientierung der pädagogischen Konzeption und Lernformen In seiner theoretischen Orientierung beruft sich FuN insbesondere auf die Theorie und Philosophie der Humanistischen Psychologie und hier vor allem die 36 verschiedenen Richtungen und Schwerpunktsetzungen des Systemischen Ansatzes. Die wichtigsten Bausteine bzw. Hauptziele sollen im Folgenden näher erläutert und mit einigen Bildern, die vorwegnehmend bereits aus der Umsetzung des Programms in Ulaanbaatar stammen, illustriert werden38. • Zusammenhalt und Strukturbildung von Familien Die Inhalte und Übungen zum Kompetenzbereich Zusammenhalt und Strukturbildung von Familien sind überwiegend aus der systemisch−strukturellen Familientherapie abgeleitet. Nach ihrem Begründer Minuchin39 wirkt die Organisation der Familie nach innen und außen auf die innerpsychischen Prozesse ihrer Mitglieder. Für die gesunde Entwicklung eines Kindes sind klare und verbindliche Strukturen notwendig, die Schutz und Orientierung geben, aber nicht einengen. Das Funktionieren der Familie hängt von dem angemessenen Spannungsfeld von Zugehörigkeit und Trennung ab. Sowohl verwischte Grenzen innerhalb der Familie als auch starre Grenzen nach außen beeinträchtigen eine wachstumsorientierte Atmosphäre in der Familie. Die individuelle Entwicklung einzelner Familienmitglieder kann durch Veränderungen in der Struktur der Familie positiv gefördert werden. Indikatoren für das Funktionieren und damit den Grad an Zusammenhalt von Familien sind die Klarheit der Grenzen und die Klarheit der Rollen in der Familie. Die Klarheit der Grenzen zwischen den Generationen innerhalb der Familie und nach außen gegenüber anderen Familien, Gruppen und Personen versetzt die Familie in die Lage, ihrer Funktion gerecht zu werden, nämlich ihre Mitglieder zu schützen und zu unterstützen. Je klarer die Rollen in Familien definiert sind, z. B. die Rollen als Eltern und Kinder, als Vater und Mutter, als Paar, als Geschwister, als Mädchen und Jungen etc., umso deutlicher können sich alle Familienmitglieder aufeinander beziehen und miteinander umgehen und umso stärker ist der Familienzusammenhalt. Im FuN−Ablauf haben daher die „Familientische“ als strukturbildendes Element für den Familienzusammenhalt und die klare, aber durchlässige Grenzziehung nach 38 Gekürzter Auszug aus Brixius, B., Körner, S. & Piltman, B. (o.J.): FuN – der etwas andere Weg zur Kooperation mit Eltern in Kindertageseinrichtungen. In: Kita-Handbuch, Endfassung. Olzog: München, 15-21 39 Minuchin, S., Rosman, B. L. & Barker, L. (1989): Psychosomatische Krankheiten in der Familie. Stuttgart: Klett-Cotta 37 außen eine tragende Bedeutung. Hier hat die Familie für einen Teil des Nachmittags ihren Platz und organisiert sich unter der Verantwortung der Eltern40. Durch die gemeinsamen Spiel− und Gesprächssituationen mit anderen Familien sollen aber auch starre Grenzen um das Familiensystem abgebaut werden. Die Familien erleben sich auch in der Begegnung mit anderen Familien und können dies als Bereicherung und Unterstützung für das eigene System erfahren. Die strukturelle Familientherapie findet bei FuN auch ihren Niederschlag in der sich wiederholenden Struktur des Programmablaufs und der Zuweisung von Aufgaben und Rollen an die einzelnen Familienmitglieder. • Elternverantwortung und Elternkompetenz Die Stärkung der Elternverantwortung und Elternkompetenz als dem Dreh− und Angelpunkt des FuN−Programms bezieht sich neben dem Strukturkonzept von Minuchin auch auf das von … Omer und … von Schlippe entwickelte Konzept der der „elterlichen Präsenz“ aus der systemischen Familientherapie41. Der Begriff der Präsenz geht dabei weit über die körperliche Anwesenheit der Eltern hinaus und meint die Übernahme der Verantwortung von Eltern für sich und ihre Kinder. Ausgehend von der therapeutischen Arbeit mit Jugendlichen beinhaltet das Konzept die Kooperation und Verhandlung zwischen Eltern und Kindern als Partner, ohne die ungleichen Macht− und Verantwortungsbereiche zu übersehen. Fehlende elterliche Präsenz erleben Heranwachsende als einen Mangel, der mit schwierigen bis auffälligen Verhaltensweisen beantwortet wird. Es ist Aufgabe der Eltern, die Balance zwischen dem Ernstnehmen und Berücksichtigen von Bedürfnissen und dem grenzenlosen Nachgeben und Erfüllen kindlicher oder jugendlicher Forderungen zu finden. Elterliche Präsenz beschreibt die Handlungsfähigkeit der Eltern gegenüber ihren heranwachsenden Kindern, die durch ihre persönlichen Überzeugungen und ihr Selbstvertrauen geprägt ist. Bei FuN sind die Eltern daher im konkreten Programmablauf während der Übungen, Spiele und auch beim Essen immer wieder gefordert. Zu ihrer Rolle und Verantwortung gehört die Aufgabenverteilung und die 40 Jede Familie sitzt zusammen mit allen ihren Mitgliedern an „ihrem“ Tisch (wie gelegentlich in der BRD auch gibt es in Ulaanbaatar nur Tische und Stühle in „Kindergrößen“) 41 Omer, H. & von Schlippe, A. (2003: Autorität ohne Gewalt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht von Schlippe, A. & Schweitzer, J. (1997): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht von Schlippe, A. (1984): Familientherapie im Überblick. Paderborn: Jungfermann 38 Regietätigkeit, aber auch das angemessene Eingehen auf die kindlichen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Wünsche bei der Durchführung der einzelnen Übungen. Das Aushandeln und Verbinden aller Interessen in der Familie im Sinne von Kooperation wird angestrebt. Bei diesen nicht leichten Lernprozessen werden die Eltern durch das Coaching des Teams unterstützt und anerkannt. Die Motivation der Eltern, neue Handlungen zu erproben und mehr Zutrauen zu ihrer Elternrolle zu entwickeln, wird durch diese positive Unterstützung gefördert. • Beziehungsgestaltung, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit Für den Kompetenzbereich der Beziehungsgestaltung, der Kommunikations- und Konfliktfähigkeit bilden die Ideen der kommunikationstheoretisch orientierten Familientherapie von … Satir42 eine wichtige Grundlage. Für sie ist das Konzept des Selbstwertgefühls zentral, das jeder Mensch braucht, um mit anderen in entwicklungsfördernde Beziehungen zu treten und den Gegebenheiten seiner Umwelt positiv und kreativ gegenüber zu treten. Satir geht davon aus, dass die Fähigkeiten von Menschen, mit anderen wertschätzend und konstruktiv umzugehen, davon abhängt, wie ihr persönlicher „Selbstwerttopf“ – also ihr Selbstwertgefühl – gefüllt ist. Je stärker hier Gefühle wie Wertlosigkeit, Schuld und Scham ausgeprägt sind, umso schwerer fällt es diesen Menschen, andere anzuerkennen und zu achten. Umgekehrt fällt es Menschen, die ein positives Selbstwertgefühl empfinden und die um ihre eigenen Stärken wissen, leichter, auch anderen wertschätzend gegenüberzutreten. Die in FuN in diesem Bereich enthaltenen Lernfelder ermöglichen das „Auffüllen“ des persönlichen Topfes, und diese Erfahrungen wirken sich sowohl auf die Ausgestaltung der Elternrolle förderlich aus, als auch auf die Verankerung im Sozialraum. Damit können Eltern gegenüber ihren Kindern wieder Identifikationsfiguren sein und von ihnen geachtet werden. Bei den Übungen und Lernformen zur Stärkung der Kommunikations− und Konfliktkompetenzen schöpft das FuN-Programm aus dem von Koerner u.a … entwickelten Curriculum „Konstruktive Konfliktbearbeitung in Familie, Schule und Gemeinwesen“43. 42 Satir, V. (1996): Selbstwert und Kommunikation. München: Pfeiffer Satir, V. & Baldwin, M. (1988): Familientherapie in Aktion. Paderborn: Jungfermann 43 Koerner, S. in: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.) (1997): Werte, Wandel, Widersprüche – Mit Familien Gesellschaft bilden. Bönen: Druckverlag Kettler GmbH Koerner, S. & Wohlfart, U. (Hrsg.)(2000): Beziehungen gestalten: Arbeitshilfen für die Bildungs- und Beratungspraxis, Neuwied, Kriftel 39 Die aus der Kommunikations− und Konfliktforschung entwickelten „5 Säulen der Konfliktbearbeitung“ werden in den Übungen und Spielen eingeübt und prägen als Grundhaltung das gesamte FuN−Programm: Achtung und Bestätigung sich selbst und anderen gegenüber, differenzierte Selbst− und Fremdwahrnehmung von Gedanken, Gefühlen und Handlungen, wertschätzende Kommunikation über Bedürfnisse, Interessen und Standpunkte; wechselseitige Unterstützung und Kommunikation; kreative Ideenfindung und die Suche nach Lösungen, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind. Wenn bei FuN Eltern und Kinder lernen, miteinander zu kommunizieren, dann gilt als ein wichtiges Lernziel die Wahrnehmung und die Anerkennung von Unterschieden. Die eigene Wahrnehmung und Beschreibung einer Situation oder eines Gefühls entspricht nicht immer dem, was die anderen Familiemitglieder wahrnehmen. Die eigene Wahrnehmung oder auch die eigenen Wünsche können benannt werden und neben denen der anderen wertgeschätzt werden. Dies trägt zu einer Bereicherung des Familienlebens bei, kann Energie freisetzen, und so können die Potentiale der Familie ausgeschöpft werden. • Selbsthilfe und Netzwerke von Familien (Empowerment) Mit der Unterstützung von Selbsthilfe und Netzwerkbildung von Familien stellt FuN sich hinter den Empowerment−Impuls der Humanistischen Psychologie …. Angesichts der wachsenden Komplexität der Lebensverhältnisse, mit denen die Anforderungen an Familien immer mehr steigen, wird die Bereitschaft und Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen und zur Mitgestaltung des persönlichen Lebensumfeldes immer notwendiger. Durch die Anwendung und Vermittlung von Selbstlernprozessen werden die Handlungskompetenzen der Beteiligten gefördert. Ergebnisse aus der Stressforschung … bestätigen die positive Wirkung der Einbindung in soziale Netze. Bei FuN üben daher die Eltern in dem Element der Elterngruppe während jedes Treffens auf der Erwachsenenebene das Aushandeln von Interessen, Lösungen und gemeinsamen Zielen ein. Das Abstimmen der Gesprächsthemen und die Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen in einem geschützten Raum und mit einer entsprechenden Moderation ist als ein Lernfeld zu Koerner, S. in: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.) (2001): Zivile Konfliktkultur und Konfliktmanagement. Ein Curriculum für Weiterbildung und Gemeinwesen. Bönen: Druckverlag Kettler GmbH 40 betrachten, das die auf die achtwöchige FuN-Programmphase44 folgende FuNSelbstorganisationsphase vorbereitet. Ziel dabei ist, dass die Beziehungen wachsen und sich die Eltern als Nachbarn oder Bewohner des gleichen Stadtteils gegenseitig und solidarisch unterstützen. • Integration und Mitwirkung in pädagogischen Einrichtungen Dieser Kompetenzbereich steht in engem Zusammen-hang mit den o.g. Kompetenzbereichen. Ausgangspunkt ist die im Zusammen-hang mit der Etablierung von Mediationsverfahren in den USA seit den sechziger Jahren deutlich erkennbare „Interdependenz von Bürger-beteiligung, ziviler Streitkultur und wertorientiertem Handeln im Sinne einer nachhaltigen Gemeinwesenentwicklung“45. Wenn Menschen miteinander wertschätzend kommunizieren, sich mit allen Sinnen begegnen, ihre Potentiale in die gemeinsamen Ziele kooperativ einbringen und Verantwortung für die sozialen Beziehungen übernehmen, steigt ihr Selbstvertrauen und ihre Kommunikationskompetenz und sie sind eher zu motiviert, ihre Interessen im Gemeinwesen, im Kindergarten, in der Schule engagiert zu vertreten. FuN knüpft an diese Erfahrungen an und bezieht zudem als ein Programmelement die Zusammenarbeit mit anderen familienorientierten Diensten mit ein. Im Rahmen der Elterngruppe können Kolleginnen aus der Kinder− und Jugendhilfe eingeladen werden und über ihre Arbeit informieren. Die gemischten FuN−Teams erleichtern es den Eltern, auf Profis aus anderen familienorientierten Diensten zuzugehen, und die Anerkennung und Unterstützung der anderen Eltern ermutigt, eigene Interessen wahrzunehmen und engagiert zu vertreten. Lernformen Das Konzept zur Elternarbeit bei FuN fußt auf einer am Subjekt orientierten, begleitenden Bildungsarbeit. Die Familien und insbesondere die Eltern werden nicht in erster Linie als Lernende gesehen, denen das „richtige“ Wissen und die „richtigen“ Fähigkeiten vermittelt werden müssen, sondern als Subjekte ihrer eigenen Lern− prozesse, die sie durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen selbst steuern. FuN richtet sich daher an die Eltern und Kinder gleichzeitig …, lässt sich ein auf Familienrhythmen und -bedürfnisse und dialogische Lernprozesse. Zudem zielt es 44 45 Vgl. S. 35 Koerner in: Jahrbuch des Landesinstituts, 109f. 41 angesichts der Komplexität der Lebensverhältnisse auf die notwendiger werdende Verknüpfung von Bildung, Beratung und Begleitung. • Erfahrungs− und Modellernen FuN geht davon aus, dass das Leben in familialen Verantwortungsgemeinschaften nicht mehr als existenziell gekonnt vorausgesetzt werden kann. Das FuN−Programm setzt daher auf die Lernform des Erfahrungs- und Modellernens. Eltern erleben im Rahmen des Programms verschiedene Situationen und Strukturen für einen positiven Umgang mit ihren Kindern. Im „learning by doing“ können die Auswirkungen der Rituale, Übungen und Spiele unmittelbar erlebt und durch Wiederholung gefestigt werden. In den Zweiergesprächen und der Elternrunde wird die eigene Lernerfahrung reflektiert und kann bewusst für die Gestaltung des Familienlebens genutzt werden. „Seit ich mit meiner Tochter öfter spiele, geht es auch bei den Schularbeiten leichter“ Die Spiele und Elemente des FuN−Programms sind Ideen für die Gestaltung der Familienzeit und des Miteinanderumgehens. Sie liefern damit ein Muster, wie Familienleben gut funktionieren und Spaß machen kann. • Lernen durch Coaching Bei vielen Elementen des FuN−Programms unterstützen die TeamerInnen die Eltern durch aktives Coaching. Beim Lernen durch Coaching erfahren Eltern positive Rückmeldungen auf ihr konkretes Verhalten oder kurze Hinweise auf andere Ideen oder neue Wege. Der Begriff des Coaching ist aus dem Sportbereich entliehen. Ein guter Coach motiviert seine Spieler, indem er sie für gute Leistungen lobt, sie anspornt und anfeuert, die Sorgen und Schwierigkeiten versteht, neue Ideen mit einbringt und indem er an sie „glaubt“. Im FuN-Programm geht es um Ähnliches: Elterliche Zuwendungen zum Kind – dem Kind etwas erzählen, dem Kind zuhören, mit dem Kind spielen – werden anerkennend kommentiert. Die Anerkennung und Wertschätzung richtet sich immer an die Eltern. Trotz des gemeinsamen Lernens von Eltern und Kindern wendet sich das Coaching ausschließlich an die Eltern. Auf diese Weise wird ihnen emotional der Rücken gestärkt. Ihre Rolle als Regisseur/ innen ihrer Familien wird betont. Die entstehende positive Atmosphäre ist der Boden, auf dem Eltern stark werden und. in der sie sich auf neue Erfahrungen einlassen können. Gleichzeitig kann diese Erfahrung auch ein Modell für den Umgang mit den eigenen Kindern darstellen. 42 • Lernen durch Erprobung und Vergleich Das Lernen durch Erprobung und Vergleich bildet eine weitere Lernebene für die teilnehmenden Familien. Obwohl die meisten Spiele und Programmelemente am Familientisch stattfinden, erleben die Familien – sozusagen aus den Augenwinkeln – mit, wie die anderen Familien mit der Situation umgehen, welche Ideen hier und dort entstehen, wie dieser oder jener Streit in anderen Familien gelöst wird usw. Wenn wir bedenken, wie isoliert viele Familien leben und wie das Innenleben und auch die Erziehung der Kinder gegen Einblicke von außen abgeschirmt werden, dann kann die Lernwirkung dieser vorsichtigen Vergleiche nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Familien stellen fest, dass auch in anderen Familien „nur mit Wasser gekocht wird“, dass es auch dort Konflikte und Streitigkeiten gibt und dass andere Mütter und Väter auch nicht perfekt sind. Diese Erfahrung macht sie offener und empfänglicher für neue Anregungen. Die Hemmschwellen, Neues einfach mal auszuprobieren, sinken. Auch hier kann das „Vorher“ – „Nachher“ miteinander verglichen werden. Wie wirken sich die neuen Erfahrungen auf das eigene Wohlbefinden oder das der Familie aus? Die Vergleiche schaffen realistischere Einschätzungen, eine Basis für den Erfahrungsaustausch und fördern den Mut für Probehandeln und Veränderungen. • Lernen im Dialog Das Lernen im Dialog mit anderen Familien stellt die vierte Lernform des FuN – Programms dar. Den stärksten Ausdruck findet sie im „Gespräch zu Zweit“ und der direkt nachfolgenden „Elternzeit“ (vgl. S. 35). FuN geht davon aus, dass Eltern in aller Regel über eigene Ressourcen zur Organisation und Gestaltung des Familienlebens verfügen. Der Erfahrungsaustausch der Eltern im Rahmen des FuN−Programms erhöht diese Kompetenzen und erweitert die Denk− und Verhaltensmöglichkeiten der Mütter und Väter. Die Eltern werden im FuN-Programm als die ExpertInnen für ihr Familienleben angesehen und angesprochen, die sich mit anderen Eltern-ExpertInnen treffen und austauschen. Die Gespräche finden „auf gleicher Augenhöhe“ statt, sozusagen von „gleich zu gleich“. Die FuN−TeamerInnen übernehmen nicht die Rolle der „besser wissenden Fachleute“, sondern beschränken sich auf die Gesprächsmoderation mit dem Ziel, die Eltern miteinander in den Kontakt und in den Dialog zu bringen. 43 1.2.4 Qualifizierung der Teams Das FuN–Programm kann nur von Teamer/innen durchgeführt werden, die erfolgreich an einer Grund-Qualifizierung teilgenommen und ein entsprechendes Zertifikat erworben haben. Nach ausreichenden Erfahrungen mit dem Programm kann dann noch eine Ausbildung zur FuN−Trainer/in erfolgen. FuN−Trainer/innen können das Programm an andere Multiplikator/innen vor Ort weitervermitteln. Adressaten/innen sind berufserfahrene hauptamtliche und nebenamtliche Mitarbei− ter/innen mit pädagogischer Ausbildung aus Familienbildungseinrichtungen und anderen familienbezogenen Diensten sowie pädagogische Fachkräfte aus den Kooperationseinrichtungen (Schulen, Kindertagesstätten, Jugendämter, soziale Dienste). 1.3 Zusammenfassung und Fazit FuN ist ein präventives Programm, das die Erziehungs- und Mitwirkungskompetenzen von Familien unterstützt und ihre soziale Beziehungen festigt. Es fördert die Beteiligung sozial benachteiligter Familien in Bildungseinrichtungen und bietet einen gemeinsamen Erfahrungsraum für Eltern und Kinder. Auf der profes− sionellen Ebene vernetzt FuN die Arbeit von Sozialisationsinstitutionen wie Kindergarten oder Schule mit der Arbeit familienorientierter Dienste und stellt mit der Verknüpfung von Bildung, Beratung und Begleitung einen innovativen methodischen Ansatz zur Elternarbeit dar. Das pädagogische Konzept von FuN orientiert sich an bestimmten Richtungen der systemischen Familientherapie: Es geht vor allem um die Stärkung von Zusammenhalt und Struktur, um Elternverantwortung und Elternkompetenz, Beziehungsgestaltung, um Kommunikations− und Konfliktfähigkeit. Des Weiteren geht es um ein Empowerment von Familien durch Selbsthilfe und Netzwerkbildung mit dem Ziel, die Beziehungen unter den Teilnehmern zu stärken und sich als Nachbarn oder Stadtteilbewohner gegenseitig solidarische Unterstützung angedeihen lassen zu können. Ferner werden Eltern ermutigt, ihre Interessen in Schule oder Kindergarten einzubringen und auch „auf Augenhöhe“ auf Professionelle aus anderen familienorientierten Diensten zuzugehen. Die Lernformen, derer sich FuN bedient, beruhen auf der subjektorientierten begleitenden Bildungsarbeit, indem Eltern als Subjekte ihrer eigenen Lernprozesse gesehen werden, die sie durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen selbst steuern und 44 in einem dialogischen Prozess, von den FuN−Teamerinnen moderiert, gemeinsam mit den anderen Familien ihre Denk− und Verhaltensmöglichkeiten erweitern. 45 2 Umsetzung des Projekts 2.1 Zeit- und Arbeitsplan Das Projekt begann im Mai 2008 mit der einwöchigen Einführung der mongolischen Kooperationspartnerin in das Programm am Institut für präventive Pädagogik in Münster. Im Wesentlichen ging es dabei um ihre vorläufige Einschätzung von FuN im Hinblick auf seine Tauglichkeit für mongolische Familien. Das Urteil der mongo− lischen Partnerin fiel sehr positiv aus: Die Ziele, nämlich die Eltern und Kinder zu stärken, die soziale Beziehungen zu festigen, Erziehungspartnerschaften zu entwickeln und Kooperation zu fördern, sind auch für unsere Gesellschaft, wo diese Fragen gerade sehr aktuell sind, sehr treffend und passend. Nach dem Besuch des Qualifizierungskurses kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das Programm auch zu unserem Land sehr gut passen wird und eine hilfreiche und wertvolle Investition darstellt ... (E. Soyolmaa, Anhang 1) Es folgten zwei weitere Treffen der Autorin mit der mongolischen Partnerin in Deutschland und zwei mit dem Ausbilder, in denen Details zur Zeit−, Personal−, Finanz− und Arbeitsplanung entwickelt wurden (Anhang 2). Abb. 1: Zeit- und Arbeitsplan (Evaluation: Phase III bis Phase V) Phase I (Mai bis Dezember 2008) Phase II (Januar bis Mai 2009) Vorbereitung in Deutschland einschl. Fortbildung der Projektpartnerin; Zeit-, Personal-, Arbeitsplanung, Antragserstellungen und Fördermittelerschließung Vorbereitung in Ulaanbaatar Vorbereitung in Deutschland Phase III (Juni 2009) Qualifizierung der FuN-Teams Ulaanbaatar, Anwerbung der Familien Phase IV (Juni bis September 2009) Durchführung von Programmphase I einschließlich Supervision der Startphase durch Ausbilder in Ulaanbaatar Phase V (September 2009 bis Februar 2010) Durchführung von Programmphase II in Ulaanbaatar Phase VI (März bis Mai 2010) Erstellung der Abschlussberichte Phase VII (Sommer 2010) Präsentation der Ergebnisse in Ulaanbaatar in So konnte das Projekt schließlich nach weiteren und im Wesentlichen über Email und Telefonate abgewickelten Vorarbeiten − Mittelerschließung, Übersetzung des Textbandes, Materialherstellung (z.B. Anpassung von Bildmaterial an die mongolische Kultur) und Materialbeschaffung, Auswahl der Kindertagesstätten, Gewinnung 46 und Vorbereitung der mongolischen Vorgesetzten in der städtischen Verwaltung (Freistellung der Teilnehmer/innen), Entwicklung der Evaluationsinstrumente u.a.m. − Mitte des Jahres 2009 in Ulaanbaatar, der mongolischen Hauptstadt, starten. Die Praxisphase des Projekts wurde im Frühjahr 2010 nach rd. acht Monaten Laufzeit wie vorgesehen beendet. Es wurde von der Autorin wissenschaftlich begleitet und während und am Ende der Durchführung evaluiert. 2.2 Die Teams Insgesamt waren für die Programmdurchführung 27 Mitarbeiterinnen aus neun Kindertagesstätten, den Jugendamtsabteilungen der jeweiligen Wohnquartiere und einer Nichtregierungsorganisation (NRO) (die Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstelle der Kooperationspartnerin) vorgesehen (tatsächlich nahmen später nur 24 teil), davon im Wesentlichen Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen (vgl. Tab. 1). Beruf Erzieherin 8 Sozialarbeiterin 12 Organisation ehrenamtlich tätige Mutter (WV) 3* Psychologin, Soziologin (NRO) 2 keine Angabe 2 Kita Stadt 5 Kita World Vision (WV) 4 *) Ursprünglich waren für die Teams keine ehrenamtlichen Kräfte, sondern nur (sozial-) pädagogische Fachkräfte u.ä. vorgesehen, wir hatten jedoch keinen direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der Teams Tab. 1: Zusammensetzung der Teams (n=27) und der Kitas (n=9) Träger war bei fünf Kitas die Stadt Ulaanbaatar, bei vier Kitas das Kinderhilfswerk World Vision − diese Aufteilung war von uns gewollt, denn World Vision ist in der Mongolei eine sehr aktive Organisation, die sich vorwiegend um die Belange von Kindern und Familien kümmert und einen großen Bedarf nach unserer Fortbildung angemeldet hatte. Jede FuN−Familiengruppe sollte von einem Team aus drei Mitarbeiterinnen begleitet werden, dabei sollte jedes Team in der Regel aus zwei Mitgliedern der jeweiligen Kita und einer Stadtteil-Sozialarbeiterin möglichst des jeweiligen Wohnquartiers bestehen, dieses dritte Mitglied sollte also, um dem Vernetzungscharakter des Programms 47 Rechnung zu tragen, von „außen“ kommen (in unserem Fall kamen zwei der externen Teammitglieder auch aus der genannten NRO). 2.3 Durchführung • Erste Woche: Grundqualifizierung In der ersten Woche fand an fünf Tagen die Grundqualifizierung der zukünftigen Teams durch den Ausbilder Bernd Brixius46 vom Institut für präventive Pädagogik/ Münster statt. • Zweite Woche: Anwerbegespräche in den Kitas In der zweiten Woche begannen die Teams mit der direkten Umsetzung des Programms und führten − sofern nicht bereits vorher geschehen (knappes Zeit− fenster!) − die Anwerbegespräche mit den Familien durch. • Dritte Woche: Programmstart mit Praxisbegleitung In der dritten Woche fand die Praxisbegleitung/ Supervision der Startphase statt. So war es möglich, die Teams während dieses wichtigen Zeitpunkts zu beobachten und einen Eindruck zu gewinnen, wie sie das Programm umsetzten und wie erfolgreich die Grundqualifizierung war. Zum anderen entstand dadurch auch ein direkter und persönlicher Eindruck von den teilnehmenden Familien, der in die Einschätzung des Projektverlaufs einbezogen werden konnte. Die restlichen sieben Treffen in Phase I (Familienprogrammphase) und die sechs weiteren begleiteten Treffen in Phase II des Programms (selbstorganisierte halbjährige Familientreffphase) wurden dann, soweit möglich, per Emailkontakt supervidiert. 2.4 Zusammenfassung und Fazit Das Projekt lief in mehreren Phasen ab, die insgesamt den Zeitraum von zwei Jahren umfassten. Nach einer Einführung der Projektpartnerin in Deutschland und den nötigen Vorbereitungsarbeiten einschließlich Beschaffung der Fördermittel begann im darauf folgenden Jahr die Arbeit in Ulaanbaatar mit der einwöchigen Qualifizierung der Teams und der Programmstartphase mit den Familien. Durchgeführt wurde FuN in neun Kindertagesstätten von zwei− bis dreiköpfigen Teams, die im Wesentlichen aus Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen bestanden und in den Kindertages- 46 Vgl. Brixius, B.: www.praepaed.de 48 stätten bzw. den zuständigen Jugendamtsabteilungen der Quartiere tätig waren (N=24). Bei fünf Kindertagestätten anderen war der Träger die Stadt Ulaanbaatar, bei den vier die Kinderhilfsorganisation World Vision. Nach der supervidierten Startphase wurden die FuN−Familiengruppen von den Teams fortgeführt, beraten über Email-Kontakte mit dem Ausbilder, und dann in die Phase der Selbstorganisation übergeleitet; diese wurde schließlich zum vorgesehen Zeitpunkt beendet. 49 Teil III Die Evaluation des Projekts 50 51 1 Vorbereitung 1.1 Die zentralen Fragestellungen Hauptziel des Projekts war es zu klären, ob das Programm FuN trotz der scheinbar kaum überbrückbaren strukturellen und kulturellen Differenzen, wie sie zwischen einem hochentwickelten europäischen Land und einem zentralasiatischen Transformations- und Entwicklungsland mit nomadischer Tradition bestehen, dort bei der Zielgruppe auf die gleiche Akzeptanz stößt und positive Wirkungen zeitigt, wie das z.B. in Deutschland der Fall ist. Für die Auswahl von FuN waren besonders vier Qualitätsmerkmale entscheidend: o FuN fördert Familien in sozialen Randlagen o FuN unterstützt und stärkt den Familienzusammenhalt o FuN unterstützt die Mitwirkung dieser Familien bei der Bildung, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in pädagogischen Einrichtungen o FuN fördert die Kooperation von pädagogischen und familienbezogenen Einrichtungen Bei der Evaluation ging es dabei speziell um folgende Fragen: • Die Qualifikation der Teams Wie wird die einwöchige Qualifizierungsmaßnahme der Teams von den Teilnehmern/ innen unter o fachlichen o beruflichen o persönlichen Gesichtspunkten beurteilt? • Die Familien o Welche Familien haben teilgenommen? o Was war die Motivation der Familien, am Programm teilzunehmen? o Wie wird das Programm von Eltern und Kindern bewertet? Gibt es Unterschiede? Was hat besonders gefallen? Was wäre zu verbessern? o Haben sich durch die Teilnahme neue Kontakte für die Familien ergeben? Werden diese als bedeutsam eingeschätzt und sollen sie ggf. fortgeführt werden? o Wird das Programm als hilfreich für das Familienleben bewertet? Bietet es 52 Unterstützung? Vermittelt es neue Informationen? Wie sehen diese ggf. aus? o Erlebt sich die Familie durch die Teilnahme am Programm als gestärkt? o Wie wichtig ist den Familien die Teilnahme? War die Teilnahme anstrengend für sie? o Setzten die Familien zu Hause Programmteile um? o Wie soll es weitergehen? • Die Teams o Sind Verhaltensänderungen bei Eltern und Kindern zu beobachten? In welcher Hinsicht? o Hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Teams und den Eltern verändert? o Wie war die Zusammenarbeit im Team? Hat die neue Zusammensetzung Synergien freigesetzt? Gab es Konflikte? o Wie gelang der Übergang in die 2. Programmphase? o Wie gestaltete sich die 2. Programmphase? o Wie kann es weitergehen? 1.2 Methodische Begrenzungen Eine sozialwissenschaftsgestützte Evaluation beruht auf bestimmten methodischen Voraussetzungen, insbesondere der Verwendung eines Kontrollgruppendesigns zur Beseitigung bzw. Kontrolle von Fehler− und Störquellen (z.B. ein Design mit einer unbehandelten Kontrollgruppe und einem Vor−Nach−Test bei beiden Gruppen); hinzu kommen die Wahl relevanter Bewertungskriterien und ihre angemessene Operationalisierung, geeignete Datenerhebungs− und Auswertungsverfahren u.a.m. In unserem Fall war es allerdings aufgrund Komplexität des Projekts und der gegebenen Rahmenbedingungen nur begrenzt oder gar nicht möglich, den genannten Anforderungen in allen Punkten zu genügen (äquivalente Vergleichsgruppen ohne bzw. mit einem anderen Treatment zu bilden, war z.B. undenkbar), und es gab zahlreiche materielle, zeitliche, sprachliche und personelle Einschränkungen – es galt also, Kompromisse zwischen der Machbarkeit und den methodischen Anforderungen zu bilden und trotz der Begrenztheit der Mittel zu begründeten, nachvollziehbaren und verwertbaren Aussagen zu kommen47. 47 Direkte Kausalaussagen über positive Veränderungen durch das FuN-Programm sind also nicht möglich, sie können z.B. auch aufgrund der Tatsche zustande gekommen sein, dass sich überhaupt jemand bereit erklärt hat, ein Familienbildungsprogramm in ein mongolisches Gerviertel einzuführen – 53 So ist der entscheidende Zweck der Datenerhebung in unserem Fall auch nicht die vergleichende Bewertung im Sinne eines Testens von Hypothesen (z.B.: Welches Programm ist besser?), sondern ihr heuristischer Wert: lässt sich ein Programm wie FuN überhaupt in einem kulturfremden Land implementieren? Lassen sich die wichtigsten Zielvorgaben erreichen? Wo gibt es Passungsschwächen? Welche Verbesserungen sind möglich oder nötig? usw. Allerdings gilt, dass sich durch manche methodischen Zwänge und Schwächen (vgl. 1.2, 1.4) Nachteile ergeben haben, die eine nachträgliche Kritik an der Aussagekraft der erreichten Ergebnisse durchaus möglich machen. 1.3 Evaluationsinstrumente Die vorwiegend quantitativ ausgerichtete und überwiegend summative Evaluation erfolgte mittels mehrerer Frage− und Dokumentationsbögen sowie einem standardisierten Familieninterview48. Hierfür lagen die Fragebögen vor, die in Deutschland zur internen Evaluation von FuN verwendet werden49; es stellte sich dann aber vor Ort heraus, dass sie nur teilweise übernommen werden konnten (z.B. weil sie in der Fragen− und Antwortgestaltung zu lang oder zu differenziert waren, weil sie inhaltlich nicht passten u.a.). Auch der Leitfaden für die Familieninterviews musste umgestaltet werden, weil er in Deutschland als Fragebogen eingesetzt wird, den die Familien selbst ausfüllen – das gewesen, zumal der wäre in der Mongolei nicht möglich Bogen auch noch sehr kompliziert gestaltet war und die Familien überfordert oder beschämt hätte Wir zogen es deshalb vor, die Familien durch Interviewerinnen befragen zu lassen. Alle Fragebögen bzw. Leitfäden waren also Eigenkonstruktionen und bezüglich Auswahl, Formulierung, Anzahl usw. der jeweils zu befragenden Gruppe angepasst. Des Weiteren wurde in der Mitte der Intensivphase eine schriftliche Zwischenbilanz gezogen, die mehrere Funktionen hatte: sie war interaktiv angelegt, indem der Ausbilder die vorliegenden Berichte und Fragen der Teams schriftlich beantwortete und diese seine Empfehlungen in ihre Praxis umsetzen konnten. Die Zwischenbilanz und es dürfte wenig Zweifel geben, dass diese Tatsache bei der Bewertung eine Rolle gespielt hat, denn immer wieder bedankten sich die Familien dafür, dass man sie mit diesem Programm „beschenkt“ habe. Es spricht aber auch nichts dafür, dass dies der alleinige Grund für die positiven Ergebnisse gewesen ist, denn dazu sind diese zu prägnant 48 Ursprünglich sollten auch qualitative Daten (z.B. in Form von Interviews und Gruppendiskus− sionen) erhoben werden; wegen des großen Aufwands vor allem der Übersetzungen und dem Mangel an qualifizierten Interviewerinnen musste aber darauf verzichtet werden. 49 In Deutschland wird das Programm von den Teams selbst evaluiert 54 diente also der Unterstützung der Teams. Gleichzeitig konnten deren Fragen aber auch in die Evaluation einbezogen werden, weil sie den Stand und das Verständnis ihrer Arbeit mit dem Programm widerspiegelten und die Empfehlungen des Ausbilders dann zur Verbesserung ihres Tuns heranziehen konnten. In diesem Sinne handelt es sich um eine formative Evaluation50. Diese Strategie sollte aber auch dazu dienen, den Teams die Gewissheit zu geben, dass sie bei ihrer Arbeit trotz der großen räumlichen Distanz begleitet würden und sich auf diesem Weg Rat holen konnten. Eingesetzt wurden insgesamt sieben Instrumente: 1. Evaluationsbogen für die einwöchige Qualifizierung (Teams) (neu) 2. Fragebogen I zu Beginn der Programmdurchführung (Teams) (novelliert) 3. Fragebogen II nach Ende der Programmphase I (Teams) (novelliert) 4. Fragebogen III nach Ende der Programmphase II (Teams) (Telefoninterview, neu) 5. Fragebogen Sozialstatistik Familien(Teams) (neu) 6. Fragebogen Zwischenbilanz nach 4 Sitzungen der Phase I (Teams) (neu) 7. Interviewleitfaden Familienbefragung (Familien) (novelliert) Alle Instrumente wurden ins Mongolische übersetzt und dann teilweise für die Auswertung – wegen der offenen Fragen – ins Deutsche rückübersetzt51. 1.4 Anmerkungen zur Datenerhebung In einem Land wie der Mongolei sind wissenschaftliche Evaluationen noch nicht üblich. Das heißt, dass auch der geforderte penible Umgang mit den Grundregeln sozialwissenschaftlichen Forschens nicht selbstverständlich ist. Dies gilt z. B. für den standardisierten Einsatz der Messinstrumente, der Vollständigkeit von Erhebungen, der Einhaltung des Datenschutzes u.a.m. So sind auch die in diesem Projekt erhobenen Daten teilweise mit Mängeln behaftet: Nichtbeachtung der Zeitvorgaben und der Anonymität, missing data, sprachliche Missverständnisse, teilweise laienhaft geführte Interviews, fehlerhaftes Ausfüllen von Fragebögen … Vgl. Wottawa, H. & Thirau, H.: Lehrbuch Evaluation (1998). 2., vollst. überarb. Auflage. Bern: Huber, 35 Dieses Material wurde nicht detailliert ausgewertet, weil die von einer Studentin getätigte Übersetzung den Ansprüchen an eine Inhaltsanalyse nicht genügte. Übersetzung der Anfragen und Antwort des Ausbilders befinden sich im Materialband (Anhang 11a /11b) 51 Evaluationsinstrumente mit Grundauszählungen im Materialband 50 55 Deshalb mussten, da nicht alle Fehlerquellen aufgeklärt oder beseitigt werden konnten, auch hier Kompromisse geschlossen, manchmal auch auf Informationen verzichtet werden (z.B. wurde bei der Übersetzung eines Fragebogens eine sehr wichtige Frage vergessen, ein Fragebogen mit falschen Antwortkategorien versehen u.a.). Insgesamt lässt so die Qualität der Daten zwar zu wünschen übrig, auf der anderen Seite sind aber auch sehr umfangreiche Erhebungen durchgeführt worden (z.B. fünf Befragungen der Teams), sodass das sich ergebende Bild der Realität doch relativ nahekommen dürfte, zumal der Rücklauf fast immer nahezu 100% betrug und zwei Zielgruppen befragt werden konnten. Ein weiteres Problem bestand in der Tatsache, dass zumindest die mongolische Projektleiterin wegen ihrer direkten Beteiligung am Projekt nicht in die Evaluation einbezogen werden sollte, was aber aus sachinhärenten Gründen nicht immer möglich war. Auch hier wurde ein Kompromiss gefunden, der darin bestand, dass sie die Fragebögen und –leitfäden nur übersetzte, verteilte bzw. einsammeln ließ (außer im Fall der das Projekt abschließenden Telefoninterviews, die sie persönlich führte, weil niemand anderes zur Verfügung stand, die aber nach einem standardisierten Leitfaden erfolgten), dass die Familieninterviews von am Projekt nicht beteiligten Studierenden u.a. durchgeführt wurden und die Auswertung der Daten in Deutschland ohne Beteiligung der Projektmitglieder erfolgte. So ist einigermaßen sicher gestellt, dass die Ergebnisse nicht durch subjektive Fehlerquellen verfälscht wurden (es sei denn, die nicht auszuschließenden der deutschen Projektleiterin und Autorin). 1.5 Design Die schriftlichen Befragungen der Teams und die Familieninterviews erfolgten möglichst zeitnah zu den im Ablaufplan vorgesehenen Zeitpunkten und wurden von der mongolischen Projektpartnerin koordiniert (Abb. 2, Erhebungsplan). Bei den erhobenen Daten handelt es sich in der Regel sowohl um persönliche Einschätzungen, Urteile und Erfahrungen der Teilnehmer wie um quantitative/ objektivierte Angaben (z.B. Menge /Anzahl /Ereignis); andere Datenquellen (z.B. Tests, qualitative Interviews, Urteile von Außenstehenden) konnten nicht herangezogen werden. Allerdings wurden sowohl die Einschätzungen der Teams wie die Einschätzungen der Familien erhoben, sodass hier Vergleiche möglich sind. Alles 56 in allem kann diese Studie also nicht mehr als einen bescheidenen Beginn markieren, dem weitere Untersuchungen folgen sollten. Die schriftlichen Befragungen der Teams und die Familieninterviews erfolgten möglichst zeitnah zu den im Ablaufplan vorgesehenen Zeitpunkten und wurden von der mongolischen Projektpartnerin koordiniert (Abb. 2). Abb. 2: Erhebungsplan Phase III (Juni 2009) Qualifizierung der FuN-Teams: Fragebogen Evaluation der Fortbildung Phase IV (Juni bis September 2009) Durchführung von Programmphase I: Teamfragebogen I Fragebogen Zwischenbilanz Teamfragebogen II Familieninterviews Fragebogen Sozialstatistik Phase V (September 2009 bis Februar 2010) Durchführung von Programmphase II: Teamfragebogen III 1.6 Auswertung Die Daten wurden, soweit möglich, mit dem Programm Graftstat52 bzw. Excel ausgewertet; Signifikanztests erfolgten mittels SPSS. Die Verfasserin war bei der Qualifizierung sowie bei allen Supervisionen der Startphase als weitgehend unbeteiligte Beobachterin anwesend, ihre Beobachtungen sowie Informationen Dritter, als solche gekennzeichnet, fließen gelegentlich ebenfalls in den Ergebnisbericht ein. 1.7 Zusammenfassung und Fazit Für die Auswahl von FuN waren vier besondere Qualitätsmerkmale entscheidend: o FuN fördert Familien in sozialen Randlagen o FuN unterstützt und stärkt den Familienzusammenhalt o FuN unterstützt die Mitwirkung dieser Familien bei der Bildung, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in pädagogischen Einrichtungen 52 Ausgabe 2009/ Version 4.15 57 o FuN fördert die Kooperation von pädagogischen und familienbezogenen Einrichtungen Aufgabe der Evaluation sollte es sein zu überprüfen, ob sich diese Annahmen, die in der BRD gut belegt sind, auch in einem Land mit starken kulturellen und strukturellen Differenzen bestätigen lassen. Dabei geht es speziell um folgende Fragen: o Wie wird die Qualifizierungsmaßnahme von den Teams bewertet? o Wie bewerten die Familien das Programm? o Wie bewerten die Teams die Programmauswirkungen? o Wie kann es weitergehen? Für die Befragung der Teams wurden fünf Fragebögen mit vorwiegend geschlossenen Fragen, für die Familieninterviews ein Leitfaden eingesetzt; außerdem wurde eine Zwischenbilanz mit einem offenen Leitfaden durchgeführt sowie Sozialdaten erhoben. Da es sich um eine Pilotstudie handelte, bei der infolge der komplexen Bedingungsfaktoren und des materiellen, zeitlichen, sprachlichen und personellen Rahmens einige Methodenschwächen in Kauf genommen werden mussten, ist die Aussagekraft der Ergebnisse zwar eingeschränkt, die Mehrfachbefragungen, die sehr guten Rücklaufquoten, die verschiedenen Zielgruppen u.ä. erlauben aber dennoch relativ gut abgesicherte Rückschlüsse auf die Programmwirkungen. 58 2 Ergebnisse 2.1 Qualifizierung der Teams An sich ist es für Lehrkräfte aus Kulturen mit geringer Machtdistanz wie der unseren schwierig, in Kulturen mit hoher Machtdistanz wie z.B. einer asiatischen zu unterrichten53, wo der Unterrichtsprozess in der Regel lehrerzentriert und personalisiert ist, Respekt gegenüber Lehrern als Grundtugend gilt, ihnen nicht öffentlich widersprochen wird und sie nicht kritisiert werden, wo Schüler nur sprechen, wenn sie aufgefordert werden usw. − es ist davon auszugehen, dass die Teilnehmerinnen des Grundkurses in ihren Bildungsbiographien als Schülerinnen und Auszubildende vorwiegend solche Lernerfahrungen gemacht haben54. Die einwöchige Grundqualifizierung der Teams in Ulaanbaatar erfolgte natürlich nicht nach der klassischen Lern- und Lehrformen des Frontalunterrichts, sondern − wie in Deutschland auch − mit den handlungsorientierten Methoden der modernen Erwachsenenbildung wie Spielen, Entspannungs− oder Aktivierungsübungen, Kleingruppenarbeit, Kurzvorträgen, Gruppendiskussionen und insbesondere angeleiteten und spontanen Rollenspielen – Methoden, die wahrscheinlich für die meisten Teilnehmer/innen neu waren. In dieser Hinsicht ist die Evaluation des Grundkurses besonders aufschlussreich: Konnten sich die Teilnehmerinnen auf diese neuen Lernformen einlassen und Gewinn aus der Fortbildung ziehen? 2.1.1 Ergebnisse der Abschlussbefragung Die Qualifizierung wurde mittels eines Fragebogens evaluiert, den alle 24 Teilnehmerinnen ausfüllten, die anschließend das Programm mit den Familien durchführten. Der Evaluationsfragebogen enthielt zwölf Items, und bezogen auf den Median ergibt sich für nahezu alle Items ein Spitzenwert (Median 1 bzw. 4)55: für alle Aussagen 53 Die Kulturdimension Machtdistanz beschreibt das Ausmaß der Distanz der Machtlosen gegenüber Machtinhabern, in asiatischen Kulturen ist sie im allgemeinen groß; vgl. hierzu www.anglistic.tubs.de/esutVergleiche.pdf: Vergleich verschiedener Kulturen anhand der Kulturdimensionen, ppt, 53 eingesehen am 18.04.2010 54 Vgl. www.emil.ikk.lmu./de/deutsch/arbeitstreffen.htm:Europäisches Modular-Programm für Interkulturelles Lernen in der Lehreraus- und fortbildung EMIL. Sofia 2006, eingesehen am 05.04.2010 55 Die vierstufige Antwortskala war bei der einen Hälfte der Items aufsteigend (1-4) und bei der anderen absteigend (4-1) formuliert (vgl. Abb. 1), um Antworttendenzen vorzubeugen, so dass bei der einen Hälfte der Wert 1 die beste Bewertung darstellt, bei der anderen der Wert 4 59 liegen also die Antworten im Durchschnitt im höchstmöglichen positiven Bereich – mit einer Ausnahme: die Rahmenbedingungen der Veranstaltung werden etwas kritischer, aber immer noch positiv eingeschätzt (Median=2) (Einzelheiten vgl. Anhang 3 /4). Im Folgenden zur Veranschaulichung eine kurze Beschreibung der nach dem arith− metischen Mittelwert (AM) erstplatzierten und letztplatzierten Items. An erster Stelle mit sehr hoher Zustimmung stehen: • die offenbar als sehr befriedigend erlebte Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung in der Fortbildung − vielleicht auch deswegen so wichtig, weil es bei manchen Teilnehmern/ innen vorher eine gewisse Besorgnis gab, in einer solchen „internationalen“ Veranstaltung „mithalten“ zu können? • der Eindruck einer Stärkung der persönlichen Kompetenz sowie • die Bereitschaft, an diesen positiven Erfahrungen auch andere durch Weiter- empfehlung teilhaben zu lassen • Als nahezu ebenso positiv wurde das Arbeitsklima während der Fortbildung bewertet. Priorität haben also positive persönliche Erfahrungen mit der Fortbildung in einer als positiv erlebten Arbeitsatmosphäre, während der Erwerb neuen Fachwissens und dessen Umsetzung in die Praxis an zweiter Stelle steht. Unter methodischen Gesichtspunkten wurde die Veranstaltung ebenfalls positiv beurteilt („abwechslungsreich“), sodass insgesamt die Sorge, dass die geringe Machtdistanz des „schülerzentrierten Unterrichts“ die Teilnehmerinnen irritieren oder überfordern würde, nicht bestätigt wurde – eine Beobachtung des Ausbilders war lediglich, dass weniger Fragen gestellt und weniger Diskussionen geführt wurden als in Deutschland. An letzter Stelle in der Rangreihe der Items steht die Frage nach der Steigerung der persönlichen Motivation. Diese Frage ist selbstkritisch betrachtet wahrscheinlich doch eine Frage aus Arbeitgebersicht, die zudem für einige Teilnehmer auch deshalb unpassend war, weil ihre Motivation ohnehin sehr groß war – sich in den Sommerferien ohne besondere äußere Belohnung außer einem Teilnahmezertifikat auf eine aufwändige Fortbildung einzulassen, dürfte nicht selbstverständlich sein. So steht sie zu Recht mit am Schluss der Rangreihe – erstaunlich, dass ihr immerhin fast 80% der Befragten doch noch zugestimmt haben. 60 Was die eingangs erwähnten „äußeren Rahmenbedingungen“ angeht, die durchschnittlich nur als „eher gut“ bezeichnet wurden, so sind diese im Fragebogen nicht spezifiziert; es scheint aber plausibel, dass von den Teilnehmer/innen darunter in erster Linie der uns (kostenfrei zur Verfügung gestellte) Veranstaltungsraum und dessen Ausstattung verstanden wurden − dieser hat sich tatsächlich als weniger günstig erwiesen, denn er war nicht ausreichend schallisoliert, sodass es seitens der im Gebäude tätigen Mitarbeiter wegen der gelegentlichen Lärmbelästigung (Stühle rücken, laute Spiele usw.) zu Beschwerden kam. Am letzten Tag musste der Veranstaltungsort auch gewechselt werden. Eine wesentliche Beeinträchtigung hat die Veranstaltung dadurch aus unserer Sicht jedoch nicht erfahren, das haben trotz einiger kritischer Stimmen auch die meisten Teilnehmer/innen so gesehen. 2.1.2 Die „Ambivalenten“ Interessant ist ein Detailbefund, der sich auf eine spezifische Untergruppe von Teilnehmer/innen bezieht: Einige von ihnen (n=5) haben bei einigen Fragen konsistent eher kritisch als zustimmend geantwortet, teilweise mit einer Differenz von bis zu zwei Skalenpunkten zu den anderen Teilnehmer/innen (Tab. 2)56. Sie fanden die Veranstaltung methodisch weniger abwechslungsreich, kritisierten die schriftlichen Unterlagen als weniger gut gelungen57, konnten der Veranstaltung we− der in Bezug auf die Entwicklung neuer beruflicher Perspektiven noch auf die Herstellung von Kontakten und Netzwerken so viel abgewinnen wie die anderen, und – konsequent – die Steigerung ihrer beruflichen Motivation war nicht so ausgeprägt (die Differenzen der Skalenwerte waren sämtlich mit p 0.05 signifikant). In der Veranstaltung haben diese Teilnehmer/innen allerdings ihre möglicherweise oder wir haben sie übersehen58. 56 Es ist nicht allzu ungewöhnlich, dass einige Teilnehmer/innen mit einer Fortbildung unzufrieden sind, unabhängig von Inhalt und Gestaltung meldet immer ein kleiner Prozentsatz Kritik an 57 Schwer nachvollziehbar, weil alle Teilnehmer kostenlos einen fast 100 Seiten umfassenden Materialband erhielten 58 Eine weitere Erklärung bietet wiederum die Kulturgrammatik : Kritik oder Widerspruch klar und öffentlich zu kommunizieren, gilt in Kulturen mit einem sog. dichten Kontext – zu denen die asiatischen Kulturen zählen - als unhöflich, dennoch findet Ablehnung statt: Informationen werden durch Körpersprache, Augenkontakt, Sprechstil, Symbole, sozialen Status oder den Gebrauch einer bestimmten Sprache übermittelt, durch einen bestimmten Ton, durch ein verhaltenes ‘vielleicht’ oder ‘noch nicht’ oder durch ein Lächeln. Der Gesprächspartner aus einer Kultur mit schwachem Kontext (wo das direkte Wort zählt) versteht daher auch nicht ‘nein’ - im dichten Kontext ist jedoch eine klare Ablehnung geäußert worden (vgl. www.emil.ikk.lmu./de/deutsch/arbeitstreffen, a.a.O.) In unserem Fall kommt hinzu, dass durch die Übersetzung die Kommunikation noch einmal verfremdet wurde und das Verständnis subtiler Mitteilungen weiter erschwert war. So mag es sein, dass uns z.B. kritische Kommentare nicht erreicht haben 61 Item Inhalt Ambiv.* Zufr.* 2. Methodisch war die Fortbildung für mich abwechslungsreich (1) … eintönig (4) 3,2 1,2** 3. Die schriftlichen Unterlagen waren enttäuschend (1) … wertvoll (4) 2,6 3,5** 5. Den Nutzen der Fortbildung in Bezug auf neue berufliche Perspektiven schätze ich ein als sehr hoch (1) … sehr gering (4) 3,0 1,2** 6. Den Nutzen der Fortbildung zur Steigerung meiner beruflichen Motivation für die eigene Arbeit schätze ich ein als sehr hoch(1) … sehr gering (4) 3,2 1,4** 7. Den Nutzen der Fortbildung für die Schaffung von Kontakten/ Netzwerken schätze ich ein als sehr gering (1) … sehr hoch (4) 2,4 3,5** *) AM der Skalenwerte der Gruppe Ambivalente Teilnehmer/innen (n=5) vs. Zufriedene Teilnehmer/innen (n=19) **) p .05 nach Fisher’s Exact Probability Test für unabhängige Stichproben Tab. 2: Ambivalente vs. zufriedene Teilnehmer/innen Doch was auch immer die Mitglieder dieser Gruppe inhaltlich miteinander verbindet und was hinter ihrer Kritik steht (die Befragung war anonym) – vielleicht waren sie nicht ganz „freiwillig“ dabei, waren mit anderen Erwartungen gekommen, standen unter Zeitdruck, mussten wichtige private Vorhaben zurückstellen − , es hinderte sie aber erstaunlicherweise nicht daran, ihre eigene Mitarbeit in der Veranstaltung zwar nicht ganz so positiv wie die „Zufriedenen“, aber dennoch als für sie sehr befriedigend wahrgenommen und ihre eigene Kompetenz als gestärkt erlebt zu haben, ebenso würden sie die Fortbildung auch anderen weiterempfehlen. Ihr Urteil war also durchaus ambivalent. 2.1.3 „Störungen“ Während der Qualifizierung gab es auch Ereignisse, die von uns als störend empfunden wurden. Oft hatten sie mit dem Thema Zeit zu tun. Unsere Daten und Beobachtungen erlauben zwar keine detaillierte Analyse dieser Vorkommnisse, „kulturgrammatische“ Erklärungen59 bieten aber auch hier zumindest Anhaltspunkte für ein besseres Verständnis. Kulturgrammatik meint das Entziffern fremder Kulturen – das Erkennen und Verstehen von kulturellen Zeichen, die zunächst als fremdartig erscheinen und zu Missverständnissen führen können - mithilfe bestimmter Kategorien oder ‘Kulturdimensionen’, die auf dem Grundgedanken der Gemeinsamkeit menschlicher Probleme und der kulturellen Vielfalt ihrer Lösungen beruhen. Im Folgenden soll versucht werden, zwei der häufigsten Missverständnisse mit Hilfe von kulturgrammatikalischen Kategorien in ihrer Bedeutung zu entschlüsseln. Konkretes Alltagshandeln ist durch bestimmte zeitliche Konventionen bestimmt, z.B. den Umgang mit Pünktlichkeit. Bei internationalen Kooperationsprojekten sind hier 59 Vgl. Europäisches Modular-Programm für Interkulturelles Lernen in der Lehreraus- und fortbildung EMIL. Sofia 2006, a.a.O. 62 Konflikte nicht ungewöhnlich, zumal „die Deutschen“ als strenge Verfechter von punktgenauer Pünktlichkeit gelten, andere Nationen, z.B. viele asiatische, aber sehr viel großzügiger mit Zeit umgehen. Ab wann findet man, dass man auf jemand wartet? Wie lange wartet man? Ab wann ist man ärgerlich oder erwartet eine Entschuldigung? Kulturgrammatisch gesehen, sind diese Differenzen zwischen den Nationen Ausdruck eines kulturell divergenten Zeitverständnisses: für Menschen mit einem monochronen Zeitverständnis – wie wir es aus unserer Kultur kennen – ist eine Wartezeit, die, natürlich in Abhängigkeit von der Situation, über eine bestimmte Länge(oft nur Minuten) hinausgeht, ein Affront und nicht akzeptabel. Für Menschen mit einem polychronen Zeitverständnis ist Zeit dagegen fließend und es gibt keine Minutengenauigkeit, sondern lediglich einen Zeitrahmen zur Orientierung − man kommt dann, wenn man so weit ist und kann durchaus etwas später erscheinen als vereinbart, ohne den anderen damit zu verletzen. Ein anderes Beispiel ist der Gebrauch des Mobiltelefons während der Fortbildung, den die Teilnehmer/innen trotz mehrfacher Bitten des Ausbilders − die im Grunde nicht verstanden wurden − gar nicht oder nur widerstrebend einstellten. Die Kulturgrammatik kann dieses Ärgernis mit dem kulturdivergenten Ausfüllen von Zeit erklären - hier geht es um den grundlegenden Unterschied zwischen ‘Zeiteinteilen’ und ‘Zeitzerteilen’: Man kann – wie es westliche Professionelle meist in ihrer Arbeitskultur gewöhnt sind − die Zeit einteilen und jeweils nur eine Tätigkeit zur Zeit verrichten, alles ‘eins nach dem anderen’, sich dabei nicht ablenken lassen, mehrere Dinge / Geschehnisse nacheinander − möglichst in der Reihenfolge ihres Eintretens – behandeln usw., während in anderen (Arbeits)-kulturen Zeit zerteilt wird: die Menschen tun mehrere Dinge gleichzeitig; mehrere Geschehnisse laufen nebeneinander her und man arbeitet an allem parallel, man telefoniert und trifft Verabredungen und hört gleichzeitig zu und … Auch ein verabredeter Termin muss nicht unbedingt stattfinden, denn man steht neuen Situationen offen gegenüber, legt sich nicht fest, sondern improvisiert, telefoniert, und Pläne können immer geändert werden60. Diese Haltung hat Vor- und Nachteile: der Handygebrauch oder die Unpünktlichkeit der Teilnehmer/innen ist für einen Veranstaltungsleiter sehr störend, die Tatsache, dass sich die an die Fortbildung anschließende Supervisionsphase bei acht Familiengruppen in neun Kindertagesstätten sowie weitere Verabredungen, z.B. mit der zuständigen Abteilungsleiterin der Stadtverwaltung, in kurzer Zeit organisieren ließen, war ausgesprochen vorteilhaft und wäre bei uns völlig unmöglich gewesen. 2.1.4 Zusammenfassung und Fazit Die fünftägige Qualifizierung der Teams kann als sehr erfolgreich bezeichnet werden. Alle Antworten der Teilnehmerinnen auf die Abschlussfragen lagen im Durchschnitt im positiven bzw. sehr positiven Antwortbereich. Die Fortbildung war offensichtlich eine wertvolle Erfahrung für sie, sie konnten aktiv an und in den Sitzungen mitarbeiten, erlebten sich als gestärkt in ihren persönlichen Kompetenzen und genossen die angenehme Arbeitsatmosphäre. Ebenso konnten sie ihr Fachwissen erweitern, neue berufliche Perspektiven entwickeln u.a.m. 60 Es trifft aber auch zu, dass es das alles bei uns in bestimmten Arbeitsmilieus durchaus auch gibt 63 Nur eine kleine Minderheit von fünf Teilnehmer/innen war in ihrem Urteil ambivalent und konnte z.B. in der Fortbildung keinen Nutzen für ihre berufliche Entwicklung erkennen; dabei war sie aber durchaus zufrieden mit ihrer eigenen Mitarbeit, erlebte sich ebenfalls als in ihren persönlichen Kompetenzen gestärkt und würde die Fortbildung anderen weiterempfehlen. Über die Gründe ihrer Ambivalenz lässt sich nur spekulieren. Vor einem möglichen weiteren Qualifizierungsprojekt wäre es auf jeden Fall nützlich, die Ergebnisse dieser Befragung zu zusammensetzung noch genauer zu planen. berücksichtigen und die Gruppen- 64 2.2 Das Programm im Urteil der Familien 2.2.1 Auswahl der Familien 2.2.1.1 Stadtteile und Wohnquartiere (Khoroos) Khoroos heißen die Unterbezirke oder Distrikte der insgesamt neun Stadtteile, in die Ulaanbaatar verwaltungsmäßig aufgeteilt ist61. In jedem Distrikt liegen mehrere Kitas, insgesamt gibt es gegenwärtig in Ulaanbaatar 155 staatliche und 73 private KitaEinrichtungen62. Allerdings können nur 40% der Vorschulkinder eine Kita besuchen, zumal die Unterbringung pro Tag 0,50 € Essensbeitrag kostet – für viele Familien sehr viel Geld, erst recht, wenn sie mehrere Kinder haben. 2.2.1.2 Die Anwerbung der Familien Die Teams berichten, dass sie die Familien vor allem über Gespräche zu erreichen versucht haben und dass letztlich fast alle Familien dadurch auch zur Teilnahme motiviert worden sind. Insgesamt haben 43% der von den Teams angesprochenen Familien schließlich an FuN teilgenommen, die Rekrutierungsphase war also durchaus aufwändig, denn es wurden insgesamt rd. 150 Familien angesprochen (Anhang 8, Teamfragebogen I). Zu berücksichtigen ist auch, dass die eigentliche Anwerbezeit zwischen Qualifizierung und Programmbeginn nur ein paar Tage betrug und die Teams bereits vorher nach Familien Ausschau halten mussten (Ferienzeit!), wenn sie dem relativ engen Zeitkorsett entsprechen wollten. Die Anwerbung ist also wegen des Zeitdrucks vermutlich nicht so „mustergültig“ verlaufen, wie das unter anderen Umständen möglich gewesen wäre, und die Vorbereitung der Teams auf diesen Punkt während der Grundqualifizierung kam für die meisten zu spät. 61 Laut Statistik lebten im November 2009 von den insgesamt 2,7 Millionen Mongolen in der Hauptstadt Ulaanbaatar 1,5 Millionen, also mehr als die Hälfte. Die Zahl der Familien erreichte 234 900 mit durchschnittlich 6,4 Mitgliedern. Die (nicht das reale Bild wiedergebende) registrierte Arbeitslosigkeit betrug 6,7 Prozent, die Armutsrate 43,2 Prozent, extrem arm waren 27 % (Einkommen geringer als 1 US-Dollar/Tag). Die Durchschnittslöhne/-gehälter lagen zwischen 300 000 bis 400 000 Tugrug (150.-€ und 200.- €). In den Gervierteln – informelle Siedlungen in den Vorstädten, die größtenteils aus traditionellen Zelten und einfachen Häusern bestehen und in denen 70 % der Einwohner leben - betrug der Verdienst eines Familienmitglieds durchschnittlich 93 400 Tugrug (rd. 47.-€), in den Neubauvierteln 165 000 Tugrug (rd. 83.-€). (Vgl.Deutsche Mongolei Agentur, Aktuelle Nachrichten aus der Mongolei, www.mongolei-online.de, 14.-20.12.2009; www.Aktiv-gegenKinderarbeit.de; CIA-Factbook 2009) 65 Dies zeigt sich auch an den von den Teams angegebenen Gründen für die Ansprache der Eltern (Abb. 3). Das Interesse der Eltern und ihr Wunsch, am Programm teilzunehmen, standen bei der Anwerbung an erster Stelle (49%), Überforderung/Erziehungsschwierigkeiten der Eltern sind bei etwa einem Fünftel (21%) der Grund, Vernachlässigungstendenzen bei 13% und soziale/finanzielle Probleme bei 10%, die übrigen Gründe sind vernachlässigenswert. Gewaltbereite Eltern, nach denen auch gefragt wurde, waren in den Gruppen überhaupt nicht anwesend. Dies spiegelt wider, dass die Teams unter dem Zeit− und Erfolgsdruck versuchen mussten, möglichst viele Eltern zu erreichen, die das Programm auch aktiv und engagiert mitmachen würden. Außerdem werden sie versucht haben, nicht allzu viele „Problemfamilien“ einzuladen, denn es dürfte für ein Anfängerteam nicht einfach sein, mit mehreren Problemfamilien zugleich zu arbeiten, zumal FuN sich grundsätzlich als präventives Programm versteht. Abb. 3: Anwerbung der Eltern (Startpunkt oben (1%), Legende im Uhrzeigersinn) Gründe für Ansprache 1% 1 21% 2 1% 49% 13% % 10% 3 4 5 6 7 8 2% 3% 1 = Auffälligkeiten/Besonderheiten im Verhalten der Kinder 2 = Überforderung / Erziehungsschwierigkeiten der Eltern 3 = Isolierte Familiensituation 4 = Vernachlässigungstendenzen 5 = Besondere familiäre Belastungen, z.B. Trennung /Tod 6 = Soziale / finanzielle Probleme, z.B. Arbeitslosigkeit 7 = Gesundheitliche Auffälligkeiten, z.B. Allergien, Behinderungen 8 = Eigeninteresse / Wunsch der Familie 2.2.1.3 Der sozioökonomische Hintergrund in den Wohnquartieren Zum sozioökonomischen Hintergrund des Einzugsbereichs der Kitas existiert eine amtliche Statistik der Khoroos, in denen sie liegen (Tab. 3). 66 FuN wurde in Kitas durchgeführt, die vorab von der Stadtverwaltung bzw. der Projektpartnerin ausgewählt worden waren; Kriterium für die Teilnahme waren u.a. die soziale Lage und die sozialen Probleme der Einwohnerschaft, genauere Informationen über die Auswahl sind uns jedoch nicht bekannt. Kita- durchschnittliches Familieneinkommen Wohnung Nr. EinZahl der wohner Familien / Familienmitglieder Bildungsstand Erwerbstätigkeit 1 6.704 50.- € Jurte 30 % GSA 15% 50 % Haus 40 % MSA 60% 1.541/ 4,3 17. Khoroo Wohnblock30% HSA 25% 2 13.033 2.769 / 4,7 54.- € 3. Khoroo Jurte 50 % GSA 30% Haus 50 % MSA 30% 50 % HSA 40% 3 3.855 1.220 / 3,2 50.- € bis 200.- € ? 4. Khooo 4 MSA 30 % 80 % HSA 70 % 10.000 2.500 / 4 75.- € 16. Khoroo Jurte 60 % GSA 20 % ? MSA 60 % 60 % HSA 20 % 5 9.766 2.145 / 4,5 75.- € bis 100.- € 18. Khoroo Jurte 70 % GSA 15 % Haus 30 % MSA ? 40 % HSA ? 6 11.000 2.500 / 4,4 75.- € bis 100.-€ 17. Khoroo Jurte 60 % GSA 20 % Haus 40 % MSA 50 % 60 % HSA 30 % 7 9.629 2.160 / 4,4 75.- € bis 100.- € 16. Khoroo Jurte 60 % GSA 20 % Haus 40 % MSA 40 % 60 % HSA ? 8 8.200 1.800 / 4,5 80.- € bis 125.- € 15. Khoroo Jurte 60 % GSA 5 % Haus 40 % MSA 50 % 50 % HSA 45 % 9 15.Khoroo 5.666 1.449 / 3,9 150.- € Wohnblock MSA 20% 80 % HSA 80% GSA=Grundschulabschluss (1-4), MSA=Mittelschulabschluss (5-9), HSA=Hochschulabschluss (10-11 Klassen plus Studium); verpflichtend sind 8 Klassen Tab 3: Sozialdaten der Einwohnerschaft der Khoroos, in denen FuN stattfand, geordnet nach Höhe des Familieneinkommens Die neun Kitas liegen vor allem in Khoroos, in denen überwiegend ökonomisch und 67 sozial benachteiligte Familien leben: in sieben von neun Khoroos dominieren geringes Familieneinkommen, hohe Arbeitslosigkeit, ungünstige Wohnverhältnisse und tendenziell ungünstige Bildungsabschlüsse, während nur in zwei Khoroos die Daten zumindest in Bezug auf Erwerbstätigkeit, Einkommen und Bildungsabschluss günstiger aussehen. Im Einzelnen ist festzuhalten: in den ausgewählten Khoroos leben Familien mit meist vier bis fünf Mitgliedern, und das durchschnittliche Monatseinkommen einer Familie liegt überwiegend zwischen 50.- € und 125.- €. Nur in zwei Bezirken entspricht das monatliche Familieneinkommen zumindest eines Teils der Wohnbevölkerung dem monatlichen Durchschnittseinkommen (150.- € bis 200.- €). Mit wenigen Ausnahmen leben die Einwohner in Jurten oder selbsterbauten Häusern aus Holz oder Stein, d.h. meist ohne fließendes Wasser, Strom und Anschluss an die Kanalisation, und ein Teil von ihnen verfügt nur über einen einfachen bzw. abgebrochenen Schulabschluss, was natürlich Probleme auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt: In sieben Khoroos sind zwischen 40% und 60% der Bevölkerung arbeitslos, die höchste Beschäftigungsquote (80%) gibt es erwartungsgemäss in den Khoroos, in denen ausschließlich Absolventen von Hochschulen oder solche mit mittlerem Bildungsabschluss leben. 2.2.1.4 Familienstand und soziale Lage der ausgewählten Familien Aus 7/9 Kitas (80%63) liegen auch die Sozialdaten von 51 Teilnehmer/innen vor, so dass sich ein annähernd realistisches Bild der sozialen Lage der Familien, die an FuN teilgenommen haben, zeichnen lässt. Anteil % Bei den Teilnehmern handelt es sich im We− verheiratet 92,2 % sentlichen um Zweielternfamilien (92%) und alleinerziehend, Mutter n=51 Familien 7,8 % einige alleinerziehende Mütter (8%) (Tab. 5), Familienstand 100 % Tab. 4: Familienstand der Teilnehmer wobei die Väter im Durchschnitt 35 Jahre, die Mütter 34 Jahre alt sind (Tab. 6) − also keine ganz „jungen“ Eltern mehr und einige noch in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der sozialistischen Volks− republik geboren. 63 Es fehlen die Angaben von zwei Kitas aus Khoroos, in denen die Lebenslagen der Wohn− bevölkerung relativ ungünstig sind (Khoroo 16 und Khoroo 18), sodass sich in unserer TeilnehmerStichprobe vermutlich noch mehr Familien mit geringerem Einkommen, ungünstigen Wohn− verhältnissen und höherer Arbeitslosigkeit befunden haben. 68 Alter in Jahren 25-29 Väter 10 16 0-2 10,9 30-34 17 7 3-4 14,3 35-39 8 16 40-44 8 7 45 u.m. 8 5 Gesamt 51 51 AM s Mütter 35,11 Jahre 7,23 Jahre Alter in Jahren Kinder (%) 5-7 8-10 über 11 N =119 33,92 Jahre 6,37 Jahre 34,5 13,4 26,9 100,0 Tab. 6: Alter der Kinder Tab. 5: Alter der Eltern Zahl der Kinder Anteil % 1-2 67,7 3-4 23,6 5-6 5,9 o.A. 3,9 n=51 Familien Die meisten Familien haben zwischen 1 und 4 Kinder (92%), rd. 60% davon sind im Kleinkindund Vorschulalter (Tab. 7, Tab. 8). Alle Eltern mindestens haben die (soweit mittlere feststellbar) (1-9 Schulreife Klassen), fast ein Viertel hat auch eine Hoch- 100,0 schulbildung genossen (1-11 Klassen plus Studium: 23%, vgl. Anhang 6). Tab. 7: Zahl der Kinder Die ausgeübten Berufe (soweit angegeben) spiegeln die Bandbreite und Vielfalt des Erwerbs des Familieneinkommens in einer Stadt wie Ulaanbaatar wider (Kasten 1): akademische Berufe und leitende Angestellte/Unternehmer neben handwerklichen und un- und angelernten Arbeitskräften, vorwiegend im Dienstleistungssektor, Arbeiter, Sicherheits- und Fahrdienstpersonal, PKW-Service, unterschiedliche pädagogische Berufe, ein Mönch … Kasten 1: Berufe der Eltern (n=51) (Auto-)mechaniker Bauarbeiter Bedienung Buchhalterin Busfahrer Elektriker Erzieherin Fabrikarbeiter Fahrer Feuerwehrmann 2 2 1 2 1 1 3 1 6 1 Firmendirektor/in Geschäftsführer Handwerker Hausfrau Hochschuldozentin Journalistin Juristin Köchin Konditorin Krankenschwester 2 1 1 7 1 1 2 2 1 1 Lehrer/ in Mönch Monteur Ökonom/in Operateurin Polizist Privat (-unternehmer) Saisonarbeiter Securitiydienst Wachmann 4 1 1 2 1 2 6 3 1 1 69 Die Arbeitslosigkeit insgesamt beträgt 36%, besonders bei den Müttern ist sie mit arbeitslos Anteil % 81% sehr hoch, da sich nur wenige von ihnen als ja, Mutter 80,7 Hausfrau definieren, sondern als Arbeitssuchende ja, Vater 6,5 ja, beide 12,9 sich in einem Land wie der Mongolei in der Regel n=31 100,0 für viele Familien auch nur dann wirklich einiger− (Tab 8). Das tägliche Überleben einer Familie lässt maßen sicherstellen, wenn alle arbeitsfähigen Tab. 8: Arbeitslosigkeit der Eltern gen Mitglieder erwerbstätig sind. Hinter der häufiger angeführten Bezeichnung „Privatunternehmer“ (Kasten 1) mögen sich weitere Familien verbergen, die in der Realität ohne jedes geregelte Einkommen sind. Abb. 4: Durchschnittseinkommen in Tugrik (100€ = 200.000Tg.) (Legende: Startpunkt oben rechts 22%, gegen Uhrzeigersinn, n=51) Das Durchschnittsverdienst über alle Familien (Abb. 4 ) beträgt rd. 140.- € (mit der recht großen Standardabweichung von s = 75.- €) und bleibt damit unter der Grenze des individuellen(!) Durchschnittseinkommens (150.- € bis 200.- €). Die Spannbreite insgesamt reicht von ca. 45.- € bis ca. 400.- €, 80% der teilnehmenden Familien haben ein Einkommen, das zwischen 45.- € und 200.- € liegt. Wenn man bedenkt, dass als Existenzminimum für eine Person/Monat in Ulaanbaatar im Jahr 2009101.100 Tugrik (rd. 50.- €: Nationales Amt für Statistik) veranschlagt werden, 70 kann man sich vorstellen, wie viel Kraft viele Familien zum täglichen Überleben aufbringen müssen. Fast 80% der Familien leben in Jurten oder einfachen Häusern in den sog. GerVierteln der Vorstädte, einige wenige bei ihrer Herkunftsfamilie, besonders die alleinerziehenden Mütter; etwa 12% verfügen über eine besser ausgestattete Eigentumswohnung in einem Neubauviertel (Abb. 5). Abb. 5: Wohnsituation der Familien (Startpunkt Jurte 54,9%, Legende gegen Uhrzeigersinn, n=51) 2.2.1.5 Zusammenfassung und Fazit Alles in allem wurde mit dieser Auswahl unserer Vorgabe, solche Familien zu FuN einzuladen, deren Lebenslage weniger günstig ist, mehr oder weniger entsprochen. Es wäre aber sicher nützlich, die Zusammenstellung der Gruppen noch mutiger zu planen und die Chancen, die FuN bietet, besser zu nutzen. So haben z.B. alle ausgewählten Familien Mitglieder mit einer mittleren oder höheren Schulbildung, und das Spektrum der von den Eltern ausgeübten Berufe umfasst auch sehr anspruchsvolle Leitungstätigkeiten. Es wäre durchaus möglich, auch Familien mit schwächeren Schulabschlüssen einzubeziehen, auch alleinerziehende Elternteile (Mütter) könnten vermehrt angesprochen werden (sofern sie sich für ihre Kinder den 71 Kitabesuch überhaupt leisten können!) oder Familien, die ein Kind mit Behinderung zu versorgen haben, besonderen familiären Belastungen oder sozialen Problemen ausgesetzt sind usw. In einer FuN−Gruppe hat z.B. eine Familie mit einem Kind mit der Diagnose Autismus teilgenommen – der anfangs schwer lenkbare, ängstliche Junge wurde zusehends ruhiger und baute eine Beziehung zu einem anderen Kind auf; eine „taubstumme“ Familie mit zwei hörenden und sprechenden Kindern, die als Sprachmittlerin die Großmutter mitgebracht hatten, machte, wie die mongolische Projektkoordinatorin berichtet, ähnliche positive Erfahrungen. Mit größerer Routine in der Durchführung des Programms dürfte es den Teams sicher leichter fallen, die Familiengruppen so zusammenzustellen, dass sie sich noch besser ergänzen und voneinander noch mehr profitieren können. 72 2.2.2 Die Familienbefragungen Am Ende der Programmphase wurden in allen neun Familiengruppen leitfadengestützte Kurzinterviews mit allen anwesenden Familienmitgliedern durchgeführt – der methodisch bessere Weg, nur einen „Familiensprecher“, z.B. die Mutter, zu befragen, war unter den gegebenen Umständen nicht möglich, auch wegen der anwesenden Kinder. Die Interviewerinnen waren vier Studierende der Psychologie bzw. eine Familiensoziologin, die Interviews fanden in der Regel vor der letzten oder im Anschluss an die letzte FuN−Sitzung in den jeweiligen Räumen der Kindertagesstätten statt und dauerten 15−20 Minuten. Die Ergebnisse wurden von den Interviewerinnen in einem Vordruck festgehalten. Insgesamt konnten auf diese Weise 62 Familien befragt werden, zwei Familien waren wegen einer Reise (Ferienzeit) abwesend. Bei einer Gesamtteilnehmerzahl von 64 Familien entspricht das einer Beteiligung von 97%. Man kann somit davon ausgehen, dass mit dieser Befragung die Gesamtgruppe der Familien erfasst werden konnte und die Ergebnisse die Ansichten praktisch aller Teilnehmer wiedergeben. 2.2.2.1 Die regelmäßigen Teilnehmer/innen Zu den acht FuN−Treffen in den neun Kindertagestätten kamen im Durchschnitt jeweils sieben bis acht Familien, also zwischen 63 und 72 Familien. An mindestens sechs von acht Terminen haben 64 Familien mit insgesamt 106 Erwachsenen und 125 Kindern teilgenommen (vgl. Anhang 9, Team II). Regelmäßig an den Sitzungen teilgenommen haben (Abb.6) überwiegend beide Elternteile (55%) sowie Mütter, letztere entweder als „Vertreterin“ des Elternpaares (22%) oder als Alleinerziehende (16%), auch einige Väter waren alleine dabei, wenn ihre Ehefrauen verhindert waren; bei drei Familien waren auch die Großmütter anwesend und manchmal kam eine Cousine oder Schwester dazu. Insgesamt fällt die hohe Beteiligung der Väter auf, die weit über dem liegt, was z.B. in Deutschland üblich ist – 70% in Ulaanbaatar gegenüber 7% in Deutschland64. Die insgesamt 125 Kinder, die am Programm teilgenommen haben, etwa zur Hälfte Jungen und zur Hälfte Mädchen, waren wiederum zu 40% zwischen 5 und 7 Jahre 64 Vgl. Boeser, Ch. (2004): Familienbildung – eine Chance für Männer. In: Das Online-Familienhand− buch. www.familienhandbuch.de, 2004. Die Väter sind sicher auch von dem Wunsch, ihre Rolle in der Familie zu reflektieren und neu zu gestalten, zur Teilnahme bewegt worden, aber auch andere Beweggründe, z.B. das besondere mediale Interesse an der Veranstaltung, mögen eine Rolle gespielt haben 73 alt (eigentliche Zielgruppe), zwischen 0 und 4 Jahren waren rd. 30% und zwischen 8 und10 Jahren rd. 20%, die übrigen waren älter (Abb. 7). Abb. 6: Teilnehmer/innen (n=51) Abb. 7: Alter der teilnehmenden Kinder (n=62 Familien) Kinder im eigentlichen Vorschulalter zwischen 5 bis 7 Jahren waren also zwar in der Mehrzahl, jeweils ein Drittel der teilnehmenden Kinder war jedoch teilweise erheblich 74 älter bzw. jünger – nicht zuletzt der mongolischen Ferienzeit geschuldet, die so auch den Schulkindern in den Familien eine Abwechslung bot. Wenn also alle Familien mit je zwei Kindern da waren, waren während einer FuN-Sitzung bei sieben bis acht Familien zwischen 28 bis 32 Personen anwesend und das Alter der Kinder konnte zwischen 0 und 20 variieren. 2.2.2.2 • Einzelbefunde Motivation zur Teilnahme Motivation Anteil % Zwei Drittel der Eltern waren von Anfang sofort an der Teilnahme interessiert unsicher, ob das etwas ist 66,1 an davon überzeugt, dass FuN ein 9,7 interessantes Angebot für ihre Familie erst durch Gespräch Lust bekommen n=62 24,2 sein könnte (Tab. 10), ein Viertel wurde 100,0 erst durch ein Gespräch (mit den Mitarbeiterinnen) davon überzeugt. Tab. 9: Als Sie von FuN erfahren haben, waren Sie / haben Sie … • Gefallen Kinder Gefallen Eltern Anteil % Gefallen Anteil % ja, sehr gut 88,7 ja, sehr gut 69,3 ja 11,3 ja 30,6 nein n=62 nein 0,0 n=62 100,0 Tab. 10: Hat das Programm Ihren Kindern gefallen? (n=62 Familien) 0,0 100,0 Tab. 11: Hat das Programm Ihnen gefallen? (n=62 Familien) Doch ganz unabhängig davon, was die Familien letztlich zur Teilnahme bewogen hat, FuN hat ausnahmslos allen Familien gefallen, den Kindern sogar noch deutlicher (Tab. 11, Tab. 12). Keinem Teilnehmer hat FuN nicht gefallen. Welche Programmteile bei Eltern und Kindern am besten angekommen sind, ist Abb. 8/9 zu entnehmen: Die verschiedenen Spieleinheiten und die Elterngesprächsrunde fanden bei den Eltern den größten Anklang (Abb. 9: 55%), es folgt die Einheit „Spiel zu Zweit“, und am Ende steht mit 5% das gemeinsame Essen. 75 Abb. 8/ Abb. 9: Einschätzung der Programmpunkte durch Eltern und Kinder (Startpunkt rechts 14,7% bzw. 5,1%, Legende gegen Uhrzeigersinn, n=62) Die Kinder geben eine etwas andere Einschätzung (Abb. 8): sie bewerten besonders alle Spielangebote (70%) und dann auch mit größerem Abstand das gemeinsame Essen positiv (15%), das bei den Eltern an letzter Stelle steht, am Schluss der 76 Wahlen steht bei ihnen mit 1% die „Kinderzeit“, der sie offensichtlich nicht viel abgewinnen konnten. Eine Minderheitenposition: ein kleines Mädchen hat besonders gerne gesungen. • Neue Kontakte Bei allen Familien hat FuN dazu geführt, dass sich neue Bekanntschaften entwickelt haben, in dem einen oder anderen Fall wären sogar noch mehr erwünscht gewesen (Tab. 12); ob sich diese Bekanntschaften auch in Zukunft als stabil erweisen werden, ist bei 57 % schon sicher, während die anderen zumindest hoffen, dass sich eine dauerhafte Beziehung entwickelt (Tab. 13). Neue Familien Anteil % Zukünftiger Kontakt Anteil % ja, viele 85,7 ja, mit Sicherheit 57,1 ja, einige 6,3 wir hoffen, dass es klappt daran haben wir kein Interesse ohne Antwort 41,3 hätten gerne kennen gelernt ohne .Antwort n=62 mehr 6,3 1,6 100,0 Tab. 12: Haben Sie neue Familien kennengelernt? n=62 0,0 1,6 100,0 Tab. 13: Werden Sie mit den anderen Familien in Kontakt bleiben? In jedem Fall sind bei allen über die Programmzeit hinausgehende Kontakte zu den anderen Familien erwünscht. • Informationen und Unterstützung Die Frage, ob sie durch die Teilnahme an FuN neue Informationen und Unterstützung bekommen hätten, wird von allen Familien bejaht (Kasten 2). Wichtig für die Eltern war insbesondere der Austausch und die Vernetzung mit anderen Eltern, der Erwerb relevanten Wissens über Familie und Erziehung, nützliche Vorschläge für den Erziehungsalltag, vor allem im Hinblick auf eine stärkere kindzentrierte Orientierung, sowie die intensive Erfahrung einer engen familiären Verbundenheit. 77 Kasten 2: Informationen und Unterstützung für das Familienleben durch FuN (n=62) Vernetzung: Wir haben viele andere Familien kennengelernt und auch gelernt, wie wir als Eltern miteinander umgehen können, haben durch den Erfahrungs-, Informations- und Meinungsaustausch mit anderen Familien neue wichtige Impulse erhalten und Erkenntnisse gewonnen Wissensaneignung: Wir haben etwas über Familien- und Kindererziehung gelernt; wir haben Informationen über Gewalt in Familie und Erziehung erhalten; wir haben Informationen über die Bedeutung von Kommunikation und Kooperation bekommen Erziehungspraxis: Wir haben gelernt, wie wir besser mit unseren Kindern umgehen können, wir haben viele neue Ideen bekommen, z.B. dass wir auf die Bedürfnisse unserer Kinder achten sollten, dass wir mehr mit ihnen sprechen, uns mehr Zeit für sie nehmen, uns mehr um sie kümmern, mehr mit ihnen spielen, uns mehr mit ihnen beschäftigen sollen, und wir haben gelernt, besser und offener miteinander zu kommunizieren Innerfamiliäre Beziehungen: Unsere Beziehung zueinander ist enger geworden, die Eltern-Kind-Beziehung wurde dichter, wie waren nahe beieinander und fühlten uns miteinander verbunden, die Familienatmosphäre hat sich verbessert, wir wurden als Familie stärker • Anstrengung und Umsetzung Zwar wurde FuN von allen Familien positiv bewertet, aber nicht alle waren der Mei− nung, dass es sie keinerlei Anstrengung gekostet hätte, am Programm teilzunehmen: Anstrengung Anteil ja 11,7 es ging 58,3 gar nicht 30,0 n=62 100,0 Tab. 14: War FuN anstrengend? für 12% war die Teilnahme anstrengend, 58% meinten, dass „es ging“, 30% empfanden die Teilnahme nicht als anstrengend (Tab 15). Vor allem die berufstätigen Mütter hatten, wie sie berichten, Mühe in ihrem Zeitmanagement oder schafften es nicht zu allen Sitzungen, insbesondere, wenn auch noch ein Kind oder ein ande- res Familienmitglied krank waren; auch die Anmerkung einer Mutter, es sei für sie nicht so einfach gewesen, sich auf Neues einzulassen, weist darauf hin, dass das Angebot sehr ernst genommen wurde. Aussagen wie Es war anstrengend, weil ich manchmal zur Arbeit gehen musste (Fam. 45), … es gab einige Dinge, die ich nicht mitmachen konnte, deshalb war es anstrengend für mich (Fam. 50) oder Es war nicht leicht, meine Lebensroutine zu ändern … (Fam. 52) verdeutlichen, dass die Familien (vor allem Mütter) in ihre Teilnahme einiges an Kraft „investiert“ und sich nicht nur „ein paar schöne Stunden“ gemacht haben. Dafür spricht auch, dass die meisten Familien (84%) einzelne Programmelemente 78 auch zu Hause umgesetzt haben (Abb. 10), entweder regelmäßig oder wenn sich die Möglichkeit dazu bot: Die Spiele spielen wir auch oft zu Hause, und das Essen, das wir im Programm gemacht haben, kochen wir auch sehr gern zu Hause (Fam. 2). Abb. 10: Haben Sie FuN oder Teile davon zu Hause ausprobiert? (n=62) • Schöne Zeit So überrascht es auch nicht, dass tatsächlich alle befragten Familien ihre Teilnahme als eine sehr schöne oder schöne Zeit in Erinnerung haben (Tab. 15) und 87% der Überzeugung sind, dass FuN ein Programm ist, das hilfreich und nützlich für das Familienleben ist (Tab. 16) und man es weiterempfehlen kann (Tab.17). schöne Zeit Anteil in % ja, sehr 41,3 ja 57,1 ging so / nicht 0,0 o.A. 1,6 n=62 100,0 Tab. 15: Würden Sie sagen, dass FuN eine schöne Zeit für Sie war? hilfreich ja, davon bin ich überzeugt teils, teils halte das für unwahrscheinlich n=62 Anteil % 86,9 13,1 0,0 100,0 Tab. 16: Ist FuN für Ihre Familie/für andere Familien hilfreich/unterstützt das Zusammen− leben? 79 Anteil % In einem die Elternbefragung abschließenden auf jeden Fall 48,4 freien Statement äußert dann auch über die Hälfte ich glaube schon 48,4 der Familien (55%) mit großem Nachdruck und nein 0,0 ungefragt den Wunsch nach einer Fortsetzung keine Angabe 3,2 und Verbreitung des Programms (vgl. Kasten 3, empfehlen n=62 100,0 S. 85). Tab. 17: Würden Sie FuN weiterempfehlen? 2.2.2.3 Zusammenfassung und Fazit An der Programmdurchführung in Ulaanbaatar haben insgesamt 64 Familien mit 106 Erwachsenen und 125 Kindern regelmäßig teilgenommen. Überwiegend waren beide Elternteile, seltener nur Mütter und noch seltener nur Väter dabei, bei einigen Familien waren auch die Großmütter regelmäßig anwesend. Insgesamt fällt die hohe Beteiligung der Väter auf, die mit ihren Ehefrauen zusammen oder auch alleine gekommen sind, durchschnittlich rd. 70% und damit weit mehr als das, was z.B. in Deutschland üblich ist. Hier deutet sich eine große Chance für neue Erfahrungen an: wie in den meisten Kulturen sind der Mongolei Väter auf die Ernährerrolle festgelegt, d.h. sie fühlen sich für die finanzielle Absicherung der Familie zuständig und spielen in der Kindererziehung keine große Rolle. Väter ohne klare Erzieherrolle und ohne Arbeit oder mit einer Arbeit, die das Familieneinkommen nicht sichert, sind so in doppelter Weise rollenverunsichert. Es liegt nahe anzunehmen, dass hier zumindest bei einem Teil der Männer auch ein Zusammenhang zu dem sehr stark ausgeprägten Alkoholismus, der hohen Gewaltbereitschaft und der damit verbundenen gestiegenen Scheidungsrate von Paaren besteht. Durch FuN können Väter vielfältige Anregungen für die Neugestaltung ihrer Rolle in der Familie erhalten. Die Kindergruppe, zu gleicher Zahl Jungen und Mädchen, die eigentlich überwiegend aus Vorschulkindern bestehen sollte, war relativ heterogen zusammengesetzt (vom Baby bis hin zum/zur Jugendlichen), was die Auswahl des geeigneten Spielmaterials für die Teams manchmal schwierig machte. Es überwogen aber die Fünf- bis Siebenjährigen. Hier muss vielleicht noch einmal genauer nachgedacht werden, wie das Problem behoben werden kann – ggf. mit einem besonderen Angebot zumindest für die älteren Geschwister. Zur Teilnahme motiviert hat die Familien die Vorstellung, dass das „etwas für sie sein könnte“, nur ein kleinerer Teil musste erst überzeugt werden – hier könnten die Teams in Zukunft noch mehr die Chance nutzen, frühzeitig mit den Familien ins 80 Gespräch zu kommen und noch mehr solche auszuwählen, die zu Beginn aus unterschiedlichen Gründen mit ihrer Teilnahme zögern, aber aus Sicht der Teams geeignet erscheinen. Ausnahmslos allen Teilnehmern – Eltern und Kindern − hat das Programm gefallen, alle haben ihre Teilnahme als eine schöne Zeit in Erinnerung. Besonders gefallen haben den Eltern die verschiedenen Spiele und die Elterngesprächsrunde und den Kindern die Spiele; das gemeinsame Essen kam bei den Kindern besser an als bei den Eltern, das „Spiel zu zweit“ war generell weniger beliebt als die anderen Spiele, und die Kinder könnten in der „Kinderzeitphase“ offenbar noch besser beschäftigt werden – wobei ein Hauptgrund für die etwas gedämpfte Reaktion der Kinder auf diesen Programmpunkt auch die Tatsache war, dass ihnen in den meisten Kitas kein eigener Raum zur Verfügung gestellt werden konnte – eigentlich ein Muss (vgl. Anhang 11a, Zwischenbilanz). Dass die Gruppen mit dem Programmpunkt „Essen“ gelegentlich Probleme hatten, vermitteln auch Zwischenbilanz und eigene Beobachtungen: manche Familien (meistens waren die Mütter gefragt) konnten nicht so gut kochen, insbesondere nicht für eine Großgruppe (und eine für diesen Zweck akzeptable Küche stand in der Kita nicht immer zur Verfügung), manche schafften es nicht rechtzeitig (vor allem, wenn der Programmtermin schon am Vormittag lag), sodass die ganze Gruppe auf das Essen warten musste und Programmpunkte verlängern musste, manche kamen mit dem Essensgeld nicht aus, kauften viele Süßigkeiten oder ließen das Essen von einer Firma anliefern; auch das Essen am Familientisch war ungewohnt, zumal (ein generelles Problem) nur Tische für Kinder zur Verfügung standen, gelegentlich zogen Gruppen das gemeinsame Essen aller Familien an zusammengestellten Tischen vor, was jedoch der Projektidee widerspricht u.a.m. Selbst manche Teams konnten sich nur langsam mit diesem Programmpunkt anfreunden. Vielleicht spielt bei der für uns erwartungswidrig ungünstigen Bewertung des Essens, das einen erheblichen Anteil des Projektetats „verschlang“, noch ein anderes Motiv eine Rolle: es mag manchen Familien im Sinne eines social desirabililty effects peinlich gewesen sein, diese Mahlzeiten als etwas zu bezeichnen, das ihnen besonders gut gefallen hatte, wo es den Organisatoren vielleicht um anspruchsvollere oder höherwertige Tätigkeiten ging – und die Kinder konnten sich unbefangener als ihre Eltern dazu äußern und das gemeinsame Essen in der Familie genießen … Auch die Tatsache, dass in der Selbstorganisationsphase in den Gruppen für jedes Treffen ein Essen zubereitet wurde, spricht dafür, dass das Essen ein wichtiger Programmpunkt 81 war (vgl. 2.3.2, Abb.11). Der Ausbilder ging in seiner Zwischenbilanz ausführlich auf das Thema Essen ein (vgl. Anhang 11b). Auch an die zugrundeliegende Logik des „Spiels zu Zweit“ mussten sich viele Teilnehmer einschließlich der Teams erst gewöhnen – während vor allem einige Kinder mit dem Wertlosmaterial wie Wäscheklammern, Papierrollen, Bändern u.a. durchaus kreativ umgehen konnten, taten sich viele Erwachsene einschließlich der Teams oft schwerer, fanden das Spiel langweilig oder wünschten sich „besseres Spielzeug“ (Anhang 5, Familieninterviews und Anhang 11a Zwischenbilanz). Vielleicht muss man auch in einem Land wie der Mongolei, in dem für viele der teilnehmenden Familien „richtiges“ Spielzeug einen hohen Wert hat, mit dem Angebot von „Wertlosspielzeug“ zurückhaltender sein – der Ausbilder hat in seiner EMail-Rückmeldung zur Zwischenbilanz an die Teams auch bereits entsprechend reagiert: … Manchmal sagen Familien auch schnell, dass dieses Spiel langweilig ist, weil es immer das gleiche Säckchen mit immer dem gleichen Material ist. Hier in Deutschland beobachten wir, dass Eltern und Kinder häufig an Überangebot an Spielen haben, die ständig gewechselt werden und immer ganz schnell wieder etwas Neues da sein muss. Wir glauben aber, dass wirkliche Spielfreude auch mit ganz wenigen und ganz einfachen Materialien dadurch entsteht, dass eine persönlich nahe Spielsituation mit dem Spielpartner, in diesem Falle dem Vater oder der Mutter entsteht. Sie können das beobachten, wenn Sie den Familien beim nächsten Mal andere Spielmaterialien anbieten. Wenn dann schnell die gleiche Reaktion von der Familie kommt, braucht diese Familie vielleicht mehr Unterstützung im Sinne von Mutmachen und positivem Coaching. In Deutschland spielen wir dieses Spiel tatsächlich mit fast immer den gleichen Materialien. Bei Ihnen in der Mongolei war mein Eindruck, dass es überhaupt wichtig ist, Spielsituationen zwischen einzelnen Eltern und einem ihrer Kinder herzustellen. Sie können den Spielpaaren aber auch durchaus wechselnde Spielmaterialien, z. B. Ihr „Knöchelchen-Spiel“ oder auch andere Materialien für Spiele zu Zweit anbieten65. Über 90% der Familien haben durch das Programm neue Familien kennengelernt, und alle wollen den Kontakt aufrecht erhalten – hier hat FuN sehr erfolgreich die Vernetzung der Familien angeregt. Was Unterstützung und neue Informationen durch die Teilnahme am Programm betrifft, so heben die Eltern den Austausch und die Vernetzung mit anderen Eltern hervor, darüber hinaus schätzen sie den Erwerb relevanten Wissens über Familie und Erziehung, die nützlichen Vorschläge für den Erziehungsalltag sowie die intensive Erfahrung einer engen innerfamiliären Ver− bundenheit: Wir wurden als Familie stärker (Fam. 7). 65 Vgl. Anhang 16, Zwischenbilanz, Antwort B. Brixius. 82 Kasten 3: Spontane Äußerungen der befragten Familien im Interview o Unsere Familie wünscht sich, dass das Programm mit vielen anderen Familien fortgesetzt wird o Wir wünschen uns eine Fortsetzung o Ich wünsche mir eine Fortsetzung des Programms o Wünschenswert wäre eine Verbreitung des Programms o Wir würden gerne auch nächstes Mal dabei sein o Es gibt noch viele Eltern, die am Programm teilnehmen wollen o Das Projekt sollte ab und zu stattfinden o Wir wünschen uns eine Verbreitung des Projekts o Wir wünschen uns eine Fortsetzung o Ich wünsche mir eine Fortsetzung, viele andere Familien haben auch Interesse o Eine Fortsetzung des Programms wäre wünschenswert o Ich wünsche mit eine Verbreitung des Programms. o Ich wünsche mir weitere Teilnehmer für das Projekt o Ich wünsche mir viele weitere Teilnehmer. Danke! o Wir möchten, dass das Programm FuN weiter stattfinden wird o Wir wünschen uns eine Fortsetzung o Es wäre schön, wenn das Programm fortgesetzt würde o Wünschenswert wäre eine Fortsetzung des Programms, verbunden mit einer Vertiefung o Es gibt noch viele Eltern, die am Programm teilnehmen wollten o Viele weitere Familien möchten dabei sein! o Das Programm sollte noch einmal stattfinden o Unsere Familie wünscht sich eine Fortsetzung des Programms für andere Eltern o Nur wenige Familien haben am Programm teilgenommen. Ich wünsche mir viele weitere Teilnehmer o Ich würde mir eine Verbreitung des Programms wünschen o Auch andere Familien sollten die Chance bekommen, am Programm teilzunehmen o Es müssten mehr Familien daran teilnehmen o Es müssten auch mehr junge Familien daran teilnehmen o Es müssten mehr Familien daran teilnehmen o Bitte macht dieses Programm weiter! o Wir wünschen uns, dass FuN noch einmal durchgeführt wird o Falls das Programm noch einmal stattfinden sollte, würden wir gerne wieder dabei sein Wir würden die anderen und die neuen Familien fördern o Unsere Familie wünscht sich eine Verbreitung des Programms für viele andere Eltern. Das war ein nachhaltiges Programm o Es wäre schön, wenn mehr Familien an FuN teilnehmen könnten, besonders junge Familien 83 Für 70% der Teilnehmer war FuN keineswegs nur ein angenehmer Zeitvertrieb, sondern mehr oder weniger anstrengend und fordernd, und die meisten haben wenigstens gelegentlich Teile ihrer Erfahrungen auch zu Hause umgesetzt, z.B. die Spiele. Differenziert ist das Gesamturteil: Knapp die Hälfte der Befragten würde FuN ohne Einschränkung weiterempfehlen, die übrigen glauben immerhin, dass sie das tun würden; dass FuN nützlich und hilfreich für Familien ist, bestätigen ohne Ein− schränkung 87%, und über die Hälfte wünscht sich in fast gleichlautenden Statements spontan eine weitere Verbreitung des Angebots. 2.3 Die Wirkung des Programms aus der Sicht der Teams Die Teams wurden Selbstorganisationsphase außer noch am zwei Beginn weitere während der Male befragt: Programmam Ende und der Intensivphase in den Kitas (Anhang 9, Teamfragebogen II) und nach Beendigung der Selbstorganisationsphase (Anhang 10, Teamfragebogen III). 2.3.1 Ergebnisse der Intensivphase • Verhaltensänderungen bei den teilnehmenden Eltern Im Verlauf der acht Sitzungen waren nach Angaben der Teams bei allen oder nahezu 64 Familien bei den entsprechenden Spielen positive Veränderungen in Bezug auf die Zusammenarbeit innerhalb der Familie (100%) und das gegenseitige Verstehen (89%) zu beobachten (Anhang 9). • Die Eltern zeigten Verbundenheit in/mit der Gruppe 91% • Die Eltern zeigten mehr Selbstsicherheit und sprachen freier 86% • Die Eltern ließen sich mehr auf kindliches Spiel ein 84% • Die Eltern hörten ihren Kindern mehr zu 70% • Die Eltern zeigten mehr Verantwortung 67% • Die Eltern zeigten mehr positive (Lob, Aufmerksamkeit, Zuwendung u.a.) • Die Eltern redeten mehr mit ihren Kindern 61% • Die Eltern setzten den Kindern klarere Grenzen 23% Verstärkung der Tab. 18: Wahrgenommene Verhaltensänderungen bei den Eltern (n=9, 64 Familien) Kinder 63% 84 Des Weiteren war bei den Teilnehmern eine Reihe von spezifischen Veränderungen zu beobachten. Von positiven Auswirkungen berichten die Teams insbesondere in Bezug auf folgende elterliche Verhaltenweisen und Haltungen (Tab. 19): Bei nahezu allen Teilnehmern (91%) hat sich nach Wahrnehmung der Teams ein deutliches Zugehörigkeitsgefühl zur FuN-Gruppe entwickelt, was erwarten lässt, dass diese Verbundenheit auch über die eigentliche Zeit der Programmphase hinaus bestehen bleibt und die „nachbarschaftlichen“ Netze in Zukunft noch enger geknüpft werden – ein zentrales Ziel von FuN. Die Eltern selbst haben offenbar auch an Selbstsicherheit gewonnen, was sich z.B. in ihrem freieren Sprechen verdeutlicht. Sie übernehmen zu einem guten Teil (67%) auch ihre Elternrolle verantwortlicher, ebenfalls ein Ziel von FuN. Was ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern angeht, so konnten sich die meisten oder zumindest deutlich mehr als die Hälfte der Eltern 1. mehr auf das Spiel mit ihren Kindern einlassen (84%) 2. ihnen besser zuhören (70%) 3. ihnen mehr positive Verstärkung wie Lob, Aufmerksamkeit und Zuwendung zukommen lassen (63%) 4. und mehr mit ihnen reden (61%). Am wenigsten war offenbar das Setzen von klareren Grenzen nötig (bei 23%) – nach unserer Wahrnehmung waren die meisten Kinder ohnehin relativ diszipliniert – zumindest in unserer Gegenwart66. Alles in allem also sehr positive und den Zielen von FuN entsprechende Ergebnisse: Vernetzung unter den Familien, Stärkung der Elternrolle und gleichzeitig ein deut-lich kindzentriertes, entwicklungsförderndes Erziehungsverhalten. • Verhaltensänderungen bei den teilnehmenden Kindern Bei den rd.125 Kindern, die an FuN teilgenommen haben, waren nach Angaben der Teams folgende Veränderungen zu beobachten (Tab. 18): Fast alle Kinder (91%) hatten in erster Linie den Wunsch, gemeinsam mit ihren Eltern zu spielen, wozu sich ihnen in FuN reichlich Gelegenheit bot – erstaunlich, wie 66 Eine deutsch-mongolische Pädagogikstudentin, von uns nach ihrem Urteil über Erziehungsziele in der Mongolei befragt, sagt: Kinder und Jugendliche sind in der Mongolei nicht so erzogen worden, dass sie ihre Meinung frei äußern können, sie sind sehr zurückhaltend. Generell ist das Erziehungs− ziel in der Mongolei noch immer Erziehung zur Gehorsamkeit – wir alle sind so erzogen worden, dass das, was Eltern, Lehrer und Professoren sagen, zu 100% wahr ist (E. Javzza, 16.05.20009) 85 attraktiv Eltern für die Kinder als Spielpartner sind! Die Kinder gingen aber auch miteinander kooperativer um − immerhin konnten an einem FuN-Nachmittag 16 und mehr Kinder unterschiedlichen Alters aufeinander treffen – , und ein Teil von ihnen (44%) war auch weniger aggressiv (bei einem großen Teil der Kinder war ohnehin kein wirklich aggressiver Umgang miteinander zu beobachten, s.o.). Sie zeigten ihren Eltern gegenüber mehr Respekt (73%), was bei FuN nicht Unterwürfigkeit heißt, sondern Anerkennung der Verantwortlichkeit und Zuständigkeit der Eltern für wesentliche familiäre Angelegenheiten; viele wirkten freier und unbefangener (70%) und konnten deutlicher äußern, was sie wollten und was ihnen wichtig war (61%). Außerdem beteiligten sich fast 60% bereitwilliger an Aufgaben, und die Hälfte von ihnen (50%) hielt sich mehr an Grenzen und Regeln − ausgesprochen „grenzenlose“ Kinder waren vermutlich ohnehin eher die Ausnahme. • Die Kinder zeigten Interesse am gemeinsamen Spiel mit ihren Eltern 91 % • Die Kinder gingen kooperativer miteinander um 81 % • Die Kinder zeigten gegenüber ihren Eltern mehr Respekt 73 % • Die Kinder wirkten freier und unbefangener 70 % • Die Kinder äußerten deutlicher ihre Bedürfnisse 61 % • Die Kinder beteiligten sich bereitwilliger an Aufgaben • Die Kinder hielten sich mehr an Regeln und Grenzen • Die Kinder gingen weniger aggressiv miteinander um 59 % 50 % 44 % Tab. 19: Wahrgenommene Verhaltensänderungen bei den Kindern (n=9, 64 Familien) Mit der gebotenen Zurückhaltung in Bezug auf die Validität solcher Beobachtungsdaten lässt sich festhalten: deutliche Anzeichen einer Stärkung der Elternpräsenz, die von den Kindern auch so wahrgenommen wird, Zunahme von kooperativen Verhaltensweisen, Abnahme der Hemmungen bei den (vermutlich) eher überkontrollierten Kindern, die unbefangener wurden und ihre Bedürfnisse deutlicher äußern konnten, und stärkere Selbstkontrolle und Zurücknahme bei den (vermutlich) unterkontrollierten, durchsetzungsorientierten oder „eigensinnigen“ Kindern. 86 Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie • Die achtwöchige intensive Programmphase in den Kitas hatte auch positive Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Teams und den Eltern. So hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Kitas und den Familien aus der Sicht der Teams positiv verändert (Tab.20): höhere Gesprächsbereitschaft, größeres Interesse und Engagement bei den Familien, partnerschaftlicher Umgang miteinan− der. Anzahl k.A. • Die Gesprächsbereitschaft mit den Erzieherinnen ist auf Seiten der Eltern bei allen Familien gestiegen 9 0 • Es entwickelte sich ein partnerschaftlicher/gleichberechtigter Umgang zwischen Eltern und FuN-Team 9 0 • Die Eltern interessieren sich mehr für die Belange des Kindergartens 7 2 • Die Eltern engagieren sich spürbar mehr N=9 7 2 Tab. 20: Wahrgenommene Veränderungen in den Beziehungen zwischen Teams und Eltern Mit einer neuen Gruppe werden mit Sicherheit drei Teams beginnen, in fünf Fällen ist der Start noch nicht ganz sicher, in einem Fall (eher) unwahrscheinlich. Als Gründe für eine geplante Fortsetzung führen die Teams z.B. an: Das Programm hat allen Teilnehmern gut gefallen, die Familien haben voneinander gelernt, ihre Beziehungen wurden intensiver, der Stress in der Familie hat sich verringert und die Familienatmosphäre hat sich verbessert (Team 12201). In einem anderen Fall ist auch die Kostenfrage bereits geklärt: World Vision hat vor, das Programm weiter durchzuführen und die anfallenden Kosten zu übernehmen (Team 1708). Wenn der Start noch nicht ganz sicher ist, kann das z.B. auch daran liegen, dass ein Team zunächst seine Erfahrungen mit dem Programm reflektieren möchte: Weil das zum ersten Mal war, möchten wir erst alles innerlich ordnen, strukturieren und dann wieder neu beginnen (Team 6, DariEkh). Es kann auch sein, dass gegenwärtig noch nicht der richtige Zeitpunkt für eine neue Auflage gekommen ist: Wir haben so vieles zu erledigen – sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich (Team 11905) oder dass die Vorgesetzten noch gewonnen werden müssen: Wir müssen uns noch mit der Kita besprechen (Team14903). 87 2.3.2 Selbstorganisation und Fortsetzung des Programms Zu Programmende (Anfang/Mitte Februar 2010) wurden alle neun Teams ein letztes Mal (telefonisch)nach dem Stand ihrer Arbeit befragt (Anhang 10, Teamfragebogen III). Gegenstand der Befragung war - der Stand der Entwicklung der selbstorganisierten FuN−Gruppen - die Kooperation der Mitglieder der Teams - die Fortsetzung von FuN Außer einer Gruppe, die sich seit Abschluss der Programmphase nur einmal getroffen hat, haben sich alle Familien zu einer selbstorganisierten Gruppe zusammengefunden. In zwei Fällen sind diese Gruppen bereits beendet, wobei sich die Familien weiterhin treffen, wenn auch nicht alle. Die übrigen sechs Gruppen stehen kurz vor dem Abschluss der Selbstorganisationsphase, die meisten Familien waren regelmäßig dabei. Die Zusammenkünfte fanden in der Regel ein- oder zweimal im Monat oder alle ein oder zwei Monate statt, einmal auch drei- bis viermal im Monat. Fünf Gruppen haben sich in der Kita getroffen, drei außerhalb, entweder bei einzelnen Familien oder in externen Räumen, die World Vision zur Verfügung gestellt hat (z.B. in einer Kirchengemeinde), eine Gruppe hat sowohl diese Möglichkeit wie die Räume ihrer Kita genutzt. Bei vier Gruppen wurden die Treffen von den Teams vorbereitet, in den anderen Fällen von den Familien selbst. Die Teams haben sich dann in der Regel an den verschiedenen Gruppenaktivitäten beteiligt. Der kleine finanzielle Betrag, der ihnen von der Projektleitung zur Gestaltung ihrer Treffen zur Verfügung gestellt wurde (insgesamt rd. 50.- € pro Gruppe), wurde von allen Gruppen für das Herstellen einer einfachen Mahlzeit verwendet, die die Familien abwechselnd vorbereiteten. Die Gestaltung der Treffen ähnelte der während der Programmphase (Abb. 11): Spielen in der Gruppe oder in der Familie, Elterngespräche, Essen in der Familie oder gemeinsames Singen, meistens unter Beteiligung der Teammitglieder. Dabei sind die verschiedenen Aktivitäten vom Umfang her relativ gleich verteilt. Was die Fortsetzung von FuN betrifft, so findet diese zur Zeit in drei Kitas bereits statt; drei Teams sind sich noch unsicher, ob sie weitermachen möchten, zwei würden es gerne noch einmal versuchen, ein Team wird wohl die Arbeit mit FuN 88 nicht fortsetzen – insgesamt ein Ergebnis, das sich bereits bei der vorherigen Teambefragung angekündigt hat. Die Zusammenarbeit in den Teams war recht unterschiedlich: in vier von fünf Gruppen – sämtlich städtische Kitas – war die Kooperation mit den Sozialarbei− terinnen der Khoroos sehr befriedigend und anregend, in der fünften Gruppe hat die Sozialarbeiterin des Jugendamts den Arbeitsplatz gewechselt und konnte deshalb nicht länger teilnehmen. In den vier Kitas, die von World Vision betreut werden, haben außer in einem Fall die Sozialarbeiterinnen aus den Wohnquartieren gar nicht bzw. nur in der 1. Phase mitgearbeitet, krankheitsbedingt, weil es für die Mehrarbeit keine Bezahlung gab u.a., in einem Fall hat aus nicht bekannten Gründen auch die Erzieherin nicht teilgenommen, sondern nur eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von World Vision. Abb. 11: Aktivitäten der Familien während der Treffen in der Selbstorganisationsphase (Legende: Startpunkt „16%“, gegen Uhrzeigersinn, N=9, 64 Familien) Es ist aber festzuhalten, dass dies keine erkennbare Wirkung auf die Zufriedenheit der teilnehmenden Familien hatte − (Anhang 5, Items Nr. 5, 15 des Familieninter− 89 views). Die Übernahme der in FuN praktizierten Lernformen (vgl. S. 26 ff. ) in das Metho− deninventar der Teams war kein Gegenstand der Befragung. Sie dürfte allerdings viel Zeit benötigen, denn hier ist nicht nur Neulernen, sondern wirkliches Umlernen erforderlich. Die sich in den Familieninterviews unabhängig von der Kitazugehörigkeit uniform wiederholenden Äußerungen der Befragten wie Wir haben gelernt, mit unseren Kindern zu spielen (Fam. 01) Uns wurde klar, dass Kommunikation und Kooperation in der Familie wichtig sind (Fam. 23) Wir lernten mit den Kindern zu kommunizieren und zu kooperieren (Fam. 24) Wir lernten den richtigen Umgang mit unseren Kindern (Fam. 39) Beim Unterricht sollte jedes Familienmitglied aktiv sein (Fam. 54) Es sollte auch eine Lehrveranstaltung für Väter geben (Fam. 55) Wir lernten, wie wir richtig mit unseren Kindern umgehen (Fam. 62) spiegeln schon in Diktion und Wortwahl – auch wenn man Übersetzungsungenauigkeiten zugesteht − wider, dass Lernen noch vorwiegend im Rahmen eines traditionellen Lehrer−Schüler Verhältnisses organisiert worden ist, bei dem die/der Lernende das richtige Wissen im Unterricht von einem Experten von außen vermittelt bekommen hat. Die Übernahme des Prinzips des selbstgesteuerten Lernens dürfte (hier wie anderswo) nicht nur für die Familien, sondern auch für die Teams ein langwieriger Prozess sein, in dem diese auch ihre eigenen Bildungserfahrungen reflektieren und ggf. in Frage stellen müssen und bei dem es vorteilhaft wäre, wenn sie dabei Unterstützung bekommen könnten. 2.3.3 Zusammenfassung und Fazit Die Teams konnten bei den Familiengruppen im Verlauf der acht Sitzungen bedeutsame Verhaltens- und Einstellungsänderungen feststellen. So waren bei nahezu allen Familien bei den entsprechenden Spielen positive Veränderungen in Bezug auf Kooperation und gegenseitiges Verstehen zu beobachten. Außerdem berichten die Teams von einem deutlichen Zugehörigkeitsgefühl der Eltern zur FuN−Gruppe und von einer Zunahme an Selbstsicherheit und einer größeren Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Was ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern angeht, so konnten sich aus Sicht der Teams deutlich mehr als 80% der Eltern besser auf das Spiel mit ihnen einlassen, eine erhebliche Anzahl konnten ihnen auch besser zuhören, ihnen mehr positive Verstärkung zukommen lassen und mehr mit ihnen reden. Nahezu alle Kinder hatten großes Interesse daran, mit ihren Eltern spielen und 90 zeigten ihnen gegenüber Respekt, gingen miteinander kooperativer um und beteiligten sich an Aufgaben. Bei den eher überkontrollierten Kindern war eine Abnahme von Gehemmtheit, bei den unterkontrollierten Kindern. eine stärkere Selbstkontrolle zu beobachten. Alles in allem also sehr positive und den Zielen von FuN entsprechende Ergebnisse: Vernetzung unter den Familien, Stärkung der Elternkompetenz und Elternpräsenz sowie ein deutlich kindzentriertes Erziehungsverhalten mit positiven Auswirkungen auf die Kinder. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Kitas und den Familien hat sich durch FuN aus der Sicht der Teams positiv verändert: sie vermerken eine höhere Gesprächsbereitschaft, größeres Interesse und Engagement bei den Familien und einen partnerschaftlicheren Umgang miteinander. Was die Zusammenarbeit im FuN−Team betrifft, so stellte sich im weiteren Verlauf heraus, dass nur fünf der neun Teams bis zum Schluss zusammenbleiben konnten oder wollten. Hier wäre noch eine genauere Analyse nötig, warum die Vernetzung der Fachkräfte nicht so erfolgreich war wie erhofft. Alle Familiengruppen außer einer haben nach rd. sechs Monaten unter Beteiligung der Teams die Phase der Selbstorganisation entweder abgeschlossen oder stehen kurz vor. Die Treffen selbst ähneln den Treffen während der Intensivphase − hier ist noch mehr Kreativität und Initiative durch die Teams möglich, denn die Gruppen können und sollen auch ihre eigenen Schwerpunkte setzen. Die Organisation der Räumlichkeiten während der Selbstorganisation scheint nicht immer einfach gewesen zu sein, nicht alle Kitas konnten oder wollten ihre Räume zur Verfügung stellen, dabei ist zumindest in der Übergangsphase der gleichbleibende Ort wichtig. Umso erstaunlicher, dass der Übergang doch so gut geklappt hat. Was die Mitarbeit der ehrenamtlich tätigen Teammitglieder ohne pädagogische Ausbildung betrifft, so scheinen sie – darauf lassen zumindest die Rückmeldungen der Familien schließen – gute Arbeit geleistet zu haben. Sie sollten jedoch – dieser Vorschlag gründet sich auf die Eindrücke während der Sichtung und Auswertung der Fragebögen − noch stärker bei den mit FuN verbundenen schriftlichen Tätigkeiten (Fragebögen ausfüllen, Dokumentationen erstellen), im Gebrauch des Material− bandes u.ä. unterstützt werden, bis sie hier mit den anderen Teammitgliedern „gleichgezogen“ haben. Ein Teil der Familien trifft sich auch nach Abschluss des Programms weiter, und drei Teams setzen zurzeit die Programmarbeit mit anderen Familien fort. 91 92 93 Teil IV Schlussfolgerungen und Ausblick 94 95 Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse der Evaluation noch einmal kritisch reflektiert und Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit gezogen werden. • Das Ziel des einwöchigen Qualifizierungsprojekts, nämlich zu klären, ob das Programm FuN trotz der Sprach- und Kulturunterschiede auf die Mongolei übertragbar ist, wurde eindeutig erreicht. Insbesondere bei den „basics“ des Programms − z.B. Ressourcenorientierung, handlungs- und erfahrungsorientiertes Konzept, spielerische Methodik − wurden, so auch der Eindruck des Ausbilders67, keine wesentlichen Unterschiede zwischen der Situation in Deutschland und in der Mongolei sichtbar. Insgesamt haben sich auch die Bedenken, dass die geringe Machtdistanz des praktizierten Lernens und Lehrens die Teilnehmer/innen irritieren oder überfordern würde, nicht bestätigt – eine Beobachtung des Ausbilders war lediglich, dass weniger Fragen gestellt und weniger Diskussionen geführt wurden als in Deutschland – wobei hier auch die Notwendigkeit der ständigen Übersetzung die Spontaneität der Teilnehmer/innen gebremst haben mag. Des Weiteren wurde die Qualität der Fortbildung von den neun Teams in einem Abschlussfragebogen sehr positiv bewertet, insbesondere was Mitwirkungsmöglichkeiten und Steigerung persönlicher Kompetenzen angeht. • Was die Durchführung des Programms mit den ausgewählten Familien betrifft, so wurde während des Projektverlaufs deutlich, dass mit FuN die anvisierte Zielgruppe in der Mongolei erreicht werden kann. Auch in den Randbezirken von Ulaanbataar und denjenigen Khoroos, in denen Familien teilweise an und unter der Armutsgrenze leben, zeigte sich, dass FuN auf hohe Akzeptanz stieß. Der leichte, spielerische und nicht problemorientierte Zugang bietet große Lernmöglichkeiten, die von den Teilnehmern sehr geschätzt und für neue Entwicklungen in der Familie genutzt wurden. Aber auch in den Gruppen, in denen Familien zusammenkamen, die weniger unter unmittelbarem materiellen Druck standen, bot sich willkommener Raum für vielfältige Lernerfahrungen, z.B. in einer Gruppe, in der auch zwei Familien mit Mitgliedern mit Behinderungen teilnahmen. Für weitere Programmdurchführungen könnten jedoch durchaus noch mehr Familien in sozialen Randlagen und mit psychosozialen Problemen angeworben werden. 67 Persönliche Mitteilung von B. Brixius, 19.06.2009 und www.praepaed.de 96 Auch der Übergang in die Familienkreisphase ist bei fast allen Familien sehr gut gelungen, und es gibt Hinweise, dass sich zumindest ein Teil der Familien nach Abschluss des Programms weiterhin trifft, also auch der Aufbau eines Familiennetzwerkes begonnen hat. In Bezug auf die Hauptbausteine von FuN, nämlich o Zusammenhalt und Strukturbildung in Familien entwickeln o Elternkompetenzen und Elternverantwortung stärken o Kommunikation und Konfliktfähigkeit innerhalb der Familie fördern o Kontakt, Selbsthilfe und Netzwerke von Familien aufbauen und die o Integration und Mitwirkung von Familien in pädagogischen Einrichtungen unterstützen war es natürlich nicht möglich, messbare Indikatoren zu entwickeln, aber es gibt beeindruckende Belege aus den Befragungen (vgl. 2.3.1), dass zentrale Elemente dieser Bausteine zumindest aus der Perspektive der Eltern und Teams umgesetzt werden konnten, z.B.: o Verbesserung des Familienzusammenhalts o Stärkung der Elternrolle und Elternpräsenz o verbesserte Kommunikation und Kooperation in der Familie o deutlich kindzentrierteres Erziehungsverhalten o Aufbau von Kontakten, Vernetzung und Selbsthilfe unter den Familien o Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Kitas und Familien … Hier hat das Programm die anvisierten Ziele durchaus erreicht. • Die Integration der in FuN praktizierten subjektorientierten Lernformen in das Methodeninventar der Teams sollte hingegen noch mehr unterstützt werden, denn vorerst scheinen sich diese nur vereinzelt dieser wahrscheinlich für die meisten neuen Ansätze zu bedienen. • Was die über FuN angestrebte Vernetzung der Kitas mit Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe angeht − hier in der Mehrzahl repräsentiert durch die Mitarbeit von Sozialarbeiterinnen des Jugendamts −, so ist bisher nicht klar ersichtlich, warum einige Team-Konstellationen offenbar vorteilhaft waren und andere nicht. 97 Es ist zumindest auffallend, dass nach Aussagen der Teams in vier von fünf städtischen Kindergärten die Kooperation mit den zuständigen Fachkräften aus dem Jugendamt gelungen ist, während das bei den vier von World Vision getragenen Kindergärten außer bei einem nicht der Fall war. Inzwischen haben jedoch bereits zwei bis drei weitere FuN−Gruppen in von World−Vision getragenen Kitas stattgefunden. Im Fall einer Fortsetzung des Projekts sind auf jeden Fall noch Gespräche mit den Teams sowie mit Vertreter/innen der Stadtverwaltung und mit World Vision angezeigt, und die Teamkonstellationen sind noch einmal genauer zu überdenken, sofern dieses Teilziel von FuN – Vernetzung der verschiedenen Familien unterstützenden Dienste im Stadtteil – beibehalten werden soll (s.u.). • Wie kann es weitergehen? Nur drei der neun ausgebildeten Teams sind bisher in der Lage, neue FuNElterngruppen aufzubauen. Es sollte deshalb genauer analysiert werden, worin die Zurückhaltung der Mehrheit der Teams begründet ist (z.B. keine Freistellung, Finanzierungsprobleme, keine geeigneten Räumlichkeiten, keine damit verbundenen beruflichen Perspektiven?), und wie sie ggf. motiviert und unterstützt werden könnten, weitere Gruppen aufzubauen und zu begleiten. . • Fazit ist, dass Elternarbeit und die Beteiligung von Eltern in pädagogischen Ein- richtungen in der Mongolei noch ganz am Anfang stehen. Hier ist mit FuN ein vielversprechender Start gelungen. Weiter ist in Ulaanbaatar die Vernetzung zwischen unterschiedlichen familialen Unterstützungssystemen im Stadtteil und die Einbettung in ein umgebendes Beratungssystem so gut wie gar nicht entwickelt. Insofern kann FuN als Kooperationsprojekt einen Beitrag zur Strukturentwicklung in Ulaanbataar leisten. Ein Anfang ist gemacht, aber es bedarf weiterer Schritte. Insbesondere besteht die Notwendigkeit, eigene Strukturen „von innen“ – also innerhalb des mongolischen Erziehungs- und Bildungssystems − zu entwickeln, z.B. ein FuN−Institut zu gründen mit Beteiligung der Universität, dem Ausbildungskolleg für Erzieher/innen, der Stadt Ulaanbataar und lokalen Beratungsstellen mit dem Ziel, längerfristig eigenständige Qualifizierungen von FuN−Trainer/innen anzubieten, die das Programm dann an andere Multiplikator/innen weitervermitteln können. Ob dies allerdings gelingen wird – eine erste Anfrage wurde von uns bereits im vergangenen Jahr gestartet −, bleibt vorerst offen. 98 Das Qualifizierungsprojekt hat auf jeden Fall deutlich gemacht, dass die FuNMethodik und die dahinterliegende Kooperationsstruktur Energie für Neu- Entwicklungen freisetzt. Alles wird letztlich davon abhängen, wie aktiv die lokalen Organisationen und Behörden die notwendigen Strukturen weiterentwickeln. • Abschließend noch einige erfahrungsbasierte Vorschläge zur Durchführung bzw. Vor- und Nachbereitung eines solchen oder vergleichbaren Vorhabens. Vorher / während: o Gute Vor−Ort−Kenntnisse und (fachliche) Vor−Ort-Kontakte o Zweisprachige und fachkundige „Türöffner“ vor Ort o Erkundung /Berücksichtigung der Vorerfahrungen der Kooperationspartner mit ausländischen Partnern (Erwartungen!) o Überprüfung gegenseitiger Erwartungen, ggf. unterschiedliche Erwartungen auch akzeptieren, z.B. dass „kleine Geschenke“ hilfreich sein können … o Detaillierte Vorausplanung und engmaschiges Projektmanagement in beiden Ländern (punktgenauer Zeit−, Personal−, Arbeits−, Finanzplan …) mit Controlling o Berücksichtigung des sozialen / gesellschaftlichen Kontexts, vor allem bei Transformationsländern, die auf dem Weg der Modernisierung sind, z.B. Demokratieverständnis, Lebenslagen der Bevölkerung, Gleichberechtigung und Rollen der Geschlechter, Bedeutung von Elternschaft, gewaltfreie Erziehung, Bildungsstand, Familienstrukturen und –modelle … o Genaue Kenntnis der länderspezifischen Kulturgrammatik o Sorgfältige Vorbereitung der Auswahl /Zusammensetzung der Teilnehmer/innen Im Anschluss an die Durchführung / an die Anwesenheit vor Ort: o Kontinuierliche Kontakte zu den Kollegen/innen vor Ort möglichst bis zum Ende des Projekts und darüber hinaus über Internet, Befragungen, Rückmeldungen usw., sonst sehr rasches Versickern o Zertifizierung der Teilnehmer/innen o.ä., realistische Möglichkeiten der Weiterqualifizierung o.ä. für die Teilnehmer/innen in Aussicht stellen o Falls nachhaltige Implementierung gewünscht: mittelfristig Bildung von eigenen Strukturen im Land und Übernahme des Gesamtkonzepts durch lokale Institutionen unabdingbar 99 • Ganz zum Schluss: Eine Nachfrage nach FuN in Ulaanbaatar ist vorhanden und nimmt zu, denn, so der letzte Bericht der mongolischen Kooperationspartnerin Soyolmaa Enkhbat: Nicht nur die Erzieherinnen, die letztes Jahr ausgebildet wurden, sondern auch andere, die davon gehört haben, haben angefragt, ob die Möglichkeit besteht, sich als FuN-Trainerin ausbilden zu lassen, ebenso die Ausbildungsämter von drei Distrikten. Das hat damit zu tun, dass einzelne Teamerinnen ihre Jahresberichte bei den zuständigen Ämtern vorgestellt haben und die Leute aufmerksam wurden und FuN ganz toll fanden … 100 101 Gesamtzusammenfassung 102 103 1 Ausgangslage Die mongolische Gesellschaft ist eine Gesellschaft im Übergang, die ihren Mit− gliedern abverlangt, sich von ehemals für sicher gehaltenen und oft mühselig erwor− benen Wissensbeständen, Handlungsmustern und Orientierungen zu verabschieden und sich neue anzueignen. Auch die traditionelle Familie gehört zu den Institutionen, die in Frage stehen. Diese hatte in der Mongolei − vermittelt durch die nomadische Tradition und Lebensweise − stets einen besonders hohen Stellenwert, droht jedoch jetzt infolge der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Veränderungen, die das Land seit zwanzig Jahren durchlebt, und der zunehmenden Orientierung an westlichen Wertvorstellungen auseinander zu brechen. Es wird von manchen Verantwortlichen sogar befürchtet, dass damit eine Gefährdung des grundlegenden Zusammenhalts der Nation verbunden sein könnte. Beispiele für die Krise des familiären Zusammenhalts sind: o Instabilität von Ehen, Zunahme von Ehescheidungen o Abnahme der Haushaltsgröße auf Kleinfamilienniveau o Einschränkung der Fürsorgekapazität der Familien, auch aufgrund der kritischen ökonomischen Lage vieler Familien o Zunahme der Zahl von alleinerziehenden Frauen bei gleichzeitiger Verarmung o Zunahme von Alkoholmissbrauch, vor allem bei Männern, 20% von ihnen gelten als exzessive Trinker, oft in Kombination mit Arbeitslosigkeit o Verantwortungsverweigerung von Vätern, z.B. in der Alimentenzahlung o Kinderarbeit, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Straßenkinder, Kinderkriminalität, Schul-Dropouts o Erosion von verwandtschaftlichen Bindungen und Solidargemeinschaften o u.a. Hinzu kommt ein hohes Ausmaß an häuslicher Gewalt: Jede dritte Frau in der Mongolei ist das Opfer von Gewalt in der Ehe, und die innerfamiliäre Gewalt wächst vor allem unter dem Einfluss von Alkohol, dabei wird vermutlich die Mehrheit der gewalttätigen Übergriffe überhaupt nicht angezeigt. Deshalb hat sich auch der Anteil der Haushalte erhöht, der alleine von Frauen geführt wird. Frauengeführte 104 Haushalte sind wiederum von Armut stärker betroffen (s.o.), knapp die Hälfte von ihnen befindet unterhalb der Armutsgrenze (Feminisierung der Armut). Ebenso wird physische Gewalt, wie zahlreiche Studien zeigen, in großem Um− fang als Erziehungsmittel eingesetzt, und es muss davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Teil der jungen Generation (über 70%) mit alltäglicher Gewalt in Familie, Schule und sozialem Nahraum aufgewachsen ist und noch immer aufwächst. So wurde von der seinerzeit neu gewählten Regierung im Jahre 2007 beschlos− sen,, Familienarbeit zu einem besonderen Schwerpunkt der zukünftigen Kinder−, Jugend− und Familienpolitik zu machen. 2 Familienbildung in der Mongolei In diesen Kontext ist auch das hier vorgestellte Projekt einzuordnen, mit dem ver− sucht werden sollte, in einem kleinen und überschaubaren Sektor des sozialen Lebens modellhaft den Boden für eine nachhaltig wirkende Um- und Neuorientierung vorzubereiten. Dabei konnte es nicht darum gehen, das traditionelle mongolische Familienmodell zu bewahren und zu stützen − das wäre angesichts des mit hoher Geschwindigkeit ablaufenden gesellschaftlichen Wandels auch gar nicht möglich − , sondern den mongolischen Familien selbst Möglichkeiten in die Hand zu geben, die Veränderungen produktiv zu bewältigen, anstatt ihnen nur passiv ausgeliefert zu sein. Um Familien in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz zu stärken, damit sie ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können, ist z.B. in der BRD Familienbildung Teil des Leistungskatalogs der Jugendhilfe, denn in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs − in der Mongolei wie in anderen Ländern − bieten tradierte Leitbilder, Normen und Werte offensichtlich keine Orientierung mehr für die Gestaltung von Familienerziehung − das Zusammenleben muss jetzt individuell gelernt und eigenverantwortlich gestaltet werden. Familien− und Elternarbeit steht in der Mongolei noch ganz am Anfang, ist aber gerade in der gegenwärtigen Umbruchsituation notwendig und wichtig. 105 Weiter ist in Ulaanbaatar die Vernetzung zwischen unterschiedlichen familialen Unterstützungssystemen im Stadtteil und die Einbettung in ein umgebendes Beratungssystem so gut wie gar nicht entwickelt. Insofern sollte das Projekt als Kooperationsprojekt zwischen verschiedenen städtischen Unterstützungssystemen für Familien auch einen Beitrag zur Strukturentwicklung in Ulaanbataar leisten. 3 Das Programm Familie und Nachbarschaft (FuN) Es wurde beschlossen, das in der BRD und anderen Ländern erfolgreich einge− setzte Familienbildungsprogramm „Familie und Nachbarschaft“ (FuN) in einem Pilot−Projekt auf seine Tauglichkeit für die Mongolei zu erproben. FuN ist ein präventives Programm, das von pädagogischen Fachkräften gemein− sam in einer Gruppe mit Eltern und Kindern in Bildungseinrichtungen, z.B. Kindergärten oder Schulen, durchgeführt wird. FuN will insbesondere die Beteiligung sozial benachteiligter Familien fördern und diesen einen gemeinsamen Erfahrungs− raum bieten. Auf der professionellen Ebene vernetzt FuN die Arbeit von Sozialisationsinstitutionen wie Kindergarten oder Schule mit der Arbeit familien− orientierter Dienste, z.B. Jugendämtern (s.o.) und stellt mit der Verknüpfung von Bildung, Beratung und Begleitung einen innovativen methodischen Ansatz zur Elternarbeit dar. Primäres Ziel von FuN ist es, die Erziehungs− und Mitwirkungskompetenzen von Familien zu unterstützen und ihre soziale Beziehungen zu festigen. FuN dauert insgesamt acht Monate (zweimonatige Intensivphase, begleitete sechsmonatige Selbstorganisationsphase). In einer Sitzung der Intensivphase laufen immer in der gleichen Reihenfolge und im gleichen Zeitrhythmus folgende Programmelemente ab: o Begrüßungsritual o ein Kooperationsspiel für die ganze Familie, z.B. Herstellung eines Familienwappens (vgl. Titelbild!) o ein Kommunikationsspiel, z.B. eine gemeinsame Bildbetrachtung o gemeinsames Essen (von jeweils einer Familie vorbereitet) am „Familientisch“ o das Zweiergespräch (Austausch unter jeweils zwei Elternteilen) 106 o die Elternzeit /parallel dazu die Kinderzeit (Elterngesprächsrunde, Kinderspielrunde) o das Spiel zu Zweit (ein Elternteil spielt mit einem Kind, Spielmaterial besteht aus „wertlosen“ oder einfachen Materialien wie Papierrollen, Federn, Wäsche- klammern, Knöpfen, Schrauben, Wollfäden, Korken …) o das Überraschungsspiel in der gesamten Gruppe o das Abschlussritual Während der Phase der Selbstorganisation, die ebenfalls von pädagogischen Fachkräften begleitet wird, bei der die gemeinsamen Sitzungen aber seltener statt− finden, bleibt es der Gruppe überlassen, wie sie ihre Treffen gestalten will. Das pädagogische Konzept von FuN orientiert sich an bestimmten Richtungen der systemischen Familientherapie: Es geht vor allem um o die Stärkung von Zusammenhalt und Struktur o um Elternverantwortung und Elternkompetenz o um Beziehungsgestaltung o um Kommunikations− und Konfliktfähigkeit. Des Weiteren geht es um Empowerment von Familien durch Selbsthilfe und Netz− werkbildung mit dem Ziel, die Beziehungen unter den Teilnehmern zu stärken und sich als Nachbarn oder Stadtteilbewohner gegenseitig solidarische Unterstützung zukommen lassen zu können. Ferner werden Eltern ermutigt, ihre Interessen in Schule oder Kindergarten einzubringen und „auf Augenhöhe“ auf Professionelle aus anderen familienorientierten Diensten zuzugehen. Die Lern− und Arbeitsformen, derer sich FuN bedient, beruhen auf der subjekt− orientierten begleitenden Bildungsarbeit, indem Eltern als Subjekte ihrer eigenen Lernprozesse gesehen werden, die sie durch ihre Bedürfnisse und Erfahrungen selbst steuern und in einem dialogischen Prozess, von den FuN−Teamerinnen moderiert, gemeinsam mit den anderen Familien ihre Denk- und Verhaltens− möglichkeiten erweitern. 107 4 Projektdurchführung, Projektablauf Das Projekt „Familienbildung in der Mongolei“ lief in mehreren Phasen ab, die ins− samt den Zeitraum von zwei Jahren umfassten. Nach einer Einführung der mongolischen Projektpartnerin in Deutschland und den nötigen Vorbereitungs− arbeiten einschließlich Beschaffung der Fördermittel begann im darauf folgenden Jahr (2009) die Arbeit in Ulaanbaatar. Als erster Schritt erfolgte die einwöchige Vorort−Qualifizierung von rd. 25 pädagogischen Fachkräften für die Durchführung des FuN−Programms. Sie wurde vorgenommen von Dipl.-Päd. Dipl.-Psych. Bernd Brixius, Leiter des Instituts für präventive Pädagogik in Münster/BRD. Anschließend wurde FuN in neun Kindertagesstätten von zwei− bis dreiköpfigen Teams durchgeführt, von denen in der Regel je zwei Mitarbeiterinnen aus der Kita stammten, eine aus der zugehörigen Jugendamtsabteilung des Disktrikts. Fünf der beteiligten Kindertagestätten wurden von der Stadt Ulaanbaatar getragen, bei den vier anderen war der Träger die Kinderhilfsorganisation World Vision. Die erste Programmphase, deren Startphase noch persönlich vom Ausbilder supervidiert wurde, wurde nach zwei Monaten abgelöst von der halbjährigen Phase der Selbstorganisation, die zu einer Vernetzung der Familien hinführen soll (s.o.). 5 Evaluation: Fragestellungen, Instrumente Das gesamte Projekt wurde einer vorwiegend abschließenden Evaluation unterzo− gen. Aufgabe der Evaluation sollte es sein zu überprüfen, ob sich die unter den Punkten 13/14/15 beschriebenen Annahmen, die für die BRD gut belegt sind, auch in einem Land wie der Mongolei bestätigen lassen. Dabei ging es speziell um folgende Fragen: o Wie wird die Qualifizierungsmaßnahme von den Teams bewertet? o Welche Familien haben teilgenommen? o Wie bewerten die Familien das Programm? o Wie bewerten die Teams die Programmauswirkungen? o Wie kann es weitergehen? Für die insgesamt fünf nacheinander durchgeführten Befragungen der neun 108 Teams (n=24) wurden standarisierte Fragebögen (einschließlich der Erhebung der Sozialdaten), für die Familieninterviews (n=62) ein Frageleitfaden eingesetzt; außerdem wurde in der Mitte des Projekts von den Teams eine Zwischenbilanz gezogen, die vom Ausbilder schriftlich beantwortet wurde, und es wurden zahlreiche Sozialdaten erhoben. Da es sich um eine Pilotstudie handelte, bei der infolge der komplexen Bedingungsfaktoren und des materiellen, zeitlichen, sprachlichen und personellen Rahmens einige Methodenschwächen in Kauf genommen werden mussten, ist die Qualität der Daten zwar eingeschränkt, die Mehrfachbefragungen, die sehr guten Rücklaufsquoten (90−100%), die verschiedenen Zielgruppen u.ä. erlauben aber dennoch relativ gut abgesicherte Rückschlüsse auf die Programmwirkungen. 6 Ergebnisse 1: Die Qualifizierung Die fünftägige Qualifizierung der Teams aus den neun Kitas kann als sehr erfolg− reich bezeichnet werden. Alle Antworten der Teilnehmerinnen auf die Abschluss− fragen des Evaluationsfragebogens lagen im Durchschnitt im positiven bzw. sehr positiven Antwortbereich. Die Fortbildung war für die meisten Teilnehmer/innen eine wertvolle Erfahrung, sie konnten aktiv an und in den Sitzungen mitarbeiten, erlebten sich als gestärkt in ihren persönlichen Kompetenzen und genossen die angenehme Arbeitsatmosphäre. Ebenso konnten sie ihr Fachwissen erweitern, neue berufliche Perspektiven entwickeln u.a.m. 7 Ergebnisse 2: Die Familien An der daran anschließenden FuN−Programmdurchführung in den Kitas haben insgesamt 64 Familien mit 106 Erwachsenen und 125 Kindern regelmäßig teilgenommen. Überwiegend waren beide Elternteile, seltener nur Mütter und noch seltener nur Väter dabei, bei einigen Familien waren auch die Großmütter regelmäßig anwesend. Das Programm wurde vorwiegend in Stadtteilen eingesetzt, in denen von der Bevölkerungsstruktur her sozial benachteiligte Familien leben: unterdurch− schnittliches Familieneinkommen, Wohnen in Gers oder einfachen Holzhäusern, hohe Arbeitslosigkeit, vor allem bei Frauen. Das Bildungsniveau der Familien in den 109 FuN−Gruppen war jedoch relativ hoch, alle Teilnehmer/innen hatten mindestens einen mittleren Bildungsabschluss (1.-9.Klasse), ein Teil von ihnen auch ein akademisches Diplom. Es wäre sicher nützlich, die Zusammenstellung der Familiengruppen noch genauer und mutiger zu planen, z.B. noch mehr sozial benachteiligte Familien, alleinerziehende Mütter, Familien mit sozialen Problemen, mit gesundheitlich beeinträchtigten Kindern u.ä. einzuladen. Erste Erfahrungen sprechen dafür, dass z.B. Familien mit Kindern mit Behinderungen eine Bereicherung der Gruppe darstellen und selbst großen Nutzen aus ihrer Teilnahme ziehen können. Insgesamt fällt die hohe Beteiligung der Väter auf, die mit ihren Ehefrauen zusam− men oder auch alleine gekommen sind, durchschnittlich rd. 70% und damit weit mehr als das, was z.B. in Deutschland üblich ist (7%). Hier deutet sich für Väter eine Chance für neue Erfahrungen und Anregungen in der Gestaltung ihrer Rolle in der Familie an. Ausnahmslos allen Teilnehmern − Eltern und Kindern − hat das Programm gut ge− fallen, alle haben ihre Teilnahme als eine schöne Zeit in Erinnerung. Besonders gefallen haben den Eltern die verschiedenen Spiele und die Elterngesprächsrunde und den Kindern die Spiele in der Familie. Über 90% der Familien haben durch das Programm auch neue Familien kennen− lernt, und alle wollen den Kontakt aufrecht erhalten –FuN hat sehr erfolgreich die Vernetzung der Familien angeregt. Was Unterstützung und neue Informationen durch die Teilnahme am Programm betrifft, so heben die Eltern den Austausch mit den anderen Eltern besonders hervor. Darüber hinaus schätzen sie den Erwerb relevanten Wissens über Familie und Erziehung, die nützlichen Vorschläge für den Erziehungsalltag sowie die intensive Erfahrung einer engen innerfamiliären Verbundenheit, die sie durch ihre Teilnahme machen konnten. 110 Für 70% der Teilnehmer war FuN keineswegs nur ein angenehmer Zeitvertrieb, an dem alle Spaß hatten (dies war natürlich auch der Fall), sondern auch anstrengend und fordernd, und die meisten haben wenigstens gelegentlich Teile ihrer Erfahrungen auch zu Hause umgesetzt, z.B. die Spiele. 8 Ergebnisse 3: Die Teams Die Teams konnten bei den Familiengruppen bereits im Verlauf der acht Sitzungen bedeutsame Verhaltens− und Einstellungsänderungen feststellen. So waren bei nahezu allen Familien o positive Veränderungen in Bezug auf Zusammenarbeit und gegenseitiges Verstehen zu beobachten o berichten die Teams von einem deutlichen Zugehörigkeitsgefühl der Eltern zur FuN−Gruppe o von einer Zunahme an Selbstsicherheit und o einer größeren Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. Was das elterliche Verhalten gegenüber den Kindern angeht, so o konnten sich aus Sicht der Teams deutlich mehr als 80% der Eltern besser auf das Spiel mit ihnen einlassen o eine erhebliche Anzahl ihnen auch besser zuhören o ihnen mehr positive Verstärkung zukommen lassen sowie o mehr mit ihnen reden − alles in allem also eine Zunahme von entwicklungsförderlichen Haltungen. Nahezu alle Kinder o hatten großes Interesse daran, mit ihren Eltern spielen o zeigten ihnen gegenüber Respekt o gingen miteinander kooperativer um o beteiligten sich an Aufgaben. Bei den eher überkontrollierten Kindern war außerdem eine Abnahme von Gehemmtheit, bei den unterkontrollierten Kindern. eine stärkere Selbstkontrolle zu beobachten. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Kitas und den Familien hat sich durch 111 FuN aus der Sicht der Teams positiv verändert: sie vermerken eine o höhere Gesprächsbereitschaft o größeres Interesse und Engagement bei den Familien o einen partnerschaftlicheren Umgang mit den Mitarbeiterinnen. Schließlich haben die meisten Familien auch Interesse an weiteren Hilfs− und Unterstützungsangeboten angemeldet. Was die Zusammenarbeit im FuN−Team betrifft, so stellt sich im Verlauf des Pro− jekts heraus, dass nur fünf der neun Teams vollständig bis zum Schluss zusammenbleiben konnten oder wollten, die dafür angegebenen Gründe waren unterschiedlich: o Krankheit o Versetzung o keine Freistellung o keine Bezahlung für Überstunden o u.a. In den Augen der Familien scheint das jedoch keine Rolle für die Qualität der Programmdurchführung gespielt zu haben, wie die Daten zeigen. Dennoch wäre hier noch eine genauere Analyse nötig, warum die Vernetzung der Fachkräfte in den verschiedenen Khoroos und Institutionen teilweise nicht so erfolgreich war wie erwünscht. Nahezu alle Familiengruppen haben nach rd. sechs Monaten unter Beteiligung der der Teams die Phase der Selbstorganisation entweder abgeschlossen oder stehen kurz davor. Ein Teil der Familien trifft sich auch nach Abschluss des Programms weiter, und drei Teams setzen zurzeit die Programmarbeit mit anderen Familien fort. 9 Kulturelle Passungsprobleme Das Programm wurde vor seinem Transfer in die Mongolei von der mongolischen Kooperationspartnerin auf seine Passung geprüft und als gut übertragbar eingeschätzt. Grundsätzliche „kulturelle Unverträglichkeiten“ bei der Ein− und Durchführung vor Ort waren dann auch nicht festzustellen. Sofern Unverträg− lichkeiten auftraten, waren sie eher sozialen Differenzen geschuldet (z.B. die 112 Bedeutung von Spielzeug entsprechend den unterschiedlichen Niveaus von Armut in der Mongolei und der BRD); teilweise beruhten sie auf unterschiedlichen kulturellen Grammatiken, vor allem bei der Qualifizierung der Teams (z.B. beim Umgang mit Zeit oder mit Machtdifferenzen), oder sie waren Folge unterschiedlicher Lerntraditionen, z.B. des „lehrerzentrierten“ Unterrichts, wobei in der BRD bei Aussiedlerfamilien aus osteuropäischen Ländern oder Ländern der GUS ähnliche Probleme bei der Umsetzung selbstbestimmten Lernens bekannt sind.68 Natürlich wurden z.B. die Lieder, die bei bestimmten Programmpunkten gesungen werden, dem mongolischen Liedschatz entnommen, die Bilder für die Bildbetrachtungen wurden angepasst und zeigten mongolische Landschaften und Personen bei typisch mongolischen Beschäftigungen usw., doch die Programmpunkte selbst ließen sich relativ mühelos übertragen bzw. es gab nach den Beobachtungen des Ausbilders ähnliche Probleme wie in Deutschland, z.B. beim spielerisch−kreativen Umgang mit „Wertlosmaterial“, der nicht allen Teilnehmer/ innen leicht fiel. 10 Ausblick Insgesamt hat sich nach unseren Erfahrungen das FuN−Programm wegen seiner Ressourcenorientierung, seines handlungs- und erfahrungsorientierten Konzepts und seiner spielerischen Methodik bei der Übertragung auf die Mongolei sehr gut bewährt. Vor allem was die Stärkung der Elternkompetenz und Elternpräsenz, das kindzen− trierte Erziehungsverhalten, die persönliche Entwicklung der Familienmitglieder, die Zusammenarbeit der Eltern mit den Kitas und die Netzwerkbildung unter den Fami− lien betrifft, konnte das Programm mit großem Erfolg abgeschlossen werden. Möglichkeiten der institutionellen Vernetzung des Projekts mit anderen familien− unterstützenden Diensten im Stadtteil sollten allerdings noch genauer geplant werden. Für die Fortsetzung der Arbeit wäre es wünschenswert, wenn die zuständigen lokalen Behörden und Institutionen mit dazu beitragen könnten, Strukturen zu 68 Persönliche Mitteilung von B. Piltman, www.präpäd.de 113 entwickeln, in die FuN eingebettet ist und für die Mongolei weiterentwickelt werden kann. 114 115 Literatur 116 117 • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • aktiv-gegen-kinderarbeit.de/welt/asien/mongolei, 2009 Amnesty International (2004): Jahresbericht Mongolei Boeser, Ch. 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