Gicht – aktuelle Aspekte in Diagnostik und Therapie

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Gicht – aktuelle Aspekte in Diagnostik und Therapie
MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Gicht – aktuelle Aspekte in Diagnostik
und Therapie
Anne-Kathrin Tausche, Tim L. Jansen, Hans-Egbert Schröder,
Stefan R. Bornstein, Martin Aringer, Ulf Müller-Ladner
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten einer älter werdenden Bevölkerung ist zusammen mit
anderen metabolischen Störungen häufig eine Hyperurikämie zu beobachten. Langfristig können erhöhte Harnsäurewerte durch Ablagerung von Mononatriumuratkristallen zur
Entwicklung einer Gichterkrankung (Arthritis urica, Uratnephropathie, Tophi) führen. Die Prävalenz der Arthritis urica, als einer Manifestation der Gichterkrankung, beträgt in
Deutschland nach aktuellen Daten circa 1,4 % und ist damit häufiger als die rheumatoide Arthritis. Bisher existieren
in Deutschland keine Leitlinien zum Management der
Gicht, die Behandlung basiert überwiegend auf tradierten
Expertenmeinungen.
Methoden: Selektive Literaturrecherche und -aufarbeitung
zum Thema Diagnostik und Therapie der Gicht.
Ergebnisse und Schlussfolgerung: Eine asymptomatische
Hyperurikämie stellt in der Regel keine Indikation für eine
medikamentöse harnsäuresenkende Therapie dar. Bei manifester Gichterkrankung ist neben der Akutbehandlung
der Arthritis nach Klärung der Ursache für die Hyperurikämie eine langfristige harnsäuresenkende Therapie jedoch
zumeist unumgänglich. Ziel der Behandlung ist, angereicherte Kristalldepots zu entspeichern und so entzündliche
Prozesse mit resultierenden strukturellen Schädigungen zu
verhindern. Eine langfristige Senkung der Serumharnsäurewerte unter 360 µmol/L (6 mg/dL) sollte angestrebt werden. Hierfür stehen neben dem Urikostatikum Allopurinol
auch Urikosurika, wie zum Beispiel Benzbromaron zur Verfügung. Zur Therapie des Gichtanfalls bestehen gute Evidenzen für den frühzeitigen, kurzfristigen Einsatz von nicht
steroidalen Antirheumatika (NSAR), Colchicin und Glucocorticosteroiden.
Schlüsselwörter: Allopurinol, Gicht, Hyperurikämie,
Harnsäureablagerung, Therapiekonzept
Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2009; 106(34–35): 549–55
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0549
Bereich Rheumatologie, Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden: Dr. med. Tausche, Prof. Dr. med.
Schröder, Prof. Dr. med. Bornstein, Prof. Dr. med. Aringer
Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie, Justus Liebig
Universität Gießen, Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim: Prof. Dr. med. Müller-Ladner
Abteilung Rheumatologie, Medizinisches Centrum Leeuwarden, Niederlande:
Dr. med. Jansen
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D
ie Gichterkrankung ist oft mit anderen metabolischen Störungen wie Adipositas, Diabetes
mellitus und Hypertonie vergesellschaftet und mit
einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos verbunden (1–3, e1). Die Gicht als Folge einer Hyperurikämie von > 390 μmol/L (6,5 mg/dL) betrifft in Industrienationen aufgrund veränderter Ernährungs- und
Lebensgewohnheiten mindestens 1 bis 2 % aller Erwachsenen. So wiesen in der Framingham-Studie
9,2 % der Männer und 0,4 % der Frauen eine Hyperurikämie auf, davon litten 19 % an einer Gicht (e2).
Von Gichterkrankung spricht man, wenn eine
Harnsäureanreicherung (Hyperurikämie) im Körper
zur Ausfällung von Mononatriumuratkristallen in verschiedenen Geweben geführt hat. Die Folge sind
Gichtanfälle, Uratnephropathie und/oder Tophi. Ursachen für die Harnsäureanreicherung sind neben genetischen Störungen der Harnsäureexkretion und des
Purinstoffwechsels vor allem purinreiche Kost, Alkoholkonsum und Übergewicht (4, 5, e3). Die Inzidenz
der Gicht zeigt eine starke Abhängigkeit vom Harnsäurespiegel im Serum: Sie nimmt oberhalb von
480 μmol/L (8,0 mg/dL) deutlich zu (3, e4).
Als „Indikator“ für die Gichterkrankung ist die Arthritis urica nach aktuellen Untersuchungen in Allgemeinpraxen mit einer Prävalenz von circa 1,4 % die
häufigste Arthritis bei Erwachsenen mit einem deutlichen altersabhängigen Anstieg. Hingegen beträgt die
Prävalenz der rheumatoiden Arthritis circa 0,5 bis 1 %
(1, 2, 6). Ursachen für die beobachtete steigende Lebenszeitprävalenz der Gichterkrankung sind neben zunehmendem Lebensalter mit vermehrt auftretenden
Komorbiditäten, wie zum Beispiel Niereninsuffizienz,
die Einnahme von Medikamenten, die die Harnsäureausscheidung hemmen, zum Beispiel Thiazide
(e5–e7).
Das Erkrankungsrisiko von Männern zu Frauen beträgt 4 : 1 bis 9 : 1. Frauen erkranken oft erst nach der
Menopause, begünstigt durch den Wegfall der urikosurisch wirkenden Östrogene. In der Regel erfolgt die Behandlung der Gicht in Deutschland primär durch
Hausärzte und Internisten. Bei persistierenden Gichtanfällen, atypischen Verläufen mit polyartikulärer Gicht
oder Gelenkdestruktionen und kompliziert verlaufenden Erkrankungen wie fortschreitender Niereninsuffizienz oder Allopurinol-Unverträglichkeit therapieren
Rheumatologen oder Nephrologen (2).
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TABELLE 1
Medikamentöse Langzeittherapie zur Harnsäuresenkung mit Angabe des Evidenzniveaus (in Klammern)
Wirkstoffe / Dosierungen (Evidenzniveau)
Anmerkungen / Bedenken
Allopurionol
100–300 mg/d
(kurzfristig bis max.
600–800 mg/d)
(I b)
Nierenfunktion (Dosisreduktion)
Medikamenteninteraktionen (Hemmung des Abbaus von Azathioprin und
6-Mercaptopurin mit Folge schwerer Neutropenien)
Zielserumharnsäurewerte werden nicht immer erreicht
Hypersensitivitätsreaktionen 1 : 300 (sehr selten mit fatalem Ausgang;
Beginn oft nach Latenzzeit von Wochen bis Monaten)
nicht selektive Hemmung der Xanthinoxidase
Benzbromaron
20–100 mg/d
(I b)
Lebertoxizität
Risiko der Entstehung von Nierensteinen
Probenecid
1–3 g/d als Einzeldosen
(I b)
nur bei normaler Nierenfunktion
Medikamenteninteraktionen
Zielserumharnsäurewerte werden nicht immer erreicht
erforderlich: mehrere Dosen über den Tag verteilt
Harnalkalisierende Substanzen
(Zitronensäure-Zitrat-Gemische)
Blemaren 3 x 1–2 Brausetabletten
(III)
Urin-pH-Messung alle 2 Stunden, bei erniedrigtem Urin-pH verbesserte
Harnsäureausscheidung, zur Prophylaxe von Nierensteinen unter Urikosurika
3–4-mal täglich einzunehmen
Kosten werden von Krankenkassen oft nicht getragen
Leider existieren in Deutschland keine Leitlinien
zur Diagnostik und Therapie der Gicht, es wurden lediglich basierend auf Erfahrungen sowie Expertenmeinungen Empfehlungen veröffentlicht (7). Zum
Management der Gicht wurden 2006 europäische
Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR) und 2007 Leitlinien der British Society for Rheumatology (BSR) publiziert, die jeweils
auf einer umfassenden Evidenzanalyse der aktuellen
internationalen Datenlage beruhen (8, 9). Sie wurden
durch rheumatologische Fachgesellschaften erstellt.
Zwar weisen sie Leitliniencharakter von hoher Qualität auf, weil aber andere an der Behandlung der
Gicht beteiligten Fachgebiete, wie die Allgemeinmedizin, bei ihrer Erstellung nicht involviert waren, sind
sie definitionsgemäß nicht S3-Leitlinien gleichzusetzen.
Basierend auf diesen Publikationen wurde eine zusätzliche PubMed-Literaturrecherche von 1980 bis
zum ersten Quartal 2008 mit den Stichworten „gout,
randomised trial“ durchgeführt. So konnten zusätzlich
weitere 14 randomisierte, kontrollierte Therapiestudien identifiziert und deren Ergebnisse in die vorliegende Darstellung eingearbeitet werden. In der folgenden
Übersichtsarbeit sollen das Thema beleuchtet und unter Angabe des Evidenzniveaus (EN) Richtlinien für
die ärztliche Praxis dargestellt werden (Tabelle 1, 2).
Pathophysiologie und Klinik der Gicht
Harnsäure ist das Endprodukt des Purinstoffwechsels.
Wesentliche Schritte sind hierbei der Abbau von Xanthin und Hypoxanthin durch das Enzym Xanthinoxidase. Harnsäure wird überwiegend über die Niere ausgeschieden. In den letzten Jahren wurden wichtige renale Harnsäure-Transportproteine, wie der humane
URAT1-Transporter (hURAT1) und der Fruktose-
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transporter SCL2A9 charakterisiert (10, 11). Polymorphismen in den entsprechenden Genen bewirken
eine Funktionsstörung der Transporter mit einer erniedrigten renalen Harnsäureexkretion, konsekutiver
Harnsäureakkumulation und sind häufiger mit einer
Gichterkrankung assoziiert (12, e8, e9). Die Transportfunktion wird außerdem durch verschiedene Medikamente beeinflusst. So verringern beispielsweise
niedrig dosiertes Aspirin und Diuretika die Harnsäureausscheidung über eine Hemmung von hURAT1
(10). In der Praxis lassen sich von diesen Zuständen
mit verminderter Harnsäureausscheidung, als seltenere Ursachen für eine Hyperurikämie, Zustände mit erhöhter Harnsäureproduktion, wie zum Beispiel hämatologische Erkrankungen mit erhöhtem Zellumsatz
abgrenzen (Tabelle 3).
Physikochemischen Gesetzen folgend, beginnt die
Harnsäure oberhalb ihrer Löslichkeitsgrenze von
400 μmol/L beziehungsweise 6,8 mg/dL (bei 37°C,
pH 7,4) in Form von Mononatriumuratkristallen auszufallen (13). Prädilektionsstellen hierfür sind periphere Körperregionen (zum Beispiel Akren) mit niedrigeren Temperaturen sowie „saure“, das heißt entzündete Gelenke (14) (Abbildung 1). Harnsäurekristalle
führen zur Aktivierung des NALP3-Inflammosoms
mit Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, unter
anderen die Interleukine (IL) IL-1, IL-18, IL-8 und
von Tumornekrosefaktor, wodurch weitere polymorphkernige neutrophile Granulozyten angelockt werden (e10–e12).
Trigger für Gichtanfälle sind zumeist ein plötzlicher Serumharnsäure-Anstieg, wie zum Beispiel bei
Nahrungs- und Alkoholexzess (4, 5). Auch durch rasche Absenkung der Serumharnsäure, zum Beispiel
bei Einleitung einer medikamentösen harnsäuresenkenden Therapie, können Gichtanfälle ausgelöst wer⏐ Jg. 106⏐
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den. Hierbei scheint die Lösung von Harnsäure aus
den Randzonen von abgelagerten Kristallen infolge
eines Konzentrationsgefälles zwischen Serum und
Gewebe zur Stimulation einer Immunantwort zu
führen (15, e13). Typisch für die Erstmanifestation einer Gichterkrankung ist die anfallsartige, nächtlich
beginnende, peripher gelegene, sehr schmerzhafte,
monoartikuläre Arthritis des Großzehengrundgelenkes (Podagra), die ungefähr eine Woche anhält und oft
selbstlimitierend ist (e14) (Abbildung 1).
Die Ablagerung von Harnsäurekristallen in verschiedenen Geweben wie Gelenken, Bindegewebe
oder Nieren erklärt den chronischen Charakter der
Gicht. Nahezu 90 % der Patienten, die einen Gichtanfall hatten, erleiden in den nächsten fünf Jahren
wiederholte Anfälle (16). Im Verlauf können sich atypische Manifestationen entwickeln, so können andere
Gelenke, wie zum Beispiel Fingergelenke betroffen
sein und sich oligo- oder polyartikuläre Arthritiden
entwickeln (Abbildung 2). Differenzialdiagnostisch
müssen andere kristallinduzierte Arthritiden wie die
akute Pseudogicht/Chondrokalzinose mit Ablagerung
von Calciumpyrophosphatdihydrat-Kristallen und
die Oxalose-Arthropathie (zum Beispiel sekundäre
Calciumoxalat-Ablagerungen bei Langzeitdialyse)
ausgeschlossen werden. Darüber hinaus sollte eine
septische Arthritis, eine Psoriasisarthritis oder eine
Hämochromatose erwogen werden (17).
Diagnostik der Gicht
Die Verdachtsdiagnose einer Gicht kann bei einer
Anamnese für einen Alkohol- oder Nahrungsexzess,
zum Beispiel bei einer Grillfeier, mit klassischem Befall der Großzehe und erhöhten Harnsäurespiegeln mit
ausreichender Sicherheit gestellt werden. Nicht selten
ist die Serumharnsäure während des Anfalls normal
oder erniedrigt, der optimale Zeitpunkt der Messung
liegt deshalb 2 bis 3 Wochen nach einem Anfall (Evidenzlevel [EL] IV) (15, 18, 19). Bei atypischen Manifestationen und normaler Serumharnsäure sollte zur
Diagnosesicherung in jedem Fall eine Gelenkpunktion mit Kristallnachweis angestrebt werden (EN IIb),
differenzialdiagnostisch muss eine septische Arthritis
in Betracht gezogen werden (8, 20). Wichtig ist hierbei die native – Harnsäurekristalle lösen sich in Formalin – mikroskopische Beurteilung mittels Polarisationsoptik. Die Kristalle erscheinen als doppelt lichtbrechende 10 bis 20 μm lange intra- und extrazellulär
gelegene Nadeln.
Ist die Diagnose einer Gicht gestellt, müssen mögliche Ursachen gesucht werden. Da bei entsprechender genetischer Prädisposition neben den zumeist nutritiv begünstigten Harnsäureerhöhungen selten ein
erhöhter Zellumsatz bei einer okkulten Tumorerkrankung, zum Beispiel bei Leukämie oder Plasmozytom,
vorliegen kann, sollte in jedem Fall ein Blutbild/
Differenzialblutbild einschließlich Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, der Laktatdehydrogenase
und gegebenenfalls eine Serumeiweißelektrophorese
angefertigt werden (EN IV) (13, e15).
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TABELLE 2
Evidenzniveau
Evidenzniveau
Zugrundeliegende Evidenz / Erläuterung
Ia
Metaanlayse von randomisierten kontrollierten Studien
Ib
mindestens eine randomisierte kontrollierte Studie
II a
mindestens eine kontrollierte Studie, aber ohne Randomisation
II b
mindestens eine experimentelle Studie
III
mindestens eine nicht experimentelle, deskriptive Studie
(zum Beispiel Vergleichs- oder Fall-Kontroll-Studie)
IV
Expertenberichte und -meinungen und / oder Erfahrung
respektierter Autoritäten
TABELLE 3
Klinische Ursachen für eine erhöhte Harnsäureproduktion und /oder
verminderte Harnsäureausscheidung, modifiziert nach (14)
Erhöhte Harnsäure-Produktion
ernährungsbedingt
purin- und fruktosereiche Kost, Gewichtsabnahme
(Fasten)
hämatologische Ursachen
myeloproliferative und lymphoproliferative
Erkrankungen
andere Ursachen
Psoriasis, Tumorlyse-Syndrom
Erniedrigte renale Harnsäure-Ausscheidung
Medikamente
Ciclosporin, Thiazide, Schleifendiuretika,
Aspirin (500–1 000 mg/d)
renale Ursachen
Hypertonie, polyzystische Nierenerkrankung,
chronisches Nierenversagen unterschiedlicher Ätiologie
metabolisch/Endokrin
Dehydratation (oft assoziiert mit chirurgischen
Maßnahmen), Laktazidose, Ketose, Hypothyreose
andere Ursachen
Adipositas
Kombinierte Mechanismen
Alkohol, Schock, metabolisches Syndrom
(Adipositas, Hypertriglyceridämie)
Findet man keine Erklärung für die Gichtanfälle,
besonders bei jüngeren Patienten mit positiver Familienanamnese für Gicht, ist aufgrund der häufigen
Assoziation mit Nierenfunktionsstörungen neben
dem Serum-Kreatinin die Bestimmung der Kreatininund Harnsäure-Clearance aus 12- oder 24-StundenSammelurin sowie eine Urin-pH-Wert-Bestimmung
mittels Teststreifen sinnvoll (EN IIb) (7, 8, 11) (Grafik). Da Patienten mit Gicht ein bis zu 2,5fach höheres
Risiko für die Bildung von Harnsäuresteinen mit Entwicklung einer Uratnephropathie aufweisen, sollte eine Sonografie der Nieren zum Steinausschluss erfolgen (21, 22). Aufgrund der häufigen Assoziation mit
anderen metabolischen und endokrinen Erkrankungen
– über 50 % der Patienten leiden an einem metabolischen Syndrom – empfehlen die Leitlinien zur Risikostratifizierung die Bestimmung des Nüchtern-Blut-
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Uratkristalle zu beseitigen und der Entstehung neuer
Präzipitate vorzubeugen (16). Um dies zu erreichen,
sollten nach internationalen Empfehlungen bei Patienten mit rezidivierenden Gichtanfällen Serumharnsäurewerte möglichst unter 360 μmol/L (6,0 mg/dL) angestrebt werden (EN III) (8, 9, e18, e19, e20).
Akute Therapie des Gichtanfalles
Abbildung 1: Akuter Gichtanfall mit klassischer Podagra und Synovitis im Metacarpophalangealgelenk II
zuckers, gegebenenfalls des HbA1C, der NüchternBlutfette/-Cholesterol und der Schilddrüsenparameter
(EN IIa bis IIb) (1, 2, 9).
Im Frühstadium einer Arthritis urica sind nur selten
erosive Gelenkveränderungen radiographisch nachzuweisen. Trotzdem sollte in unklaren Fällen eine Röntgenaufnahme der betroffenen Gelenke durchgeführt
werden, um andere Ursachen wie Großzehengrundgelenksarthrose oder Psoriasisarthritis auszuschließen
(EN IIb) (Abbildung 2) (8). Gelenkergüsse und Tophi
lassen sich gut mittels der Gelenksonografie darstellen, dies ist vor einer Gelenkpunktion sowie zur Verlaufsbeurteilung oft hilfreich (EN III) (e16, e17).
Therapie der Gicht
Erstes Therapieziel ist die Akutbehandlung des Gichtanfalles durch rasche Schmerzlinderung und Entzündungshemmung. Längerfristiges Ziel ist es, durch konsequente Harnsäuresenkung weitere Gichtanfälle zu
verhindern, Tophi zu beseitigen und einer Gelenkzerstörung vorzubeugen (9). Es wird postuliert, dass die
Gicht „heilbar“ ist, wenn es gelingt, bereits abgelagerte
Neben unspezifischen Maßnahmen (EN III), wie Ruhigstellen und Kühlen des betroffenen Gelenkes werden antiphlogistische Medikamente eingesetzt (19). An
erster Stelle steht hier die frühzeitige, kurzfristige Gabe
von nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), wie
zum Beispiel Diclofenac (bis 250 mg/d) oder Ibuprofen
(bis 2 400 mg/d) oder Indometacin (bis 150 mg/d) sowie des für den Gichtanfall zugelassenen Cyclooxygenase-2-Hemmers Etoricoxib (120 mg/d) (EN Ib) (e21).
Bei positiver Anamnese für gastrointestinale Ulzera
oder Blutung sollten zusätzlich Protonenpumpeninhibitoren verabreicht werden (e22). Alternativ kann bei
normaler Nierenfunktion Colchicin eingesetzt werden,
welches – zweistündlich in einer Dosierung von 0,5 mg
gegeben – bei 80 % der Patienten innerhalb eines Tages
zur Beherrschung des Gichtanfalls führt (e23). Allerdings treten bei höheren Dosen häufig Übelkeit und
Durchfall auf. Bis dreimal 0,5 mg/d verabreicht, ist es
in der Regel gut verträglich und ausreichend wirksam
(EN Ib) (9, 18, e24, e25). Als weitere Option, besonders
bei Kontraindikationen, Unverträglichkeit und fortgeschrittener Niereninsuffizienz, können Glucocorticosteroide (20 bis 40 mg Prednisolonäquivalent/d) eingesetzt werden (EN Ib) (Tabelle 4) (7, 19, e26).
Langzeittherapie zur Harnsäuresenkung
Als Allgemeinmaßnahmen sollten dem Patienten Hinweise zu möglichen Änderungen der Lebensgewohnheiten gegeben werden, die zu einer Verbesserung des
gesamten metabolischen Profils führen können (19).
Ein ausführliches Gespräch zu Therapiebeginn verbessert oft das Verständnis des Betroffenen und damit
die Compliance. Viele Patienten verstehen nicht, dass
die Therapie des akuten Gichtanfalles keine kausale
Therapie der Gicht darstellt. Wie durch neue Daten
belegt ist, wird in Deutschland die harnsäuresenkende
Abbildung 2:
Chronische Gicht.
a) Tophöse Gicht mit
destruierenden Gelenkveränderungen
und subkutan gelegenen Harnsäuredepots,
b) radiologische
Veränderungen bei
tophöser Gicht
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Medikation bei Beschwerdefreiheit oft nach 3 Monaten beendet, nach einem Jahr erhalten nur noch 30 %
der Gichtpatienten Allopurinol (2).
Neben reduzierter Aufnahme von purinreicher Kost
durch Meiden von Innereien und Meeresfrüchten,
sollte der Genuss von fruktosehaltigen Getränken, sogenannten Softdrinks, eingeschränkt werden. Diese
vermindern die Harnsäureexkretion. Der Speiseplan
sollte reich an Milch und fettreduzierten Milchprodukten sowie pflanzlichem Protein sein (4). Wesentlich ist die Einschränkung des Alkoholkonsums: es
sollte mindestens drei alkoholfreie Tage pro Woche
geben. Bier ist wegen seines hohen Puringehaltes zu
meiden, ein Glas Wein gilt bei Gicht als unbedenklich
(5). Eine vorsichtige Gewichtsreduktion von < 1
kg/Monat mit leichtem körperlichem Training sind
anzustreben (e27). Eine raschere Gewichtsabnahme
kann über eine Ketoazidose Gichtanfälle provozieren.
Patienten mit Nierensteinanamnese wird empfohlen,
mehr als 2 Liter täglich zu trinken. Diese Änderungen
der Lebensgewohnheiten (EN IIb bis IV) tragen allerdings meist nur moderat zur Harnsäuresenkung bei.
So ist zum Beispiel mit konsequenter purinarmer Diät
eine 10- bis 15prozentige Senkung des SerumHarnsäurespiegels zu erzielen (4). Bei häufig gemessenen Ausgangswerten von 480 μmol/L (8 mg/dL)
würde der erreichte Wert mit 400 μmol/L (6,7 mg/dL)
immer noch über dem für Gichtpatienten erforderlichen Zielbereich liegen (19).
Indikation und Zeitpunkt einer zusätzlichen medikamentösen
harnsäuresenkenden Therapie
Auch wenn es sich in der Praxis oft schwer umsetzen
lässt, wird empfohlen, möglichst bei Patienten, die einen zweiten Gichtanfall im Verlauf eines Jahres erlitten haben, mit einer medikamentösen harnsäuresenkenden Therapie zu beginnen. Weitere Therapieindikationen sind destruierende Gelenkveränderungen
und / oder Tophi und Bestehen einer gichtbedingten
Niereninsuffizienz (Uratnephropathie) mit / ohne
Harnsäuresteinen (EN IIb bis IV) (19, e28, e29).
Der Therapiebeginn sollte möglichst nicht beim
akuten Anfall erfolgen, weil durch die Auflösung von
Kristalldepots die Gefahr von Gichtanfällen zusätzlich
erhöht ist (EN IV) (e30). Wenn möglich, empfiehlt es
sich, den Patienten im Anfall mit antiphlogistischen
Medikamenten zu versorgen und ihn nach 2 bis 3 Wochen zur Harnsäurebestimmung wiederzubestellen,
um dann mit der Therapie zu beginnen. Seit der Markteinführung 1964 ist in Deutschland zur Harnsäuresenkung der kostengünstige Xanthinoxidase-Inhibitor Allopurinol verfügbar (e31). Allopurinol sollte unter
Kontrolle der Serumharnsäure einschleichend titriert
werden. Es wird mit 100 mg begonnen und je nach
Harnsäurewert um 50 bis 100 mg wöchentlich bis maximal 800 mg gesteigert (EN III) (19). Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss eine Dosisanpassung
entsprechend der glomerulären Filtrationsrate (GFR)
erfolgen (GFR < 30 mL/min jeden zweiten Tag 100 mg
Allopurinol) (23). Dies ist wichtig, um eine mögliche
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GRAFIK
Behandlungsalgorithmus der Gicht, *1 Dosistitration von Allopurinol nach S-HSR, bis maximal
800 mg/d unter Kontrolle der Nierenfunktion; *2 Harnalkalisierung mit Zitratgemischen zur
Prophylaxe von Uratsteinen ( EN III); *3 in Österreich und der Schweiz nicht verfügbar; PPI,
Protonenpumpeninhibitor; S-HSR, Serum-Harnsäure; Crea, Kreatinin; GFR, glomeruläre Filtrationsrate; modifiziert nach (19)
toxische Akkumulation von Oxipurinol, einem langwirksamen Metabolit von Allopurinol, mit der Gefahr
der Entwicklung eines Allopurinol-Hypersensitivitätssyndroms zu verhindern (23, e32, e33). Im Gegensatz
zu in 2 % der Fälle auftretenden unkompliziert verlaufenden Hautreaktionen mit Rötung und Juckreiz, kann
sich in 1 : 300 Fällen diese bei bis zu 20 % der Patienten letal verlaufende Komplikation entwickeln (e34).
Typisch sind generalisierter Juckreiz mit ekzemartigen
Hautveränderungen, Leberwerterhöhungen und Blu-
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TABELLE 4
Therapie des akuten Gichtanfalles mit Angabe des Evidenzniveaus (in Klammern)
Therapeutische
Alternativen
(Evidenzniveau)
Anmerkungen / Bedenken
nicht pharmakologisch
(III)
Ruhigstellung, Hochlagerung
lokale Kälteanwendung
NSAR / Coxibe
(± PPI)
(I b)
nicht bei Patienten mit Ulkuserkrankung, gastrointestinaler Blutung,
NSAR-induziertem Asthma oder Nierenfunktionsstörung
Interaktion mit Cumarin / Warfarin
gastrointestinale
Nebenwirkungen
renale Effekte
Colchicin
(I b)
Vorsicht bei renaler oder hepatobiliärer Dysfunktion, akuten Infektionen,
Alter > 70 Jahre
Medikamenteninteraktionen
Cave: Diarrhö, gastrointestinale Unverträglichkeit und lokale
Gewebenekrosen
Potenzial für ernste
Nebenwirkungen
Glucocorticosteroide
(I b)
Verschlechterung der diabetischen Stoffwechsellage bei Diabetes mellitus
möglicher Bedarf zusätzlicher antientzündlich wirksamer Substanzen /
Schmerzmittel oder Einsatz von moderaten bis hohen Dosen
Bluthochdruck
Blutzuckererhöhung
Osteoporose
gastrointestinale
Nebenwirkungen
teosinophilie, die erst mit einer Latenz von Wochen bis
Monaten nach der ersten Allopurinoleinnahme auftreten (24, e33). Bei Allopurinolunverträglichkeit, ungenügender Harnsäuresenkung sowie primärer Hyperurikämie mit einer Einschränkung der renalen
Harnsäureexkretion < 800 mg/24h bei sonst normaler
Nierenfunktion kann unter Leberwertkontrolle eine
urikosurische Therapie mit Benzbromaron (20 bis 100
mg/d) oder Probenecid (1 bis 3 g/d in 3 Einzeldosen)
erfolgen. Zur Nierensteinprophylaxe und zusätzlichen
Verbesserung der Harnsäureausscheidung können bei
erniedrigtem Urin-pH harnalkalisierende Substanzen
gegeben werden (EN Ia bis III) (7, e35) (Tabelle 1).
Interessant erscheinen die Daten einer jüngst veröffentlichten randomisierten Vergleichsstudie, die die
drei verfügbaren Substanzen bezüglich ihrer harnsäuresenkenden Wirkung mit dem Zielbereich für Serumharnsäure < 300 μmol/L (5,0 mg/dL) untersucht. Im
Vergleich zu nur 24 % der mit 300 mg/d Allopurinol
behandelten Patienten erreichten 92 % der mit 200
mg/d Benzbromaron und 65 % der mit 2 000 mg/d
Probenecid Behandelten eine optimale Harnsäuresenkung (EN Ib) (e36). Sollten unter der harnsäuresenkenden Therapie vermehrt Gichtanfälle auftreten,
wird zur Anfallsprophylaxe Colchicin (0,5 mg/d) für
die ersten 6 Wochen bis zu 6 Monaten empfohlen (EN
1b). Dies ist auch nach eigenen Erfahrungen jedoch
nur ganz selten erforderlich (7, 9, 19, e37).
In der Regel muss die Harnsäuresenkung über mehrere Jahre und oft lebenslang erfolgen; dies ist aber eine individuell zu treffende Entscheidung (e18, e38,
e39). Eine über lange Zeit durchgeführte, kontrollierte
harnsäuresenkende Therapie führt dazu, dass Patienten
auch nach Beendigung der Therapie für eine längere
Zeit anfallsfrei bleiben (EN III) (25, e40). Es ist wichtig, dass im Verlauf der Therapie regelmäßig die Serumharnsäurewerte bestimmt werden (EN IV) (7, 19).
554
Komplikationen bei
chronischem Einsatz
Ausblicke
Eine kürzlich zugelassene Alternative, beispielsweise
bei Allopurinolunverträglichkeit, Kontraindikationen
für oder Nichtverfügbarkeit von Urikosurika (Benzbromaron / Probenecid in Österreich und der Schweiz
nicht erhältlich) scheint der Xanthinoxidaseinhibitor
Febuxostat darzustellen. Von Vorteil ist der mögliche
Einsatz bei Niereninsuffizienz, weil Febuxostat hepatisch abgebaut wird. Aktuelle Studien ergaben, dass
bei vergleichbarem Nebenwirkungsprofil eine effektivere Harnsäuresenkung erreicht wird. 53 % der mit 80
mg/d und 62 % der mit 120 mg/d Febuxostat Behandelten hatten Serumharnsäurewerte unter 360 μmol/L
(6,0 mg/dL) im Vergleich zu 21 % der mit 300 mg/d
Allopurinol Behandelten. Eine Überlegenheit von Febuxostat gegenüber Allopurinol bezüglich der Reduktion von Gichtanfällen als klinischem Parameter
konnte jedoch nicht gezeigt werden (e41, e42). Febuxostat käme so als mögliches Ausweichpräparat bei
Unverträglichkeit von oder Kontraindikationen gegen
Allopurinol infrage, wenn auch die Therapie mit Urikosurika ausgeschöpft oder nicht möglich ist. Als innovatives Präparat werden die Tagestherapiekosten
voraussichtlich deutlich über denen von Allopurinol
(Centbereich) liegen.
Die Therapie mit rekombinant hergestellter Uratoxidase sowie ihrer längerwirksamen pegylierten Form
für den Abbau der Harnsäure zum gut wasserlöslichen
Allantoin ist bisher nur für das Tumorlysesyndrom zugelassen. Auch wegen des gehäuften Auftretens
schwerer anaphylaktischer Reaktionen durch mögliche Antigenität aufgrund eines tierischen Anteils und
hoher Kosten von circa 10 000 Euro/Jahr ist diese
Therapie nur für seltene Fälle mit schwerer tophöser
Gicht im Rahmen eines individuellen Heilversuches
zu diskutieren; erste Daten von Phase-2-Studien liegen vor (e43, e44).
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Interessenkonflikt
Dr. Tausche und Prof. Dr. Müller-Ladner erhielten Honorare für Vorträge und
Beratung der Firma Ipsen, Frankreich. Dr. Jansen, Prof. Schröder, Prof. Bornstein und Prof. Aringer erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der
Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 25. 04. 2008, revidierte Fassung angenommen: 19. 01. 2009
LITERATUR
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Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Anne-Kathrin Tausche
Medizinische Klinik III, Abteilung Rheumatologie
Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden
Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
E-Mail: anne-kathrin.tausche@uniklinikum-dresden.de
SUMMARY
Gout—Current Diagnosis and Treatment
Background: Because of the changing dietary habits of an aging population, hyperuricemia is frequently found in combination with other
metabolic disorders. Longstanding elevation of the serum uric acid
level can lead to the deposition of monosodium urate crystals, causing
gout (arthritis, urate nephropathy, tophi). In Germany, the prevalence
of gouty arthritis is estimated at 1.4%, higher than that of rheumatoid
arthritis. There are no German guidelines to date for the treatment of
gout. Its current treatment is based largely on expert opinion.
Methods: Selective literature review on the diagnosis and treatment of
gout.
Results and conclusions: Asymptomatic hyperuricemia is generally not
an indication for pharmacological intervention to lower the uric acid
level. When gout is clinically manifest, however, acute treatment of gouty
arthritis should be followed by determination of the cause of hyperuricemia, and long-term treatment to lower the uric acid level is usually
necessary. The goal of treatment is to diminish the body's stores of
uric acid crystal deposits (the intrinsic uric acid pool) and thereby to
prevent the inflammatory processes that they cause, which lead to
structural alterations. In the long term, serum uric acid levels should
be kept below 360 µmol/L (6 mg/dL). The available medications for
this purpose are allopurinol and various uricosuric agents, e.g., benzbromarone. There is good evidence to support the treatment of gouty
attacks by the timely, short-term use of non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID), colchicine, and glucocorticosteroids.
Key words: allopurinol, gout, hyperuricemia, deposits of uric acid,
treatment
Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2009; 106(34–35): 549–55
DOI: 10.3238/arztebl.2009.0549
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit3409
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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MEDIZIN
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