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metallnachrichten
Textil- und Bekleidungsindustrie Baden-Württemberg
Oktober 2005
Fadenscheinige Versuche stoppen!
Der Flächentarifvertrag schützt vor unzulässigen Forderungen der Unternehmen
Man probiert’s halt – so lässt sich das Verhalten etlicher TextilUnternehmensleitungen beschreiben, die in letzter Zeit ihrer
Belegschaft in die Tasche greifen wollten. Grundlage der durchsichtigen Versuche sollte der Flächentarifvertrag sein, der 2004
in Pforzheim beziehungsweise Niedernhausen für die Textilindustrie in Baden-Württemberg vereinbart wurde. Doch wache
Betriebsräte verhindern, dass ihre Leute über den Tisch gezogen werden. Man probiert’s halt – aber es geht nicht.
Der Flächentarifvertrag für
die Textil- und Bekleidungsindustrie bietet etliche Möglichkeiten, auf die differenzierte Situation der Branche
zu reagieren – zur Hilfe für Unternehmen in Krisen und zum
Schutz von Arbeitsplätzen.
Doch immer mehr Geschäftsleitungen wollen unter Berufung auf diesen Tarifvertrag die 40-Stunden-Woche
durchsetzen. Der Pforzheimer (Niedernhausener) Abschluss lässt unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen vom Tarifvertrag zu.
Seit Unterzeichnung des Vertrages vor gut einem Jahr gab
es allerdings erst zwei echte sogenannte »PforzheimFälle« – also Unternehmen,
in denen mit Zustimmung
der Tarifvertragsparteien von
den geltenden Tarifstandards
abgewichen wurde: Hier wurde Beschäftigung aufgebaut,
bei erheblichen Investitionen
zur Standort- und Beschäftigungssicherung.
Für alle anderen Unternehmen gilt, mit Ausnahme der
Sanierungsfälle, der Tarifvertrag unverändert (Sanie-
rungsfälle gab es auch schon
früher – Unternehmen, denen zum Beispiel die Aufträge wegbrechen).
Wenn die Manager gesunder
Unternehmen die Belegschaft
um Zugeständnisse angehen, werden Standortvorteile gezielt außer Acht gelassen: beispielsweise qualitativ hochwertige Arbeit und
qualifizierte Arbeitnehmer/
innen. Diese Standortvorteile
wurden dank der Tarifverträge erzielt und haben die Voraussetzung für die Unternehmen geschaffen, sich gut am
Markt zu platzieren.
Alles deutet auf eine gezielte
Aktion der Arbeitgeber hin,
im Vorfeld der anstehenden
Tarifrunde die Arbeitszeit
nach oben treiben zu wollen. Dagegen werden wir uns
wehren.
»Gute« Beispiele für
schlechte Praktiken:
Wie gesunde Unternehmen
auf Kosten ihrer Belegschaft
Vorteile einschieben möchten, finden Sie hier und auf
der Rückseite dieser metallnachrichten beschrieben:
»Unser Arbeitgeber konfrontierte uns im letzten
Dezember mit einem ganzen Katalog an Forderungen«, berichtet Salvatore
Danze, Betriebsrat bei BST
Safety Textiles in Maulburg.
Der Hersteller von Airbag
Systemen wollte nicht nur
Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld kassieren, auch
die Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden
ohne Lohnausgleich war
Fortsetzung auf der Rückseite Textil kann kämpfen: Auch im letzten Jahr haben viele Belegschaften bei Protestaktionen gezeigt, dass sie ihre Interessen aktiv vertreten.
Fortsetzung von Seite 1
darin enthalten. »Die Eigenkapitalquote war dem
Eigner zu niedrig«, so Danze weiter. Mit dem Forderungspaket wollte man
notwendige Investitionen
bei dem Automobilzulieferer auf die Schultern der
Beschäftigten verlagern.
Doch der Betriebsrat blieb
hart und im Januar war die
Forderung vom Tisch.
Für Danze liegt der Fall
klar: »BST war ein klassischer Versuch geltende
Tarifverträge zu umgehen
und trotz guter Ertrags- und
Auftragslage den Beschäftigten in die Tasche zu greifen. Die geltenden Tarifverträge der IG Metall haben
hier allerdings einen Riegel vorgeschoben.«
Eine verschärfte Konfrontation sucht auch die Geschäftsleitung der Firma
Hornschuch in Weißbach:
»Eine Latte an Forderungen und nicht der Hauch
einer Gegenleistung. So
will man das Unternehmen schön machen für die
Brautschau«, vermutet
Monika Lersmacher von
der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württmberg.
Obwohl das vergangene Geschäftsjahr das beste der Geschichte des D-CFix-Herstellers war und der
Umsatz um 7,1 Prozent auf
130,6 Millionen Euro und
der Gewinn vor Steuern
von 4,3 auf 7,7 Millionen
Euro gesteigert wurde, will
man die rund 770 Beschäftigten zur Kasse bitten.
So will man auch bei dem
Oberflächenspezialisten
die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit um zwei
Stunden erhöhen. Lohnoder Freizeitausgleich will
man allerdings nicht zugestehen. Auch eine Beschäftigungsgarantie will
Vorstandschef Rolf Gemmersdörfer nicht geben.
Ein Erfolg
ist sichtbar
Mehmet Dikme, Betriebsratsvorsitzender Benecke-Kaliko AG,
Werk Eislingen:
Salvatore Danze,
Betriebsrat bei der Firma BST:
Unternehmer
machen Fehler
»Wir produzieren Technisches
Gewebe, die Auftragslage bei
der BST ist sehr gut.
Bis heute hat unsere Geschäftsführung im Bezug auf
die 40-Stunden-Woche keine
neue Forderung gestellt. Ich
hoffe, es bleibt auch so.« »Die Frage ist nicht, wer wieviel hergeben muss, um ›sein‹
Unternehmen zu retten, sondern, wann denn die Unternehmer genug haben. Zumindest die Nimmersatten werden
nie genug bekommen können.
Dabei machen sie verheeren-
de Fehler, denn sie verbreiten
Angst! Irgendwann allerdings
wird aus Angst, die zunächst
lähmt, Wut. Und wer wütend
ist, hat keine Angst mehr!
Dabei ist dies alles nicht notwendig, weil die Menschen in
diesem Land und in den einzelnen Betrieben erstklassige
Arbeit abliefern. Sie sind kreativ, innovativ und vor allem
gut ausgebildet.
Dass sie mit Billiglohnländern nicht konkurrieren können, wissen alle. Dafür wird
aber die Arbeit in diesem Land
nicht unter menschenverachtenden Bedingungen wie Kinderarbeit, Terror und Folter
sowie rechts- und gewerkschaftsfreien Zonen erledigt.
Auch dies ist ein hohes Gut,
welches wir in jedem Falle unterstützen und verteidigen
müssen.«
Wir sind flexibel genug
Rüdiger Carle,
Konrad Hornschuch AG:
»Ich halte unseren Tarifvertrag für vollkommen ausreichend. Bei konsequenter
Ausnutzung ist in diesem für
Arbeitgeber und Arbeitnehmer so viel Flexibilität enthalten, dass beide Seiten sehr
gut damit leben können.
Eine Öffnung des Tarifvertrags zur Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich
und Zeitausgleich ist erstens
arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv und zweitens würde sich die Spirale zu noch
mehr und längerer Arbeitszeit
unaufhaltsam zu unseren Ungunsten weiterdrehen.
Wir Arbeitnehmer würden
bei einer Arbeitszeitverlängerung nicht nur unsere Freizeit
opfern, sondern auch unsere
Gesundheit. Die Folgen sind
hinreichend bekannt, höhere
Abgaben an die Krankenkassen, Erhöhung der Beiträge
zu Arbeitslosenversicherung,
Erhöhung der Rentenbeiträge bedingt durch gesundheitliche Schäden und so weiter.
Ganz zu schweigen von der
Inlandsnachfrage.
Das unsoziale Verhalten der
Arbeitgeber muss unterbunden werden. Deshalb bin ich
für den Erhalt des Flächentarifvertrags, der für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer
die gleichen Voraussetzungen schafft.
Wir wollen Wettbewerbsvorteil durch Innovation, nicht
durch unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit.«
Impressum: IG Metall Bezirk Baden-Württemberg · Jörg Hofmann
Redaktion: Kai Bliesener, Monika Lersmacher
Stuttgarter Str. 23 · 70469 Stuttgart · Telefon 0711 16581-0 · Fax 0711 16581-30
E-Mail: bezirk.baden-wuerttemberg@igmetall.de
Mehr Infos im Internet: www.bw.igm.de
Wolfgang Schwarz, GBR-Vorsitzender Paul Hartmann AG:
Tarifverträge
schützen!
»Wir haben die aktuellen Anforderungen an mehr Flexibilität im Rahmen des Tarifvertrages zu Arbeitszeitkonten
geregelt. Damit wurde den
betrieblichen Anforderungen
entsprochen, aber auch die
Beschäftigten haben ihren individuellen Zeitrahmen.
Weiterhin haben wir eine
Standortsicherung in Heidenheim vereinbart, ohne in den
Flächentarifvertrag einzugreifen. Für die betroffenen Bereiche wurden Regelungen
oberhalb des Flächentarifvertrages gekürzt.
Nur eine klare Positionierung
der IG Metall und Betriebsräte zum Flächentarifvertrag ist
die richtige Antwort!«