1 EURO - Trekkingbike

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1 EURO - Trekkingbike
Reise Suffolk
Landliebe
Suffolk, der östlichste Zipfel Englands, liegt nur eine
Fahrstunde vom lauten London entfernt. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Aus den stillen
Hügeln spitzen die Dächer mittelalterlicher Dörfer.
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Vor fast 700 Jahren wurde Leiston Abbey gebaut. Selbst die
Trümmer sind eindrucksvoll.
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Unverwüstlich und spülmaschinenfest: die Königin auf Sammeltassen.
Text und Fotos
Jörg Spaniol
D
er Hausgeist? Oh nein, so viel Folklore-Kitsch
muss wirklich nicht sein. Aber das Wasserglas auf
dem Nachttisch bewegt sich, zuerst langsam, dann
zügig. Und kein Mensch da, der es angeschoben
hätte. Dafür Schritte auf dem Flur … Als das Glas
schließlich dumpf auf den Teppichboden fällt, ist
der zuständige Geist schnell identifiziert: Wenn es einer war, dann
war es der Zeit-Geist, der sechs Jahrhunderte lang die Dielen des
Hotels „The Angel“ so weit verbogen hat, dass nur noch schiefe
Ebenen übrig sind. Der Nachttisch ist eine schiefe Bahn. Eine kleine
Erschütterung dazu, und fertig ist der Wasserfleck.
In Lavenham kennt vermutlich jedes Kind solche Unfälle. Geschätzte zwei Drittel aller Häuser des mittelalterlichen Städtchens stehen
so sichtbar schief, dass rechte Winkel und ebene Flächen eher
Zufall sind. Doch die uralten Fachwerkhäuser stehen noch, allen
Kriegen, Nöten und Feuern zum Trotz. Denkt man sich die Autos
weg, gehen sie mit geringen Umbauten als Filmkulisse durch: Lavenham tauchte als „Godric Hollow“ in der Harry-Potter-Verfilmung
„Heiligtümer des Todes“ auf.
Wenn man sich Suffolk als ein samtiges grünes Tuch auf welligem
Untergrund vorstellt, sind die schmucken Dörfer die Perlen, die
sich in den Falten sammeln. Die Wege zwischen ihnen, die entdeckt
man jedoch erst ganz aus der Nähe. Während sich die Autobahn
aus dem nahen London als lärmende Schneise übers satte Grün
fräst, sind Suffolks alte Verbindungswege verwinkelt und erfüllt von
lautem Vogelgezwitscher. Zwischen den großen Getreidefeldern der
Grafschaft Suffolk stehen mannshohe Hecken. Und zwischen diesen
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In Londons Speckgürtel: Framlingham College mit Golfplatz.
Individuell und pauschal
Ein Sommer wie dieser erfordert solide
Strandhäuschen.
Die hier beschriebene Reise
folgt einem Trend: Immer mehr
gebuchte Radreisen (bei manchen
Veranstaltern bis zu 90 Prozent)
sind individuelle Pauschalreisen.
Wer sie bucht, fährt ohne Führer
oder Gruppe. Die Wegweisung
übernehmen Landkarten, Roadbooks
oder GPS-Daten, die der Veranstalter
zur Verfügung stellt. Die Hotels
sind vorgebucht, das Gepäck wird
ins jeweils nächste Etappenziel
Vertrauenssache: Gute Veranstalter kennen (und transportiert. Diese Art zu reisen
buchen) das angenehmste Hotel am Ort.
muss nicht dramatisch teurer sein
als eine selbstorganisierte Reise,
da die Veranstalter von den Hotels bessere Konditionen bekommen als ein
kurzfristig anreisender Tourist. Unsere Reise wurde von „Radweg-Reisen“
unterstützt. Angesichts des verwirrenden Netzes aus Nebensträßchen und
des spärlichen Hotelangebots erwies sich die Veranstalterreise als gute Wahl.
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Baden verboten, es regnet waagrecht – und die Engländer tragen Shorts.
Kreta
Konservativ und königstreu: Auffahrt einer typischen Farm.
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Hecken, eingegraben von jahrhundertelangem Gebrauch, führen einspurige Sträßchen von Hof zu Hof, von Dorf zu Dorf. Radfahren in
Suffolk ist über weite Strecken eine Fahrt in einer Art grüner BobBahn. Es hätte anders kommen können.
In den 50er Jahren sollte die Landwirtschaft so produktiv wie
möglich werden. Die alten Hecken galten als hinderlich für den
Einsatz großer Maschinen, und so begann ihre Rodung. Bald jedoch
erkannten Landschaftsschützer den Wert dieser Gehölze in einer
ansonsten waldarmen Gegend. Heute stehen viele Hecken unter
Schutz – zugunsten einer immensen Population an Fasanen, Singvögeln, Eichhörnchen, Kaninchen … und zur Freude der Radler:
Suffolk liegt am Meer. Der Wind ist allgegenwärtig. Und wenn
wieder einer dieser unberechenbaren Regenvorhänge über das Land
streift, ist man besonders froh über den Windschutz aus grünem,
verschränktem Geäst.
Ob diese hohen Hecken auch die modernen Zeiten abweisen? Suffolk ist ländlich, halb so dünn besiedelt wie der Rest Englands, alle
seine Abgeordneten im Londoner Parlament sind konservativ. Eine
Beschaulichkeit, die sich um die kantigen Kirchen mit ihren Feuersteinfassaden sammelt. „Sonntag ab 16 Uhr Bingo!“, verheißen die
Aushänge dort, sie laden zu einer „Nackte-Schafe-Party“ zur Feier
der Schafschur und künden vom jährlichen „Garten-Parcours“ der
Gemeinde: Dabei wandeln die Teilnehmer von Garten zu Garten
und prämieren Blumenschmuck und Anlage der üppigen Hausgärten. Die Winter sind mild, und so gedeihen Palmen und meterhohe
Rhododendren vor den geduckten Häuschen. „Gardening“ ist Nationalsport. Wer an einem der gepflegten Vorgärten steht und staunt,
wird nicht misstrauisch verscheucht, sondern in ein Fachgespräch
verwickelt. Vor Farmen und Privathäusern stehen immer wieder
wacklige Tischchen mit selbstgezogenen Pflanzen und handgeschriebenem Preisschild, daneben ein Teller für das Kleingeld. Eine Telefonzelle ohne Telefon dient einer Siedlung als Leihbibliothek: Man
stellt nicht mehr gewünschte Bücher hinein und nimmt sich heraus,
was die Nachbarn schon gelesen haben. Ruhiges Landleben, in dem
ausländische Gäste geradezu exotisch sind.
Etwas lebhafter wird es am Wochenende. Dann rollen die allerneuesten „Range Rover“-Geländewagen mit getönten Scheiben zu entlegenen Farmen, eine Anhängerkupplung ist Standard. Pferdetransporter klappen auf, halbverwaiste Höfe füllen sich mit Vertretern
der Londoner Upperclass. Weniger wohlhabende Tagesausflügler
wandern um Burgruinen, in aufgerüschte Gasthöfe und in Vogel-
Lavenhams Zentrum ist mittelalterlich – bis auf die Straßen …
Seelentröster „cream Tea“
Cream Tea ist eine
südwestenglische
Spezialität und umfasst
Schwarzen Tee, Scones
(feste Rosinenbrötchen),
Erdbeermarmelade
und Clotted Cream,
eine höchst nahrhafte,
feste Sahne. Sahne und
Marmelade gehören auf
die Rosinenbrötchen.
Die Reihenfolge des
Schmierens verrät
Insidern angeblich, ob
man aus Devon oder
Cornwall stammt.
Selbsthilfe: In dieser Leihbibliothek steht, was die Nachbarn gelesen haben.
Radfahren in Suffolk ist über
weite Strecken eine Fahrt in
einer Art grüner Bobbahn.
schutzgebiete. „Birdwatching“, die Vogelbeobachtung, scheint genauso britisch zu sein wie die Gärtnerei: in Tarnfarben, mit martialisch
wirkenden Stativen und kanonengroßen Fernrohren verteilen sich
reifere Herrschaften in die Wälder. Vielleicht sind sie heute auch
gekommen, um ihre Ausrüstung ein wenig zur Schau zu stellen.
Im Infocenter des Dunwich Forest ist „Optics Day“ – der richtige
Anlass, um 500-Euro-Stative und noch teurere Fernrohre ausgiebig
zu diskutieren. Sonntagsmittags – man vermutet die Damen beim
„Cream Tea“, die Herren auf der Jagd – umgibt den Radler dann
ein perfektes ländliches Idyll. Kaum vorstellbar, dass hier andere
Probleme als Mehltau im Rosenbeet oder Feinheiten der Pferdezucht verhandelt werden. Das Fahrrad in seiner Eigenschaft als
„Pferd der Landlosen“ wirkt da direkt ein wenig ärmlich.
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Fast schon ein Neubau: die Kirche von Stoke-by-Nayland aus dem 16. Jahrhundert.
Den krönenden Abschluss der nostalgischen England-Expedition soll die Küste abgeben. Und ragte nicht die Atomanlage
Sizewell aus der Ferne in den Dunst, wäre Southwold der
ideale Ort, um sich in die Fünfziger Jahre zu fantasieren.
Das Meer empfängt uns in Nordsee-Grau, gewürzt mit großen Regentropfen und einem Wind, der auffliegende Vögel
durcheinanderwirbelt wie hochgeworfenes Laub. An der
Strandpromenade mit ihren bunten Hüttchen hat der Wind
die rote Badeverbotsflagge arg zerzaust, Gischt rollt über den
Sandstrand. Ungerührt sitzen die Engländer (und andere Touristen trifft man hier praktisch nie) in kurzen Hosen herum
und genießen ihre Fish-and-Chips-Tagesdosis, doch wir verstecken uns lieber zwischen den bunten Häuschen der Stadt. Ein
Zeitsprung rückwärts, auch hier. Das ursprüngliche Southwold
brannte vor gut 300 Jahren ab und wurde neu errichtet. Die
300-jährigen Häuserzeilen sind in diesem Winkel Englands
schon fast ein Neubaugebiet. Kleine Läden mit handgemalten Schildern über weißgerahmten Fenstern, eine hölzerne
Pier ragt weit ins Meer. „England Classic“, eine lebende
Postkarte – heute leider versaut durch die waagerechten
Striche, die Wind und Regen ins Bild malen. Flucht
in die trockene Behaglichkeit eines Cafés. Eine sehr
gepflegte ältere Dame bringt den „großen“ Cappuccino, einen Pott von der Größe eines Radhelms. „He,
der ist aber wirklich ‚large‘!“ Darauf die Dame, beiläufig und zuckersüß: „Mach dir keine Sorgen, dear.
Wir haben doch Toiletten!“ Nichts hilft besser gegen
Schmuddelwetter als Heißgetränke und Humor.
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Landadel:
Manches mittelalterliche
Gasthaus
überrascht mit
feiner Küche.
„Frisch vom
Boot“: Fischstand am Hafen
von Southwold.
Info
Suffolk-Runde
350 kilometer, 2150 Höhenmeter
Charakter
Die Grafschaft Suffolk liegt im
äußersten Osten Englands, nordöstlich von London.
Prominente Städte fehlen, die leicht wellige Gegend
(der höchste „Berg“ ist nur 128 Meter hoch) wird
überwiegend landwirtschaftlich genutzt und ist dünn
besiedelt. Durch die Lage an der Nordsee ist das Klima
eher kühl, aber gemäßigt. Statistisch fällt nicht mehr
Niederschlag als im deutschen Durchschnitt.
Die hier beschriebene Route folgt zum Teil durchmarkierten Radwegen (z. B. „National Cycle Route“ Nr. 1
und Nr. 51), mäandert aber auch ohne Radwegbeschilderung über kleine, asphaltierte Nebensträßchen. Eine
bergtaugliche Schaltung ist Pflicht. Insgesamt ist die
Ausschilderung der Straßen sehr gut.
Die Etappen
Tag 1: 60 Km, 450 Hm
Needham Market – Bentley – Flatford – East Bergholt –
Dedham – Stoke by Nayland
Nach wenigen Kilometern setzt der Abstecher nach
Flatford einen Akzent: Die Siedlung diente dem
romantischen Maler John Constable Anfang des 19.
Jahrhunderts als Vorlage für etliche Gemälde. Sie
sieht heute noch fast genauso aus wie damals.
Tag 2: 35 Km, 350 Hm
Stoke-by-Nayland – Hadleigh – Lindsey – Monks Eleigh
– Preston St. Mary – Lavenham
Auf dieser kurzen Etappe durch die grünwellige
Provinz verstecken sich drei Highlights für Freunde
englischen Landlebens: die einstige Wollhändler-Stadt
Hadleigh, das hügelige Kersey und das mittelalterliche
Lavenham.
tag 3: 64 Km, 500 Hm
Lavenham – Hartest – Bury St. Edmunds – Badwell Ash
– Stoke Ash
Auch hier setzt eine Siedlung den Höhepunkt: die
fast 1000-jährige Stadt Bury St. Edmunds. Die üppig
dimensionierten Kirchen deuten an, wie reich die Stadt
einst war. Die Kathedrale wurde nach gut 500-jähriger
Bauzeit erst 2005 „amtlich“ fertiggestellt.
tag 4: 65 Km, 350 Hm
Stoke Ash – Debenham – Framlingham – Peasenhall –
Westleton
Wenn es richtig rittermäßig aussehen soll, führt kein
Weg an der Ruine von Framlingham vorbei. In erster
Linie besichtigt man hier die Mauern; guter Fernblick
von der Mauerkrone.
tag 5: 55 Km, 200 Hm
Westleton – Halesworth – Southwold – Walberswick –
Dunwich – Westleton
Im fein herausgeputzten Kersey spielten mehrere TV-Seifenopern.
Noch einmal zurück ins Farmerland, um schließlich das
nostalgisch-schmucke Seebad Southwold zu besichtigen
– die einzige Etappe der Tour mit direktem Meerblick.
tag 6: 70 Km, 300 Hm
Westleton – Leiston Abbey – Blaxhall – Woodbridge –
Ipswich
Die Reste der Leiston Abbey stammen aus dem 14.
Jahrhundert. Ab Woodbridge durchgängige Rad-Beschilderung auf Schleichwegen bis nach Ipswich.
Reisezeit Mitte April bis Mitte Oktober. Ein
Bad in der Nordsee ist noch im Sommer eine herbe
Erfrischung.
Anreise Die schnellste Anreise führt über den
Flughafen London Stanstead, z. B. mit Easyjet, Ryanair,
Germanwings und AirBerlin. Der Flughafen ist per
Flughafenbus (National Express, Linie X5, ca. 24 Euro)
direkt mit Ipswich verbunden. Der Expressbus nimmt
verpackte Fahrräder im Gepäckfach mit.
Auskunft
Visit Britain; www.visitbritain.com
Unterkunft Die renovierten, uralten
Gasthöfe haben einen besonderen Charme und sind
wichtiger Teil des Reise-Erlebnisses in Suffolk.
Besonders gut gefallen haben uns:
Stoke-by-Nayland: The Angel Inn,
Tel. +44 1787 247 388; www.angelinnsuffolk.co.uk
Gutes Essen (Hauptgerichte um 20 Euro), Gastgarten,
schöner Speiseraum.
Lavenham: The Angel Hotel,
Tel. +44 1787 247 388; www.wheelersangel.com
Extrem stilvolle Gaststube und authentisch schiefe
Böden; das Haus soll 1420 erbaut worden sein und wird
von einem berühmten Koch betrieben.
Westleton: The Westleton Crown,
Tel. +44 1728 648 777; www.westletoncrown.co.uk
Das Haupthaus mit dem Restaurant soll aus dem 12.
Jahrhundert stammen. Hier ist das Essen weit
besser, als es der Ruf der englischen Gastronomie
erwarten lässt.
Essen Ipswich: In der Nicholas Street in der
Altstadt reihen sich etliche Lokale. Sowohl im türkischen
„Türquoise“ (Nr. 25) als auch im „Kwan Thai“ (Nr. 14)
haben wir gut und relativ preiswert gegessen.
Dedham: The Essex Rose. Bis 17.30 Uhr genießt man im
Teahouse einen stilechten „Cream Tea“.
Anschauen Woodbridge: Gezeitenmühle
(Tidemill) an der Mündung des Flusses Deben. Historische
Mühle, die durch den Tidenhub angetrieben wird. Renoviert und – je nach Gezeiten – in Bewegung.
www.woodbridgesuffolk.info.
Bury St. Edmunds: Führungen durch das historische
Stadtzentrum, täglich um 14 Uhr, Tickets für
ca. 5 Euro vorab bei der Touristeninformation (alternativ:
Audio-Guide, ca. 3,20 Euro).
Literatur/Karten/GPS-Daten
Die präzisesten Karten für diese Tour liefert Ordnance
Survey (1:50.000, Karten Nr. 155, 156, 169, je ca. 9 Euro).
Deutlich müheloser ist hier die Navigation per GPS.
Strecken zum Runterladen (aber nicht die hier beschriebene Reise) finden sich unter:
http://www.gps-routes.co.uk/routes/home.nsf/countycycling/Suffolk
Veranstalter
Radweg-Reisen bietet die
Suffolk-Runde als siebentägige Reise an. Mit Unterkunft,
Gepäcktransport und Leihrad kostet sie ab 700 Euro.
Tel. +49 7531 81 99 30; www.radweg-reisen.com
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© Foto: Daniel Simon
www.trekkingbike.com
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