FoAk Gesundheitstechnologien
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KLÖ berlin GTJ Gesundheitstechnologien NR. 51 · JAHRGANG 22 · SEPTEMBER 2006 · TU BERLIN Die TU Berlin – Innovationsmotor in der deutschen Hauptstadt D ie Technische Universität Berlin zählt mit zirka 27 900 Studierenden und rund 320 Professorinnen und Professoren zu den größten technischen Hochschulen in Deutschland. Die Entwicklung innovativer Technologien und zugleich die Betrachtung von Technikentwicklung und -anwendung hinsichtlich ihrer sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte bilden den Kern von Forschung und Lehre. Das wissenschaftliche Profil wird durch ein breites Fächerspektrum der Ingenieur-, Natur-, Planungs-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften bestimmt. Aus diesen Bereichen bildet die TU Berlin ihre interdisziplinären Forschungsverbünde, die entscheidende Beiträge zu den relevanten ökonomischen und gesellschaftlichen Fragestellungen liefern. Ihre aktuellen Schwerpunktthemen liegen in den Forschungsfeldern Information und Kommunikation, Verkehr und Mobilität, Energie, Wasser und natürliche Ressourcen, Gesundheit und Ernährung, Gestaltung von Lebensräumen und Wissensmanagement. Darüber hinaus konnte sie mit Forschungsprojekten aus den Disziplinen Mathematik, Chemie sowie Informatik und Elektrotechnik im Exzel- lenzwettbewerb von Bund und Ländern bereits ihre Stärken unter Beweis stellen. Mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung arbeitet die Universität seit vielen Jahren eng zusammen. Ein Zeichen dafür sind die im Jahr 2004 eingeworbenen Drittmittel in Höhe von rund 70,5 Millionen Euro. Gerade die Drittmittelzahlen erlauben einen Rückschluss auf die Aktualität von Forschungsprojekten und die Wettbewerbsfähigkeit der Wissenschaftler. Die TU Berlin versteht sich nicht nur als Impulsgeber für innovative Prozesse, sondern auch als Wirtschaftsmotor der Region. Mit den eingeworbenen Drittmitteln werden zahlreiche hochwertige Arbeitsplätze im Bereich der Forschung geschaffen. Hinzu kommt der Innovationstransfer bei wissenschaftlichen Ausgründungen. Viele Start-ups aus der Universität bereichern nicht nur die Wirtschaftsbranche, sondern schaffen auch viele Arbeitsplätze für Berlin und Brandenburg. q www.tu-berlin.de ZUM GELEIT Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Technische Universität Berlin beschreitet mit ihrem 2004 verabschiedeten Strukturplan neue Wege: Sie benennt sieben fachübergreifende Problemfelder als Schwerpunktthemen und übernimmt damit Verantwortung für die Suche nach Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft. Gesundheit und Ernährung bilden eines dieser Schwerpunktthemen. Dies hat auch für unsere Region eine besondere Bedeutung, gelten Berlin und Brandenburg doch als die führende wissenschaftsgestützte Gesundheitsregion Deutschlands. Ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und mit innovationsorientiertem Wissen zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze beizutragen ist eines unserer erklärten Ziele. Aber natürlich geht es der TU Berlin als Ideenschmiede der Region auch darum, den Stand des Wissens durch anwendungsorientierte und Grundlagenforschung zu erhöhen. Die besondere Kompetenz unserer Universität liegt dabei in den technischen Fächern. Viele Ingenieure, Elektrotechniker, Informati- ker, Wirtschafts-, Arbeits- und Werkstoffwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen haben in ihrer Forschungsarbeit auch Bezüge zur Gesundheit. Diese wollen wir nicht nur über die Grenzen unserer Universität und unserer Stadt hinaus sichtbar machen, sondern laden die Beteiligten im Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) ein, in interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppen in konstruktivem Dialog neue Themenfelder zu erschließen, Forschungsfragen aufzuwerfen und Lösungsansätze zu suchen. So versteht sich das Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie als ein Kristallisationspunkt in der Gesundheitswissenschaft, -technologie und -wirtschaft. Dieses Angebot stößt auf großes Interesse: Derzeit befassen sich im ZiG Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 23 Fachgebieten u. a. mit innovativem Gesundheitsmonitoring, Rehabilitationstechnologien, digitalisierter integrierter Versorgung, der Herstellung und Wiederaufbereitung von Medizinprodukten sowie Fragen der Finanzierung und Vergütung von Gesundheitsleistungen. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht dabei der Nutzen für die betroffenen TU BERLIN Menschen. Medizintechnische Fortschritte bei Diagnostik und Therapie, bei Prävention, Gesundheitsförderung und Nachsorge sowie bei der Bewältigung von chronischen Krankheiten oder von Behinderung sollen dazu einen Beitrag leisten. Zahlreiche Drittmittelprojekte konnten schon eingeworben werden, Förderanträge bei nationalen und internationalen Mittelgebern sind gestellt, weitere werden vorbereitet. Das ZiG unterhält eine Veranstaltungs- sowie eine Präsentationsreihe und präsentiert sich als eine lebendige Einheit unserer Universität. Ich freue mich, liebe Leserinnen und Leser, Ihnen in der vorliegenden Ausgabe von »Forschung Aktuell« davon einen Eindruck vermitteln zu können. Gesundheit ist ein Thema, das uns alle angeht, sei es als Individuen oder als Mitglieder der Gesellschaft. Die Technische Universität Berlin kann dabei maßgeblich zum wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt beitragen. Prof. Dr. Kurt Kutzler Präsident der Technischen Universität Berlin FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 1 I N H A LT Auftakt 4 32 Kampf dem Herzversagen Stents aus Kunststoffen merken sich ihre Form und setzen gezielt pharmazeutische Wirkstoffe frei Manfred H. Wagner Am Nerv des Fortschritts Gesundheitstechnologien stehen an der Schnittstelle von Medizin, Gesellschaft und Markt – ein Überblick Günter Spur 34 Den Zellen auf die Sprünge helfen Trägermaterial aus metallischen und keramischen Schäumen eröffnet neue regenerative Therapien Helmut Schubert, Almuth Berthold, Rolf Zehbe, Astrid Haibel und Ulrich Gross 38 Dicke Luft im Büro Dirk Müller, Leiter des Riechlabors, im Gespräch Innovative medizinische Technologien 8 Vielfältige Perspektiven Innovative medizinische Technologien vereinen viele Fachdisziplinen – und zwingen zur Kooperation Marc Kraft IuK-Technologien im Gesundheitswesen 10 »Die Hersteller sind auf abgesicherte Tests angewiesen« Ein Gespräch mit Marc Kraft, dem Leiter des Fachgebiets Medizintechnik an der TU Berlin, und seinem Mitarbeiter Peter Diesing 42 Das digitale Krankenhaus im Blick E-Health vereinigt Informationstechnik und Gesundheitswirtschaft – und bringt Reformen voran Axel C. Mühlbacher 12 Minispione im Körper Endoskope erlauben tiefe Einblicke ins Innere des Patienten Heinz Lehr und Stephan Schrader 45 Verloren im Ballungsraum der Intensivstation 16 Zunge an Großhirn … Medizinische Geräte sind oft nur als Einzellösungen konzipiert – sie müssen aber im Team spielen Claus Backhaus und Wolfgang Friesdorf Forscher spüren kaum messbare elektronische Signale im Gewebe auf Reinhold Orglmeister 48 Auf dem Weg zum digitalen OP 18 Am Puls des Patienten Moderne Informationstechnik kann die Arbeit der Ärzte und Schwestern erleichtern Heinz U. Lemke Biegsame Chips überwachen vitale Körperfunktionen und senden die Daten zum Hausarzt Herbert Reichl, Klaus-Dieter Lang und Christine Kallmayer 50 Klare Einsicht vor dem Schnitt 22 Mit Hand und Fuß Elektronische Systeme ziehen medizinische Informationen aus digitalen Bildern Olaf Hellwich Exoskelette unterstützen Schenkel, Knie oder Hände Christian Fleischer, Andreas Wege und Günter Hommel 26 Mit spitzen Fingern an die Geräte 53 Nierenwäsche per Tastendruck Moderne Medizinprodukte müssen nicht nur technisch ausgereift sein, sondern wirtschaftlich in ihrer Nutzung Marc Kraft 28 Forschungen durch Mark und Bein Interaktive Planung und Simulation ermöglichen die Computerintegrierte Dialyse Ulrich Geske, Stefan Jähnichen und Reinhard Mylius (†) 55 »Eine der wichtigsten Innovationen der kommenden Jahre« Titanlegierungen sollen verhindern, dass Implantate vorzeitig versagen Claudia Fleck 2 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN Ein Gespräch mit dem Informatiker Herbert Weber über die elektronische Gesundheitskarte I N H A LT » Einblick 6 Gesundheitswirtschaft Berliner Gesundheitswirtschaft – Sprungbrett für Unternehmer 20 Prüfstelle für Medizinprodukte – Qualität mit Brief und Siegel 58 Gesundheit in aller Munde 24 An der Schnittstelle zum Nutzer Der Sektor ist auf dem Sprung, eine neue Wachstumsbranche zu werden Klaus-Dirk Henke 27 Gesundheitsstadt mit internationalem Glanz 60 Wachstum durch technologische Spitze 30 Höchste Forschungsdichte in Europa Die deutsche Medizintechnik braucht innovative Impulse, um sich weiterhin gut auf dem Weltmarkt zu behaupten Kurt Hornschild 36 Forschungsverbund Lärm: ein Ohr für die WHO 44 Forschergruppe Sentha – unabhängig bis ins hohe Alter 63 Kosten, Preise und Ausgaben: eine aufsteigende Spirale? Der Gesundheitsmarkt ist ein wesentlicher Pfeiler der deutschen Wirtschaft Klaus-Dirk Henke 54 Die elektronische Gesundheitskarte – alle Daten auf einem Chip 66 Gesundheitsmarkt Deutschland: 145 Milliarden Euro im Jahr 67 Fast das ewige Leben Eine zunehmend alternde Bevölkerung stellt das Gesundheitssystem vor grundlegende Probleme – ein Zukunftsszenario für Deutschland Markus M. Grabka und Gert. G. Wagner 72 Archiv für Krankenhausbau – Spiegel des vergangenen Jahrhunderts 76 Berliner Zentrum Public Health: öffentliche Gesundheit im Fokus 70 In menschlichen Dimensionen Moderne Klinikarchitektur bringt die Bedürfnisse der Patienten und die medizinische Funktionalität unter ein Dach Christine Nickl-Weller 80 Forschungsverbund Epidemiologie: wie sich Krankheiten ausbreiten 73 Das Genderparadox Das moderne Gesundheitssystem muss Unterschieden zwischen Frauen und Männern gerecht werden Ulrike Maschewsky-Schneider » TU-Alumni im Porträt 15 Dr. Andreas Jordan MagForce Nanotechnologies AG 77 Hand in Hand Mathematiker und Neurochirurgen haben eine neuartige Operationsmethode entwickelt, um verformte Schädel bei Säuglingen zu korrigieren Rudolf Kellermann 21 Dr.-Ing. Kai Desinger Celon AG 25 Dr.-Ing. Michael Hasenpusch Otto Bock HealthCare GmbH 78 Markige Versprechungen reichen nicht Health Technology Assessment beantwortet die Frage: Wann sind die neuen Gesundheitstechnologien ihren Preis wirklich wert? Reinhard Busse 31 Dr.-Ing. Herwig Freiherr von Nettelhorst getemed Medizin- und Informationstechnik AG 37 Dr. Christine Lang 81 Gesundheitswirtschaft – med in Germany OrganoBalance GmbH Dietrich Grönemeyer lehrt an der TU Berlin Heiko Schwarzburger 84 Autoren 82 Ärzte als Motoren der Innovation Die Hersteller von Medizintechnik müssen möglichst früh auf ihre künftigen Kunden eingehen Hans Georg Gemünden 88 Impressum 89 Das Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 3 A U F TA K T Am Nerv des Fortschritts Gesundheitstechnologien stehen an der Schnittstelle von Medizin, Gesellschaft und Markt – ein Überblick Von Günter Spur D as zentrale gesellschaftliche Problem der Bundesrepublik ist die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit, auch die Wirtschaft stagniert. Zugleich droht die Überalterung der Bevölkerung. Jede Strategie zur Überwindung dieser Situation schließt unternehmerisches Handeln ein, um durch Innovationen neue Märkte zu erschließen. Forschung und Entwicklung haben hierbei eine entscheidende Schlüsselfunktion. Der Fortschritt unserer technologisch geprägten Gesellschaft hat die Ansprüche an die Lebensqualität und die Selbstverantwortung des Individuums erhöht. Gesundheit in jeder Phase des Lebens und Sicherheit erhalten zunehmend Aktualität. Die Verbesserung der Lebensqualität fordert alle Potenziale in Wissenschaft und Wirtschaft heraus. Gesundheit wird den Menschen immer erst dann bewusst, wenn sie in 4 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Gefahr gerät: durch Unpässlichkeit, Krankheit oder Siechtum. In einer Gesellschaft, in der die Gesundheit an die vorderste Stelle rückt, wird die Prävention deshalb immer wichtiger. Es ist die Aufgabe der Mediziner, der Therapeuten, der Gesundheitswirtschaft und der Politiker, diesen Trend innovativ aufzubereiten. Die Gesundheitswirtschaft ist künftig mehr denn je auf die Forscher angewiesen: als Ideengeber und Treiber des tech- A U F TA K T nologischen Fortschritts. Eine neue Kultur der Innovation im Gesundheitswesen ist zur Sicherung unserer Lebensbedingungen bitter notwendig. Es liegt in der Hand der Gesundheitswissenschaftler, erhebliche Impulse für das Wachstum des Wirtschaftspotenzials zu setzen. Es gilt, den Innovationsbedarf im Gesundheitswesen rechtzeitig zu erkennen und daran angepasste Forschungsprozesse in Gang zu setzen. Dazu gehören alle Maßnahmen, die das kreative Leistungspotenzial der Institute entfalten. Alle Beteiligten sind aufgerufen, wirkungsvoll zusammenzuarbeiten. Und: Gesundheitswissenschaftliche Forschung benötigt Visionen, um ihren Ideenreichtum zu entfalten. Die Innovationsfähigkeit ist dann besonders hoch, wenn sich Innovationspotenziale interdisziplinär verdichten. Die Lebenswissenschaften sind in besonderer Weise interdisziplinär vernetzt. Sie erforschen biologische Organismen, die durch Stoffwechsel, Reizbarkeit, Fortpflanzung und Wachstum gekennzeichnet sind und ihre Lebensprozesse selbst regulieren. Objekt ihrer Erforschung sind dynamische Systeme mit biotischen Prozessen, deren Qualität durch Prozessparameter bestimmt wird, die auf einen optimalen Zustand zielen, der in seiner Normalität durch den Begriff Gesundheit umschrieben wird. Gesundheit ist der Normalzustand biotischer Systeme, in dem sie ihre Lebensfunktionen optimal aufrechterhalten. Sie entsteht als Ergebnis der Regulierung dynamischer Lebensprozesse, entweder durch medizinische Behandlungen oder durch Vorsorge. ärztliche Entscheidung hat sich sowohl zur Verlaufskontrolle von Behandlungen als auch zur Beobachtung des Gesundheitszustands bewährt. Es wird geschätzt, dass den Medizinern mehrere tausend verschiedene Labortests zur Verfügung stehen. Diese Entwicklung geht weiter stürmisch voran. Allerdings ist es angesichts der Komplexität nur nach längerer Erfahrung möglich, die Zuverlässigkeit der Messungen zu bewerten. FORTSCHRITTE IN DER DIAGNOSTIK Trotz der kritischen Einstellungen zur Labordiagnostik bleibt festzustellen, dass die diagnostische Medizintechnik weit reichende Fortschritte gemacht hat. Unter Einbeziehung leistungsfähiger Informations- und Kommunikationssysteme können zudem neue Modelle der Gesundheitsregulierung entwickelt werden. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel zur Rationalisierung der Kostenstruktur des Gesundheitswesens. Die auf Gesundheit ausgerichtete Regulierung von Lebensprozessen soll Störungen abwenden. Einfachere biotische Systeme folgen Instinkten. Höhere Systeme sind lernfähig, bis hin zum Menschen, der sich selbst wahrnehmen und beobachten kann. Die sensorische Erfassung des Zustandes biotischer Systeme führt zu einem Gesundheitsprofil, das als Regulationsbasis dienen kann. Hieraus leiten sich spezielle Gesundheitsstrategien ab, als wichtige Voraussetzung zur gezielten Steuerung. Am Ende dieses Prozesses stehen die Heilung, die Rehabilitation und die Prävention. Neue Chancen ergeben sich auch durch die Fortschritte in der Informationstechnik. Sie bietet neue Medien, Verfahren und Systeme zur Kontrolle und Optimierung von Lebensprozessen. In Verbindung mit der medizinischen Forschung umfasst sie nicht nur die Diagnose und Therapie, sondern zunehmend auch die Prävention. Technik und Medizin zusammen gestalten eine neue Gesundheitstechnologie. Angesichts ihrer Komplexität und innovativen Dynamik erwächst das Bemühen um ein neues Selbstverständnis der Medizintechnik. Dabei müssen die Forscher über das konventionelle Schema ihrer Methodik hinausgehen. Mit dem technischen Fortschritt hat sich das Gesundheitswesen verändert: Forschung und Technologie stehen unter einem hohen sozioökonomischen Erwartungsdruck seitens der Öffentlichkeit. Es gelten M E H R E R E TA U S E N D LABORTESTS Aus seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen hat sich der Mensch ein technologisches Potenzial geschaffen, mit dem er seine Lebenswelt umgestaltet. Als einziges Lebewesen ist er dazu fähig, seine eigene Gesundheit technologisch zu überwachen und heilend einzugreifen. In der Medizin haben Laboruntersuchungen für die Diagnose von Krankheiten eine große Bedeutung. Das eingespielte System der Beauftragung durch TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 5 In der Sterilfiltration der Schering AG werden flüssige Arzneimittel hergestellt A U F TA K T nicht mehr allein medizinische Grenzen, sondern auch zunehmend ökonomische Vorgaben. Der Fortschritt in der Gesundheitstechnologie erfordert wirtschaftlich sinnvolle Versorgungsstrukturen, die den technologischen Innovationsdruck verkraften und aufnehmen können. Um einen optimalen Gesundheitszustand zu erreichen und zu erhalten, braucht der Mensch prozessorientierte Hilfsmittel, insbesondere aber technologische Regulationssysteme. In dieser Aufgabe liegt ein wachstumsfähiges Innovationspotenzial. Dies richtet sich nicht nur auf die Überwachung und Behandlungen von Krankheiten, sondern vielmehr auf die permanente Prüfung kritischer Parameter des Gesundheitszustands. Gesundheitsmanagement braucht Daten, um regulativ zu handeln. Der Fortschritt in der medizinischen Gerätetechnik bietet ein breites Sortiment von Möglichkeiten an, die individuelle Gesundheitsüberwachung durch Messdaten zu objektivieren. Sicherlich muss ergänzend dazu Aufklärungsarbeit geleis- tet werden und eine ärztliche Beratung unverzichtbar bleiben. Andererseits entsteht ein Wachstumsmarkt für technologische Hilfsmittel zur Förderung der Gesundheit. Es gilt, schädlichen Wildwuchs zu vermeiden und durch wissenschaftliche Beratung eine gezielte Gesundheitsförderung einzuleiten. MANAGEMENT BRAUCHT D AT E N Die Überwachung des individuellen Gesundheitsprofils zur Förderung der Selbstregulation ist ein interessantes Entwicklungsfeld. Die fortgeschrittenen Gesundheitstechnologien kommen als soziotechnische Reform des Gesundheitswesens zur Entfaltung. Ihr Fortschritt beruht auf Ergebnissen medizinischer Forschung, ergänzt durch den Erfindungsreichtum einer medizintechnisch orientierten Produktionswirtschaft. Der Innovationsprozess bis zur Markteinführung medizinischer Produkte ist mit erheblichen Risiken behaftet. Zur Begleitung sind Spezialisten gefragt, von Erfahrung geprägt und verantwortungsbereit für das Neue, aber auch vom Bewusstsein bestimmt, dass Neues kein Selbstläufer ist. Hast und Hetze sind für das Neue verderblich. Bewährtes muss im Neuen erhalten bleiben. Zu viel Neues erhöht die Risiken für die Funktionalität und die Umsetzung. Deshalb ist Sorgfalt geboten. Die Bewertung gesundheitstechnologischer Innovationen erfolgt nach ihrem individuellen Nutzen. Dieser kann sich sprunghaft oder allmählich entwickeln. Der Fortschritt muss sich im Markt bewähren. Innovationen sind jedoch nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich zu bewerten. Gesundheitstechnologie entsteht nicht durch Zufall, sie entsteht im Netzwerk mühsamer Forschungsarbeit. Die Lösung technologischer Aufgaben ist sowohl methodisch bestimmt als auch von kreativer Kunstfertigkeit gekennzeichnet. q www.ipk.fraunhofer.de » Einblick Berliner Gesundheitswirtschaft – Sprungbrett für Unternehmer In Berlin sind namhafte Unternehmen der Gesundheitsbranche vertreten. Mit der Bayer Schering Pharma AG ist ein Global Player der pharmazeutischen Industrie in der Stadt präsent, der vor allem der medizinischen Forschung wichtige Impulse verleiht und tausende Arbeitsplätze bietet. Weitere 21 Pharma-Unternehmen haben sich in Berlin oder dem Umland angesiedelt, beispielsweise Berlin Chemie. Die Medizintechnik zählt in der Region rund 150 Firmen. Weltweit führend bei Produkten zur Elektrotherapie des Herzens und der vaskulären Intervention ist die Berliner Biotronik GmbH. Ihr Gründer, Max Schaldach, entwickelte vor 40 Jahren den ersten deutschen Herzschrittmacher. Heute beschäftigt das Unternehmen weltweit 2500 Mitarbeiter, davon über 900 in Berlin. Die Berliner Vanguard AG, Europas größter Dienstleistungsanbieter rund um Medizinprodukte, beschäftigt in Berlin mehr als 800 Mitarbeiter. Die Berlin Heart AG ist im Bereich der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von extrakorporalen und implantierbaren Herzunterstützungssystemen technologieführender Anbieter. Mit seiner implantierbaren Herzpumpe beschreitet das mit dem Deutschen Herzzentrum kooperierende Unternehmen neue Wege der Behandlung schwerer Herzerkrankungen. Weltmarktführer auf dem Gebiet der Entwicklung und Herstellung schwach radioaktiver Strahlenquellen für therapeutische und messtechnische Anwendungen ist die in Berlin ansässige Eckert & Ziegler AG. Die Produkte dieses Unternehmens werden vor allem in der Krebsbehandlung sowie in der Heilung von Herzkrankheiten eingesetzt. Hinzu kommen etwa 160 Unternehmen der Biotechnologie, die den medizinischen Fortschritt mit Dienstleistungen und Produkten flankieren. Insgesamt arbeiten in der Hauptstadtregion rund 180 000 Menschen im Gesundheitssektor, darunter 17 700 Ärzte und 3700 Zahnärzte. q www.berlin-gesundheitsstadt.de 6 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN Innovative medizinische Technologien I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Vielfältige Perspektiven Innovative medizinische Technologien vereinen viele Fachdisziplinen – und zwingen zur Kooperation Von Marc Kraft 8 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N D ie Medizintechnik ist ein interdisziplinäres Fach, das beispielsweise von der Magnetresonanztomographie über die Elektrostimulation von Muskeln, die Erfassung von Biosignalen im Gehirn (EEG) oder im Herzen (EKG), die Anwendung neuer Materialien für Implantate bis hin zur Desinfektion von medizinischem Instrumentarium reicht. Ein einzelnes Institut kann diese Vielfalt weder in der Forschung noch in der Lehre abdecken. EINSCHNITTE, NUR MILLIMETERLANG Ein Ziel des Zentrums für innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) der TU Berlin ist es, die an der Universität vorhandenen und auf viele Institute und Fakultäten verteilten Kompetenzen zu bündeln. Ein erster Schritt bestand darin, die Forschungen in Schwerpunkten zu erfassen. Einer dieser Schwerpunkte sind die »innovativen medizinischen Technologien«. Er fasst alle Akteure innerhalb des Zentrums zusammen, die in der Medizintechnik forschen, darunter zu den Themen minimal invasive Techniken, Kreislaufprozesse für Medizinprodukte sowie Systemintegration und Mikrosystemtechnik, Gebäudetechnik und Prothetik. Unter minimal invasiven Techniken werden in der Medizin diagnostische oder therapeutische Maßnahmen verstanden, die den Patienten besonders wenig belasten. Sie stehen oft konventionellen, mit größeren Traumata verbundenen Techniken gegenüber. Sie bieten verbesserte Behandlungsmöglichkeiten und erlauben es dem Patienten, schneller zu genesen. Die Schmerzen während der Eingriffe und während des Heilungsprozesses verringern sich deutlich, auch bleiben nur geringe Narben zurück. Der Patient kann schneller entlassen werden, die Pflegezeiten und die Behandlungskosten sinken. Weil berufstätige Patienten ihre Arbeit früher wieder aufnehmen können, werden weiteren Kosten gespart. Die wichtigsten Anwendungen der minimal invasiven Techniken finden sich heute in der Chirurgie, Gastroenterologie, Gynäkologie, Kardiologie, Radiologie und Urologie. Bei der Behandlung verengter Herzkranzgefäße ist es heute beispielsweise üblich, die verengten Gefäßabschnitte durch einen Ballonkatheter aufzuweiten, oft kombiniert mit einer drahtgeflechtartigen Gefäßprothese (Stent). Von diesen ca. 200 000 jährlichen Eingriffen in Deutschland müssen jedoch rund dreißig Prozent der Patienten mit einem erneuten Verschluss der Gefäße (Restenose) rechnen. Ziel der Forschung ist es, diese Quote zu reduzieren. NEUE IDEEN AUS DER TU BERLIN Viel versprechende Ansätze liegen in der Beschichtung von Gefäßprothesen mit Medikamenten. Diese Forschungen sind am Fachgebiet Polymertechnik der TU Berlin angesiedelt, geleitet werden sie von Manfred Wagner. Auch die Wissenschaftler des Fachgebiets Elektronik und medizinische Signalverarbeitung unter Reinhold Orglmeister haben sich bereits mit der dreidimensionalen Rekonstruktion des koronaren Gefäßbaumes aus Röntgen- und Ultraschallbildern des Herzens TU BERLIN befasst. Die Medizintechniker der TU Berlin haben Koronarstents aus Metall entwickelt. Zudem entwarfen sie spezielle Prüfgeräte für Herzkatheter, zur Vermessung von Katheterballons und zur elektrischen Prüfung an Elektrodenkathetern. Ein weiteres Anwendungsgebiet minimal invasiver Techniken ist die Gastroenterologie. Die Spiegelung des MagenDarm-Traktes erfolgte bisher durch biegsame, aus Glasfasern aufgebaute Endoskope. Therapeutische Eingriffe sind über katheterähnliche Instrumente möglich, welche durch Arbeitskanäle hindurch zur Endoskopspitze geschoben werden. Neuere Entwicklungen ersetzen die Glasfaser durch Kameras, die in der Endoskopspitze sitzen. Die Mikrotechniker um Heinz Lehr entwickelten den Prototyp eines Ultraschallkatheters sowie ein Videoendoskop, das aus mikrosystemtechnischen Modulen aufgebaut ist. An der TU Berlin befassen sich 23 Fachgebiete mit Gesundheitsthemen. q www.ikmm.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 9 Prof. Marc Kraft: »An der TU Berlin befassen sich 23 Fachgebiete mit Gesundheitsthemen.« I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N » Im Gespräch »Die Hersteller sind auf abgesicherte Tests angewiesen« Die Entwicklung von Prothesen, Rollstühlen und anderen technischen Hilfsmitteln für die Patienten hat an der TU Berlin schon eine lange Tradition. Nun erfährt das Forschungsgebiet einen neuen Aufschwung. Ein Gespräch mit Marc Kraft, dem Leiter des Fachgebiets Medizintechnik an der TU Berlin, und seinem Mitarbeiter Peter Diesing Wie weit reicht die Erforschung von medizinischen Hilfsmitteln an der TU Berlin zurück? Peter Diesing (l.) und Marc Kraft beschäftigen sich in ihren Forschungsprojekten mit orthopädischen Hilfsmitteln sowie mit Therapien und Prophylaxe von Druckgeschwüren Marc Kraft: Schon im Herbst 1915 gründete der berühmte Ingenieur Georg Schlesinger an der TH in Charlottenburg eine Prüfstelle für Ersatzglieder. Darin fanden sich Ärzte, Ingenieure und Orthopädiehandwerker zusammen, um die Kriegsopfer besser zu versorgen. Eine ihrer Nachfolger war die Prüfstelle für Ortho- pädische Hilfsmittel, die fast dreißig Jahre lang bis 2001 von Ulrich Boenick geleitet wurde. Es wurden verschiedene Prothesen und Rollstühle erprobt. Peter Diesing: Ein Teil der dabei angewandten Prüfverfahren wurde am damaligen Fachgebiet Biomedizinische Technik entwickelt, beispielsweise um die Beanspruchung von Prothesen besser zu simulieren. Diese Modelle waren deutlich komplexer und aussagekräftiger als stark vereinfachende, genormte Prüfverfahren. Die heute als privates Unternehmen mit Beteiligung der TU Berlin tätige Berlin Cert – Prüf- und Zertifizierstelle für Medizinprodukte GmbH hat das Know-how ihrer Vorgänger übernommen. Wo werden die Schwerpunkte des Fachgebietes in Zukunft liegen? Marc Kraft: Im April 2004 habe ich das Fachgebiet in direkter Nachfolge übernommen. Mein Ziel ist es, die wissenschaftlichen Grundlagen zur Prüfung und Bewertung von Hilfsmitteln weiter auszubauen. Neben orthopädischen Hilfsmitteln wie Prothesen oder Orthesen befassen wir uns heute mit Hilfsmitteln, die der Therapie oder Prophylaxe von Druckgeschwüren dienen. In Zu- 10 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN kunft werden wir verstärkt Rollstuhlsitzkissen oder Kindersitze für Autos bewerten. Peter Diesing: Diese Hilfsmittel unterliegen im ambulanten Bereich der Kostenerstattung durch die Krankenversicherungen. Dazu müssen sie im so genannten Hilfsmittelverzeichnis gelistet sein. Dies erfordert neben der CE-Kennzeichnung zusätzlich einen Nachweis ihrer Qualität, ihrer Funktionstauglichkeit und ihres therapeutischen Nutzens. Für wichtige Hilfsmittel fehlen bisher jedoch geeignete Prüfmethoden. Sie müssen dringend entwickelt werden, um einheitliche Qualitätsstandards zu gewährleisten. Marc Kraft: Die Hersteller der Hilfsmittel sind darauf angewiesen, dass ihre Produkte in abgesicherten Tests im Labor, an Probanden oder an Patienten geprüft werden. Das erfordert eine systematische Bewertung von mechanischen, elektrischen und hygienischen Produkteigenschaften. Hochwertige Hilfsmittel sind heute auf eine genau spezifizierte Patientengruppe abgestimmt. Deshalb sind viele Hersteller bereit, die Forschungen an unserem Fachgebiet zu finanzieren. Das Gesundheitssystem befindet sich im Wandel. Welche Bedeutung werden die Hilfsmittel in Zukunft erlangen? Marc Kraft: Unsere Bevölkerung wird I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N immer älter. Also werden immer mehr Menschen auf diese Produkte angewiesen sein. Die Versorgung zu Hause wird immer häufiger der stationären Aufnahme in einem Pflegeheim vorgezogen, das stellt auch an die Produkte andere Anforderungen. Ihre Prüfung und Bewertung ermöglichen dabei eine individuelle Auswahl unter Berücksichtigung einer guten Versorgung und wirtschaftlicher Kriterien. Können Sie konkrete Beispiele nennen, womit Sie sich im Labor beschäftigen? Marc Kraft: Wir untersuchen beispielsweise, wie mobil Menschen sind, deren Oberschenkel amputiert wurde und die nun auf Prothesen angewiesen sind. Zugleich ermitteln wir, welchen mechanischen Beanspruchungen diese Prothesen ausgesetzt sind. In den vergangenen Jahren haben sich die Prothesen deutlich verbessert, durch neue Wirkprinzipien, Konstruktionen und Materialien. Elektronik wird integriert. Es ist völlig klar, dass sich damit die Mobilität der Patienten verbessert. Auch müssen die Prothesen deutlich höhere Beanspruchungen ertragen als vor einem Vierteljahrhundert: längere Gehstrecken, schnellere Schritte oder höhere Kräfte, beispielsweise bei sportlichen Aktivitäten. Peter Diesing: Auch die gesetzlichen Vorgaben ändern sich: Alle Kostenträger sind heute verpflichtet, zu prüfen, ob eine neue Prothese oder die Instandsetzung von bisher benutzten Hilfsmitteln wirtschaftlicher und gleich wirksam ist. Damit sind die früher üblichen Versorgungszeiträume von fünf Jahren infrage gestellt. Die Auslegung von Prothesensystemen auf einen typischen Nutzungszeitraum ist also nicht mehr möglich. Vielmehr muss je nach Nutzung und Beanspruchungen entschieden werden, wann ein System ausgetauscht wird. Es ist auch aus diesem Grunde von großem Interesse, inwiefern sich die Beanspruchungen moderner Prothesen von historischen Modellen unterscheiden. Das Fachgebiet Medizintechnik der TU Berlin führt deshalb ein Forschungsprojekt durch, das einen Zusammenhang zwischen der prothetischen Versorgung, der Patientenaktivität und der resultieren- den Prothesenbeanspruchung herstellt. Das Projekt wird von der Otto Bock HealthCare GmbH finanziert. Bisher wurde ein mobiles Messsystem entwickelt, um die in der Prothese wirkenden Kräfte und Momente zu erfassen. also die Temperatur und die relative Feuchte. Dort setzen die Hilfsmittel gegen Dekubitus an, als Matratzen, Tischauflagen oder Sitzkissen. Sie reduzieren die Druckbelastung und verbessern das Mikroklima im gefährdeten Bereich. Marc Kraft: Dabei kam auch eine Kooperation mit der Firma Getemed in Teltow zustande. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt EKG-Langzeitschreiber, die am Gürtel des Patienten getragen werden. Wir nutzen diese EKG-Schreiber, um die Messwerte für die Kräfte in der Prothese aufzuzeichnen. Dazu haben wir einen energetisch optimierten Datenlogger mit einer Speicherkapazität von einem Gigabyte entwickelt. Der Prototyp hat sich im Labor bereits bewährt. Erste Tests an Patienten stehen unmittelbar bevor. Wenn wir wissen, wie die Prothesen wirklich beansprucht werden, können wir die derzeit geltenden Prüfnormen kritisch bewerten. Möglicherweise müssen sie an die höhere Mobilität der Patienten angepasst werden. Ein ähnliches Forschungsprojekt führen wir an Komponenten für Exoprothesen der unteren Extremität durch. Auch diese Forschungen werden durch die Otto Bock HealthCare GmbH finanziell unterstützt. Marc Kraft: Seit April 2002 entwickeln wir am Fachgebiet Medizintechnik der TU Berlin neue Methoden, um solche Hilfsmittel gegen Wundliegen (Dekubitus) zu prüfen und zu bewerten. Das Ziel des Projektes war es, geeignete Prüfverfahren durch klinische Messungen zu finden und zur Bewertung von Antidekubitussystemen heranzuziehen. Ein weiteres Ziel bestand darin, die individuelle Zuordnung von geeigneten Produkten zu den jeweiligen Patienten zu erleichtern. Bisher konnten wir Prüfverfahren zur Charakterisierung der druckentlastenden, mikroklimatischen und anderer Eigenschaften von Sitzkissen und Matratzen erarbeiten. Sie wurden bereits von den Spitzenverbänden der Krankenkassen anerkannt und als Aufnahmeprüfung für das Hilfsmittelverzeichnis übernommen. Nun gibt es bei den medizinischen Hilfsmitteln eine viel größere Bandbreite. Prothesen stellen nur ein Segment dar, wenn auch ein wichtiges … Marc Kraft: Es würde in der Tat ein einseitiges Bild unserer Forschungen vermitteln, wenn wir nur über Prothesen sprechen. Wir untersuchen auch, wie man das Wundliegen oder die Druckgeschwüre bei bettlägerigen oder anderen immobilen Patienten vermindern kann. Die Ursache ist die mangelhafte Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff, sodass die Zellen absterben. Man kann davon ausgehen, dass in Deutschland jedes Jahr ca. 800 000 dieser so genannten Dekubitalgeschwüre entstehen. Jeder zehnte Patient im Krankenhaus ist davon betroffen. Peter Diesing: Wir wissen, dass diese Geschwüre durch Druck und Scherkräfte an den belasteten Knochenvorsprüngen entstehen. Wichtig ist auch das im Kontaktbereich herrschende Mikroklima, TU BERLIN Welche Rolle spielte die Unterstützung Ihrer Forschungen durch die TU Berlin und die Industrie? Marc Kraft: Die Voraussetzungen für die hier durchgeführten Forschungsaktivitäten werden von der TU Berlin durch die Grundausstattung mit Personal, Räumen und der notwendigen Infrastruktur geschaffen. Die Otto Bock Stiftung und die Stiftung Industrieforschung ermöglichten es uns, Prüfvorrichtungen aufzubauen und eine klinische Studie an drei geriatrischen Zentren in Berlin durchzuführen. Dazu gehören das Malteser Krankenhaus in Charlottenburg, das Vivantes Wenckebach Klinikum in Tempelhof und das Evangelische Waldkrankenhaus in Spandau. Die Studie zeigte erwartungsgemäß, dass klinische Studien zur Bewertung der Qualität und des therapeutischen Nutzens von Hilfsmitteln durch die gesetzlichen Krankenkassen ungeeignet sind. Prüfverfahren in Laboren können diese Aufgabe besser erledigen. Die Fragen stellte Heiko Schwarzburger. FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 11 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Minispione im Körper Endoskope erlauben tiefe Einblicke ins Innere des Patienten Von Heinz Lehr und Stephan Schrader W as vor einigen Jahren noch wie Science-Fiction klang, ist heute möglich: die Miniaturisierung komplexer medizinischer Instrumente. Dabei wird jedoch nicht nur die Größe der Geräte reduziert. Oft entstehen durch die Kombination von mikroelektronischen und mikrotechnischen Komponenten intelligente Werkzeuge mit völlig neuen Eigenschaften. Beispiele dafür sind Endoskope mit Autofokus oder auch winzige Ultraschallkatheter mit einem Mikroantrieb an der Katheterspitze. Endoskope erlauben minimale Eingriffe, die den Patienten von großräumigen Schnitten oder anderen Belastungen verschonen. Die minimal invasive Chirurgie hat in den letzten Jahren große offene Operationen nahezu verdrängt. Diese Fortschritte waren möglich, nachdem es gelang, Instrumente von sehr geringer Größe herzustellen. Die Ärzte nutzen kleinste Schnitte oder natürliche Körperöffnungen, um optische und chirurgische Instrumente oder Katheter über ein Endoskop in den Körper einzuführen, wobei jede Maßnahme durch hochauflösende Videobilder direkt aus dem Körperinnern kontrolliert wird. Dazu waren neue Verfahren zur Bildgewinnung unerlässlich. Bei der etablierten Methode leiten optische Linsen das Bild aus dem menschlichen Körper zu einer Videokamera, die sich am Ende des Endoskops befindet. Durch den mikrotechnischen Fortschritt lassen sich jetzt 12 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 winzige Videokameras mit CCD- oder CMOS-Chips unmittelbar in die Endoskopspitze einbauen. Die Bildinformation wird vor Ort in Videosignale gewandelt und gelangt über ein dünnes Kabel zum Monitor. Neben der Möglichkeit, die Qualität des Bildes erheblich zu steigern und den Endoskopkopf zu bewegen, kann der Chirurg nunmehr auf die teuren Linsensysteme verzichten. Weil sich Optik und Kamerachip im Videokopf an der Spitze des Endoskops konzentrieren, eröffnen sich neue Bauformen und Beobachtungstechniken für biegsame Endoskope. Bei Endoskopen mit Videokopf sind die Linsen in der Videokamera noch starr angeordnet. Der Arzt kann deswegen das I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Instrument nur bis zu einer Entfernung von etwa zwanzig Millimetern an das zu untersuchende Gewebe im Körper heranführen. Bei kürzeren Distanzen wird das Bild unscharf, da die feste Anordnung der Kameralinsen die Tiefenschärfe begrenzt. Um auch winzigste Unregelmäßigkeiten sichtbar zu machen, muss man das Endoskop noch näher an die entsprechenden Stellen bringen. Dazu ist mindestens eine Linse des optischen Systems zu bewegen, damit bei jedem Abstand die Scharfstellung des Bildes gelingt. WINZIGE VIDEOKAMERAS LIEFERN BILDER Berücksichtigt man, dass die Endoskope, die derzeit beispielsweise für Eingriffe im Bauchraum eingesetzt werden, Durchmesser von maximal zehn Millimetern aufweisen und der Trend zu Abmessungen von drei bis vier Millimetern geht, wird deutlich, dass der Raum für einen Antrieb, der eine oder mehrere Linsen in der Längsachse einer Minioptik bewegt, höchst beschränkt ist. Soll zusätzlich noch eine automatische Scharfeinstellung des Bildes erfolgen (Autofokus), zum Beispiel mit einem Abstandssensor, so reicht der verfügbare Platz bei weitem nicht aus. Eine Forschergruppe der TU Berlin hat einen kompakten und leicht miniaturisierbaren Antrieb entwickelt, um die Linsen in dem engen und abgeschlossenen Gehäuse trotz Reibungskräften präzise zu platzieren. Zur Fern- oder Nahstellung des Endoskops wird ein Linsensystem für die Scharfeinstellung des Bildes automatisch verschoben. Allerdings darf die Autofokussierung nicht zu lange dauern. Daher muss die Linsenbewegung extrem schnell ausgeführt werden. Aus Kosten- und Platzgründen ist es günstig, das Objektiv möglichst kurz zu gestalten, sodass auch der Verfahrweg der Fokussierlinsen im Bereich von wenigen Millimetern liegt. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Endoskope nach dem Einsatz zur Sterilisation in einen Autoklaven gelangen, wo sie bei etwa 134 Grad Celsius längere Zeit einem Dampfüberdruck ausgesetzt werden. Leider sind viele mikrotechnische Antriebsvarianten aufgrund des Verfahr- wegs von wenigen Millimetern, der notwendigen, extrem großen Einstellgeschwindigkeit der Linsen sowie der geforderten Dampfsterilisation nicht einsetzbar. Also mussten sich die Wissenschaftler auf die Neuentwicklung eines elektromagnetischen Linearantriebs konzentrieren, der geeignete Eigenschaften aufweist. Dieser Linearmotor besteht aus einem winzigen Permanentmagneten als Läufer mit Innenbohrung, der in einem Rohr gleitet und die Fokussierlinse trägt. Drei auf das Rohr gewickelte Spulen erzeugen ein magnetisches Wanderfeld, mit dem sich der Läufer schnell und hochpräzise positionieren lässt. Rückstellkräfte fixieren dabei die Stellung des Läufers. Bei der Bewegung tritt eine Beschleunigung auf, die der zwanzigfachen Schwerkraft entspricht. Mit separaten Dreiergruppen von Spulen lassen sich weitere Translatoren ansteuern, sodass, unabhängig von der Bewegung der Fokuslinse, eine weitere Linsengruppe zum Beispiel zur Vergrößerung des Bilds nutzbar ist – als Zoomfunktion. Derzeit haben die Videoköpfe einen Durchmesser von sechs Millimetern. Ihre Größe wird durch den CCD-Chip bestimmt, der einen sechstel Zoll misst. Die nächste Stufe der Entwicklung wird mit einem kleineren Chip ausgestattet, reduziert auf einen zehntel Zoll. Er zielt auf Abmessungen von etwa vier Millimeter, sodass die Videochips nach wie vor die Größe des Videokopfs vorgeben. Bei der weiteren Miniaturisierung ist somit ein spannender Wettlauf zwischen Mikromechanik und Mikroelektronik zu erwarten. NEUARTIGER LINEARMOTOR AUS DER TU BERLIN Der extrem kleine Bauraum an der Endoskopspitze erlaubt kein zusätzliches Sensorsystem für die Abstandsmessung. Stattdessen nutzen die TU-Forscher die Bildinformation des CCD-Chips zur Berechnung einer Schärfefunktion, also einen indirekten Autofokus. Die vom Chip aufgenommenen Bilddaten gelangen zu einem schnellen Signalprozessor, der anhand einer Graupixelauswertung die Bildschärfe berechnet und die Leistungselektronik zur Verschiebung des Translators ansteuert. Die Linseneinstellung erfolgt innerhalb weniger Millisekunden, sodass der Nutzer trotz einer Änderung des Objektabstands immer den Eindruck eines scharfen Bilds erhält. Mit diesem neu entwickelten Direktantrieb für optische Komponenten lässt sich eine äußerst kompakte Integration von Mechanik und Optik erzielen, wobei der einfache Aufbau des Linearmotors die Anpassung für unterschiedliche Anwen- Direktantriebe für optische Komponenten aus den Werkstätten der TU Berlin TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 13 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N ten und Ultraschallkristall. Zusätzlich zur Anwendung in der Medizin kann es auch in Messsonden zum Einsatz kommen, um beispielsweise Werkstoffe oder Beschichtungen zu überprüfen. An der TU Berlin entwickeltes Endoskop – kleiner als ein Käfer ÜBERGREIFEND DENKEN dungsgebiete sehr erleichtert. Variationen des Linearmotors kommen derzeit in der medizinischen Endoskopie sowie bei der Inspektion von Rohrleitungen zum Einsatz. Geplant sind Anwendungen in der Zahnmedizin. In der medizinischen Diagnostik werden Ultraschallkatheter eingesetzt, um röhrenförmige Hohlorgane, wie die Blutgefäße, die Gallengänge oder die ableitenden Harnwege, auf krankhafte Veränderungen zu untersuchen. Dabei sendet ein rotierender Kristall an der Katheterspitze hochfrequente Ultraschallsignale aus, die am umgebenden Gewebe reflektiert werden und dem Arzt ein Schnittbild auf einem Monitor liefern. Der Ultraschallkristall ist meist auf einer dünnen und flexiblen Welle befestigt, die sich in der Katheterhülle dreht und außerhalb des Körpers angetrieben wird. Bei sehr engen Biegeradien des Katheters lässt sich jedoch die Drehbewegung nicht mehr gleichmäßig übertragen, sodass Verzerrungen des Ultraschallbilds entstehen. Anstatt der langen Drehwelle, um den Katheter von außen anzutreiben, nutzen wir einen Mikromotor mit lediglich 1,9 Millimetern Durchmesser als Direktantrieb für den Kristall in der Katheterspit- ze. Ein dreistufiges Mikrogetriebe setzt die hohe Umdrehungszahl des Motors von 25 000 auf die erforderlichen 500 Umdrehungen pro Minute um und liefert damit so viel Drehmoment, dass der Kristall mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in einer Flüssigkeit rotiert, wobei er seine elektrischen Signale über Schleifkontakte erhält. Auf der verlängerten Motorwelle befinden sich zwei mit dem Ultraschallkristall verbundene Schleifringe. Die elektrische Anregung des Kristalls erfolgt über eine sehr dünne Hochfrequenzleitung und zwei Kontaktringe, deren elastische Federn die Schleifringe an mehreren Stellen des Umfangs kontaktieren und gleichzeitig auch als Reiblager wirken. Die gute und kontrastreiche Darstellung des gesamten Systems lässt sich anhand von Ultraschallaufnahmen an einem Gewebephantom demonstrieren. Hierbei handelt es sich um die Innenecke eines Schwamms mit ähnlichen akustischen Eigenschaften wie bei biologischem Gewebe. Das Ultraschallbild gibt die geometrische Kontur und die Poren im Schwamm exakt wieder. Gegenüber Kathetern mit einer langen und flexiblen Welle weist diese Lösung eine deutlich bessere Biegsamkeit auf und ist wegen der verzerrungsfreien sowie ruhigen Bilddarstellung den herkömmlichen Systemen überlegen. Das bildgebende Ultraschallmodul besteht aus Motor- und Getriebeeinheit, Schleifkontak- 14 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN A U C H U LT R A S C H A L L K AT H E T E R N U T Z E N MIKROANTRIEB TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Wie die Endoskope und Katheter zeigen, setzt die Entwicklung moderner Produkte ingenieurwissenschaftliches Knowhow aus ganz verschiedenen Gebieten voraus. Um im globalen Wettbewerb zu konkurrieren, müssen wir daher bei der Ausbildung unserer Studenten darauf achten, nicht nur die klassischen Inhalte zu lehren, sondern den Absolventen des Maschinenbaus auch fundierte Kenntnisse der Elektrotechnik, der Mikroelektronik, der Optik, der Datenverarbeitung sowie der Werkstoffwissenschaften zu vermitteln. Wesentlich ist dabei der praktische Einsatz des erworbenen Wissens bei der Umsetzung neuer Ideen. Ihre Kenntnisse in marktfähige Innovationen einzubringen begeistert die jungen Ingenieure und setzt ungeheure Potenziale frei, insbesondere dann, wenn es gelingt, das neue Produkt durch Patente zu schützen und zu vermarkten. Voraussetzung dafür ist der enge Kontakt mit industriellen Partnern sowie der »Hunger« dieser Partner nach Innovationen. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies hauptsächlich bei kleinen Unternehmen anzutreffen ist. Sie verfügen allerdings kaum über einen ausreichenden finanziellen und personellen Rahmen, um den Weg vom Labormuster über die Prototypen bis zur Markteinführung mit größeren Stückzahlen durchzuhalten. Wünschenswert ist daher ein Förderinstrument, das gezielt die Zusammenarbeit der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit den Universitäten unterstützt, Erfolgsanreize für die Studenten setzt und parallel dazu wichtige Impulse für die erfolgreiche Ausbildung unserer Ingenieure liefert. Die Konzentration der Forschungsförderung auf einige wenige »Centers of Excellence« verspricht in diesem Zusammenhang kaum Erfolg. q www.fmt.tu-berlin.de » TU-Alumni im Porträt Dr. Andreas Jordan ist Chief Executive Officer (CEO) der MagForce Nanotechnologies AG in Berlin. Der 47-jährige Biochemiker studierte an der Freien Universität und an der Technischen Universität in Berlin. Nach seiner Promotion im Jahr 1993 entwickelte Jordan ein neues Verfahren zur Bekämpfung von Tumoren mithilfe von Nanopartikeln, die durch hochfrequente Magnetfelder erhitzt werden (Hyperthermie). Es folgten mehrere erfolgreiche Firmengründungen, bis hin zur MagForce Nanotechnologies AG. Dr. Jordan ist Autor und Koautor von mehr als 800 Fachartikeln, davon 40 in namhaften Peer-Review-Journalen. Mehr als 40-mal war er als Experte für Krebsbekämpfung und Hyperthermie im Fernsehen gefragt, unter anderem im ZDF, bei Spiegel TV und in der BBC. Er hält zwölf Patente. Seine Krebstherapie wird bis 2007 marktreif sein. q www.magforce.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 15 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Zunge an Großhirn … Forscher spüren kaum messbare elektronische Signale im Gewebe auf Von Reinhold Orglmeister I mmer, wenn wir in einen saftigen Apfel beißen, setzen so genannte Rezeptorzellen auf der Zunge elektrische Signale ab. Sie werden über Nervenbahnen zum Gehirn geleitet und dort als Geschmack interpretiert. Das Hirn entscheidet, ob wir den Bissen schlucken. In diesem Fall gibt es die entsprechenden Steuersignale an die Muskulatur aus. Signale spielen im Körper des Menschen eine Schlüsselrolle. Sie werden in Sensorzellen zum Beispiel für Druck, Geschmack, Temperatur, Licht oder Schall erzeugt, über Synapsen verschaltet und zum Gehirn geleitet, um sie zu interpretieren. Das zentrale Nervensystem wiederum reagiert mit Steuersignalen für Muskeln oder Organe. Die Körpersignale sind meist elektrochemischer Natur. Sie sind also mit Stromfluss und somit auch mit elektrischen und magnetischen Feldern verbunden. Die Forscher am Fachgebiet Elektronik und medizinische Signalverarbeitung (EMSP) der TU Berlin beschäftigen sich seit über zehn Jahren mit der Erfassung von Signalen aus dem Körper und über den Körper. Dazu gehören Nervensignale und Bildsignale. Die Signale in der Medizintechnik sind oft nur sehr schwach und weisen niedrige Werte auf. Sie werden zudem von vielen anderen Signalen und Störungen überlagert. So kommt es beispielsweise bei der Signalübertragung zwischen Nervenzellen des Gehirns zum Fluss von Strömen, deren elektrische Wirkungen auf der Kopfhaut als elektrische Potenziale gemessen werden können. Sie liegen 16 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 zwischen zwanzig und fünfzig millionstel Volt, sind also extrem schwach ausgeprägt. Da sich unser Gehirn in seinen verschiedenen Regionen gleichzeitig mit vielen Vorgängen beschäftigt, gibt es also viele Quellen, die elektrische und magnetische Signale erzeugen. Die elektrischen Potenziale versucht man mit auf der Kopfhaut verteilten Elektroden beziehungsweise Sensoren als das so genannte Elektroenzephalogramm (EEG) zu erfassen. Leider streuen meist alle Gehirnregionen in alle Elektroden ein. Auf diese Weise ist das Signal aus einer Quelle nie separat zu messen, sondern nur vermischt mit anderen Signalen. Zudem werden auch alle Muskeln durch Ströme gesteuert. Sie sind teilweise deutlich stärker als die Gehirnströme. Als Beispiel seien die Aktivitäten des Herzmus- I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N kels genannt, die als Elektrokardiogramm (EKG) gemessen werden. Da mit Stromfluss stets auch ein Magnetfeld einhergeht, erzeugen Nerven- und Muskelzellen automatisch auch magnetische Felder. Sie sind jedoch milliardenfach schwächer als das Erdmagnetfeld und noch wesentlich geringer im Vergleich zu den Magnetfeldern elektrischer Geräte oder Energieleitungen. Um dennoch die magnetischen Effekte des Gehirns, der Nervenbahnen oder der Muskeln zu messen, muss man den Probanden und die Sensoren gut abschirmen. Die derzeit weltbeste Abschirmkabine steht bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin-Charlottenburg. Sie misst zwölf Meter in Höhe, Breite und Länge, das entspricht einem Volumen von 1728 Kubikmetern. Die Abschirmung füllt diesen Raum fast völlig aus, sodass die nutzbare Messkabine nur noch 2,5 mal 2,5 mal 2,5 Meter misst. Zur Messung der Magnetfelder im Gehirn kommen supraleitende Quanteninterferometer (SQUID) zum Einsatz. Ein Messkopf enthält bis zu über 300 Messkanäle, die mit solchen HightechSensoren bestückt sind. Dadurch entsteht ein vielkanaliges Magnetoenzephalogramm (MEG). In Zusammenarbeit mit der PTB separieren die Forscher der TU Berlin die gemessenen Signale und werten sie aus. Solche vielkanaligen magnetischen und elektrischen Gehirnmessungen eröffnen neue Methoden für die medizinische Diagnostik. Seit nahezu zehn Jahren beschäftigen sich die Berliner Wissenschaftler mit der so genannten »blinden Quellentrennung«. Sie ermöglicht es, aus der Überlagerung von mehreren Signalen die einzelnen Quellsignale zu extrahieren, selbst dann, wenn sich die Messwerte der Signale um mehrere Größenordnungen unterscheiden. So können auch in den Mischungen verschiedener Signale und Störungen, wie sie in den MEG-Messkanälen auftreten, die gesuchten schwachen Quellsignale ermittelt werden. Die »blinde Quellentrennung« lässt sich auch beim Cocktailparty-Effekt nutzen. Er bezeichnet eine Situation mit mehreren Sprechern und Störgeräuschen in einem Raum, beispielsweise einem Operationssaal. Der einzelne Sprecher ist hier nur schwer zu verstehen. IM STIMMENGEWIRR E I N E R C O C K TA I L PA R T Y Sollen nun medizinische Apparate wie Insuflatorpumpen, OP-Lampen oder Roboter durch Sprachbefehle des Operateurs gesteuert oder sollen die Gespräche während der Operation aufgezeichnet werden, so müssen die einzelnen Stimmen getrennt und die Störsignale herausgefiltert werden. Nur dann kann ein automatischer Spracherkenner fehlerfrei seine Aufgabe erfüllen und die Sprachkommandos in digitale Steuerbefehle für die Maschinen umsetzen. Beim Cocktailparty-Effekt bilden besonders die Echos im Raum ein Problem. Auch hier müssen die Signale mehrkanalig, also mit mehreren Mikrofonen, erfasst werden, um die Mischungen später zu trennen. Auf diesem Gebiet erhielten die Forscher des Fachgebiets an der TU erst kürzlich ein Patent. Sie programmieren die umfangreichen mathematischen Algorithmen zur blinden Quellentrennung nicht nur auf leistungsfähigen Workstations. TU BERLIN Das Ziel ist es auch, sie auf Strom sparenden Signalprozessoren laufen zu lassen, um kompakte und mobile Geräte bauen zu können. Die von den Forschern der TU Berlin weiterentwickelten Algorithmen besitzen ein großes Potenzial für Anwendungen – nicht nur – in der Medizintechnik. Als Beispiele seien digitale Hörhilfen oder Multielektroden zur Erfassung von Nerven- oder Muskelpotenzialen genannt. Sie könnten helfen, intelligente Prothesen für amputierte Arme oder Beine zu steuern. M I T K AT H E T E R N I N S KÖRPERINNERE Speziell auf der Intensivstation und im Operationssaal werden sehr viele Geräte eingesetzt, um den Patienten zu überwachen. In manchen Fällen ist es notwendig, die Signale synchron darzustellen. Als Beispiel seien Ultraschalluntersuchungen im Inneren von Blutgefäßen genannt. Dazu werden dünne Ultraschallkatheter in das Blutgefäß geschoben, um Ablagerungen oder andere Verengungen zu erfassen. Dabei ist es wichtig, dass zur dreidimensionalen Darstellung der Gefäße nur Ultraschallaufnahmen – so genannte Schnittbilder – genutzt werden, die unter gleichen Druckverhältnissen im Gefäß erzeugt wurden. Mit der Synchronisierung der Blutdrucksignale sowie möglicher anderer Signale mit den genannten Ultraschallschnittbildern der Gefäße beschäftigt sich ein weiteres Projekt. Diese Arbeit baut auf einem Projekt zur automatischen Segmentierung der Gefäßwände und dreidimensionalen Rekonstruktion aus Ultraschallschnittbildern aus dem Gefäßinneren auf. Dafür entwickelten die Forscher eine Vorrichtung, um den im Blutgefäß liegenden Ultraschallkatheter mithilfe eines Elektromotors zu bewegen und die Schnittbildaufnahmen je nach Druck an verschiedenen Positionen auszulösen. Die schnelle Verarbeitung von Bildserien wurde erst durch die in den letzten Jahren enorm gestiegene preisgünstig verfügbare Rechenleistung möglich. An die Gefäßsegmentierung schließt sich die dreidimensionale Visualisierung an. q www.ee.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 17 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Am Puls des Patienten Biegsame Chips überwachen vitale Körperfunktionen und senden die Daten zum Hausarzt Von Herbert Reichl, Klaus-Dieter Lang und Christine Kallmayer D ie Mikroelektronik und das Internet haben alle Bereiche unseres beruflichen und privaten Lebens verändert. Die elektronische Kommunikation und der Datenaustausch über mobile Netze haben sich rasant entwickelt. Der Mobilfunk und neue, intelligente Endgeräte haben die Bandbreite mobiler Übertragungstechniken stark erweitert: Multifunktionale Handys oder tragbare Assistenten, sprach- und gestengesteuerte Computer, satellitengestützte Navigationstechnik, Identifikationssysteme für Personen und Gegenstände des täglichen Bedarfs, Sicherheits- und Leittechnik im Automobil, mobile Röntgen- und Diagnosegeräte, intelligente Implantate – all diese Anwendungen sind durch die Mi- niaturisierung der Elektronik, durch größere Speicher und höhere Rechengeschwindigkeiten möglich. Die neuen Produkte müssen jedoch nicht nur leistungsfähig sein, sondern auch leicht bedienbar, autonom und mobil. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Systeme extrem klein, leicht, faltbar und flexibel sind. Auf diese Weise entstehen so genannte Smart Systems, intelligente Systeme, die untereinander kommunizieren können und sich automatisch aufeinander einstellen. Nahezu revolutionär wird der Einsatz dieser Smart Systems in der Medizin sein. So können zum Beispiel Notärzte und Sanitäter künftig Verletzte an der Unfallstelle umfassend diagnostizieren, indem sie 18 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 mobile Röntgengeräte und miniaturisierte Tomographen nutzen. Per Handynetz, Internet oder Satellit melden sie die Diagnose und die Maßnahmen der ersten Hilfe an das Krankenhaus, das die Aufnahme der Patienten sofort vorbereiten kann. Bei Unfällen oder schweren Erkrankungen zählt jede Sekunde, um Leben zu retten. Die Helfer vor Ort nutzen elektronische Bildverarbeitungssysteme und Videokommunikation, um den Fachärzten im Krankenhaus die Verletzungen und den Gesamtzustand des Patienten zu schildern. Die Klinikärzte werten die Informationen aus, leiten die Notversorgung ein, bereiten den Transport, erste Operationen und die stationäre Aufnahme vor. I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Intelligente Sensoren überwachen permanent den Gesundheitszustand des Patienten. In Kleidung eingewebte Elektroden prüfen fortlaufend den Herzschlag und nehmen ein EKG auf. Ein im Fingerring versteckter Analysator misst die wichtigsten Blutwerte. Auf diese Weise wird es auch möglich, ambulante Patienten rund um die Uhr zu beobachten. Treten ernste Probleme auf, ruft das Monitoringsystem selbstständig über Handy beim zuständigen Hausarzt an oder – beispielsweise bei Organversagen, Herzattacken oder Schlaganfällen – alarmiert den nächstgelegenen Notfalldienst. Aus der elektronischen Patientenakte, auf die er sofort zugreifen kann, erfährt der Arzt alle wichtigen Informationen, um die Behandlung einzuleiten. Im Zentrum des Gesundheitsmonitorings steht der Mensch, als Bürger, Krankenversicherter und Patient. Kombiniert mit einer elektronischen Gesundheitskarte, auf der die medizinische Vorgeschichte gespeichert ist, kann das Monitoringsystem den Zustand des Patienten überwachen, als Frühwarnsystem reagieren oder chronisch Kranke ambulant überwachen. Dazu bedarf es noch einer Reihe von Neuentwicklungen. HÖCHSTE ZUVERLÄSSIGKEIT GEFORDERT Die Schnittstellen zwischen Patienten, niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen sind festzulegen, um eine durchgängige Informationskette zu garantieren. Noch fehlen teilweise die notwendigen Sensoren, um bestimmte physiologische Parameter zu erfassen. Sie müssen als mikrotechnische Systeme gefertigt werden. Dazu gehört auch Software, um die Signale zu verarbeiten und zu analysieren. Um die Kosten in Grenzen zu halten, müssen die Integration der Sensoren, ihr mikroelektronischer Aufbau, ihre Fertigung und ihre Montage optimiert werden. Zu guter Letzt gilt es, die Sensoren und Monitoringsysteme in den Alltag einzuschleusen: in Fahrzeuge, in die Kleidung, in Geräte am Arbeitsplatz oder in Handys. Um diese Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, arbeiten die Forscher des Fachgebiets Mikroperipherik der TU Berlin ➁ ➂ ➀ ➃ und des Fraunhofer-Instituts für Mikrointegration daran, neue Aufbau- und Verbindungstechniken für die mikroelektronischen Komponenten zu entwickeln. Die Systeme sind beispielsweise in der Diagnostik sehr komplex und müssen sehr klein sein, um implantiert werden zu können. Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit solcher Module sind ungleich höher als bei anderen Anwendungen. Es zeichnet sich ab, dass vor allem der Einsatz von dünnen, flexiblen Mikrochips viele Anwendungen in der Medizin erst ermöglicht. Bereits gängige Produkte wie Hörgeräte lassen sich damit verbessern. Die elektronischen Kontakte werden meist gelötet, um die hohen Zuverlässigkeitsanforderungen der Geräte und besonders hermetisch gekapselter Implantate deutlich zu erhöhen. Andererseits sind in einzelnen Fällen auch sehr dünne geklebte Kontakte möglich, die eine Minimierung des Volumens bei großer mechanischer Flexibilität bieten. Zukünftig werden in der Medizin auch neuen Technologien eingesetzt, die derzeit für autarke Sensornetzwerkknoten in der Kommunikation erarbeitet werden. So erreichen komplexe Module mit integrierten Sensoren heute weniger als 125 Kubikmillimeter Raum, eingesetzt beispielsweise für Sensorimplantate. Sie könnten zum Beispiel transplantierte Organe oder künstliche Gelenke im Innern des menschlichen Körpers überwachen. Derartige Sensorimplantate müssen TU BERLIN möglichst klein sein. Der Körper darf sie nicht als Fremdkörper betrachten, wenn kein hermetisches Gehäuse wie beim Herzschrittmacher möglich ist. Auch bei Implantaten im Auge oder bei Sensoren für das Gehirn bietet sich die Flip-Chipon-Flex-Technologie an, um einen miniaturisierten und biegsamen Aufbau zu realisieren. Die Module lassen sich falten oder zusammenrollen, um sie leichter in das Auge oder den Schädel einzusetzen. Die Mikrochips werden vorzugsweise mit Edelmetallklebern geklebt. Das hat den Vorteil, dass nur Gold und weitere körperverträgliche Materialien zum Einsatz kommen. Die vier Schritte für die Herstellung eines Herzschrittmachers 1. Entwerfens des Materials und der Baugruppen 2. Herstellung 3. Bestücken der Elektronik, Montage der Baugruppen 4. Systemdesign und Test S E N S O R E N I M T- S H I R T Biegsamer Chip aus dem Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration Ein weiterer technologischer Trend ist die Integration von Elektronik in Textilien. Mit der Verfügbarkeit von leitfähigen Garnen und immer kleineren elektronischen Bauteilen gelingt es, die Kleidung und die Elektronik FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 19 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N so zu verweben, dass die Elektronik für den Nutzer und den Beobachter völlig verschwindet. Sensoren, Auswerteelektronik, Sende- und Empfangstechnik können so integriert werden, dass besonders chronisch kranke Patienten und alte Menschen medizinisch beobachtet und durch Notdienste und Ärzte unterstützt werden. Ihr tägliches Leben wird dadurch nur geringfügig beeinträchtigt. Eine nahe liegende Anwendung ist ein T-Shirt, das Körperwerte misst und weiterleitet. Es kann die Signale direkt an der Haut abnehmen, ohne den Patienten zu beeinträchtigen. Weltweit versuchen Forscher derzeit, ein solches T-Shirt zu entwerfen, das ein EKG aufnehmen kann. An der Integration weiterer Sensoren für Blutsauerstoffgehalt, Temperatur, Beschleunigung, Atmung und so weiter wird ebenfalls gearbeitet. Noch erreichen die textilen Sensorfelder (Pads) für das EKG nur in Ansätzen die ge- wünschte Funktionalität. Die Elektronik zur Datenübertragung und Datenauswertung muss weiter schrumpfen und gleichzeitig leistungsfähiger werden. Das ganze System im T-Shirt muss so beständig sein, dass es sogar die Waschmaschine aushält. Hier wird wieder die Flip-Chip-Montage auf flexiblen Folien angewendet, die die benötigte Elektronik inklusive eines Bluetooth-Anschlusses auf einer Fläche von zwei mal zwei Zentimetern unterbringt, also ungefähr auf einem gängigen Heftpflaster. Die Module werden mit leitfähigem Garn an das T-Shirt gestickt und mit den ebenfalls gestickten Elektroden verbunden. Anschließend wird das System mit Kunststoff verkapselt, um die Nutzungsbelastungen (zum Beispiel beim Waschen) zu erreichen. q ww.izm.fraunhofer.de » Einblick Prüfstelle für Medizinprodukte – Qualität mit Brief und Siegel An der TU Berlin gibt es eine anerkannte Prüfstelle in erster Linie Rehabilitationshilfen zur Kompensation motofür Medizinprodukte, die Berlin Cert GmbH. Sie prüft und zertifiziert nach den Vorgaben des Gesetzgebers beispielsweise Prothesen oder medizinische Geräte. Die Prüfstelle wurde 1980 als Nachfolgerin der seit 1916 bestehenden „Prüfstelle für Ersatzglieder“ gegründet. In den ersten Jahren wurden überwiegend Prüfungen nach dem Gerätesicherheitsgesetz durchgeführt, die zur Verleihung des GS-Zeichens führten. Nach dem In-Kraft-Treten der Medizingeräteverordnung im Jahr 1986 wurde die Akkreditierung auf bauartzulassungspflichtige Geräte der Gruppe 1 der Medizingeräteverordnung erweitert. Daneben wurden Prüfungen von Geräten der Gruppen 3 und 4 der Medizingeräteverordnung durchgeführt, die nicht der Zulassung bedurften. Die Prüfungen erstreckten sich aber auch auf Medizinprodukte, die nicht in der Medizingeräteverordnung zu finden sind, 20 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 rischer Behinderungen. Seit 1997 ist die Berlin Cert eine „Benannte Stelle“ für Medizinprodukte gemäß der Richtlinie 93/42/EWG (CE-Kennnummer: 0633). In Kooperation mit dem Fachgebiet Medizintechnik der TU Berlin werden kontinuierlich Qualitätsstandards und Laborprüfverfahren erarbeitet beziehungsweise bestehende Standards überarbeitet. In zunehmendem Maße nutzen die Kunden der Berlin Cert GmbH auch die Möglichkeit, ihre Produkte in den über 350 Quadratmeter großen Laborräumen überprüfen zu lassen, um sie danach im Hilfsmittelverzeichnis zu registrieren. Hierzu gehört neben der sicherheitstechnischen Produktprüfung meist auch die Überprüfung des Risikomanagement-Planes und die klinische Bewertung. Für den Hersteller ergeben sich dadurch Vorteile bei der Zulassung des Produktes auch in Ländern außerhalb der EU, zum Beispiel in den USA. Die Berlin Cert GmbH hat 15 Mitarbeiter, die neben den Medizinprodukten auch Qualitätsmanagementsysteme nach DIN EN ISO 13485 zertifizieren (siehe auch den Beitrag auf Seite 12). q www.berlincert.de GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN » TU-Alumni im Porträt Dr.-Ing. Kai Desinger ist Vorstandsvorsitzender der Celon AG medical instruments. Er hat die so genannte bipolare Radiofrequenz-induzierte Thermotherapie (RFITT) entwickelt, bei der krankes oder überschüssiges Gewebe gezielt thermisch zerstört wird. Bereits während seines Maschinenbaustudiums an der TU Berlin kam der heute 40-Jährige mit der bipolaren Hochfrequenzchirurgie in Berührung. Seine wissenschaftliche Karriere begann im Berliner Laser- und Medizin-Zentrum, wo er schnell zum Bereichsleiter für »Biomedizinische Technik und Minimal-Invasive Technologien« aufstieg. 1998 schloss er seine Promotion mit Auszeichnung ab. Ein Jahr später gründete er die Celon AG. Mit einem überzeugenden Businessplan und einer Vielzahl von Patenten konnte er Privatinvestoren gewinnen. Im März 2000 startete Kai Desinger im brandenburgischen Teltow mit vier Mitarbeitern durch. Im Mai 2004 erwarb das Blue-Chip-Unternehmen Olympus die Aktienmehrheit an der Celon AG. Als Tochterunternehmen des führenden Herstellers opto-digitaler Technologien ist Celon in Teltow seit September 2005 weltweites Olympus-Kompetenzzentrum für Forschung, Entwicklung und Produktion neuer medizinischer Hochfrequenztechnologien. Heute beschäftigt die Celon AG rund 40 Mitarbeiter. q www.celon.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 21 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Mit Hand und Fuß Exoskelette unterstützen Schenkel, Knie oder Hände Von Christian Fleischer, Andreas Wege und Günter Hommel A n der TU Berlin arbeiten Forscher an so genannten Exoskeletten. Der Begriff ist aus der Biologie entliehen und beschreibt Skelette, die den Körper von außen stützen wie bei Insekten oder Krebsen. Höhere Lebewesen besitzen Endoskelette, sie sind im Körper integriert, als inneres Gerüst. Das Ziel der Wissenschaftler ist es, Menschen zu unterstützen, wenn sie durch Krankheit oder Unfall in ihren Bewegungen eingeschränkt sind. Bereits die antike Sagenwelt kennt Helden, die mit übermenschlichen Kräften heroische Taten vollbringen. In Science-Fiction und in Hollywoods Filmen werden diese Kräfte häufig durch besondere Kleidung oder Ausrüstung bereitgestellt. So verbreitet dieses Thema in der Unterhaltungsbranche auch ist, es gibt weltweit nur wenige Forschergruppen, die sich damit beschäftigen. Serienmodelle zur aktiven und mobilen Unterstützung des Körpers sind nicht auf dem Markt. Dabei gäbe es zahlreiche Anwendungen für Exoskelette: Menschen, deren Bewegungsmotorik durch Krankheit oder einen Unfall eingeschränkt ist, könnten in der Rehabilitationsphase aktiv unterstützt und geführt werden. Gesunden Menschen könnten sie als Trage- oder Ausdauerhilfe bei der Arbeit oder in der Freizeit dienen. Ältere Menschen könnten in Alltagssituationen von ihnen Gebrauch machen, etwa beim Treppensteigen. Bei Computerspielen könnten sie helfen, dem Spieler die virtuellen Kräfte und Beschleunigungen fühlbar zu machen. 22 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN Im Fachgebiet Robotik der TU Berlin arbeiten die Wissenschaftler zurzeit an zwei unterschiedlichen Exoskeletten: Ein Modell umschließt Ober- und Unterschenkel und kann das Kniegelenk aktiv unterstützen. Das andere Modell wird wie ein Handschuh übergestreift und kann jedes einzelne Fingerglied bewegen. Obwohl beide Projekte in der Robotik angesiedelt sind, liegt das Hauptaugenmerk doch auf dem Rehabilitationsprozess von Patienten, was ein stark interdisziplinäres Arbeiten erfordert. AUF DIE BEINE KOMMEN Die Grundlage für die mechanische Konstruktion des Skeletts liefert eine handelsübliche Orthese, wie sie Medizintechniker nutzen. Diese Orthesen werden direkt vom Bein des Patienten abgeformt, um optimalen Tragekomfort zu bieten. Sie stabilisieren das Kniegelenk, etwa nach einer Operation oder um die Folgen einer Krankheit oder angeborenen Fehlstellung zu lindern. Ausgestattet wurde diese Orthese nun mit einem Linearantrieb, der die Schalen des Oberschenkels und Unterschenkels miteinander verbindet. Mithilfe eines integrierten Elektromotors ändert dieser Antrieb seine Länge, indem er einen Kolben ausfährt. Dadurch wird eine Beugung oder Streckung des Kniegelenks bewirkt. Ein Computer übernimmt die Steuerung des Elektromotors und fährt die gewünschte Bewegung ab. I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Doch woher weiß der Computer, welche Bewegung gewünscht ist? Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist ein zentrales Problem dieser Technik: Sie muss fehlerfrei erkennen, welche Bewegung durchgeführt werden soll (aufstehen, hinsetzen, laufen, Treppen steigen …). Sie muss robust sein gegen äußere Einflüsse durch Bodenkontakt, Anfassen eines Geländers oder Erschütterung. Werden diese Bedingungen nicht erfüllt, so kann es im günstigsten Fall zu einer holprigen Bewegung führen. Im schlimmsten Fall könnte der Träger der Orthese stürzen und sich verletzen. Informationen detailliert genug abgeleitet werden. Hat sich der Muskel erst einmal angespannt und eine Bewegung ausgeführt, könnte mithilfe eines Kraftsensors zwischen dem Bein des Patienten und dem Exoskelett diese Bewegung analysiert werden, allerdings stark gestört durch äußere Einflüsse. Glücklicherweise gibt es aber eine weitere Möglichkeit: Wird ein Muskel angespannt, so ist auf der Haut oberhalb des Muskelkörpers eine leichte elektrische Spannung messbar, nur wenige Mikro- vität des Muskels rechtzeitig signalisieren. Ein Computer fragt sie tausendmal in der Sekunde ab, filtert die Ergebnisse und wertet sie aus. Die gewünschte Bewegung wird berechnet und an einen Regler weitergegeben, der den Motor antreibt: Das Knie bewegt sich. Leider kann man damit keinem Patienten helfen, dessen Beine gelähmt sind. In solchen Fällen sind das Gehirn oder die Nervenbahnen auf dem Weg zum Muskel bereits geschädigt. Die Informationskette ist vor den Sensoren innerhalb des volt. Diese Spannung ist umso höher, je stärker der Muskel angespannt wird. Dabei muss nicht einmal eine Bewegung ausgeführt werden: Der Muskel kann zu schwach oder die Bewegung durch Hindernisse eingeschränkt sein. Dennoch lässt sich daraus der Wunsch nach einer Bewegung erfassen. Beim Exoskelett am Bein sind an den wichtigsten Oberschenkelmuskeln spezielle Sensoren angebracht, die eine Akti- Menschen unterbrochen. Noch fehlt einiges, um die angetriebene Orthese – das Exoskelett – einem Patienten ans Bein zu binden oder Versuche damit durchzuführen: Die Handhabung muss vereinfacht werden und bestimmte Mechanismen müssen sicherstellen, dass der Patient geschützt ist und ihn keine Fehlfunktion in Mitleidenschaft zieht. Bislang wurden die Modelle nur an gesunden Testpersonen geprüft. M U S K E L S PA N N U N G : N U R W E N I G E M I K R O V O LT Zudem bleibt wenig Zeit für die Erkennung der gewünschten Bewegung: Innerhalb weniger Millisekunden müssen die gewünschte Richtung und Bewegungsstärke erkannt werden. Eine Verzögerung etwa beim Laufen könnte dazu führen, dass der Fuß nicht rechtzeitig auf den Boden gesetzt wird und dadurch die Körperbalance kippt. Das wäre ein kleiner Fehler, aber mit schwerwiegenden Folgen. Deshalb muss das System in Echtzeit arbeiten. Das heißt: Die Berechnungen müssen innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne abgeschlossen sein. Aber wo genau müsste eine solche Schnittstelle beim Menschen ansetzen? Die Bewegungen des Menschen sind oft hoch dynamisch. Um sie zu überwachen, ist ein so genanntes intuitives Interface notwendig. Das Gehirn kennt die gewünschte Bewegung, nimmt die Umgebung wahr, etwa den Bodenkontakt durch die Fußsohle oder den Rempler eines ungestümen Passanten, und kontrolliert das eigene Gleichgewicht. Über die Nervenbahnen werden die Muskeln aktiviert, die sich anspannen und zusammenziehen, sodass die gewollte Bewegung entsteht. Innerhalb dieser Kette muss eine technische Unterstützung die Bewegung erkennen, je früher und genauer, desto besser. Leider sind die Techniken zur Auswertung der Gehirnaktivitäten noch nicht weit genug fortgeschritten, um dort direkt den Bewegungswunsch abzulesen. Auch aus den Nervenbahnen können die TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 23 Mechatronisches Exoskelett für die menschliche Hand, entwickelt und getestet an der TU Berlin I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Da die Bandbreite der Schädigung von Patienten sehr groß ist, muss sich im Rahmen von Studien zeigen, für welche Gruppe eine Anwendung tatsächlich möglich und sinnvoll ist, denn das Exoskelett stellt relativ hohe Ansprüche: Der Orthesenträger muss selbstständig in der Lage sein, das Gleichgewicht zu halten und die nicht unterstützten Gelenke entsprechend zu bewegen. Ist dies aber erst einmal gegeben, können realitätsnahe Bewegungen eingehend trainiert werden, um die ursprüngliche Mobilität wieder zu erlernen. Daran anschließend kann das System mit den traditionellen Rehabilitationsmethoden verglichen werden, um zu sehen, inwiefern mit seiner Hilfe Verbesserungen erzielt werden können. K R Ä F T I G Z U PA C K E N : T R O T Z FILIGRANER TECHNIK Auch das Exoskelett für die Hand und die Finger ist vorwiegend für die Rehabilitation gedacht. Die Befestigung an der Hand wird ähnlich wie die am Bein von einem Orthopädietechniker gefertigt. Aufgrund des begrenzten Platzes und der vielen möglichen Bewegungen, die ein Mensch mit der Hand ausführen kann, sind die Antriebe im Unterschied zum Exoskelett am Bein jedoch nicht direkt an den Gelenken untergebracht. Die einzel- nen Gelenke werden deshalb über Bowdenzüge bewegt. Diese Bowdenzüge sind ähnlich denen, wie man sie von der Fahrradbremse kennt. Ein solcher Seilzug erlaubt jedoch nur, Zugkräfte zu übertragen. Um eine Bewegung der Fingergelenke in beiden Richtungen zu ermöglichen, werden jeweils zwei Bowdenzüge pro Fingergelenk verwendet: einer, um das Gelenk zu strecken, und einer, um es zu beugen. Motoren, die neben der Hand aufgestellt werden, ziehen an den Bowdenzügen und erlauben es, bis zu vier Freiheitsgrade für jeden Finger anzusteuern. Für das Bewegen der Finger durch den Computer sind natürlich noch Sensoren notwendig. Sie erfassen die Winkel der Fingergelenke. Mit dieser Rückmeldung ist es dem Computer möglich, nahezu beliebige Bewegungsmuster der Hand zu erzeugen. Wie könnte man nun ein solches Gerät in der Rehabilitation einsetzen? Heutzutage wird die Rehabilitation von Handverletzungen manuell von Physiotherapeuten durchgeführt. Das Ziel dieser Therapie ist es zum Beispiel, eine Vernarbung zu verhindern, die sonst eine freie Bewegung der Gelenke behindern könnte. Die Physiotherapeuten werden auch durch so genannte Bewegungsschienen unterstützt. Diese Geräte bewegen die Finger der Hand ähnlich wie das Exoskelett in vorgegebenen Bahnen. Leider sind sie jedoch nicht individuell für die einzelnen Fingergelenke wählbar. Dies wäre nur durch ein speziell angepasstes Exoskelett möglich. Weitere Sensoren zum Messen der Kräfte können zusätzliche Rückmeldung über den Fortschritt des Patienten liefern. Außerdem wäre über das Auswerten dieser Daten auch eine automatische Anpassung der Übungen an den RehaFortschritt des Patienten denkbar. Letztendlich soll das Exoskelett auch das Wiedererlernen komplexer Bewegungsabläufe unterstützen, wie es zum Beispiel nach Schlaganfällen notwendig ist. Bis das Exoskelett für die Hand an Patienten erprobt werden kann, muss jedoch noch einiges an Entwicklungsarbeit geleistet werden. Ähnlich wie beim Bein muss die Sicherheit der Patienten garantiert werden. Mit einer gesunden Hand ist es möglich, ungewollten Bewegungen durch eventuelle Fehlfunktionen zu widerstehen. Für Patienten muss dies jedoch nicht gelten. Auch muss die Bedienung für Ärzte und Patienten vereinfacht werden. Ein Traum wird es vorerst jedoch bleiben, mit dem Exoskelett Klavier zu spielen. Dabei würde die komplexe Mechanik des Gerätes zu sehr stören. q www.cs.tu-berlin.de » Einblick An der Schnittstelle zum Nutzer Mitte der 90er-Jahre gründete die TU Berlin das Zentrum Mensch-Maschine-Systeme (ZMMS), um die Forschungen an der Nahtstelle zwischen Technik und Nutzer zu intensivieren. Das Zentrum verbindet die klassischen Ingenieurdisziplinen mit den Humanwissenschaften. Gleichzeitig wurde die Einrichtung des Fachgebietes Mensch-Maschine-Systeme beschlossen. Im ZMMS werden Forschungsvorhaben aufgenommen, die durch Dritte gefördert werden, etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder die Industrie. Die Forscher erhalten Räume und Kommunikationstechnik. Bisher liefen Vorhaben zu Berichtssystemen, Verlässlichkeit und Sicherheitsmanagement, Entscheidungsanalyse und Unterstützungssystemen, Kognitiver Modellierung und Kompetenzentwicklung, Sprachverarbeitung und multimodalen Schnittstellen und 24 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Systemevaluation. Zurzeit arbeitet am ZMMS die Forschergruppe »Mensch-Maschine-Interaktion in kooperativen Systemen der Flugsicherung und Flugführung«, die von der DFG finanziert wird. Die Volkswagen-Stiftung fördert eine Nachwuchsgruppe zu »Methoden zur Bedienermodellierung in dynamischen Mensch-Maschine-Systemen«. Im Herbst 2004 startete das Graduiertenkolleg »Prospektive Gestaltung von Mensch-Technik-Interaktion«, das gleichfalls von der DFG unterstützt wird. Alle drei Jahre unterzieht sich das ZMMS der Bewertung durch internationale Gutachtergruppen. Deren Empfehlungen entsprechend beschloss die TU Berlin im Frühjahr 2004, das ZMMS mindestens bis 2007 fortzuführen. q www.zmms.tu-berlin.de GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN » TU-Alumni im Porträt Dr.-Ing. Michael Hasenpusch ist seit Mai 2001 Chief Technology Officer der Otto Bock HealthCare GmbH in Duderstadt. Dort zeichnet er für Forschung und Entwicklung verantwortlich. Sein Rüstzeug erwarb er sich zwischen 1982 und 1989 bei einem Studium der Feinwerktechnik an der TU Berlin. Danach forschte er fünf Jahre lang an der Universität, wo er auch promovierte. Von 1995 bis 1998 führte er die Geschäfte der HASCI Ingenieurgesellschaft GmbH in Berlin. Seit September 1998 ist er auch Technischer Leiter bei der Otto Bock Orthopädische Industrie GmbH & Co. in Duderstadt. Die Otto Bock HealthCare Gruppe ist ein weltweit führender Anbieter von innovativen Produkten für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Mit qualitativ hochwertigen und technologisch ausgefeilten Produkten und Dienstleistungen trägt sie dazu bei, dass Menschen ihre Bewegungsfreiheit erhalten oder wiedererlangen. Im Jahr 2005 erwirtschaftete die Firmengruppe rund 434 Millionen Euro Umsatz, mit knapp 3600 Mitarbeitern weltweit. q www.ottobock.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 25 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N D er in der Sozialgesetzgebung verankerte Anspruch auf eine »dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten« steht im Konflikt mit seiner Finanzierung. Die Einführung des neuen Entgeltsystems auf der Basis von Fallpauschalen führt zu einer verstärkten Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit: Die Kostenträger erstatten nicht die tatsächlichen Ausgaben für medizinische Leistungen, sondern einen diagnoseabhängigen Festbetrag. Leistungserbringer, denen es gelingt, medizinische Maßnahmen preiswert bei gleicher oder sogar steigender Qualität anzubieten, können einen Gewinn verbuchen. Andere arbeiten unwirtschaftlich und werden langfristig nicht bestehen können. Die Grenze der »fachlich gebotenen Qualität« ist nicht immer genau zu definieren. Sie wird mit dem medizinischen Fortschritt immer weiter verschoben. Um bei gleichen Kosten eine immer bessere Versorgung zu gewährleisten, muss die Behandlung effektiver werden. Man kann dazu die Kosten von Arzneimitteln und eingesetzten technischen Geräten senken oder die Behandlungs- und Pflegezeiten bzw. den Personalaufwand reduzieren. U LT R A S C H A L L R E I N I G T GERÄTE Mit spitzen Fingern an die Geräte Moderne Medizinprodukte müssen nicht nur technisch ausgereift sein, sondern wirtschaftlich in ihrer Nutzung Von Marc Kraft 26 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN Eine Senkung der Kosten eines Gerätebzw. Instrumenteneinsatzes pro Behandlung ist durch die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Aufbereitung und des erneuten hygienisch und funktionell sicheren Einsatzes erreichbar. Mehrere Forschergruppen des Zentrums für innovative Gesundheitstechnologie der TU Berlin haben ihre Aktivitäten auf die Entwicklung derartiger Kreislaufprozesse für Medizinprodukte konzentriert. Zu den Medizinprodukten, die besonders hohe Anforderungen an ihre Aufbereitung stellen, gehören zahlreiche Instrumente der Chirurgie, auch so genannte Langschaftinstrumente für die minimal invasive Chirurgie. Ihre Reinigung kann kritisch sein, da sie enge und lang gestreckte, oft nicht einsehbare Hohlräume I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N enthalten, in denen sich Krankheitserreger befinden können. Die mechanische Reinigung von Oberflächen, auch innerhalb von Hohlräumen, lässt sich beispielsweise durch Ultraschall verbessern. Je nach Intensität oder Frequenz entstehen lokale Druckdifferenzen, die Verunreinigungen lösen. Innerhalb eines durch die Vanguard AG finanzierten Forschungsprojektes am Fachgebiet Medizintechnik werden derzeit solche neuen ultraschallgestützten Reinigungsverfahren entwickelt. Neben der bisher üblichen Reinigung in Tauchbädern soll der Ultraschall auch in anderen Automaten zur Reinigung und Desinfektion nutzbar gemacht werden, ohne die Instrumente und ihre Oberfläche zu beschädigen. Zu lösen ist bis dahin unter anderem die Frage, wie der Ultraschall in diesen Automaten erzeugt oder die Sonotrode untergebracht wird. Auch die Schallübertragung und ihre Wirkung auf die Oberflächen verschiedener Materialien gilt es zu erforschen. Zur Aufbereitung von Medizinprodukten gehört der Nachweis, dass sie uneingeschränkt und sicher funktionieren, in der Regel durch spezielle Prüfverfahren. Die Entwicklung derartiger Prüfverfahren war und ist der Inhalt weiterer Forschungsprojekte im Auftrag der Vanguard AG. So konnten die Medizintechniker der TU Berlin ein Gerät für die elektrische Funktionsprüfung von Elektrophysiologie- und Ablationskathetern fertig stellen und übergeben. Eine Vorrichtung für die Vermessung und Bildqualitätsprüfung von verschiedenen Ultraschallkathetern befindet sich in der Entwicklung. WIE ÜBERPRÜFT MAN HYGIENE? Auch die Überprüfung der hygienischen Sicherheit nach der Reinigung besitzt noch erhebliche Optimierungspotenziale. Bisher wird dabei mit verschiedenen Lösungsmitteln gearbeitet. Zum Einsatz kommen mikrobiologische oder nasschemische Verfahren. Eine deutliche Verein- » Einblick Gesundheitsstadt mit internationalem Glanz Berlin kann auf eine lange medizinische Tradition fachung könnte man durch optische Messverfahren erreichen, die die Oberflächen auf Kontaminationen scannen, etwa durch Nutzung von Fluoreszenz oder optischer Absorption. Solche Verfahren könnte man zugleich in der Pharma- und in der Lebensmittelindustrie einsetzen. Die Entwicklung dieser Technologie ist Gegenstand eines geplanten Verbundprojektes, an dem sich drei Fachgebiete der TU Berlin beteiligen. Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogramms »Innovationen als Schlüssel für die Nachhaltigkeit in der Wirtschaft« beim Bundesforschungsministerium beantragt. Neben der Aufbereitung von Instrumenten und Geräten bieten auch medizinische Großgeräte erhebliche Potenziale, um durch Kreislaufprozesse Kosten einzusparen. Dies betrifft insbesondere bildgebende Systeme, wie Computertomographen (CT), Magnetresonanztomographen (MRT) und Röntgenanlagen. Durch geeignete Produkt- und Produktionsgestaltung sowie durch Strategien und Prozesse zur Aufbereitung, Demontage und Remontage können medizintechnische Großgeräte in neue Nutzungszyklen überführt und neue Märkte für preisgünstige Geräte zum Beispiel in Entwicklungsländern erschlossen werden. Neben dem Wirtschaftlichkeitsgebot und der Qualitätssicherung ist auch die Abfallvermeidung bei der Aufbereitung und dem Wiedereinsatz von Medizinprodukten von erheblicher Bedeutung. zurückblicken. Berühmte Ärzte wie Rudolph Virchow, Emil von Behring, Robert Koch und Paul Ehrlich wirkten in der Stadt und haben Medizingeschichte geschrieben. Sie begründeten den Ruf Berlins als internationales Zentrum der medizinischen Lehre und Forschung, der Medizintechnik, der Krankenversorgung und pharmazeutischen Industrie. Auch mit zahlreichen Hospitälern ist der Ruf Berlins als Zentrum des Gesundheitswesens eng verbunden. Stellvertretend ist die Charité zu nennen, das größte Forschungskrankenhaus Europas. Sie wurde 1710 gegründet. Hier arbeiteten unter anderem berühmte Wissenschaftler wie Johannes Müller, Emil Du Bois-Reymond, Hermann von Helmholtz, Christoph Hufeland, Albrecht von Graefe und Ferdinand Sauerbruch. Vierzehn Nobelpreisträger aus der klinischen Medizin, Physiologie und Chemie hatten und haben enge Verbindungen zur Berliner Medizin, unter anderem Emil von Behring (Nobelpreis 1901), Robert Koch (1905) und Paul Ehrlich (1908). Der Elektrotechniker Ernst Ruska erfand 1931 in Berlin das Elektronenmikroskop. q www.berlin-gesundheitsstadt.de q www.ikmm.tu-berlin.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 27 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Forschungen durch Mark und Bein Titanlegierungen sollen verhindern, dass Implantate vorzeitig versagen Von Claudia Fleck D ie Medizin hat im letzten Jahrhundert große Fortschritte gemacht. Krankheiten, die früher lebensbedrohlich waren, sind heute heilbar. Veränderte Lebensbedingungen und höhere Lebenserwartung rücken jedoch Krankheiten in den Vordergrund, denen früher eine geringere Bedeutung zukam. Hierzu gehören beispielsweise Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungsapparates, die heutzutage im Vergleich mit konservativen Behandlungsmethoden oft besser mit Implantaten versorgt werden. Darunter versteht man Bauteile, die für einen bestimmten Zeitraum oder dauerhaft die Funktion geschädigter Organe im Körper übernehmen. Mit großem Erfolg werden beispielsweise Knochenbrüche mit Metallplatten geschient oder schmerzhafte Hüft- oder Kniegelenke durch Prothesen ersetzt. Trotz verbesserter Operationstechniken, Implantatwerk- stoffe und Implantatkonstruktionen kann es noch immer passieren, dass Implantate vorzeitig versagen. Das menschliche Skelett und damit die Implantate sind hohen Beanspruchungen bis zum Sechsfachen des Körpergewichts ausgesetzt. Knochen sind in idealer Weise an diese Belastungen angepasst. Sie haben Strukturen, in denen die maximale Festigkeit in Belastungsrichtung durch minimalen Materialeinsatz erreicht wird. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Knochenbälkchen der Knochensubstanz (Spongiosa), die sich entsprechend den vorherrschenden Kraftlinien ausrichten. Doch auch die mikroskopische Knochenstruktur selbst passt sich der Beanspruchung an. Forschungen an der TU Berlin zielen darauf, die Reaktion des Knochens auf die Implanate besser zu verstehen. Knochen lässt sich als komplexer Verbundwerkstoff beschreiben, bei 28 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 dem sehr dehnbare Eiweißstrukturen, so genannte Kollagenfasern, in einer organischen Matrix eingebettet und mit mineralischen Kristallen aus Calciumphosphat verstärkt sind. Die Kollagenfasern verleihen dem Knochen seine Dehnbarkeit und Zugfestigkeit, die Mineralpartikel die Druckfestigkeit. Entsprechend sind die Kollagenfasern in überwiegend zugbeanspruchten Knochenbereichen parallel, in druckbeanspruchten senkrecht zur Lastrichtung ausgerichtet. Es ergeben sich lokal angepasste Werte für Steifigkeit und Festigkeit des Knochens. Durch das Einbringen eines Implantats werden die im Knochen herrschenden Belastungen in einer Weise verändert, die kaum noch den natürlichen Gegebenheiten entspricht. Die heute eingesetzten Implantatwerkstoffe sind in der Regel wesentlich steifer als der Knochen, sodass dieser von den auftretenden Las- I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N ten regelrecht abgeschirmt wird. Zum Erhalt seiner Funktionsfähigkeit muss der Knochen jedoch innerhalb enger physiologischer Grenzen wechselnd beansprucht werden. Liegen die auftretenden Lasten sowohl oberhalb als auch unterhalb dieser Grenzen, baut sich der Knochen von selbst ab. So kann beispielsweise nach dem Entfernen einer Frakturplatte an einem gerade verheilten Knochen ein Ermüdungsbruch auftreten, da die Platten – zu Anfang des Heilungsprozesses erwünscht – einen großen Teil der Last tragen. Im Falle von Endoprothesen, zum Beispiel künstlichen Hüftgelenken, kommt noch hinzu, dass sich an der Grenzfläche zwischen Implantat und Knochen eine Bindegewebsschicht bildet. Sie entsteht als natürliche Reaktion des Körpers auf Abriebpartikel, Mikrobewegungen oder mangelhafte Biokompatibilität des Implantats. Ihre Dicke nimmt im Laufe der Zeit zu, während ihre mechanische Festigkeit abnimmt. In der Folge lockern sich beispielsweise Hüftenendoprothesen vor allem im gelenknahen Bereich, was im schlimmsten Fall zum Ermüdungsbruch des Prothesenschaftes führt. Zur Erhöhung der Lebensdauer von Implantaten ist es deshalb notwendig, die Eigenschaften des Knochens, der Implantatwerkstoffe und des Knochen-Implantat-Verbundes unter zyklischer Beanspruchung zu kennen. Eine dauerhafte Verankerung des Implantats im Knochen ist nur möglich, wenn die Reaktionsweise des Knochens auf wechselnde, so genannte Ermüdungsbeanspruchungen bekannt ist. MÜDE FUSSKNOCHEN Ermüdungsuntersuchungen an Knochen sind auch aus anderen Gründen wichtig. Beispielsweise treten bei Rekruten nach langen, ungewohnten Märschen, bei Marathonläufern oder bei jungen Rennpferden Ermüdungsbrüche der Fußknochen auf. In den oben genannten Fällen reicht die Regenerationsgeschwindigkeit des Knochens offensichtlich nicht aus, um die durch die wechselnde Beanspruchung hervorgerufenen mikrostrukturellen Schädigungen rechtzeitig zu kompensieren. Ein Ermüdungsversagen wird im We- sentlichen durch die Bildung und die Ausbreitung von mikroskopisch kleinen Rissen an den inneren Grenzflächen des Knochens ausgelöst. Darüber hinaus wird der Knochen durch die Umbauvorgänge, die unter Umständen von diesen Mikrorissen ausgelöst werden und der Reparatur dieser Schäden dienen, zunächst lokal geschwächt. Abgestorbener Knochen weist diese Regenerationsfähigkeit nicht mehr auf. Dadurch kommt es, zum Beispiel im Falle einer Hüftkopfnekrose, nach zirka zwei Jahren zum Ermüdungsbruch des Oberschenkelhalses. Detaillierte mikrostrukturelle Erkenntnisse bezüglich der Ermüdungseigenschaften auch des toten Knochens sind deshalb notwendig, um eine Schädigung rechtzeitig zu diagnostizieren und zu bewerten. Darauf aufbauend können dann therapeutische Maßnahmen festgelegt werden, um ein katastrophales Versagen des Knochens zu vermeiden. HOHE LASTEN TRAGEN Auch die orthopädischen Implantate müssen die hohen und zeitlich veränderlichen Lasten in stark korrosiver Umgebung ohne Bruch ertragen. Aufgrund ihrer plastischen Verformbarkeit, die eine Sicherheit gegen plötzliches sprödes Versagen bietet, werden lasttragende Strukturen von Implantaten in erster Linie aus Metalllegierungen gefertigt. Im orthopädischen Bereich kommen neben Memorylegierungen überwiegend rostfreie Stähle, Kobaltbasislegierungen sowie Titan und Titanlegierungen zum Einsatz. Titanwerkstoffe zeichnen sich hierbei durch ihre herausragende Bioverträglichkeit, ihre sehr gute Korrosionsbeständigkeit und ihre hohe mechanische Belastbarkeit aus. Die beiden erstgenannten Eigenschaften sind im Wesentlichen auf eine sehr fest anhaftende, wenige Nanometer dicke Oxidschicht zurückzuführen. Vorteilhaft für medizinische Anwendungen ist, dass sich diese Passivschicht nach einer Verletzung, wie sie während einer Operation aufgrund von Reibung am Knochen oder Kontakt mit Instrumenten kaum vermeidbar ist, sogar in Medien mit einem sehr geringen Sauerstoffgehalt innerhalb von Millisekunden neu aufbaut. TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Ziel der TU-Forscher ist die Erhöhung der Lebensdauer von Implantaten, wie von künstlichen Hüftköpfen (S. 28) oder künstlichen Kniegelenken GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 29 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Um einem Verschleiß der Oxidschicht während des Einbaus oder der Beanspruchung sowie einer Ermüdungsschädigung durch die physiologische Beanspruchung vorzubeugen, kann es wünschenswert sein, die natürliche Oxidschicht zu verdicken. Dies ist möglich, indem der Titanwerkstoff bei hohen Temperaturen in sauerstoffhaltiger Atmosphäre geglüht oder in geeigneten Elektrolytlösungen anodisch oxidiert wird. Die Struktur dieser Schichten ist in rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen gut zu erkennen. Die thermische Oxidation führt zu einer sehr feinen, glatten Oxidschicht. Auch die anodisch oxidierte Schicht ist sehr gleichmäßig, weist aber kleine Poren auf. Die mechanische Beständigkeit der Schichten lässt sich untersuchen, indem man sie in quasiphysiologischen Medien vorsichtig anritzt. Thermisch oxidierte Schichten verhalten sich eher spröde, platzen im Verformungsbereich der Ritzspur partiell ab und bilden zahlreiche Ris- se. Anodische Schichten verformen sich mit dem darunter liegenden Metallsubstrat. Die durch das Anritzen freigelegte Metalloberfläche reagiert mit dem Umgebungsmedium. Enthält diese Lösung Calcium- und Phosphationen, so werden diese in die neue Oxidschicht eingebaut. Dieser Einbau von körpereigenen Ionen in die Oxidschicht spielt eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Grenzfläche zum Knochen, da sie eine direkte Anbindung von Proteinstrukturen des Knochens ermöglichen. SCHICHTEN VORSICHTIG ANRITZEN Wird das Implantat wechselnd belastet, wird auch die Passivschicht zyklisch gedehnt und dadurch aktiviert. Außerdem können sich bei verformungsfähigen Metalllegierungen bei einer Ermüdungsbeanspruchung Verformungsspuren auf der Oberfläche ausbilden, an denen die Er- müdungsrissbildung beginnt. Diese Prozesse können durch Potenzial- und Strommessungen nachgewiesen werden. Neben der korrosiven und der Ermüdungsbeanspruchung müssen insbesondere Implantate im Knochenkontakt auch Reibung und Verschleiß ertragen, die an allen Grenzflächen im ImplantatGewebe-System, also an der Grenzfläche zwischen dem Knochen und dem Implantat, aber auch zwischen verschiedenen Komponenten des Implantats selbst auftreten. Aufgrund der Verschleißprozesse entstehen Partikel, die zu einer Fremdkörperreaktion führen können. Diese Partikel entstehen insbesondere auch an künstlichen Gelenkflächen, wie beispielsweise zwischen Kopf und Pfanne eines künstlichen Hüftgelenks, und werden für die Lockerung von Hüftendoprothesen verantwortlich gemacht. q www.tu-berlin.de/fak3/fgwt » Einblick Höchste Forschungsdichte in Europa D ie Vernetzung der Gesundheitsforschung mit der Gesundheitswirtschaft, der Biotechnologie und der Medizintechnik macht Berlin zur Hauptstadt auch in Sachen Medizin und Gesundheit. Schwerpunkte sind unter anderem das Therapieforschungszentrum für klinische Studien, die bildgebenden Verfahren (Magnetresonanzbilder und molekulare Diagnostik) und die Entwicklung einer modernen IT-Infrastruktur für ein leistungsfähiges Klinikum (digitales Krankenhaus). Dreh- und Angelpunkt sind in Berlin die Lebenswissenschaften, angeführt vom Universitätsklinikum Charité. Es reorganisiert derzeit seine Kliniken und Institute und fasst sie in 17 interdisziplinären Zentren zusammen. An den Berliner Hochschulen und den 70 außeruniversitären Forschungsinstituten der Stadt werden alle wissenschaftlichen Facetten abgedeckt: von der klinischen Medizin zur Grundlagenforschung, über Physiologie, Biologie, Chemie, Pharmazie, Medizintechnik, Physik, Nanotechnologie, Mikrosystemtechnik, Informationstechnologie sowie Bioethik, Philosophie und Theologie. Rund 50 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in der Gesundheitsforschung im weiteren Sinne tätig. q www.berlin-gesundheitsstadt.de 30 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN » TU-Alumni im Porträt Dr.-Ing. Herwig Freiherr von Nettelhorst ist Vorstandsvorsitzender der getemed Medizin- und Informationstechnik AG in Teltow. Der 61-jährige Ingenieur erlernte sein Handwerk zwischen 1967 und 1971 an der Ingenieurakademie in Hannover. Nach einer kurzen Tätigkeit bei AEG Telefunken setzte er sein Studium an der TU Kaiserslautern fort. Seine Promotion zum Dr.-Ing. erlangte er am Institut für Biomedizinische Technik der TU Berlin. Von 1979 bis 1984 war er Bereichsleiter für Forschung und Entwicklung bei der Firma Biotronik GmbH & Co. KG, gleichfalls in Berlin. Von 1984 bis 2000 leitete Dr. von Nettelhorst die GeTeMed GmbH als geschäftsführender Gesellschafter. Im August 2000 übernahm er den Vorsitz im Vorstand der getemed Medizin- und Informationstechnik AG. Die getemed Medizin- und Informationstechnik AG entwickelt, produziert und vertreibt tragbare Monitore zur Überwachung von Vitalfunktionen sowie Systeme für nichtinvasive Elektrokardiogramme (EKG). Die Firma konzentriert sich auf zwei Kerngeschäftsfelder: auf den netzwerkfähigen kardiologischen Funktionsmessplatz CardioOffice und auf tragbare Monitore zur Überwachung von Risikopatienten. Diese Geräte überwachen die Herztätigkeit, die Sauerstoffsättigung und erkennen Atemstillstand (zentrale Apnoen). Die Überwachungsgeräte sind mit Speichern und Grafikdisplays zur Darstellung der überwachten Parameter sowie einem PC-Interface ausgestattet. Die getemed-Monitore wurden bisher bevorzugt zur häuslichen Überwachung von Neugeborenen eingesetzt. Als Pionier in der Telemedizin liefert getemed in Zukunft telemedizinfähige Monitore zur Risikominimierung des Patienten unter Beibehaltung seiner Mobilität. Getemed ist Marktführer und Anbieter für Langzeit-EKG-Systeme und Home-Monitoring von Neugeborenen in Deutschland. q www.getemed.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 31 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Kampf dem Herzversagen Stents aus Kunststoffen merken sich ihre Form und setzen gezielt pharmazeutische Wirkstoffe frei Von Manfred H. Wagner W enn das Herz versagt: Die Verengung der Herzkranzgefäße (Stenose) gilt als eine der häufigsten Todesursachen in den westlichen Industrienationen. Sie entsteht durch Ablagerungen (Plaques) von Fetten und Kalk sowie dadurch, dass sich vermehrt Muskelzellen und Bindegewebe an der inneren Gefäßwand bilden. Ist die Arteriosklerose schon fortgeschritten, verringert sich der Durchlass des Gefäßes dramatisch. Der Herzmuskel wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Der schweizerische Mediziner Andreas Grünzig wagte vor 25 Jahren ein ungewöhnliches Experiment: Er brachte einen dünnen Ballon in die betroffene Herzkranzarterie eines Patienten, pumpte den Ballon mit Kochsalz- lösung auf und beseitigte so die Verstopfung in dem lebenswichtigen Gefäß. Dies war die Geburtsstunde der so genannten Perkutanen Transluminalen Coronaren Angioplastik (PTCA). Innerhalb weniger Jahre etablierte sich das Verfahren. Im Jahr 2001 wurden in Deutschland bereits knapp 200 000 solcher Eingriffe durchgeführt. Ist der Prozess der Arteriosklerose jedoch schon sehr weit fortgeschritten, reicht die PTCA oft nicht aus. Die Gefäßwand könnte kollabieren und die Arterie vollständig verstopfen. Zur dauerhaften Wiederherstellung des Gefäßes führt man daher eine auf einen Ballonkatheter aufgepresste Hülse (Stent) in die verengte Stelle ein und dehnt diesen in dem be- 32 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 troffenen Gefäßabschnitt auf. Stents bestehen aus einem röhrenförmigen metallischen Drahtgitter, das in das Blutgefäß eingesetzt wird, um es zu stützen und offen zu halten. Jährlich werden weltweit bereits mehr als eine Million Herzpatienten mit solchen Stents versorgt. Um die Erfolge dieser Therapie zu verbessern, werden die Gefäßstützen laufend weiterentwickelt. Seit kurzem gibt es polymerbeschichtete Metallstents, deren Beschichtungen medizinische Wirkstoffe enthalten. Sie sollen vermeiden, dass sich Blutgerinnsel (Thrombosen) oder Entzündungen bilden. Dabei ist wichtig, dass die Wirkstoffe in einer genau festgelegten Zeitspanne freigesetzt werden. Polymerbeschichtete Metallstents können I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N allerdings nur wenige Milligramm eines Wirkstoffs aufnehmen. Die Stents könnten viel mehr Wirkstoff enthalten, wenn man als Gefäßstütze ein Implantat einsetzen könnte, das vollständig aus Polymer besteht. Polymerforscher der TU Berlin haben gezeigt, dass bestimmte Polyurethane in der Lage sind, sich allein durch die Körperwärme des Patienten aufzuweiten. Ein solcher Stent aus Polymer besitzt also bei entsprechender Konditionierung ein eigenes Formgedächtnis. Er ist grundsätzlich geeignet, auch mit Wirkstoffen beladen zu werden. STENTS, DIE MEDIKAMENTE E N T H A LT E N Im Rahmen eines vom Bundesforschungsministerium und von der Industrie geförderten Forschungsprojektes wurde die Machbarkeit eines derartigen Polymeren Stents bis hin zum Einsatz im Tiermodell nachgewiesen. Dazu war es notwendig, die Glasübergangstemperatur des Polyurethans genau zu kennen. Sie gibt an, bei welcher Temperatur das Formgedächtnis des Polymers durch die Körperwärme des Patienten aktiviert wird und seine Form an das Blutgefäß anpasst. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt war es, das Formgedächtnis des Polyurethans in Abhängigkeit von Verfahrensparametern wie Recktemperatur, Reckgeschwindigkeit, Fixiertemperatur etc. zu untersuchen. Die Wissenschaftler des Fachgebietes Polymertechnik und Polymerphysik der TU Berlin entwickelten dazu einen speziellen Prüfstand. Untersucht wurde auch, wie man Polymere Stents herstellen kann: durch Extrusion, durch Spritzgießen und durch Tauchen. Insbesondere das letztgenannte Verfahren ermöglicht es, den gegebenenfalls temperaturempfindlichen Wirkstoff ohne schädliche Temperaturbelastung in den Stent einzubringen. Fertigt man den Stent aus mehreren Schichten, die unterschiedliche Medikamente enthalten können, so lassen sich unterschiedliche medizinische Wirkungen zur Gefäßwand oder zum Blut hin erzielen. Man kann das Implantat flexibler oder steifer gestalten, indem man Schichten mit unterschiedlicher Steifigkeit kombiniert. Durch die sorgfältige Auswahl der Wirkstoffkonzentration und durch den Einbau unbeladener Schichten lässt sich zudem genauer einstellen, mit welchem Zeitprofil die Wirkstoffe freigesetzt werden. Eingehend untersucht wurde die Freisetzung eines Modellwirkstoffs (Dexamethason). Schließlich wurde eine Methode entwickelt, um Polymere Stents in das betroffene Gefäß einzusetzen, denn sie können nicht mithilfe eines Ballonkatheters implantiert werden. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Herzzentrum Berlin und der Tierexperimentellen Abteilung der Charité erprobten die Wissenschaftler das neue Verfahren am Tiermodell. ERFOLGREICHE ERPROBUNG AM TIER Den Forschern gelang es, vier Stents in den Herzkranz eines Schweins einzusetzen. Um das Langzeitverhalten der Polymeren Stents im Körper zu beurteilen, ob mit oder ohne Wirkstoffbeladung, sind weitere Studien erforderlich. Die bisherigen Forschungen der TU Berlin lassen jedoch bereits das große Potenzial Polymerer Stents mit Formgedächtnis als viel versprechende Therapie für Herzpatienten erkennen. Neben der Behandlung von koronaren Herzkrankheiten eröffnen sich den Polymeren Stents weitere interessante Anwendungsgebiete in der Therapie von Stenosen in peripheren Gefäßen, in der Krebsmedizin und bei Erkrankungen der Galle und der Bauchspeicheldrüse. Um beispielsweise Verengungen im Gallengang zu behandeln, bevorzugt man derzeit über den Verdauungstrakt eingeführte Stents aus Kunststoff oder aus Metall. Die Kunststoffprothesen sind einfach zu TU BERLIN handhaben und kostengünstig. Allerdings besteht bei ihnen die Gefahr, dass sie verstopfen, denn aufgrund ihres geringen Innendurchmessers von zwei bis drei Millimetern lagern sich Gallensäuren ab. Daher müssen die Stents im Abstand von drei bis vier Monaten ausgetauscht werden, was die Patienten erheblich belastet. Die selbstexpandierbaren Metallstents besitzen zwar einen erheblich größeren Innendurchmesser von rund zehn Millimetern. Sie sind allerdings erheblich teurer und lassen sich nach dem Einsetzen nicht wieder entfernen. Ein einwachsender Tumor kann ihren Durchfluss erheblich verringern. Polymere Stents mit Formgedächtnis würden es erlauben, die positiven Eigenschaften der Kunststoffprothese und der Metallstents zu kombinieren. Sie erreichen wesentlich größere Durchmesser, dadurch sinkt das Risiko eines späteren Verschlusses. Auch lassen sie sich jederzeit auswechseln. Zusätzlich könnten sie lokal Wirkstoffe freisetzen und so die Gefahr eines Wiederverschlusses vermindern. q www.tu-berlin.de/fb6/polymer FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 33 Aufweitung eines verengten Blutgefäßes mithilfe eines Stents I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Den Zellen auf die Sprünge helfen Trägermaterial aus metallischen und keramischen Schäumen eröffnet neue regenerative Therapien Von Helmut Schubert, Almuth Berthold, Rolf Zehbe, Astrid Haibel und Ulrich Gross N eue Blutzellen, Knorpelzellen oder Gewebe, um geschädigte Organe zu reparieren: Dafür braucht man bestimmte Trägermaterialien, um die Zellen unter weitgehend natürlichen oder der Natur zumindest ähnlichen Bedingungen zu züchten. Das Spezialgebiet, das sich mit den Trägermaterialien befasst, nennt man Tissue Engineering. Werkstoffforscher der TU Berlin befassen sich seit einiger Zeit damit, neue Materialien für die Kultivierung von Blutstammzellen oder Knochenersatz zu synthetisieren. Das Materialkonzept orientiert sich weitgehend am biologischen Vorbild. Seine Morphologie, die Ausbildung von Texturen und die Wahl der chemischen Komponenten müssen die Besiedlung durch die Zellen er- 34 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 möglichen, ihnen eine Leitstruktur geben, dann aber vom Körper verstoffwechselt werden. Das Material muss stabil genug sein, belastbar und dennoch hinreichend Angriffspunkte bieten, damit der Körper das Trägermaterial mit der Zeit biologisch abbauen kann. Dieser Gegensatz wird durch neuartige Keramik-Biopolymere gelöst. In Kooperation mit den Strukturforschern um John Banhart am Hahn-Meitner-Institut wurden die beiden Zellträgermaterialien im Synchrotron Bessy in Berlin-Adlershof untersucht und in Computertomographen analysiert. Dabei nutzten die Materialforscher den Effekt, dass die Röntgenstrahlung des Synchrotrons im Zellträger unterschiedlich stark absorbiert wird – je nach Dichte und Konzentrationsvariationen. Die daraus resultierende Intensitätsschwankung wird von einem Spezialgerät in Licht umgewandelt. Eine Kamera nimmt dann digitale Bilder auf. Wird das Probenmaterial schrittweise im Röntgenstrahl gedreht, lässt sich ein dreidimensionales Abbild rekonstruieren. Diese Synchrotron-To- I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N mographie bietet somit eine zerstörungsfreie Untersuchungsmethode für die Strukturaufklärung von Werkstoffen. Die biologische und medizinische Prüfung der Materialien erledigte eine Forschergruppe an der Charité. Ein für den Ersatz von Knorpelgewebe geeignetes Material muss mit natürlichem Knorpel biochemisch, strukturell und biomechanisch übereinstimmen. Den TU-Forschern gelang es, ein solches Material aus kollagenbasierten Lösungen zu erhalten, die elektrolytisch zersetzt und anschließend eingefroren wurden. Kollagen ist ein Strukturprotein des Bindegewebes. Im menschlichen Körper ist Kollagen mit mehr als dreißig Prozent am Gesamtgewicht aller Proteine das verbreitetste Eiweiß. Nach dem Gefriertrocknen der Materialien entstand eine charakteristische vertikale Porenstruktur – ein keramischer Schaum. EINE IDEE WIRD ZUM PAT E N T Daneben arbeitet das TU-Team seit einiger Zeit an der Herstellung von künstlichem und biokompatiblem Hybridmaterial, um es als Träger für Knorpelzellen zu nutzen. Es besteht gleichfalls aus Kollagen beziehungsweise aus Gelatine und kann zusätzlich das im chemischen Sinne knochenähnliche Calciumphosphat Hydroxylapatit enthalten. Auf dieses Verfahren meldeten die TU-Forscher ein Patent an. Dabei wird zunächst das Wasser in einer Kollagenlösung elektrolytisch zersetzt und anschließend auf einer Kälteplatte erstarrt. Weil während dieses Prozesses Elektrolysegase aufsteigen, werden die Polymerketten in eine bestimmte Richtung ausgerichtet. Während des anschließenden Gefriertrocknens wachsen Eiskristalle, die dazu führen, dass sich in den Kollagen- und Gelatinestrukturen Hohlräume bilden, die natürlichem Knorpelgewebe sehr ähnlich sind. Durch Substanzen, die im natürlichen Knorpel und Knochen vorkommen, erhält die Besiedlung des Hybridmaterials mit Knorpelzellen beste Bedingungen. Das so erzeugte Kompositmaterial wird auf molekularer Ebene quervernetzt, um zu verhindern, dass es sich wieder in Wasser auflöst. Die Bilder aus dem Computertomo- graphen zeigen parallele Porenkanäle, die auf dem anorganischen Calciumphosphat aufgewachsen sind. Je nach Grad der Unterkühlung entsteht auch eine teilweise lamellenartige Struktur. Kultivierungsversuche mit menschlichen Knorpelzellen, den so genannten Chondrozyten, haben ergeben, dass das Material aus den TU-Laboren das Anwachsen der Zellen gut unterstützt. Die Kultivierungsversuche wurden in Zusammenarbeit mit der Codon AG in Teltow durchgeführt. Ä H N L I C H W I E N AT Ü R L I C H E R KNORPEL Das mit Zellen besiedelte Material wurde nach drei Tagen histologisch untersucht, um die Reaktion der Zellen auf das Material zu charakterisieren. Das Ergebnis: Die Zellen entwickelten sich wie die natürliche Zellform, die Chondrozyten. Sie waren – wie ihre natürlichen Vorbilder – in kettenförmigen Zellclustern ausgerichtet. Neben den biologischen wurden auch die biomechanischen Eigenschaften der dreidimensionalen Trägermatrix charakterisiert. Sie weisen ähnliche Werte auf wie natürlicher Gelenkknorpel. Durch Mikrowellenschäumung und Sintern gelang es, aus proteinbasierten keramischen Suspensio- TU BERLIN nen eine dem menschlichen Knochen ähnliche Struktur zu erhalten. In weiteren Versuchen wurden keramische Schäume aus Aluminiumoxid und Hydroxylapatit und metallische Schäume aus einer Titanlegierung erzeugt. Das Verfahren ist vergleichsweise einfach: Alle Bestandteile werden in einem Schritt nassgemahlen. Als Resultat ergibt sich eine keramische Suspension, deren Konsistenz mit Schlagsahne vergleichbar ist. Diese Suspension wird in einer Industriemikrowelle verfestigt. Dabei wird ausgenutzt, dass infolge der Erwärmung des Wassers in der Mikrowelle der Dampfdruck innerhalb der Poren ansteigt. Dadurch entstehen Blasen. Gleichzeitig wird das enthaltene Protein zersetzt, wodurch ein handhabbares Material entsteht, der so genannte Grünkörper. Darüber hinaus kann der Druck in der Mikrowellenkammer abgesenkt werden, wenn zum Beispiel sehr große Poren bei hoher Porosität angestrebt werden. Metallische Schäume lassen sich nicht in der Mikrowelle erzeugen. Sie entstehen bei Temperaturen um 100 Grad Celsius in Luft. Um stabile Formkörper zu erzielen, werden die organischen Bestandteile anschließend ausgebrannt und der Schaum verfestigt, beispielsweise durch Sintern bei geeigneten Temperaturen. Die metallischen oder keramischen FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 35 Poröse keramische Substanz als Ersatz von natürlichem Knochengewebe I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Schäume wurden sowohl unter dem Rasterelektronenmikroskop als auch am Synchrotron und dem Tomographen analysiert. Dabei wurde offensichtlich, dass sich Porosität und Porengröße durch die Art der verwendeten Proteine, den Feststoff- und Proteingehalt und Prozessparameter, wie Druck und Dauer der Mikrowelleneinstrahlung, variieren lassen. Bei den untersuchten Schäumen handelt es sich also um ein Multiparametersystem, das einerseits durch die Wahl der Ausgangsmaterialien beeinflussbar ist, andererseits durch prozesstechnische Größen. Als Schwerpunkte weiterer Untersuchungen wurden die Nassmahlung und die mikrowelleninduzierte Proteindenaturierung identifiziert. Die Synchrotrontomographie liefert – anders als das Rasterelektronenmikroskop – eine vollständige dreidimensionale Struktur. Einzelne Einflussfaktoren und ihre Auswirkung auf die Mikrostruktur der Probe können gut verfolgt werden. So zeigte sich deutlich, dass die Poren bereits in der Mahlung entstehen und die Erwärmung in der Mikrowelle die Größenverteilung der Poren verschiebt. Erst danach entsteht ein Netzwerk. Um zu zeigen, ob sich diese Schäume grundsätzlich als Trägermaterialien für menschliche Zellen eignen, wurden sie mit Blut bildenden Zellen kultiviert. Bisher wurden die Zellen bis zu vier Wochen lang kultiviert. Beim vorläufigen Stand der Untersuchungen kann gesagt werden, dass die zur Besiedelung ausgewählten Stammzellen sich in verschiedene Zelllinien differenzieren: zum Beispiel in rote Blutkörperchen (Erythrozyten), weiße Blutkörperchen (Leukozyten) und die so genannten Riesenzellen im Knochenmark (Megakaryozyten). Über die Funktionalität der Zellen kann im Moment noch keine Aussage getroffen werden. Hier müssen weiter reichende Untersuchungen folgen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die regenerative Medizin verschiedene Materialien benötigt, die im Körper abgebaut und verstoffwechselt werden können, ohne toxische Nebenprodukte. Die Materialien müssen dennoch biomechanisch belastbar sein. Und sie müssen den Zellen des heilenden Gewebes die richtigen Differenzierungssignale vermitteln. Hierzu sind mechanische Eigenschaften wie Steifigkeit oder Porengrößenverteilung von größter Bedeutung. Die Materialien werden nicht mehr allein aus technischer Sicht beurteilt. Sie müssen bereits in ihrer Entwicklung auf die Wirkung im Körper oder unter ähnlichen Bedingungen abgestimmt werden. q www.tu-berlin.de/~keramik » Einblick Forschungsverbund Lärm: ein Ohr für die WHO Lärm ist ein weit verbreitetes Problem: Umfragen zufolge leiden 70 Prozent der Bevölkerung unter Verkehrslärm, 22 Prozent davon stark. 42 Prozent der Menschen sind störendem Fluglärm ausgesetzt, neun Prozent davon stark. Jugendliche sind insbesondere Lärm in der Freizeit ausgesetzt, ebenso kann Lärm am Arbeitsplatz die Gesundheit erheblich belasten. Wenig bekannt ist, dass Lärm nicht nur eine kurzfristige Belästigung ist, sondern auch langfristige Gesundheitsschäden nach sich ziehen kann. Neben Gehörschäden treten insbesondere Schlafstörungen und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems auf. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Lärm den Hormonhaushalt und das Immunsystem stören kann. Im Oktober 2002 wurde am Berliner Zentrum Public Health ein interdisziplinärer Forschungsverbund Lärm und Gesundheit gegründet. Mit seiner Hilfe wollen Mediziner und Ingenieure ein Netzwerk der Lärmforschung knüpfen. Der Forschungsverbund steht Einzelpersonen und Institutionen gleichermaßen offen. Ein Schwerpunkt liegt auf tieffrequentem Lärm mit Frequenzen von unter 200 Hertz: Quellen sind zum Beispiel Pumpen, Heizungen oder schwere Fahrzeuge. Im klassischen Schallschutz bleibt die Dämmung dieser Frequenzen meist unbefriedigend. Daher werden neue technische Konzepte (Prinzip: Anti- 36 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN schall) zur Dämmung erforscht. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich in ihrer Freizeit lauter Musik mit besonders gehörgefährdenden Schallpegeln aussetzen. Am IFV Lärm und Gesundheit spielt die Lärmprävention für Kinder und Jugendliche eine herausragende Rolle. Der Verbund arbeitet neben der zielgruppenspezifischen Aufklärung auch auf eine Anpassung der gesetzlichen Vorgaben hin. Außerdem beteiligen die Mitglieder sich an der durch die Berufsgenossenschaften und das Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin organisierten Arbeitsgruppe »Lärm in Bildungsstätten«. Als Berater der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat der Berliner Verbund internationales Ansehen erlangt: Gemeinsam mit anderen Partnern gelang es unter anderem, ein praktikables Erhebungsinstrument zu entwickeln, mit dem der Wohnungsbestand in europäischen Städten und Regionen bewertet und die Auswirkungen des Wohnumfeldes auf die Gesundheit eingeschätzt werden. Durch den epidemiologischen Ansatz der Studie wurden neben dem Verkehrslärm insbesondere die gesundheitlichen Auswirkungen von Nachbarschaftslärm dokumentiert. q www.tu-berlin.de/bzph/laerm-gesundheit » TU-Alumni im Porträt Dr. Christine Lang gründete 2001 die Berliner Organo Balance GmbH, um mikrobiologische Produkte für Gesundheit, Kosmetik und Ernährung zu entwickeln. Das Unternehmen erschließt das Potenzial probiotischer Bakterien und Hefen für neue Anwendungen. Aus einer Vielzahl von Mikroorganismen werden diejenigen gefiltert, die ein mikrobielles Schutzschild etablieren und Störungen ausbalancieren. So entsteht eine neue Generation von Probiotika, die unter anderem gegen Erkrankungen der Haut und der Schleimhäute eingesetzt werden. Die Biologin promovierte 1985 in Bochum, zur Molekulargenetik der Pilze. Danach arbeitete sie zehn Jahre lang in der Industrieforschung bei der Hüls Chemie Forschungsgesellschaft mbH, für die sie in Berlin eine Arbeitsgruppe für Genetik und Molekulargenetik aufbaute und leitete. Anschließend wechselte sie zur TU Berlin, um sich in Mikrobiologie und Molekulargenetik zu habilitieren. Im März 2006 wurde Dr. Lang zur außerplanmäßigen Professorin an der TU Berlin ernannt. q www.organobalance.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 37 I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N » Im Gespräch Dicke Luft im Büro Berliner Wissenschaftler entwickeln eine elektronische Nase Am Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin sind besonders feine Riecher gefragt, denn dort laufen zukunftsweisende Forschungen zur Luftqualität in Arbeitsräumen. Zahlreiche Probanden unterstützen die Wissenschaftler bei ihren Analysen. Das Ziel sind »elektronische Nasen«, um die Raumluft in Flugzeugen, Zügen, Büros und Krankenhäusern zu überwachen. Der Ingenieur und Professor Dirk Müller, der das Riechlabor des Instituts leitet, schärfte seine Sinne und stand Heiko Schwarzburger Rede und Antwort. 38 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Wie entsteht schlechte Luft, und wie wirkt sich schlechte Luft aus? Dirk Müller: Die Luftqualität in Bürogebäuden wird im Wesentlichen durch die internen Schadstoffquellen und die Lüftung bestimmt. Schadstoffquellen sind dabei sowohl die Raumnutzer und die Raumausstattung als auch die verwendeten Baumaterialien. Ein Bürogebäude oder eine Fabrikhalle mit schlechter Luftqualität ist aus gesundheitlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht nicht empfehlenswert. Hohe Geruchsbelastungen führen zu gesundheitlichen Beschwerden – das so genannte Sick Building Syndrome – und senken die Arbeitsleistung der Gebäudenutzer. Sick Building Syndrome – was verstehen Sie darunter? Dirk Müller: Untersuchungen zeigen, dass die Europäer rund neunzig Prozent ihrer Arbeitszeit in Innenräumen verbringen. Werden die Gebäude mangelhaft gelüftet oder geben beispielsweise die Baumaterialien schädliche Substanzen ab, können Krankheiten auftreten, die sich eindeutig auf das Gebäude zurückführen lassen. In Bezug auf die Luftqualität beschreibt das Sick Building Syndrome die Wirkung von Schadstoffen in der Innenraumluft, die in typischen Gebäuden entstehen, auf das Wohlbefinden der Menschen. Auswertungen von Feldexperimenten und Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Sick Building Syndrome und der empfundenen Luftqualität gibt. Bisher kann diese von Personen wahrgenommene Luftqualität nicht direkt mit einem Messgerät erfasst werden. Messbare Parameter, wie zum Beispiel ein steigender Kohlendioxidgehalt in der Büroluft, sind nur einfache Indikatoren, die auf eine unzureichende Lüftung hinweisen. Es kommt jedoch – falls keine unzulässig hohen Schadstoffkonzentrationen vorliegen – auf die empfundene Luftqualität an. ten sich die Arbeiten im Bereich der Luftqualität vor allem auf die Messungen von Kohlendioxidkonzentrationen, auf die Luftfeuchte und die Temperatur der Raumluft. Mittlerweile wissen wir aus der Literatur und eigenen Arbeiten am Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin, dass vor allem flüchtige organische Verbindungen in der Raumluft die Geruchsbelastung und damit die Wahrnehmung der Luftqualität erheblich beeinträchtigen. Es kann davon ausgegangen werden, dass weit über hundert dieser Substanzen in der Innenraumluft eine Rolle spielen. Sie treten teilweise in sehr geringen Konzentrationen auf, aber die menschliche Nase ist ein sehr feines Messgerät. Woher stammen diese organischen Stoffe in der Raumluft? Dirk Müller: Sie entstehen durch Ausdünstungen von Personen, durch die verwendeten Materialien und natürlich werden sie auch beim Lüften von draußen in das Gebäude transportiert. Eine wichtige Frage für uns ist: Welche Substanzen spielen bei der Wahrnehmung der Luftqualität eine besondere Rolle, worauf reagiert die Nase besonders sensibel? Die Nase nimmt einige Stoffe schon bei sehr geringen Konzentrationen wahr, sodass oft der messtechnische Nachweis dieser Komponenten sehr schwierig ist. Bei anderen Substanzen hingegen reagiert sie nicht einmal auf hohe Konzentrationen. Die menschliche Nase ist somit ein sehr selektives Messgerät, das zudem zwischen zehn- und zwanzigtausend Gerüche unterscheiden kann. Die Nase trägt ein sensibles Sinnesorgan, das von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt ist. Wie wollen Sie die Wahrnehmung der Gerüche objektiv messen? Dirk Müller: Wir haben an der TU Berlin ein Luftqualitätslabor entwickelt und aufgebaut, in dem wir zahlreiche Probanden beschäftigen, die verschiedene Geruchsproben bewerten. Unser Ziel ist es, eine elektronisches Messverfahren so weit zu bringen, dass die aufwändigen Probandenexperimente langfristig durch eine elektronische Nase ersetzt werden können. Dazu beteiligen wir uns unter Wovon hängt die Empfindung der Luftqualität maßgeblich ab? Dirk Müller: Dieses Forschungsgebiet ist noch relativ jung. Früher konzentrier- TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 39 Zukunftsweisende Forschungen zur Luftqualität in Büro- und Arbeitsräumen: Prof. Dirk Müller im Riechlabor der TU Berlin I N N O VAT I V E M E D I Z I N I S C H E T E C H N O L O G I E N Flugzeugen zum Einsatz, um beispielsweise im Fahrzeug den Umluftbetrieb bei einer Tunnelfahrt zu aktivieren. Komplizierter wird die Sache, wenn Sie in einem beliebigen Raum ein Messsignal für die empfundene Luftqualität haben möchten. Besondere Gebäude, wie beispielsweise ein Krankenhaus, haben natürlich noch zusätzliche Anforderungen. Hier sollte eine elektronische Nase zusätzlich biologische Verunreinigungen erkennen, die den Patienten gefährden können. Ein Arzt wird kaum die Zeit haben, über die empfundene Luftqualität im Krankenhaus zu grübeln … In dieser Testkammer untersuchen Probanden die verschiedensten Gerüche anderem an einem europäischen Projekt, das ab September 2006 drei Jahre speziell die Wahrnehmung, die Sensortechnik und die Signalverarbeitung behandeln wird. Gemeinsam mit Partnern in Dänemark, Finnland, Frankreich und Schweden wollen wir bestehende elektronische Sensorsysteme für Gerüche verfeinern und die dafür notwendigen Algorithmen in Software umsetzen. Das klingt technisch. Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen? Dirk Müller: Zum Beispiel gehen wir im Bereich der Wahrnehmung der Frage nach, ob sich Gerüche sortieren und klassifizieren lassen. Für die visuelle Wahrnehmung gibt es beispielsweise den Farbkreis, in dem Sie alle bekannten Farben unterbringen können. Wir wollen wissen, ob es so etwas auch für Gerüche gibt. Oder: Die Farbenlehre kennt Grundfarben, aus denen sich die anderen Farben zusammensetzen. Gibt es Basisgerüche, aus denen sich alle anderen Gerüche ableiten lassen? Wie sehen die Additionsregeln für Gerüche aus? 40 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Was könnte man mit einer elektronischen Nase machen? Dirk Müller: Stimmt, deshalb muss man im Krankenhaus einen viel höheren Aufwand treiben, damit die notwendige Luftqualität erreicht wird. In der Zukunft wird vielleicht die Luftreinigung einen größeren Stellenwert insbesondere im Gesundheitssektor erhalten. In den Vereinigten Staaten konnte in einem Experiment der Keimtransport zwischen Personen durch ultraviolettes Licht im Deckenbereich von Patientenzimmern reduziert werden. Wir führen zurzeit ein Forschungsprojekt für die deutsche Industrie durch, in dem wir handelsübliche Luftreinigungssysteme in Hinblick auf die Verbesserung der empfundenen Luftqualität bewerten. In neuen Versuchseinrichtungen können wir typische Innenräume wie Büroräume, Zug- und Flugzeugkabinen nachbilden. In dieses Experiment fließen auch Ergebnisse aus anderen Forschungsvorhaben ein. Ein anderes Beispiel: Das Umweltbundesamt finanzierte an unserem Institut ein Vorhaben, das sich mit der geruchlichen Bewertung von Emissionen aus Bauprodukten beschäftigt hat. Die chemischen Analysen sind parallel von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung durchgeführt worden. Sie sehen, auch in Zukunft werden unsere Probanden an dicker Luft schnuppern müssen. Sei es im Rahmen von grundlegenden Arbeiten oder für die Entwicklung neuer Reinigungsverfahren. Dirk Müller: Einfache Multigassensoren kommen heute bereits in Autos oder Vielen Dank für das Gespräch! Wie entsteht aus den Antworten auf diese Fragen eine elektronische Nase? Dirk Müller: Einfache elektronische Nasen gibt es bereits. Darin stecken so genannte Multigassensoren, die verschiedene Spurengase in der Luft messen können. Die Software, die diese Sensoren verschaltet und ihre Ergebnisse auswertet, arbeitet mit Methoden der Mustererkennung oder der neuronalen Netze. Derzeit forschen wir mit einem System, das uns das Forschungszentrum Karlsruhe zur Verfügung gestellt hat. Dieses Messsystem nutzt 38 Sensoren. In dem europäischen Forschungsprojekt wollen wir prüfen, ob mit einer höheren Anzahl von Sensoren und Sensortypen typische geruchsrelevante Substanzen an ihrer Wahrnehmungsschwelle erfasst und erkannt werden können. GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN IuK-Technologien im Gesundheitswesen IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Das digitale Krankenhaus im Blick G E-Health vereinigt Informationstechnik und Gesundheitswirtschaft – und bringt Reformen voran Von Axel C. Mühlbacher 42 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN esundheitswirtschaft und IuK-Technologien – zwei Wachstumsbranchen, die sich annähern. Eine neue wissenschaftliche Disziplin entsteht: EHealth. Darunter versteht man die Nutzung des Internets und anderer, ähnlicher Technologien, welche die Verfügbarkeit klinischer Daten erhöhen, die Transaktionskosten innerhalb medizinisch-pflegerischer Prozesse senken und damit die Effektivität für Krankenhäuser, Ärzte, Apotheken, Kassen und Patienten verbessern. Wissenschaftler der Arbeitsgruppe E-Health und digitalisierte Prozesse am Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie der TU Berlin arbeiten an neuen Informations- und Telekommunikations- IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN technologien für das Gesundheitswesen. Wächst hier zusammen, was zusammengehört? Die IuK-Technologien versprechen im Gesundheitsmarkt ein enormes Innovations- und Geschäftspotenzial. Zahlreiche Experten gehen davon aus, dass das Gesundheitswesen durch eine hohe Innovationsdynamik gekennzeichnet sein wird. E-Health trägt dazu wesentlich bei: durch die elektronische Erfassung, Digitalisierung und Übermittlung von Daten im Gesundheitswesen. Der Versicherte steht im Mittelpunkt: Kostenersparnis, bessere medizinischpflegerische Versorgung und mehr Eigenverantwortung der Patienten sind das Ziel. Die Nutzer erwarten von E-HealthLösungen eine verbesserte Verfügbarkeit, Aktualität und Transparenz von gesundheitsrelevanten Daten. Kritiker verweisen auf die Probleme der Datensicherheit und steigende Aufwendungen für die Verwaltung. WERKZEUGE ZUR GESUNDHEITSREFORM Die Gesundheitsbranche wird, wie kaum eine andere Branche, in den nächsten Jahren von strukturellen Veränderungen betroffen sein. Ein steigendes Finanzierungsdefizit der gesetzlichen Krankenkassen und die desolate Organisation der Versorgung erhöhen den Handlungsdruck zur Restrukturierung des Gesundheitssystems in Deutschland. Das Volumen des Gesundheitsmarktes wird heute mit 260 Milliarden Euro beziffert. Allein in Krankenhäusern, dem größten Teilmarkt im Gesundheitswesen, werden 65 Milliarden Euro umgesetzt. Das Investitionsbarometer „E-Health Deutschland 2005/2006“ zeigt, dass Krankenhäuser, Krankenkassen und Apotheken verstärkt in IuK-Technologien investieren. Die Bedeutung digitalisierter Datenerfassungs- und Kommunikationsprozesse im Gesundheitswesen wird zunehmen. Bereits heute stehen sie bei der Reform des deutschen Gesundheitswesens im Mittelpunkt. Im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen wurde die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Krankenversicherte, das elektronische Rezept und eine verteilte Patientenakte initiiert. Eine bundesweite Telematikplattform soll medizinische Daten bereitstellen. Hinzu kommen Veränderungen bei der Organisation der Leistungserstellung. Die so genannte integrierte Versorgung soll die Qualität und Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems verbessern. Neue Geschäftsfelder und eine neue Wettbewerbssituation sorgen für Innovationsimpulse. Durch die gesetzlichen Vorgaben auf der einen Seite und die wirtschaftliche Situation der Versorger auf der anderen Seite ist es unbedingt notwendig, die Versorgungsprozesse zu digitalisieren. Eine organisationsübergreifende Nutzung von Patientendaten setzt bei den Leistungserbringern eine gut funktionierende elektronische Infrastruktur voraus. In zehn Jahren profitieren wir von einem drahtlos vernetzten Gesundheitssystem. Wir werden auf einem globalen Marktplatz Gesundheitsprodukte einkaufen und medizinische Dienstleistungen nachfragen, ohne dabei Praxisräume von Fachärzten, Krankenhäusern oder Apotheken betreten zu müssen. Die Transaktionskosten für Ärzte und Patienten werden sinken, da der Patient nicht mehr weite Entfernungen zurücklegen muss und wichtige medizinische Dienstleistungen räumlich und zeitlich entkoppelt werden können. Mobile, benutzerfreundliche Computer werden uns in un- TU BERLIN serer Lebensumwelt begleiten – in der Kleidung und in unserer Arbeits- und Freizeitumgebung. Mithilfe von Communikatoren und Mobiltelefonen werden wir zum Manager unserer eigenen Gesundheit. Auch chronisch Kranke werden in der Lage sein, Beruf und Freizeit aktiv zu gestalten. E-Health wird diagnostische und therapeutische Prozesse vereinfachen und eine bessere Kommunikation mit dem Patienten ermöglichen – nicht zuletzt wird so die Eigenverantwortung gestärkt. Die Mobilität von chronisch und schwer kranken Menschen wird durch GPRS, Internet, Mobiltelefonen, und Handhelds verbessert. S E N S O R E N Ü B E R WA C H E N V I TA L F U N K T I O N E N Bei akuten gesundheitlichen Problemen ermitteln sie sofort den Aufenthaltsort und benachrichtigen automatisch einen Arzt. Die Gesundheitsversorgung durch Hausärzte, Fachärzte, Krankenhäuser, Labore und Einrichtungen der Rehabilitation wird optimal aufeinander abgestimmt. Es entstehen neue, an den Patienten orientierte Versorgungskonzepte. Die Mikrosystemtechnik und neue Sensoren ermöglichen eine ständige Überwachung der Vitalfunktionen – heu- FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 43 IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN te bereits erprobte Push-Techniken übermitteln diese an die zuständigen Ärzte und Krankenhäuser. Der Versicherte wird individuell mit Wissen und Dienstleistungen versorgt – er ist besser in die Versorgung integriert und versteht die Notwendigkeit gesundheitserhaltender Maßnahmen. Versicherte werden über das Internet betreut und erhalten im Bedarfsfall über webbasierte Tools eine telemedizinische Beratung. Die Technologien des E-Health ermöglichen heute bereits eine reibungslose überbetriebliche Vernetzung: Das Internet stellt ein global verfügbares Kommunikationsnetz bereit. Für viele betriebliche Prozesse gibt es Standardlösungen. Zukünftig stellen die Netzwerke der unterschiedlichen Leistungserbringer gemeinsam ihre Dienstleistungen bereit. Dem Patienten bleiben so die sektoralen Grenzen und Organisationsstrukturen des Gesundheitssystems verborgen, denn er erhält eine speziell für ihn konfigurierte Leistung, die alle notwendigen Behandlungsschritte umfasst. Aus der Perspekti- ve der Leistungserbringer werden die einzelnen Teilleistungen auf mehrere rechtlich selbstständige Organisationen oder Personen verteilt – jeder erbringt arbeitsteilig die Leistung, auf die er sich spezialisiert hat. Nach dem Konzept der virtuellen Organisation bündeln die Partner ihr Wissen und treten gegenüber dem Patienten als Einheit auf. REIN ELEKTRONISCHE K O M M U N I K AT I O N Dieses Innovationspotenzial wird zuerst in den Krankenhäusern umgesetzt. Ein digitales Krankenhaus verzichtet weitgehend auf den Einsatz traditioneller Übertragungsmedien und setzt auf eine rein elektronische Kommunikation. Mit der Einführung der Computertomographie als erstem digitalem bildgebendem Verfahren stiegen auch die Anforderungen an die digitale medizinische Bildverarbeitung. Das PACS (Picture Archiving and Communication System) dient dem Ra- diologen als Bildbetrachtungs- und Befundungsarbeitsplatz. Mit der digitalen Archivierung von Bildern und ihrer elektronischen Verteilung im Krankenhaus müssen digitale Bilder auch zwischen Geräten verschiedener Hersteller ausgetauscht werden. Hierzu bedarf es einheitlicher Kommunikationsstandards, HL7 (Health Level Seven) und Dicom (Digital Imaging and Communications in Medicine) haben sich derzeit als Standards durchgesetzt. Zukünftig müssen neben der Übertragung und Speicherung von Bildern auch Laboraufträge, Leistungsabrechnungen und Diagnosen elektronisch ablaufen. Ein Krankenhausinformationssystem führt die Sicht auf den Patienten und die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge des Krankenhauses zusammen. Mithilfe einer elektronischen Patientenakte wird die Behandlungs- und Pflegeplanung dokumentiert und die Kontrolle der klinischen Prozesse ermöglicht. q www.fh-nb.de » Einblick Forschergruppe Sentha – unabhängig bis ins hohe Alter In der Zukunft wird der Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung wachsen. Im Jahr 2000 stellten sie etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung, im Jahr 2030 werden es mehr als ein Drittel sein. Die Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark gestiegen. Das Alter wurde zu einem eigenständigen Lebensabschnitt. Aber besonders im höheren Alter können die körperlichen und geistigen Fähigkei- ten eingeschränkt sein. Das erschwert eine selbstständige Haushaltsführung und macht sie unter Umständen sogar unmöglich. Obwohl die Zahl der älteren Menschen wächst, fehlen oft altersgerechte Haushaltsgeräte oder speziell auf die Bedürfnisse dieser Nutzer zugeschnittene Produkte. Die Forschergruppe Sentha (Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag) an der TU Berlin wählt einen innovativen Zugang: Sie orientiert die Entwicklung neuer Haushaltsgeräte stärker an den älteren Menschen. Die Forscher erkennen, welche Schwierigkeiten diese Nutzergruppe hat, und analysieren die Schwachstellen. Das Ziel ist es, Geräte der Haushaltstechnik zu optimieren und innovative Produkte bis zum Prototyp zu entwickeln und zu testen. Die Forschergruppe Sentha wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt. Daran sind neben der TU Berlin auch das Berliner Institut für Sozialforschung, das Deutsche Zentrum für Alternsforschung in Heidelberg, die Universität der Künste in Berlin, die Brandenburgische Technische Universität in Cottbus und das Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin beteiligt. q www.sentha.tu-berlin.de 44 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Verloren im Ballungsraum der Intensivstation Medizinische Geräte sind oft nur als Einzellösungen konzipiert – sie müssen aber im Team spielen Von Claus Backhaus und Wolfgang Friesdorf B allungsraum Intensivstation. Das Szenario: Eine unüberschaubare Menge von Schläuchen, Kabeln, Leitungen, die mindestens ebenso viele Sensoren, Apparate, Geräte oder irgendein anderes technisches Equipment miteinander verbinden. In der Mitte der »Patient«, alles erduldend, hilflos gefesselt an die zum Leben benötigte Technik. Moderne Hochleistungsmedizin ist ohne den Einsatz von Technik nicht mehr vorstellbar. Medizinischer und technischer Fortschritt sind eng miteinander verbunden, technologische Innovationen häufig Keimzellen medizinischen Fortschritts. Doch ist diese Technik auch sicher? Deutschland verfügt bezüglich der technischen Sicherheit von Medizinprodukten über eines der besten Qualitätssysteme der Welt. Die Zahlen zu Vorkommnissen und Zwischenfällen belegen, dass die eingesetzte Technik sehr sicher ist. Unsicherheiten bringt der Mensch in das System. Auf der einen Seite verhält sich der Patient nicht wie ein Messobjekt, denn er bewegt sich (zum Glück) und stört auf diese Weise die vom Ingenieur konzipierte Überwachung sensibler physiologischer Parameter, er löst »unnötige« Alarme aus und wehrt sich (unbewusst) gegen die Behandlung. Auf TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 45 IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN der anderen Seite bringen Ärzte und Pflegekräfte Unsicherheit in die Geräteanwendung. Sie können wichtige Details übersehen, sich in der Wahl oder Dosierung eines Medikamentes irren oder Informationen falsch oder unvollständig weitergeben. Schätzungen gehen bundesweit von einem ernsten Zwischenfall pro Patient und Tag aus! Wen wundert’s angesichts der – aus ergonomischer Sicht – nur als chaotisch zu bezeichnenden Arbeitsplätze, an denen nicht selten mehr als zwanzig Einzelgeräte gleichzeitig zum Einsatz kommen. Jedes Gerät ist zwar für sich ergonomisch gestaltet, aber nicht auf ein Zusammenwirken mit anderen Geräten an einem Arbeitsplatz ausgelegt. Das Berücksichtigen von klinischen Behandlungsabläufen oder übergeordneten Strukturen an einem Arbeitsplatz bei der Auslegung und Gestaltung von Medizingeräten ist weitgehend unbekannt. So gehört menschliches Versagen zu den häufigsten Fehlerursachen beim Einsatz von Medizintechnik. Experten schätzen, dass bei bis zu 80 Prozent aller kritischen Zwischenfälle eine schlecht gestaltete Benutzeroberfläche oder eine unzureichende Systemintegration den Störfall zumindest mitverursacht hat. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem durch singuläre Funktionssteigerung alleine keine Verbesserung der Behandlungsergebnisse mehr zu erreichen ist. Neue technologische Innovationen müssen sich am Behandlungssystem und den Erfordernissen der klinischen Arbeitsprozesse und der involvierten Menschen – Patienten und Personal – ausrichten. Die Wissenschaftler des Fachgebiets Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der TU Berlin konzentrieren sich auf klinische Arbeitssysteme und medizintechnische Produkte. Die Analyse klinischer Arbeitsabläufe steht dabei an erster Stelle. Dabei werden die Arbeitsprozesse nicht nur beobachtet und aufgezeichnet, sondern gemeinsam mit dem klinischen Personal analysiert und auf Schwachstellen und mögliche Verbesserungen durch Technik, Organisation und Qualifikation untersucht. Dadurch wird nicht nur die Bereitschaft der beteiligten Klinikmitarbeiter erhöht, ihre Arbeitsabläufe nachhaltig zu verbessern, sondern auch ein wesentlich präziseres Abbild des Arbeitsflusses erstellt, als dies durch eine reine Beobachtung oder das einfache Dokumentieren messbarer Kenngrößen möglich wäre. Auf dieser Grundlage wird dann ein Pflichtenheft erstellt, welches dem Gerätehersteller die Möglichkeit bietet, sein Produkt optimal auf die Bedürfnisse und Anforderungen der klinischen Praxis abzu- 46 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN FEHLENDES ZUSAMMENWIRKEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 stimmen. Empathische Produktentwicklung ist gefordert, das heißt, die Entwickler sollen sich in die Behandlungsabläufe hineindenken, sollen erkennen, welche Teilaufgabe ihr Gerät erfüllen kann und wie das Gerät das klinische Personal bestmöglich bei der Behandlung unterstützt, ohne dem Patienten zu schaden. Zusätzlich liefern die Prozessanalysen auch Anregungen für Neuentwicklungen oder die funktionale Erweiterung bestehender Produkte. Denn sie zeigen auf, wo der Arbeitsprozess durch den Einsatz von Technik optimiert werden kann. B E R AT E R I N D E R P R O D U K T ENTWICKLUNG Im Verlauf der Produktentwicklung werden sowohl Experten für Ergonomie als auch potenzielle Anwender immer wieder als Berater in den Entwicklungsprozess integriert. Nur durch eine möglichst gute Kommunikation zwischen Anwender und Entwickler lässt sich sicherstellen, dass ein Medizinprodukt später über eine ergonomisch gut gestaltete Benutzerschnittstelle verfügt, die ins Arbeitssystem passt. Für eine gute Kommunikation zwischen Mensch (Anwender) und Maschine (Medizintechnik) ist also immer erst einmal eine hinreichende Kommunikation zwischen Anwender und Entwickler erforderlich. IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Während der Produktentwicklung helfen eine Vielzahl von Methoden, die Gebrauchstauglichkeit von Medizintechnik schrittweise zu verbessern. So ermöglichen beispielsweise strukturiert durchgeführte Interviews in frühen Phasen der Produktentwicklung, die Anwenderakzeptanz für unterschiedliche Lösungskonzepte zu bewerten. In späteren Phasen der Produktentwicklung, in der bereits detaillierte Prototypen oder Vorserienmodelle eines Gerätes existieren, können zum Beispiel durch Handhabungstests der Einsatz und die Bedienung eines Gerätes genau untersucht werden. Dadurch lassen sich potenzielle Bedienschwachstellen eines Medizinproduktes frühzeitig erkennen und das Design der Benutzeroberfläche rechtzeitig korrigieren. Eine besondere Bedeutung kommt diesem Vorgehen bei der Entwicklung von Medizinprodukten mit einem hohen Risikopotenzial zu. Hier helfen Benutzertests, die in einer simulierten Anwendungsumgebung durchgeführt werden, den Einsatz von Medizintechnik unter zeitkritischen Bedingungen – zum Beispiel während eines Notfalls – zu erproben. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Geräte in der späteren Anwendung schnell und sicher eingesetzt werden können. Ideal ist es, wenn die Einbindung von Anwendern und Ergonomieexperten bereits zu Beginn des Entwicklungsprozes- ses erfolgt. Dadurch werden Fehlentwicklungen vermieden und Entwicklungszeiten sowie Kosten reduziert. Wichtig für eine benutzerzentrierte Produktentwicklung ist dabei die Nähe zum Anwender. Hierzu verfügt das Fachgebiet Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der TU Berlin zusätzlich zu seinen Kooperationskliniken in Berlin über eine enges Netz von klinischen und wissenschaftlichen Kooperationspartnern in Europa, Amerika und Japan. EIN EXPERIMENTELLER OP Gemeinsam mit international tätigen Wissenschaftlern, Ärzten und Ingenieuren können so neue Trends und Entwicklungen diskutiert, erprobt und bewertet werden. In einer Datenbank des Fachgebietes sind über 1000 Anwender von Medizintechnik unterschiedlicher Disziplinen und Anwendungsgebiete gespeichert, um bei Bedarf gezielt Versuchspersonen und Experten für die Evaluation eines Produktes zu gewinnen. So wurde beispielsweise im Rahmen einer ergonomischen Untersuchung von Blutzuckermessgeräten die Gebrauchstauglichkeit ausgewählter Geräte gemeinsam mit mehr als 280 Diabetespatienten untersucht. Mit der Gestaltung von Technik speziell für ältere Menschen beschäftigt sich eine eigene Seniorenforschergruppe TU BERLIN des Fachgebietes, die aus zwanzig aktiven Mitgliedern besteht. Zum Nachstellen klinischer Behandlungsabläufe, um den Einsatz neuer Technologien zu erproben, existierten im Versuchsfeld des Fachgebietes ein experimenteller Operationssaal sowie eine simulierte intensivmedizinische Behandlungseinheit. Stipendiaten und Doktoranden aus China, Korea und Palästina helfen, interkulturelle Brücken zu schlagen, und unterstützen deutsche Medizintechnikhersteller bei der Anpassung ihrer Geräte an die Erfordernisse neuer Märkte. Auch hier zählt der Systemgedanke mehr als das schnell verkaufte Einzelprodukt. Meist fehlt es in Schwellenländern an der geeigneten Infrastruktur zur Schulung, Aufbereitung, Wartung oder Instandsetzung von Medizintechnik. Bleibt dies bei der Beschaffung unberücksichtigt, steht die moderne Technik bald nutzlos herum, weil es an qualifizierten Anwendern, den benötigten Einmalartikeln oder Ersatzteilen fehlt. Viele Hersteller fangen gerade erst an zu erkennen, dass es nicht um die Lösung einzelner technischer Probleme geht, sondern um die möglichst ganzheitliche Integration von Technik in die Behandlung der Patienten. In vielen Bereichen stehen wir mit dieser Wahrnehmung sicher noch ganz am Anfang. q www.awb.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 47 Prof. Wolfgang Friesdorf (Bild oben: rechts) und Claus Backhaus im Versuchs-OP an der TU Berlin IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Auf dem Weg zum digitalen OP Moderne Informationstechnik kann die Arbeit der Ärzte und Schwestern erleichtern Von Heinz U. Lemke C hronisch überlastete Ärzte, erschöpfte Schwestern: Das medizinische Personal in deutschen Krankenhäusern arbeitet an der Leistungsgrenze. Experten zufolge wird das Arbeitspensum der Chirurgen bis zum Jahr 2020 weiter zunehmen – zwischen 14 und 47 Prozent. Die Engpässe, die sich schon jetzt im Operationssaal bemerkbar machen, werden deutlich zunehmen. Das Problem lässt sich nur lösen, wenn moderne Informationstechnik und mechatronische Systeme den Chirurgen die Arbeit erleichtern. Unter Mechatronik versteht man die Kombination von mikroelektronischen und mechanischen Technologien, sie bestimmt wesentlich die Entwicklungstrends in der Medizintechnik. Da Operationssäle und bildgestützte Abteilungen die kostenintensivsten Bereiche eines Krankenhauses sind, ist die Optimierung der Arbeitsabläufe für die Gesundheitsversorger von größter Bedeutung. Besondere Aufmerksamkeit 48 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 schenken Chirurgen, Informatiker und Ingenieure vor allem komplexen digitalen Infrastrukturen, der minimal-invasiven Chirurgie oder der interventionellen Radiologie. Die Analyse der Situation offenbart erhebliche Schwachstellen: Bisher werden die Arbeiten im OP durch ergonomische Mängel behindert. Die Daten aus den Bildern haben nicht die benötigte Qualität, es fehlen einheitliche Verfahren und Arbeitsabläufe. Auch die Integration der IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN chirurgischen Hilfsmittel und Systeme ist unzureichend standardisiert. Besonders zwischen den Chirurgen und den Radiologen erfolgt die Kommunikation nur lückenhaft, dort liegen erhebliche Reserven, um die Qualität der Kooperation zu verbessern. Die Aufgabe besteht darin, die Daten zum Gesundheitszustand des Patienten möglichst in Echtzeit zu erfassen. Die Kommunikationstechnik und die mechatronischen Systeme sind möglichst nahtlos in den OP und die Arbeit der Chirurgen zu integrieren, unter besonderer Berücksichtigung der Anforderung an bildgebende Verfahren. Die digitale Bildgebung im OP ist bereits heute ein integraler Bestandteil vieler chirurgischer Arbeitsabläufe. Dahinter verbirgt sich das Konzept des chirurgischen PACS. Dieses Kommunikationssystem zur Bildakquise verbessert die bildgestützte Chirurgie. Auch für den digitalen Operationssaal stellt es die nötige Infrastruktur zur Verfügung. Um gemeinsame Schnittstellen für die Bildakquise und die Kommunikation mithilfe der digitalen Bilder festzulegen, muss eine entsprechende PACS-Architektur entwickelt werden. BILDER FÜR DEN D I G I TA L I S I E R T E N O P Die TU Berlin arbeitet dabei eng mit Forschern der Universität Leipzig zusammen. Bisher wurden beispielsweise Werkzeuge entwickelt, um die chirurgischen Arbeitsprozesse zu modellieren. Auch wurden die ersten Schritte gemacht, um einen einheitlichen Standard für die digitale Bildkommunikation in der Chirurgie zu entwerfen. Dabei ging es darum, die Korrelation von Arbeitsabläufen bei verschiedenen chirurgischen Eingriffen zu erkennen. Durch Simulation lassen sich gleiche oder ähnliche Abläufe identifizieren. TU BERLIN Danach galt es, Konzepte und Daten bereitzustellen, um die chirurgischen Prozesse mit Kommunikationstechnologie und mechatronischen Hilfsmitteln zu verbinden. Bisher wurden eine Reihe chirurgischer Arbeitsabläufe aus der alltäglichen Praxis in eine formale, elektronisch verarbeitbare Darstellung aufgenommen. Wissenschaftler der TU Berlin und der Universität Leipzig erstellen derzeit eine Datenbank, die chirurgische Arbeitsabläufe und ausgewählte Simulationen im Operationssaal anbietet. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Standardisierung im digitalen Operationssaal. In diesem Zusammenhang übernahm die TU die Federführung in der Dicom Working Group »Dicom in Surgery«, an der sich mehr als fünfzig Institutionen weltweit beteiligen. q www.cg.cs.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 49 IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Klare Einsicht vor dem Schnitt Elektronische Systeme ziehen medizinische Informationen aus digitalen Bildern Von Olaf Hellwich F ür viele Aspekte des menschlichen Lebens ist das Sehen der dominierende der menschlichen Sinne. Der Grund dafür liegt offensichtlich in der im Vergleich mit anderen Sinnen erheblich höheren Dichte und Präzision von Information über die Umwelt, die in den gesehenen Bildern enthalten sind. Diesen Vorteil macht sich der Mensch auch in technischen Systemen durch bildgebende Sensoren zunutze. Besonders vielfältig sind die Arten verwendeter Bilder in der Medizin. Bildgebende Sensoren erlauben häufig eine vertiefte Beurteilung der menschlichen Gesundheit und die Messung diverser Parameter des Körpers, seiner Form und seiner Funktionen. Der Einblick ins Innere des Menschen ist ohne bildgebende Sensoren sehr schwierig, wenn nicht gar undenkbar. Wie viele Menschen täglich am eigenen Leib erfahren, ist die Gesundheit nicht nur vielfältig und komplex. Fragen der Mediziner können häufig nicht hinreichend beantwortet werden, um Gesundheitsprobleme präzise zu identifizieren, Risiken korrekt einzuschätzen und über die richtige Therapie zu entscheiden. Wenigstens bei der Erhebung des aktuellen Gesundheitszustands kann die medizinische Bildverarbeitung helfen, diese unbe- 50 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 friedigende Situation zu verbessern. Dazu stellt sie ein ganzes Arsenal von Sensoren und Methoden zur Verfügung. Von Infrarot- und Ultraschall- über Röntgenaufnahmen bis zu dreidimensionalen Bildern aus dem Computer und dem Magnetresonanztomographen (MRT) reichen die verschiedenen Verfahren. Die Wissenschaftler des Fachgebiets »Computer Vision« der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik der TU Berlin haben sich die Aufgabe gestellt, moderne Verfahren zur Auswertung medizinischer Bilddaten zu entwickeln. Dabei setzen sie die neuesten methodischen Erkenntnisse zur automatischen Gewin- IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN nung der Informationen aus den Bildern ein. Einerseits geht es darum, die medizinische Interpretierbarkeit der Daten durch eine geeignete Visualisierung zu verbessern. Der Arzt muss in die Lage versetzt werden, die gesuchte Information schnell und sicher aus den Bildern zu entnehmen. Im Zentrum der Forschungen steht aber die automatische Extraktion von Information aus den medizinischen Bilddaten. Stark vereinfacht dargestellt, beginnt die Analyse der Daten mit der so genannten Segmentierung, das heißt, der Identifizierung zusammenhängender homogener Abschnitte in den Bildern. Diese können beispielsweise Organen oder Gewebe entsprechen, deren räumliche Anordnung im Körper sich dann daraus exakt rekonstruieren lässt. Oft liegt das Ziel der Analyse darin, bestimmte Organe automatisch zu erkennen und zu charakterisieren, das heißt, ihre quantitativen Eigenschaften zu bestimmen. Damit die neuen Verfahren in den medizinischen Arbeitsalltag integriert werden können, sind zusätzlich geeignete Benutzeroberflächen beziehungsweise Möglichkeiten zum interaktiven Eingriff bereitzustellen. Sie werden in die Software der Mediziner integriert. REALE UND VIRTUELLE W E LT V E R B U N D E N Ein typisches Beispiel für die Forschungen an der TU Berlin ist die Kooperation mit dem Zentrum für Weltraummedizin Berlin. Das Zentrum untersucht die Auswirkungen der Gravitation auf den menschlichen Organismus unter medizinischen, physiologischen und psychologischen Aspekten. In einer langfristig angelegten »BedRest«-Studie wird der Aufenthalt im Weltraum durch eine mehrwöchige Bettlägerigkeit simuliert. Neben vielen anderen Messungen und Untersuchungen interessiert die Physiologen vor allem, wie sich die Beine der Testpersonen in Volumen und Gestalt verändern. Mithilfe von Messkameras und Laserscannern können die relevanten Körperbereiche dreidimensional und berührungslos rekonstruiert werden. Anhand der Ergebnisse erfährt der Physiologe nicht nur, wie stark sich das Volumen ändert, sondern kann direkt ablesen, an welchen Stellen sich das Gewebe diesbezüglich verändert. Weitere Rückschlüsse lassen die direkte Kombination der geometrischen Daten mit den Bildern einer Thermalkamera zu. Das Thermalbild einer Infrarotkamera wird direkt der dreidimensionalen Rekonstruktion überlagert, um die Zusammenhänge zwischen Temperatur und Volumen zu erkennen. Im Ergebnis dieser Datenanalyse entsteht die räumliche Visualisierung des Körpers eines Probanden, in Abhängigkeit von der Oberflächentemperatur zu jedem Zeitpunkt der Studie. Ein weiteres Beispiel bieten die so genannten Augmented-Reality-Techniken in der Leberchirurgie. Bei einem solchen System werden reale Bilder durch zusätzliche Informationen ergänzt. Augmented Reality verbindet somit die reale und die virtuelle Welt. Im klinischen Alltag der Chirurgie sind präoperative Daten aus der Computertomographie oder Ultraschallaufnahmen eine unverzichtbare Hilfe für den Operateur. Beispielsweise können dem Arzt in Computertomographien erkannte Tumore als virtuelle Daten während der Operation sichtbar gemacht werden. Durch eine Kombination dieser Daten mit so genannten navigierten chirurgischen Instrumenten, deren Positionen und Bewegungen automatisch vermessen werden, können Sicherheit und Genauigkeit einer Operation erhöht werden. Die virtuellen Daten mit dem realen Organ im Körperinnern zu überlagern stellt dabei eine wichtige Herausforderung dar. Sie erfordert das Verständnis des praktischen klinischen Gesamtszenarios, die Auswahl geeigneter Technologie (Hardware wie Displays, Trackingsysteme und Sensoren), die mathematische Modellierung der Zusammenhänge und eine entsprechende Umsetzung in Software. Die Forscher am Fachgebiet »Computer Vision« arbeiten eng mit der Abteilung Medizinische und Biologische Infor- TU BERLIN matik des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg zusammen. Diese Abteilung sowie die Chirurgische und Radiologische Klinik der Universität Heidelberg haben den Prototypen eines bildgestützten Navigationssystems für die onkologische Leberchirurgie entwickelt. Dieses so genannte Image-guided Surgery System (IGSS) versetzt den Chirurgen in die Lage, sein Instrument bei der Behandlung von Tumoren an oder in der Leber punktgenau zu führen. Dazu muss er die präoperativ erfassten Daten exakt auswerten: beispielsweise die Segmentierung der Lebergefäßbäume. Für eine erfolgreiche Entfernung eines Lebertumors ist die Kenntnis der genauen Lage des tumorösen Gewebes und des notwendigen Sicherheitsabstandes zu den gesunden Zellen erforderlich. Die bisherige computergrafische Präsentation erfolgte mithilfe eines Stereo-Bildschirms, auf dem ohne die Verwendung weiterer Hilfsmittel – beispielsweise Brillen – dreidimensionale Darstellungen betrachtet werden können. PROTEINMUSTER FINDEN Die Forscher der TU Berlin wollen nun ein Augmented-Reality-Szenario für diese Umgebung bereitstellen. Ihr Ziel ist es, die virtuellen Daten der präoperativen Planung direkt in das Sichtfeld des Chirurgen zu projizieren. Ein solches System bezeichnet man als See-Through-Head- FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 51 Vorderansicht des Kopfgestells (Headset), um medizinische Bilder in das Gesichtsfeld des Chirurgen zu projizieren IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Headset für einen Arzt in der Laborerprobung Mounted-Display. In Kooperation mit dem Deutschen Herzzentrum in Berlin werten die Forscher derzeit Bilddaten aus einem Magnetresonanztomographen (MRT) aus. In einem gerade begonnenen Projekt geht es um die Identifikation von Proteinmustern, die mithilfe von Kontrastmitteln sichtbar gemacht werden und es erlauben, stabile und instabile Plaques zu unterscheiden. Plaques sind Gefäßablagerungen, die beim Zerreißen dazu führen können, dass sich Blutgerinnsel bilden. Diese Gerinnsel können die Gefäße verschließen und Herzinfarkte auslösen. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass nur die stabilen Plaques solche Rupturen verursachen. Stabile und instabile Plaques unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. Sie genau zu charakterisieren ist daher ein wichtiges Mittel zur Prävention, Therapie und Sekundärprophylaxe in breiten Bevölkerungsgruppen. Die nicht invasive Darstellung und Charakterisierung der Plaques im menschlichen Herzen ist bisher noch unbefriedigend gelöst, da der schnelle Herzschlag und die Atmung die tomographischen Bilder verzerren. Die technische Entwicklung und neue wissenschaftliche Ergebnisse der kardialen Magnetresonanztomographie lassen die Probleme jedoch lösbar erscheinen. Deshalb hat sich ein Konsortium aus dem Deutschem Herzzentrum, dem Universitätsklinikum Charité, der Schering AG und der Forschergruppe der TU Berlin gebildet. Es hat sich das Ziel gesetzt, ein Verfahren zur Identifikation, Lokalisation und Analyse von gefäßverengenden Plaques bis zur Praxisreife zu entwickeln. 52 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 S C H N E L L E A N A LY S E V E R FA H R E N G E S U C H T Die Aufgabe der TU-Gruppe ist es dabei, geeignete Bildanalyseverfahren zur Darstellung und Charakterisierung der Plaques zu entwickeln. Die zu entwickelnde Software wird es geschulten Spezialisten erlauben, die Visualisierung variabel zu gestalten und die Plaques interaktiv zu beurteilen. In Kombination mit der automatischen Bildanalyse entsteht ein hohes Potenzial zur wirtschaftlichen Nutzung der Erkenntnisse. Im Einzelnen umfassen die Aufgaben eine quantitative Farbdarstellung von MRT-Daten, die es erlaubt, Details kontrastreich zu erkennen und physikalische Parameter abzulesen. Eine darüber hinausgehende Klassifikation der Gewebe liefert automatisch semantische Information, beispielsweise die Identifikation krankhafter Veränderungen. In der Genom- beziehungsweise Proteomforschung werden die in großer Vielfalt im menschlichen Körper auftretenden und oft noch unbekannten Proteine analysiert. Dabei ist man wegen der Vielzahl der Proteine auf schnelle Analyseverfahren angewiesen. In einer Kooperation mit der Fachgruppe Proteomics von Prof. Erich Wanker am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in BerlinBuch untersuchen die Wissenschaftler der TU Berlin mikroskopische Aufnahmen einzelner Zellen. Ihr Ziel ist es, darin Proteine zu identifizieren. Die Forschungen gründen sich auf der Annahme, dass ein bestimmtes Protein entsprechend seiner Funktion in der Zelle ausschließlich oder wenigstens bevorzugt an bestimmten Orten oder Organellen auftritt. Das Protein kann in einer durch Antikörper oder Farbstoffe präparierten Probe in den mikroskopischen Bildern sichtbar werden. Mithilfe von Verfahren der Mustererkennung wäre es möglich, die Proteine automatisch zu identifizieren. Werden die Bildmerkmale im Zusammenhang mit den Organellen der Zelle analysiert, wird auch eine weiter gehende Beschreibung der Proteine möglich. Das Ziel der Arbeiten ist es, ein automatisches Bildanalyseverfahren zu entwickeln, das die Bearbeitungszeiten zur Identifikation und Charakterisierung von Proteinen stark verkürzt. Vorgehensweise und Zielrichtung in dem zuletzt genannten Projekt sind typisch für das in Computer-Vision-Verfahren liegende Innovationspotenzial. Denken wir an das menschliche Sehvermögen, so wird deutlich, dass die Informationsgewinnung aus Bilddaten dem Menschen auf der Grundlage seines visuellen Sinns – im Alltag wie auch in der Wissenschaft – erlaubt, komplexe Sachverhalte innerhalb kürzester Zeit zu verstehen und zu analysieren. Gelingt es, diese Leistung mithilfe von Computern – also automatisiert – zu vollbringen, rückt die Lösung von Problemen in greifbare Nähe, die bisher für den Menschen unzugänglich waren. Beispielsweise könnten umfangreiche Informationen über menschliche Körperfunktionen, etwa das schlagende Herz, erfasst und analysiert werden. q www.cv.tu-berlin.de IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN N Nierenwäsche per Tastendruck Interaktive Planung und Simulation ermöglichen die Computerintegrierte Dialyse Von Ulrich Geske, Stefan Jähnichen und Reinhard Mylius (†) TU BERLIN iereninsuffizienz: An dieser Krankheit leidende Patienten sind in mehrfacher Hinsicht belastet. Zwar können sie durch ständige Blutwäschen mithilfe der so genannten Künstlichen Niere relativ gut behandelt werden. Aber sie verbringen viel Zeit in den Dialysestationen: jeweils mehrere Stunden, rund dreimal in der Woche – über Jahre hinweg. Da die Patienten häufig gesundheitlich nicht sehr stabil sind, ist es wichtig, ihnen möglichst immer den gleichen Behandlungsplatz, das gleiche Behandlungsgerät und die gleiche betreuende Schwester zu bieten, um nur geringe Abweichungen im Behandlungsrhythmus zuzulassen. Niereninsuffizienz ist zunehmend eine Zivilisationskrankheit. Bei vielen Patienten können die Behandlungen unter den gewünschten Vorgaben kaum noch von Hand geplant werden, zumal der Kostendruck im Gesundheitswesen steigt. Eine Software könnte in die Bresche springen und diese Aufgabe übernehmen. Sie muss auch und vor allem die ständig erforderlichen Umplanungen beherrschen, denn manchmal steht ein bestimmtes Dialysegerät nicht zur Verfügung, die Patienten verspäten sich oder die Parameter der Dialyse müssen verändert werden. Forscher der TU Berlin entwickeln und erproben seit einiger Zeit eine softwaretechnische Lösung, die es auch ermöglicht, in die Planung interaktiv einzugreifen. Das nächste Ziel ist, der leitenden Schwester ein über die grafische Benutzeroberfläche einfach – ohne Informatikwissen – zu bedienendes Werkzeug für die Planungen in die Hand zu geben. Die Kombination von interaktiver und automatischer Planung hat den Vorteil, dass die Software flexibel ist. Jede Software, die in der Medizin eingesetzt wird, muss viele Faktoren berücksichtigen: die Regeln und Vorgänge zur Abrechnung oder die Dokumentation der Behandlung oder die Medikation des Patienten. Damit diese Vielfalt gewährleistet werden kann, ist solche Software modular aufgebaut. Um in der Dialyse mit dem technischen Fortschritt auf Augenhöhe zu bleiben, die steigende Patientenanzahl zu bewältigen und die Kosten zu reduzieren, sind sowohl in der Software als auch bei der Hardware ständig bessere Lösungen gefordert. Sie sollen die vielen Informationen bündeln und verarbei- FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 53 IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN ten. In der Dialyse geht es vor allem darum, die Qualität der Blutwäsche zu sichern und die Leistung ordnungsgemäß abzurechnen. Die Software muss auch in der Lage sein, die Diagnostik zu effektivieren, die Daten aus dem Labor zu verarbeiten, die Briefe der Ärzte zu schreiben und die betriebswirtschaftliche Seite der medizinischen Praxis zu unterstützen. Die Computer-integrierte Dialyse erfasst auch die Krankenversicherungskarte des Patienten und seine Stammdaten. Des Weiteren gehören dazu eine Datenbank für Medikamente, ein Modul für die Leistungsziffern, die Zuordnung der Krankenart, die Krankenakte und das Abrechnungsmodul. Die Patienten werden einem bestimmten Dialyseplatz zugeordnet, alle relevanten Ereignisse werden aufgenommen und gespeichert. Innerhalb der Computer-integrierten Analyse wird aus den Planungsdaten für die Dialyse auch ermittelt, welche Kapazitäten bereitgestellt werden müssen: Hilfsstoffe, Schwestern und Ärzte. Ein Teil der Software übernimmt die Qualitätssicherung, das Controlling und führt eine Statistik, um die Abrechnung und die wirtschaftlichen Aspekte der Behandlungen zu ermitteln. Zur Nierenersatztherapie wurde eine Vielzahl von Verfahren entwickelt, die Gerätehersteller haben leistungsfähige und sichere Apparate entwickelt. Somit ist eine individuell auf den Patienten zu- geschnittene Dialyse möglich, deren Planung und Ablauf immer komplexer und aufwändiger zu steuern sind. Um die Dialyse simulieren, planen und optimieren zu können, muss man die Prozesse auf der Basis von Zeit, Kapazität, Qualität und Kosten modellieren. Die hohe Komplexität des Optimierungsproblems hat zur Folge, dass genaue und optimale Lösungen oft nicht schnell oder – wie es bisher der Fall war – überhaupt nicht erzeugt werden können. Um einen geordneten Ablauf in der Dialyse zu erreichen, sind die Behandlungszeiten der Patienten zu planen, mit ihrem Dialyseplatz, dem richtigen Verfahren und der geeigneten Maschine. Das notwendige Material und das Personal sind gleichfalls bereitzustellen. KÜNSTLICHE INTELLIGENZ KOMMT ZUM ZUGE Spezielle Suchverfahren bewältigen diese komplexe Aufgabe am besten. Sie gehören zur künstlichen Intelligenz und können alle Kriterien berücksichtigen, ohne dass Konflikte entstehen. Sie erkennen frühzeitig, wenn ein Planungslauf in die Sackgasse zielt und wählen selbstständig Alternativen. Sogar in sehr kurzer Zeit erstellen sie eine Planung, die nahe am Optimum liegt. Es reicht zum Beispiel aus, die verfügbaren Dialysegeräte, die Patienten und die Behandlungsdauer anzugeben, um zufrieden stellende Behandlungstermine zu erreichen – aus Sicht der Patienten. Zugleich sorgt die Computerintegrierte Dialyse dafür, dass die Geräte wirtschaftlich ausgelastet werden. Jeder Patient wird dabei von »seiner« Schwester betreut. Dieses System kann auch kritische Situationen simulieren. Was muss zum Beispiel unternommen werden, wenn ein Gerät und eine Schwester gleichzeitig nicht zur Verfügung stehen? Die Patientenbetreuung wird vom verbleibenden Personal übernommen, die Geräte den Patienten neu zugeordnet. Nur für wenige Patienten ändern sich die Termine. Bei der Planung muss es gelingen, die große Zahl der möglichen Planungen einzugrenzen und die unwirtschaftliche Nutzung von Ressourcen zu vermeiden. Die Software muss in der Lage sein, Lösungen zu generieren und dabei falsche, gefährliche oder unökonomische Varianten zuverlässig auszusortieren oder zumindest zu melden und dabei das fachliche Wissen des Planers zu integrieren. Dadurch hat der menschliche Bearbeiter immer Gelegenheit, die automatisch erzeugte Problemlösung zu beeinflussen. q www.first.fraunhofer.de » Einblick Die elektronische Gesundheitskarte – alle Daten auf einem Chip Ein wichtiger Eckpfeiler der Reformen im deutschen Krankenversichertenkarte erfüllen, darüber hinaus jedoch mit Gesundheitswesen ist die elektronische Gesundheitskarte, die nach der Testphase ab 2006 schrittweise für alle rund 80 Millionen Krankenversicherten im Land eingeführt werden soll. Der Erfolg des Projektes hängt davon ab, ob die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen und die technische Infrastruktur für den elektronischen Datenverkehr zwischen Patienten, Ärzten, Kliniken und Kassen rechtzeitig geschaffen werden. Die Karte soll die persönlichen Gesundheitsdaten der Versicherten speichern. Sie ist auf verschiedene Ausbaustufen konzipiert, sodass später unter anderem ganze Patientenakten auf dem Chip gespeichert werden könnten. Geplant sind zunächst Tests in mehreren Modellregionen. In ihrer ersten Ausbaustufe wird die Karte die Verwaltungsfunktionen der heutigen 54 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 neuen Funktionen ausgestattet sein. So kann sie die Versichertendaten online abgleichen und elektronische Rezepte speichern. Freiwillige Funktionen wie Daten zu Arzneimitteln oder für den Notfall werden später verfügbar sein. Die elektronische Gesundheitskarte fügt sich ein in eine Digitalisierungswelle, die das Gesundheitssystem effizienter und kostengünstiger machen soll. So ist beispielsweise auch geplant, einen elektronischen Heilberufeausweis einzuführen, der zum Beispiel Ärzte und Apotheker zum Zugriff auf medizinische Daten berechtigt. q www.die-gesundheitskarte.de GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN » Im Gespräch »Eine der wichtigsten Innovationen der kommenden Jahre« Die elektronische Gesundheitskarte wurde von Berliner Forschern maßgeblich mitgestaltet B undesweit gibt es rund 123 000 niedergelassene Ärzte, 65 000 Zahnärzte, 22 000 Apotheken, 2200 Kliniken und rund 300 Krankenkassen. Ihnen stehen rund 80 Millionen Versicherte gegenüber. Mit der elektronischen Gesundheitskarte und einer telematischen Infrastruktur sollen sie alle ein gemeinsames Informationsnetz nutzen. Die wichtigsten Vorarbeiten dafür liefen am Berliner Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik, unter der Leitung von TUProfessor Dr. Herbert Weber. Er berichtet über die Chancen und Probleme einer der wichtigsten Innovationen der kommenden Jahre. nischen Daten zwischen Patienten, Ärzten und Kassen elektronisch zu übertragen und auszuwerten. Wie viel Zeit hatten Sie? Herbert Weber: Wir hatten nur vier Monate, um das Projekt zu bearbeiten und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Während der Projektlaufzeit musste ein Team aus den Mitarbeitern von drei Fraunhofer-Instituten aufgebaut und koordiniert werden. Aus den Instituten waren 35 Mitarbeiter beteiligt, zeitweise wurden sie von bis zu 100 Experten aus dem Gesundheitswesen und der Industrie unterstützt. Die Koordination oblag einer Gruppe im Bundesgesundheitsministerium sowie einem Architektur-Board und einem Steering Board. Sie können sich vorstellen, welchen Abstimmungsaufwand eine solche Mammutaufgabe verursachte. Auch die unterschiedlichen Interessen der Vertreter in den Entscheidungsgremien bewirkten zusätzlichen Aufwand. Dennoch haben wir es geschafft: Die Ergebnisse liegen auf dem Tisch und stehen jetzt zur weiteren Verwendung zur Verfügung. Geldkarten, biometrische Pässe, Bonuskarten – und jetzt auch noch eine elektronische Gesundheitskarte: Wozu? Herbert Weber: Das Ziel der geplanten elektronischen Gesundheitskarte ist es, die Ärzte, Apotheken, Krankenkassen und Patienten miteinander zu vernetzen. Ohne eine solche Vernetzung ist die dringend notwendige Reform des Gesundheitswesens nicht denkbar. Die Gesundheitskarte ist eine der wichtigsten Innovationen in den kommenden Jahren, sie wird nicht nur der Informationstechnik einen gewaltigen Schub verleihen. An ihr hängt eine flächendeckende Infrastruktur, um die medizi- TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 55 IuK-TECHNOLOGIEN IM GESUNDHEITSWESEN Wie weit sind die technischen Voraussetzungen der Gesundheitskarte gediehen? Herbert Weber: Die grundsätzliche Architektur der Karte und des telematischen Netzes ist vorhanden. Das Berliner Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik hat sie gemeinsam mit zwei weiteren Fraunhofer-Instituten, der Industrie und Experten des Gesundheitswesens schon vor mehr als einem Jahr entwickelt und an Bundesministerin Ulla Schmidt übergeben. Jetzt geht es darum, die Gesundheitskarte zu entwickeln und die telematische Infrastruktur aufzubauen. Welche Effekte könnte eine solche Karte bringen? Herbert Weber: Experten schätzen, dass in Deutschland in jedem Jahr mehr als 10 000 Menschen an unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln sterben, weil die verschreibenden Ärzte nicht wussten, dass die Patienten noch andere Medikamente nehmen. Das sind mehr Tote als im Straßenverkehr. Mit der elektronischen Gesundheitskarte wird beispielsweise die Information über alle verordneten Medikamente ermöglicht, um gefährliche Komplikationen zu vermeiden. Andere Vorteile sind eher wirtschaftlicher Natur. Die Karte hilft, unnötige Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden, weil alle Daten der Krankengeschichte und der Diagnose allen Ärzten zugänglich sind – natürlich nur mit Einverständnis des Patienten. Patienten und seinem Zuzahlungsstatus. Hinzu kommen Daten über Medikamente, um die Verschreibung zwischen Ärzten, Apotheken und Versicherungen lückenlos abzurechnen. Künftig werden Medikamente nur noch elektronisch verordnet. Auch die Einweisung in ein Krankenhaus oder die Verschreibung anderer Hilfsmittel läuft über die Gesundheitskarte. Das System lässt sich ausbauen, bis hin zu einem persönlichen Arzneimittelregister und einer elektronischen Patientenakte. Das Recht des Versicherten, über die Verwendung seiner Daten selbst zu entscheiden, bleibt jedoch gewahrt. Sie erwähnten wirtschaftliche Effekte: Was versprechen sich die Experten genau von der neuen Karte? Herbert Weber: Man schätzt die möglichen Einsparungen in der ersten Ausbaustufe auf über 80 Millionen Euro pro Jahr. Wenn alle wichtigen Teile des Gesundheitssystems durch eine gemeinsame elektronische Infrastruktur vernetzt sind und die Patienten ihre Daten immer aktuell zur Verfügung haben, kann man viele der heute mit Papier, ausgedruckten Formularen und der Post organisierten Abläufe rationalisieren. Das spart erhebliche Mittel und vor allem Zeit. Natürlich muss man die Administration der Prozesse dann auf die neuen technischen Möglichkeiten hin umgestalten. Nicht mehr Bürokratie, sondern weniger, das ist das Ziel der elektronischen Gesundheitskarte. Nicht mehr Aufwand, sondern weniger. Welche rechtliche Grundlage gibt es für die Gesundheitskarte? Welche Probleme mussten Sie bei der Entwicklung der Lösungsarchitektur bewältigen? Herbert Weber: Zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte hat der Bundestag im Jahr 2003 ein Gesetz verabschiedet, das die Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung regelt. Darin wurde der Rahmen für die technische Ausgestaltung der Gesundheitskarte und der telematischen Infrastruktur festgelegt. Das Gesetz gibt vor, welche Daten erfasst und gespeichert werden. Dazu gehören administrative Angaben zur Person, zur Krankenversicherung des Herbert Weber: Die Lösungsarchitektur beschreibt die Nutzung der Karte und der elektronischen Dienste in einer medizinischen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur. Die Infrastruktur umfasst die IT-Systeme der Arztpraxen, der Apotheken und Krankenhäuser und gestattet die reibungslose Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Das medizinische Personal, die Patienten, die Versicherungen und die kassenärztlichen Vereinigungen finden in dieser Infra- 56 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 struktur eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kommunikation. Das klingt nach der Freizügigkeit des Internets, in dem sich jeder tummeln kann, wie er will … Herbert Weber: Der Zugang ist natürlich auf registrierte Nutzer beschränkt, denn medizinische Daten sind sensibel und sehr intim. Sie werden nur dann lesbar sein, wenn gleichzeitig eine gültige Gesundheitskarte und ein Heilberufeausweis vorliegen, die sich gegenseitig authentifizieren und den Zugriff ermöglichen. Darüber hinaus bietet die Lösungsarchitektur eine Sicherheitskonzeption und Mechanismen, um die maximale Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Ist die Arbeit nun getan? Herbert Weber: Sie fängt eigentlich erst an. Das Projekt hat innovative Lösungen für eine Vielzahl von technischen – insbesondere sicherheitstechnischen – Problemen geschaffen. Dazu gehören das Konzept des virtuellen Dateisystems und ein zugeordnetes Ticketsystem, das den Zugang zu den medizinischen Anwendungsdaten absichert. Die entwickelte Lösungsarchitektur entkoppelt die elektronischen Dienste weitgehend von den Partnern, welche die Kommunikationsinfrastruktur anbieten. Dadurch wird das System sicherer. Außerdem erleichtert es Erweiterungen oder spätere Entwicklungen, wenn sich neue Anwendungen ergeben oder neue Technologien ins Spiel kommen. Wir haben versucht, in der ersten Version die Komplexität möglichst niedrig zu halten, um die grundsätzliche Tauglichkeit zu erproben. Mit wachsenden Anforderungen kann das System aber entsprechend aufgerüstet werden. Die Lösungsarchitektur ist flexibel, wir können sie später an die praktische Nutzung anpassen, etwa durch veränderte Parameter im Ticketmanagement. Dadurch erhalten wir Spielräume für die Phase des Aufbaus und des anfänglichen Betriebs der Infrastruktur. Die Fragen stellte Heiko Schwarzburger. Gesundheitswirtschaft GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Gesundheit in aller Munde Der Sektor ist auf dem Sprung, eine neue Wachstumsbranche zu werden Von Klaus-Dirk Henke D ie Gesundheitswirtschaft wird innerhalb unserer Dienstleistungsgesellschaft an Bedeutung gewinnen. Sie spielt international oder regional, zum Beispiel in Berlin und Brandenburg, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nicht nur für die Krankenversorgung und die Prävention, kurative Behandlung, Rehabilitation, Pflege und Palliativmedizin ist sie unverzichtbar. Eine sozial ausgewogene Gesundheitswirtschaft gehört wegen des demographischen Wandels auch zu einer der wenigen personalintensiven Wachstumsbranchen in unserer Volkswirtschaft. Die wichtigsten Innovationen in der Entwicklung der Zivilisation folgen der so genannten Theorie der langen Wellen. Sie wurde von Nikolai Dimitrijewitsch Kondratieff aufgestellt. Nach seinem Modell kommt es alle dreißig bis fünfzig Jahre zu einer grundlegenden Erfindung, die dem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt neuen Schwung verleiht. Früher zählten dazu die Dampfmaschine, 58 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Stahl, Eisenbahnen, Erdölchemie, das Automobil und die Computer. Nun steht die Menschheit vor einem neuen KondratieffZyklus. Darin wird nach Ansicht vieler Fachleute die Gesundheit eine wesentliche Rolle als besonders innovative Branche spielen. Nicht zuletzt aufgrund der steigenden Lebenserwartung hat sich das Gesundheitsbewusstsein der Deutschen stark verändert. Es entsteht eine aktive Nachfrage nach Leistungen, die ein möglichst GESUNDHEITSWIRTSCHAFT gesundes Leben, auch im Alter, ermöglichen. Gesunde Ernährung, Wellness und Fitness sind mehr als nur Schlagworte einer Gesundheitswirtschaft, die nach neuen Ideen außerhalb der Sozialversicherung sucht. Medizintechnische Innovationen werden für wirtschaftliches Wachstum sorgen. Privat finanzierte Angebote, deren Inanspruchnahme der eigenverantwortlichen Vorsorge überlassen bleiben, nehmen zu. Schon heute arbeiten im deutschen Gesundheitswesen mehr Menschen als beispielsweise in der Automobilindustrie. Die meisten Arbeitsplätze, die durch einen wachsenden Gesundheitssektor entstehen, werden in Dienstleistungsberufen geschaffen. GESUNDHEITSÖKONOMIE WÄCHST WEITER Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass betriebs- und volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen auch im Gesundheitswesen an Bedeutung gewinnen. Dazu gehören Krankheitskostenstudien, um die volkswirtschaftliche Auswirkung von Krankheiten zu ermitteln. Oder man vergleicht die Gesundheitssysteme verschiedener Länder, beispielsweise innerhalb der Europäischen Union. Hersteller von Medizintechnik analysieren die Märkte, um Nischen für ihre Produkte und Dienstleistungen zu finden. Im Rahmen des Health Technology Assessment werden neue Produkte überprüft. Kosten-Nutzen-Berechnungen von Programmen zur Prävention oder von Behandlungsmethoden für bestimmte Krankheiten spielen gleichfalls eine wichtige Rolle, um die Ausgaben für Schlaganfälle oder Krebs zu ermitteln. Um den komplexen medizinisch-technischen Fortschritt zu beurteilen, müssen Ingenieure, Mediziner und Ökonomen eng zusammenarbeiten. Künftig wird das so genannte Usability Engineering in den Vordergrund treten. Damit lassen sich wirtschaftliche Risiken bei der Entwicklung neuer medizintechnischer Geräte gut abschätzen. Die Ärzte selbst werden sich in die Innovationsprozesse einbringen, denn sie werden die neuen Geräte als so genannte Lead User anwenden. Möglicherweise wird es bald den an den technischen Universitäten ausgebildeten Mediziningenieur geben, der die Patienten und Versicherten bei ihrer Behandlung unterstützt. Die Gesundheitsökonomie wird als wissenschaftliche Disziplin wachsen – weltweit, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung. Die Anzahl neuer Zeitschriften auf diesem Gebiet ist kaum noch zu übersehen und zeigt eindrucksvoll die vielfältigen wissenschaftlichen Herausforderungen. Nach der Reform ist vor der Reform: Dieser Satz trifft angesichts der hohen Komplexität des Gesundheitswesens zu. Es gilt daher, die ständigen Veränderungen in der Gesundheitstechnologie und in der Gesundheitsversorgung im In- und Ausland zu verfolgen. Das Ziel ist es, den Einfluss von gesetzlichen Vorgaben, Kassenbudgets und anderen Rahmenbedingungen auf die Einführung neuer Produkte und Verfahren abzuschätzen. Speziell das Sozialrecht und das europäische Wettbewerbsrecht bestimmen das Spielfeld der Gesundheitswirtschaft maßgeblich mit. Dabei spielt auch der Vergleich der nationalen Gesundheitssysteme eine zunehmende Rolle, denn europaweit wird es zu einem Benchmarking kommen. Wer heute Spitze sein will, der muss sich mit den exzellenten Regionen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und darüber hinaus messen. Die wichtigste Frage aber wird sein, wie man innovative Gesundheitstechnologien künftig bezahlen kann. Angesichts knapper werdender Ressourcen rückt die Frage der Finanzierung mehr und mehr in den Vordergrund. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht sind neben dem gesetzlichen Rahmen durch das Sozialrecht, Privatrecht, Krankenhausrecht oder Wettbewerbsrecht vor allem die Mittelaufbringung durch Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Prämien oder Selbstbeteiligung entscheidend. Zugleich müssen die Gesundheitsleistungen abgerechnet und honoriert werden. Diese doppelte (äußere und innere) Finanzierung unterscheidet die Krankenversicherung von der Rentenversicherung, wenn man von den Rehabilitationsleistungen einmal absieht. Durch ökonomische Anreize ausgelöstes Fehlverhalten, Risikoselektion in der Krankenversi- TU BERLIN + 1000 % + 900% + 800 % + 700 % + 600 % + 500% + 400 % + 300 % + 200 % + 100 % 1970 1975 1980 1985 1990 cherung und die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Arzt und Patient und Versicherung und Versicherten gehören zu den Problemen, die mit den verschiedenen Formen von Finanzierung und Vergütung verbunden sind und die Wirtschaftlichkeit (Effizienz) einer sozialen Gesundheitswirtschaft beträchtlich beeinflussen. Derzeit werden die Leistungen des Gesundheitswesens unterschiedlich finanziert, je nachdem, ob sie der Pflege-, der Kranken-, der Unfall- oder der Rentenversicherung zuzuordnen sind. Hinzu treten die privaten Krankenversicherungen. K O N Z E N T R AT I O N S P R O Z E S S E E R WA R T E T Weiterhin gibt es Abrechnungsunterschiede zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor. Abgesehen von den noch begrenzten wettbewerblichen Formen der Vergütung sieht das so genannte Vertragsrecht innerhalb der Sektoren zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen noch zu viele gemeinsame und einheitliche Abrechnungen vor. Schließlich ist mit der sich zurzeit verändernden Abrechnungsstruktur im Krankenhaus durch Fallpauschalen mit einem weiteren Konzentrationsprozess zu rechnen. Überkapazitäten werden abgebaut, die Kliniken werden sich spezialisieren und die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus wird sinken. Die getrennte Finanzierung von laufenden Betriebsausgaben und von Investitionen ist angesichts der Finanznot der öffentlichen Haushalte reformbedürftig. q http://finance.ww.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 59 1995 2000 2005 Ausgaben und Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung(Veränderung gegenüber 1970 in Prozent) GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Wachstum durch technologische Spitze Die deutsche Medizintechnik braucht innovative Impulse, um sich weiterhin gut auf dem Weltmarkt zu behaupten Von Kurt Hornschild Deutschland knapp 150 000 Personen in 11 000 Unternehmen beschäftigt. Die Branche ist durch mittelständische Unternehmen geprägt. Neben wenigen großen gibt es viele mittelgroße und kleine Unternehmen. Etwa 60 000 Personen arbeiten in Untenehmen mit weniger als zwanzig Beschäftigten. Die Produktion der Medizintechnik in Deutschland nahm im Zeitraum von 1998 bis 2002 jährlich um 6,1 Prozent, die Ausfuhr sogar um 12,4 Prozent zu. Die Medizintechnik zählt damit zu den wenigen Industrien, die in Deutschland bis zuletzt hohe Produktionszuwächse erzielten und gleichzeitig ihre Beschäftigung ausgeweitet haben. Dynamisch war mit einer Zunahme von jährlich 10,6 Prozent aber auch die Entwicklung der Einfuhr, während die inländische Nachfrage mit 3,3 Prozent nur vergleichsweise gering expandierte. Höhere Zuwachsraten bei Exporten und Importen als bei der inländischen Nachfrage zeigen, dass die Märkte für Erzeugnisse der Medizintechnik einem erheblichen Wandel unterliegen: Um Wettbewerbsverluste im Inland und die ohnehin vergleichsweise geringe Nachfrage im Inland zu kompensieren, müssen die Unternehmen zunehmend auf ausländischen Märkten erfolgreich sein. Die weltweit steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen spricht dafür, dass die Medizintechnik generell gute Wachstumschancen hat. Ob die Branche allerdings den überdurchschnittlichen Wachstumskurs der letzten Jahre fortsetzen kann, hängt von vielen Faktoren ab: 60 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN In der Medizintechnik sind in TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den Reformen in den Gesundheitssystemen, der anhaltenden Internationalisierung der Märkte und nicht zuletzt auch davon, wie Unternehmen und die Politik in Deutschland auf diese Herausforderungen reagieren. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin beauftragt, die Perspektiven der Medizintechnik in Deutschland zu analysieren. Die im November 2005 fertig gestellte Analyse ist die Grundlage dieses Beitrags. Mit einem Anteil von zwei Prozent an den industriell Beschäftigten zählt die Medizintechnik in Deutschland zwar zu den kleineren Industriebranchen, doch weist sie eine Reihe von Besonderheiten auf, die ihr aus dem Blickwinkel der GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Volkswirtschaft besondere Bedeutung geben: Mit einer Quote von 58 Prozent ist sie überdurchschnittlich auf Export orientiert, Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erreichen rund acht Prozent des Umsatzes. Damit gehört die Medizintechnik zum innovativen Hochtechnologiesektor der Wirtschaft. Die Unternehmen sind einem sehr starken technologischen Wettbewerb ausgesetzt, was sich unter anderem auch daran zeigt, dass innovative Medizintechnikprodukte einen extrem kurzen Lebenszyklus von manchmal nur zwei Jahren haben. Dies, die hohen qualitativen Anforderungen in der Anwendung sowie der Einsatz einer Vielzahl von anspruchsvollen Technologien (Elektrotechnik, Elektronik, Optik, Materialforschung, Feinmechanik) machen sie zu einer Schlüsselbranche. Regionale Schwerpunkte befinden sich vor allem im Raum München, Stuttgart, Berlin, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg. Sie bieten aufgrund einer ausprägten Forschungsstruktur und eines sehr dichten gesundheitlichen Versorgungsnetzes vielfältige Standortvorteile. EXPORTSCHLAGER MEDIZINTECHNIK Eine weitere Besonderheit der Branche ist, dass sie weit stärker als andere Industrien der staatlichen Regulierung unterliegt. Bevor Medizinprodukte in den Verkehr gebracht werden, durchlaufen sie einen aufwändigen Zulassungsprozess. Zunächst ist die technische Marktzulassung zu erreichen. Durch die im europäischen Binnenmarkt getroffenen Vereinbarungen werden nationale Zulassungen sowie die dahin führenden Prozesse von den jeweiligen Ländern anerkannt. Sie werden durch die CE-Kennzeichnung bestätigt und in Deutschland durch das Medizinproduktegesetz geregelt. Dieses Zulassungsverfahren soll dafür sorgen, dass Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und der erforderliche Schutz der Patienten gewährleistet sind. Als zweite Hürde ist die Vergütung der Leistungen durch die nationalen Leistungsnehmer (zum Beispiel gesetzliche Krankenkassen) zu erreichen. Die Aufnahme in den Leis- tungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung schafft in der Regel erst die Voraussetzung für den möglichen Markterfolg. A U F D E M W E LT M A R K T G U T BEHAUPTET Der Weltmarkt für Medizinprodukte wird auf ein Volumen von rund 200 Milliarden Euro geschätzt. Er ist in den 90erJahren mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von knapp elf Prozent kräftig expandiert. Auch in den Jahren von 2000 bis 2002 war mit 6,8 Prozent jährlich ein zwar deutlich abgeschwächtes, aber immer noch beachtliches Wachstum zu verzeichnen. Davon profitierte die Medizintechnik in Deutschland, die hinsichtlich ihres Produktionsvolumens in der Welt den dritten Platz einnimmt. Im Jahr 2004 erreichte es 15,1 Milliarden Euro. Die Exporte der Länder mit der größten medizintechnischen Produktion dominieren auch den Welthandel. Die drei größten Produzenten sind die USA, Japan und Deutschland. Sie bestreiten gut zwei Fünftel der Weltexporte. Bei den Exporten rangiert Deutschland im Weltmarkt hinter den USA sogar an zweiter Stelle. Die japanische Medizintechnik, weit weniger exportorientiert als die deutsche, hatte im Zeitraum von 1995 bis 2003 besonders hohe Einbußen bei den Weltmarktanteilen zu verzeichnen. Aber auch die Medizintechnik Deutschlands hatte in diesem Zeitraum trotz insgesamt hoher Exportdynamik in Landeswährung bei den in US-Dollar bewerteten Exporten kräftige Anteilsverluste. Allerdings sind diese zu einem großen Teil Resultat des in diesem Zeitraum hoch bewerteten US-Dollar und weniger einer verringerten Wettbewerbsfähigkeit. So hat die Medizintechnik in letzter Zeit im Zuge des gegenüber dem US-Dollar gestiegenen Werts des Euro erhebliche Weltmarktanteile zurückgewonnen. Ein Land, das sich als Standort in letzter Zeit weit nach vorne geschoben hat, ist Irland. Insbesondere die US-amerikanische Industrie hat die sich dort bietenden Steuer- und Investitionsanreize genutzt und kräftig investiert. Diese Entwicklung zeigt, dass zumindest Teile der TU BERLIN Produktion von medizintechnischen Erzeugnissen der Standortkonkurrenz ausgesetzt sind und grundsätzlich verlagert werden können. Aussagen von befragten Unternehmen zeigen, dass auch die deutsche Medizintechnik die Niedrigkostenvorteile der nahe gelegenen Volkswirtschaften inzwischen nutzt. Zu den Investoren zählen neben den großen auch mittelständische Unternehmen. Im Zuge der Entwicklung, bei der Exporte und Importe seit geraumer Zeit deutlich rascher expandieren als der Inlandsmarkt, nimmt die Spezialisierung der Standorte zu und verliert der inländische Markt zunehmend seine Schub- sowie Schutzfunktion. Am ausgeprägtesten ist diese in Deutschland bei Gütern aus dem Bereich »Bildgebende Röntgenverfahren und Strahlentherapie«, zu dem zum Beispiel die bekannten Computertomographen gehören. Diese am Umsatz gemessen gewichtigste Produktgruppe war zwischen 1996 und 2004 mit einem jährlichen Produktionswachstum von 8,9 Prozent nicht nur überdurchschnittlich expansiv, sondern sie zeichnet sich auch FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 61 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Produktionsanlage für schwach radioaktive Implantate bei Prostatakrebs, Firma Eckert & Ziegler AG Dazu ist es erforderlich, dass sie mehr als eine Spitzentechnologie beherrschen und diese in ihr Leistungsspektrum integrieren. Befragte Unternehmen wenden schon heute die als zentral angesehenen Schlüsseltechnologien an und erwarten, dass diese in den nächsten fünf Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen werden. Dies sowie die überdurchschnittlich intensive Kooperation der Unternehmen dieser Branche untereinander sowie mit Institutionen der Forschung zeigen, dass die Medizintechnik in vielfältiger Weise mit dem nationalen Innovationssystem verknüpft ist. Der zwischen dem Forschungsbereich und den Unternehmen stattfindende rege Wissensaustausch befruchtet die technologische Leistungsfä- higkeit der Volkswirtschaft insgesamt und stärkt die Innovationskraft der Branche. Der Einsatz modernster Technik und die Einbindung in das Innovationssystem stellen insbesondere für die vielen kleineren Unternehmen eine große Herausforderung dar. Analysen ergaben unter anderem, dass Produkte deutscher Unternehmen zwar technologisch oftmals eine internationale Spitzenstellung einnehmen. Die in der Regel größeren US-amerikanischen Wettbewerber besetzen aber die führende Markstellung. Die befragten Unternehmen kooperieren national und international mit Hochschulen und anderen Unternehmen. Insbesondere die kleineren Unternehmen bemängeln die Schwierigkeiten, die sich oftmals in der Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen auf administrativer und juristischer Ebene ergeben. So seien die Hochschulverwaltungen oftmals überfordert, Kooperationsverträge abzuschließen. Hinzu kommt, dass von den Kunden – beispielsweise den Kliniken – zunehmend so genannte Problemlösungen verlangt werden, bei denen die Unternehmen eine Leistung anbieten müssen, die aus einer Kombination von leistungsfähigem Produkt ergänzt um eine Dienstleistung besteht. Die Medizintechnik in Deutschland hat sich bislang im Wettbewerb zwar gut behauptet, hat aber auch Schwachstellen. Probleme ergeben sich vor allem aus der absehbar schwachen Entwicklung der inländischen und europäischen Nachfrage nach medizintechnischen Erzeugnissen und aus der Unternehmensstruktur. Insbesondere die kleineren Unternehmen und Start-ups benötigen vielfach den Inlandsmarkt als Sprungbrett. Der Zwang zum Sparen im Gesundheitswesen, der sich zunehmend dämpfend auf die Nachfrage nach hochwertigen Produkten der Medizintechnik auswirken wird, führt zu einer Verschlechterung der Marktbedingungen für kleinere Unternehmen. Bedenklich stimmen muss auch, dass die Unternehmen dieser Branche in Deutschland gegenüber den US-amerikanischen Firmen im Durchschnitt nicht nur deutlich kleiner sind, sondern auch eine erheblich geringere Produktivität aufweisen. Damit sind sie nur bedingt gewappnet, um im zunehmend internationalen 62 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN dadurch aus, dass einer starken Exportdynamik annähernd stagnierende Importe gegenüberstehen. Die Entwicklung der anderen Produktgruppen ist geprägt durch hohe Zunahmen bei Exporten und Importen. Importüberschüsse bestehen vor allem bei Produkten der konventionellen Technologie. Wollen die Unternehmen im Innovationswettlauf bestehen, müssen sie immer wieder aufs Neue ihre Innovationskraft unter Beweis stellen. RASANTER TECHNOL O G I S C H E R WA N D E L TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Wettbewerb zu bestehen. Ob es bei dem damit einhergehenden Konzentrationsprozess den hier ansässigen kleineren Unternehmen gelingt, ihre Selbstständigkeit zu bewahren, oder ob sie von anderen Unternehmen übernommen werden, ist eine offene Frage. Daraus folgt: Wenn Deutschland die Potenziale der Medizintechnik ausschöpfen will, müssen im Markt für Gesundheitsleistungen mehr Anreize für Innovationen und privates Kapital geboten werden. Wie dies geschehen kann und welche Maßnahmen geeignet wären, um die Medizintechnik in Deutschland zu stärken, wird in dem Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ausführlicher behandelt. Auf jeden Fall sollte Gesundheit – wie dies bisher der Fall ist – nicht länger nur als Kostenfaktor betrachtet werden, sondern es sollten Bedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, die zwischen Nachfrage und Angebot bestehenden Wechselwirkungen sowie die Potenziale in der Technologie und Wirtschaft besser zu nutzen. Zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Medizintechnik gehört auch eine Politik, die Anreize für das Zusammenspiel von industrieller Forschung, klinischer Erprobung und Marktzugang schafft. MEHR ANREIZE FÜR I N N O VAT I O N E N S E T Z E N Ein besonderes Augenmerk sollte danach den Start-ups und den kleinen und mittelständischen Unternehmen geschenkt werden. Sie haben in der Medizintechnik im Innovationsprozess und für die Qualität des Standorts zwar eine wichtige Funktion, sie sind aber mit dem Problem eines besonders langwierigen Prozesses der Markteinführung konfrontiert. Zu forcieren sind auch Maßnahmen, die dazu beitragen, dass integrierte Versorgungssysteme entstehen. Für solche Maßnahmen, zu denen auch regionale Pilotprojekte gehören, bietet Berlin als Region mit seiner ebenso differenzierten wie hochwertigen Gesundheitsversorgung und Gesundheitsforschung vielfältige Anknüpfungspunkte. q www.diw.de GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Kosten, Preise und Ausgaben: eine aufsteigende Spirale? Der Gesundheitsmarkt ist ein wesentlicher Pfeiler der deutschen Wirtschaft Von Klaus-Dirk Henke D ie Ausgaben im Gesundheitswesen bestimmen seit Jahren das politische Geschehen. Ihre Entwicklung wird häufig im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt oder zu einer anderen Sozialproduktsgröße betrachtet. Diese so genannten Gesundheitsquoten nehmen in aller Regel zu. Deshalb mutiert die Ausgaben- entwicklung in der öffentlichen Diskussion zu einer Kostenexplosion. Anfang der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts gab es tatsächlich zweistellige Zuwachsraten bei den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Wegen dieser Entwicklung kam es zu dem ersten Kostendämpfungsgesetz im Jahre 1977, in TU BERLIN dem die so genannte Beitragsstabilität in der GKV zum Ziel der Gesundheitspolitik wurde. Seit nunmehr fast dreißig Jahren stehen die Gesundheitsausgaben im Vordergrund. Die Einnahmen werden durch die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur gesetzlichen Krankenversiche- FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 63 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT rung festgelegt. Obwohl sich die erstattungsfähigen Leistungen und die Beitragseinnahmen in der GKV mit jeder Reform verändert haben, blieb die Beitragsstabilität ein zentrales Ziel, das immer bedeutsamer wurde, aber bis heute keine statistische Bereinigung erfahren hat. Von Jahr zu Jahr wird sie mehr zu einem politischen Ziel als zu einer wirklich vergleichbaren Größe, wie beispielsweise die Stabilität der Preise, das Wirtschaftswachstum oder die Beschäftigung. Ähnlich wie der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung gerät der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung zu einem Politikum. Eine völlig andere Perspektive ergibt sich, wenn man das Gesundheitswesen als Gesundheitsmarkt oder Gesundheitswirtschaft versteht. Dann erkennt man einen der größten Teilmärkte der deutschen Volkswirtschaft, der knapp zehn Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, also etwa 4,2 Millionen Menschen. Der Umsatz liegt, je nach Abgrenzung, bei etwa 240 Milli- arden Euro und macht somit elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Potenziale dieses Sektors, der größer und bedeutender ist als die gesamte Automobilbranche, werden kaum erkannt, wenn das Gesundheitswesen immer nur als Kostenfaktor und nicht als personalintensive Dienstleistungsbranche gesehen wird. Allein in der deutschen Medizintechnik wird von einem Investitionsstau von zehn bis 15 Milliarden Euro gesprochen. Damit werden enorme Chancen für Wachstum und Beschäftigung gefährdet. Hinzu kommen die demographische Entwicklung, der medizinisch-technische Fortschritt und die steigende Nachfrage nach modernen Behandlungsmethoden, die das Gesundheitswesen zur Wachstumsbranche machen. In jedem anderen Wirtschaftszweig gelten steigende Ausgaben beziehungsweise Umsätze, eine höhere Beschäftigung und steigende Gewinne als etwas Positives. Nur im Gesundheitswesen sind diese Begriffe von vornherein negativ besetzt. Dem Kostenfaktor Gesundheitswesen steht also die personalintensive Dienstleistungsbranche gegenüber. Kernelement jeder Reform wird daher die Sicherung der Effizienz des Systems sein. Wirtschaftlichkeitsreserven gilt es permanent, 64 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN GROSSER TEILMARKT DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 wie in allen anderen Branchen auch, zu mobilisieren. Und diese Sicherung kann nur in einer für alle ausreichenden medizinischen Grundversorgung mit entsprechenden Qualitätsstandards bestehen. Eine solide Finanzierung gehört genauso dazu wie die Stärkung des Wettbewerbs. Die Gesundheitspolitik sollte sich auf die Gestaltung der dafür erforderlichen Rahmenbedingungen und entsprechender Anreize konzentrieren. Dazu gehören mehr Möglichkeiten einer marktwirtschaftlichen Erneuerung des Systems und genügend Gestaltungsspielräume für sektorübergreifende wettbewerbliche Strukturen. In ihren Grundelementen wurden diese Möglichkeiten mit dem geltenden GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) von Anfang 2004 bereits in Ansätzen geschaffen. UNEINIGKEIT ZWISCHEN DEN ENTSCHEIDERN Die zukünftige Rolle des Staates besteht darin, eine Konzentration der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben auf die medizinisch notwendigen und nach bestimmten Finanzierungsregeln zu vergütenden Leistungen vorzunehmen. Bei der Ver- GESUNDHEITSWIRTSCHAFT wirklichung dieses Ziels besteht allerdings immer wieder Uneinigkeit. Dennoch steht die Politik in der Verantwortung, die öffentlichen Kassen und die Unternehmen zu entlasten und das Potenzial für private Vorsorge zu verwirklichen. Bei dieser Herausforderung muss der medizinisch-technische Fortschritt nicht allein an seinen Kosten, sondern auch an seinem Nutzen gemessen werden. Dazu bedarf es neuer Begriffe bei der Bestimmung von Kosten und Nutzen, da die Sicht der Krankenkassen allein zu eng ist, um den Fortschritt in dieser Branche zu beurteilen. Technologie- und Innovationsförderung dürfen von den Krankenkassen also nicht deshalb behindert werden, weil sie vermeintlich die Kosten und Ausgaben treiben. Eine Förderung sollte sich auf viel versprechende Zukunftstechnologien konzentrieren oder – besser noch – nur die Rahmenbedingungen und Anreize dafür entwickeln. Die Qualität von Gesundheitsleistungen muss zum wichtigsten Parameter des Wettbewerbs werden. In diesem Zusammenhang gehört die Doppelnatur der großen Anzahl der gesetzlichen Krankenversicherungen als hoheitlicher Funktionsträger einerseits und Großunternehmer andererseits ebenfalls auf den Prüfstand. Mit dem zunehmenden Wettbewerb in der Erbringung ärztlicher Leistungen ist eine weitere Entstaatlichung der Trägerstrukturen, wie sie zum Beispiel im Krankenhausbereich zu beobachten ist, erforderlich. KOSTENTRÄGER TRAGEN KEINE KOSTEN Auch die Dualität von privater und gesetzlicher Krankenversicherung wird in ihrer historisch gewachsenen Form keinen Bestand haben. Der Krankenversicherungsschutz sollte sich perspektivisch dem Modell einer gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung annähern. Das würde eine gesetzlich vorgeschriebene (Mindest-)Versicherungspflicht, wie zum Beispiel in den Niederlanden, bedeuten und zu einer Grundsicherung bei einer Vielzahl von Versicherungsunternehmen mit unterschiedlichen Angeboten führen. Bisher wurde nur von Kosten und Ausgaben gesprochen. Während die Gesundheitsausgaben leicht zu ermitteln sind, ist der Kostenbegriff nicht nur schwer zu erfassen. Er wird auch uneinheitlich benutzt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht handelt es sich bei den Kosten um den bewerteten Verzehr von Produktionsfaktoren und Dienstleistungen, der in Personal-, Werkstoff- oder Dienstleistungskosten untergliedert wird. Auch lassen sich die Kosten nach Beschaffung, Fertigung, Vertrieb und Verwaltung unterteilen. ÖKONOMISCHE RANGFOLGE DER KRANKHEITEN Spricht man bei den Krankenversicherungen von den so genannten Kostenträgern, so ist das irreführend, weil sie nicht die Kosten im eigentlichen Sinne tragen, sondern die Ausgaben. Zu ihnen gehören die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, die gesetzlichen Unfall- und Pflegeversicherungen, die öffentlichen Haushalte, die gesetzliche Rentenversicherung sowie die privaten Haushalte und Unternehmen. Dort fallen die tatsächlichen Ausgaben an, die allerdings in der gesundheitsökonomischen Literatur und bei bestimmten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes als direkte Kosten definiert werden. Sie entstehen als Produkt der erbrachten Gesundheitsleistungen mit den dafür in Rechnung gestellten Preisen. Die Bezahlung, Honorierung, Vergütung oder Entgeltung von erbrachten Leistungen sind in aller Regel in der einen oder anderen Form hoheitlich vorgeschrieben, so dass es im Gesundheitswesen kaum Marktpreise gibt, wie wir sie zum Beispiel aus dem Einzelhandel kennen. In den Studien zu den Krankheitskosten, wie sie das Statistische Bundesamt regelmäßig veröffentlicht, gibt es daneben noch die indirekten Kosten. Sie entstehen durch die durch Krankheit und vorzeitigen Tod verloren gegangene Wertschöpfung beispielsweise dadurch, dass den kranken Menschen wertvolle Lebensbeziehungsweise Arbeitsjahre verloren gehen oder sie nicht erwerbstätig sind. Schließlich gibt es die so genannten psychosozialen Kosten. Dazu gehört unter anderen die sich vermindernde Produktivität ohne völlige Arbeitsunfähigkeit. Es ist bisher nicht möglich, die psychosozia- TU BERLIN len Kosten, die aus humanitärer Sicht im Vordergrund stehen, mit ökonomischen Kennziffern zu erfassen. Studien zu den Krankheitskosten sind in der medizinischen und gesundheitsökonomischen Literatur weit verbreitet. Ihr Ziel ist es, alle Kosten einer bestimmten Krankheit oder aller Krankheiten in einem Land nach den genannten Kategorien zu ermitteln. Die direkten und indirekten Kosten stellen eine Schätzung der gesamten Krankheitslast für eine Volkswirtschaft dar. Aus diesen Studien lässt sich eine Rangfolge nach Krankheiten entnehmen. Herz-Kreislauf-Krankheiten verursachen die höchsten Ausgaben und kosten die meiste Lebenszeit. Bei den verlorenen Erwerbstätigkeitsjahren stehen die Verletzungen und Vergiftungen an erster Stelle. Deutlich geringer schlagen die direkten Kosten der Verletzungen und Vergiftungen zu Buche. Den geringsten Ausfall bei der Erwerbstätigkeit sowie bei den verlorenen Lebensjahren verursachen die Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen. Zusammenfassend zeigt FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 65 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT sich eine ganz unterschiedliche Bedeutung der Krankheiten, je nachdem, ob die direkten Kosten, verlorene Erwerbstätigkeitsjahre oder verlorene Lebensjahre als Indikatoren ausgewählt werden. Es ist weitgehend anerkannt, dass eine Schätzung dieser volkswirtschaftlichen Kosten für die Politikberatung ein nützliches Instrument darstellen kann. Internationale Organisationen, wie zum Beispiel die Weltbank und die Weltgesundheitsorganisation, wenden diese Methode an. Das Statistische Bundesamt hat sie seit kurzem in seine Berichterstattung aufgenommen. Die Ergebnisse geben Anlass für die Frage, ob wir möglicherweise am falschen Ende sparen, wenn in der gesundheitspolitischen Diskussion die tatsächlichen Ausgaben allein im Vordergrund stehen und die indirekten Kosten kaum eine Rolle spielen. Wenn man sich die verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre durch Verletzungen und Vergiftungen vor Augen führt, ergeben sich neue Anreize für die Prävention. Wenn man erkennt, dass hinter dem zweitgrößten Posten die zahnmedizinische Behandlung steht, stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von Zahnmedizin zur Humanmedizin. Ist eine solche Verteilung von knappen Ressourcen im Rahmen einer Pflichtversicherung überhaupt gerechtfertigt? Mit der Verwendung der Mittel ist auch ihre Finanzierung angesprochen und damit wiederum die Verwendung für die Krankenversorgung und gesundheitliche Betreuung der Bevölkerung. Bei der Finanzierung und Vergütung handelt es sich um die äußere und innere Finanzierung des Gesundheitswesens. STEUERN ODER BEITRÄGE? Um die notwendigen Mittel aufzubringen (äußere Finanzierung), greifen Großbritannien und die skandinavischen Länder vor allem auf Steuern zurück. In Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Japan kommt das Geld aus der Sozialversicherung, die durch Beiträge gespeist wird. Steuerfinanzierte Systeme stehen also im Wettbewerb mit Sozialversicherungssystemen. Hinzu kommen oft risikoorientierte Prämien bei privaten Krankenversicherungen. Weitere Formen der Finanzierung stellen die Selbstbeteiligung, die Zuzahlungen und die Konsumausgaben für Gesundheitsgüter und -dienstleistungen dar, zum Beispiel im Fitness- und Wellnessbereich oder bei der Ernährung. Zur Vergütung (innere Finanzierung) kommt es im Zusammenhang mit den erbrachten Gesundheits- und Pflegeleistungen und mit der Honorierung von ärztlichen Leistungen oder ambulanten Pflegediensten. Diese »doppelte Finanzierung«, also die Finanzierung von außen und von innen, ist eine Besonderheit in der Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung. Beiträge werden erhoben und dann für die erbrachten oder eingekauften Gesundheitsleistungen verwendet. In der Rentenversicherung kommt es zu dieser Form der Mittelverwendung nur bei Rehabilitationsleistungen, nicht jedoch bei den normalen Rentenbeiträgen und Rentenauszahlungen. Dort entscheiden die privaten Haushalte selbst über die weitere Verwendung der Auszahlungen, entweder zu Konsumzwecken oder zur Bildung von Ersparnissen. Abschließend bleibt die Frage, wie viel Geld eine Gesellschaft für ihre Gesundheit ausgeben will. Hierauf gibt es keine Antwort. Eine optimale Gesundheitsquote kann wissenschaftlich nicht abgeleitet werden. Allerdings liegt ein zunehmendes Wertschöpfungspotenzial im Humanvermögen, und dazu zählt neben der Bildung auch die Gesundheit. q http://finance.ww.tu-berlin.de » Einblick Gesundheitsmarkt Deutschland: 145 Milliarden Euro im Jahr Im Geschäft mit der GeDeutschland dürfen Apotheker sundheit geht es um Milliarden: Im Jahr 2005 gaben die Krankenkassen rund 145 Milliarden Euro aus. Etwa 25 Milliarden Euro von dieser Summe flossen in Arzneimittel. Um die Höhe möglicher Einsparungen streiten sich die Experten: zwischen 20 und 30 Milliarden Euro. Allein bei der Verschreibungspraxis für Medikamente könnten die Kassen drei Milliarden Euro sparen, wenn immer die preisgünstigste Pille verschrieben würde. Der Apothekenmarkt ist streng reglementiert. In 66 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 höchstens vier Filialen besitzen. An den 2166 deutschen Krankenhäusern arbeiten rund 130 000 Ärzte. Hinzu kommen ungefähr 120 000 niedergelassene Mediziner. Haben sie eine Kassenzulassung, sind sie über Kollektivverträge der kassenärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen verbunden. Die Ballungsgebiete sind in der Regel mit Medizinern überversorgt, während in einigen ländlichen Regionen die Hausärzte fehlen. GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Fast das ewige Leben Eine zunehmend alternde Bevölkerung stellt das Gesundheitssystem vor grundlegende Probleme – ein Zukunftsszenario für Deutschland Von Markus M. Grabka und Gert. G. Wagner D er Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft nimmt zu. Werden wir deshalb verstärkt von Krankheiten und Siechtum geplagt werden? Schließen Alter und Gesundheit gar einander aus? Sicherlich nicht, denn Alter ist längst nicht gleichbedeutend mit Krankheit, Leid oder Pflegebedürftigkeit. So sind zum Beispiel nur fünf Prozent der über 60-Jährigen heute aufgrund ihrer schlechten Gesundheit pflegebedürftig. Trotzdem ist es notwendig, dass wir uns um den Alterungsprozess Gedanken machen. Zuerst einmal: Wann ist überhaupt der Mensch alt? Nach einer alten Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt als alt, wer das 65. Lebensjahr vollendet hat. Der Anteil der Alten liegt in Deutschland dabei heute bei knapp 19 Prozent. Mitverantwortlich für diesen hohen Anteil ist die gestiegene Lebenser- wartung der Bevölkerung. Lag die mittlere Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen um 1900 gerade einmal bei 45 Jahren (48 Jahre bei Mädchen), ist sie heute auf 75 Jahre (bzw. 81 Jahre) angestiegen. Folgt man den Angaben der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Bundesamtes, so wird die mittlere Lebenserwartung eines Neugeborenen bis 2050 um weitere sechs Jahre zunehmen. Verbunden mit einer niedrigen Geburtenrate stiege damit der Bevölkerungsanteil der über 60-Jährigen um mehr als die Hälfte auf knapp 40 Prozent. Der Anteil der über 80-Jährigen wird sich bis 2050 sogar mehr als verdreifachen. Der Gewinn an zusätzlichen Lebensjahren wird wahrscheinlich überwiegend in gesunden Lebensjahren verbracht werden, da die Morbidität und Mortalität ins hohe bis sehr hohe Lebensalter zurückge- TU BERLIN drängt werden. Eine der Ursachen für diese Entwicklung ist der medizinischtechnische Fortschritt. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts sank die Sterblichkeit unter Säuglingen und Kindern erheblich. Die Gründe dafür lagen in verbesserter Hygiene und medizinischen Erfolgen. Auch die ab Mitte des letzten Jahrhunderts reduzierte Morbidität und Mortalität im mittleren Lebensalter gehen auf die Erfolge der Medizin zurück. Weitere Erfolge zeichnen sich bereits ab und geben einen Einblick in die künftigen Möglichkeiten der medizinischen Versorgung. Dabei wird zum Beispiel die »Ersatzteilmedizin« aus körpereigenem Zellmaterial eine zunehmende Bedeutung erhalten. So manipulierte ein deutsch-spanisches Forscherteam Blutzellen, um sie in die Lage zu versetzen, die Aufgabe der Leber oder der Bauchspeicheldrüse zu übernehmen. Diese Idee wird Diabetikern und FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 67 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Leberkranken eine Alternative zu Insulinspritzen und zur Organtransplantation bieten. Einer der Vorzüge dieser Methode besteht darin, dass die veränderten Zellen vom Patienten selbst stammen. Damit werden sie vom Körper nicht als fremdes Material abgestoßen. Dadurch entfallen teure Medikamente, die die Abstoßung durch das Immunsystem unterdrücken und lebenslang eingenommen werden müssen. Auch das Problem von Wartelisten auf Spenderorgane würde entfallen. Die Fortschritte auf diesem Gebiet lassen hoffen, dass die Ergebnisse auf andere Organe übertragbar sind und der Mediziner bald seinem Patienten ein reiches Repertoire an speziell gezüchteten »Ersatzteilen« anbieten kann. Weitere Fortschritte der Medizin werden künftig vorwiegend nur noch bei Menschen erzielt, die ohnehin bereits sehr alt sind. Damit besteht auch die Gefahr, dass chronische – und damit teure – Erkrankungen zunehmen, beispielsweise Herz-Kreislauf-Krankheiten, Stoffwechselerkrankungen, Muskel- und Skelettkrankheiten, bösartige Neubildungen und Demenz. Peter Zweifel, Mitverfasser des einschlägigen Lehrbuchs »Gesundheitsökonomie«, spricht daher vom Sisyphus-Syndrom der modernen Medizin: Je mehr Krankheiten die Ärzte behandeln können, desto mehr erhalten die Menschen Gelegenheit, andere, bislang weniger verbreitete und behandelbare Krankheitsbilder zu entwickeln. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Zunahme von Multimorbidität, das heißt mehreren Krankheiten gleichzeitig, oder von psychischen Störungen, insbesondere Demenz und Depression, die im höchsten Altersbereich der über 85-Jährigen weit verbreitet sind. Diese neuen Herausforderungen an den medizinischen Fortschritt werden mit großer Wahrscheinlichkeit insgesamt gesehen jede Menge Geld kosten. Ein Zugewinn an Lebensqualität im höheren Alter wird daher auch eine Frage der Finanzierung der Gesundheitsversorgung sein. 68 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 FORTSCHRITT KOSTET JEDE MENGE GELD Nach Statistiken, die auf den Abrechnungsprozeduren der Krankenkassen beruhen (»Risikostrukturausgleich«), besteht ein enger Zusammenhang zwischen Alter und Gesundheitsausgaben. Ab dem 45. Lebensjahr nehmen die Ausgaben deutlich zu. Maßgeblich für ihre Höhe ist aber vor allem die Nähe zum Tod, also nicht das Alter, sondern die Jahre, die jemand noch zu leben hat, wie kürzlich von dem Gesundheitsökonomen Stefan Felder ermittelt. Somit schwächt sich der Zusammenhang zwischen dem Alter und den Gesundheitsausgaben ab, denn auch bei steigender Lebenserwartung werden nur die letzten Jahre vor dem Tod medizinisch richtig teuer werden. Der rein demographische Effekt der Ausgabensteigerung dürfte daher künftig eher moderat ausfallen. So kommt zum Beispiel das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zu dem Ergebnis, dass rein de- mographisch bedingt die Krankenhausfälle bis zum Jahr 2020 um 15 Prozent steigen werden und im anschließenden Zeitraum bis 2050 nur um weitere vier Prozent zunehmen. Allerdings beeinflussen neue Diagnosemethoden und Therapien ebenfalls die Kosten für die medizinische Versorgung. Auch der medizinischtechnische Fortschritt hat in der Vergangenheit weit stärker zur Kostenentwicklung beigetragen als allein der demographische Wandel. Insofern ist die demographische Alterung nicht der eigentliche Grund, der die Kosten des Gesundheitswesens wirklich deutlich in die Höhe treiben kann. Ein eindeutiger Altersgradient ist aber bei den künftigen Pflegekosten zu erwarten, denn eine älter werdende Bevölkerung mit vielen Hochaltrigen wird Pflegeleistungen verstärkt nachfragen. Freilich könnten neue therapeutische Verfahren, die zum Beispiel Demenz zurückdrängen, auch hier entlastend wirken. Zunehmende Alterung steigert freilich nicht nur die Ausgaben, wenn auch nur moderat, sondern verringert auch die Einnahmen, denn im gegenwärtigen System der Krankenversicherungen zahlen alte Versicherte aufgrund ihrer relativ niedrigen Einkommen (meist Renten) weniger als junge. Deswegen geht der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinen Projektionen davon aus, dass im Jahre 2040 ein Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung von 26 Prozent bis 36 Prozent zu erwarten ist. Allein die große Spannweite macht deutlich, dass die entscheidende Determinante die schwer zu prognostizierende Kostenentwicklung ist. Hinzu käme ein deutlicher Beitragssatzanstieg in der Pflegeversicherung. Damit stehen die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung mit großer Sicherheit vor dem Dilemma, entweder die Beitragssatzstabilität aufgeben zu müssen oder Leistungen zu rationieren. Letzteres hätte eine unzureichende gesundheitliche Versorgung zur Folge. Von einer denkbaren Rationierung dürften vor allem ältere Patienten betroffen sein, da sich teure Apparate für eine Behandlung im hohen Alter – rein »betriebswirtschaftlich« betrachtet – wenig lohnen. Um eine massive Rationierung von Gesundheitsleistungen künftig zu vermeiden, kann man bei der Einnahme- und GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Ausgabenseite ansetzen. Stabile Beiträge kommen einer Deckelung der Einnahmen gleich. Das ist gesundheitsökonomisch nicht haltbar. Vielmehr besteht in reichen Gesellschaften – zu denen Deutschland nach wie vor und auch in Zukunft gehört – ein zunehmender Wunsch der Menschen nach optimaler medizinischer Versorgung. Man kann dies in Deutschland zum Beispiel an steigenden privaten Ausgaben für medizinische Dienste und Wellnessangebote ablesen. Die Forderung nach stabilen Beitragssätzen ist einzig der Tatsache geschuldet, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung an die Lohnkosten gekoppelt sind. Die Politik hat dies erkannt und versucht – freilich mit sehr unterschiedlichen Konzepten wie Bürgerversicherung und Kopfpauschale – diese Koppelung zu lockern oder aufzulösen. Um soziale Ungleichheit bei der medizinischen Versorgung zu vermeiden, ist die Entkopplung der Krankenkassenbeiträge von den Lohnkosten in der Tat dringend notwendig. Denn wenn die Gesundheitsausgaben nicht mehr automatisch die Lohnnebenkosten belasten, kann das Gesundheitswesen menschenwürdig bleiben – und sogar zu einem Wachstumsmarkt werden. Die Politik ist enorm gefordert, doch der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, der keinerlei Weg aufzeigt, ist in dieser Angelegenheit nicht ermutigend. ERHEBLICHES POTENZIAL Z U R R AT I O N A L I S I E R U N G Setzt man Reformen auf der Ausgabenseite an, dann besteht in der deutschen Gesundheitsversorgung im Prinzip ein erhebliches Rationalisierungspotenzial, das niedrigere Kosten ermöglicht, ohne dass die Qualität der Versorgung leidet. So soll zum Beispiel die Einführung der Gesundheitskarte einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Informationsverlusten im Behandlungsprozess leisten. Vor allem ist aber an den Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung zu denken, wie dies der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem Gutachten 2001 zur Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit ausführlich darlegte. Denn gemessen an dem finanziellen Aufwand weist das deutsche Gesundheits- system eine unterdurchschnittliche Ergebnisqualität auf. Durch eine Ausrichtung nach strukturierten Behandlungsprogrammen oder Formen der integrierten Versorgung ließen sich Defizite – auch unter Kostengesichtspunkten – reduzieren. In einem menschenwürdigen Gesundheitswesen wird eine gewisse Verschwendung, an der Grenze zum Tod, freilich nie zu vermeiden sein. GESUNDHEITSTOURISMUS NIMMT ZU Im Rahmen einer kostenoptimierenden Behandlung wird auch der Gesundheitstourismus an Bedeutung gewinnen. Planbare medizinische Eingriffe, wie eine zahnmedizinische Untersuchung oder einfache ambulante Operationen, dürften künftig verstärkt im preiswerten Ausland durchgeführt werden. Die Kuration mit anschließendem Urlaub am Strand unter Palmen bliebe nicht nur auf den Wellnessbereich beschränkt. Eine zweite Strategie zur Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen ist der Ausbau der Prävention. Gerade chronisch degenerative Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Diabetes haben ihre Ursachen oft in einem ungesunden Lebensstil, der durch gezielte Präventionsmaßnahmen geändert werden kann. Gesunder Lebensstil mit sportlicher Betätigung, gesundheitsbewusster Ernährung und nicht zuletzt sozialer Aktivität leistet einen wichtigen Beitrag für gesundes Altern. Besonderes Präventionspotenzial besteht für Menschen mit niedrigem sozialem Status, da in dieser Schicht gesundheitsschädliches Verhalten wie Zigarettenrauchen, Alkoholkonsum und Bewegungsarmut besonders verbreitet ist. Freilich darf man von der Prävention keine Wunderdinge erwarten: Schwierige Arbeitsbedingungen machen gesundheitsbewusstes Verhalten oft sehr schwer. Es ist die Konsequenz eines längeren Lebens, dass sich Krankheiten entwickeln, die früher keine Chance hatten. Dies spricht nicht gegen die Prävention. Sie ist auf jeden Fall sinnvoll, weil sie ein gesünderes und längeres Leben ermöglicht. Aber mehr Prävention bedeutet nicht automatisch, dass die Gesundheits- TU BERLIN kosten insgesamt sinken. Ein starker Bedarf ist künftig für die Pflege zu erwarten. Nach Berechnungen des DIW dürfte es 2020 rund eine Million mehr pflegebedürftige Menschen geben – eine Zunahme um mehr als 50 Prozent. Im Jahre 2050 wird die Zahl der Pflegebedürftigen mit 4,7 Millionen sogar das 2,5fache des heutigen Niveaus erreichen. Der Grad der durchschnittlichen Pflegebedürftigkeit dürfte sich dabei überproportional erhöhen und damit die Nachfrage nach stationären Pflegediensten stärker zunehmen als die nach ambulanter Betreuung. Dieser Herausforderung stellt sich das von der Robert Bosch Stiftung geförderte interdisziplinäre Graduiertenkolleg »Gesundheit und Pflege: Multimorbidität im Alter und ausgewählte Pflegeprobleme«, angesiedelt am Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften der Charité. Das Kolleg bindet Ärzte und Forscher aus den Berliner Hochschulen und dem Berliner Zentrum Public Health ein. Im Zentrum der Forschungen steht die Perspektive der Betroffenen, die nach ihren Qualitätsurteilen und ihren Erwartungen an Pflege und Medizin befragt werden. Denn es besteht erheblicher Forschungsbedarf zur Pflegequalität und zum individuellen Pflegebedarf von Personen, die Pflege erhalten. Der Bedarf ist bereits heute beachtlich: Fast zwei Drittel der über 90-Jährigen sind pflegebedürftig. q www.diw.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 69 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT In menschlichen Dimensionen Moderne Klinikarchitektur bringt die Bedürfnisse der Patienten und die medizinische Funktionalität unter ein Dach Von Christine Nickl-Weller D erzeit verfolgen uns fast täglich Überschriften wie »Die neuen Gesundheitskonzerne«, »Die deutsche Krankenhauslandschaft ist im Umbruch« bis hin zu »An den Armen und Alten vorbei«. Sie zeigen die Irritationen in der Entwicklung des Gesundheitssystems. Die einzig überschaubare Tatsache scheint zu sein, dass in den nächsten Jahren jede vierte Klinik in Deutschland verschwinden wird. Zurzeit gibt es bundesweit rund 2200 Krankenhäuser und Kliniken. Die gesundheitspolitische Wende ist deutlich erkennbar: Zum einen zieht sich der Staat immer mehr aus seiner Versorgungspflicht zurück und überlässt das Terrain dem freien Markt. Insbesondere die Krankenhäuser entwickeln sich zu Unternehmen, die sich dem Wettbewerb stellen müssen. Außerdem rückt die Gesundheit verstärkt ins Bewusstsein der Menschen: In den Medien ist sie ein nahezu allgegenwärtiges Thema. Gleichzeitig verändert der rasante technische und pharmakologische Fortschritt die Medizin sehr stark. Beispiele sind die minimal invasive Chirurgie oder die radiologische Diagnostik. Althergebrachte Abteilungen in den Krankenhäu- 70 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 sern verschwinden, neue entstehen. Auch die Verweildauer der Patienten sinkt. Durch die demographische Entwicklung der Bevölkerung gewinnen andere Krankheitsbilder an Bedeutung, die auch andere Aufgaben für das Gesundheitswesen nach sich ziehen. Für die Architekten und Planer von Krankenhäusern ergeben sich daraus neue Anforderungen, denn die Architektur einer Klinik kann – wie Architektur überhaupt – Stimmung und Psyche positiv wie negativ beeinflussen. Sie wirkt auf die Gesundheit und hat für jeden Menschen eine sehr konkrete Bedeutung. Der GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Architekt rührt mittels der Formen des Baus intensiv an die menschlichen Sinne und erweckt das Gefühl für die Gestaltung. Im Unterbewusstsein differenzieren die Menschen zwischen Wohlklang und Disharmonie. Trotz der Kenntnis dieser Zusammenhänge wurde die gestalterische Qualität im Krankenhausbau bisher nur stiefmütterlich behandelt. Oft beschränkte sie sich auf eine farbige Gestaltung der Geschosse. Die herkömmliche Klinikarchitektur hat sich auf den reibungslosen Ablauf medizinischer Prozeduren konzentriert, ohne zu berücksichtigen, wie sie auf den Patienten wirkt. Das Ergebnis sind oft künstlich beleuchtete Katakomben für die Apparatemedizin, grell belichtete Flure nach DIN-Vorschrift oder kahle, hallige Krankenzimmer, die jegliche Intimsphäre vermissen lassen. All dies irritiert die Patienten ebenso wie das Personal und die Besucher. Die Gesundung wird verzögert statt gefördert. KRANKENHAUS ODER M E D I Z I N FA B R I K ? Zahlreiche Studien belegen, wie bedeutend beispielsweise Tageslicht für den Organismus ist oder wie richtig ausgewählte Farben die Stimmung aufhellen und damit zu Heilung und Genesung beitragen. Die medizinische Funktionalität ist künftig also nur noch ein und nicht mehr der bestimmende Aspekt des Entwerfens. Gefragt wird nach der Lebensqualität im Krankenhaus – für Patienten, Besucher und Personal. Was ist ein Krankenhaus? Ein Haus für Kranke oder ein krankes Haus? Statistisch gesehen vielleicht sogar ein Haus, das krank macht! Hochgerechnet gibt es bundesweit etwa 600 000 Menschen, die an so genannten nosokomialen Infektionen erkranken, die Erreger also im Krankenhaus aufnehmen. Das sind hundertmal so viele Menschen, wie im Straßenverkehr oder bei tödlichen Unfällen im Haushalt verunglücken. Jeder von uns kennt Krankenhäuser. Es sind Funktionsbauten, dazu gedacht, kranke Menschen gesund zu machen und gesunden Menschen einen Arbeitsplatz zu bieten. In einem Funktionsbau muss alles funktionieren, auch die Kranken: Sie sollen möglichst rasch genesen. Nachgeholfen wird mit viel Technik und noch mehr Chemie. Bis in die kleinste Körperzelle wird alles vermessen, analysiert und behandelt. B E I S P I E L A G AT H A R I E D An der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert waren die Kliniken durch Backsteinarchitektur und reiche Gründerzeitgebäude gekennzeichnet. In den 1970er-Jahren tendierten die Krankenhäuser zu gigantischen Bauten, ein Beispiel ist das Klinikum in Aachen. Damals waren die Häuser geprägt von starren Elementen, die auch aus Kostengründen künftige Veränderungen gar nicht ermöglichen sollten. Erst kurz vor der Jahrtausendwende wurde der Mensch im Krankenhausbau als Individuum neu entdeckt. Unter dem Druck der ökonomischen Vorgaben werden zwangsläufig neue Bauformen, Typologien und Visionen nötig. Die Architekten haben der Frage nachzugehen, was gute Krankenhausarchitektur ausmacht und welches die zukunftsweisenden Tendenzen sein können. Ein Beispiel für ein Krankenhaus der neuen Generation ist das Agatharied, das Krankenhaus des Landkreises Miesbach bei Bad Tölz. Seine Funktionalität ist nur noch ein und nicht mehr der bestimmende Aspekt des Entwurfs. Neben der Betreuung der Patienten ist es ein akademisches Lehrkrankenhaus, an dem junge Mediziner der Ludwig-Maximilian-Uni- TU BERLIN versität München ihr Handwerk erlernen. Ein solches Krankenhaus ähnelt einer kleinen Gemeinde: Auf 500 Betten kommen etwa 1000 Bedienstete und täglich 700 Besucher. Das neue Krankenhaus Agatharied sollte sich selbstbewusst in die Umgebung einfügen. Der Patient sollte einen möglichst großen Individualbereich innerhalb der stringenten Vorgaben zur Raumnutzung erhalten. Für die Patienten und das Personal war es vorrangig, grundsätzlich tagesbelichtete Räume und Flure zu schaffen, um Tagesund Jahreszeiten widerzuspiegeln. Licht und Überschaubarkeit schaffen emotionale Sicherheit, menschliche Dimensionen, Offenheit, entspannte Atmosphäre und Privatsphäre. Lieb gewonnene Elemente wie Kirche, Wirtshaus, Wiedererkennungswerte vermitteln Wohlbefinden, erinnern an häuslich Gewohntes. In Agatharied ist Technik kein notwendiger Zusatz, sondern integrierter Bestandteil der Architektur. Die Anforderungen an moderne Bettenhäuser ähneln den Erwartungen an Hotels. Aufgrund der demographischen Entwicklung könnte das Erdgeschoss als geriatrische Einrichtung betrieben werden. Die medizinischen Bereiche fädeln sich entlang einer »Mall« auf, sind zweiseitig erschlossen und lassen so eine maximal flexible Nutzung zu – vielleicht ein erster Ansatz hin zum Gesundheitssupermarkt. q www.healthcare-tub.com FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 71 Krankenhaus Agatharied bei Bad Tölz: luftig, hell und patientengerecht GESUNDHEITSWIRTSCHAFT » Einblick Archiv für Krankenhausbau – Spiegel des vergangenen Jahrhunderts Im Jahr 1988 wurde an der TU Berlin ein Archiv für Krankenhausbauten des zwanzigsten Jahrhunderts gegründet. Das Architekturarchiv sammelt Informationen zur Planung, zum Bau und zum Betrieb von Krankenhäusern sowie von anderen Gebäuden des Gesundheitswesens. Neben den eigenen Archivalien verweist das Archiv auf relevantes Material in anderen Archiven, bei Behörden, Krankenhausträgern und Architekten. Den Grundstock des Archivs bildeten das Archiv Riethmüller und die Bestände des Instituts für Krankenhausbau (IFK), die von 1950 bis 2000 datieren. Hans-Ullrich Riethmüller war Facharzt für Innere Medizin und später als Planungsberater für Krankenhausbau tätig. Einen weiteren Baustein der Sammlung stellt das Archiv von Richard-Joachim Sahl dar. In den Jahren 1984 bis 1997 war er Vorsitzender des Arbeitskreises Krankenhausbau und Gesundheitswesen (AKG) im Bund deutscher Architekten (BDA). Das Archiv Heinz Goerke umfasst die Jahre 1968 bis 1986, es beinhaltet Notizen zum Krankenhausbau und Medizinrecht. Professor Goerke war Mitglied des Ausschusses Medizin des Wissenschaftsrats. Hans-Georg Schwartz war seit 1966 als Architekt auf dem Gebiet des Krankenhausbaus aktiv. Im Archiv Erich Will findet man vor allem Bücher und Zeitschriften zur Architektur in der DDR von 1950 bis 1970. Erich Will war Architekt an der Bauakademie Berlin. Von 1978 bis 1987 leitete er die Gutachtenstelle des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR. Hinzugekommen sind die Archive Joachim Glomb und Roland Jaenisch. Beide Architekten waren in leitenden Positionen des Instituts für Technologie des Gesundheitswesens der DDR tätig. Neu erworben wurden auch das Archiv Krankenwohnung sowie das Archiv der Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen (AKG). q www.xxarchiv.de 72 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Das Genderparadox Das moderne Gesundheitssystem muss Unterschieden zwischen Frauen und Männern gerecht werden Von Ulrike Maschewsky-Schneider G esundheit hat für den Einzelnen und die Gesellschaft einen hohen Wert. In Deutschland stellt ein hoch entwickeltes Versorgungssystem sicher, dass die Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Hintergrund die notwendige gesundheitliche Betreuung erhalten. Leistungen zur Vorsorge sollen den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen vermindern. Ein Präventionsgesetz wird zukünftig einen umfassenden Rahmen zur Verhütung von Krankheiten und zur Förderung der Gesundheit setzen. Wenn also der Zugang aller zur gesundheitlichen Versorgung gesichert ist, warum spielen dann Geschlechterfragen in der Versorgung eine Rolle? Anhand ausgewählter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur gesundheitsbezogenen Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin soll gezeigt werden, dass die Berücksichtigung von Unterschieden und Besonderheiten in der Gesundheit von Frauen und Männern TU BERLIN eine wesentliche Voraussetzung für eine bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung und Verhütung von Krankheiten ist. Geschlecht ist aber nur eine Determinante für Gesundheit. Soziale Lage, Generationenzugehörigkeit, familiäre und berufliche Lebenslagen sind weitere wesentliche Faktoren, die für Männer und Frauen unterschiedlich ausgeprägt sind. Die Gesundheitsdaten zeigen ein zunächst paradox erscheinendes Phänomen: Frauen in den reichen Industriena- FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 73 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT tionen leben mehr als sieben Jahre länger als Männer. Gleichzeitig nehmen sie mehr und häufiger gesundheitliche Versorgung in Anspruch. Sie scheinen sich subjektiv kränker zu fühlen als Männer. Frauen gehen häufiger zum Arzt. Sie geben einen schlechteren Gesundheitszustand an, äußern mehr gesundheitliche Beschwerden und Schmerzen und haben einen höheren Gebrauch an psychotrop wirkenden Medikamenten. Dazu gehören insbesondere Schlafmittel, Schmerzmittel und Beruhigungsmittel. Gleichzeitig führen Frauen ein gesünderes Leben: Sie trinken weniger Alkohol, ernähren sich gesünder, sind seltener übergewichtig und zeigen ein deutlich weniger riskantes Verhalten im Straßenverkehr. Diese zunächst paradox erscheinenden Daten haben international zu einer stärkeren Erforschung von Geschlechterunterschieden in Gesundheit und Krankheit geführt. In den USA wurden große Forschungsprogramme aufgelegt, um die Defizite aufzuholen. Die weltweit größte Studie in diesem Kontext ist die Women’sHealth-Initiative, die kürzlich durch die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu den Gesundheitsrisiken der Hormonersatztherapie für Brustkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen Aufsehen erregte. Für Deutschland wurden die wichtigsten Erkenntnisse und Daten zur Frauengesundheit im ersten Frauengesundheitsbericht veröffentlicht. Darin wurden die epidemiologischen Erkenntnisse zur gesundheitlichen Situation von Frauen und Männern und zu den unterschiedlichen Risiken und Schutzfaktoren für die Gesundheit beider Geschlechter dargelegt. Theoretische Erklärungsmodelle konnten mehr Klarheit in das genannte Genderparadox bringen, und die Entwicklung von Methoden zum Erkennen von geschlechtsbezogenen Verzerrungen und blinden Flecken in der Gesundheitsforschung schaffte die Grundlage für verbesserte Forschungsansätze. Die Bedeutung dieser Ergebnisse für eine qualitätsund bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung von Männern und Frauen wurde erkannt und es wurden Vorschläge für ihre Verbesserung formuliert. Die entscheidenden Impulse, um die Forschung zu verstärken, ihre Ergebnisse 74 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN GROSSE FORSCHUNGSPROGRAMME AUFGELEGT TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 zu veröffentlichen und einen gesundheitspolitischen Diskurs zu initiieren, gingen von den Gesundheitswissenschaften (Public Health) aus. Zunehmend befassen sich inzwischen auch die Medizinerinnen mit Geschlechterfragen. Einige medizinische Fakultäten wie die Charité richteten sogar Zentren für die Geschlechterforschung in der Medizin ein. Hinweise auf Gründe und Ursachen für Geschlechterunterschiede und damit auf Ansätze für die Versorgung und Verhütung von Krankheiten geben die Daten zur gesundheitlichen Lage. Die geringere Lebenserwartung der Männer ist vor allem ihrer Frühsterblichkeit am Herzinfarkt geschuldet. Er gilt als Todesursache bei 11,4 Prozent der unter 65 Jahre verstorbenen Männer, aber nur bei fünf Prozent der Frauen. Hinzu kommt die hohe Rate an jungen männlichen Unfalltoten im Straßenverkehr. 13,9 Prozent der unter 65 verstorbenen Männer kamen im Straßenverkehr um, aber nur 8,9 Prozent der Frauen. Bei den unter 65-jährigen Frauen bildet der Brustkrebs mit zwölf Prozent die häufigste Todesursache. Bei den Frauen wurde in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Lungenkrebserkrankungen um ein Drittel beobachtet. Die Zahl der Herzinfarkte in Deutschland ist in den 90er-Jahren zurückgegangen, bei den Frauen unter 55 Jahren nahm sie jedoch zu. ZWEI DETERMINANTEN: GESCHLECHT UND SOZIALE S I T U AT I O N Ausgehend von diesen Daten lassen sich einige grundsätzliche Unterschiede in den Gesundheitsrisiken zwischen Frauen und Männern ausmachen. So wird vermutet, dass die Frühsterblichkeit der Männer an Herzinfarkt in hormonellen Eigenheiten begründet ist. Bei Frauen scheinen die Östrogene ein Schutzfaktor gegen den frühzeitigen Herztod zu sein. Auch andere genetische und biologische Faktoren wie die unterschiedliche Verstoffwechslung von Medikamenten spielen eine Rolle. Zahlreiche weitere Ergebnisse der Medizin und Biologie konnten inzwischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen. Einen starken Einfluss haben die anfangs erwähnten gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen, die bei den Männern GESUNDHEITSWIRTSCHAFT ungünstiger ausgeprägt sind als bei den Frauen. Allerdings beobachten wir seit einigen Jahren auch bei den Frauen negative Entwicklungen, insbesondere eine Zunahme des Rauchens, was die steigenden Trends beim Lungenkrebs und den HerzKreislauf-Erkrankungen bei den jüngeren Frauen erklärt. Für die meisten Erkrankungen und Todesursachen wurde ein Zusammenhang mit der sozialen Situation beobachtet: Sozial benachteiligte Gruppen und besonders arme Menschen tragen ein deutlich erhöhtes Krankheits- und Sterberisiko. Das gilt auch für Langzeitarbeitslose, verwitwete und geschiedene Menschen und Menschen mit einem gering ausgeprägten sozialen Netz. Diese Faktoren scheinen bei Männern allerdings in stärkerem Maße als bei Frauen die Gesundheit zu verschlechtern. Soziale Risiken sind neben den materiellen Nachteilen besonders in den spezifischen Arbeitsbedingungen und Auswirkungen auf die Gesundheit begründet. Der Frauengesundheitsbericht belegte bei Männern ein erhöhtes Unfallrisiko am Arbeitsplatz (viermal höher als bei Frauen) und höhere Arbeitsbelastungen durch Lärm, gesundheitsschädigende Stäube oder Asbest. Bei den Frauen ist der Umgang mit gefährlichen Stoffen vor allem in den Reinigungsberufen, aber auch bei den Warenkauffrauen und in den Gesundheitsberufen gegeben. Dort können riskante Stoffe zur Erwerbsunfähigkeit aufgrund allergischer Atemwegserkrankungen, Hauterkrankungen und Infektionen führen. und Konzentrationsanforderungen, Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen) als auch in Ängsten um die Sicherheit des Arbeitsplatzes begründet sein kann. Bei der Arbeitsunfähigkeit stehen psychische Erkrankungen als Ursache inzwischen an vierter Stelle – Tendenz steigend. Bei der Erwerbsminderung nehmen sie mit Abstand den ersten Platz ein, bei der Frühverrentung den zweiten. Bei Frauen sind sie häufiger Grund für Erwerbsminderung (35 Prozent im Vergleich zu 24 Prozent bei den Männern) und Frühverrentung (24 Prozent zu 14 Prozent). Zehn Prozent der berufstätigen Männer und 18 Prozent der berufstätigen Frauen geben in Befragungen an, unter Depressionen zu leiden. Affektive Störungen und Depressionen beziehungsweise Neurosen und Belastungsstörungen stellen die Hauptdiagnosen bei den durch psychische Erkrankungen bedingten Arbeitsausfällen und Krankenhausbehandlungen. Bei den Männern stehen bei den stationären Behandlungen allerdings die Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen obenan. Suizidraten nehmen bei Männern ab dem mittleren Lebensalter zu und liegen deutlich höher als bei Frauen, während Frauen mehr Suizidversuche ohne Todesfolge aufweisen. Deutlich schlechter schneiden arbeitslose Frauen und Männer ab. 24 Prozent der langzeitarbeitslosen Männer und 39 Prozent der Frauen leiden unter Depressionen. Psychische Störungen sind bei den Männern mit Abstand die häufigste Ursache für lange Krankenhausaufenthalte und machen bei ihnen mehr als doppelt so viele Krankenhaustage aus wie bei Frauen. Zwei Trends spielen hier eine Rolle: Einerseits erhöht eine schlechte gesundheitliche Lage das Risiko für den Arbeitsplatzverlust. FRAUEN KOMMEN MIT ARBEITSLOSIGKEIT BESSER KLAR Davon sind vor allem ältere Arbeitnehmer betroffen. Sie haben ungünstige Chancen am Arbeitsmarkt und einen altersbedingt schlechteren Gesundheitszustand. Andererseits ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit zu einer Verschlechterung der Gesundheit, insbesondere der psychischen Gesundheit führt. Gerade bei Männern, die häufiger als Frauen auf eine lebenslange Berufstätigkeit zurückblicken, kann der ungewoll- K R A N K E N S TA N D I S T RÜCKLÄUFIG Der Krankenstand ist in Deutschland in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Insbesondere die Dauer der Krankheitstage sank bei den Frauen stärker als bei den Männern. Orthopädische und rheumatische Erkrankungen und Verletzungen sind die häufigsten Gründe, sich krank oder arbeitsunfähig zu melden. Sie kommen bei Männern häufiger vor als bei Frauen. Zunehmend gewinnt psychischer Stress an Bedeutung, der sowohl in den Arbeitsprozessen selbst (durch Arbeitshetze, Flexibilitäts- TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 75 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT te Verlust der Berufsarbeit mit einem Verlust an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl verbunden sein. Dadurch steigt das Risiko für psychische und psychosomatische Erkrankungen. Studien deuten darauf hin, dass Frauen die mit der Arbeitslosigkeit verbundenen Belastungen besser kompensieren als Männer. Viele Frauen verbinden bewusst die berufliche und familiäre Lebensperspektive, sodass die Familie möglicherweise als psychologischer Puffer oder Ressource gegen die durch Arbeitslosigkeit hervorgerufenen psychischen Belastungen wirkt. Die Studien zur ungünstigen sozialen und gesundheitlichen Situation von allein erziehenden Frauen zeigen im Vergleich sowohl zu den in Partnerschaften lebenden Müttern als auch zu den allein erzie- henden Männern, dass diese positiven Wirkungen familiärer Einbindung nur in einer materiell gesicherten Lebenssituation und bei befriedigender sozialer Unterstützung gelten. Soziale Determinanten spielen eine bedeutende Rolle für Unterschiede in der Gesundheit und Lebenserwartung bei Frauen und Männern. Es lassen sich Determinanten ausmachen, die für beide Geschlechter mit ungünstigen gesundheitlichen Folgen verbunden sind. GESUNDHEIT UND GENDER SIND NICHT ZU TRENNEN Gleichzeitig sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit ihrer Stellung in der Gesellschaft und darin eingebundenen Geschlechterrollen, Anforderungen, Erwartungen und Belastungen verbunden. Die dargestellten Ergebnisse belegen einen geschlechtsspezifisch ausgerichteten Präventions- und Versorgungsbedarf im Gesundheitswesen. Gesundheit als Thema der Genderforschung ist eine Aufgabe, die sich nicht aus einem abstrakten Gleichheitsgebot heraus begründet. Vielmehr zielt sie auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung möglich machen. Für die Forschung gibt es Methoden, Konzepte und Theorien, die dieses Erkenntnisinteresse führen und leiten können. Es gilt, sie in der Gesundheitsforschung zu nutzen! q www.ifg-gs.tu-berlin.de » Einblick Berliner Zentrum Public Health: öffentliche Gesundheit im Fokus Die Gesundheit rückt immer mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Immer mehr Menschen wollen gesundheitsbewusst leben, das Gesundheitswesen ist ein Dauerbrenner in der politischen Debatte. Das Forschungsgebiet, das sich mit der Krankheitsverhütung, der Lebensverlängerung, höherer Lebensqualität und der Gesundheitsförderung befasst, heißt Public Health. Schon frühzeitig haben die drei großen Berliner Universitäten den Trend in der gesellschaftlichen Entwicklung erkannt: 1991 hoben sie eine Koordinationsstelle Public Health aus der Taufe. 1996 gründeten sie das Berliner Zentrum Public Health, das mittlerweile 73 Mitglieder aus allen relevanten Disziplinen zählt – aus den Universitäten und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens. Es berät seine Mitglieder bei der Akquisition wissenschaftlicher Projekte, im Qualitätsmanagement und in der Methodik. Das Zentrum übernimmt auch das Projektmanagement und informiert über die Möglichkeiten zur Forschungsförderung. Die Vernetzung der Forscher erfolgt durch Arbeitsgruppen, Newsletter per E-Mail sowie Symposien und Konferenzen. Mittlerweile haben die Mitglieder über 200 Forschungsprojekte mit einer Gesamtfördersumme von mehr als 40 Millionen Euro durchgeführt. q www.bzph.de 76 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Hand in Hand Mathematiker und Neurochirurgen haben eine neuartige Operationsmethode entwickelt, um verformte Schädel bei Säuglingen zu korrigieren Verformter Stirnschädel H ans Lamecker erinnert sich noch gut daran, als ihn Hannes Haberl vom Universitätsklinikum Charité anrief. Der Mediziner fragte, ob er ihm helfen könne, chirurgische Operationen an verformten Schädeln bei Säuglingen zu planen – in 3-D am Computer. »Ich war schnell angetan von dem Thema«, sagt der Physiker, der gemeinsam mit Kollegen im Projekt CranioSynos am DFG-Forschungszentrum MATHEON „Mathematik für Schlüsseltechnologien“ in Berlin arbeitet. Die TU Berlin hat beim Matheon die Sprecherschaft inne. Die Freie Universität und die Humboldt-Universität sowie zwei Forschungsinstitute sind ebenfalls beteiligt. Nach nur zwölf Monaten hat Lameckers Modell den Praxistest bestanden: Die weltweit erste Operation mit der für die Babys äußerst schonenden Methode ist gelungen. Schädelverformungen bei Säuglingen (Craniosynostosen) entstehen meist, weil die nach der Geburt offenen Schädelnähte zu schnell verwachsen. Neueste Studien aus Frankreich belegen, dass diese Unregelmäßigkeit die weitere Entwicklung der Babys entscheidend behindern kann, ganz zu schweigen von den ästhetischen Problemen. Für die Korrektur der verformten Knochen wird zunächst die Schädeldecke der Patienten entnommen. Danach werden die Knochenfragmente verschoben, in die gewünschte Form gebracht und schließlich verschraubt. Dabei sind die Details der Umformung bisher dem Empfinden des jeweiligen Chirurgen überlassen. »Dies verhindert eine objektive Bewertung des therapeutischen Erfolgs und erschwert die Ausbildung unerfahrener Chirurgen«, sagt Hannes Haberl. Grundlage der neuen Operationsmethode ist die statistische Auswertung von MRT-Aufnahmen gesunder Kinderschädel. Daraus erstellte Hans Lamecker eine Datenbank und errechnete mit ihrer Hilfe charakteristische Schädelmuster. »Für mich war es ein Vorteil, dass wir am MATHEON und am Berliner KonradZuse-Zentrum bereits die Grundlagen geschaffen hatten, aus den Bildern der Kernspintomographie akkurate Daten zu filtern und zu analysieren«, sagt Hans Lamecker. Auf dieser Basis entwickelte er ein 3D-Modell des Schädelknochens. Die Herausforderung aus mathematischer Sicht bestand darin, übereinstimmende Punkte auf den Schädeloberflächen unterschiedlicher Patienten anhand nur weniger anatomischer Vorgaben, wie zum TU BERLIN Beispiel der Eingänge zum Gehörkanal oder des Nasensattelpunkts, zu identifizieren. Hannes Haberl kann nun ein Muster auswählen, das dem Kopf des Patienten am nächsten kommt. Daraus entsteht ein Modell, das Haberl mit in den Operationssaal nimmt. Auf dem Modell werden während des Eingriffs die Knochen geformt und angepasst. Die Operationszeit kann sich bis um die Hälfte verringern. Durch die kürzere Zeit der Betäubung werden die Kinder viel geringer belastet, der Blutverlust reduziert sich und der Heilungsprozess wird beschleunigt. Beim ersten auf der Basis des Modells von Hans Lamecker operierten Säugling jedenfalls haben sich die medizinischen Hoffnungen von Hannes Haberl bestätigt. »Das behandelte Kind hat die Operation ohne Schwierigkeiten überstanden und konnte nach einer Woche die Klinik verlassen«, erzählt er. Auch Hans Lamecker ist um viele Erfahrungen reicher. »Ich glaube, dass wir mit unserer Methode der Visualisierung noch viele Probleme in der Medizin lösen können«, sagt er. Rudolf Kellermann q www.matheon.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 77 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Markige Versprechungen reichen nicht Health Technology Assessment beantwortet die Frage: Wann sind die neuen Gesundheitstechnologien ihren Preis wirklich wert? Von Reinhard Busse D ie Gesundheitstechnologien zeigen sich vielschichtig: Einerseits sollen sie große Erwartungen erfüllen, Diagnostik und Therapie verbessern und sichere Arbeitsplätze schaffen. Andererseits wird der medizinische Fortschritt als hauptsächlicher Kostentreiber im Gesundheitssystem gesehen. Damit stellt sich immer mehr das Problem, nützliche von unnützen Erfindungen abzugrenzen. Auch geht es darum, unter den nützlichen Innovationen diejenigen zu finden, die kostenwirksam sind, das heißt im wahrsten Sinne des Wortes »ihren Preis wert sind«. Dazu dient das so genannte Health Technology Assessment (HTA). Es soll effektive Innovationen fördern und Scheininnovationen blockieren. Unter HTA versteht man die systematische Bewertung der Anwendung medizinischer Technologien auf die Gesundheit, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft. Das vorrangige Ziel – egal, ob es sich um Arzneimittel, medizinische Geräte oder neue Organisationsformen handelt – ist die Verbesserung der Gesundheit und der Lebensqualität der Bürger. Health Technology Assessment stellt umfassende Informationen bereit, um die Entscheidungsfindung auf den verschiedenen Ebenen des Gesundheitssystems zu unterstützen. Die Bewertung der Technologien folgt einer wissenschaftlichen Methodik, die auf einer systematischen Suche nach der besten verfügbaren Information (in der Fachsprache »Evidenz« genannt) beruht. Zieldimensionen sind dabei die Sicherheit der Technologie (für Patienten und Anwender), ihre Wirksamkeit, die Konsequenzen für Ärzte und das Gesundheitssystem (werden zum Bei- 78 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 spiel Ärzte arbeitslos, weil eine Tablette eine Operation ersetzt?) bis hin zu ökonomischen Konsequenzen. Es entstehen so genannte HTA-Berichte, eine Art Gutachten, in dem die für Entscheidungsträger relevanten Informationen transparent und verständlich dargestellt sind. Das wesentliche Entscheidergremium in Deutschland ist der gemeinsame Bundesausschuss der gesetzlichen Krankenversicherung, in dem Vertreter von Krankenkassen, Ärzte, Krankenhausmanager und Patienten sitzen. Der Ausschuss vergibt Aufträge an das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität, das die Wirksamkeit bestimmter Arzneimittel evaluiert oder auch feststellt, ob bestimmte neue Therapien die Betreuung der Patienten tatsächlich verbessern. Das Institut wiederum arbeitet mit wissenschaftlichen Partnern zusammen, die bei diesen GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Evaluationen über die methodische und fachliche Expertise verfügen. Die Forscher des Fachgebietes Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin gehören eindeutig dazu. Bereits seit Jahren spielen sie international eine Rolle in der Entwicklung von HTA. Sie leiten bedeutende Arbeitsgruppen auf internationaler Ebene oder knüpfen länderübergreifende Netzwerke wie zurzeit das European Network for HTA. Diese Aktivitäten erreichten ihren bisherigen Höhepunkt im Juni 2002, als TU-Forscher die jährliche Konferenz der International Society of Technology Assessment in Health Care ausrichteten und bei der Auswahl der rund 500 wissenschaftlichen Beiträge maßgeblich beteiligt waren. Innerhalb Deutschlands sind die TUForscher eine der wichtigsten Autorengruppen für HTA-Berichte, auch für die Industrie und für Institutionen, die dem Bundesgesundheitsministerium zugeordnet sind. Seit 2002 haben die Wissenschaftler zahlreiche Innovationen bewertet, von Lasern im Einsatz gegen Kurzsichtigkeit über Dünnschichtpräparate bei Abstrichen am Gebärmutterhals bis hin zu neuartigen Tomographieverfahren in der Diagnostik von Prostatakarzinomen. Diese Liste lässt sich fortsetzen. VERGLEICH ZWISCHEN A LT E R N AT I V E N Derzeit untersuchen die Forscher beispielsweise, ob künstliche Herzkammern bei Herzschwäche tatsächlich helfen. Sie analysieren, ob Gingkopräparate gegen Alzheimer wirken oder die Demenz zumindest verlangsamen. Auf der Themenliste stehen auch Gutachten über neue medizinische Methoden bei der Behandlung von Multipler Sklerose, in der Chirurgie oder bei der Behandlung von Asthma. Der Schwerpunkt liegt zurzeit deutlich bei der Bewertung von Arzneimitteln. Sie dürfen nur dann frei bepreist werden, wenn es sich tatsächlich um eine echte Innovation handelt, also die medizinische Wirkung besser ist als bei Vorläuferpräparaten. Erfüllen sie dieses Kriterium nicht, gelten sie als »Scheininnovation« TU BERLIN und werden nur bis zur gleichen Höhe erstattet wie alteingeführte Präparate. In fast allen Industrieländern sind solche vergleichenden Evaluationen schon länger üblich – in Großbritannien etwa beschäftigen sich zwei Drittel aller HTABerichte mit Arzneimitteln. Einen wichtigen Teil eines anspruchsvollen HTA-Berichtes bilden die so genannten gesundheitsökonomischen Evaluationen. Sie stellen fest, ob eine Innovation ihren Preis wert ist. Obwohl heute fast jeder von Kosteneffektivität redet, sind wesentliche Grundannahmen vielen nicht bekannt. Unter Kosteneffektivität versteht man die Bewertung der Resultate im Vergleich zu den eingesetzten finanziellen Mitteln. Die Kosteneffektivität eines Systems oder einer Innovation ist umso höher, je besser das Ergebnis bei gleichem finanziellem Einsatz ist. Es sei an dieser Stelle betont, dass es keine wissenschaftliche Grenze gibt, ab der eine Innovation kosteneffektiv ist. Für die Bewertung ist vielmehr der Vergleich zwischen zwei oder mehr Alternativen notwendig. Am Beispiel von Arzneimitteln lässt sich die- FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 79 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT ses Problem vielleicht am besten veranschaulichen: Der Vergleich eines neuen Medikamentes mit einem Placebo – wie für die Zulassung von neuen Arzneimitteln vorgeschrieben – fällt im Normalfall ganz anders aus als ein Vergleich mit der derzeit geltenden Standardtherapie. DAS PLACEBO IM VERGLEICH Placebos sind meistens kostengünstiger und weniger wirksam, das neue Medikament scheidet gegen sie deutlich besser ab. Für die Krankenkassen oder die Ärzte ist aber viel wichtiger, ob ein neues Medikament die Therapie über die gültigen Standards hinaus verbessert. Gesundheitsökonomische Evaluationen spielen zunehmend eine Rolle bei den Leistungskatalogen, in denen die erstattungsfähigen Medikamente aufgelistet sind. Neue Arzneimittel werden dabei mit relevanten Alternativen verglichen. Das können andere Medikamente, chirurgische Eingriffe oder Bestrahlungen sein. Oder einfach nur: nichts zu tun, um beispielsweise auf die Selbstheilungskräfte des Körpers und die Zeit zu setzen. Bezüglich der Effekte, also der gesundheitsrelevanten Resultate, sind gesundheitsökonomische Studien darauf angewiesen, dass die klinische Wirksamkeit anderweitig erwiesen ist: in Studien oder aus Langzeitbeobachtungen unter der Bevölkerung. Häufig liegen jedoch nur Daten zur Wirksamkeit unter Laborbedingungen vor. Sind Kosten und Effekte erhoben, eröffnen sich meist mehrere Alternativen: Die betrachtete Innovation ist entweder günstiger und wirksamer zugleich, könnte aber auch teurer sein. Oder sie ist teurer und schlechter. Sie kann auch nur genauso gut wirken wie billigere Vorläufer. Während in den ersten beiden Fällen die Entscheidung klar ist, sollte sich in den beiden letzten Fällen eine vertiefende gesundheitsökonomische Studie anschließen. In diesem Fall sollte nicht mehr die durchschnittliche Kosteneffektivität betrachtet werden, sondern die so genannte inkrementelle Kosteneffektivität. I N T E R N AT I O N A L E UNTERSCHIEDE Dabei wird betrachtet, wie viel mehr Effektivität pro Kosteneinheit gewonnen wird, also zum Beispiel wie teuer die Vermeidung eines Krankheitsschubes bei Patienten mit Multipler Sklerose ist. Während solche Ergebnisse in Deutschland noch nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, ist dies in vielen Nachbarländern bereits üblich. Je nach Untersuchungsgegenstand und Herangehensweise beeinflussen eine Rei- he von Faktoren die Übertragbarkeit der Ergebnisse von gesundheitsökonomischen Evaluationen. Kein Land gleicht dem anderen, also ist bei binationalen oder internationalen Vergleichen stets Vorsicht geboten. Schon innerhalb eines Landes wie der Bundesrepublik spielen regionale Unterschiede bei den Kosten eine Rolle. Das ist insbesondere dann zu beachten, wenn die Evaluation auf Studien und nicht auf Erfahrungen aus dem Alltag basiert. Da die Entscheidungsträger häufig die an anderer Stelle gesammelten Ergebnisse für ihre Entscheidung nutzen möchten, ist es wichtig, die Faktoren zu kennen, welche die Verallgemeinerbarkeit beziehungsweise Übertragbarkeit einschränken können. Zwischen den Regionen verteilen sich bestimmte Krankheiten anders, auch zwischen Altersgruppen oder sozialen Schichten. Hinzu kommen der Bedarf, die Nachfrage und Präferenzen von Seiten der Patienten. Gesundheitsökonomisch spielen die Entscheidungswege in den Kliniken und ihre Prioritäten eine ganz wesentliche Rolle. Auch die Struktur des Gesundheitswesens, seine Aufgabenverteilung zwischen den Berufsgruppen, seine Finanzierung und die Preisbildung variieren unter Umständen stark, vor allem über Ländergrenzen hinweg. q www.mig.tu-berlin.de » Einblick Forschungsverbund Epidemiologie: wie sich Krankheiten ausbreiten Der Interdisziplinäre Forschungsverbund Epidemio- denkbar. EpiBerlin bearbeitet drei Schwerpunkte: Versorlogie Berlin (EpiBerlin) hat das Ziel, die in der Berliner Region tätigen Epidemiologen zusammenzuführen, um sie mit Informationen zu versorgen und zu vernetzen. Er ist Ansprechpartner für alle Akteure des Gesundheitswesens, die für ihre Forschungen auf diese epidemiologische Kompetenz zurückgreifen wollen und eine wissenschaftliche Begleitung oder Partner für ihre Projekte suchen. Epidemiologen befassen sich mit der Frage, wie sich Krankheiten in der Bevölkerung verteilen und welche Ursachen diese Verteilung hat. Belastbare Aussagen zum Gesundheitszustand der Menschen, zu den Kosten, zum Versorgungsbedarf und zu künftigen Entwicklungen, aber auch tragfähige politische Entscheidungen sind ohne epidemiologische Daten nicht 80 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 gungsepidemiologie und klinische Epidemiologie, soziale Epidemiologie sowie Pharmako-Epidemiologie. In der Versorgungsforschung wird vor allem die Betreuung von Patienten mit Herzinfarkt untersucht: In Kooperation mit dem Berliner Herzinfarktregister stehen dafür exzellente Daten zur Verfügung. EpiBerlin entstand auf Initiative des Berliner Zentrums Public Health. Beteiligt sind die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die TU Berlin und das Robert-Koch-Institut. Er wird durch den Berliner Senat und die Bund-Länder-Kommission gefördert. q www.epiberlin.de GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Gesundheitswirtschaft – med in Germany Dietrich Grönemeyer lehrt an der TU Berlin R enommierter Arzt, erfolgreicher Autor, Erfinder der Mikrotherapie, Streiter für eine patientengerechte Reform des Gesundheitswesens – und nun auch Dozent an der TU Berlin: Prof. Dr. med. Dietrich H. W. Grönemeyer hat seit einem Jahr einen Lehrauftrag im Fachgebiet Finanzwissenschaft der TU Berlin inne. Sein Spezialthema sind Innovationen im Gesundheitswesen – med in Germany. Auch im Wintersemester 2006/ 2007 wird Professor Grönemeyer wieder vor die Berliner Studenten und die Öffentlichkeit treten. Dietrich Grönemeyer wurde 1952 geboren und studierte zunächst Medizin in Kiel, wo er 1982 auch promovierte. Danach arbeitete er als Radiologe. 1990 habilitierte er sich an der Universität in Witten/Herdecke. Seit 1996 bekleidet er den Wittener Lehrstuhl für Radiologie und Mikrotherapie, den ersten Lehrstuhl dieser Art weltweit. Darüber hinaus hat er zahlreiche Gastprofessuren inne, unter anderem an der Harvard Medical School in Boston, an der Georgetown University in Washington und an der SteinbeisHochschule in Berlin. Seit 1997 leitet Dietrich Grönemeyer sein privatwirtschaftlich geführtes „Grönemeyer Institut für Mikrotherapie“ in Bochum. Innerhalb eines Jahrzehnts schuf das Institut auf dem Campus der Ruhr-Universität rund 200 Arbeitsplätze. Dietrich Grönemeyer steht für ganzheitliche Vorstellungen von der Medizin. Er geht dabei über die klassischen biomedizinischen Verfahren (so genannte Hightech-Medizin), Naturheilkunde und die Medizin anderer Kulturkreise (zum Beispiel die Traditionelle Chinesische Medizin, Ayurveda) hinaus. Sein Ziel ist eine am Menschen orientierte Medizin, die eine Person auch in ihren psychischen und intellektuellen Eigenschaften sowie gesellschaftlichen und kulturellen Bezügen wahrnimmt. Vor diesem Hintergrund ist Dietrich Grönemeyer nicht nur als Mediziner tätig, sondern sieht in seinem Beruf als Arzt auch eine politische Verantwortung. Die von Professor Grönemeyer entwickelte Mikrotherapie führt die interventionelle Radiologie, die minimal invasive Chirurgie und die Schmerztherapie zusammen. Sie wird bei Erkrankungen des Bewegungsapparates, der Blutgefäße und Krebs angewendet. Zahlreiche Gast- TU BERLIN vorlesungen in aller Welt haben zur Verbreitung der Mikrotherapie beigetragen. Grönemeyer ist weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt: In den USA wurde er im Jahr 2000 zum „Man of the Year“ gekürt. In England wurde er drei Jahre später gar „Man of the Millennium“. Er ist Träger des World Future Award 2003, der von einer Jury unter dem Vorsitz von Michail Gorbatschow verliehen wurde. Heiko Schwarzburger q www.microtherapie.de q http://finance.ww.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 81 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Ärzte als Motoren der Innovation Die Hersteller von Medizintechnik müssen möglichst früh auf ihre künftigen Kunden eingehen Von Hans Georg Gemünden 82 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN D ie Entwicklung neuer medizintechnischer Geräte ist kaum möglich, ohne die Ärzte in den Innovationsprozess einzubinden. Sie sind nicht nur die späteren Anwender der Erfindungen, sondern bringen essenzielle Kompetenzen in die Entwicklung ein. Einerseits besitzen sie das medizinische Wissen, andererseits verfügen ausgewählte Ärzte über umfangreiche technische Kompetenzen und sind fähig, die notwendigen Netzwerke für eine neue Idee, eine neue Entwicklung oder ihre Vermarktung aufzubauen. Inno- GESUNDHEITSWIRTSCHAFT vationsprozesse verlaufen daher kooperativ zwischen Herstellern und Ärzten. Es müssen unterschiedliche Akteure mit komplementären Fähigkeiten im Innovationsprozess tätig sein, da keine Seite alle benötigten Informationen und Fähigkeiten vereint. Wenn man die Ärzte frühzeitig am Innovationsprozess beteiligt, lassen sich neue Ideen schneller finden und bewerten. Die Aufwendungen für die Entwicklung und das Marketing sinken, Pilotkunden sind schneller bei der Hand, um das neue Gerät in den medizinischen Alltag einzubringen. Daraus resultiert eine höhere Effektivität der entwickelten Produkte und Dienstleistungen, das wirtschaftliche Risiko verringert sich. Ärzte können helfen, Bedürfnisse des Marktes zu identifizieren. Sie gestalten das neue Produkt mit und entwickeln selbstständig umfassende Problemlösungen. Ärzte sind unschätzbare Quellen von Wissen über die medizinische Anwendung, und sie helfen als erste Kunden, Widerstände gegen die Innovation zu überwinden. Um die Rolle der Ärzte im Innovationsprozess zu untersuchen, wurden am Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement der TU Berlin folgende Fragen analysiert: Was versetzt Ärzte in die Lage, sich produktiv am Innovationsprozess zu beteiligen? Wie müssen die Hersteller mit den Ärzten kooperieren, um von ihnen zu profitieren? Wie wirkt sich die Einbindung der Ärzte als Anwender auf den Erfolg der Innovationsprojekte aus? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurde der Innovationsprozess in drei Phasen unterteilt: in die Ideenfindung, die Entwicklungsphase und die Testphase. Die Fragen wurden anhand von fünf Fallstudien untersucht. Dabei handelt es sich um die Entwicklung eines chirurgischen Robotiksystems, um zwei neue computergestützte Navigationssysteme, ein völlig neuartiges Röntgenverfahren sowie ein biokompatibles Implantat. ÄRZTE GEBEN IDEEN Die Fallstudien zeigen, dass bestimmte Ärzte in allen drei Phasen bedeutende Beiträge zur Entwicklung leisteten. In vier der fünf Fälle waren sie sogar die Er- finder der radikalen Innovationen. Insbesondere Ärzte, die unter extremen Bedingungen arbeiten, bilden demnach eine Gruppe, die neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen ist. Ebenso lassen die Fallstudien erkennen, dass die kreativen Anwender in der Entwicklungsphase zum Teil klassische Herstellerfunktionen übernehmen. Dies äußert sich darin, dass diese Ärzte selbstständig die erforderlichen Netzwerke knüpfen, um ihre Ideen zu verwirklichen. Bestimmte Anwender sind zudem in der Lage, produktive Entwicklungsbeiträge zu realisieren. Weiterhin zeigte sich, dass in allen drei Phasen die direkte, persönliche Interaktion mit den Ärzten erforderlich ist. Die Ursache hierfür besteht in der Komplexität der zu transferierenden Informationen. Darüber hinaus erscheint es vorteilhaft, in der frühen Phase der Innovation nur eine sehr kleine, ausgewählte Gruppe von Ärzten zu konsultieren. M I TA R B E I T A N P R O T O T Y P E N Welche positiven Wirkungen die Ärzte entfalten, lässt sich gut anhand des computergestützten Navigationssystems für die Neurochirurgie belegen. Dabei entwickelte ein Team von Ärzten selbstständig den Prototypen. Der Hersteller konnte durch die Zusammenarbeit nicht nur die Idee, sondern auch den ersten Prototyp übernehmen. Das sparte Entwicklungszeit und viel Geld. Ein besonderes Augenmerk auf die Rolle von Ärzten im Innovationsprozess wurde auch bei vier Studien gelegt, die sich mit der Telemedizin, der elektronischen Kommunikation zwischen medizinischen Dienstleistern und der integrierten Versorgung beschäftigten. Sie liefen im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes »Erfolgreiche Geschäftsmodelle telemedizinischer Dienstleistungen«. Ärzte, die einen medizintechnischen Prototyp erstellt haben, besitzen mehrere Optionen. Sie können Unternehmen gründen, die Innovationen an Gerätehersteller lizenzieren oder sie frei an Hersteller weitergeben. Gleichzeitig unternehmen einige Ärzte große Anstrengungen, um die Kommerzialisierung voranzutreiben. Andere Ärzte nehmen eine eher passive Rolle ein. Ziel aktueller Forschungen TU BERLIN ist es, die Rolle der Anwender bei der Vermarktung ihrer Ideen und Entwicklungen besser zu verstehen. Sie sind in der Lage, anspruchsvolle Innovationen umzusetzen. Dabei spielen die Art der Innovation, die Branche sowie das technische und regulatorische Umfeld eine wichtige Rolle. Auch ist bedeutsam, in welchen sozialen Netzwerken die Ärzte verankert sind und wie intensiv sie mit anderen potenziellen Innovatoren kommunizieren. Weiterhin bestehen noch Unklarheiten, wie Medizintechnikhersteller die Beiträge von Ärzten innerhalb der Entwicklung und Kommerzialisierung von Medizinprodukten gezielt nutzen können. Finden sie keine gemeinsame Sprache, kann eine Innovation nicht gelingen. Diese Aspekte werden nun durch empirische Studien, kombiniert mit Patentanalysen, untersucht. Dabei stehen innovative Gesundheitstechnologien im Mittelpunkt. Abschließend soll demnächst die Rolle von Ärzten in der Telemedizin, in der integrierten Versorgung und im Export von Krankenhausdienstleistungen erforscht werden. q www.tim.tu-berlin.de FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 83 AUTOREN Autoren Dr.-Ing. Claus Backhaus studierte 1989 bis 1993 Maschinenbau an der Fachhochschule in Wiesbaden. Danach nahm er an der Fachhochschule Lübeck ein zweijähriges Zusatzstudium im technischen Gesundheitswesen auf. 1995 bis 1998 arbeitete er im technischen Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen. Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Fachgebiet Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der TU Berlin. 2004 schloss er seine Promotion ab und hält seitdem an der TU Berlin eigene Vorlesungen zu Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. ✉ claus.backhaus@awb.tu-berlin.de Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf studierte 1967 bis 1972 Elektrotechnik an den technischen Universitäten in Stuttgart und München. Es schloss sich ein zweijähriges Aufbaustudium in Arbeitswissenschaften an. Danach studierte er Medizin an den Universitäten in Regensburg und Ulm. 1980 bis 1985 bildete er sich zum Facharzt für Anästhesiologie weiter. 1981 erfolgte die medizinische Promotion. Von 1986 an arbeitete er zehn Jahre lang als Oberarzt für Anästhesiologie am Universitätsklinikum in Ulm. Seit 1997 hat er den Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie an der TU Berlin inne. ✉ wolfgang.friesdorf@awb.tu-berlin.de Prof. Dr. med. Reinhard Busse ist Professor für Management im Gesundheitswesen und Dekan der Fakultät für Wirtschaft und Management an der TU Berlin sowie Forschungsdirektor des European Observatory on Health Systems and Policies. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gesundheitssystemforschung sowie Health Technology Assessment (HTA). Er hat Medizin und Public Health in Marburg, Boston, London und Hannover studiert und habilitierte sich 1999 für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung. Von 1999 bis 2002 arbeitete er für die Weltgesundheitsorganisation. ✉ mig@tu-berlin.de Prof. Dr. rer. oec. habil. Hans Georg Gemünden hat den Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement der TU Berlin inne. Zwischen 1988 und 2000 leitete er das Institut für Angewandte Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung der Universität in Karlsruhe. Er publizierte mehrere Bücher und zahlreiche Artikel zu Innovations- und Technologiemanagement, Projektmanagement, Unternehmensführung, Organisation, Marketing, Personal und Rechnungswesen. ✉ hans.gemuenden@tim.tu-berlin.de Peter Diesing (38) studierte bis 1995 Maschinenbau und Biomedizinische Technik an der TU Berlin. Danach war er fünf Jahre als Marketingmanager bei der B. Braun Melsungen AG tätig, einem großen deutschen Hersteller für Medizinprodukte. Seit 2000 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Medizintechnik der TU Berlin. Seine Dissertation ist fertig, das Promotionsverfahren steht vor dem Abschluss. ✉ info@www.medtech.tu-berlin.de Prof. Dr.-Ing. Claudia Fleck studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität in Karlsruhe. Danach forschte sie an der University of Surrey im englischen Guildford, als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Es folgte die Promotion am Lehrstuhl für Werkstoffkunde der Universität Essen zum Thema »Ermüdungseigenschaften von Knochen«. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin am Lehrstuhl für Werkstoffkunde der TU Kaiserslautern, wo sie eine Arbeitsgruppe für Biowerkstoffe aufbaute. Seit Oktober 2004 hält sie eine Professur für Werkstofftechnik am Institut für Werkstoffwissenschaften der TU Berlin. ✉ Claudia.Fleck@TU-Berlin.de 84 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Prof. Dr. Ulrich Geske studierte Anfang der 60er-Jahre zunächst Strahlenmesstechnik an der TU in Dresden. Zwischen 1962 und 1967 folgte ein Studium der Physik an der Berliner Humboldt-Universität. 1970 promovierte er. Danach forschte er an der Akademie der Wissenschaften der DDR und lehrte an der Humboldt-Universität. 1988 übernahm er an der HumboldtUniversität eine Professur in der Informatik. Seit 1992 ist er bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) tätig, die 2001 in das Fraunhofer-Institut First eingegliedert wurde. Seit 2002 hat er eine Informatikprofessur an der Universität in Potsdam inne. ✉ geske@first.fhg.de Prof. Dr.-Ing. Olaf Hellwich studierte 1982 bis 1986 Vermessungswesen an der FH Hamburg. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Inpho GmbH in Stuttgart. 1990 bis 1992 folgte ein Studium im Vermessungswesen an der Universität von New Brunswick im kanadischen Fredericton, danach Forschungen an der Ohio State University in Columbus im USBundesstaat Ohio. Anschließend forschte er an der TU München, wo er 1997 promovierte. 2001 übernahm er die Professur für Photogrammetrie und Kartographie an der TU Berlin, seit 2004 ist er Professor für Computervision und Fernerkundung an der TU Berlin. ✉ hellwich@cs.tu-berlin.de GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN AUTOREN Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke hat seit 1995 den Lehrstuhl für Öffentliche Finanzen und Gesundheitsökonomie an der TU Berlin inne. Seit 1984 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. Von 1987 bis 1998 war er Mitglied und von 1993 bis 1998 Vorsitzender des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Seit 2004 ist er ein Sprecher des Zentrums für Innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) an der TU Berlin. Er arbeitet hauptsächlich in der Gesundheitsökonomie, zur sozialen Sicherung und europäischen Integration sowie zu finanzwissenschaftlichen Fragestellungen. ✉ K.Henke@finance.ww.tu-berlin.de Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Günter Hommel erhielt 1970 an der TU Berlin sein Diplom als Elektroingenieur. Anschließend promovierte er. 1978 ging er ans Kernforschungszentrum nach Karlsruhe, wo er auf dem Gebiet der Echtzeitsysteme arbeitete. Von 1980 an forschte er bei der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Bonn. 1982 erhielt er eine Professur an der TU München, seit 1984 hat er eine Professur an der TU Berlin inne. 2004 wurde er zugleich als Professor der Jiao Tong University in Shanghai berufen. Seit 2005 leitet er das gemeinsame Forschungszentrum der TU Berlin und der JiaoTong-Universität für Informationstechnik in Shanghai. Seine Koautoren Christian Fleischer und Andreas Wege sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Informatik und Mikroelektronik der TU Berlin. ✉ hommel@cs.tu-berlin.de Dr. Kurt Hornschild wurde 1944 in Prag geboren. 1965 bis 1970 studierte er Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität in Berlin. Danach arbeitete er drei Jahre lang als Assistent der Geschäftsleitung in einem Berliner Unternehmen. 1974 ging er als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. 1985 promovierte er an der FU Berlin. Seit 1991 leitete er am DIW verschiedene Forschungsabteilungen. ✉ k.hornschild@diw.de Prof. Dr. Stefan Jähnichen wurde 1947 in Chemnitz geboren. Er absolvierte 1974 ein Studium zum Elektroingenieur an der TU Berlin, wo er 1979 auch promovierte. Er forschte später an der Universität in Karlsruhe, dort übernahm er 1988 eine Professur für das Fachgebiet Computertechnik. 1991 wechselte er als Professor an die TU Berlin, wo er die Fachgruppe für Softwareentwicklung leitet. Seit 2001 ist er zugleich geschäftsführender und wissenschaftlicher Direktor des Fraunhofer-Instituts für Computerarchitektur und Softwaretechnologie (First) in Berlin. ✉ jaehn@cs.tu-berlin.de Dr. Christine Kallmayer erhielt 1994 ihr Diplom in Experimentalphysik an der Universität Kaiserslautern. Danach war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsschwerpunkt »Technologien der Mikroperipherik« der TU Berlin tätig. Seit 1998 ist sie für die Gruppe »System Integration on Flex« des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) verantwortlich, die sich vor allem mit Aufbau- und Verbindungstechniken auf flexiblen Schaltungsträgern beschäftigt. Zu ihren Arbeitsgebieten gehören Entwicklungen im Bereich Klebetechnologien für Smart Cards und Smart Labels sowie in der Aufbau- und Verbindungstechnik für Medizinprodukte, intelligente Textilien und die entsprechende Zuverlässigkeitsanalytik. ✉ kallmayer@izm.fraunhofer.de Prof. Dr. Marc Kraft wurde 1967 in Hennigsdorf geboren. Er war zunächst Militärflieger und schloss danach ein Zweitstudium im Maschinenbau ab. Es folgten 1999 die Promotion und eine fünfjährige Tätigkeit als Entwicklungsleiter bei der Berliner Vanguard AG beziehungsweise bei der Otto Bock HealthCare GmbH in Duderstadt. Seit 2004 ist er Universitätsprofessor und Leiter des Fachgebietes Medizintechnik der TU Berlin. Marc Kraft ist einer der Sprecher des Zentrums für innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) der TU Berlin. ✉ marc.kraft@tu-berlin.de Dr.-Ing. Dr. sc. techn. Klaus-Dieter Lang wurde 1956 geboren. Von 1976 bis 1981 studierte er Elektrotechnik an der HumboldtUniversität zu Berlin. Von 1981 bis 1991 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Elektronik der Humboldt-Universität tätig, wo er 1985 promovierte und sich 1989 habilitierte. 1991 bis 1993 wirkte er am Aufbau eines Bereiches für Mikrofügetechnik und optische Verbindungstechnik der SLV Hannover mit. 1993 wechselte er wieder nach Berlin, als Gruppenleiter am Bereich Chipverbindungstechnik des FraunhoferInstituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM). 2001 übernahm er den Aufbau und die Leitung der interdisziplinären Projektgruppe »Microsystem Engineering« am IZM und des TU-Forschungsschwerpunkts »Technologien der Mikroperipherik« in Berlin-Adlershof. Seit März 2003 ist er Stellvertreter des Institutsleiters am Fraunhofer IZM. ✉ kdlang@izm.fraunhofer.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 85 AUTOREN Prof. Dr. Heinz Lehr wurde 1947 in Speyer am Rhein geboren. Er studierte Physik an der TU und an der FU Berlin und promovierte 1981 am Hahn-Meitner-Institut über die Fusion schwerer Ionen. Danach wechselte er zum Elektronenbeschleuniger Bessy. 1986 konzipierte er an der Europäischen Speicherringlichtquelle ESRF in Grenoble ein Synchrotron. Ab 1991 baute er am Institut für Mikrotechnik in Mainz (IMM) neue mikro- und feinwerktechnische Fertigungslinien auf und wurde zum Forschungsdirektor und Prokuristen ernannt. Heinz Lehr entwickelte und patentierte Produkte der Mikrotechnik für die Automobil-, Medizin- und Kommunikationstechnik. Seit 1997 leitet er das Fachgebiet Mikrotechnik an der TU Berlin. Er plante das Anwenderzentrum Mikrotechnik bei Bessy (AZM) und baute es zusammen mit seiner Mannschaft sowie der Bessy GmbH auf. Heinz Lehr ist Sprecher des Netzwerkes für Medizinische Mikrosystemtechnik und Mitglied im Zentrum für Mikrotechnik (ZemiI) in Berlin-Adlershof. ✉ lehr@iridium.fmt.tu-berlin.de Prof. Dr.-Ing. Heinz U. Lemke wurde 1941 geboren. Ende der 60er-Jahre studierte er Computerwissenschaft an den Universitäten in London und Cambridge, wo er 1970 auch promovierte. Seit 1974 ist er Professor für Informatik an der TU Berlin. In diesem Jahr wurde er emeritiert. Er ist außerdem Gastprofessor in den USA, Japan, China, Ägypten und der Schweiz. ✉ hul@cs.tu-berlin.de Prof. Dr. phil. Ulrike Maschwesky-Schneider wurde 1947 in Bielefeld geboren. Nach einem Soziologiestudium und der Promotion an der FU Berlin im Jahr 1979 wandte sie sich gesundheitswissenschaftlichen Themen zu. Von 1984 bis 1996 leitete sie die Abteilung für Epidemiologie am Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin. Seit 1996 ist sie Professorin am Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin. Sie ist Sprecherin des Berliner Zentrums Public Health. ✉ ums@ifg.tu-berlin.de Prof. Dr. Axel Mühlbacher, Jahrgang 1970, lehrt und forscht im Fachgebiet Volkswirtschaftslehre, Gesundheitsökonomie und Ökonometrie an der Fachhochschule Neubrandenburg, am Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) an der TU Berlin und am Berliner Zentrum für Public Health. AxelMuehlbacher@finance.ww.tu-berlin.de 86 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 Prof. Dr.-Ing. Dirk Müller studierte zwischen 1989 und 1995 an der RWTH in Aachen. 1999 promovierte er und arbeitete danach bis 2002 in der Forschungszentrale der Robert Bosch GmbH als Projektleiter für die Analyse und Modellierung von Strömungen. Danach forschte er ein Jahr lang bei der Behr GmbH als Prozessleiter für Simulationsverfahren. 2004 wurde er als Professor ans Hermann-Rietschel-Institut/Institut für Energietechnik der TU Berlin berufen. ✉ dirk.mueller@tu-berlin.de Dr. rer. nat. Reinhard Mylius (†), studierte zu Beginn der 70erJahre an der TU Dresden das Fach Fertigungsprozessgestaltung. Danach war er an der Humboldt-Universität in Berlin tätig, wo er promovierte. Seit 1994 war er Projektmanager und Administrator im Dialysecentrum am Treptower Park in Berlin. Prof. Christine Nickl-Weller wurde 1951 in Bad Reichenhall geboren. Sie studierte Architektur an der TU München und legte 1977 die zweite Staatsprüfung ab. Bis 1989 forschte sie an der TU München, danach nahm sie eine freischaffende Tätigkeit als Architektin auf. Seit Februar 2004 ist sie Professorin auf dem Lehrstuhl für den Entwurf von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens an der TU Berlin. ✉ mail@healthcare-tub.com Prof. Dr.-Ing. Reinhold Orglmeister studierte Elektrotechnik an der TU Berlin. Dort promovierte er 1985 über elektromagnetische Felder. Anschließend war er über fünf Jahre am Forschungsinstitut sowie im Geschäftsbereich Mobile Kommunikation der Robert Bosch GmbH in Berlin tätig. 1991 folgte er dem Ruf an die TU Berlin, wo er als Geschäftsführender Direktor das Institut für Energie- und Automatisierungstechnik leitet und das Fachgebiet Elektronik und medizinische Signalverarbeitung vertritt. ✉ Reinhold.Orglmeister@tu-berlin.de Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Herbert Reichl wurde 1945 in München geboren. Zwischen 1966 und 1970 absolvierte er ein Studium der Elektrotechnik an der dortigen TU, wo er 1974 auch promovierte. Seit 1971 forschte er am Fraunhofer-Institut für Festkörpertechnologie (IFT), wo er 1977 die Leitung der Abteilung »Halbleitertechnologie und Sensorik« übernahm. 1981 folgte die Berufung an die Fachhochschule München, 1987 übernahm er eine Professur für Aufbau- und Verbindungstechnik an der TU Berlin. Zugleich wurde er Leiter des Forschungsschwerpunktes »Technologien der Mikroperipherik« an der TU Berlin. Seit 1993 leitet er in Personalunion zugleich das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Berlin. ✉ reichl@tu-berlin.de GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN AUTOREN Prof. Dr. Helmut Schubert leitet das Fachgebiet Keramik am Institut für Werkstoffwissenschaften der TU Berlin. Seine Koautoren Almuth Berthold und Rolf Zehbe sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut. Dr. Astrid Haibel arbeitet in der Strukturforschung (Werkstoffe) am Hahn-Meitner-Institut in Berlin. Ullrich Gross erforscht neue Biomaterialien an der Charité, Campus Benjamin Franklin. ✉ schubert@ms.tu-berlin.de Prof. em. Dr. h.c. mult. Dr.-Ing. E.h. mult. Dr.-Ing. Günter Spur wurde 1928 in Braunschweig geboren. Er studierte Maschinenbau an der TH in Braunschweig. Nach einer kurzen Industrietätigkeit bei der Firma Gildemeister kehrte er zur TH zurück und promovierte dort 1960. Danach arbeitete er wieder bei Gildemeister als Konstruktionsdirektor. 1965 übernahm er das Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin. 1976 gründete er das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin. 1997 übergab er die Institute an seinen Nachfolger. Zwischen 1991 und 1996 war Spur Gründungsrektor der TU in Cottbus. ✉ spur@ipk.fraunhofer.de Prof. Dr. rer. oec. Gert G. Wagner ist Lehrstuhlinhaber für Empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin sowie am DIW Berlin Leiter der Längsschnittsstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) und Forschungsdirektor. Er ist Vorsitzender des »Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten«, Mitglied des Wissenschaftsrats und des »Statistischen Beirats«. Wagner ist Mitglied der Arbeitsgruppe »Chancen und Probleme einer alternden Gesellschaft« der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und acatech. Er arbeitet in mehreren nationalen und internationalen Forschungsnetzwerken mit: Berliner Zentrum für Public Health (BZPH) und Forschungsinstitut Zukunft der Arbeit (IZA), Bonn, und Centre for Policy Research (CEPR) in London. Wagner war 1997 bis 2002 Lehrstuhlinhaber an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und 1992 bis 1997 an der Ruhr-Universität Bochum. Er war Gastprofessor an der Cornell University, Syracuse University und American University in Washington. Sein Koautor Dr. Markus M. Grabka ist ein auf Public Health spezialisierter Mitarbeiter am DIW. Er wurde an der TU Berlin promoviert. ✉ G.Wagner@ww.tu-berlin.de Prof. Dr.-Ing. Manfred H. Wagner, geboren 1948 in Stuttgart, studierte Physik und Physikalische Chemie an der Universität Stuttgart und der Oregon State University in Corvallis, USA. Nach der Promotion im Jahre 1976 war er bis 1979 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Polymere der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Danach folgte eine neunjährige Tätigkeit bei der damaligen Hoechst-Tochter Sigri GmbH (heute SGL Carbon AG). Daneben war er Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg für das Fachgebiet Rheologie der Polymerschmelzen und an der Fachhochschule Offenburg für Kunststofftechnik und Grundlagen der Chemie. 1988 wurde er an die Universität Stuttgart auf die Professur für Numerische Strömungsmechanik und Rheologie berufen. 1999 folgte er einem Ruf an die TU Berlin und leitet seitdem das Fachgebiet Polymertechnik und Polymerphysik des Instituts für Werkstoffwissenschaften. ✉ manfred.wagner@tu-berlin.de Prof. Dr. Herbert Weber wurde 1940 geboren. 1967 diplomierte er an der TU Berlin in der numerischen Mathematik, wo er 1970 auch promovierte. Danach forschte er am Massachusetts Institute for Technology (MIT) in Boston und bei IBM im kalifornischen San José. Anschließend arbeitete er am Hahn-Meitner-Institut in Berlin. 1983 erhielt er den Lehrstuhl für Softwaretechnologie an der Universität in Dortmund. 1992 übernahm er die Leitung des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST) in Berlin und eine Professur für Computergestützte Informationssysteme an der TU Berlin. Im Herbst 2005 wurde er emeritiert. ✉ hweber@cs.tu-berlin.de TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN 87 IMPRESSUM Impressum HERAUSGEBER Technische Universität Berlin, Presse- und Informationsreferat, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin ☎ (030) 314-2 39 22, -2 29 19, I (030) 314-2 39 09 ✉ pressestelle@tu-berlin.de q www.tu-berlin.de, q www.tu-berlin.de/forschung-aktuell REDAKTION Heiko Schwarzburger, Stefanie Terp (CvD), Dr. Kristina R. Zerges (Chefredaktion) BILDNACHWEIS U2, U4, S. 1, 12, 13, 14, 22, 23, 33 oben, 35, 40, 46, 47, 49, 50, 51, 52: TU Berlin S. 36, 55, 58, 73, 74, 75: TK S. 4, 16, 26, 42, 43, 44, 45, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 78, 79: AOK S. 18, 19 oben, 20: Fraunhofer IZM, S. 8, 9, 10, 31, 37, 39: Ulrich Dahl S. 32, 33 unten: Kardiologische GP Bielefeld S. 5, 6, 34: Schering AG S. 27, 67, 76: DAK; S. 38, 83: DAK/Wigger; S. 48,53, 82: DAK/Scholz S. 27: Berliner Universitätsklinikum Charité Titelbild, S. 28, 29: BV Med S. 21: Celon AG S. 25: Otto Bock Health Care GmbH S. 19 unten: Heiko Schwarzburger S. 15: Magforce Nanotechnologies AG S. 30: GS Berlin S. 60, 61, 62: Eckert & Ziegler AG S. 70, 71: Nickl & Partner S. 77: Matheon S. 81: Grönemeyer Institut für Mikrotherapie Grafik S. 59: dtf S. 72: Bernadette Grimmenstein L AY O U T U N D G E S A M T H E R S T E L L U N G deutsch-türkischer fotosatz, Berlin (dtf), Markgrafenstraße 67, 10969 Berlin, (030) 25 37 27-0, satz@dtf-berlin.de VERTRIEB Ramona Ehret, Presse- und Informationsreferat Auflage: 5500 Exemplare Erscheinungstermin: September 2006 ISSN 0176-263X 88 TU BERLIN FORSCHUNG AKTUELL 2006 GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN Das Titelbild von »Forschung Aktuell« zeigt einen künstlichen Hüftkopf, dessen Metallschaft in den Oberschenkelknochen eingesetzt wird. Die Kugel greift als Gelenk in die Hüftpfanne. Davon werden allein in Berlin jedes Jahr rund 4000 Stück eingesetzt. Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie an der TU Berlin D as Zentrum vereint Ingenieure, Mediziner und Ökonomen mit dem Ziel, die in der Gesundheitsstadt Berlin vorhandenen umfangreichen Kompetenzen in den Bereichen Gesundheitstechnologie und Gesundheitswirtschaft zu bündeln und weiter auszubauen. Es wurde im Oktober 2004 an der TU Berlin gegründet und ermöglicht die interdisziplinäre Zusammenarbeit von 23 Fachgebieten der Universität. Der Gegenstand: Gesundheitstechnologie • Nutzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in Verbindung mit erfinderischem Handeln • Technologischer Fortschritt für eine bedarfsorientierte und kostengünstige Gesundheitsversorgung • Neue Fragestellungen führen zu innovativen Forschungsrichtungen und -ergebnissen • Interdisziplinäre Ansätze als Schlüssel zum Erfolg • Umsetzung in Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation • Innovative Gesundheitstechnologie als Markt der Zukunft Die Kompetenzen • Digitales Krankenhaus • E-Health • Gesundheitswirtschaft • Innovative medizinische Technologien • Werkstoffe im Zellkontakt Die Zukunftsthemen • Kreislaufprozesse für Medizinprodukte • Digitalisierte integrierte Versorgung • Innovatives Gesundheitsmonitoring • Finanzierung, Vergütung und Steuerung Die Ziele • Bündelung der einschlägigen TU-Kompetenzen • Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren, Medizinern und Ökonomen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis • Gemeinsame Realisierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten Kontakt Geschäftsstelle: Technische Universität Berlin Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie (ZiG) Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin ✉ zig@tu-berlin.de ☎ (030) 314 -2 19 70 (Sekretariat) (030) 314 -2 16 18 I (030) 314- 2 15 78 q www.zig-berlin.de/