Neue Dynamiken und sichere Werte in der aktuellen
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Neue Dynamiken und sichere Werte in der aktuellen
P.P./Journal CH - 8038 Zürich LOST IN MUSIC Neue Dynamiken und sichere Werte in der aktuellen Musiklandschaft. Kategorie: «Andere» Wie das Internet die musikalischen Stilgrenzen verwischt TELE ZÜRI RAP Zürcher Strassenrap aus Zürichs Norden vom Label Broken Mental Organisation Live statt Lifestyle Wie der technische Fortschritt die elektronische Musik verändert, zum Beispiel beim Zürcher Label Spezialmaterial. SOMMERHIT LONDON NORD Auf dem Weg aus dem MySpace in die Charts: Remi Nicole. «JEDER TRÄGT EINEN GUTEN SONG IN SICH» Wieso «God Save The Queen» heute keinen Sinn mehr macht, aber in der neuen DIYKultur à la Myspace trotzdem Platz hat. Ein Gespräch mit John Robb, Author von «Punkrock – die ganze Geschichte». «EINE MISCHUNG AUS NME, METAL HAMMER UND GALA» Auf Recherche in Sachen Musik- und Lifestylemedien landete die Faz-Autorin eines schönen Tages auf dem Sofa der Rockstar-Redaktion und manövrierte sich zielsicher in einen üblen Tittentalk. AUF DEM MARKT DER GEFÜHLE Hardcore, neoliberal weiterentwickelt, windelweich geprügelt und emotional angereichert. Emo – ein Boom, den niemand will. DER TAG AN DEM HEAVY METAL STARB Sie gingen, bevor Metal von Grunge verdrängt wurde, und sie kommen mit der anrollenden Metal-Retro-Welle zurück: Die laut MTV nach Black Sabath zweitbedeutendste Metalband ever, Judas Priest. EGAL, ABER Was macht eigentlich die Hamburger Schule? Während die Goldenen Zitronen weiterhin gegen Windmühlen anrennen, haben sich Blumfeld aufgelöst und Tocotronic besingen die die «Kapitulation». CHEECH & CHONG LEBEN! Rapper unter sich: Unser In-House Reporter E.K.R. unterhielt sich mit Dani Göldin über sein neustes Werk «Fantasy is Fucked», Rap aus Brooklyn und die Schweizer Szene. «WAS DU SIEHST, IST WAS DU HÖRST » Mit der Basler Shift betritt ein neues Festival der elektronischen Künste ein Spannungsfeld der vielen Widersprüche. Für die FaZ erörterte Kuratorin und Mitorganisatorin Katrin Steffen einige davon. Die Musikausgabe Die Zeitung der Roten Fabrik Ausgabe Oktober 2007 | Nummer 235 Kategorie: «Andere» Wie das Internet die musikalischen Stilgrenzen verwischt Dass Web 2.0 die Musikindustrie verändert hat und noch immer verändert, ist klar – insbesondere, was die Verkaufsstrategien betrifft. Die neuen Networking-Plattformen wie Myspace, Fairtilizer und Last.fm haben aber nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen, sie ändern auch unser Musikverständnis: Stilbegriffe werden aufgeweicht, Hörgewohnheiten individualisiert. So fragte ich mich an der Lethargy 2007 beim DJ-Set der Berliner Sick Girls: Was ist das jetzt genau für Musik, die da aus den Boxen dröhnt? Sicher kein Baile Funk, trotz der CariocaRhythmen zwischendurch, auch kein Trance, wegen den Carioca-Rhythmen, nicht Rap, trotz dem Rap, und French House schon gar nicht, aber... hm, Nu Baile vielleicht, oder Funk Rave? Disco Rock? Dance Punk? Nein halt, Dance Punk gibt es ja schon seit über 20 Jahren, und der klingt anders. Dieses Erlebnis ist symptomatisch für die Veränderungen der letzten Jahre, die es zunehmend schwieriger machen, neue Strömungen in der Musik adäquat und funktional zu benennen. Zu zahlreich sind die immer wieder neu auftauchenden Hypes. Die Frage, welche Strömung zur Zeit dominant ist, welches Genre mal wieder totgesagt wird, und wo sich gerade ein neuer Trend abspielt, lässt sich nur noch schwer beantworten. Die ausführlichen Fusion-, Crossover- und Mash-Up-Experimente der letzten 20 Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Zwar sind solche Stilkreuzungen fruchtbar für die Weiterentwicklung der elektronischen Musik, doch es wird immer schwieriger, etwas gänzlich Neues zu schaffen: Die Feinverästelungen und damit die Genre-Bezeichnungen nehmen zu, so dass es inzwischen nicht mal mehr Fachinteressierten möglich ist, den Überblick zu behalten. Photoserie: Der Fotograf Nicolas Duc war für diese Ausgabe der Fabrikzeitung im September 2007 in Zürich unterwegs und portraitierte Musikschaffende. Mehr zu den Projekten von Nicolas Duc: http://www.nicolasduc.com/ Dass diese Entwicklung auch mit einem veränderten Rezeptionsverhalten zu tun hat, ist naheliegend: Bisher hatten Radios, Fach- und Gratiszeitungen bei der Vermittlung von populärer Musik immer eine Sonderstellung inne. Über sie wurde Musik verbreitet, sie entschieden, welche Musik letztlich bei der Hörerschaft ankam und in welchen Kontext diese Musik gestellt werden sollte. Kaum ein anderer kultureller Bereich war derart stark von der Verwertungsindustrie beeinflusst. Nun scheinen die Webdienste der zweiten Generation diese stark vertikale Organisation der Musikvermittlung zunehmend zu verändern. Über Online-Plattformen wie Myspace, Last.fm und Fairtilizer haben Musiker die Möglichkeit, auf Augenhöhe mit ihren Hörern zu kommunizieren. Statt nur einige wenige Fächer für die zahlreichen Genres stehen den Interpreten hier meistens mehrere Begriffe zur Kategorisierung ihrer Musik zur Verfügung. Was sich in einem Musikfachgeschäft schlicht und einfach aus logistischen Gründen nicht bewerkstelligen lässt, ist hier möglich. So beschreibt die meistgenannte Myspace-Band Arctic Monkeys ihre Musik gleich dreifach, nämlich als Trip Hop, Rock und Indie. Wem das immer noch nicht reicht, für den gibt es immer noch die Kategorie «Andere». Aushöhlung der Genres Die Möglichkeit zur Selbstbeschreibung bietet Raum für maximale Individualität. Und für Beliebigkeit. Denn obendrein darf man sich als Musiker oft gleich noch ein paar eigene Stichwörter ausdenken, damit man in der Flut der digitalen Anbieter nicht untergeht. Das führt dazu, dass Genre-Bezeichnungen ad absurdum geführt werden und damit ihre verbindende Funktion verlieren. Einige Clubbetreiber versuchen, das Beste aus dieser Situation zu machen: Um der Fragmentierung der Club-hoppenden Partygänger entgegenzuwirken und Leute in ihre Säle zu holen, nutzen sie für die Beschreibung der Musik auf Plakaten und Flyern die immergleichen Begriffe wie zum Beispiel Elektro, Dance, Hip-Hop und Reggaeton. Doch es geht auch anders, wie der gegenwärtige Hype um Ed Banger Records zeigt. All Time Favourites Von Ivan Sterzinger Neil Young - (Keep on) Rocking in a Free World Tears for Fears - Everybody Wants to Rule the World James Brown - It’s a Man’s World Jim O’Rourke - Women of the World Elvis Presley - Welcome to My World Louis Armstrong - What a Wonderful World Michael Jackson - Heal the World David Bowie - The Man Who Sold the World Pink Floyd - Goodbye Cruel World R.E.M. - It’s the End of the World (As We Know It) Die Herbstliste Von Silvano Sarno Steezo - One Take Wonder Pavement - Terror Twilight James Holden - At The Controls Jennifer Lara - Studio One Presents Beirut - Lon Gisland Ceo Müller - Dj-Set At Lethargy 2007 John Denver - Rocky Mountain High Sluts'strings & 909 - Carrera Frank'n'dank - 48 Hours Yo La Tengo - I Can Hear The Hear Beating As One 10 Songs zum Mitsingen in der Badewanne Von Martin Büsser I Ludicrous - Preposterous Tales Motörheard - Ace Of Spades TV Personalities - Mysterious Ways The Fall - How I Wrote Elastic Man Yoko Ono - Don’t Worry Kyoto Tim Buckley - Song To The Siren Joni Mitchell - Woodstock Palais Schaumburg - Wir bauen eine neue Stadt Wire - Am The Fly Joan Jett - Love Rock’n’Roll Von Ivan Sterzinger Strassenrap vom Label Broken Mental Organisation aus Zürichs Norden Auf Schweizer HipHop-Scheiben sind vermehrt raue Töne anzutreffen. Das Album von Semantik – das einschlägige Portal Aightgenossen.ch spricht zu Recht von einem Meilenstein des Schweizer Hip Hop – brilliert mit Strassenrap. Flowkönig Steezo veröffentlichte kürzlich mit One Take Wonder sein Soloalbum. Das gratis zum Download angebotene Werk begeistert mit derbem Wortwitz und Doppelreimen. MC und Produzent Piment sorgt auf seinen frischen Produktionen gleich selbst für die eingängigen Hooks. Eines ist den talentierten Künstlern gleich: Sie alle sind im Umfeld der Broken Mental Organisation (BM) gross geworden. «Meine Musik ist nichts anderes als Tele Züri Rap. Ich muss mit dem klar kommen, was um mich herum geschieht. Darüber will ich berichten und meine persönliche Sicht aufzeigen. Die Arbeit an meinen Rhymes ist Verarbeitung und Ablenkung zugleich», erklärt T-Rotz seine Texte. Der in Dübendorf aufgewachsene MC ist einer der talentierten Geschichtenerzähler im Umfeld des Indie-Labels BM. Sein eigenes Album voller Züri Rap wird in diesem Herbst heraus kommen. Unterstützt wird er dabei mit Beats von befreundeten Producern, publiziert wird natürlich auf dem Hauslabel BM, wo viel einschlägiges Know-How vorhanden ist: Der harte Kern von BM ist seit über 10 Jahren im Hip Hop Business aktiv. Als nächstes wollen die Künstler mit einem gemeinsamen Werk auftrumpfen. Bereits spricht man in der Szene vom Schweizer Wut-Tang Clan – denn allen der BM-Familie ist ein rauer Ton eigen. Musikalisch wie auch sprachlich stösst der Hörer auf für Schweizer Verhältnisse sehr rauen Rap. «Für uns vermittelt unsere Musik in erster Linie Hoffnung. Wir kommen alle aus eher einfachen Verhältnissen, viele von uns haben einen Migrationshintergrund und wurden schon in jungen Jahren mit allerlei Unschönem konfrontiert. Unser Traum ist es, nach oben zu kommen, etwas zu erreichen, auf das wir stolz 2 «Amplified Word of Mouth» ist denn bezeichnenderweise auch der Subtitel der NetzwerkPlattform Fairtilizer.com. Neben den Musikern, die ihre eigenen Tracks präsentieren können, darf man sich auf Fairtilizer sowie auf Last.fm auch als Musikliebhaber durch die zahlreichen Stücke durchwühlen und die dabei gefundenen Trouvaillen in einer Playlist zusammenfassen. Der Hörer wird dabei mit etwas Glück zum stillen Kurator für das Musikverständnis anderer Leute – via virtueller Musiksammlung. Dass man so niemanden mehr zu sich nach Hause einladen kann, um seine Musiksammlung «in echt» zu präsentieren, ist für Musikliebhaber wohl der einzige Wehrmutstropfen. Tele Züri Rap John Carpenter – Assault On Precinct 13 Kid Frost – Terminator Newcleus – Destination Earth The Invinceables – Kong In The City Of Doom Masta Ace Incorporated – Born To Roll The Streets - Blinded by the lights N*E*R*D – Run To The Sun Cody ChestnuTT – Serve This Royalty Eagles Of Death Metal – Already Died Faith No More – The Gentle Art of Making Enemies Beta Band – Dry The Rain 10 Songs, die die Welt bedeuten Von Martin Söhnlein Das kleine Label setzt ganz auf die Anziehungskraft seines Namens, die stilistische Bezeichnung der Musik tritt in den Hintergrund. So sorgt allein das Stichwort Ed Banger für einen Hingeh-Reflex, wie jüngst beim Auftritt Sängerin Uffie (Katergorie: «Andere») im Mascotte. Dass Uffie in Zürich bereits zum zweiten Mal eine schlechte Show bot, war egal. Sie ist der Fashion-Boost für ihre hervorragenden Produzenten Feadz und Mr. Oizo. Die Produktion hat Klasse, der Auftritt ist wild. Dieselben Gesichter aus dem Publikum triff man wenige Tage später auch an einem Garagenkonzert der Zürcher Band The Primates (Kategorie: Eclectic Funk? Fusion? Souljazz?) beim Bahnhof Hardbrücke wieder. Was gut ist, spricht sich anscheinend rum. sein können. Wir nennen unsere Musik Strassenrap, denn wir berichten von davon, was auf den Strassen vor unseren Fenstern abgeht», erklärt Blanco das Verbindende der einzelnen Releases. Der Schwamendinger gehört zum französisch rappenden Teil von BM und gilt inoffiziell als Mastermind hinter dem Label. Mit seinem Bruder BR-1 und MC Kosay bildet er die Band Le Declique. Inspiration aus der Jetztzeit «Wir rappen einfach drauf los. Unsere Beatmacher Piment, 2wei1ce und BR-1 verwöhnen uns mit genau der Musik, die uns inspiriert. Beat aussuchen, 10 Minuten Text schreiben und dann alles aufnehmen. So ist unser Rap. Frisch von der Leber, manchmal etwas derb und meist voll guter Partylaune», berichtet T-Rotz. Bei ihm, Semantik und Steezo fallen neben der Sprache vor allem der in Schweizer Landen oft vermisste Wortfluss auf. Die talentierten MC’s verbiegen keine Wörter, um ein politisches Statement abzugeben. Sie versuchen auch nicht, eine überlange Message in das Taktmass zu quetschen. Eher freuen sich die Kollegen an Wortspielereien und dem Wohlklang der Sprache. Vergleiche mit dem Reimstil des amerikanischen Dipset Camps drängen sich auf. «Dass unsere Texte von Bling Bling, Champagner und Partys handeln, liegt an unserer Inspiration. Wir sind grosse Fans von all dem aktuellen Club Hip-Hop. Natürlich haben auch wir damals A Tribe Called Quest geliebt, aber heute dem Soundideal von 1997 zu folgen, finde ich nur langweilig. Daher versuchen wir, frische Einflüsse in unsere Musik mit einzubringen», beschreibt T-Rotz sein Verhältnis zum Gros der bekannten Hip-Hop Künstler. Auch Beatmässig klingen die Produktionen aus dem BM-Umfeld einiges frischer als der herkömmliche Schweizer Hip-Hop. Neben dem soulstrotzenden Sampletrack findet ein Uptempo-Beat ebenso seinen Platz auf dem Album wie ein minimaler Club-Banger mit abgrundtiefen Bässen. Auch bei poppigeren Tönen kennen die Beatmacher keine Berührungsängste. Das musikalische Talent der BM-Familie ist indes auch Altmeister E.K.R. nicht verborgen geblieben. Seit einiger Zeit arbeitet er mit Piment zusammen an neuen Tracks. Einige davon haben es bereits auf E.K.R.’s neuestes Werk «Dis Tape» geschafft. Vor allem die Jungs von Bilinugue betonen in ihren Texten ihre Herkunft aus Zürichs Norden. Piment und Mike Hunter halten die Fahne hoch für Schwamendingen, Steezo aus Affoltern repräsentiert den Kreis 11. «Die meisten von uns kommen aus Zürich Nord, viele kennen sich seit Kindesalter. Das Interesse an der Hip Hop Kultur verband uns schon sehr früh. Der Schritt zu eigenen Raps und Beats war logisch», erklärt Blanco diese Besonderheit. Mit der Verbundenheit zu ihrem Viertel wollen sich die Künstler denn auch klar vom Hip-Hop aus Bergkantonen abgrenzen. «Mit unseren Texten wollen wir niemanden belehren oder verurteilen. Wir vertreten einen ganz anderen Zweig als andere Schweizer Künstler, die über Politiker wie Bush oder Blocher rappen», meint T-Rotz zu den unterschiedlichen Themenschwerpunkten. «Meine Arbeitslosigkeit, die Angst, die Miete nicht mehr zahlen zu können oder die Scheidung meiner Eltern, das sind die Themen die mich beschäftigen. Ich habe in meinem Leben viele Probleme zu meistern. Und darüber rappe ich.» Von Silvano Sarno Broken Mental Organisation Founded: Roster: Releases: Next up: Web: 1999 15 Acts, including Le Declique, Defstar, Bilingue, Semantik, T-Rotz, Pax Luchinni, Shogun, Steezo, Piment 20 T-Rotz LP, BM-Allstars Sampler www.bm-organisation.ch Live statt Lifestyle Alltime Favourites Von Valentino Tomasi Nicht der Überdruss an der Elektronik, sondern der technische Fortschritt macht die elektronische Musik akustischer. Protokoll der Veränderung anhand des Zürcher Labels Spezialmaterial (SM). Jahrelang war Zürich im elektronischen Bereich geradezu ein Treibhaus. Besonders abseits der etablierten Clubs gab es dutzende autonome Orte und hunderte von Leuten, die mit ihrer Computerausrüstung aus Studios und Schlafzimmern in die Clubs umzogen und damit die Dancefloors beschallten. Die Stadt pumpte, clashte und frickelte – doch dieses Prickeln ist vorerst vorbei. «Minimal» war der letzte elektronische Schrei, doch auch der ist schon fast wieder verhallt. Gerade diese Szene glänzt vor allem durch ihre Konsumorientiertheit: In erster Linie geht es um die Exklusivität des Clubabends selbst, ob man auf der Gästeliste steht, um Drogen, dass man sich selbst gut präsentiert. Wohl deshalb sagt Mischa Eberli, Musiker langjähriger Labelaktivist bei SM: «Mir persönlich macht es mehr Spass, nachmittags um drei irgendwo in Argentinien in irgendeinem Naturmuseum zu spielen, wo vielleicht die Putzfrau zuhört, als eine Schweizer Clubhaltung zu befriedigen». Über den versuchten Glamour der hiesigen Szene vermag er herzhaft zu lachen. Seine Abende verbringt er, wie auch der Rest der Spezialmaterial Crew, derzeit oft in den SM-Studios, die sich im zweiten Stock eines ausgesprochen schmucklosen Hauses mit Blick auf die Kreuzung Militär/Langstrasse befinden, der «abgefucktesten Ecke der Schweiz», wie Eberli zusammenfasst. In den Proberäumen lassen sich gute Abende verbringen, denn dort gibt es gute Boxen, gute Musik, die Leute des ausgedehnten SM-Netzwerkes kommen und gehen. Wenn SM öffentliche Abende veranstalten, wird dem manchmal überforderten Publikum an einem Abend ein Programm zugemutet, das über Performance, Video, Bandkonzert, Notebook-mässigem reicht, bis dann die DJs den Club doch noch rocken. «Ich persönlich langweile ich mich an Orten, wo sich ein Stil durchzieht», meint Eberli. Bei Clubbesuchen stelle er oft fest, dass jegliche Dynamik verloren gegangen sei, der Soundlevel stets gleich bleibe. «Wenn ich auflege, dann spiele ich bewusst querbeet, von Elektro bis Punk und rockiges Zeugs. Das funktioniert, es gibt wieder das Bedürfnis, vielschichtige Abende zu erleben.» Eine Grundtendenz der vergangenen Jahre ist die Hinwendung zu handgestrickten, schweissigen Antithesen zur digitalen Ästhetik zu spüren. In der ehemaligen Technohochburg Rohstofflager wurden schon vor Jahren die Gitarren ausgepackt und der derzeit grösste Erfolg aus dem Hause Warp (die erste Adresse für computergesteuerten Wahnsinn, TA 19.9.) sind Maximo Park, die im Oktober in der Roten Fabrik «Girls with Guitars» besingen werden. Auch einiges des neuen Spezial-Materials atmet in Form von Handorgeln bei Monoblock B, Banjosounds oder elektronisch bearbeitete Singer-Songwriter Stücke bei Sissi Kontest akustische Frischluft. «Für mich war Elektronik schon immer auch Rockmusik. Parallelen gibt es verschiedene, zum Beispiel bei Sonic Youth mit diesen ganzen Detunig-Sachen, das ist von der Soundästhetik her adaptierbar für Autechre, obwohl es zwei völlig verschiedene Schulen sind.» Es gehe einfach um eine punkige Grundhaltung und Soundästhetik, auch bei Eberli selbst kommen die verschiedensten Klänge zum Einsatz: feine akustische Sachen, über elektronische Klänge bis hin zum Hardcore Noise Gitarrensound. Die bisherigen Veröffentlichungen reichen von klassischer Electronica bis hin zu Britcore-mässigem Hip-Hop. Auch liegt bei den SM-Musikern kein Überdruss des Elektronischen vor – die verstärkte Präsenz akustischer Elemente ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sie durch die neuesten technischen Mittel überhaupt möglich sind. Fortschritt auf der Soundkarte Die Digitalisierung der Aufnahmetechnik bedeutet, dass man auch unter akustisch schlechten Bedingungen qualitativ gute Tonaufnahmen bewerkstelligen kann, was bis vor kurzem für unerschwinglich und ohne eine Firma im Rücken kaum denkbar. Heute können mit bescheidenen Mitteln Tonträger auf professionellem Level hergestellt werden, weshalb all die klassischen Aufnahmestudios einen immer schwereren Stand haben. Die digitalen Arbeitsweisen machen den Prozess auch viel flexibler. Der Schlagzeuger muss sein Kit nicht mehr durch die ganze Stadt ins Studio transportieren, heute reicht ein guter Computer, die richtige Software, Mikrofone und jede Menge Wissen. «Bei SM sind einfach Leute, die das total ausloten mit dem Knowhow über die elektronische Bearbeitung, mit der wir mal extrem stark arbeiteten, und es immer noch tun». Auf dem Label wird Fachwissen geteilt, das man sonst allenfalls noch in Internetforen findet. So ist auch die Anwendung der neuen Mehrkanalaudiokarten, mit denen bis zu fünf verschiedene Instrumente gleichzeitig aufgenommen und bearbeitet werden können, insbesondere in einer Live-Situation, nichts für Amateure. Speziell die Mikrofonierung ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Die so live erzeugten Klänge werden geloopt und verändert, dann wieder geloopt. Dazu gehören unter anderem auch Synths und zwar «tolle, schöne, warme, analoge Maschinen, für die du früher Modularschrank hättest mitnehmen müssen», wie Eberli schwärmt. Mit den neuen Möglichkeiten wird eine weitere Tücke der rein elektronischen Musik ausgetrickst. «Von wenigen Ausnahmen abgesehen funktioniert Notebookmusik als Performance nicht». Deshalb stellt sich schon die Frage, ob es das bringt, diese an einem Ort zu platzieren, der als Club oder Konzertlokal funktioniert? Hört man diese Musik nicht besser zu Hause? My Space is your Space Die neuen medialen Möglichkeiten werden vom Label natürlich genutzt. Die meisten haben ihre MySpace-Seiten und das Label ist seit langem auf Vertriebsportalen wie Last.fm präsent. «Mit denen hatten wir von Anfang an sehr guten Kontakt, die haben uns immer motiviert, unser Zeug da zu veröffentlichen. Es ist absurd: Jetzt haben sie das Portal verkauft für 280 Millionen.» Durch diese neuen Kanäle ist es auch für ein kleines Label möglich, sich zu etablieren, denn die Zielgruppen können genauer identifiziert werden. Auch sonst hat das Netz für Konsument wie Produzent einige Vorteile: Die Käufer haben Zugang zu Riesenarchiven, das ist besonders toll an Orten, wo es keine spezialisierten Plattenläden gibt. Die Musiker sind mit ihren Produkten nicht mehr an Marktzwänge gebunden. «Du machst ’ne Session, hast dann vielleicht vier fertige Stücke, jemand steuert Artwork bei, dann setzt du es aufs Netz.» Diese Möglichkeiten gibt es nicht bei physischen Platten; die Produktion und der Vertrieb von CDs und vor allem Vinyl sind teuer und sehr aufwändig – «und wenn du Glück hast, dann kriegst du nach einem Jahr vielleicht ein bisschen Geld zurück.» Miles Davis - It's About That Time Kalabrese - Alberto Herbie Hancock Quartet - I Didn't Know What Time It Was Cobblestone Jazz - India in Me (Mix 2) Lucio Dalla - La sera dei miracoli Weather Report - Birdland LCD Soundsystem - Get Innocuous! Tomas Luis de Victoria - Officium hebdomadae sanctae The Gossip - Your Mangled Heart Elliott Smith - Harvest Moon Alltime Favourites Von CNDR El Condor Pasa... Rick James - Ghetto Life NaS - Take it in Blood Allton Ellis - Get Ready A Tribe called Quest - The Love John Holt - Strange Things BIGI - Juicy Oran "Juice" Jones - The Rain Wu Tang - Forever Tenor Saw - Punkin Belly Alltime Favourites Von John Player Will Powers - Dancing For Mental Health The Railway Raver - Drop Acid Not Bombs Tone-Loc - Loced After Dark Aphextwin - Selected Ambient Works 2 Prince Far-I - Dub Encounter Chapter3 Black Sheep - A Wolf In Sheep`S Clothing Autechre - Tri Repeate Jonzun Crew - Lost In Space Model500 - Deep Space Everything From Maurizio / Basic Chanel / Rhytm&Sound / Chain Reaction / Burial Mix Von Yvonne Kunz Spezialmaterial Founded: Roster: Releases: Next up: Web: 2000 19 Acts 30 Sissi Kontest www.spezialmaterial.ch London Nord Sommerhit Auf dem Weg aus dem MySpace in die Charts: Remi Nicole. Fuck equality – equality mows down nuance, character, individuality. What the world really needs isn’t equality – it’s individuals. Josh Homme Das würde sie, die schon als «Indie-Amy Winehouse» gehypt wurde, in ihren WikipediaEintrag schreiben: «Remi Nicole, geb. April 6, 1983, Liebeskind von Tina Turner und Richard Peryor». Vor einem Jahr gab sie ihre ersten Konzerte, jetzt steht sie weit oben auf der Liste der Hype-freudigen Briten. «Macht bloss keine grosse Geschichte draus», bat Remi zum Schluss ihres Interviews mit dem Schottischen Clash Magazine. Doch genau das ist in ihrem Falle verlockend, denn es scheint eine entschiedene Sache, dass die 24-Jährige demnächst dem MySpace entsteigen und aufsteigen wird, hoch in den Pophimmel. Remi gehört zu einer neuen Londoner Songwriter-Generation, die sich mit witzigen Beobachtungen und unbeschwerten Alltagsgeschichten direkt an hordenweise Online-Musikkonsumenten wenden, unter direkter Umgehung des üblichen Industriesumpfes und Musik-Szenentums. «Ich mochte nie nur eine Art von Musik», konstatiert Remi. «Wenn ich einen Song mag, ist es egal, ob der von den Spice Girls ist oder von einer richtig coolen Band wie den Klaxons – ist mir egal.» Als ich anfing, meine eigenen Lieder zu schreiben, da waren erst mal nur ich und meine Gitarre. Eine Vorstellung davon, was das werden soll, hatte ich nicht. Ich dachte nicht darüber nach, dass ich mal auf der Bühne stehen würde.» Deshalb, fügt sie an, sei ihre Karriere einfach so «organisch passiert». Solche Geschichten hört man zwar die ganze Zeit, aber Remis Aufstieg ist besonders geschmeidig voran gegangen: Nachdem sie mit Freund und Produzent Johnny Douglas (der auch schon für Kylie und George Michael tätig war) ein Demo aufgenommen hatte, stellte dieser das Material auf seine MySpace-Seite und «das Telefon begann sofort zu klingeln». Auf einen Vertrag einigte sie sich schliesslich mit Island Records und seither rockt Remi mit ihren lebendigen Akustiksets die Clubs. Ihre Ansichten zu ihrer Heimat North London oder zu Freunden und Bekannten tut sie mit einzigartig bitterem Biss kund. «Ich glaube nicht, dass ich von jemandem besonders beeinflusst wurde, weil ich einfach nicht dieser Typ Hörerin bin. Ich höre mich querbeet durch die Stile, mag verschiedenste Songs aus verschiedensten Gründen.» Inzwischen tritt sie bereits mit voller Bandbesetzung aus dem Kreise von Deaf Stereo auf. Remis Stimme sitzt nun neben und auf chunky Hip-Hop Beats von Johnny Douglas, verkeilt sich mit positiv vibrierendem, basslastigem Sound. Das ergibt dann jenen aktuellen Mix, der schon bei Lily Allen gut funktionierte. Inwiefern fühlt sich also Remi zugehörig zu einer neuen Generation von Songwirters? «Lily Allen und Kate Nash machen schon länger grössere Pläne, so weit ich weiss, aber es ist nicht so, dass ich ein Teil dieser Szene sein wollte. Das kam irgendwie aus dem nichts. Ich glaube die neue Musikgeneration greift auf klassisches Songwriting zurück. Es ist ehrliches, echtes Songwriting. Das ist es, was ich mag und was ich höre. Ich will kein Teil einer «coolen» Szene sein. Ich will, dass den Leuten meine Geschichten gefallen. Wenn Lily Allen und Kate Nash das auch so sehen, dann gehöre ich gerne zu dieser Szene.» «Mir gefällt der Gedanke, zu einer neuen musikalischen Generation zu gehören, in der junge Leute auch aus positiven Beweggründen ihre Erfahrungen in einem Song aufschreiben. Nicht wie so oft im Rap oder Gangsta, wo alle stets von negativen Dingen reden. Ich glaube eher, dass all diese Leute wie Jack Penate oder Adele intelligente Dinge erzählen, die zum Denken anregen können. Nicht wie die Spice Girls, die über gar nichts sangen. Es geht einfach darum, etwas Sinnvolles zu sagen. Hoffentlich kann das auch mal etwas sein, das ermutigt, und nicht immer nur Songs, die wütend machen, oder die dich dazu auffordern, rauszugehen und jemanden zu killen.» Von Matthew Bennett Remi Nicole‘s LP erscheint im October. 5 Auf dem Markt der Gefühle Egal, aber Hardcore, neoliberal weiterentwickelt, windelweich geprügelt und emotional angereichert. Emo – ein Boom, den niemand will. Was macht eigentlich die Hamburger Schule? Während die Goldenen Zitronen weiterhin gegen Windmühlen anrennen, haben sich Blumfeld diesen Frühling aufgelöst. Tocotronic besingen die Kapitulation. Rüsselsheim am Main, Deutschlands Sitz der Opelwerke in der direkten Einflugsschneise zum Frankfurter Flughafen. Hier geben Portugal. The Man (ja, so heisst die Band wirklich), eine junge Band aus Alaska, im «Rind»-Club eines ihrer wenigen Deutschland-Konzerte in diesem Sommer. «Früher sind Bands auf Tour gegangen, um ihre neue Platte zu bewerben», erzählen die Musiker, «aber seit kein Mensch mehr Platten kauft, werden Platten eigentlich nur noch rausgebracht, um Werbung für die Tour zu machen.» Der Laden ist an diesem Abend tatsächlich rappelvoll, aussergewöhnlich voll für eine junge Newcomer-Band. Das Durchschnittsalter im Publikum liegt gerade mal bei 20 Jahren, viele 14- bis 16-jährige Kids sind anwesend und schleichen unentwegt um den Merchandise-Stand. Das Konzert wird mir schnell langweilig. Die Musik hat zu viele Anleihen an die Rock-Peinlichkeiten der 1970er-Jahre, Led Zeppelin, Thin Lizzy, so ein Zeug, der Gesang pendelt zwischen weinerlich und wütend. Mit einem Schlag wird mir klar, dass ich mich auf einem Emo-Konzert befinde. Dass ich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Paralleluniversum der Popkultur teilhabe, von dessen Existenz ich bislang nur gelesen hatte. Emo boomt, so viel war mir schon klar, doch ich kannte bislang keine einzige Band, die sich selbst diesem Genre zugeordnet hätte. Alltime Favourites Von Johann Von Preussen Arthur Russell - Alles Motörhead - We Are The Road Crew Laid Back - Sunshine Reggae MC 900ft Jesus - One Step Ahead of the Spider Omar-S - Stryder's World Donovan - Get thy Bearings Dizzy Gillespie - Manteca Rodriguez - Cold Fact Aaliyah - Try Again Beastie Boys - Root Down Ernest Ranglin - Surfin Top Ten der Holzhüttenmusik Von Gregor Huber Bruce Springsteen - Nebraska Bonnie Prince Billy - Ease Down the Road Sebadoh - Harmacy Red House Painters - Songs for a Blue Guitar Cat Power - Moon pix Sportsguitar - married, 3 kids Neil Young - Harvest Brian Eno - Before and After Science Bob Dylan - The Freewheelin Gordon Lightfoot - Beautiful Top Ten der Erdbeerdisco Von Disco Stu Imogen Heap - Hide & Seek Moodymann - Dem Young Sconies Liquid Liquid - Cavern Strafe - Set It Off Yoko Ono - Walking on thin Ice Robert Palmer - Johnny & Mary Steely Dan - Rikki Don´t Loose That Number Max Berlin - Elle & Moi (Joakim Rmx) 69 - 4 Jazz Funk Classics Kraftwerk - Computerwelt Und auch beim Interview mit Portugal. The Man, das ich vor ihrem Auftritt machte, ist das Zauberwort «Emo» an keiner Stelle gefallen. Dafür wurde ich von den Musikern in Schlabber-Look und Zehn-Tage-Bart aufgeklärt, dass sie unpolitisch seien. «Politik macht keinen Sinn, weil sie sich ständig ändert», erzählen sie. «Bands, die gegen Bush sind, sind mit dem Tag passé, an dem Bush nicht mehr Präsident ist.» Zugegeben, dieses ständige Bush-Dissing, das viele der einfach gestrickten Punkbands in den USA an den Tag legen, fällt mir auch auf den Wecker, ist viel zu plump personalisierte Kritik. Doch dass Politik «sich ständig ändert» ist eine seltsame Ansicht, denn das Einzige, was seit Jahrzehnten keinerlei Veränderungen unterworfen ist, sind die bestehenden Machtverhältnisse. «Gefühle sind dagegen zeitlos und elementar», ergänzt einer der Musiker. Spätestens hier hätte mir klar sein müssen, dass ich es mit einer EmoBand zu tun habe. Kein Latex, kein Sex Aber was bedeutet dieses komische Wort überhaupt? Welche Musiker lassen sich darunter fassen? Und: Gibt es so etwas wie eine Emo-Philosophie, eine Emo-Weltanschauung? Mir selbst ist der Begriff, eine Abkürzung für «emotional» beziehungsweise «Emocore» als Kürzel für «emotional Hardcore» erstmals Ende der 1980er-Jahre untergekommen. Die amerikanische Hardcore-Szene wurde zu diesem Zeitpunkt fast nur noch von Testosteron angetrieben. Frauen auf der Bühne? – Fehlanzeige. Die tätowierten Schwellkörper von Agnostic Front, Cro-Mags, Sick Of It All und So Much Hate gaben in der Szene den Ton an. Alles Glamouröse, was dem frühen Punk noch eine Spur Androgynität verliehen hatte, war der reinen Demonstration von Männlichkeit gewichen. Und selbst die latente Homoerotik dieser Männerbünde, mit nackten Oberkörpern beim Moshen und Stagediven unter einer Schweissglocke vereint, konnte sich nicht wirklich entfalten, da Sexualität in den Songtexten überhaupt nicht vorkam. Nur Washington, DC war anders. Bands wie Rytes Of Spring und die damals frisch gegründeten Fugazi hatten auch leise Passagen im Repertoire, erstmals sangen Männer im Punk auch über Liebe, Trauer und Verletzlichkeit. Im Zusammenhang mit diesen Bands war zum ersten Mal von Emocore die Rede. Als ich Fugazi 1990 im Interview für das Punk-Fanzine «Zap» auf diesen Begriff ansprach, antwortete Ian MacKaye allerdings mit deutlichen Worten: «Dieser Begriff ist bescheuert. Es ist zum Heulen, dass wir nun schon zum zweiten Mal für eine Bewegungen herhalten müssen, die wir uns nie gewünscht haben. Minor Threat haben wider Willen Straight Edge hervorgerufen und nun sollen wir die Erfinder von Emo sein. Die Leute scheinen panische Angst vor Individualität zu haben, sonst würden sie nicht ständig neue Bewegungen erfinden. Doch während Straight Edge wenigstens noch eine tatsächliche Bewegung war, ist Emo total inhaltsleer.» Bis heute, knappe 20 Jahre später, hat sich an dieser Einschätzung nichts geändert. «Seit letztem Sommer ist Emo das Lieblingswort der Musikpresse und das meist gehasste Wort bei den Bands», hiess es kürzlich in einem «Tracks»-Beitrag auf Arte. Zurück zu jenem Abend in Rüsselsheim. Die Jungs auf der Bühne schreien sich die Seele aus dem Leib, sind dabei aber peinlich bemüht, jeden Ton zu treffen. Diese Musik ist sportlich und sauber, sogar noch das Gitarrenfeedback wird präzise gesetzt. So richtiger Spass ist in den Gesichtern der Musiker nicht zu erkennen. Seltsam auch, dass die anscheinend grössten Fans der Band während des Konzerts gar nicht vor der Bühne stehen, sondern beim Merchandising einkaufen, als stünde die Inflation vor der Tür. Im Minutentakt werden T-Shirts über den Tresen gereicht. Nur T-Shirts, keine einzige CD. Um die Musik scheint es hier nicht zu gehen. In aller Seelenruhe machen die Jungs ihren Oberkörper frei, probieren verschiedene Grössen an. Wenn das so weiter geht, wird es bald Umkleidekabinen auf Rockkonzerten geben. Ein Junge, um die 15, der mit einem Cursive-Shirt gekommen war, kauft schliesslich drei Portugal-The-Man-Shirts. Eines behält er gleich an, das verschwitzte von Cursive kommt mit den anderen beiden in die Stofftasche, die es für einen kleinen Aufpreis dazu gibt – ebenfalls mit Portugal-The-Man-Schriftzug. Die Band ist derweil bei der Zugabe angelangt. «Emo», leuchtet mir an diesem Abend ein, bedeutet, Hemden von Bands zu tragen, die auf dem Schulhof keiner kennt, um zu zeigen, dass man anders ist, ohne es jedoch wirklich zu sein. Wenn das, was Bands wie Dashboard Confessional, Jimmy Eat World, Cursive oder Portugal. The Man zum Besten geben, tatsächlich Emo ist, dann bedeutet Emo nichts anderes als die Renaissance langweiliger, virtuoser, männlicher Rockmusik. Mitsamt all den falschen Authentizitäts-Versprechen, gegen die Punk doch einmal mit seiner Verwirrung der Geschlechter und Codes angetreten war. Die ›ehrlichen‹ Gefühle auf der Bühne korrespondieren mit Merchandise-Artikeln, die in ihrer kunstvollen FolkArt-Tradition den Anschein erwecken, sie seien handgemacht. »DIY« reduziert sich hier auf die Kunst, Industrielles als Individuelles auszugeben. Herrlich unbekümmert heisst es hierzu im »Emo«-Eintrag auf Wikipedia: «Obwohl gerade auch im Emo-Bereich viele Bands Verträge bei Major-Labeln angenommen haben, unkritisch Merchandise verkaufen und damit ihren Labels beträchtliche Einnahmen bescheren, ist der ›Do it yourself‹-Gedanke grundsätzlich vorhanden und wird von vielen auch gelebt und umgesetzt.» – «Grundsätzlich vorhanden» meint hier nicht anderes als vorgegaukelt. Keine Protestantik, keine Politik Falls etwas dran ist an der These, dass Pop- und Subkultur gesellschaftliche Verhältnisse einfach nur widerspiegeln, dann ist Emo wohl nichts weiter als die konsequente Weiterentwicklung von Hardcore unter neoliberalen Vorzeichen. Die Hardcore-Szene kannte noch politische Verbindlichkeiten und arbeitete deshalb auch mit zum Teil strikten Ausschlusskriterien. Hardcore machte sich gegen Sexismus und für vegetarische Ernährung stark, plädierte für komplette künstlerische Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Verklären sollte man das nicht, schliesslich hatte das oft protestantische Züge. Verzicht wurde gross geschrieben, wer sich auch nur verdächtig machte, von der eigenen Musik leben zu können, bekam schnell den »Ausverkaufs«Stempel aufgedrückt. Mit Emo ist allerdings jeder verbindliche Kollektiv-Ansatz einem Pseudo-Individualismus gewichen, in dem es nur noch darum geht, dass jeder seine Gefühle möglichst gewinnträchtig zu Markte trägt. Das neoliberale «Survival of the fittest» bedeutet hier: Erfolg hat, wer am authentischsten zu leiden vorgibt und sein Innerstes zu verkaufen bereit ist. Heraus kommen jedoch meist nur austauschbare Stereotype einer männlich geprägten «teenage angst»: Nur wer seine Furcht davor, verlassen zu werden oder sich nicht in die Gesellschaft einfügen zu können, in eine glaubwürdige Ware umzumünzen versteht, hat die Aufnahmeprüfung bestanden. Und hat sich damit bestens eingefügt, ohne diesen Markt der Gefühle in Frage zu stellen. Von Martin Büsser Auch wenn sich die Popmusik derzeit nicht gerade auf dem Höhepunkt ihres schöpferischen Schaffens befindet, als Resonanzkörper gesellschaftlicher Zustände bleibt sie weiterhin relevant. Sie tut ja eigentlich immer nur das eine: private und/oder allgemeine Befindlichkeiten in Geräusche, Töne und Sprache übersetzen - und zwar möglichst wahr, irritierend und aufregend. Handelt es sich dabei um die Befindlichkeit vieler, fischt sie im Mainstream, falls nicht, stochert sie mit Vorliebe in den unterirdischen Kanälen jener fünfprozentigen Minderheit, die sich die Welt auch anders vorstellen kann, als wie sie sich gerade präsentiert. Blumen für die gute Tat Dass hierbei den Lyrics eine besondere Bedeutung zukommt, ist klar. Ebenso folgerichtig ist, dass nach Reiser, Lindenberg, Westernhagen, Grönemeyer und Kunze eine neue Generation von deutschsprachigen Musikern versuchte, der hassgeliebten Sprache brauchbare Songtexte abzutrotzen – und zwar abseits der dem Blödeltum anheimgefallenen NDW. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie anmassend und vergeblich dieser Versuch damals anmutete. Blumfeld schafften es als Erste und zwar mit dem smarten Kunstgriff der Collage. Ein Schwall von ineinander fliessenden Zitaten ergiesst sich aus dem 94er-Album «L’état et moi». Und dazu die Musik: aufbrausend, aufwühlend, mitreissend, ein Strom für sich. Menschen, die sich gerne mit der Radikalität anderer schmücken, wandten sich aber spätestens nach «Jenseits von Jedem» (2003) enttäuscht von Blumfeld ab. Diese seien jetzt nicht mehr cool, sondern das Gegenteil: Schlager. Seither muss Sänger Jochen Distelmeyer bei jeder Gelegenheit erklären, ob die Texte und die Musik nun ironisch gemeint seien, und ob man denn überhaupt von Füchsen, Schmetterlingen, von Tieren ganz allgemein, singen dürfe. Geht es um Deutschland, ist offenbar nicht nur die Sprache eine schwere; die Deutungen wiegen nicht minder.Blumfeld werden gerne als Mitbegründer der Hamburger Schule bezeichnet, die tatsächlichen Urväter aber sind Die Goldenen Zitronen. Mitte der Achtzigerjahre, als Fun-Punk noch kein Schimpfwort war, landete die Band um Schorsch Kamerun und Ted Gaier mit «Am Tag als Thomas Anders starb» und «Für immer Punk» mittlere Szenehits. Im Gegensatz zu den Toten Hosen wandelte sich die Gruppe in der Folge zum Guten hin, verfeinerte allmählich ihr Credo («Gegen den Alltagsstumpfsinn») und wurde vor allem auch musikalisch immer interessanter. Ihr ungeheuer dichtes aktuelles Album «Lenin» ist geradezu perfekt: Schierer Agitations-Pop, Anti-Rock, der immer leicht verhalten wirkt, dafür aber umso bedrohlicher in Richtung Zuhörer rollt. Der Immigrations-Song «Wenn ich ein Turnschuh wär», die Spokenword-Hasstirade «Mila» und das fiese «Lied der Stimmungshochhalter“ sind ebenso komplexe wie präzise Be- schreibungen von äusseren und inneren Zuständen, die zu beschreiben sich neuerdings niemand mehr für zuständig hält. Es liege am «Fluch der guten Tat», schreibt ein TAZ-Redaktor, dass das Album nicht die Aufmerksamkeit erhalten habe, die dem Werk gebühre - aber von den Goldenen Zitronen werde halt nichts weniger als Herausragendes erwartet. Der neoliberale Imperativ «Ich kann nicht mehr», zitiert Schorsch Kamerun in «Mila» den Buchtitel eines Freundes. Dem stellt das Hamburger Trio Tocotronic ein distinguiertes «Ich würde lieber nicht» entgegen. Der Satz, der schon seit einer Weile in der deutschen Kunstszene zirkuliert, formuliert gewissermassen ein neues Unbehagen - wenn auch nicht mehr. Denn Tocotronic wollten zum Beispiel auch lieber nicht mehr mit ihrem langjährigen Partner L’Age D’Or zusammenarbeiten. Das Label, das wie kein anderes für die Hamburger Musikszene steht, ist kürzlich haarscharf an einer Insolvenz vorbeigeschrammt, ohne das Zugpferd Tocotronic sieht die Zukunft düster aus. «Wir sind fest davon ausgegangen, dass unsere Indie-Zusammenarbeit weitergeht, aber die Band wollte auf einmal doch lieber wieder Bauzaun-Plakatierung und so weiter», zitiert der deutsche Rolling Stone Label-Chef Carol von Rautenkranz. Und während dieser seinen Beruf wieder zum Hobby machen darf, meditiert Sänger Dirk von Lowtzow im Feuilleton: «Diese Reaktion auf den Zwang zur Selbstoptimierung, auf diesen neoliberalen Imperativ, etwas aus sich zu machen und in Bewegung zu bleiben, kann ich sehr gut verstehen», verrät er der NZZ. Alle wollen diesen Sommer wissen, was der 36-jährige ehemalige Kordhosenträger zu sagen hat, schliesslich heisst das neue TocotronicAlbum «Kapitulation», was bei einer Band, die einst kam, um sich zu beschweren, erklärungsbedürftig erscheint. Der Rolling Stone feierte die «wichtigste Band Deutschlands» auf nicht weniger als sechzehn Seiten ab und bezeichnet «Digital ist besser» (1995) als «das deutsche «Nevermind». Zwischen Jugendlichem Nihilismus und bürgerlicher Melancholie An derlei Vereinahmungen dürfte sich das Quartett mittlerweile gewöhnt haben. Mit Textzeilen wie «Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein», «Ich verabscheue euch für eure Kleinkunst zutiefst» oder «Aber hier leben, nein danke» sprach Dirk von Lowtzow einer ganzen Generation von verunsicherten Indie-Nerds aus der Seele. Dabei positionierte sich die Band immer klar links, beteiligte sich an diversen Solidaritätsaktionen für alternative und antifaschistische Organisation und lehnte eine Auszeichnung des Musiksenders Viva in der Kategorie «Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben» (sic!) mit der Begründung ab, weder auf das Jung- noch auf das Deutschsein besonders stolz zu sein … und auf dem Weg nach oben, na ja.“ Was sich in solchen Statements bereits abzeichnete, findet nun auf «Kapitulation» in Albumlänge seine Entsprechung: «Und wenn du kurz davor bist, kurz vor dem Fall, und wenn du denkst, fuck it all, und wenn du nicht weisst, wie soll es weitergehen, Kapitulation», heisst es im Titelsong. Die Verweigerungs- und Kriegsmetaphorik («Mein Ruin», «Aus meiner Festung», «Wehrlos») durchzieht fast das ganze Werk und man spürt: Hier wird die Lust am Scheitern zelebriert. Was dabei vielleicht am meisten irritiert, ist, dass das Ganze ja gar nicht so neu ist. Da schwingt etwas Punkattitüde, viel jugendlicher Nihilismus, vor allem aber eine gute Portion bürgerliche Melancholie mit. Die Routine, mit der von Lowtzow seine notabene immer noch sehr schönen Sätze abspult, stimmt ebenso skeptisch wie der Umstand, dass sich der Sänger selber seiner Sache nicht so sicher zu sein scheint: «Heute wird immer alles so alles bierernst interpretiert und kleingeredet – nach dem Motto: Was will uns der Autor damit sagen? Das finde ich stinklangweilig.» Stinklangweilig wäre es allerdings, würden sich Tocotronic in Zukunft mit dem reinen Kokettieren zufrieden geben. Immerhin lässt sich aus «Kapitulation» auch anderes heraushören: Betörende Popsongs wie «Wir sind viele» mit Zeilen wie «Wer Ich sagt, hat noch nichts gesagt» oder das an The Smiths erinnernde «Imitationen» («Dein schlimm ist mein ganz schlimm»). Im Benennen des nur schwer zu Benennenden sind Tocotronic immer noch grosse Meister. Schade nur, dass dabei alles so Element-of-Crimemässig traurig sein muss. Begehren Text und Musik aber ausnahmsweise wirklich mal auf, wie in «Sag alles ab», klingen Tocotronic ziemlich exakt wie, ja, genau, Blumfeld. Fazit: Die Hamburger Schule lebt - und zwar in Berlin. Von Martin Söhnlein Tocotronic «Kapitulation» (Univseral). Die Goldenen Zitronen «Lenin» (RecRec). Tocotronic live: 5. 10. Rote Fabrik, Zürich; 7. 10. Schürr, Luzern; 8. 10. Volkshaus, Basel. Was gerade neben Yvonnes Blaster liegt Von Yvonne Kunz The Yeah Yeah Yeahs - Fever to Tell Blur - Parklife Tank Girl - Music from the Motion Picture Soundtrack The Clash - The Ultimate Collection Warp - Blech Pulp - This is Hardcore Anne Clark - Changing Places Luscious Jackson - Fever in, Fever out Blondie - Eat to the Beat Public Enemy - How to Sell Soul to a Soulless People who sold their soul 6 7 «Was du siehst, ist was du hörst» Mit Shift wird im Oktober in Basel ein neues Festival der elektronischen Künste aus der Taufe gehoben. Die Nachfolgeveranstaltung der Viper bewegt sich dabei unter dem Motto «Access» in einem Spannungsfeld der vielen Widersprüche. Für die FaZ erörterte Kuratorin und Mitorganisatorin Katrin Steffen einige davon. Ihr unterscheidet euch von anderen Medienkunst-Festivals durch einen starken Akzent bei der elektronischen Musik. Warum? Wir sind der Ansicht, dass innerhalb der zeitgenössischen Kunst, dem Klang immer mehr Gewicht beigemessen wird. Die Berührungspunkte zwischen der Medienkunst und der elektronischen Musik sind allein schon durch den künstlerischen Output gegeben. Innerhalb dieser Szene sind die Grenzen längst fliessend. Was hat das für Konsequenzen? Zum Beispiel, dass es schon schwierig ist, diese Leute zu benennen. Was sind sie jetzt? Musiker, Künstler, Sound-Artists? Da gibt’s alle möglichen abenteuerlichen Kreationen – das ist nur ein Beispiel, eine formale Äusserung dieses Prozesses. Interessant ist, dass sich aber die «Betriebssysteme» kaum verändern. Es gibt viele Kunstschaffende, die sowohl im System Musik, wie auch im Kunstsystem arbeiten, und zwischen den jeweils eigenen Gesetzen und Regelwerken dieser Systeme hin- und hernavigieren. Wie geht ihr auf diesen Widerspruch ein? Die 10 besten Brian Eno Platten: Von Dr. Stu Before and after the Science My Life in the Bush of Ghosts Ambient 4: On Land Ambient 1: Music for Airports Another Green World Music for Films Here comes the Warm Jets Cluster & Eno Discreet Music Ambient 2: The Plateaux of Mirror Top 10 Konzerte der letzen zwei Jahre in der Roten Fabrik Immortal Technique Tanya Stephens The Procussions Beres Hammond Shellac Emily Haines José Gonzalez Blues Explosion Terry Callier Jaguar Wright Top 10 Dancehall DJ’s: Simon Lechmann Yellowman Nicodemus Burro Banton Charly Chaplin Tenor Saw Super Cat Shinehead Horace Andy Jose Wales Sister Nancy 10 Rockbands, die bei den Simpsons auftraten Smashing Pumpkins Red Hot Chilli Peppers The Ramones R.E.M. The Rolling Stones The Whites Stripes Metallica U2 The Who Spinal Tap 8 Wir hinterfragen die Vermittlungswege. Was passiert wenn eine Arbeit in einem bestimmten Kontext gezeigt wird? Wir thematisieren das Aufbrechen einfacher Zuordnungen und regen zur Diskussion darüber an. Es gibt einige Kategorien, die immer wieder totgesagt werden und die sich aber trotzdem weiter halten. Beispielsweise die Einteilung in E-Musik, also die so genannte ernste, kulturell wertvolle Musik, mit der U-Musik, der populären Unterhaltungsmusik. Wir versuchen von der künstlerischen Position auszugehen und interessante Betrachtungs- und Hörsituationen dafür zu schaffen. Aber man will halt schon gerne wissen worum es geht. Ja klar. Aber ich bin überzeugt, dass das Publikum heute für Kontextverschiebungen sensibilisiert ist. Die Medienkunst bietet ja durchaus auch direkte Zugänge und operiert keineswegs in einem eng gesteckten Rahmen. Die neuen Medien begleiten uns eh auf Schritt und Tritt: In der Arbeitswelt wie in der Freizeit, in der Kommunikation und eben auch in der Kunst und Kultur.. Diese Schnittstelle zur Alltagswelt birgt Chancen für die Vermittlung. Ein weiteres Schnittfeld und ein Anknüpfungspunkt ist sicher auch die Wissenschaft. Innerhalb der Medienkunst werden gesellschaftlich relevante Theman verhandelt und wir nehmen die Debatte auf, um sie von verschiedenen Seiten her zu beleuchten. Wenn sich Kontexte verschieben, stellt sich aber die Frage des Stellenwertes, der einer künstlerischen Arbeit beigemessen wird immer neu. Ein Grund für die allgemeine Verwirrung ist die zunehmende Fragmentierung, Gewissheiten zerbröseln richtiggehend. Welche Orientierungshilfen nutzt du als Kuratorin, um dich durch das Chaos zu navigieren? Man steckt sich gewisse Themenfelder, um diese aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Das erste Shift-Festivals steht unter dem Motto «Access» (dt.: Zugang). Wir stellen uns die Frage des Zugangs in verschiedener Hinsicht. Der Zugang zu Wissen und Kultur ist im digitalen Zeitalter zur Chance, aber auch zur Konfliktzone geworden. Dort kollidieren verschiedene Interessen und es bilden sich neue heraus. Es stellt sich die Frage wer den Zugang zur Kultur kontrolliert, und in wessen Interesse diese Kontrolle ausgeübt wird. Auch im physischen, öffentlichen Raum werden kommerzielle, kulturelle und politische Grenzen neu gezogen. Uns interessiert, welche Rolle die Kunst in der Debatte um den Zugang zu Raum und Öffentlichkeit spielen kann. Shift erschliesst selbst mit dem Festivalort Dreispitz gewissermassen ein Stück Neuland: Ein Terrain, das als Zollfreilager genutzt wurde und nur autorisierten Personen zugänglich war, soll in den nächsten Jahren in einen Ort für Kunst und Kultur umgewandelt werden. Wir fragen aber auch nach den Zugängen zwischen den Medien: Was passiert eigentlich genau, wenn Bild und Ton verschränkt werden? Ein Beispiel: In den 80er Jahren war der Videoclip die Illustrationen für Sound, das veränderte sich in den 90ern. Coldcut etwa, die an Shift spielen werden, haben das Videoscratching entwickelt, was neue Bild-Ton Relationen ermöglichte. Die Suche nach einer gleichgewichtigen Verbindung von Bild und Ton lässt sich weit zurückverfolgen, auch in der bildenden Kunst, doch bieten neue technische Mittel, auch neue Möglichkeiten für die Arbeit mit Sound und bewegtem Bild. In den Neunzigern gab es also diese rasante Entwicklung und eine grosse Euphorie – es kam so viel so schnell, und jetzt ist es schwierig geworden, etwas Neues zu denken. Und doch gibt es gerade im Bereich der elektronischen Künste heute viele sehr interessante Projekte. Die Frage stellt sich, wie es den Künstlern gelingt trotz oder Dank der Technologie ästhetische Neuanfänge zu markieren. Dabei geht es um den Einsatz der Technik nicht um der Technik willen, sondern um den Einsatz von Technologie ausschliesslich als Mittel, um eine bestimmte künstlerische Aussage zu erzielen. Es ist längst eine Generation herangewachsen, die mit den neuen Technologien von Anfang an kundig agiert. Software wird von den Künstlern zu ihren Zwecken programmiert und weiterentwickelt. Daraus eröffnen sich neue Spielmöglichkeiten, neue Ausdrucks- und Präsentationsformen. Es werden zum Beispiel neue Instrumente erschaffen, die Low und High Tech spielerisch miteinander Verbinden. Hier liegt viel Potential gerade in Bezug auf den, ja oft vermissten, performativen Aspekt der elektronischen Musik. Gleichzeitig ist bis heute die Arbeit mit Klang und bewegtem Bild ein offenes Experimentierfeld. Spannende künstlerische Strategien werden in diesem Feld erarbeitet und umgesetzt. Wichtig ist, dass diese Arbeiten auch Sichtbar- und Hörbarkeit erlangen. Was wäre denn ein Beispiel für eine aktuelle Arbeit aus diesem Bereich? An Shift werden Mikomikona aus Deutschland zu sehen sein, die mit Hellraumprojektoren arbeiten. Darauf legen sie Rastergrafiken, die sie bewegen, was zu Interferenzen führt. Das wiederum wird mit einer Kamera abgefilmt. Dazu haben Mikomikona eine spezielle Schaltung gebaut, die das visuelle Signal in ein Audiosignal umwandeln kann. Was du siehst, ist was du hörst. Von Mitte bis Ende der Neunzigerjahre war ja Medienkunst ein Riesenhype. Seither war die Luft mal extrem draussen und derzeit scheint ist eine zaghafte Neuorientierung im Gange zu sein. Der Hype fand sicher auch seitens der Rezeption statt. Heute hat man sich schon eher daran gewöhnt, dass die neuen Medien ein mögliches Mittel für die künstlerische Auseinandersetzung darstellen. Es reicht aber eben nicht eine technisch brillante Arbeit unter dem Einsatz der neusten Gadgets zu realisierten. Unter diesem Verdacht standen doch immer wieder Positionen, aus dem Feld der elektronischen Kunst. Fehlt die Reflexive Ebene, altern die Werke sehr schlecht... Ist denn der Anspruch an den Inhalt bei der Medienkunst per se höher sind als bei anderen Kunstformen, etwa bei der Malerei? Nein, das kann man so nicht sagen. Die Medienkunst hat einfach eine andere Ausgangslange. Sie ist zum Beispiel für den Kunstmarkt nur bedingt von Interesse, da viele Projekte nicht als Handelswahre angeboten werden können. Die Elektronik durchdringt unseren Alltag und hier setzen viele künstlerische Positionen auch an. Und wo genau steht denn – inhaltlich gesehen – die Musik innerhalb dieser Medien? Ein Blick auf die gegenwärtige Situation zeigt, dass die Musik innerhalb der Medienkunst einen grossen Raum einnimmt. Auffällige ist die Präsenz von audiovisuellen Strategien. Dabei geht es aber nicht nur um eine Logik der Technik, die Bild-Ton-Relationen erst ermöglicht. Mit der Musik kann zusätzlich eine andere Sinnesebene angesprochen werden. Das mag in unserer Gesellschaft, die sich einer wahren Bilderflut gegenübergestellt sieht, wieder von besonderem Interesse sein. Das ist ja schon fast ein politisches Statement, wenn du sagts: Haltet man inne, hört zu! Teilweise, auf jeden Fall. Shift ist insofern politisch, als dass wir uns mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander setzten. Das liegt ja auch auf der Hand. Das Festival will leisen Tönen Gehör verschaffen und soll durchaus herausfordern. Gleichzeitig steht natürlich einem sinnlichen und lustvollen Zugang zu den elektronischen Künsten nichts im Wege. Habt ihr bei generell den Eindruck, dass der Zugang zum öffentlichen Raum stärker reguliert wird heute? Dass es schwieriger geworden ist, verrückte, gewagte Projekte umzusetzen? Bei der Umsetzung eines Projektes gerade im öffentlichen Raum stösst man immer wieder an Grenzen unterschiedlicher Art. Annette Schindler und Raffael Dörig haben für die Shift-Ausstellung zum Bespiel Jenny Marketou eingeladen. Sie arbeitet mit Überwachungskameras, die sie an grossen Wetterballons befestigt. Die Künstlerin und das Publikum können die Wetterballons und die Kameras zum Teil bewegen. Die Bilder der Überwachungskameras werden dann in den Ausstellungsraum übertragen. Die Arbeit wirft die Frage auf, wer Rechte auf die Bilder hat, die von den allgegenwärtigen Überwachungskameras aufgezeichnet werden. Der Umgang mit Überwachungskameras im öffentlichen Raum ist reglementiert. So wurde die Künstlerin bei einer Aktion in der Grand Central Station in New York von der Polizei auch schon mal verhaftet. Eingeladen haben wir ausserdem auch das Graffiti Research Lab, die mit Video- und Lasertechnologie neue Möglichkeiten im Umgang mit Graffiti erforschen. Das aktivistische Moment in dem es um die Rückgewinnung des öffentlichen Raumes mittels einer eigenen Zeichensetzung geht bleibt aber bestehen. Was hat das alles mit Pop zu tun? Das ist ein Faden in diesem Geweben, nicht der gemeinsame Nenner. Ich könnte auch nicht sagen, dass der gemeinsame Nenner die bildende Kunst ist, das wäre auch zu eng. Der gemeinsame Nenner ist die Ausgangssituation, das Material, mit dem gearbeitet wird, nicht das System in dem sich eine Arbeit bewegt. Von Yvonne Kunz Jeder trägt einen guten Song in sich Wieso «God Save The Queen» heute keinen Sinn mehr macht, aber in der neuen DIY-Kultur à la Myspace trotzdem Platz hat. Ein Gespräch mit John Robb, Author von «Punkrock – die ganze Geschichte». Meisterinnen des Jojo-Effekts Janet Jackson Kelly Osbourne Mariah Carey Cortney Love Reneé Zellweger Anna Nicole Smith Nicole Richie Britney Spears Lindsay Lohan Tyra Banks 10 Duets to forget Dido & Eminem - Stan Freddie Mercury & Montserrat Caballe - Barcelona Kylie Minogue & Jason Donovan - Especially for You Nicole Kidman & Robbie Williams - Something Stupid 50 Cent and Justin Timerlake - AYO Technology Bono and Luciano Pavarotti - Miss Sarajevo P. Diddy and Faith Evans - I'll Be Missing you Kim Wilde & Nena - Anyplace, Anywhere, Anytime Jay Z & Linkin Park - Numb Encore Christina Aguilera & Enrique Iglesias - Noboby wants to be lonely Five Books you can dance to Von Yvonne Kunz Jeff Noon - Needle on the Groove Anne Thomas Soffee - Nerd Girl Rocks Paradise City Amiri Baraka - WWW The Gangsta Rap Coloring Book Betty Casey - The Complete Book of Square Dancing Styles, die es noch nicht gab: R'n'Roll Hip Trance Nu Reaggae Freepunk Grunge'n'Rave Retrotech Britmetal Alternative Schlager Antijazz S'n'S (Soul'n'Ska) Coolest Women in Music 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Deborah Harry Meg White PJ Harvey M.I.A. Cat Power Bjork Scout Niblett Kim Deal Peaches Patti Smith Coolest Men in Music 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Jarvis Cocker Bob Dylan Paul Smith Mike Patton Mike Skinner Josh Homme Roots Manuva Pete Doherty Howe Gelb Stephen Malkmus «Punks nicht tot», so zertraten die Aeronauten auf «Hier» einmal mehr die ausgetretene Parole von den Lederjacken der grammatikalisch etwas unsicheren Exploited-Fans. Für Punkmusiker und Autor John Robb ist Punk gar so untot, dass er ein Buch darüber geschrieben hat. Er erklärt den Punkrock gerne anhand von zwei damals noch einsamen Stooges Fans an einer Schule in Manchester: Howard Devoto und Pete Shelley. Als die beiden 1976 im NME einen kurzen Artikel über ein Sex-Pistols-Konzert lasen – der erste Artikel über die Sex Pistols überhaupt – wussten sie, dass das genau ihre Musik war, bevor sie auch nur einen Takt von ihnen gehört hatten. Ab nach London hiess es für die beiden, und es ist wohl nur einem Zufall zu verdanken, dass sie nicht nur Malcolm McLarens berühmten Sex-Shop in der Kings Road sofort fanden, sondern, dass die Pistols an diesem Wochenende auch zwei Shows in der Nähe von London spielten. Zurück in Manchester gründeten die beiden unverzüglich die Buzzcoks und holten bei der ersten sich bietenden Möglichkeit die Sex Pistols nach Manchester – ein Anlass, bei dem auch die Buzzcoks selbst ihr Livedebüt gaben. Die beiden Konzerte der Sex Pistols fanden am 4. Juni und am 20 Juli 1976 statt, und die Legende will es, dass an diesem Tag alle, die später für die Musikszene in Manchester wichtig sein sollten, anwesend waren und sie alle am folgenden Tag ihre Bands oder Labels gründeten. Es entstand The Fall, Ian Curtis gründete Joy Division, Tony Wilson, die Factory Records und Morrissey die Smiths. Allerdings sind sich die Protagonisten in Johns Buch, «Punkrock – Die ganze Geschichte», nicht einig darüber, ob es nun das erste oder nicht doch das zweite Konzert der Pistols in Manchester war, das diese folgenschwere Entwicklung lostrat. John Robb schildert ähnliche persönliche Erfahrungen: «Man muss die Musik nicht gehört haben, man sah die Bilder von diesen Typen wusste instinktiv, dass das genau die Musik war, nach der man gesucht hatte.» In Robbs Punkverständnis ist Punk keine grosse Explosion, die aus dem Nichts kam und alles, was vorher da gewesen war, mit einem Schlag wegwischte. In seinem Buch wird die Geschichte des Punk als Oral History erzählt, und zwar aus der Sicht von über hundert beteiligten Musikern, FanzineMachern, Konzertveranstaltern, selbsternannten Managern und Fans. Er zeichnet nach, wie sich Punk in einem kontinuierlichen Prozess aus dem Nährboden der Sixties, des Psychedelic, Glamund Pubrock entwickelte. «Musikalisch waren die frühen Siebzigerjahre gar nicht so langweilig, wie sie in der Popgeschichte gerne dargestellt werden. Es gab haufenweise spannende Musik, David Bowie zum Beispiel, war für uns alle ein grosses Vorbild. Aber er kam aus einer anderen Welt, war wie ein Alien. Ich glaube nicht, dass jemand nach einem Bowie- oder T. Rex-Konzert nach Hause ging und eine Band gründete. Musiker waren damals für uns nur seltsame Typen. Punk änderte dieses Verständnis, weil es uns zeigte, dass jeder es konnte. Jeder konnte in einer Band sein, ein Fanzine gründen, jeder war Teil der Szene. Punk schuf eine Gleichberechtigung, die vorher im Musikbusiness undenkbar war. Erst hatten wir eigene Fanzines, dann Websites, jetzt ist es Myspace. Das wiederum wird irgendwann von etwas besserem abgelöst werden, das nicht in der Hand von Medientycoon Rupert Murdoch ist. Die Demokratisierung in der Musik ist nicht aufzuhalten.» Punk ist keine Mode Die Do-it-Yourself-Kultur wurde zu einem Hauptmerkmal des Punk. Auch wenn es schon im Underground der Sechzigerjahre Momente der Selbstermächtigung gab – Punk machte sie zu einer Bewegung, die nicht nur eine ganze Generation prägte, sondern auch die Abhängigkeiten in der Popkultur neu regelte. Auch wenn die Aushängeschilder des Punk, die Sex Pistols und The Clash, auf Majorlabels veröffentlichten, wurde es seither zur Selbstverständlichkeit, seine Tonträger selbst heraus zu bringen. The Damned gingen mit gutem Beispiel voran – darin sind sie gut, sie waren auch die erste Band, die sich auflöste, und die erste Band, die sich wieder zusammentat – , gefolgt von den Buzzcocks und den wohl berühmtesten Vertretern des DIY-Gedankens, Crass. Crass sollten auch in vielerlei anderer Hinsicht eine der prägendsten Band der Bewegung werden. In den Achzigern verkauften Crass über unabhängige Kanäle mehr Platten als die meisten Top Ten Acts, wie etwa «How Does It Feel To Be The Moher Of A Thousand Dead?», mit dem sie Thatcher’s Falkland-Krieg hinterfragten. Die Bandmitglieder entstammten verschiedenen sozialen Hintergründen, waren unterschiedlich alt, verbanden die politischen Ideale der Hippies mit progressiven und positiven Ideen. In diesem Fall war Punk weit mehr als «No Future»-Nihilismus. «Die Sex Pistols sangen von Anarchie, Crass erklärten sie. Oft diskutierte die Band stundenlang mit dem Publikum, anstatt zu spielen.» Die Musik von Crass klang weitaus weniger nach dem Rock’n’Roll der anderen britischen Punkbands, eigentlich war es eher rauer, aggressiver Hardcore, der aus einem sehr freien Spiel entstand, Schlagzeuger Penny Rimbaud verortet seine Spielweise denn auch im Free Jazz. Mit das wichtigste an Crass sind aber ihre Texte und Themen. Punk änderte die Inhalte von Texten: Während der 70er-Jahre-Progrock noch von Feen und Elfen oder König Artus handelte, erzählte Punk «banale und alltägliche Dinge, die alle betrafen und alle verstanden. Es konnte auch darum gehen, dass man auf den Bus wartete, es war für alle nachvollziehbar.» Crass gingen noch einen Schritt weiter, indem sie die Punkszene politisierten. Als radikale Pazifisten und Antifaschisten engagierten sie sich in der Hausbesetzerszene, sangen über Veganismus, zum Thema Sexismus brachten sie 1981 mit «Penis Envy» ein Konzeptalbum heraus. Und Crass prägten in Abgrenzung zu der Londoner Fashion-Punkszene den abgefuckten, ganz in schwarz oder grau gehaltenen Kleidungsstil, der bis heute in der linken, autonomen und Hausbesetzerszene vorherrscht. Punk begann in London als Mode. Und die Klamotten aus dem Sex-Shop waren wirklich atemberaubend. Aber als sich Punk ausbreitete, begannen die Londoner zu sagen: «Punk ist tot seit die aus der Provinz auch dabei sind», und daraus entstand die Bewegung der New Romantics. «Aber wir hatten noch nicht genug, und Punk war bei weitem nicht tot, ist es meiner Meinung nach immer noch nicht. Modisch war Punk sehr vielseitig, du konntest die sündhaft teuren Bondage-Hosen im Sex-Shop kaufen, du konntest aber auch wie die Buzzcocks in ganz alltäglichen Sachen rumlaufen. Subway Sect kleideten sich wie in polnischen und russischen Nachkriegsfilmen – keine Ahnung, wo sie diese Filme damals herbekamen – und Steve Jones meinte zu ihnen: ’He, ihr seht aus wie eine Band, warum gründet ihr nicht eine?’ Wenn du dir heute Filme über Punk ansiehst, dann sehen immer alle verdammt bunt aus. Aber die ersten Irokesen tauchten nicht vor 1979 auf.» In den Siebzigern spielte schon das kleinste modische Statement eine Rolle. Kurze Haare und gerade geschnittene Hosen reichten bereits aus, um verprügelt zu werden. «Wir waren fünfzehn, und wurden von viel älteren Rockern verdroschen, weil wir nicht diese unsäglichen Jeans-Jacken und –Hosen und langen Haare trugen. Das ist heute unvorstellbar und ich bin froh, dass es so ist.» «The Revolution Will Not Be Televised» Robb verklärt die Siebziger in keiner Weise romantisch, er möchte nicht wieder zurück zu 1976, er kann sich keine langweiligere Zeit vorstellen: «Es gab nur zwei Programme, das Fernsehen endete um elf und danach kam die Nationalhymne. Das war grausam und langweilig. Heute gibt es viel mehr spannende Musik, ich bin nicht mehr auf das Fernsehen angewiesen. Vor Punk war es für uns undenkbar, dass es etwas anderes als die grossen Magazine und Top of the Pops gab. Punk hat für mich die Sicht auf die Welt verändert, vor Punk war alles in Schwarz/Weiss, Punk tauchte meine Welt in Farbe.» Er weiss aber auch, dass etwas so Revolutionäres wie Punk unwiederholbar ist. «Als die Sex Pistols ’God Save the Queen’ veröffentlichten, war das ein Sakrileg. Im patriotischen England konntest du nichts gegen die Königsfamilie sagen, erst recht nicht in der Woche des silbernern Jubiläums. Das war ein raffiniert geplanter Coup. Der Song war in den Charts auf Platz Eins, obwohl es keiner zugeben wollte, stattdessen wurde vorgegeben, der Song habe es nur auf Platz Zwei geschafft. Im Radio und im Fernsehen war er gar nicht zu hören. Aber alle wussten es – und ganz nebenbei: Das ist ein grossartiger Song, der alles wegbläst, mit einem fantastischen Sound und einem fantastischen Text. Egal wie viel Scheisse der zynische Selbstdarsteller Johnny Rotten heute auch von sich gibt, damals war er unser Sprachrohr. Aber wenn du heute so ein Lied machst, wird sich niemand mehr darüber echauffieren, «Schön, das ist eure Meinung, na, und?» Auf diese Weise sind die Sex Pistols mit Berechtigung einzigartig und es ist schade, dass sie nur ein Album gemacht haben. Doch anlässlich des dreissigjährigen Jubiläums von «Never Mind The Bollocks» treten die Pistols am 8. November 2007 erneut auf. «Für mich ist das kein Ausverkauf. Ausverkauf ist, wie Joe Strummer mal so passend gesagt hat, nichts anderes, als wenn ein Konzert ausverkauft ist. Was doch gut ist, oder? Ich beurteile sie danach, wie sie spielen.» In den 70ern gelang es der Punkszene in Bristol die religiösen Grenzen einzureissen, in Russland ist Punk heute eine verdammt grosse Sache, sagt John Robb. Er tourt mit seiner Band Goldblade um die ganze Welt und er spricht davon, dass Punk heute genauso am Leben ist wie damals. «Es ist sogar alles einfacher geworden. In den Siebziegern hat man aufs Maul gekriegt von Teds, Mods etc. Heute stehen Skins, Punks, Mods und alle anderen auf dem gleichen Konzert und feiern eine Party. Ohne Punk hätte es die ganzen Substile, Post-Punk, Oi!, Hardcore, Gothic, das Ska- und das Rockabilly-Revival nicht gegeben. Und all diese Stile existieren bis heute und es gibt gute Musik. Auch in den Siebzigern gab es furchtbar schlechte Punkbands, aber dennoch gab es massenhaft gute Singles, weil jede Person einen guten Song in sich trägt. Darum gibt es immer noch so viel gute Musik.» Von Chris Wilpert John Robb: PUNK ROCK – Die ganze Geschichte, Broschur, mit s/w-Abbildungen, 528 Seiten, 19,90 EUR, ventil-verlag.de 9 «Eine Mischung aus NME, Metal Hammer und Gala» The day heavy metal died Auf Recherche in Sachen Musik- und Lifestylemedien landete die Faz-Autorin eines schönen Tages auf dem Sofa der Rockstar-Redaktion und manövrierte sich zielsicher in einen üblen Tittentalk. Der Kampf der Geschlechter reloaded. Vor zehn Jahren verantwortete der heute 34jährige Joel Meier noch im Auftrag der All 4 Music & Lifestyle GmbH (für Jugendmarketing aller Art) das Technoblatt Raveline. Er sei, wie er meint, damals dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Weil er aber als ehemaliger Lazybones-Drummer schon immer eher den Rock im Blut hatte, trabte er eines Tages bei der Geschäftsleitung vor und verkündete: «Rock ist das nächste grosse Ding»! Man einigte sich auf ein Konzept und vor vier Jahren startete das Magazin Rockstar. Heute erreicht die Auflage stolze 50‘000 Exemplare, die Anzeigenkundenliste reicht von Abart und Apple über Emil und Jean Frey bis hin zu Revox und Rohstofflager. Inzwischen gehört die All 4 Music mehrheitlich Meier, vor der Tür steht ein dicker Chrysler, daneben wird gerade ein alter Bus geschwärzt und in der Ecke brennt eine Kerze für Elvis. Machos sind wir natürlich schon. Es ist einfach so, dass junge Frauen wieder Machos wollen. Darum gehen sie an Rockkonzerte, und deshalb stehen sie auf Hip-Hop. Dort ist es noch viel übler, die Hip-Hopper vergewaltigen ja ihre Frauen, misshandeln sie, unterdrücken sie – das machen wir nicht. Wir sagen einfach: Wir sind hier auf der Bühne, wir flitzen, wir ziehen uns aus, und ihr dürft uns anfeuern. Von Rave zu Rock. Das ist ein langer Weg. Jürg Zentner: Wir nehmen Frauen im Fall ernst! Euer Chefredaktor? Nicht unbedingt. Von der Intensität her können sich Techno und Rock je nach dem ziemlich ähnlich sein. Deshalb sitzen nur Typen in der Redaktion, und Frauen im Bikini verteilen euer Heft. Meier: Ja genau. Übrigens sind die Neuabonnenten seit Monaten zu 80 Prozent Frauen. Zentner: Es war eben heiss! Ist es auch sexistisch, wenn eine Frau im Bikini die Weltwoche liest? Wir prügeln keine Frau dazu, das zu machen. Sind dann diese Frauen auch sexistisch? Die ziehen diesen Bikini an, die machen das gern. Dass die Frauen anderen Frauen dauernd unterstellen, sie wollen nicht sexy sein, das verstehe ich nicht. Sexistisch wäre, wenn ich eine Frau anders behandeln würde als einen Mann. Viele Männer sind doch keine Männer mehr, das sind Weicheier, das ganze Gerede von wegen man muss zuhören, lieb sein, das ist doch Bullshit. Wir sind Rockstar, Rock ist radikal und geht nach vorn. Viele Musikjournis finden euch ganz schrecklich. «Unter aller Sau» oder «das Letzte» waren ihre Worte. Tut das weh? Das Thema eures ersten Heftes war «Rock is Dead» und ihr hattet einen sehr schicken Schriftzug vom trendigen Büro Destrukt. Die 10 unnötigsten Top Ten Listen Von Etrit Hasler 1. die zehn besten top Ten Listen 2. die zehn langhaarigsten Metal-Rocker, die eine Ahnung von Haarpflege hatten 3. die zehn ekligsten Dinge, die Alice Cooper auf einer Bühne im Mund hatte 4. zehn Michael Jackson Songs, die wir lieber von jemand anderem gehört hätten 5. die zehn bekanntesten Baby-Songs 6. zehn Gründe, weshalb Gölä wieder auf Schweizer deutsch singen sollte 7. zehn Gründe, weshalb man in Zürich keine Musik machen darf 8. die zehn bekifftesten Rapper der neunziger Jahre 9. die zehn unnötigsten Rockstar-Ausgaben 10.die zehn unnötigsten Top Ten Listen 10 Gründe, weshalb man in Zürich keine Musik machen darf Von Etrit Hasler 1. Wir spielen Zürich 2. Weil immer nur im Helsinki spielen irgendwann doch langweilig wird 3. Weil Ghetto-Rap, Paradeplatz und Authentizität nicht unter einen Hut passen. Echt nicht. 4. Weil es nur in Zürich noch Leute gibt, die «Kulturschaf fende» sagen können, ohne sich dabei zu verschlucken 5. Weil in LA koksen billiger ist 6. Wenn ich Zürich sage, denke ich an Napalm 7. Weil der ZSC-DJ auf die Idee kommen könnte, deine Songs nach einem Tor laufen zu lassen 8. Weil man in Zürich glaubt, DJs seien auch Musiker 9. Wenn du deutsche Fans willst, kannst du gleich nach Berlin ziehen 10.Weil, seien wir mal ehrlich, du das nur machst, damit duirgendwann nach Berlin ziehen kannst 10 der ekligsten Dinge, die Alice Cooper auf einer Bühne im Mund hatte Von Etrit Hasler 1. Fledermaushoden 2. Taubenköpfe 3. Maden 4. Billion Dollar Babies 5. ein 9er-Eisen 6. den Text zu «Poison» 7. dieses eklige Kunstblut, das nach 5 Minuten wieder hart wird und am Mikro kleben bleibt 8. seine Frau 9. seine Gitarristen 10.Alice Cooper Die zehn besten Soundtracks 1. Dust Brothers – Fight Club 2. John Carpenter – Escape from New York 3. Ennio Morricone – Once Upon A Time In The West 4. Eternal Sunshine of a Spotless Mind (O.S.T) 5. Giorgio Moroder – Midnight Express 6. RZA - Ghost Dog 7. Trainspotting (O.S.T.) 8. Basquiat (O.S.T.) 9. Curtis Mayfield – Superfly 10. Top Gun (O.S.T.) Was in der Rockstar-Redaktion läuft: Lachen mit Klibi und Caroline DJ Bobo - Vampires are alive Roadhouse Preachers 10 Dabei ging es darum, zu zeigen, dass dieses ganze, total dumpfe Heavy Metal-Klische vorbei ist. Tot. Diese Bands entwickeln sich auch nicht weiter, jedes Album klingt gleich wie das vorangehende. Da kannst du gleich in der Administration Adressen eintöggle. Davon wollten wir uns klar abheben, damit haben wir nichts zu tun. Seid ihr nicht einfach eine billige Kopie der britischen Indiebibel NME (New Musical Express)? Wenn du uns mit NME in Verbindung bringst, dann ist das ein Kompliment. Wir versuchen auch ein Wegweiser zu sein, filtern jeden Monat aus Hunderten von Veröffentlichungen einige heraus, die o.k. sind, und da richten wir den Spot drauf. In der Art, wie die Texte geschrieben sind, da sind wir viel unterhaltsamer, lockerer, sehr kurz, lieber mit einem riesigen Bild. Wir bieten viel Kurzfutter und Unterhaltung. Von der Anlage her sind wir eine Mischung aus NME, Metal Hammer und Gala. Könntet ihr nicht regionale Bands stärker behandeln? Nein, ich finde, wir haben den Lokalbezug immer, Schweizer Bands finden bei uns jeden Monat statt, wir haben dafür separate Gefässe. Aber man muss auch sehen, dass wir momentan keine grossen Schweizer Bands im neuen Rockbereich haben. Das muss man aufbauen. Letztes Jahr hatten wir eine Nummer nur mit Schweizer Bands. Die Delilas haben wir das ganze letzte Jahr über begleitet, Snitch auch. Wir würden gerne mehr machen. Sollen wir Lokales machen und Dave Grohl rausschmeissen? Es gab auch eklige Vergewaltigungsfälle im Rock. Man kann doch nicht die beiden Stile gegeneinander ausspielen. Wir reflektieren auch, was auf der Strasse passiert, da können wir nichts machen. Sich die Brusthaare rasieren ist wieder out. Wir sind nur ein Spiegel der Gesellschaft. Jürg! Sag du etwas dazu, du kannst das viel besser. Ja eben, deshalb gibt es Peaches, Karen Os und Beth Dittos – das sind auch Frauenbilder, die sexuell aufgeladen und trotzdem interessant sind. Zentner: Die Misswahlen sind einfach sehr sexistisch. So billig, so cheap. (entfernt sich schimpfend) Nein, es tut uns Leid, dass sie gefangen sind in ihren Verlagsformen, dass sie nicht schreiben können, was sie wollen, dass sie keine eigene Meinung haben dürfen. Wir geniessen, das anders leben zu können. Aber praktisch alle, die jetzt hier schreiben – da sind auch welche dabei, die sonst für grosse Verlage arbeiten – finden es das Grösste, weil sie schreiben können, was sie wollen. Es gibt einige Beispiele von kleinen Musikmedien, wo die Labels damit gedroht haben, keine Werbung mehr zu schalten, sollten sie weiterhin schlechte Kritiken schreiben. Das haben sie bei uns erst auch gesagt, aber wir entgegneten, dass uns das scheissegal sei. Wir prügeln trotzdem auf Bands ein, wenn wir sie schlecht finden. Die Plattenfirmen haben gelernt damit zu leben. Man darf etwas schlecht finden, und das darf man auch in aller Deutlichkeit sagen. Glaubwürdigkeit erreichst du nicht, indem Du alles schönschreibst und keine Ecken und Kanten hast, sondern weil du eine klare Meinung vertrittst. Da frag ich mich halt, was die zu suchen haben in einem Musikmagazin! Ich geh jeden Monat irgendwohin in den Ausgang, wo ich sonst niemals hingehen würde, setz mich hin und lass es auf mich wirken. Ich versuche herauszufinden: Wie sehen die Leute aus? Wie reagieren sie? Wie gehen sie emotional ab? Wenn man davon ausgeht, dass junge Menschen ein Ventil brauchen, Grenzen sprengen und neue Wege gehen wollen – das treibt jede Generation von neuem, so sucht sie ihre eigene Identität. Darum: Die nächste Generation wird nicht mehr Rock hören wollen, oder in einer anderen Form. Die letzte hatte Rock, die vorletzte Hip-Hop und jetzt ist dieses ganze Elektroclash-PunkGemixe da, das im Untergrund brodelt. Ich weiss woran das unter anderem liegen könnte: Euer Frauenbild ist ziemlich vorsteinzeitlich. Läck, das isch so nöd wahr! Werdet ihr denn oft darauf angesprochen? Ihr frönt dem unironischen Machismo. Das ist so uncool! Zentner: Wir machen uns einfach sehr viel Gedanken, überlegen uns sehr viel, Fragen uns: Ist es richtig was wir tun? Ist es geschickt, wenn Das können Bands gerne machen, da sind wir voll dabei! Kostenpunkt 30‘000 bis 40‘000 Franken, nicht wegen uns, sondern wegen der Pressegebühren und der Suisa. Wir haben das sogar schon mal gemacht, im ersten Jahr, mit Schweizer Bands. Die Idee war, drei Mal jährlich eine CD beilegen mit Schweizer Musik drauf. Doch die Suisa hat auf ihren 40, 50 Rappen pro CD beharrt. Bei unserer Auflage von 50‘000 Exemplaren kommst du auf 25‘000 Franken allein für die Gebühren. Deshalb versuchten wir Gelder zu kriegen vom Kulturprozent und von der Pro Helvetia, das wäre ja direkte Künstlerförderung. Aber unsere Kulturinstitutionen sehen uns halt nicht als Kultur, sondern als Kommerz. Ah, das passiert natürlich nicht bei euren Bikini-Girls Zentner: Hey, wir haben sogar Ani di Franco drin! Wenn Frauen das Gefühl haben, dass wir sexistisch sind, weil wir Freude haben, wenn wir Brüste sehen, was ja wohl jeder Mann hat, dann sorry! Heute kann man gar nicht mehr sagen: «Hey, geile Brüste, geile Titten», sondern man muss sagen: Sie hat einen guten Charakter, wunderschöne Ohren und sie riecht auch noch fein. Das ist doch Bullshit! Wir können doch einer Frau auch einfach eine Information geben, die dazu passt. Und überhaupt, wir haben im neuen Heft eine Seite mit Ex-Missen, und die kommen uns ganz schlecht weg.... Zentner: Die Frage ist, ob wir ein Musikmagazin sind. Das ist wie, wenn der Tagesanzeiger über die Nacht schreibt. Da steht Tagesanzeiger drauf! Wie kann denn der über die Nacht schreiben? Das ist genau die gleiche Art Frage. Entschuldige, wenn ich das jetzt einfach so sage. Rockstar ist nicht einfach so ein Heft. Es ist mehr, es ist ein Sourrounding: Man trägt gewisse Kleidung dazu, man trinkt Bier dazu, man raucht, man hat ein Frauenbild, da geh ich hin und sag: Du bist geil, findest du mich auch geil? Das ist doch die wunderbarste erste Kommunikation, wie sie seit Jahrtausenden funktioniert hat. Früher ist nicht gestreichelt worden. Frauen und Männer haben immer so einfach kommuniziert, das ist so schwierig geworden in den letzten zwanzig Jahren. Die Frauen wollen angesprochen werden und die Männer wissen nicht wie. Wir finden Frauen geil, das heisst aber nicht, dass wir sie nicht auch nett finden. Wir können Dave Grohl auch einen geilen Musiker finden – mit dem kann man vielleicht auch gut über Astrologie reden – das schreiben wir doch nicht, interessiert doch keinen! Und wenn wir Frauen haben, die das Heft im Bikini verteilen, dann haben wir eine ganz klare Message: Das finden wir geil. Punkt. Und es ist weder abwertend noch aufwertend, es ist einfach so. Warum muss das sexistisch sein? Sorry, dass ich jetzt so emotional bin. Ja genau. Und eure Auflage nutzen, CDs beilegen, lokale Acts bekannt machen. wir das machen. Gerade dieses Missen-Ding, in dem wir diese Frauen ziemlich angreifen: Ist es richtig, das zu sagen? Damit die Mädchen mal kapieren: Diese Frauen sind nicht einfach nur bewundernswert. Jede einzelne dieser Missen haben mit dem Titel ihr bisheriges Leben abgefuckt. Alle sind unglücklich, geschieden, am Ende, Pleite, auf Drogen, haben Goofen am Arsch von Männern, die nichts zahlen können. Das ist die Realität. Die Realität ist auch, dass dort oben 13 Frauen einer Jury präsentieren und die schauen ihnen nur auf den Arsch. Du scheinst dich da auszukennen: Was wird denn der nächste grosse Trend? Von Yvonne Kunz De zehn unterschätztesten Songwriter von Etrit Hasler Sie gingen, bevor Metal von Grunge verdrängt wurde und sie kommen zurück just, da die Metal-Retro-Welle anrollt. Die laut MTV nach Black Sabbath zweitbedeutendste Metalband: Judas Priest. Warum man sich an sie erinnern müsste. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Farin Urlaub (behauptet Farin Urlaub) Gölä (behauptet Polo Hofer) Steven Seagal (behauptet sein Manager) Paul McCartney (bezweifelten nur seine Frau und John Lennon) Ringo Starr (behauptet Thomas, die Dampflok) Guz (braucht man nicht zu behaupten, ist so) Alice Cooper (behauptet Bob Dylan) Salvador Dali (behauptet Alice Cooper) Lemmy von Motörhead (behauptet Reto Aschwanden) George W. Bush (behauptet 50 Cent) 10 Gründe, weshalb Gölä wieder auf Schweizerdeutsch singen sollte von Etrit Hasler Es war die Zeit der harten Männer, der hämmernden Gitarren und kreischenden Sänger, die Zeit der Lederhosen, Nietengürtel und Jeansjacketts mit Aufnähern, und die härtesten unter ihnen kamen aus England: Judas Priest, 1970 begründet und benannt ausgerechnet nach Bob Dylans Spoken Word-Piece «The ballad of Frankie Lee and Judas Priest», erlebten ihre besten Jahre mit der New Wave of British Heavy Metal in den späten achtziger Jahren, einer ästhetikund technikfixierten Gegenbewegung zum viel öffentlicher wahrgenommenen Punk Movement. Jedes Album der ehemaligen Bluesrock-Band ging millionenfach über die Ladentische und wurde in Welttourneen abgefeiert, tausende junger langhaariger Männer in England, den USA und dem Rest der «freien Welt» eiferten in ihrem visuellen Auftreten Priest-Frontmann und «Metal God» Rob Halford und seinem Leder- und Motorradtick nach, ohne sich jemals auch nur einen Gedanken darüber zu machen, dass sie mit diesem Aussehen genauso gut in die Schwulen- und Fetischszene gepasst hätten – doch dazu später. Es waren gute und vor allem einfache Zeiten. Anstatt mit politischen Statements anzuecken, flirteten Bands wie Iron Maiden und Blitzkrieg mit dem Crowley’schen Satanismus und anderem esoterischen Schnickschnack – hauptsache «dark» -, Seite an Seite mit belanglosen Feierabendmetallern wie Def Leppard oder verirrten Punkern wie Motörhead, die Eltern waren schockiert, Frauen gab es keine, man war unter- oder mittelklassig, trank Bier und Schnaps, fuhr ein Motorrad oder tat so und spielte auch als musikalisch unbedarftester Fan in einer Band, das war ein Muss. Und mittendrin Judas Priest, die letzte grosse Ikone aus den glorreichen Siebzigern (ihr Opening Act am letzten US-Konzert für Led Zeppelin ein ewiger Credibility-Beweis), deren Sound mit der Härte des neuen Zeitalters mithalten konnte, deren Mitglieder weder zerstritten waren (so wie beim grossen Gegenstück Black Sabbath) noch am Heroin zugrunde gegangen. Metal vor Gericht Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere landete die Band auch noch vor Gericht: 1990, als besonders in den USA vermehrt Rufe nach Zensur als Mittel gegen «entartete Kunst» laut wurden, ergab es sich, dass man den Doppelselbstmord zweier Jugendlicher, James Vance und Ray Belknap, der Band in die Schuhe schieben wollte – eine Geschichte, die über ein Jahrzehnt später ihre tragische Entsprechung im Massaker von Columbine und den Vorwürfen an Schockrocker Marilyn Manson finden würde. Die zwei depressiven Jugendlichen waren einen Nachmittag herumgehängt, hatten Bier getrunken, Joints geraucht und dabei Musik gehört, darunter eben auch Priests nicht gerade lebensbejahendstes Frühwerk «Stained Class». Und eben diese Musik sei es gewesen, die sie dazu getrieben habe, sich mit einer abgesägten Schrotflinte auf einem Kinderspielplatz vor der örtlichen Kirche vom Leben zu verabschieden, der 18jährige Belknap zuerst, dann der 20jährige Vance hinterher. Da die Waffe aber schon vom Blut des ersten Opfers verschmiert gewesen war, schoss sich der zweite nur den Unterkiefer weg, und erlag erst drei Jahre später nach unzähligen Operationen und medikamentösen Behandlungen den Folgen der grauenhaften Tat. Vance beschrieb in dieser Zeit noch, wie er und sein Paktpartner «wie programmiert gewesen seien, als ob wir keine Wahl gehabt hätten» und schrieb diese Programmierung just dem Song zu, den sie zu dem Zeitpunkt gehört hatten, «Better by you, better by me», ironischerweise ein Cover der 60er Prog-Rockband Spooky Tooth. Die Familen der Hinterbliebenen verklagten Band und Label mit dem Argument, dass der entsprechende Song rückwärts abgespielt die Botschaft «do it, do it» verlauten liess. Die Gerichtsverhandlung bleibt bis heute legendär, sowohl unter Zensurgegnern wie auch unter Jusstudenten: Das Gericht sprach der Band das Recht ab, sich auf die in den USA weitgehende Rede- und Meinungsfreiheit zu berufen und stellte nach einem ziemlich wirren Vortrag des klagenden Anwaltes mit rückwärts abgespielten Platten im Gerichtssaal sogar fest, dass die Platte tatsächlich unterbewusste Botschaften enthalte, unter anderem «I took my life», «sing my evil spirit» und «**** the lord». Allerdings fehlte dem Richter dann doch der endgültige Beweis dafür, dass und wie solche Botschaften eine Person programmieren könnten, beziehungsweise das Motiv, wieso eine Rockband ihre Haupteinkommensquelle umbringen wolle, wie auch Gitarrist und Bandgründer K.K.Downing bezeugte. Judas Priest wurde freigesprochen und von der arg gebeutelten amerikanischen Metalszene als Helden gefeiert, aber irgendwie schien der Band nicht ganz wohl dabei. Eigentlich hatten sie doch nur Musik machen wollen. Going out, coming out Die späten Achtziger brachten eine Verhärtung der Musik mit sich: Die Steigerung des Härtefaktors hatte zwar Ende der achtziger Jahre noch ein Hoch für Speed/Trash-Metal Bands aus den USA mit sich gebracht, von denen heute allerdings nur noch Slayer, Metallica und vielleicht Megadeth der Erwähnung würdig sind, doch irgendwann war dann der Bangerexzess ausgereizt. Die alten Hasen gingen langsam unter, die Szene wandte sich bald dem nächsten Phänomen zu, einzig Judas Priest blieben unwürdige «Greatest Hits»-Tourneen vor grau gewordenen Mittvierziger Mähnenträgern vorerst erspart: Nach einem Motorradunfall Rob Halfords auf der Bühne löste sich die Band auf 1991, just drei Monate bevor eine bis dahin mehr oder weniger unbekannte Band aus Seattle ihr zweites Album «Nevermind» veröffentlichte und das endgültige Ende der Metal-Ära markierte. Als Grund für die Trennung gab die Band ominöse «innere Spannungen» an, was unter den Fans für Spekulationen sorgte, die bald aufgetauchten Gerüchte, Rob Halford habe die Band verlassen müssen, weil man befürchtet habe, seine Homosexualität könne das ohnehin schon geschädigte Image der Band vollends zerstören, wurden von der Fangemeinde allerdings als lächerlich abgetan. Halford schwul? Der Metal God? Dieser testosterongepumpte Übermann mit einer Stimme wie eine Leadgitarre? Unmöglich. Dabei waren genügend Anzeichen da, dass Halford ein bisschen anders tickte: Wieso sah man den Sänger, der über «Livin’ after midnight», «ram it down» und «entry point» sang, niemals mit weiblichen Groupies? Halford gab die Antwort erst acht Jahre später in einem Interview anlässlich seiner Industrialplatte mit Nine Inch Nails-Frontmann Trent Reznor: Seine Bühnenoutfits habe er sich jeweils in «Gay Macho Bondage Shops» zusammengekauft und es habe ihn höchst amüsiert zu sehen, wie eine ganze Generation junger, maskuliner und dezidiert straighter Männer es ihm gleichgetan habe. War es ein geplanter Skandal, oder ein versehentliches Coming out? Man weiss es nicht. Halford gab sich ob des Mini-Aufschreis, der vor allem durch die Musikjournalisten ging, eher überrascht, das sei immer ein offenes Geheimnis gewesen. Aber wahrscheinlich war es mehr die Tatsache, dass die grossen Metal-Zeiten schlicht vorbei sind, die dafür sorgte, dass es auch beim offenen Geheimnis blieb. Metal never dies Der Rest der Band hatte sich derweil wieder neu formiert: Mit dem gecasteten Sänger Ripper Owens, der zuvor eine Judas Priest Tribute Band hatte, kamen die Altrocker etwa zur gleichen Zeit nochmals aus dem Ruhestand – eine Geschichte, die als «Rockstar» mit Mark Wahlberg in Hollywood verfilmt wurde und nur deswegen nicht den Untertitel «the Judas priest Story» trägt, weil man sich nicht über die finanziellen Modalitäten einigen konnte. Dass Halford aber selber auch noch eine neue Band – bescheidenerweise «Halford» genannt - gründete und mit dem alten Sammelsurium an Gassenhauern den gleichen Konzertmarkt beackerte, liess diese Neulancierung schnell scheitern. Dies und natürlich die Tatsache, dass Owens in den tieferen Stimmlagen zwar tatsächlich wie Halford klang, aber in den oberen zwei Oktaven, der sogenannten Kastratenleiter, einfach nicht mitmochte. Es kam wie es kommen musste: Halford stiess 2003 zurück zur Band, man machte noch ein Album, das sich zur kollektiven Überraschung nicht einmal unterirdisch schlecht verkaufte, und auf der dazugehörigen Tour schaffte die Band auch wieder den Sprung zu mindestens mittelgrossen Locations, in der Schweiz zum Beispiel vom Z7 zum Rüeggerholz in Frauenfeld. Was lange währt, wird also anscheinend auch im neuen Jahrtausend nicht schlecht: Derzeit arbeitet die Band an ihrem nächsten Projekt, einem Konzeptalbum über Nostradamus, denn «Nostradamus is all about Metal», wie Rob Halford in einem Interview bemerkte. Dem gibt es wohl nichts mehr hizuzufügen. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Damit endlich «s'bescht Mundart Album wo's git, Vol.5» erscheinen kann Damit Glanz & Gloria sich endlich mal ein neues Thema suchen muss Weil «ä Zitt wo's käni Grenzä me git» auf deutsch eine Kriegserklärung ist Weil er auf Englisch einfach nicht so Burnt Hesch kei Stütz, hesch kei Chölä, machsch e CD, nännsch di Gölä Weil er sonst no vill blöder tät Weil er sonst auf die Idee kommen könnte, auf Deutsch zu singen Damit er nicht auch noch in Zürich Fans findet Damit Michelle Hunziker nicht auf die Idee kommt, diese Lücke zu füllen Weil dä arm siech sonst nichts kann Die besten Archtic Monkey Lyrics von Nina Kunz 1. 2. 3. 4. 5. 7. 8. 9. 10. The probably couldn't see for the lights, but you were staring straight at me Fluorescent Adolescent Leave before the lights come on Plastic Tramp Fake Tales of San Francisco Do me a favour From the ritz to the rubble When the sun goes down Who the fuck's Arctic Monkeys? BIG Reunions 2007 1. Led Zeppelin 2. Sex Pistols 3. The Smiths 4. Stone Roses 5. Spice Girls Ten Couples in Music 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Dita von Teese und Marilyn Manson Lisa Marie Presley und Michael Jackson Kate Moss und Pete Doherty Gwen Stefani und Gavin Rossdale Pamela Anderson und Tommy Lee Courtney Love und Kurt Cobain Sid Vicious und Nancy Spungen Mick Jagger und Marianne Faithfull John Lennon und Yoko Ono Justin Timberlake und Britney Spears Von Etrit Hasler Zum Nachhören: Judas Priest, «The Essential Judas Priest», 2006, Sony/BMG 11 Alltime Favourites Von P-tess J.J.Fad - Now Really Dj.Vadim Feat. Sara Jones - Your Revolution Antipopconsortium - Your World Is Flat Paulette&Tanya Winley - Rhymin' And Rappin' Viktor Vaughn- The Powerful Beacon Göldin & Bit-Tuner Feat. Sensational - Yeah Baby Birdy Nam Nam – Abesses Kano Feat. Demon&Wiley - Mic Fight Dabrye Feat. Vast Aire - That's Whats Up Lady Sovereign - A Little Bit Of Shhh (Adrock Remix) Alltime Favourites Von Jurczok Philip Cohran - On the beach Eddie Gale - Look at Teyonda Ada Moore - Lass from the low country Moondog - Double Bass Duo Strafe – Set it Off Andrea Parker – Melodious Thunk Anti Pop Consortium – Lift Beans – Gold Skull Public Enemy – Night of the living Baseheads Magnificent 3 – Crush (Bonus Beat) Alltime Favourites Von Tozim Zivanai - Todya Tese Chiwoniso Maraire – Wandirasa Michael Jackson - Working Day and Night Bob Marley - Turn Your Lights Down Low Bob Marley Zimbabwe Prince - Purple Rain Lauryn Hill - Ex Factor Erykah Badu - Bag Lady Dizee Rascal- Hard Back (Industry) Kanye West - Jesus Walks Alltime Favourites Von Rockmaster K Canned Heat – On The Road Again Hendrix – Machine Gun Alan Vega – Jukebox Babe Charly Parker – Diverse Funkadelic – Maggot Brain Ultramagnetic MC’s – One Two One Two James Brown – Sex Machine Van Morrison – T.B. Sheets Z.A.P.P. – More Bounce To The Ounce Velvet Underground – Sister Ray Alltime Favourites Von Zamani Dj Krush – Alles! Johnny Cash – Ausnahmslos alles Ministry – Psalm 69 Mikcaljewicz – Sven die Gondeln Trauer tragen Roots Manuva – Run Come Save Me Aaliyah – Editon 2004 + van Helden Rmx „One in a Million“ Wu -Tang – Enter The Wu-Tang Clan 36 Chambers WE CAN DO – Ghost in the Shell Remix Arthur Russell – is it All Over My Face Curties Mayfield – Super Fly „Eine Musik ohne Stars sollte es sein, eine Musik ohne Hierarchien, und doch eine, die den Körper ganz erfasst, ihn jenseits konventioneller Geschlechterrollen in Bewegung bringt.“ Martin Büsser zu den (nicht eingelösten) Hoffnungen der Technokultur Der Sexismus des Rock findet also auch in der Clubszene statt, denn dort seien Frauen als Konsumentinnen und Dienstleisterinnen gerne gesehen, als musikalischer Motor des Abends weniger. Birgit Richard, Kulturwissenschafterin 13 Cheech & Chong leben! Rapper unter sich: Unser In-House Reporter E.K.R. unterhielt sich mit Dani Göldin über sein neustes Werk «Fantasy is Fucked», Rap aus Brooklyn und die Schweizer Szene. E.K.R.: Du hast dein Album ja in Berlin aufgenommen, aber anstatt mit Deutschen MCs hast du darauf mit Amerikanern wie Sensational zusammen gearbeitet. Wie kam das zustande? Tatsache. Göldin: Sensational ist seit den Neunzigern mein Lieblings-MC. Er war bei den Jungle Brothers, flog dann aber raus bei Warner, weil seine Produktionen nicht massentauglich genug waren und gab dann während den Neunzigerjahren abgefahrene Platten raus. Ziemlich bekiffte absurde Bands, was ganz gut zu ihm passte. Der Kontakt kam durch einen Kollegen zustande, der ihn in Brooklyn traf und ihm meine Sachen gab. Worum geht es da? Wie muss man das verstehen? Und das Material gefiel ihm? Er meinte es höre sich heiss an und fragte mich, was so laufe in Switzerland. Also dachte er nicht, dass es sich voll ausserirdisch anhöre? Doch, klar, aber das und die Tatsache, dass die alten Platten noch abgefuckter tönen, sprach ihn wohl an. Er macht ja selber auch dauernd irgendwas, ziemlich unüberschaubar, ist überall aktiv. Auf dem Album sind jetzt zwei gemeinsame Tracks gelandet, aber die Zusammenarbeit läuft weiter: Nächstes Jahr wollen wir auf Quiet Records eine EP heraus bringen, bei der ich die Beats auswähle und das Cover bastle. Berühmte Namen überall. Wie kam es zum Track «Walter Stürm»? Als wir die Platte machten, hockten Bit und ich in Berlin rum, kifften und holten uns «Cheech und Chong»-Filme aus der Videothek. Die ganzen Samples stammen aus diesen Filmen und die Grundstimmung ging in die Arbeit am Album über, diese witzige, bekiffte und aber wilde Atmosphäre der Siebzigerjahre. Das mag jetzt ein weiter Bogen sein zum Ausbrecherkönig Stürm, aber wenn du dich in der Schweiz nach den Geschichten aus der Zeit umsiehst, landest du unweigerlich bei Stürm. Auch Cheech und Chong befinden sich im Dauerkonflikt mit dem Gesetz. Aber immer aus einer Position, die vertretbar und einleuchtend ist, wie auch Stürm. Bei uns ist es ein wirrer Song, in dem Stürm eigentlich nur in der entscheidenden Zeile vorkommt: «Schiess ne Rakete in den Himmel rauf – wie der Walter Stürm – ich schaffe es auf jeden Fall raus.» Die Zeile ist so wichtig für den Song, dass er dann halt auch so hiess. Es ist ja auch schön, einen Song so zu nennen. Machtest nicht auch du ein Lied über Walter Stürm? Es ist eigentlich mein Lieblingssong auf der Platte, neben «Cocaine Cowboys» mit Bluebird. Darüber sollte man gar nicht zu viele Worte verlieren. Nur dass der Song im «Sounds» auf DRS 3 direkt nach dem Country Special lief. Auch dieser Track entstand aus einem Cheech & Chong-Sample, aufgrund dessen Bluebird und ich den Chorus schrieben. Es ist nicht ein Song für oder gegen Kokain, er entstand einfach aus dem Skit. Das Hübsche daran ist, dass Bluebird aus Miami stammt und der Song an die Doku «Cocaine Cowboys» erinnert, der den ganzen Handel im Florida der Achzigerjahre beschreibt. Vielleicht könnte man sagen, dass es eine doppelbödige Verherrlichung des Kokainschmuggels sei. Dein Sound passt in keine Schublade. Wie nennst du die Musik selber? Rap, einfach Rap. Ich komme aus dem Freestyle und machte das schon eine ganze Weile bevor Goran von Quiet Records 2001 eine Platte mit mir herausgeben wollte. Ich hab’s nicht so mit Kategorisierungen à la Aightgenossen.ch, «der Göldin, der durchgeknallte irgendwas Rapper». Vielleicht habe ich ja einfach die falschen Vorbilder oder versuche zu stark, nicht wie sie zu klingen. Ich höre praktisch nur Rap, aber wenn ich selber produziere, will ich vor allem mein eigenes Ding machen. Meine erste Rap-Platte war Wu Tang Clan, auch Public Enemy ist mir noch extrem präsent. Ich finde es schade, dass das Durchgeknallte und Lärmige im Rap irgendwann verloren ging. Rap ist so glatt und bünzlig geworden, und man kann es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Meine wichtigsten Einflüsse sind einerseits die ganze Wu Tang-Geschichte, dann der von Dr. Dre produzierte Eminem, ein Weisser, der in den USA Rap zum Massenphänomen machte und bei uns im halbleeren X-tra spielte. Und lokal? Goran von Quiet pushte in Zürich diese Anticon und Underground-Dinger, die zwar nicht immer meinen Musikgeschmack trafen, aber vom Lebensgefühl und der Herangehensweise genauso so sind, wie sie sein sollten. So entstand übrigens auch die Zusammenarbeit mit Quiet, die mittlerweile doch schon ihr zwanzigstes Release veröffentlichen. Eine meiner Platten nahm ich ja auch in New York auf mit FuckingTosh, einem 40jährigen Dub-Musiker aus Brooklyn, voll abgefuckt und total primitiv produziert. Völlig unschweizerisch. Ich selbst bin recht ignorant, was Schweizer Rap angeht, und habe einen extrem tiefen Toleranzlevel. Wie sieht das bei dir aus? Ich kenne nichts. Nicht mal von den Leuten, die ich persönlich schätze. Früher hättest du mich mit Bligg jagen können, doch inzwischen finde ich, dass der Typ irgendwie Respekt verdient, allein dafür, wie lange er das schon macht. Keine Ahnung, was die Leute über ihn sagen, ich habe auch nicht so die Verbindungen zur Szene. Und ich höre ja nur Musik aus Brooklyn, und ein paar alte Dub-Sachen. Die Eigendynamik der MCs der Grossstädte Los Angeles, New York oder auch London oder Paris geht ja nicht nur von den Artist aus, sondern auch den Menschen, die sich für sie einsetzen. Denkst du, dass so etwas in der Schweiz überhaupt möglich ist? Das passiert hier schon auch. Ich habe zwar keinen Einblick, wie Nation oder Bauers funktionieren, aber die pushen ihre eigenen Leute unheimlich und feiern sie ab. Für mich funktioniert das aber nicht. Du kannst nicht aus dem kleinen, funktionierenden Underground-Netzwerk herauskommen, ohne den ganzen Promoscheiss mitmachen zu müssen. Ich machte einen Versuch bei Coffee und ein Album beim Musikvertrieb, und das war nur ein grosses Missverständnis. Es funktionierte einfach nicht. Von E.K.R. Quiet Records Founded: Roster: Releases: Next up: Web: 1999 15 Acts, including Göldin, Bit-tuner, 88:komaflash, The Rabbit Theory, DJ La Bombe, Ferocious41 20 Göldin & Bit-Tuner LP www.quiet.ch 12 Hip-Hop Classics that Sample the same Song (James Brown's Funky Drummer) Scarface: Born Killer Public Enemy: Fight the Power NWA: Fuck the Police Ultramagnetic MCs: Give the Drummer Some Kool G Rap & DJ Polo: Its a Demo Ice Cube: Jackin For Beats LL Cool J: Momma Said Knock You Out De La Soul: Oodles of O's Ice T: Original Gangster RUN DMC: Run's House Stop the Violence: Self-Destruction Beastie Boys: Shadrach Another 12 Hip-Hop Classics that sample the same Song (The Honeydrippers: Impeach the President) The Arsonists - The Session Audio Two - Top Billin' Big Daddy Kane - Smooth Operator De La Soul - Ring, Ring, Ring Digable Planets - Rebirth of Slick Dilated Peoples - Guaranteed Eazy-E - Eazy Duz It Kool Keith - Sex Style LL Cool J - Round the Way Girl Nice & Smooth - Funky For You Notorious BIG -Unbelievable Wu-Tang Clan - Ain't Nuthin to Fuck Wit 10 Gründe, weshalb es für Hip-Hop noch Hoffnung gibt: Jay Dee - Welcome 2 Detroit Saul Williams - Amethyst Rockstar Public Enemy - How you sell Soul to a soulless People Anti Pop Consortium - Arrythmia E.K.R. - Dis Tape N*E*R*D* - In Search of Outkast - Stankonia Dizzy Rascal - Boy in da Corner Spank Rock - YoYoYoYoYo Edan Portnoy - The Beauty of the Beat Die zehn besten Livealben Nirvana – MTV Unplugged In New York Bob Marley And The Wailers – Live! The Who – Live At Leeds James Brown – Live At The Apollo MC5 – Kick Out The Jams David Bowie – Santa Monica ’72 The Rolling Stones – Get Yer Ya Ya’s Out Johnny Cash – Live At San Quentin Suicide – 23 Minutes Over Brussels Thin Lizzy – Live And Dangerous Die zehn besten Greatest Hits Alben Madonna – The Immaculate Collection Aretha Franklin – 30 Greatest Hits The Beatles – 1962–1966/1967–1970 Neil Young – Decade Prince – The Hits 1 & 2 Pet Shop Boys – Discography Buzzcocks – Singles Going Steady The Faces – Good Boys When They’re Asleep Curtis Mayfield – A Man Like Curtis The Jam – Snap 14 15 Bäckerstrasse 51, 55 Züri Stadtgschichte. Von Thomas Stahel Von Thomas Stahel // «Wer ist Bäcki?» So fragt der deutsche Autor Klaus Harpprecht 1995 in einer Kolumne in der Weltwoche. Bei jedem Besuch in Zürich rätselt er über die Parole «Bäcki bleibt – sonst knallt’s!» beim Bahnhof Enge. «Wer ist Bäcki? Ein Klein-Drogenhändler aus dem aserbaidschanischen Baku, der die Behörden um Asyl ersucht hat? Ein Neu-Anarchist, der den Namen des grossen Bakunin ins HerzigHelvetische übersetzte?» Keines von beidem. Erbaut wird die Backerstrasse 51 1885, ein Jahr später folgt das kleine Nachbarshaus Nummer 55. Im Laufe des Jahrhunderts ändert sich mehrfach die Bewohnerschaft. In den 60er und 70er Jahren werden die Wohnungen beispielsweise an Saisoniers vermietet. Bis zu vier Personen teilen sich ein Zimmer und zahlen dafür den Preis von 200 bis 300 Franken. Nach der Erdölkrise 1973/74 kommt es in den Kreisen 4 und 5 zu einer Umschichtung. Die Rezession wird auf dem Buckel der ausländischen Arbeitskräfte ausgetragen, die das Land in Scharren verlassen müssen – auch an der Bäckerstrasse 51. 1977 zieht die erste Wohngemeinschaft ein; vornehmlich StudentInnen aus dem Berner Oberland und dem Graubünden. So hängt am 1. Mai 1978 ein Transparent «Stärkt die Linke in den Bergregionen» an der Fassade. Während der 80er-«Bewegig» entwickelt sich die Bäcki – wie sie von den BewohnerInnen liebevoll genannt wird – zur Hochburg der ausserparlamentarischen Linken. Bald ist das Haus auch bei der Polizei bekannt und berüchtigt. Anfang der 80er Jahre verhaftet sie zwei BewohnerInnen, denen vorgeworfen wird 34,5 Kilogramm Sprengstoff, 102 Meter Zeitzünder, Pistolen und Munition gestohlen und versteckt zu haben. Bei einer Razzia findet die Polizei Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen. Etwas später kommt es zu einem tragischen Vorfall: Nach einem Streit wird ein 36-jähriger Mechaniker mit einem Rüstmesser tödlich verletzt. «Erstochen! Schauplatz: Zürcher PolitUntergrund», empört sich der Blick am 23. April 1982. Das Haus sei bei den Behörden schon länger als Treffpunkt von Chaoten und Terroranhängern bekannt. Ein Nachbar zum Blick: «Die Bewohner machen oft unerträglich Lärm schiessen sogar aus den Fenstern, und die Polizei tut nichts.» Zu einer weiteren Hausdurchsuchung kommt es im September 1984: Nachdem die Polizei einen Bewohner kontrolliert hat, der Spraydosen und eine Schablone bei sich führte, wird nicht nur die WG des Betroffenen, sondern gleich das ganze Haus durchsucht. Die unliebsamen Besuche der Polizei bleiben nicht isoliert: Ende der 80er Jahre kommt es zu einem Brandanschlag, verschiedene BewohnerInnen erhalten anonyme Drohbriefe von einer Gruppe, die sich «Swiss Watch Zürich» nennt. Die Diffe- IMPRESSUM renzen der unterschiedlichen politischen WGs dagegen werden nur verbal geführt – dafür nicht weniger heftig. Ein Beispiel: als Anti-ImperialistInnen der Bäcki 1989 aus Solidarität mit einem Hungerstreik der RAF ein sternförmiges, rotes Transparent «Für die Zusammenlegung der politischen Gefangenen» am Haus aufhängen, entgegnen die AnarchistInnen im ersten Stock mit einen kleinen handgemalten Transpi «Freiheit für alle Gefangenen». Den Höhepunkt erlangt der Konflikt, als die Demokratie-Bewegung in China auf dem Tiananmen-Platz mit Panzern überrollt wird. Zwei Anarchas schneiden einen Zacken des Sterns ab und schreiben auf einem Zettel im Treppenhaus: «das blutrote Symbol können wir nicht länger dulden». Ende der 80er Jahre droht neues Ungestüm: das Haus hat mehrfach den Besitzer gewechselt, bis es 1988 vom Genfer Bauunternehmer Richard Ambrosetti gekauft wird. Dieser plant einen Neubau mit 50 Kleinwohnungen. Das Haus öffnet sich gegen aussen: im Frühjahr 1990 wird der Infoladen Kasama gegründet, ein Jahr später das Kellerkino Potemkin eingerichtet und ein regelmässiges Infoblatt herausgegeben. Im Oktober 1990 treten die BewohnerInnen in einen Auszugsboykott, im Juni 1991 wird die Bäcki besetzt. Mit unzähligen Aktion wehren sich die BewohnerInnen gegen den Abriss: das Büro von Stadtpräsident Esthermann wird besetzt, ein Bäcki-Film produziert und auf dem Fussballplatz des FC Servette schreiben AktivistInnen «Lutte contre les spéculateurs – Ambrosetti ne touche pas à la Bäckerstrasse». Am Ende bleibt die Bäcki nicht. Das Neubauprojekt von Ambrosetti wird jedoch nach dem Abriss nicht verwirklicht, da dieser Konkurs geht. Rund acht Jahre bleibt das Areal in der Folge unbebaut. Die «Rattenwiese» – wie das brachliegende Land im Quartier genannt wird – wird zum Mahnmal für Spekulation und Quartierzerstörung. Erst Ende der 90er Jahre planen die neuen Besitzer der renommierten Galerie Hauser & Wirth einen Neubau. Die Unterschiede könnten nicht grösser sein: Während zuvor mehr als 40 BewohnerInnen an der Bäckerstrasse 51/55 gewohnt haben, leben in den fünf Neubauwohnungen der internationalen Oberklasse nicht halb so viel Leute auf bedeutend mehr Raum. Die «grösste Eigentumswohnung von Zürich» (3 Etagen, 13 Zimmer, 713 Quadratmeter) wird 2002 zum Verkaufspreis von mehr als sechs Millionen Franken angeboten. Die Saisoniers der 60er Jahre und die WG-Bewohnerinnen der 80er Jahre können sich solche Preise wohl kaum leisten – vielleicht der Drogenhändler aus Baku... Tina rocks the line Mit Texten von: Yvonne Kunz, Ivan Sterzinger, Etrit Hasler, Chris Wilpert, Martin Büsser, Silvano Sarno, Martin Söhnlein, Matthew Bennett, Chris Wilpert, E.K.R. Fabrik Zeitung Seestrasse 395 Postfach 1073 8048 Zürich zeitung@rotefabrik.ch Herausgeberin: Interessegemeinschaft Rote Fabrik Seestrasse 395, 8048 Zürich Tel. Redaktion 044/ 485 58 08 www.rotefabrik.ch Redaktion: etrit.hasler@rotefabrik.ch yvonne.kunz@rotefabrik.ch Gestaltung: gregor.huber@glashaus.ch ivan.sterzinger@glashaus.ch Photos: Nicolas Duc www.nicolasduc.com Plakat: gregor.huber@glashaus.ch Druck: Ropress Genossenschaft Baslerstrasse 106 8048 Zürich Website: www.glashaus.ch/faz Inserate: Silvio Tommasini, inserate@rotefabrik.ch Tel. 076/343 93 95 Auflage: 3‘500 Exemplare Erscheinungsweise: monatlich Abonnemente: 35 Fr. pro Jahr/10 Ausgaben 60 Fr. Soliabonnement zeitung@rotefabrik.ch WIDERSPRUCH WIDERSPRUCH 52 Beiträge zu sozialistischer Politik Beiträge zu sozialistischer Politik 52 Ungleichheit, Ausgrenzung Ausgrenzung und Ungleichheit, soziale Gerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit Globale Ungleichheit; Neue Klassengesellschaft, Globale Ungleichheit; Neue Klassengesellschaft, soziale Spaltung, Prekarität, Geschlechterfrage; soziale Spaltung, Prekarität, Geschlechterfrage; Neue Unterschicht, Klasse der Lohnabhängigen, Neue Unterschicht, Klasse der Lohnabhängigen, Streiks und soziale Kämpfe; Frauen und Streiks und soziale Kämpfe; Frauen undPflegePflegearbeit; Schulische Selektion, Lebenslanges arbeit; Schulische Selektion, LebenslangesLernen; Lernen; Agrotreibstoff Ernährungssouveränität Agrotreibstoff gegengegen Ernährungssouveränität OKTOBER 0 7 GAINSBOURG ET BA RDOT E. Altvater, K. Dörre, I. Lenz, R. Levy, Oesch, E. Altvater, K. Dörre, I. Lenz, R. Levy, D.D. Oesch, W. Eberle / H. Schäppi, V. Pedrina / H. Hartmann, W. Eberle / H. Schäppi, V. Pedrina / H. Hartmann, G. Notz, E. Hug, I. Langemeyer, R. Sonderegger LES 40 ANS DE LEUR AMOUR MAN HATTAN SHORT FILM FESTIVAL KINO/LOT: MARSEILLE G. Notz, E. Hug, I. Langemeyer, R. Sonderegger Grundeinkommen / Mindestlohn Grundeinkommen / Mindestlohn A. Gorz: Seid realistisch – verlangt das Unmögliche M.R. Krätke: Grundeinkommen - Sozialstaatsersatz A. Gorz: A. Seid realistisch – verlangt das Unmögliche Rieger / H. Baumann: Mindestlohnpolitik M.R. Krätke: Grundeinkommen Sozialstaatsersatz A. Sirmoglu / P. Streckeisen: -Kapitalistische Utopie? A. RiegerW./Vontobel: H. Baumann: Mindestlohnpolitik Rettet die Marktwirtschaft ! A. Sirmoglu / P. Streckeisen: Kapitalistische Utopie? W. Vontobel: Rettet die Marktwirtschaft ! am Helvetiaplatz, Tel. 044 242 04 11, www.xenix.ch Marginalien / Rezensionen / Zeitschriftenschau Marginalien / Rezensionen / Zeitschriftenschau 16 27. Jg./1. Halbjahr 2007 27. Jg./1. Halbjahr 2007 Fr. 25.– / &16.– Fr. 25.– / &16.– 236 Seiten, Fr. 25.– / D 16.– (Abonnement Fr. 40.– / D 27.– ) zu beziehen im Buchhandel oder bei WIDERSPRUCH, Postfach, CH - 8026 Zürich Tel./Fax 0041 44 273 03 02 vertrieb@widerspruch.ch www.widerspruch.ch