- Augustin

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- Augustin
D I E E R S T E Ö S T E R R E I C H I S C H E B O U L E VA R D Z E I T U N G
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NUMMER
303
24. 8. 2011 – 6. 9. 2011
W
enn mir fad ist, und das kommt jedes Jahrzehnt einmal
vor, stöbere ich in Parlamentsprotokollen. Beim Studium
der Budgetdebatte im Parlament, 3. Dezember 1980, stieß
ich auf den Begriff des Zundgeldes. Das ist das Geld, das die Polizei für heiße Tipps in der Rauschgiftszene braucht. Die ÖVP regte
sich mächtig über die Sparpolitik in Angelegenheit des Zundgeldes
auf. Hier zum Beispiel die Ausführungen des Nationalratsabgeordneten Lichal:
«Seit eineinhalb Jahren hat der Bundesminister versprochen, es
wird eine Suchtgifttruppe aufgebaut, es werden Undercovers, verdeckte Fahnder, eingeführt und alles das mehr. Zum so genannten Zundgeld haben Sie auf meine wiederholte Frage erklärt, entsprechende
Ansätze sind im Budget vorhanden. Herr Minister, Sie kennen das
nicht, ich sage es Ihnen noch einmal, schauen Sie es sich an: Zundgeld. Für einen heißen Tipp in der Rauschgiftszene brauchen Sie Geld,
denn sonst bleibt der in der Szene, weil er ja beim Handel mehr verdient, da wird er nicht der Exekutive einen Wink geben, daher muss
man dort Geld zur Verfügung haben. Sie haben zwar ein Vorzeigegeld, das man jemandem hinzeigen kann, Sie haben aber kein Geld,
auch für einen Tipp zu zahlen, denn wenn für ganz Wien monatlich 2000 Schilling tatsächlich zur Verfügung stehen, dann ist das ein
Hohn, dann kann die Öffentlichkeit sich nicht damit zufrieden geben.
(Beifall bei der OVP.) Und dass bei Veranstaltungen heute in Wien
schon vielfach offenkundig Rauschgift genommen wird, das kann der
Gesundheitsstadtrat von Wien bestätigen. Wir haben an einem Benefizkonzert in den Sofiensälen teilgenommen, und es war eindeutig
festzustellen, dass ein Teil der Anwesenden, wie es in diesem Jargon
heißt, breit waren oder voll waren, und Sie haben dann offen auch so
genannte Joints – das sind Haschisch-Zigaretten – angeboten, auch
uns selbst angeboten. Und nichts ist passiert!».
Ist mir dann immer noch fad, versuche ich, Erkenntnisgewinne aus dem Gelesenen zu ziehen, denn als L’art pour l’art ist mir
die Lichal-Rede doch zu «gscheadasiatisch» (Ausdruck unserer «Stimmgewitter Augustin»-Diva Heidi Gross für
provinziell).
Was also sagt uns diese
Ist mir dann immer
Rede? Erstens: Die Drogenprohibition
noch fad, versuche funktioniert nicht. Ein heutiger Lichal
ich, Erkenntnisge- bräuchte das Wort «Joints» nicht mehr
zu übersetzen, denn was Hunderttauwinne aus dem Ge- sende rauchen, kann kein Fremdwort
lesenen zu ziehen. mehr sein. Ein zukünftiger Lichal wird
sich in 30 Jahren ärgern, in der Parlamentskantine dem Duft der illegalen Joints nicht entgehen zu können.
Zweitens, und das ist wohl das Interessantere: Im Sinne der wünschenswerten Entkriminalisierung von
Marihuana-Gebrauch und Marihuana-Handel wird das Zundgeld
obsolet. Der Einsatz von Zundgeld wird aber dort interessant, wo
es um lebensbedrohende Kriminalität geht. Dass die Staaten am ersten Höhepunkt der aktuellen Krise den Finanzbossen Zundgeld in
Milliardenhöhe gaben, um an Insiderinformationen über die Methoden der Vermögenden heranzukommen, wie sie sich in der Krise
bereichern, finde ich vom Ansatz her genial gehandelt, in der Höhe
aber maßlos. Oder habe ich den Zweck der staatlichen Milliarden,
die an die Banken flossen, nicht richtig kapiert?
R. S.
Au s d e m I N H A LT
Zundgeld, Joints,
Sofiensäle …
303
2 editorial |
A
10
Chaos auf der MS Schönbrunn. Über ein zu Tode gespartes Kurzurlaubsprojekt.
11
Wachaubahn gerettet? Leider nicht für
den Berufs- und Güterverkehr
Elf Stiegen im Gemeindebau. So
lässt sich der Arbeitsplatz der Hausbetreuerin Suzana Ebert definieren
15
„
“
England: Brennende Probleme
26
Was macht Mankell, wenn er nicht Fälle
für Wallander erfindet? Er macht Theater –
in Übelbach und in Maputo
28
Musikarbeiter unterwegs.
Mit den Happy Kids im Café
Neandertal
Wohngemeinschaft gesucht.
Die Suche wird
nicht leichter, wenn
man Piefke ist
32
uf Englands Straßen brennt es. Das kommt
nicht aus dem Nichts. Um gegenzusteuern
gilt es Zusammenhänge zu sehen, Kontext
zu begreifen, Gewalt nicht zu entschuldigen.
Wenn wir uns drei Indikatoren anschauen: Erstens
die Gewaltrate, zweitens die Anzahl der Gefängnisinsassen und drittens das Wohlergehen von Kindern.
Und dann diese drei Indikatoren mit der sozialen
Ungleichheit verknüpfen, die in unterschiedlichen
Ländern besteht, dann bekommen wir als Ergebnis:
Wo die soziale Schere auseinandergeht, dort herrscht
mehr Gewalt, dort sitzen mehr Menschen im Gefängnis und dort ist die Lebensqualität der Kinder
viel schlechter.
In den USA wird alle drei Stunden ein Kind mit einer Waffe getötet, in England werden über eine Million Gewaltverbrechen in einem Jahr registriert. Das
ist wesentlich höher als in anderen Staaten mit ähnlicher Wirtschaftskraft. Je höher die soziale Ungleichheit in einem Land, desto mehr an Gewalt ist zu verzeichnen. Dasselbe gilt für die Anzahl der Personen,
die in Gefängnissen sitzen. Auch hier weist England
eine extrem hohe Rate auf.
Der Report der UNICEF misst mehrere unterschiedliche Aspekte des Wohlergehens von Kindern: Einkommenssituation, Gesundheitszustand,
Bildung, Selbstbestimmung etc. Das Ergebnis: England weist hier ganz schlechte Werte auf. Je größer
die Unterschiede zwischen Arm und Reich, desto schlechter die Lebensqualität von Kindern. Der
Zusammenhang war in dem Land am stärksten, in
dem die höchste Anzahl der Kinder vorlag, die unter weniger als der Hälfte des durchschnittlichen
| eingSCHENKt
Einkommens im Land lebt. Nicht wie reich wir
insgesamt sind, ist hier entscheidend, sondern
wie stark die Unterschiede zwischen uns sind.
Geht die Schere zwischen Arm und Reich noch
mehr auf, heißt das mehr Krankheiten und
geringere Lebenserwartung, mehr TeenagerSchwangerschaften, mehr Status-Stress, weniger Vertrauen, mehr Schulabbrecher, vollere
Gefängnisse, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos.
Denn: Armut ist kein Eigenschafts-, sondern ein
Verhältniswort. Es geht immer um relative Ungleichheit, um relative Lebenslagen, um den Vergleich, um
Ausschluss, um Kränkung. Armut im Reichtum, Diskriminierung in posaunter Gleichheit, abhängige
Herkunft bei versprochener Zukunft.
«Cameron bietet uns Grütze und sagt uns dann,
sie schmeckt wie Kaviar», schimpft ein Jugendarbeiter aus London. Die Jugendzentren werden geschlossen, die Unterstützung für günstige Wohnungen um
60 Prozent gekürzt, die Schulen verfallen, prekäre
Jobs breiten sich aus – und die Regierung nennt das
dann ihre «Big Society». Derweil wurden die Gelder in den Finanzdistrikten der Londoner City verspekuliert oder in den Sicherheits- und Kontrollapparat verschoben. So viele Kameras auf öffentlichen
Plätzen gibt’s nirgendwo in Europa, dem Gefängnisund Sicherheitsbusiness geht es prächtig. Und Cameron kündigte an, die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter zu bekämpfen, statt die sozialen
Probleme im Land. So werden die brennenden Probleme nicht kleiner.
Martin Schenk
3
Die Redaktion bittet
um Verzeihung. Martin Schenks Rubrik in
Ausgabe Nr. 302, in
der die Vermögensungleichheit mittels Verwandlung Österreichs
in einen Apfelbaumgarten veranschaulicht
wird, bricht in der letzten Zeile vorzeitig ab.
In ganzer Pracht lautet
der Satz: Hier hat einer
allein 9 Äpfel.
303
fanpost |
Vom Krieg der
Banken gegen die
kleinen Leute
AUGUSTIN
erhält
keinerlei
Subventionen
In den Jahren 2001/2002 habe ich bei der
Erste Bank einen Kredit von 15.000 Euro
für meinen damaligen Lebensgefährten
aufgenommen und um mein Girokonto
von minus 6.000 auf 0,00 zu bekommen.
Damals wusste ich leider nicht, dass mein
Lebensgefährte spielsüchtig ist und das
Geld verspielt hat. Die Beziehung ist in die
Brüche gegangen, und da ich den Kredit
selbst (ohne Bürgen) aufgenommen habe,
hat sich mein Lebensgefährte auch nicht
weiter um die versprochenen Zahlungen
gekümmert, da diese auf meinen Namen
laufen. Aufgrund von schweren Depressionen und persönlichen Problemen wurde
ich sehr krank, danach arbeitslos und infolgedessen zahlungsunfähig. Derzeit bin ich
stabil, musste mich wieder in die Gesellschaft integrieren und habe mir eine Beschäftigung gesucht. Dies war psychisch als
auch physisch ein sehr schwerer Weg für
mich bzw. ist es immer noch. Seit ungefähr
5 Jahren zahle ich regelmäßig meine Schulden ab, doch diese werden nicht weniger.
Ich habe eine Bewilligung der Gehaltsexekution erhalten. Dabei habe ich bemerkt,
dass sich die Schulden trotz meiner Zahlungen mehr als verdoppelt haben – auf
34.227,21 Euro per 31. 7. 2011. Dabei habe
ich einen rekordverdächtigen Zinssatz von
täglich 20 Euro (11 % + 16,5 % p.a.). Ich
besuchte die Schuldnerberatung. Da die
Gläubiger auf meine Briefe (Briefmuster
der Schuldnerberatung) nicht reagiert haben, musste ich vor kurzem auf meine Kosten einen Rechtsanwalt einschalten. Dieser
meinte sehr zynisch, ich solle mich besser gleich «arbeitslos» melden. Dies wäre
besser, da die Bank bei meinem Verdienst
(1.450 pro Monat) den gesamten Betrag
Museum entbehrlicher Dinge
4
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Claudia Poppe
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Karl Berger, Gerda Kolb, Mario Lang
(lama, DW: 13), Evi Rohrmoser, Reinhold Schachner (reisch, DW: 12), Robert
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Manfred Wieninger. ILLUSTRATIONEN: Karl Berger, Anton Blitzstein, Thomas Kriebaum, Carla Müller, Magdalena
Steiner. TEXTE: Marion Draxler, Hubert
von
Mario Lang
Nahm Joyce den Halb-Sechs-Uhr-Zug
oder den Halb-Elf-Uhr-Zug?
Von den beiden für Joyces Ausreise in Frage kommenden Bahnfahrt-Varianten erklärt die länger dauernde nicht nur den erwähnten Aufenthalt in Innsbruck, sie passt zudem nahtlos in
jene plausiblere Chronologie, die den aktuellen
Forschungsstand darstellt. Im wahrscheinlichen Fall dass Joyce und seine Familie in Triest
am 28. Juni 1915 um 22:30 diesen Zug nach
Zürich genommen haben, sind sie laut Fahrplan nach knapp 32 Stunden Bahnfahrt (davon 1:40 Stunden Aufenthalt in Innsbruck)
am 30. Juni 1915 um 6:50 in Zürich angekommen, wo sich die Familie im «Gasthaus Hoffnung» einquartiert und Joyce
im Lauf des Tages sofort seine Korrespondenz wieder aufgenommen
hat. Nachfolgend nochmals die beiden Varianten.
Abfahrt Nachmittags (dauert
knapp 21 Stunden, nur kurzer Aufenthalt in Innsbruck)
Triest ab 17:30
Innsbruck an 7:10, ab 7:20
Feldkirch ab 11:15
Zürich an 14:23
Abfahrt Nachts (dauert knapp 32 Stunden, davon 1:40 Aufenthalt in Innsbruck)
Triest ab 22:30
Innsbruck an 18:20, ab 20:00
Feldkirch ab 02:30
Zürich an 6:50
Joyce hat allem Anschein nach die zweite Variante gewählt.
Anmerkung der Redaktion: Unser Leser Willy Weis stellte diesen Text,
den er auf der Homepage des Wiener James-Joyce-Experten Andreas
Weigel fand, in unser «Museum entbehrlicher Dinge». Er hält überhaupt nichts von dieser «unproduktiven und lächerlichen Erbsenzählerei», wie er schreibt. Dagegen protestiert die Augustin-Redaktion.
Weigels akribische Suche nach Österreichbezügen im Leben und
Werk des Weltliteraten ist Teil des «Gesamtkunstwerks« James Joyce,
ebenso wie Magdalena Steiners Ulysses-Comics im Augustin oder die
Bloomsday-Feste, die alljährlich überall auf der Welt stattfinden.
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AUGUSTIN erscheint jeden 2. Mittwoch
Auflage dieser Nummer: 30.000
Mitglied des International
Network of Street Papers
PSK, Blz 60.000, Nr. 92 051 517, Bawag, Blz 14.000, Nr. 05 010 666 211
Almaty, im Jänner 2011: Eiskalt, aber cool. Die ehemalige kasachische Hauptstadt erzeugt im Winter eine ganz besondere Ostalgie.
Die Trams sehen aus wie alle zwischen Bratislava und Wladiwostok
einfordern würde. Der Rechtsanwalt ist in diesem Metier tätig
und kennt daher die Usancen vieler Banken besonders gut. Er hat
mir zu verstehen gegeben, dass
ich die gesamten «aus Zinsen und
Zinseszinsen» berechneten Schulden wohl oder übel bezahlen werde müssen, da die Banken derzeit
besonders aggressiv auf dem Markt
auftreten würden. Leider habe ich
mich zunächst geschämt, Hilfe anzunehmen bzw. mir selbst einzugestehen, dass ich diese Schulden
habe. In meiner Naivität hatte ich
wirklich geglaubt, dies alleine und
ohne fremde Hilfe zu schaffen. Ich
möchte diese Schulden abbezahlen, aber zu fairen Konditionen.
Wie kann eine Bank Zinsen von
20,90 Euro täglich für einen Betrag von ca. 35.000 Euro verlangen? Gibt es da keine gesetzliche
Obergrenze? Es ist doch für einen
normal (Sterblichen) arbeitenden Menschen unmöglich, alleine ca. 600 Euro monatlich an Zinsen und zusätzlich auch noch die
Restschulden zurückzubezahlen!
Ich bin in einem Alter, in welchem
andere Frauen in Beziehungen stehen und Familien planen. Ich kann
derzeit weder eine Familie gründen
noch eine Altersversicherung abschließen oder in irgendeiner Weise Geld auf die Seite legen. Vernünftigerweise sollte ich mich die
soziale Leiter wieder hinunterbewegen und mich am besten heute noch arbeitslos melden und in
den Privatkonkurs gehen? Leider
gibt es nicht wirklich eine Stelle,
die mir weiterhelfen könnte, wenn
es um das Thema Banken & Zinsenpolitik handelt. Es kann einfach
nicht wahr sein, dass die Banken
von staatlicher Seite Zuschüsse, finanziert von den Steuerzahlern,
bekommen und dann diese Steuerzahler mit astronomisch hohen
Zinsen bekämpfen. Ich wäre froh,
wenn ich durch diesen Beitrag andere davor bewahren könnte, einen
ähnlichen Fehler zu machen.
Katja N., E-Mail
Anmerkung der Redaktion: Brecht
schreibt in seinem Tagebuch-Roman «Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar» hintersinnig: «In der
Politik ist es wie im eigentlichen Geschäftsleben. Kleine Schulden sind
keine Empfehlung, große Schulden,
das ändert den Aspekt. Ein Mann,
der wirklich viel schuldet, genießt
Ansehen.»
Gutes Leben in der Stadt heißt auch:
WCs, wo man sie braucht
Sehr geehrte Augustin-Redaktion! Ihr Beitrag zu den Öffnungszeiten der
öffentlichen WCs (Nr. 302) ist mir aus der Seele gesprochen. Ich hatte
schon oft deshalb sehr unangenehme Erlebnisse und habe mich einmal
an die zuständige Stelle mit der Frage «Wie ich meine Blase dazu bringen soll, sich an die WC-Öffnungszeiten zu halten» gewandt. Die Antwort war nicht wirklich befriedigend. Nachstehend mein «literarischer»
Kommentar dazu:
notdurft
bin i mit öffis untawegs und gspia plötzlich an draung
und muass gaunz dringend aufs WC daun wird ma aungst und baung
es gibt auf jeda u-baun-station zwoa gnua toiletten
doch wenn ma’s braucht sans meistns zua, diese bedürfnisstättn
die öffnungszeitn san nämlich von neun bis siebzehn uhr
des intressiert mei blosn ned, des is gegn ihr natur
und wenn ma si erkundigt warum is des klo denn g’schlossn
kriagt ma ois auntwuat: klofraun san zu teua – kaum zum fossn
und grod die wos so redn die vadienan oft am meistn
fia nur an mänätscha kennt ma si hundat klofraun leistn
a mau hods leicht der stöt si wenn a muass hinta an bam
erledigt schnö und gaunz bequem sei gschäft fost wia daham
bei d’fraun is des vü umständlicha und braucht vü mehr zeit
und do – i sogs gaunz ehrlich - kriag i echt an penisneid
PS: die lösung wär vielleicht dass mia von fleisch, wurst, käs und butter
des essn radikal umstön und zwoa auf – trocknfutter
Roswitha Miller, 1050 Wien
tun & lassen |
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6
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7
Trauma-Forscherin mit Fokus auf Südosteurooa
… irgendwann was Schlimmes passiert
Die Politik und die verletzte Seele. Ihr würde ganz viel einfallen, um mehr Gerechtigkeit ins Asylwesen zu bringen, sagt die Psychologin und Trauma-Expertin Dr. Brigitte Lueger-Schuster im AugustinInterview. «Es fragt mich das Innenministerium allerdings nicht!»
Sie ist auf dem Weg, sich zu verändern in Richtung einer Schirmherrschaft für nationale Gesellschaften,
die sich mit Psychotraumata beschäftigen und will Wissenschaft,
Forschung und Praxis verbinden.
Ziel ist, dass alle Menschen, die von
Psychotraumata betroffen sind, die
bestmögliche Behandlung und natürlich auch Zugang dazu bekommen. Denn die Behandlung von
Folgen einer Traumatisierung sind
anders als das, was man üblicherweise in der Psychotherapie macht.
Wir brauchen Forschungsergebnisse
z. B. darüber, wie viele Menschen in
Europa von welcher Art der Traumatisierung betroffen sind? Dieses Wissen sollte dann umgesetzt werden in
Behandlungsrichtlinien.
Wie wird Trauma definiert?
Trauma bedeutet: Jemandem passiert etwas wirklich Schlimmes, das
alles, was man bislang erlebt hat, außer Kraft setzt. Das, was da passiert,
ist unvorstellbar, unerwartet und
verbindet sich in der Regel mit Todesangst und Hilflosigkeit. Wenn
man in so einer Situation ist, kann
das schwerwiegende psychische Folgen haben. Die Trennung einer Beziehung etwa ist schlimm, aber kein
Trauma. Aber wenn ich in einer Beziehung lebe, in der ich permanent
misshandelt werde, kann ich traumatisiert werden. Und natürlich geht es
um Krieg, sexuelle Gewalt, Katastrophen, Überfälle, all das kann Traumata auslösen.
Die Zielsetzungen von ESTSS sind internationale. Wie stufen Sie Österreich in diesem Verbund ein?
Versorgung vorhanden. Die osteuropäischen Länder sind dominiert von einem
langen Wirken von alldem, was in der ehemaligen Sowjetunion Thema war. Die fangen jetzt an, sich mit sprechender Therapie
(ohne Beigabe von Medikamenten, Anm.
d. Red.) zu beschäftigen, Interventionen,
die bei uns lange schon bekannt sind.
Österreich hat eine ständig wachsende
Kenntnis im Bereich der Psychotraumatologie, es gibt insbesondere Flüchtlingshilfeorganisationen, in denen mittlerweile sehr gut ausgebildete Psychologen,
Psychotherapeuten und Psychiater tätig
sind, das gilt auch für die Kinderhilfeeinrichtungen. In einigen Segmenten ist es
wirklich ganz gut.
Sie haben im Juni in Wien den Kongress «Psychotraumatologie und Menschenrechte» organisiert. Es fällt auf, dass Sie nicht nur international, sondern auch sehr interdisziplinär
arbeiten.
Wo sehen Sie Defizite?
Vor allem im Bereich der Finanzierung –
sowieso im Flüchtlingsbereich, aber auch
im Kinderbereich. Es gibt viel zu wenige Kinderpsychotherapieplätze, die auch
mit traumatisierten Kindern gut umgehen können. Und ich sehe ein herankommendes Problem mit dem Aufdecken von
Missbrauchsfällen in Heimen und Institutionen im kirchlichen Kontext. Es gibt
zu wenig Versorgungsmöglichkeit für die
betroffenen Personen, weil die zum Teil
schon sehr lange leiden, was ein spezifisches Know-how erfordert. Aber das Thema Trauma ist in Österreich, glaub ich,
ganz gut verbreitet. Was möglicherweise noch nicht ausreichend verbreitet ist,
ist das Kennen von den wirklich wirksamen Methoden. Da bin ich ganz froh,
dass sich der Österreichische Berufsverband für die Psychologen entschieden hat,
ein Mitglied in der Europäischen Gesellschaft zu werden.
Welche Schwerpunkte wollen Sie als Präsidentin setzen?
Meine Vorgängerin aus Holland hat
ganz viele Kontakte hergestellt, hat den
Schirm vergrößert, und mein Ding wird
sein, dass dieser Schirm auch wirklich gut
funktioniert. Außerdem hab ich mir vorgenommen, noch ein Stück in Richtung
Südosteuropa zu gehen.
Ist die Herangehensweise je nach kulturellem Hintergrund eine andere?
Ja, aber auch die Frage: Was war in
den Ländern bislang an psychosozialer
Das war bewusst so gestaltet, auch weil
unsere Schwerpunktsetzung Interdisziplinarität erfordert. Die Folgen von Traumatisierung sind interessant für mehrere
Disziplinen – die Psychologie, die Medizin, die Psychotherapie, auch für die Juristen, Soziologen und natürlich Künstler und Journalisten.
Gibt es neue Aspekte, die Sie aus dem Kongress mitnehmen?
„
Was passiert
in den Herkunftsländern
der Asylsuchenden
wirklich?
“
Wir haben Kollegen aus Japan eingeladen, die sehr intensiv mit der internationalen Gesellschaft kooperiert haben, die
stark amerikanisch geprägt ist. Die haben gesagt, dass ihnen die Vielfalt, die wir
in Europa haben, gut tut. Es ist wichtig,
kulturspezifische Vielfalt zu berücksichtigen, auf die unterschiedlichen Situationen einzugehen, die Traumata hervorrufen. Für uns Organisatoren war es wichtig,
den Leuten nicht nur gute Wissenschaft
und Trainings zu bieten, sondern auch
den Rahmen, um gut miteinander ins
Reden kommen zu können. Das war für
mich am beeindruckendsten, diese intensive Diskussion, die stets gelaufen ist, bei
den Kaffeepausen, den Abendveranstaltungen. Es hat mir gezeigt, dass es jede
Menge Menschen gibt, die sehr gerne
in diesem Bereich arbeiten, ohne dabei
selbst zu leiden zu beginnen.
Das klingt nach Aufbruchstimmung.
Foto: Martina Gasser
Sie sind frischgebackene Präsidentin der
Europäischen Gesellschaft für Psychotraumatologie (ESTSS). Wie ist das Profil dieser
Gesellschaft?
Eher Konsolidierung. Der Aufbruch war
in den deutschsprachigen Gebieten vor
etwa 20 Jahren, als wir mit den Flüchtlingen aus den Balkanländern konfrontiert waren. Da sind die großen Institutionen gegründet worden, die sich explizit
mit Folgen von Krieg und Folter beschäftigt haben. Damals sind auch die ersten
größeren Forschungen bei uns gemacht
worden. In Amerika war der Auslöser
für intensive Beschäftigung mit der Psychotraumatologie der Vietnamkrieg. Insofern ist es kein Aufbruch, aber eine
breite Bewegung geworden. Ich erinnere mich an einen Traumakongress in den
frühen 90ern in Jena mit 80 Leuten. Jetzt
waren wir 850! Es wächst ständig und
das ist gut.
Was mich noch besonders beeindruckt
hat, heißt «trauma informed services», d.
h. dass alle, die in der psychosozialen Versorgung tätig sind, über Psychotrauma informiert sein sollen. Das ist z. B. wichtig
für Ärzte. Die haben damit oft überhaupt
nichts zu tun, merken aber trotzdem die
Reaktionen, etwa wenn sie eine Frau gynäkologisch untersuchen, die vergewaltigt
wurde. Das ist z. B. relevant, wenn Menschen sich bei Untersuchungen ausziehen
müssen und für alle, die mit Kindern zu
tun haben. Dort überall sollte man ein
Stück weit lernen: Aha, da könnte was
sein. Und dann die richtige Frage stellen.
Und die heißt nicht: Sind sie vergewaltigt
worden? – Weil darauf sagen die meisten:
Nein! Das ist mit Scham besetzt. Die Frage lautet: Ist ihnen irgendwann mal was
Schlimmes passiert? Das Trauma-Informiertsein ist ein wichtiger Punkt.
Die neue Präsidentin der Europäischen Gesellschaft
für Psychotraumatologie
Wenn das österreichische Innenministerium bei Ihnen um Beratung anfragen würde,
gibt es Punkte, die Sie ändern wollten? Was
wünschen Sie sich?
Im Asylwesen würde ich mir eine sehr
viel klarere Regelung wünschen, die es erlaubt, dass Menschen Asyl erhalten. Ich
würde mir bessere Recherchen in den
Herkunftsländern wünschen damit man
weiß, was dort wirklich passiert, und dass
diejenigen, die jetzt das Gros der Asylwerber empfangen und anfänglich betreuen,
sehr viel besser ausgebildet sind als jetzt,
d. h. in Summe ein sehr viel gerechteres
www.estss.org
Verfahren. Ich würde mir wünschen, dass
mit dem Bereich Schubhaft viel sorgfältiger umgegangen wird, ein Bereich in dem
Menschen im Moment viel Schlimmes
angetan wird; dass man insgesamt mit
Menschen, die leiden, einfach sach- und
fachgerechter umgeht, da kann man vieles vermitteln was z. B. Gefängnis betrifft,
Anhaltungen, Verhaftungen, Obdachlosigkeit. Auf die Art und Weise, wie die Polizei mit Obdachlosen umgeht, hat ja auch
das Innenministerium indirekt Einfluss.
Da gibt es eine ganze Reihe Menschen,
die schwerst traumatisiert sind. Ich glaube,
man könnte dem Ministerium einfach viel
Faktenwissen vermitteln bis hin zu Überlegungen wie: Wie werden bei Prozessen
Zeugen geschützt, Einvernahmen geführt,
warum glaubt man einem Opfer weniger
als einem Täter, also forensische Fachfragen. Ich würde mir auch wünschen, dass
die Gutachter, die in Prozessen zu Rate gezogen werden, zum Teil besser ausgebildet sind. Also mir würde ganz viel einfallen. Es fragt mich das Innenministerium
allerdings nicht.
Interview: Marlene Gölz
tun & lassen |
No 20
Raiffeisen steht dazu: Aufsichtsrat ist Männerrunde
Nur ein Null vor dem Komma
Liebe Leserinnen, heute gibt es
schlechte Nachrichten, sollten Sie
einen Job in einer Vorstandsetage
bei Raiffeisen anstreben: Sie sollten konservativ und vor allem ein
Mann sein.
EINE
SERIE VON
LUTZ HOLZINGER &
CLEMENS STAUDINGER
Vermutlich hatten Frauen der Eisenzeit
mehr zu sagen als die der Raiffeisenzeit
Foto: Mario Lang
D
ie Raiffeisengruppe mit ihren zahlreichen Gesellschaften in Österreich und rund um den Globus hat
viele Vorstandsmandate zu vergeben. Werden die Inhaber_innen dieser
Führungspositionen betrachtet, fällt auf,
dass der Augustin hier auf seine sprachliche Innovation, den so genannten Gender Gap, eigentlich verzichten könnte.
Fast alle der Menschen in Raiffeisen-TopPositionen sind männlich. Es gibt auch
Frauen bei Raiffeisen: Reinigungspersonal, Sekretariatskräfte, Mitarbeiterinnen
mit hohen Qualifikationen, aber niedrigen Löhnen.
Erreicht eine Frau bei Raiffeisen eine
Führungsposition auf Vorstandsebene,
so ist eines fällig: die Erklärung, dass es
schon seine Richtigkeit mit der fast ausschließlich männlichen Kollegenschaft
habe. O-Ton Michaela Keplinger-Mitterlehner, Vorstandsdirektorin der Raiffeisen Landesbank Oberösterreich: «Ich
fühle mich in meinem Umfeld ausgesprochen wohl und würde dies nicht als rau
bezeichnen. Ganz im Gegenteil, ich wurde schon oft von der positiven Wertschätzung, die mir entgegengebracht wurde,
überrascht. Dass man dafür hart arbeiten und auf manches verzichten muss,
ist logisch.» Klassisch auch Frau Keplinger-Mitterlehners Position zum Thema
Quoten: «Davon halte ich eher wenig.
Man sollte die berufliche Entwicklung
von Frauen nicht auf ein Quotenargument reduzieren, sondern Rahmenbedingungen schaffen, die möglichst viele Frauen motivieren und unterstützen.
Statt einer Quotendiskussion sollten wir
eine Wertediskussion führen, denn jede
Arbeit von Frauen verdient eine hohe
Wertschätzung, egal, ob im Beruf, in der
Familie oder im Haushalt.»
Das mit der «Wertschätzung» ist gut,
aber offensichtlich nicht so gut, dass
«Es muss doch um Leistung gehen»
W
erden in den Raiffeisen-Männerrunden Gender-Fragen angeschnitten (was vermutlich selten vorkommt), so kann
man darauf wetten, dass zumindest zwei Argumente gegen gesetzlich verankerte Frauenquoten in den Führungsetagen
fallen werden.
Argument Nr 1: «Es muss doch um Leistung gehen, und nicht
ums Geschlecht.» Leider widerspricht gerade dieser hehre Grundsatz einer Beibehaltung des Status quo. Frauen sind längst besser ausgebildet als Männer. Es gibt in vielen europäischen Ländern mehr weibliche als männliche Hochschulabsolvent_innen,
und ihre Abschlüsse sind im Schnitt besser als die ihrer männlichen Kommilitonen. Was Leistung angeht, sind Frauen also
schon früh in der Mehrheit. All das ist längst bekannt, geändert hat sich nichts. Dass es um Leistung gehen müsse und nicht
ums Geschlecht, ist also ein Argument für und nicht gegen die
Frauenquote.
Argument Nr. 2 gegen die Quote lautet: Dass Frauen keine Karriere machen, liege in der Natur der Sache: Weil die Familienphase weibliche Berufstätigkeit nun einmal unterbreche. Das setzt
aber voraus, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein reines Frauenthema bleibt, gerade so, als pflanzten Frauen sich
ohne ihre Männer fort. Die werden bekanntlich nie gefragt, wie
sie Kind und Karriere unter einen Hut bringen. Das ist ungerecht,
könnte aber geändert werden. Indem die Arbeitgeber Frauen
von Anfang an gerecht entlohnen und ihre Unternehmen familienfreundlich führen.
In der Ablehnung einer gesetzlich verankerten Frauenquote und der Konstatierung einer weiblichen Mitschuld an den Gehaltsunterschieden zwischen den Geschlechtern können sich Altherrenrunden (aber auch konservative Politikerinnen) an die von
Qualitätsmedien gehypte Romanautorin Bascha Mika berufen.
Diese konstatiert in ihrem Bestseller «Die Feigheit der Frauen» einen Mangel an Durchsetzungswillen bei jungen Frauen, die Errungenschaften der Emanzipation zu nutzen und auszubauen.
Spitzenpositionen mit Frauen besetzt
werden.
Aufsichtsratsmandate sind in der österreichischen Wirtschaftswelt auch eine
Sache von Prestige und gern gezeigter
Macht. Je mehr, desto besser. Ein Blick auf
die Aufsichtsräte der wichtigsten Raiffeisen Kapitalgesellschaften beantwortet die Frage, wie in diesen Gremien der
Frauenanteil dem des wirklichen Lebens
entspricht.
Beispiel RZB. Das Unternehmen hat elf
Aufsichtsratsmandate (ohne die vom Betriebsrat entsandten Mitglieder des Aufsichtsrates), und – richtig geraten – alle
elf sind stolz auf ihre Männlichkeit. Der
Vollständigkeit halber, auch der dreiköpfige Vorstand ist ausschließlich männlich
besetzt. Oder die Raiffeisenlandesbank
Wien –NÖ: Zwölf Aufsichtsratsmandate,
davon zwei mit Frauen besetzt! (Was ist
da los?!) Der fünfköpfige Vorstand ist jedoch eine reine Männergesellschaft.
Auch im Westen wird Wert auf genaue
Geschlechtertrennung gelegt: Männer
sind die Chefs. Ein dreiköpfiger männlicher Vorstand leitet die Geschicke der
RLB-Tirol, elf Mandate des Aufsichtsrats (von Unternehmensseite) sind männlich besetzt, zwei Mitarbeiterinnen wurden vom Betriebsrat in das Gremium
entsandt.
Die drei dargestellten Raiffeisengesellschaften sind exemplarisch für die gesamte Gruppe.
Die Männerdominanz bei Raiffeisen ist
stärker ausgeprägt als beim Rest der österreichischen Wirtschaft. Die AK begutachtete im Jahr 2010 die Führungspositionen in Österreichs Top 200 – Firmen: 4,4
Prozent der Geschäftsführer-Positionen
waren weiblich besetzt. Nicht dass dieser bescheidene Wert auch bei Raiffeisen
anzustreben wäre, aber dort liegt er noch
weit darunter. Detto bei den Aufsichtsratsmandaten. Von Kapitalvertreterseite
sind in Österreich im Durchschnitt 7,5
Prozent der Mandate mit Frauen besetzt,
bei Raiffeisen sorgt man dafür, dass eine
Null vor dem Komma steht.
CS
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Kleines Lexikon der Wut-Welt
Die Empörten. Jedes Einzelne der Themen, die hier so geordnet sind, dass Enzyklopädist_innen die
Grausbirn aufsteigen, hätte mindestens so viel Platz verdient, wie die Boulevardmedien dem letzten Weg
Otto Habsburgs eingeräumt haben. Wir ärgern uns nicht darüber: Das Zurückhalten solcher Informationen, wie sie hier ziemlich willkürlich aufgelistet sind, ist eine Aufgabe dieser Medien.
G
Gewerkschaftsgründungsboom in
Ägypten
«Die Revolution ist uns gestohlen worden», auf diese fatalistische Einschätzung
trifft man heute oft am Kairoer TahrirPlatz. Jene Teile der ökonomischen Oberschicht, die ihren Arbeitern im Januar
noch Busse finanzierten, um sich an den
Demonstrationen in Kairo beteiligen zu
können, weil der von der Korruption
profitierende Kreis um Mubarak selbst
für sie zu klein geworden war, sind dieselben Kräfte, die jetzt die andauernden
Streiks, Arbeitskämpfe und Demonstrationen als selbstsüchtiges und schädigendes Verhalten für Ägypten denunzieren. Das ist die schlechte Nachricht aus
Ägypten. Die gute: Kein Tag vergeht ohne
Streiks. Mittlerweile haben sich 20 unabhängige Gewerkschaften neu gegründet,
wobei fast wöchentlich neue hinzukommen. Die mitgliederstärksten unter ihnen
sind die der Grundsteuereintreiber mit
ca. 40.000 und des öffentlichen Verkehrs
mit ca. 10.000 Kolleg_innen. Auf Initiative der Gewerkschaften der Grundsteuereintreiber, der Arbeiter_innen im Gesundheitsbereich und erstaunlicherweise
der Rentner_innengewerkschaft soll jetzt
ein Dachverband der unabhängigen Gewerkschaften gegründet werden. Obwohl
viele Parteien und politische Organisationen die neuen Gewerkschaften umwerben, gibt es unter den Arbeiter_innen ein
starkes Abgrenzungs- und Unabhängigkeitsbedürfnis. Sie wollen nicht an eine
Partei gebunden sein oder von ihr vereinnahmt werden; dies gilt allerdings auch
für ausländische Geldgeber – eine Skepsis, die generell in Ägypten sehr ausgeprägt ist.
Quelle: Express
I
Comeback des Gandhiismus in Indien
Auch Indien hat seine neue Volksbewegung. Millionen gingen auf de Straße, seit
der 74-jährige Anti-Korruptions-Aktivist
Anna Hazare verhaftet worden ist. Die
Bewegung wird als eine Art Comeback
des Gandhiismus gedeutet. Hazare ist
stark beeinflusst von Mahatma Gandhis
Konzept des passiven Widerstands. Seine
Verhaftung passierte, als er einen Hungerstreik «fast until death» in einem Park der
Hauptstadt New Delhi starten wollte. Die
Hauptforderung seiner Bewegung «Indien gegen Korruption»: die Einrichtung
einer von der Regierung unabhängigen
Anti-Korruptions-Volksanwaltschaft.
Hazare war früher hoher Offizier der
indischen Armee und änderte nach einer
Nahtod-Erfahrung radikal seine Lebenskonzeption. Sein Erfolg gibt indischen
Polito- und Soziologen Rätsel auf: Tausende soziale NGOs sind in Indien aktiv
– warum gerade er den Durchbruch erzielte und vor allem in der indischen Mittelkasse zu einer Integrationsfigur wurde,
was ebenfalls an Gandhi erinnert (Hazare wird von Rikschafahrern genauso unterstützt wie von Software-Entwickler_
innen), ist Hauptthema der politischen
Diskussionen.
Gerade der Versuch der von der sozialdemokratischen Congress Party geführten Regierung, den «Gandhi von heute»
zu diffamieren, füllte die Straßen. Ein
Sprecher dieser Partei erklärte in einem
TV-Interview, Anna Hazare sei von einer ekelerregenden Mischung aus «Faschisten, Maoisten und Anarchisten»
umgeben.
Tatsächlich ist die Situation für die derzeit herrschende politische Elite gefährlich wie nie. Eine der am häufigsten gerufenen Parolen bei den Demos ist «Es lebe
die Revolution!» Santi Bhushan, ehemaliges Regierungsmitglied, inzwischen übergelaufen zur Hazare-Bewegung: «Zum
ersten Mal fühlen die Leute in Indien,
dass die Zeit ihrer Ohnmacht zu Ende
geht. Sie fühlen, dass die Zeit gekommen
ist, um das Sklaventum zu beenden.»
Quelle: http://roarmag.org
L
Die Linke hat Recht, sagt der Rechte
„
Tatsächlich ist
die Situation
für die derzeit
herrschende
politische Elite
gefährlich wie
nie
“
Charles Moore ist Konservativer bis in
die Knochen. Er war 20 Jahre lang Chefredakteur konservativer Zeitungen, zuletzt des «Telegraph». Er konvertierte zum Katholizismus, ist ein beliebter
Gast des Papstes und der offizielle Biograf von Margret Thatcher. Vor kurzem
schrieb Moore eine Kolumne, die sein
ganzes Leben in Frage stellt. Ihr Titel lautet: «Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht doch Recht hat.»
Moore schreibt: «Ich habe mehr als 30
Jahre gebraucht, um mir diese Frage zu
stellen. Aber heute muss ich es tun: Hat die
Linke doch Recht?» Und fährt fort: «Die
Reichen werden reicher, aber die Löhne
sinken. Die Freiheit, die dadurch entsteht,
ist allein ihre Freiheit. Fast alle arbeiten
heute härter, leben unsicherer, damit wenige im Reichtum schwimmen. Die Demokratie, die den Leuten dienen sollte,
füllt die Taschen von Bankern, Zeitungsbaronen und anderen Milliardären.» Dann
blendet Moore zurück zu seinen Anfängen als politischer Journalist. Damals, in
den 80er-Jahren, entfesselte Thatcher die
Finanzmärkte und zerschlug die Gewerkschaften. Moore unterstützte beides. Nun
schreibt er: «Die Kreditkrise hat gezeigt,
wie diese Freiheit gekidnappt wird. Die
Banken sind ein Spielfeld für Abenteurer,
die reich werden, auch wenn sie Milliarden verfeuern. Die Rolle aller anderen ist,
ihre Rechnung zu zahlen.»
Pointe zum Schuss: Dieser Text ist
wortwörtlich dem gut-bürgerlichen Züricher «Tages-Anzeiger» entnommen. Beides – die späte Einsicht des Thatcheristen
und der linke Seitensprung der rechten
Schweizer Zeitung – könnte als Vorzeichen einer Unsicherheit im neoliberalen Lager gedeutet werden. Wasser auf
die Mühlen jener Theoretiker_innen, die
betonen, dass wirkliche Revolutionen das
Herausbrechen von Teilen der Elite zur
Voraussetzung haben.
z
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Zwischen Krems und Spitz: vom Zum-Tode-Sparen eines touristischen Highlights
Chaos auf der MS Schönbrunn
Sparen ist immer falsch. Die Rede von der Notwendigkeit eines Sparkurses ist immer zu hinterfra-
gen. In der großen Ökonomie bedeuten die Sparkurse, zu denen die Regierungen von der Finanzelite gezwungen werden, nichts als eine Umverteilung von unten nach oben. Es stimmt, der Grad der öffentlichen Verschuldung ist schlimm. Aber er entspricht dem Vermögen der privaten Wirtschaftsakteure, das
zum Teil rasanter steigt als die Staatsschulden. In der kleinen Ökonomie können die an sich schönsten
Projekte zu Tode gespart werden. Noch rechtzeitig vor Sommer-Ende ein Bericht über einen total verpatzten Sommer-Ausflug.
E
s sollte ein touristisches Highlight
werden: die Sonnwendfahrt am 18.
Juni auf dem historischen Donauschiff MS Schönbrunn. Versprochen wurde ein vierstündiger Schiffsausflug zwischen Krems und Spitz, in der
schönsten Gegend der Wachau. Doch
dann kam alles anders.
«Die Eintrittskarte mit Sektempfang
kostete 75 Euro», erzählt ein Teilnehmer.
«Und dazu wurde uns noch extra zu bezahlendes Essen à la carte offeriert.» Von
den Schiffsgästen nutzten fast alle dieses
Angebot, denn das Wetter machte den
Ausflüglern einen Strich durch die Rechnung. Es regnete in Strömen. Die Gäste
wurden schon eine halbe Stunde vor der
Zeit aufs Schiff gelassen und stürmten
das Restaurant.
Von gepflegtem historischem Schifffahrts-Flair war bald nichts mehr zu merken. Denn es dauerte nicht lange, da brach
das Chaos aus. «Wir mussten zwei Stunden auf unser Essen warten. Und dann
endlich entsprach es nicht den Erwartungen und wurde noch dazu von völlig
unprofessionellem Personal, ich
würde sagen, von verkleideten
Kellnern serviert. Die Stimmung
auf dem Schiff war sehr, sehr aufgeladen», klagt ein Gast.
Mit dem Catering war von der
Schifffahrtsgesellschaft OEGEG
(Österreichische Gesellschaft für
Eisenbahngeschichte) der Linzer Gastronom Peter Moser
beauftragt worden. Er wusste,
dass er rund 400 Gäste zu bekochen haben würde. «Schon
allein die Idee, à la carte anzubieten, ist eine Chuzpe. Die historische Schiffsküche ist gerade
mal 40 Quadratmeter groß, da
hätten wir pro Essen eine Minute zum Kochen Zeit.» Dennoch
ließ sich der Gastronom auf das Wagnis
ein. Und bestellte zusätzlich zu seinem
eigenen Personal noch bei der Leasingfirma Manpower Fachpersonal fürs Service. «Bekommen habe ich aber völlig
Ahnungslose, und es war nicht mal Zeit,
diese einzuschulen, weil ja wegen dem
Schlechtwetter die Gäste schon früher
an Bord kamen.» Und so kam es, dass die
(verspäteten) Speisen durchs Restaurant
irrten und auf irgendwelchen Tischen
von Gästen mit knurrendem Magen landeten, die schon mit allem Essbarem zufrieden waren. «Eine Stunde pro geleastem Fachpersonal kostet mich 25 Euro
plus zusätzliche Spesen – in Summe also
ca. 35 Euro. Ich bin nicht bereit, das zu
bezahlen. Schließlich hatte ich auch Umsatzentgang», sagt der Gastronom. Moser
hatte fünf Leiharbeiter bestellt.
Die Firma Manpower weist alle Vorwürfe von sich. Geschäftsführer Erich
Pichorner sagt: «Es wurde Personal ohne
Inkasso fürs Service geordert – und das
hat Moser bekommen. Der Stundensatz für Fachpersonal ist 20 Euro plus
... das hat die altehrwürdige Dampfende
nicht verdient!
Mehrwertsteuer. Das Personal bekommt
davon kollektivvertragliche 10 Euro pro
Stunde. Glauben Sie aber nicht, dass den
Rest Manpower verdient. Wir müssen ja
schließlich auch die Sozial- und Sonderzahlungen leisten. Pro Leiharbeiter bleiben uns 10 bis 20 Prozent.» Man werde
sich mit dem Gastronomen aber einigen.
Für ihn sei das Schlechtwetter die Ursache des Chaos gewesen.
Am Ende steht die Frage: Genügt ein
bißchen Regenwetter, um ein touristisches Konzept dermaßen zum Scheitern
zu bringen? Am Ende halfen nämlich
auch schon die Schiffsmatrosen als Kellner aus. «Unglaublich, was alle geleistet
haben», sagt Klaus Hoffmann von der
OEGEG. Ihm ist jedenfalls wichtig, dass
möglichst viele Gäste aufs Schiff kommen. Ein halbes Dutzend Ausflugsfahrten bietet die OEGEG in der Saison an.
Das Schiff fasst 600 Personen. Hoffmann
abschließend: «Wir müssen das Schiff
auslasten, sonst rechnet sich der Betrieb
nicht.» Der Gastronom habe ihm versprochen, dass so etwas nicht mehr passiert. Fazit: Offensichtlich sind auch die
edelsten touristischen Angebote so haarscharf kalkuliert, dass schon eine kleine
Unwägbarkeit wie Schlechtwetter (nicht
gerade eine Seltenheit in österreichischen
Sommern) nicht mehr bewältigt werden
kann. Aber Hauptsache, die Werbung
lockt möglichst viele Menschen (in dem
Fall) aufs Schiff ...
Gabi Stockmann
Aus dem Beschwerdebrief
Name und Adresse der Beschwerdeführer
sind der Redaktion bekannt.
… Nach 2 Stunden und 15 Minuten erhielten schließlich auch wir (die letzten der
fünf Gäste an unserem Tisch) die bestellten Zanderfilets. Unsere Getränkewünsche
holten wir selbst von der Bar. Die Kaffeezubereitung erfolgte von einem Mann (optisch als Kellner verkleidet), der noch nie
eine Kaffeemaschine bedient hatte. Am
Ende der Fahrt war es auch schwierig, die
korrekte Rechnung zu erhalten. Fazit: Es
freut uns, die Auswirkungen von «Todsparen» zu sehen. Es bleibt die Hoffnung, dass
irgendwann auch Landesfürst Erwin Pröll
so einen Ausflug mitmacht: Dann müssen
Medien auch darüber berichten.
Wachaubahn nur noch für den Tourismus? Placebo Bus mit Nebenwirkungen
Nach Spitz im Zug & andere Träume
Es ist früher Juli-Nachmittag, als ich am Bahnhof Weißenkirchen stehe. Gähnende Leere. Seit
dem 12. Dezember 2010 ist der Regelverkehr der Wachaubahn eingestellt. Weil er schon zu Lebzeiten an
den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung vorbeigegangen war, rief der Riss der Verbindung keinen Aufstand hervor.
D
as neue Verkehrskonzept hat die
Bahn zu einer Tourismusattraktion degradiert und Busse als Ersatz für einen Regelverkehr der
Bahn in der Wachau eingeführt. Die Wachaubahn in ihrer jetzigen Form verkehrt
also nur noch an 60 Tagen im Jahr und
das an Samstag, Sonn- und Feiertagen
dreimal täglich auf einem 34 Kilometer
langen Teilstück zwischen Krems und
Emmersdorf.
Ich treffe Marko Spegel-Grünberger,
den Begründer der privaten Initiative
Wachaubahn 2.0. Er lebt in Spitz an der
Donau und pendelt je nach Arbeitssituation von dort zu seinem jeweiligen Einsatzort, auch nach Wien. Seine Initiative
versteht er nicht als Protest. Es sei allerdings unbestritten, meint er, dass eine
gut funktionierende und verlässliche öffentliche Verkehrsanbindung für die positive demografische und wirtschaftliche
Entwicklung eines Ortes oder einer ganzen Region sehr entscheidend sei. Bereits
ein Ort wie Spitz an der Donau hatte 2010
mehr Sterbefälle als Geburten zu verzeichnen. Ist also bereits die Wachau als
Lebensraum für den Menschen zu unattraktiv und verkommt das UNESCOWeltkulturerbe Wachau zu einem österreichischen Disneyland? Alles für den
Tourismus und nichts für Menschen, die
dort leben möchten, auch wenn sie Berufe
haben, die nicht unmittelbar für den Tourismus entscheidend sind? Kurzum, auch
in der Wachau wird der Individualverkehr mit all seinen Nachteilen gefördert.
Beispielsweise durch die Einführung von
Bussen als Ersatz für schienengebundene
Fahrzeuge, betont der Verkehrsclub Österreich. Denn rund 60 Prozent der ehemals bahnfahrenden Personen steigen bei
Einstellung der Verbindung nicht auf den
Bus, sondern auf das Auto um.
Wenn es denn also noch eine junge
Familie zu einem festen Wohnsitz in die
Wachau zieht, kann es sein, dass sie sich
gezwungen sieht, sich zumindest ein,
Fortsetzung auf Seite 12
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12
Fortsetzung von Seite 11
wenn nicht zwei Kraftfahrzeuge anzuschaffen. Und das nicht nur mit allen ökologisch
relevanten Folgen, sondern mit den Nachteilen für das private Haushaltsbudget. Von
diesem werden im Schnitt etwa 17,2 Prozent
für den Verkehr ausgegeben – nur 0,5 Prozent davon für öffentliche Verkehrsmittel. Ich
möchte an dieser Stelle gar nicht die zahlreichen Ausführungen von Wissenschaftler_innen zitieren. Ihre Unabhängigkeit vorausgesetzt, kommen sie zum Schluss: Straßenbau
ist wie ein Krebsgeschwür. Alles beginnt mit
einer einzigen Zelle und wuchert unkontrollierbar bis zur Zerstörung des «Wirtes».
Die Strecke der Wachaubahn ist schon vor
Jahrzehnten ingenieurstechnisch derart optimal errichtet worden, dass ein Nichtbetrieb
einer Fahrlässigkeit gleichkommt. Ach ja,
und sie ist ja auch integraler Bestandteil des
Weltkulturerbes Wachau. Kein Zweifel, der
Tourismus ist ein entscheidender Wirtschaftfaktor für Österreich, aber wer hat verboten, über diese Grenzen hinweg zu denken
und zu planen? Die Straße durch die Wachau ist schon heute an vielen Tagen überlastet
– und wurde zum Glück vor einigen Jahren
nicht ausgebaut, wie so viele andere Straßen
Niederösterreichs.
Jetzt gibt es also einen Regelbetrieb mit
Bussen anstelle des Bahn-Alltags- und Berufsverkehrs. Eine Busverbindung ist ein
Bahn-Placebo. Den Komfort und die Attraktivität eines Zuges kann ein Bus nicht bieten.
Pünktlichkeit, die Möglichkeit während der
Reise zu arbeiten, genügend Stellraum für
Kinderwägen und Rollstühle – das alles kann
der Bus nicht bieten.
Die Erhaltung und Modernisierung der
Bahn kostet zu viel Geld? Wenig im Vergleich
zu Straßenbau und Straßenerhaltung! Dass
die Kostendebatte nicht realistisch geführt
wird, ist evident. Marko Spegel-Grünberger legt zum Beispiel sehr interessante Visionen und rechnerische Varianten auf den
Tisch – ob seine «zivile» Kompetenz von
den Entscheidungsmächtigen je so respektiert wird, dass man ihn einlädt, die verkehrspolitische Zukunft der Region Wachau mitzugestalten?
Es ist Samstagnachmittag. Ich sitze direkt
an den Gleisen der Wachaubahn und warte
auf den vorbeifahrenden Zug, der zurzeit aufgrund von Steinschlaggefahr überhaupt nur
bis Dürnstein fährt, und das bloß an Samstagen, Sonn- und Feiertagen. Und frage mich,
ob es hier jemals wieder zu einer vernünftigen Lösung kommen wird.
Text und Fotos: Manfred Weis
„
Manfred Weis dokumentiert das
einzigartige Flair einer Regionalbahnlinie, die schon auf der Abschussliste stand. Foto auf Seite 11
unten: Marko Spegel-Grünberger,
Gründer der Initiative «WachauBahn 2.0»
Die Erhaltung
und Modernisierung der
Bahn kostet zu
viel Geld? Wenig im Vergleich zu Straßenbau und
Straßenerhaltung!
“
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| lokalmatadorin
No 254
Vajt und brajt – T-Širts mit fil Viner Şme, die niht baj yedem auf Ferštendnis trefen
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Dada und Didaktik
Die Politik fordert Integration lautstark als Bringschuld der Zuwander_
innen. Goran Novaković verspottet diese Vorstellung durch eine witzige Mode-Ak-
F
ür Weltoffenheit und Respekt
braucht man nicht viele Sprachen
können. Zunächst reicht es, fremde
Eigennamen möglichst richtig auszusprechen. Der Ehrgeiz, das zu tun, findet sich dort, wo man es vermutlich am
wenigsten erwartet: im deutschsprachigen
Raum. Man könnte auch hier nachbohren:
romantischer Exotismus, pingeliges Strebertum, Schnorren um internationale Anerkennung? Wie dem auch sei – unsympathisch ist es auf keinen Fall. Doch auch
der Sprachkosmopolitismus Deutschsprachiger kennt klare Hierarchien. Herrscht
zur Aussprache englischer, französischer,
spanischer und italienischer Wörter eine
beachtliche Allgemeinbildung vor, schert
man sich um die Idiome der türkischen
und ex-jugoslawischen Mitbürger_innen
nicht viel.
Lediglich in Österreich gibt es dank
der polykulturellen Vergangenheit eingeschliffene Gewohnheiten. Die jedoch
selten auf die polykulturelle Gegenwart
abfärben. Österreicher_innen wissen zumindest, dass der letzte Konsonant im
Namen des Fußballers Christian Keglevic etwa nicht als c ausgesprochen wird.
Jener Assimilierungszwang, welcher aus
Resetarić einen Resetarits machte, wäre
somit gar nicht notwendig gewesen. Und
mit der phonetischen Umschreibung eines Ćirić in einen Tschiritsch blieb zumindest der Ursprung des Namens erhalten. Kommen neue Sonderzeichen hinzu,
stellt man sich stur. Die bekannte Sängerin Esma Redžepova wird beharrlich als
Redzepova ausgesprochen.
Geht es aber ums Fressen, zeigen sich
Österreicher_innen erstaunlich polyglott,
denn der Appetit ist ein guter Sprachlehrer. Keiner von ihnen käme auf die Idee,
die geliebten ćevapčići als Tsewaptsitsi zu
bestellen, und sehr schnell sprach sich in
den 70er Jahren herum, dass die Nudeln,
die im Italienurlaub so schmeckten, nicht
Pasta asszi-utta hießen, ehe man lernte, sie
als Spagetti Bolonjese zu identifizieren.
Der beliebten Phrase, dass «Integration
keine Einbahnstraße» sei, gibt der serbischstämmige Dichter, Satiriker, Germanist und Sprachlehrer Goran Novaković
eine neue, pikante Bedeutung. Mit seiner Aktion Vajt und brajt verbreitet er TShirts bzw. Tišrts/Tişrts unter der Bevölkerung, von welchen deutsche Begriffe
in serbokroatischer und türkischer Lautschrift prangen. Auf Wiener Torsos unterschiedlicher Herkunft kann man neuerdings also šöne/şöne Wörter wie šön/
şön, feš/feş, ferštendnisfol/ferştendnisfol
und ojforiš/oyforiş lesen. Da Novaković
aber für seinen satirischen Schalk bekannt ist, war klar, dass die Kampagne
nicht ohne Lajberl/Layberl mit ales vuršt/
ales vurşt, integracionvilig/integrasionsvilig und bite hohdojč/bite hohdoyç auskommen würde.
Foto: Mani Hausler
tion. Mit großem Erfolg. Doch mehr noch webt er pädagogische und poetische Absichten in seine T-Shirts hinein.
Schön und keusch –
wie das zusammengeht? – Goran
Novaković zwingt
mit seinen T-Shirts
zum GenauHinschauen
Kunst, Didaktik und Provokation
Di Akcion/Akzion šlug/şlug jedenfals/
yedenfals ajn/ayn vi ajne/ayne Bombe! Für
den Künstler und Volksbildner Novaković
eine große Frojde/Froyde, aber auch viel
ungeahnte Arbajt/Arbayt. Er kommt gar
nicht mehr mit dem Drucken und Verschicken nach. Selbst aus der Švajc/Şvayc
und aus Dojtčland/Doyçland langen inzwischen Bestellungen bei ihm ein. Kein
Wunder, verwebt seine T-Shirt-Aktion
doch auf brillante Weise Kunst, Didaktik
und Provokation.
Doch nicht nur ojforiš/oyforiş fielen
die Reaktionen aus. Dankenswerterweise multiplizierten «Kronen Zeitung»
und Wiener FPÖ die Publicity der anarchischen T-Shirts. Der FPÖ-Abgeordnete mit dem urdojčen/urdoyçen
Namen Johann Baptist Björn Gudenus (der Sohn des John Gudenus) wetterte: «So kann’s nicht weitergehen. Das
bringt keine Integration. Das ist nur ein
weiterer Kniefall vor den Zuwanderern. (...)
Diese Verhunzung unserer Sprache passt
nur in die Gutmenschen-Romantik.» Wer
http://vajtundbrajt.com/
Novaković kennt, weiß um seine geradezu
besessene Liebe zu dieser Sprache und auch,
dass er den gesamten FPÖ-Klub jederzeit in
ebendieser an die Wand reden und schreiben könnte.
Mit den T-Shirts verfolgt er neben satirischen aber durchaus didaktische Ziele: Österreicher deutscher Muttersprache würden
durch die ungewohnte Schreibweise geläufiger Wörter für Sonderzeichen und richtige
Aussprache des Türkischen und Serbokroatischen sensibilisiert, Menschen türkischer
und ex-jugoslawischer Herkunft würde die
Aussprache deutscher Wörter erleichtert.
Und schließlich der subversive Gehalt der
Aktion: Vajt und brajt stiftet produktive Verwirrung des Selbstverständlichen, indem es
eine Selbstverständlichkeit einfordert: der
kulturellen Vermischtheit unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen. Dabei waren die
T-Shirts nur der Anfang. Goran Novaković
arbeitet bereits an Publikationen, mit denen
der an die österreichische Tradition der experimentellen Lautdichtung anknüpft und
diese per türkischer/serbokroatischer Lautsprache mit neuen Klang- und Schriftfarben
bereichert. Dada plus Didaktik.
Die poetische Vision seines, wie er es
nennt, deutsch-türkischen Tangos und
deutsch-jugoslawischen Salsas: «das Türk_
innen oder Ex-Jugoslaw_innen mit wenig
Ausbildung tadellos Goethe, Schiller, Kafka lesen können. Und dass ein Österreicher
unsere oder türkische Dichter im Original
vortragen kann.» Den «Drang nach fremden Klang» nennt er das. Die gesamte Programmatik dieser Aktion gibt es eingängig
und wortgewaltig auf der Website http://
vajtundbrajt.com/. Natürlich kann man
dort auch T-Shirts bestellen.
Fürva:r! Integracion/Integrasion ist kajne/kayne Ajnba:nštrase/Aynba:nştrase. Endlich Akcionizmus/Akzionismus vol Šarm/
Şarm und Šlauhajt/Şlauhayt. Vajter/Vayter so!
Richard Schuberth
«Ist es Wahrheit»
Suzana Ebert arbeitet im Gemeindebau. Sie sagt, sie mag die Menschen, die
dort leben. Von Uwe Mauch (Text) und
Mario Lang (Foto)
O
hne Zweifel. Die Mitarbeiterin in
der grau-roten Uniform von Wiener Wohnen gibt sich Mühe. Grüßt
jeden Mieter im Hof. Kehrt auf den
Stiegen. Reinigt Aufzüge. Tauscht kaputte Glühbirnen. Kümmert sich gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen um
die Waschküche. Und um die Sorgen der
Mieter. «Ich habe nie Probleme», sagt sie
in einer Sprache, die sie erst seit ihrem 31.
Geburtstag spricht. «Kann ich sagen, ist es
Wahrheit.»
Suzana Ebert ist Hausbetreuerin im Gemeindebau. Anders als die alte Hausmasterin, an der gut ein Jahrhundert lang in
Wien kein Weg vorbeiführte und die heut’
vom Aussterben bedroht ist (ein Andenken von Schwarz-Blau, jener Polit-Verirrung, die manches, was gut funktioniert
hat, bedenkenlos verhökert hat), wohnt sie
in keiner Hausmeister-Wohnung, sondern
ein paar Gassen weiter.
Eberts Arbeitsplatz: elf der 42 Stiegen
einer großen Wohnhausanlage der Gemeinde Wien – in der Wienerbergstraße.
Die Stiegen 4, 5, 6, 13, 14, 15, 16, 17, 18,
21 und 22. Ihre Arbeitszeit: vierzig Stunden pro Woche, von Montag bis Freitag,
jeweils von 7.15 bis 15.45 Uhr.
Gerne würde auch sie hier wohnen,
denkt Frau Ebert laut. Und beißt sich sofort
auf ihre Lippen. Denn das, was erwachsene Menschen, mündige Bürger, engagierte
Mitarbeiter der Gemeinde Wien denken,
dürfen sie nicht immer laut sagen.
Dabei hat die Hausbetreuerin gute
Gründe: Zum einen würde es Sinn machen, im selben Haus wie die «Betreuten»
zu wohnen. (Nicht dass alle Wiener Hausmeister immer Engerln waren, im Gegenteil, aber zumindest waren sie rund um
die Uhr ansprechbar.) Zum anderen ist die
städtische Wohnhausanlage auf dem Wienerberg, errichtet in den Jahren 1926/27,
wirklich großzügig angelegt – im Vergleich
zum modernen Beton-Schachtelbau.
Doch Suzana Ebert ist nicht die Frau, die
wegen starrer Obrigkeitsbestimmungen
den ganzen Tag Trübsal bläst. Sie hat zwei
Söhne großgezogen, sich in einer fremden Stadt behaupten können. Sie nennt
ihre Kollegin liebevoll «Schatzerl». Und
sie bemüht sich lieber, so korrekt wie möglich ihre Arbeit zu erledigen. Sie sagt, sie
mag ihre Arbeit. Und sie sagt, sie mag die
Menschen, die hier wohnen. Ihre Einstellung, nicht nur bei der Arbeit: «Wichtig,
dass hamma Freude und Spaß.»
In der Viererstiege läutet sie jetzt an eine
Wohnungstür. Besonderes Anliegen sind
ihr nämlich die älteren, allein stehenden
Damen in ihren stillen Wohnungen: «Denen ist oft fad, die haben niemanden, die
brauchen eine Ansprache. Die erzählen
mir alles, was sie freut, auch alles, was sie
bedrückt.» Ebert: «Wir sind hier wie Familie.» Umgekehrt freut auch sie sich, wenn
ihr im Vorbeigehen eine Mieterin zuruft:
«Sie sind die Beste, bitte gehen Sie nie von
uns weg.» Oder wenn ihr die freundliche türkische Familie, ebenfalls auf Stiege 4, wieder einmal einen Tee anbieten
möchte.
Der Wiener Gemeindebau ist in der Tat
eine soziale Errungenschaft, die ihres Gleichen sucht. In kaum einer anderen ähnlich
Suzana Ebert soll in
einem Meidlinger
Gemeindebau die
Hausmeisterin
ersetzen
Die Serie Lokalmatadore erscheint
seit elf Jahren im
Augustin. Das
gleichnamige Porträtbuch kann auch
per E-Mail bestellt
werden: mario@
augustin.or.at
wohlhabenden Hauptstadt Europas kann
man derart gut und günstig wohnen. Dennoch wird der Gemeindebau seit Jahren
schlecht geredet. Von xenophoben Besserwissern, die jeden Bassenastreit zur nationalen Tragödie stilisieren wollen und
dort, wo wirklich Hilfe notwendig wäre,
noch nie eine praktikable Lösung anbieten konnten, aber auch von der bleichroten Bürgermeister-Entourage, die jahrelang die Sorgen der Mieter nicht ernst
genommen hat und jetzt – getrieben von
den Angstmachern – vor allem auf Uniformen und altbekannte Law-and-OrderMuster setzt.
Suzana Ebert redet nicht über Politik,
verweist lieber auf die tolle Integrationsleistung, welche Menschen im Gemeindebau erbringen. Österreicher wohnen hier
Tür an Tür mit Türken, Serben neben Albanern, Alte neben Jungen, Sozialhilfeempfänger neben Akademikern. Natürlich
gibt es Wickel. Weil viele – unabhängig
von ihrem Geburtsort – knapp bei Kassa
sind, zu wenig von anderen wertgeschätzt
werden, auch nie aus dem engen Milieu
rauskommen. Sie hat einen zweitägigen
Konfliktmanagement-Kurs besucht. «War
interessant, was ich dort gelernt habe.» Interessant. Aber anwenden musste sie das
dort Gehörte noch nie.
Gut möglich, dass die gelernte Lebensmitteltechnologin mit den Mietern
auf dem Wienerberg deshalb so gut auskommt, weil sie selbst zugewandert ist.
Vor acht Jahren ging sie mit ihren Söhnen wohl für immer aus der Stadt Pozarevac in Serbien weg, folgte damals ihrer
Schwester nach Wien, die hier schon seit
25 Jahren lebt.
Den Schritt nach Wien hat Ebert bis
heute nicht bereut: «Es ist schon komisch,
bin ich in Požarevac geboren, habe ich
dort lange gelebt, aber zu Hause fühle ich
mich in Wien.» Auf die Frage, warum das
so ist, erklärt sie: «Weil Freunde sind heute hier.» Nach einer, maximal zwei Wochen zu Hause bei ihrer Mutter möchte
sie wieder zurück nach Wien. «Serbien
ist vielleicht nicht so international», fügt
sie dann hinzu.
Ihr älterer Sohn arbeitet ebenfalls für
Wiener Wohnen. Am Ende bittet sie höflich und auch ein bisserl stolz um die Zusendung einer Zeitung: «Damit ich sie
meiner Mutter schicken kann.»
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Geht's mich was an?
Alle Jahre wieder
P
ünktlich zum Ferienende geht sie
wieder los – die alljährliche Debatte um den «Ansturm« ausländischer Student_innen an den heimischen Universitäten. Wieder einmal im
Zentrum der Debatte: StudentInnen aus
Deutschland.
Denn in unserem Nachbarland ist dieses Jahr die Zahl der StudienanfängerInnen, aufgrund doppelter Abiturjahrgänge
und Aussetzung der Wehrpflicht, so hoch
wie nie zuvor, weshalb auch Österreich
mit mehr Studienanfänger_innen aus
Deutschland rechnen muss – was (angesichts des ohnehin knappen Unibudgets
und der vielen österreichischen Studienanfänger_innen) vielerorts Unverständnis und Unzufriedenheit auslöst.
Die Universitäten versuchen nun mit
neuen Hürden die vielen (deutschen) Studienanfänger_innen abzuschrecken: Erstmals gibt es heuer für einzelne Studiengänge (u. a. Publizistik und Psychologie,
wo der Andrang deutscher StudentInnen besonders hoch ist) Voranmeldungen, und in der Studieneingangsphase
wird verstärkt auf «rausprüfen» gesetzt.
Parallel zu diesen Maßnahmen wird auch
über die (Wieder-)Einführung von Studiengebühren und sogar über das Schließen einiger Fächer an einzelnen Universitäten diskutiert.
Doch warum wird der Zuzug deutscher
Student_innen nach Österreich sowohl in
der Politik als auch in der Gesellschaft in
so einen negativen Diskurs eingebettet?
Liegt es an den üblichen Ressentiments
der Österreicher_innen gegenüber den
Deutschen oder an den Vorurteilen gegenüber den «Numerus-clausus-Flüchtlingen»? Diese Frage muss wohl unbeantwortet bleiben, aber dennoch: Die
Debatte um deutsche Student_innen fügt
sich nahtlos in die derzeitige österreichische Migrationspolitik ein: neue Hürden
anstatt sinnvoller, profitabler Lösungen
für beide Seiten. Der österreichische Arbeitsmarkt würde langfristig nämlich bestimmt von gut ausgebildeten deutschen
Bildungsmigrant_innen profitieren, bei
denen es keine (oft beklagten) sprachlichen Barrieren gibt. Wenn die deutschen
Student_innen aber nicht nur vermehrt
mit universitären Hürden, sondern auch
mit gesellschaftlichen Ressentiments
kämpfen müssen, werden sie nach ihrem Studium in Österreich wohl schnell
wieder das Weite suchen. Und damit trifft
genau das zu, was viele Politiker_innen
wohl am wenigsten wollen: außer Spesen nichts gewesen.
Marion Draxler,
www.zara.or.at
| tun & lassen
17
Dr. Ehalts Praxis für
nützliche Theorie
Internationales Straßenzeitungstreffen
Ein Nachruf auf Chris «Flash» Tomo
Ein weiterer sinnloser Tod
Die ganze Welt in Glasgow
M
it dem viel versprechenden Titel «The Streetpaper Success Story: The next
Chapter» fand Mitte Juli die 16.
Konferenz des internationalen
Straßezeitungsnetzwerkes INSP
statt, an der rund 80 Teilnehmer_
innen aus 28 Ländern teilnahmen. So wie die meisten österreichischen Straßenzeitungen ist auch
der Augustin Mitglied beim International Network of Streetpapers,
das sich als Interessensvertretung
und Lobbyorganisation für mehr
als hundert Straßenzeitungen aus
vierzig Ländern versteht.
Neben zahlreichen Workshops
zu den Bereichen Redaktion, Vertrieb, Fundraising, Layout und Fotografie, war die diesjährige Konferenz vor allem davon geprägt,
Themen für globale Kampagnen
zu finden. Pro Monat erreichen
die Straßenzeitungen gemeinsam
rund 5 Millionen Leser_innen,
und damit Menschen die Interesse daran haben, gegen Armut, soziale Ausgrenzung und Unterdrückung aktiv zu werden, selbst wenn
ihr Engagement «nur» darin besteht, regelmäßig ihre regionale
Straßenzeitung zu kaufen.
Besonders inspirierend war die
Idee einer digitalen Straßenzeitung,
E
Erstmals auf einer INSP-Konferenz: Straßenzeitungsverkäufer_innen Rose
Henry (Kanada) und Joan (GB) und Redakteuer_innen Dominik Gorny und
Magdalena Chwarscianek (Polen)
die, obwohl im Internet verfügbar, den Verkäufer_innen trotzdem ermöglicht, ihren Anteil am
Zeitungsverkauf zu erwirtschaften und mit den Leser_innen in
Kontakt zu bleiben. Die Berichte der Kolleg_innen aus Japan bestätigte wieder einmal, wie wenig
die selektive Berichterstattung der
Mainstream-Medien über die tatsächliche Situation vor Ort auszusagen vermag.
Zum zweiten Mal wurden die
International Street Paper Awards
verliehen, die in 8 Kategorien
Straßenzeitungsmacher_innen
auszeichnen. In der Sparte «Bestes Cover» machten unsere Linzer
Kolleg_innen das Rennen. Mit ihrem Titel «Sozialleistungs-Nacktscanner» übte die «Kupfermuckn»
Kritik an der Initative der österreichischen Regierung in Sachen
Transparenzdatenbank und den
damit einhergehenden Eingriffen
in die Privatsphäre. Wir gratulieren der Kupfermuckn herzlich zum
Oscar der Straßenzeitungswelt!
Text & Foto: Gerda Kolb
Berichte, Interviews und Fotos von der Konferenz unter: http://inspconference.blogspot.com
VOLLE KONZENTRATION
Schulden der Staaten sind Vermögen der Reichen
Eine deutsche Stimme, männlich, aber angenehm. «Was
man endlich lernen muss, ist: Die Schulden der Staaten sind
das Vermögen der Reichen», schrieb dieser Tage der bekannteste deutsche Politiker links von der Sozialdemokratie, Oskar Lafontaine. «Wenn man Schulden abbauen will,
darf man das Geld nicht bei der Bevölkerung nehmen, die
ohnehin unter der verfehlten Politik des Lohndumpings
leidet, sondern man muss es bei denen nehmen, die seit
Jahrzehnten Nutznießer dieser Politik sind …
Ich würde die
europäischen Staaten von den Finanzmärkten abkoppeln
und die notwendigen Kredite direkt durch eine öffentlichrechtliche Bank vergeben – natürlich unter strengen Auflagen. Es ist nicht sinnvoll, dass die Europäische Zentralbank
der Deutschen Bank für 1,25 Prozent Milliarden zur Verfügung stellt und die Deutsche Bank diese Milliarden dann für
über zehn Prozent an Griechenland weiterreicht. Solange
wir diesen Unsinn weitermachen, wird es keine Lösung der
Schuldenkrise geben.» Das ist einleuchtend; gerade deshalb
wird Lafontaine von den deutschen Mainstreammedien so
verteufelt. Er ist zu klar in seiner Aussage; es wär' ihnen lieber, wenn er sich am unverständlich schwafelnden Starphilosophen Sloterdijk ein Beispiel nehmen würde.
Stoppt endlich die Fernseh-Börsenformate!
Noch eine deutsche Stimme, männlich, ebenfalls angenehm: «Stoppt endlich das alltägliche Casino im Fernsehen», fordert der Bundesvorsitzende der NaturFreunde
Deutschlands Michael Müller die Intendanten der Fernsehanstalten auf. «Die zahlreichen TV-Börsenformate tragen
mit dazu bei, dass die Gesellschaft immer stärker verunsichert wird. Dabei spiegeln die Börsen nur eine künstliche
Wirklichkeit, ihre Bedeutung für die Realwirtschaft ist gering. Allein die massive und unkritische Berichterstattung
wirkt sich letztlich auf das realwirtschaftliche Geschehen
aus», warnt Müller.
r bezeichnete sich selbst einmal als Soziopath
«Hunger nach Leben» dann auch erhielt. Nur
– was bedingt vielleicht stimmen konnte, aber
wenige Wochen nach seinem schrittweisen Entnur einen geringen Teil seiner so vielfältigen
zug vom Substitut ging er daran, sich nach einer
Persönlichkeit ausmachte. Als ich Christian näTherapie umzusehen, welche ihn von der Hepaher kennenlernen durfte, war er voller Elan datitis C befreien konnte. Er nahm die langwierige
bei, sein Leben in den Griff zu kriegen, sich mit
und schmerzhafte Form mit Interferon auf sich,
der Gesellschaft zu arrangieren, sichtlich motiwas er schlecht vertrug, über Schmerzen, Kopfviert durch die Existenz der Tochter Laura. Er bat
weh und Orientierungs-Schwierigkeiten klagte.
mich das eine oder andere Mal um Rat und HilDoch es kam der Tag, wo auch diese «Rosskur»
fe, wenn es darum ging, mit Beistand von Carivorbei war, er sich rasch erholte und sich des Vitas oder ähnlichen Organisationen die Miet- oder
rus entledigt hatte. Er belohnte sich selbst mit eiStromzahlungsrückstände zu begleichen oder ein
nem mehrwöchigen Thailand-Aufenthalt, kam
Schreiben wegen des Besuchsrechts an das Gemit einer gesunden Farbe und wie runderneuert
richt zu formulieren, beschäftigte sich intensiv
zurück nach Wien – und sah dieses nun aus einer
mit seinem «Steckenpferd», der Fotografie, beganz neuen Perspektive, die ihm so gar nicht gesuchte dazu Fortbildungskurse an den Volkshochfiel. Der Mangel an Lebenslust der Leute hier, das
schulen und exerzierte das, was kaum ein anderer
fehlende Feingefühl, das Grau. Was vor wenigen
zustande bringt: Innerhalb eines Jahres schaffte er
Tagen passierte, mag mit ein Auslöser für seine
es, von einer ziemlich hohen Dosis seines SubstiSelbstaufgabe gewesen sein: Sturzbetrunken blieb
tution-Medikaments auf null zu reduzieren.
er am Gürtel nach einem Lokalbesuch auf einer
Als zusätzlichen Anreiz hatte er sich das Ziel
Parkbank sitzen, stur wie ein Esel ließ er sich nicht
gesteckt, zumindest die Hälfte des Jakobswegs zu
mehr bewegen, in ein Taxi zu steigen und nach
gehen, was er im Frühling dann auch durchzog.
Hause zu fahren. Die Person, die ihn schließlich
Damit verschaffte er sich gerade bei mir ein hodorthin verfrachtete, stahl seine gesamte Fotohes Maß an Respekt, und gemeinsam gingen wir
ausrüstung und noch einiges mehr.
daran, ein paar Projekte umzusetzen, wo er foAm Donnerstag, den 4. August 2011, fand seitografierte und ich den Text beisteuerte. So entne Mutter ihn tot in der Wohnung auf. Die Staatsstand ein Bericht für den Augustin – den er übanwaltschaft ordnete eine Obduktion an. Er wird
rigens in den Weinschenken in Grinzing an sein
mir und vielen anderen in Erinnerung bleiben,
fast durchwegs Stammpublikum verkaufte – über
denn ein schräger Typ war er schon – einer mit
den Wiener «Dialekt-Poetry-Slam», gemeinsam
Herz.
wohnten wir im Rahmen der Aktion «Hunger
Text & Foto: Wolfgang E. Eigensinn
auf Kunst und Kultur» der Abschlussveranstaltung der Reihe «Armutsgrenzen» bei, waren Gäste einer
Führung von Direktor Michael Schottenberg durch das
Volkstheater, sahen die Premiere von «Alpenkönig und
Menschenfeind» in eben dessen Inszenierung. Es störte
mich nicht, dass im Rucksack, der die Fotoausrüstung
barg, ständig ein paar Dosen
Bier gebunkert waren.
Er brachte sein «Lebenselixier» mit Geschick an jeder
Kontrolle vorbei, auch am
Donauinselfest, wo wir uns
Billy Idol anhörten. Es zählte sein Talent mit der Kamera und ich riet ihm, um Subvention einzureichen, welche
Chris Flash Tomo. Wenige Tage vor seinem Tod nutzte ein Unbekannter seine
Betrunkenheit aus und stahl die komplette Fotoausrüstung
er für das Fotografie-Projekt
Schamlose
Umverteilung
D
as aktuelle Wirtschaftssystem ist höchst
erfinderisch, wenn es darum geht, Besitz und Einkommen von der Gemeinschaft, von öffentlicher Verfügbarkeit, von
den ArbeitnehmerInnen zu privaten Besitzern umzuverteilen. Für das jeweils niedrigste Entgelt der Leistungen von ArbeitnehmerInnen sorgen die global ermittelten
Benchmarks, die bei den Arbeitgebern die
roten Warnblinklichter aufleuchten lassen,
wenn an einem «Standort» Gehälter höher
sind, weil sie Sozialleistungen beinhalten
und minimale ökologische Standards eingehalten werden.
Die Profite der Shareholder werden mit
allen Tricks der Finanzwirtschaft frei von Abgaben für soziale Leistungen für Dienstnehmer gehalten. Die aktuelle Sparpolitik der
EU geht ausschließlich auf Kosten der ArbeitnehmerInnen und der wirtschaftlich
und sozial Schwachen, deren Sozialleistungen gekürzt oder gestrichen werden.
Die Ratingagenturen erstellen Gefälligkeitsgutachten im Interesse von Kapitaleignern. Staaten wie Griechenland werden
in ihrer Kreditwürdigkeit herabgestuft; sie
werden gezwungen, dort zu sparen, wo soziale und Bildungsleistungen erbracht und
empfangen werden. Das gesamte soziale
System, das im Übrigen auch von den Nutznießern des aktuellen Finanzkapitalismus
schamlos in Anspruch genommen wird,
wurde bereits auf die kleinstmögliche Sparflamme gebracht. Die in der Öffentlichkeit
kaum kritisierte Devise der EU lautet, dass
eben dort – im Bereich jener sozialen Leistungen, die das rudimentäre Funktionieren
von Gesellschaft überhaupt gewährleisten
– noch mehr gespart werden muss. Eben
nur mehr dort haben die nationalen Staaten noch eine Eingriffsmöglichkeit.
Einen höchst fragwürdigen kurzfristigen
«Ausweg» bieten die expliziten Privatisierungen, bei denen Gemeinschaftseigentum
und Leistungen für die Gemeinschaft in private Hände transferiert werden. Die aktuelle Allianz zwischen Staat und Kapital erinnert an den «Nachtwächterstaat» des 19.
Jahrhunderts. Die notwendigen Regulierungsleistungen, die die Staaten und die
EU im Hinblick auf das Finanzkapital erbringen sollten, unterbleiben. Die Ordnungsund Disziplinierungsaktivitäten richten sich
tendenziell sehr oft gegen Bürgerinnen und
Bürger und die notwendigen Freiräume, die
Demokratie sichern muss.
Hubert Christian Ehalt
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kraut & rüben |
Widder
21.3.–20. 4.
Kürzlich wurden in Kärnten neue Ortstafeln
aufgestellt. Zweisprachige. Staatssekretär Ostermayer wurde dafür von Landeshauptmann Dörfler sogar
mit einem Orden bedankt. Sehr feierlich! Bei den Festlichkeiten wurde allerdings auf den Kärtner Anwalt und
Schnellfahrer Rudi Vouk vergessen, der mit seinen Radarstrafen vieles ins Rollen brachte. Für dich ein weiterer Beweis, dass wahres Heldentum im Verborgenen blüht.
Krebs
22. 6.–22. 7.
In den USA machen sich religiöse und reaktionäre Fundamentalist_innen auf, um nach den Republikanern das ganze Land in Geiselhaft zu nehmen. Diese
Tea-Party-Bewegung wird von vielen Leuten der unteren Mittelschicht mitgetragen. Jene, die etwa eine bessere Gesundheitsversorgung durchaus brauchen könnten. Dir bleibt nur Brecht: «Nur die dümmsten Kälber
wählen ihre Schlächter selber.»
Waage
24. 9.–23. 10.
Der Sommer war bisher passabel verregnet. Für dich
ein Gegenbeweis für die Behauptung, dass Bezeichnungen Wirklichkeiten schaffen. Noch besser als Gegenbeweis eignet sich ein anderer Sommer, nämlich
der Langzeit-Redakteur Robert Sommer. Jeder normale
Mensch assoziiert Urlaub und Erholung, wenn er «Sommer» hört. R.S. hingegen steht für Workoholism.
Steinbock
22.12.–20. 1.
Wie sich die Dinge doch ändern! Jahrzehntelang galt Israel als das einzige demokratische
Land in der Region. Und nun berufen sich israelische Demonstrant_innen auf den «arabischen Frühling» und kopieren dessen Aktionsformen. Dir geht es ähnlich. Lange Zeit warst du die Speerspitze des kritischen Denkens
im Block, und nun schicken sich deine biederen Nachbarn
an, dich in Sachen Globalisierungs- und Kapitalismuskritik zu überholen.
Stier
21.4.–20. 5.
Jean Ziegler wollte den Spekulationsbanditen bei den Salzburger Festspielen die Leviten lesen,
wurde von Landeshauptfrau Burgstaller aber ausgeladen. Dennoch ist seine Rede, in der er die anwesenden
«Schönen und Reichen» für den Hunger auf der Welt
und die «kannibalistische Weltordnung» verantwortlich
machen wollte, publik geworden. Dein Lehre daraus:
Immer schön stur bleiben und trau keiner Gabi!
Löwe
23.7.–23. 8.
Mit großem Pomp und viel Überheblichkeit
wurde in den den letzten Wochen des Mauerbaus von
Berlin gedacht. Auch der etwa 200 Mauertoten. Das in
unseren Tagen jährlich 3-4000 Menschen beim Versuch,
in die EU zu gelangen, ihr Leben lassen, scheint der Gewissheit, dass das bessere System gewonnen hat, keinen Abbruch zu tun. Wie war das nochmal im Religionsunterricht mit dem Splitter und dem Balken im Auge?
Skorpion
24.10.–22. 11.
In London haben es die Unterschichten einmal ordentlich krachen lassen. Dir wäre das im Prinzip
ja sympathisch, wenn die konkreten Ausformungen
nicht so abstoßend wären. Und nun nagt der Zweifel an
dir, ob du nicht im Grunde ein verklemmter Spießbürger bist. Dabei hast du dir nur (trotz aller Ideologie)
dein meschliches Mitgefühl für die Opfer bewahrt.
Wassermann
21. 1.–19. 2.
Die erstinstanzliche Verurteilung von Uwe
Scheuch (es gilt die Unschuldsvermutung) hat eine interessante Frage der Rechtssicherheit aufgeworfen.
Hier wurde vielleicht jemand für etwas bestraft was eh
alle anderen auch dauernd machen. Die Verteidigungsund Rechtfertigungsversuche der FPK sind interessante spaßige Gedankenexperimente. Gerade recht für die
Sommerzeit.
Zwilling
21.5.–21. 6.
Du bist tief enttäuscht. Der Umgang der europäischen Politik mit den Schuldenkrisen in einigen
Mitgliedsländern lässt immer klarer erkennen, dass den
Politiker_innen wirklich nichts anderes einfällt, als ihre
Politik an den Börsenkursen auszurichten. Dein Zorn
wandelt sich durch diese Erkenntnis immer mehr in
Mitleid. Eigentlich ist das nur tieftraurig.
Jungfrau
24. 8.–23. 9.
Einige österreichische Priester (um Helmut
Schüller) proben den Aufstand gegen die Kirchenoberen und rufen zum Ungehorsam auf. Tapfer,
wenn auch aussichtslos. In dir keimt der Verdacht, dass
es dabei weniger um konkrete Reformen denn um das
Seelenheil der Ungehorsamen geht. Sie wollen beim
jüngsten Gericht vor ihren Schöpfer treten können und
zeigen, dass sie sich nach Kräften bemüht haben.
Schütze
23. 11.–21. 12.
Du erkennst, dass die Unzufriedenheit mit
den herrschenden Verhältnissen bereits weitere Kreise ergriffen hat als die üblichen Verdächtigen. Nur was
machen mit all den Wutbürger_innen und Systemerneuer_innen? Du befürchtest, dass diese neue Beweglichkeit von den falschen Kräften genutzt werden könnte. Da­rum ist es jetzt an dir, sie richtig zu nutzen.
Fische
20. 2.–20. 3.
In Oberösterreich stöhnen nun zahlreiche Gemeinden
unter den Verlusten der Spekulationsgeschäfte, die ihnen von ihren Hausbanken eingeredet wurden. Am
schlimmsten wird es wohl Linz erwischen. Der Landeshauptstadt drohen halbjährliche Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe. Am liebsten würdest du dich vor
Lachen schütteln. Aber du weißt, wer diese Zeche wohl
bezahlen wird müssen.
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Neuerdings mit Otto
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WAAGRECHT: 1. jedenfalls ist sie nach dem Arztbesuch zu bezahlen 11. viele singen in ihnen, unprofessionell, trotzdem gut 12. picken in den meisten
Bädern 13. nur kurz währt Elternliebe 15. wer etwas aus dem beherrscht,
beherrscht es wirklich gut 16. in den Amtsstuben: Rechnungshof 17. auf der
Neunkirchner Nummerntafel zu lesen 18. dicker als die Leine, dünner als das
Tau 19. Streifen liegt am östlichen Mittelmeer, sehr konfliktbeladen 21. das
Ende des Tisches 23. hat Brecht mit der Bardot gemeinsam 24. Programmiersprachenschlüsselwort 26. ist durch den Eurotunnel mit Frankreich verbunden 28. etwas und jemand als legitim anerkennen 32. in schwingende Bewegungen bringen 33. kurz fürs Neue Testament 34. zunächst sozusagen
35. sie gaben ihre Stimme ab 37. ein arabischer Befehlshaber 38. abbrev.
for Letter of Admission 39. alltagssprachlich für Saugwirkung 41. verkehrt
liegt die Seite des Hangs
SENKRECHT: 1. verwertet verschiedenartige Brennstoffe 2. einer der sechs
Stämme der Tibeter 3. ein Format für komprimierte Dateien reduziert den
Platzbedarf 4. ziemlich kurze Teilentladung 5. Initialen des Krone-Journalisten Staberl 6. ein kleines Stück von etwas 7. ohne Ehr und niederträchtig 8.
verkehrt laufen englische Hennen 9. haben Skulpturen und Kreaturen gemein 10. blumiges Symbol der Passion Christi 14. Autor des Antiheimatromans «Die Wolfshaut» – jeder AUGUSTIN-Leser_in sehr zu empfehlen 15. visuelles Hilfsmittel unterstützt Referate – schön schreiben! 20. französische
Koseform von Anna 22. alles in allem ist er zum Glück noch immer arbeitsfrei
25. Marke steht fürs Papiertaschentuch: Oh! it’s a …! 27. drei in Italien 29.
süßsauer, abg. 30. herrscht in der Tiefkühltruhe – unangefochten 31. in jeder
Herde zu entdecken 35. fragt nach der Art und Weise 36. nach wie vor gut
ausgestattet, der militärische Nachrichtendienst der USA 40. leitet die Taschentuchwerbung (25 senkrecht) ein
Lösung für Heft 302: KAISERGRUFT
Gewonnen hat Heide-Marie Wenigwieser, 1110 Wien
W: 1 EIERNOCKERL 9 SN 10 CHARITE 11 ECHO 13 TOI 14 VORSPIEL 18 SALTO
20 LEISTE 21 ZISTERNE 23 RO 24 STEIG 25 LPE 28.BETRAGEN 30 ERIKA 32 EULEN 33 SCHARF 36 KAPONE 38 TRENN 39 EBER 40 TO
S: 1 ESELSBRÜCKE 2 INC 3 RIO 4 OCTO 5 CHORLEITER 6 ER 7 RIBISELGELEE 8
LT 12 HOLZ 14 VOSTBAHN 15 PIN 16 ET 17 LEBEN 19 TIS 22 TEE 26 PEN 29 AL
31 KCOR 34 AET 35 ENG 37 AB
X
Einsendungen (müssen bis 31. 8. 11 eingelangt sein) an:
AUGUSTIN, Reinprechtsdorfer Straße 31, 1050 WIEN
CHRISTAS SPARKÜCHE
Hommage an das Leitungswasser
A
uch auf die Gefahr hin, dass Sie
es nicht mehr hören (und lesen)
können: Verabschieden Sie sich
bitte vom Mineralwasser in Flaschen
und trinken Sie Leitungswasser. Die
beiden Wiener Hochquellwasserleitungen liefern täglich über 400.000 Kubikmeter Trinkwasser in Gebirgswasserqualität in die Stadt. Dieses überbietet
in seiner Qualität oft die als «Mineralwasser» erhältlichen abgepackten
Produkte.
100 Liter Leitungswasser kosten
in Wien auch nach der aktuellen Gebührenerhöhung nur rund 35 Cent
(für KleingärtnerInnen ists noch billiger), die gleiche Menge abgepacktes
Wasser kommt im Schnitt auf 40 Euro.
Ganz abgesehen von den Nachteilen
des «Gebindewassers»:
Handelsüblichem Mineralwasser
wird Kohlensäure zugesetzt, um die
Haltbarkeit zu verlängern (sie wirkt
keimtötend bzw. -hindernd). Den gleichen Effekt können Sie in Heimarbeit
mit Kapseln oder Automat auch erreichen. Wenn Sie das mögen, dass Ihnen
seltsame Gase vom Magen über die
Speiseröhre bis in die Nase steigen.
Glasflaschen haben eine geringere Durchlässigkeit für Kohlensäure als
PET-Flaschen, aber glücklicherweise
fordern die Konsument_Innen ohnehin immer mehr stilles Wasser, sagen
die Marktforscher_Innen. (Dann aber
schleppen sie wieder mehr Keime in
der Flasche nach Hause. Na ja, man
kann nicht alles haben.)
Das teuerste am Gebindewasser sind
die Verpackung und der Transport. Mittlerweile gibt es Mineralwasser sogar in
Aludosen. Es ist widersinnig, dass wir
aus dem Supermarkt heimgeschlepptes Flaschenwasser trinken, das durch
tausende Transportkilometer die Umwelt verpestet hat, obwohl vor Ort Wasser in großteils besserer Qualiät aus der
Leitung kommt!
Ganz abgesehen davon, dass die
wenigen Multis, die den Wassermarkt
fest im Würgegriff haben, ihre Skrupel
gegenüber betroffenen Bürger_Innen
schon vor längerer Zeit weggespült
haben. Geschichten über beinhartes
Abziehen von lokalem Trinkwasser für
Limonadenerzeugung und ähnliche
Grauslichkeiten können einschlägig
nachgelesen werden. Evian (zum Konzern Danone gehörend) hat sogar Mineralwasserflaschen entwickelt, auf
die die handelsüblichen Babysauger
passen – man muss die Kinder früh genug ans Konsumieren gewöhnen.
Weil auch in Österreich seit längerem das Schreckgespenst «Ausverkauf
unseres Wassers» herumgeistert, wurde eine Kosten-Nutzen-Studie in Auftrag gegeben. Ein Nebenergebnis
dieser Arbeit möchte ich Ihnen nicht
vorenthalten: Österreich importiert
mehr Gebindewasser, als es exportiert. 2005 waren es 90,13 Millionen
Liter Import gegenüber 17,8 Millionen
Liter Export. Das meiste importierte Mineralwasser kommt aus Italien
– einem Land mit regionalem Wassermangel. Und das, obwohl Österreich zu den wasserreichen Ländern
der Welt zählt: unser Wasserbedarf beträgt jährlich 2,5 Milliarden Kubikmeter, das sind drei Prozent der Quellen
und Grundwasservorräte.
Lassen Sie sich auch durch «hartes»
Wasser nicht abschrecken. Dieses ist
zwar Ihrer Kaffeemaschine lästig, aber
nicht Ihrem Körper: Das enthaltene Kalzium und Magnesium kann manchmal
ein Medikament bzw. teuer erkauftes
Nahrungsergänzungsmittel ersetzen.
Christa Neubauer
Rezepte unter
http://singlekocherei.myblog.de
Quellen:
Michaela Knieli: Erfrischend g’sund und günstig: Wasser in Forum 753/11
Karo Katzmann: Schwarzbuch Wasser. Molden
Verlag 2007
303
20
vorstadt |
Dritan Baholli, Konditions- und Co-Trainer von Rapid Wien, im Gespräch
Hiddinks Augenöffner und der
Aron-Winter-Kick
seit mehreren Jahren zum Betreuerteam von Rapids Neo-Coach Peter
Schöttel. Im Interview spricht er über
aus der Mode gekommene Übungen,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Konditionstrainings und beziffert die Chancen, mit einem Bierbauch Bundesliga spielen zu können.
Wenn der Konditrainer «alle in Bewegung» ruft, wird er gern von Hofmann und Katzer an der Hand genommen
I
Ich bin in erster Linie für das Konditionstraining zuständig. Darüber hinaus helfe ich Trainer Peter Schöttel
bei der Einschätzung der Tagesform
der Spieler am Matchtag.
2005 waren Sie schon einmal bei Rapid,
unter Trainer Hickersberger. Schöttel war
damals Sportdirektor. Wie sind Sie zu
den Hütteldorfern gekommen?
Nach der Beendigung meines Studiums habe ich Peter Schöttel kontaktiert und mich beworben. Er hat
mir die Möglichkeit gegeben, bei den
Amateuren zu arbeiten. Dann hat sich
das Ganze von alleine entwickelt. Josef
Hickersberger hat irgendwann gesagt:
‹Dich nehm ich jetzt mit zur Ersten.›
Wie hat sich seither die von Ihnen benötigte Infrastruktur in Hütteldorf
verändert?
Bei Rapid hat sich sehr viel zum Positiven verändert. Jetzt haben wir eine
gute Kraftkammer. Das Schnelligkeitstraining mussten wir damals im
Freien machen, ohne die Geräte, die
man dazu eigentlich braucht. Aber
das funktioniert jetzt sehr gut. Und
auch bei den Spielern hat sich einiges verändert. Sie kontrollieren ihren
täglichen Zustand bei den Vorbereitungswochen, interessieren sich für
ihre Pulswerte. Damals hat sich fast
keiner darum gekümmert.
Fotos: Mario Lang
hr Job wird manchmal als Co-Trainer,
manchmal Konditionstrainer, manchmal Assistenztrainer bezeichnet. Was
machen Sie nun wirklich?
Zur Person
Dritan Baholli (*23. 7.
1974/Tirana) hat in seiner
Laufbahn für die Hauptstadtvereine KF und Partizani Tirana gespielt. Er bestritt ein Spiel für die
albanische Nationalmannschaft, war Kapitän der U23-Auswahl. In Österreich
spielte der Defensiv-Allrounder ab 1997 u.a. bei
Würmla, Vienna, NAC,
Stadlau, Fortuna 05 und
Wienerberg. Dazu studierte er Sportwissenschaften
und Germanistik. Nach seinem Abschluss arbeitete er
weiter im wissenschaftlichen Bereich. Seine Stationen als Konditionstrainer:
Rapid, Sportklub, Wr. Neustadt und nun wieder Rapid, wo er als Co- und Konditionstrainer an der Seite
Peter Schöttels arbeitet.
«In puncto Schnelligkeit kann man den Spielern nichts mehr rauskitzeln», meint der
Sportwissenschaftler Dritan Baholli
Rapid ist nun schon der dritte Verein, bei
dem Sie Schöttel als Konditions- und CoTrainer mit an Bord geholt hat. Das ist ja
schon ein Anzeichen dafür, dass die Zusammenarbeit ganz gut funktioniert.
Wir streiten all die Jahre ganz heftig, aber auf konstruktive Art.
Es ist ein Genuss, mit dem Peter
zusammenzuarbeiten.
Sie waren selbst ein erfolgreicher Kicker
(siehe Kasten). Welche Übung aus den damaligen Trainingseinheiten hat sich mittlerweile als Blödsinn herausgestellt?
Diese Huckepackübungen, bei denen
man mit einem Mann am Rücken herumläuft. Das ist der blanke Wahnsinn für die Bandscheiben und die
Patellaspitzen.
Wofür sollte diese Übung gut sein?
Ich weiß es nicht mehr. Sprungkraft
oder was auch immer. Aber danach
sind alle Spieler total kaputt. Das war
manchmal nicht das Gelbe vom Ei,
was wir damals trainiert haben.
Wieso haben Sie, als Sie als 24-jähriger Profikicker nach Wien gekommen sind, Germanistik studiert? Das
Sportwissenschaftsstudium lässt man
sich bei einem Fußballer noch einreden,
aber Germanistik sprengt jedes Klischee.
Ich habe bereits in Albanien Germanistik studiert, musste aber das Studium abbrechen. In Wien musste ich
wieder ganz von vorne beginnen. Für
mich war das aber die Superkonstellation, denn so hatte ich keine Probleme mit den Fachbegriffen in der
Sportwissenschaft.
Wie hat es vor zehn Jahren im österreichischen Fußball in Sachen Leistungsdiagnostik ausgesehen?
Damals war Österreich schon dünn besetzt. Es gab zwar immer wieder Ansätze, aber richtige Sportwissenschaft,
wo man die Mannschaft über zwei,
drei Saisonen wissenschaftlich begleitet, Pulswerte und ähnliches erfasst,
das vergleicht und auswertet: das war
nicht vorhanden.
Können Vereine mit einem größeren Budget als Rapid im Bereich Konditionstraining und Leistungsdiagnostik noch viel
herauskitzeln?
Auf jeden Fall. Wir haben in der Vorbereitung gegen Valencia gespielt.
Davor habe ich mir wochenlang
Trainingseinheiten von ihnen im Internet angesehen. Wenn sie Schnelligkeit- oder Sprungkrafttraining machen, bauen sie sechs Stationen auf
und an jeder steht ein Trainer, der
seine Gruppe ganz genau beobachtet. Dazu vier Physiotherapeuten,
drei Konditrainer: das nenne ich
Leistungsdiagnostik.
Wie schaffen Sie es, über die aktuellen
Erkenntnisse und Trends in Ihrem Bereich am Laufenden zu bleiben?
Ich habe noch aus meiner Studienzeit
sehr gute Kontakte zu vielen Konditrainern aus Italien und Frankreich.
Und manchmal spielt auch der Zufall mit: Als wir mit Wiener Neustadt
im Trainingslager in der Türkei waren, habe ich Aron Winter getroffen,
der Spieler und Nachwuchstrainer bei
Ajax Amsterdam war und im holländischen Nationalteam und in Italien
gespielt hat. Ich war schon immer ein
Riesen-Fan von Winter. Er war mit
dem FC Toronto, den er jetzt betreut,
ebenfalls auf Trainingslager. Allein die
Gespräche mit ihm und die Einheiten,
die ich beobachtet habe, geben mir
schon einen Kick. Und man ahnt, in
welche Richtung sich die Materie entwickeln wird. In puncto Schnelligkeit
kann man den Spielern nichts mehr
rauskitzeln. Da ist schon das Maximum erreicht. Es geht um Instinkt, es
geht um Dribblings. Den Unterschied
werden immer ein Messi, ein Eto’o, ein
Iniesta, ein Xavi machen.
Kann man das Training so anlegen, dass
die Mannschaft das ganze Jahr über auf
einem konstant hohen Level bleibt oder
plant man Leistungsspitzen für die Topspiele ein?
Wir trainieren tatsächlich vor allem
auf die Salzburg-Sturm-Violett-Wochen hin. Du kannst die Leistung der
Spieler nicht eine ganze Saison hoch
halten. Dann geht es nach einem Höhepunkt eben mal runter, sonst bewirkst du nichts mehr im Muskelzellenbereich. Das Ganze ist dann zu
gesättigt.
Wie kann
vorbeugen?
man
Verletzungen
Das geht eben nicht nur in der Vorbereitungsphase, das wäre zu wenig. Bis das ganze System, die Bänder und Sehnen, stabil ist, vergehen
Monate, manchmal Jahre. Da muss
dann der Spieler selbst merken: ‹Aha,
bei den Übungen passiert mir jetzt
nichts mehr.› Die Präventivübungen,
die sensomotorischen Übungen, die
gehören bei uns mittlerweile zum täglichen Programm.
Kann ein nicht völlig austrainierter
Spieler heute noch in der Bundesliga
mitkicken?
Unmöglich. Das halte ich für
ausgeschlossen.
Seit wann geht das nicht mehr?
Für mich war der große Wendepunkt
die WM 2002, als Guus Hiddink mit
Südkorea alle überrannt hat. Man hat
gesehen, was man mit perfektem Konditionstraining aus einer Mannschaft
herausholen kann. Das hat wirklich
allen die Augen geöffnet.
Interview: Hannes Gaisberger
K i c k-Ti p p
Der albanische Ex-Nationalspieler, Sportwissenschaftler und
Germanist Dritan Baholli gehört
Oberliga A: FC 1980 Wien – SC
Wiener Viktoria Sun Company;
Sportplatz Gem. Wien Franz Koci,
Samstag, 27.08., 17 Uhr: Lieben
Sie griechische Mythologie? Dann
wäre bis vor ein paar Jahren FC
1980 Wien Ihr Verein gewesen, als
er noch FC 1980 Wien Sisyphos benamst war. Will man seinen Spielern Hoffnung auf eine rosige Zukunft machen, in der Aufstieg auf
Aufstieg folgt und irgendwann die
Champions League winkt, ist Sisyphos eventuell doch nicht der
richtige Namenspatron. Auf bessere Zeiten braucht man bei der
Meidlinger Viktoria nicht mehr zu
warten, was könnte schöner als
die Gegenwart sein: ein Ex-Austro-Rock-Star als Präsident, ein
Toni Polster als Trainer, ein Sonnenstudio als Sponsor. Wobei man
sich schon fragt, was den bekennenden Rapid-Fan Gregory dazu
bringt, ausgerechnet das Veilchen
Polster als Trainer zu engagieren.
Aber vermutlich bleibt die ganze
Arbeit ohnehin an Co-Trainer Peter Kastanek hängen.
Franz-Koci-Straße 1
1100 Wien
Tel.: (01) 688 41 69
Öffis: 67 (Per-Albin-Hansson-Siedlung
Ost)
Wienerliga: SC Ostbahn XI – FV
Austria XIII-Auhof Center; Sportplatz Ostbahn 11, Samstag, 3.9.,
17 Uhr: Ostbahn XI – Austria XIII:
So viele römische Zahlen! Nach
diesem Sommer der Kinofortsetzungen (Kung Fu Panda II, Transformers III, Scream IV, …) wähnt
man einen weiteren Teil von «Rocky» im Anmarsch, aber der Sly
Stallone lässt vorerst seine Fäuste stecken. Die geballten Fäuste
wird letzte Saison auch so mancher Ostbahn-Fan in der Hosentasche spazieren getragen haben,
ging es doch nach drei Jahren in
der Regionalliga wieder abwärts
in die Wiener Stadtliga. Darüber
hinaus will Dr. Kurt Ostbahn das
20-Jahr-Jubiläum seines legendären Livekonzerts am Ostbahnplatz
1991 eben nicht am Ostbahnplatz
zelebrieren, sondern im Prater.
Eher Oasch als Leiwaund! Sehr leiwaund fanden hingegen die Anhänger von Austria XIII die letzte
Saison, die mit Oberliga-Meistertitel und Aufstieg in die Wienerliga
gekrönt wurde. Was für ein Wechselbad der Emotionen! Quasi Yin
gegen Yang.
Hasenleitengasse 49
1110 Wien
Tel.: (01) 767 61 41
Öffis: 69 A und 72 A (Am Kanal/
Hasenleitengasse)
3. Klasse: Donauraum Juventus
Wien FC – Golden Apple; Sportplatz Wienerberg, Sonntag, 4.9.,
16 Uhr: Zwei Newcomer im Wiener Fußballverband debütieren in
der dritten und untersten Spielklasse. Juventus hat einen beeindruckenden Kader mit 36 Spielern angemeldet, Trainer Robert
Janecek, der auch Vorstandsvorsitzender und Abwehrspieler der
gar nicht so alten Dame ist, kann
aus dem Vollen schöpfen. Dass
der Verein drei Scouts (je einen
für Österreich, Bosnien und Ghana) vorweisen kann, ist entweder
nur etwas dick aufgetragen oder
vielleicht doch ein Zeichen dafür, dass in Österreich wieder einmal etwas Großes im Entstehen
ist. Viel bedeckter geben sich die
Gäste von Golden Apple, über die
im Vorfeld nur sehr wenig bekannt
ist. Die Vereinsanschrift deckt sich
mit der Adresse eines gleichnamigen Shisha-Lokals in der Quellenstraße, das hat sich ohne Verletzung des Datenschutzes gerade
noch ermitteln lassen.
HG
Computerstraße 3
1100 Wien
Tel.: (01) 667 61 27
Öffis: Badner Bahn (Gutheil-SchoderGasse) oder 65 A (Triester Straße/
Computerstraße)
art.ist.in |
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Engagiertes Kino zum Thema Kindesentführung und -missbrauch
Jenseits von Krimi, Tränendrüsendrücker oder Sozialporno bewegt sich Markus Schleinzers Kinofilm
«Michael» Der Regisseur im Augustin-Gespräch über Opfer und Täter und warum wir uns mit Letzteren kaum auseinandersetzen wollen.
W
ie kamen Sie darauf, einen Film zu
dem Thema Kindesentführung zu
machen?
Ich war 2008 auf der Suche
nach einem Stoff für meinen ersten Kinospielfilm, und damals waren die Medien
voll mit dem Thema des «verschwundenen und missbrauchten Kindes», es war
omnipräsent. Im Sommer war der Fall
Madelaine in Portugal, Fritzl hatte gerade seinen Prozessbeginn, es sind neueste Verschwörungstheorien zum Fall
Natascha Kampusch aufgekommen, in
Linz gab es den Fall einer geschiedenen
Frau, die drei Kinder sehr seltsam gehalten hat, in Amerika gab es einen Fall, wo
junge Mädchen in einer Garage gefangen
gehalten wurden etc. Man konnte keine Tageszeitung aufschlagen, ohne dass
man mit dem Thema konfrontiert wurde.
Und was mich da sehr irritiert hat, war,
dass man es ausschließlich dem Boulevard überlassen hat. Was mich auch
sehr interessiert und schockiert hat, war,
wie sehr ich selbst ein Rezipient dieser
Art von Berichterstattung war, wie sehr
auch ich als eine Art Gesellschaftsvoyeur interessiert an Überschriften und
gar nicht so sehr an irgendwelchen inhaltlichen Auseinandersetzungen war.
Das hat mich schockiert, und ich habe
mir gedacht, das muss ich mir näher anschauen. (...)
Warum steht in dem Film der Täter im Mittelpunkt? Ich kenne Filme, wo es um verschwundene Kinder geht, und das sind Krimis, oder es geht um das Leid der Familie.
Die Entscheidung ist schnell gefallen,
dass ich mich dieser Geschichte von der
Täterseite nähern möchte. Es ist ja gesellschaftlich sehr viel einfacher, sich mit
Opfern auseinanderzusetzen. Da wird
schnell etwas hingespendet, damit man
eine Ruhe hat. Man kann man sich ja jeden zweiten Tag was anderes aussuchen,
wo man sich schnell wieder ein gutes Gewissen erkaufen kann. Aber mit den Tätern setzen wir uns nicht so gerne auseinander. Das ist sehr viel schmerzvoller.
Letztendlich ist aber eine Gesellschaft nur
so weit entwickelt, wie sie in der Lage ist,
sich auch mit ihren eigenen Tätern auseinanderzusetzen. Das haben wir ja nicht
nur in der Pädophilie. (...) Und ich war
in Sorge, denn wenn man sich dem Thema von der Kinder-, sprich der Opferseite, nähert, kann man sehr viel leichter
Land auf emotionalem Gebiet gewinnen.
Entführungsalltag
I
n seinem ersten Spielfilm, der auch im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes lief, zeigt Regisseur Markus ­Schleinzer Szenen
aus den letzten Monaten einer fiktiven Kindesentführung. Im Mittelpunkt steht dabei das Zusammenleben von Täter und Opfer und
das unspektakuläre Leben des Kidnappers außerhalb seiner vier
Wände. Der 35-jährige Michael (dargestellt von Michael Fuith) ist
offenbar ein durchschnittlicher Typ, der bei einer Versicherungsgesellschaft arbeitet und mit den Kolleg_innen gut auskommt. Auch
das Einfamilienhaus in irgendeiner Siedlung in der Nähe Wiens, in
dem Michael lebt, ist ein Bau wie viele andere. Nur, dass Michael
in einem fensterlosen Raum im Keller, hinter einer dicken Stahltür,
nicht wie andere Leute Krimskrams oder Vorräte lagert, sondern einen kleinen Buben gefangen hält. Der zehnjährige Wolfgang (David Rauchenberger) wird in materieller Hinsicht gut versorgt. Das
Leben des Entführers und seines Opfers umfasst gemeinsame Aktivitäten wie Spielen, Haushaltsarbeiten machen oder Fernsehen.
Der Film schildert diesen oft trivial anmutenden Alltag, der gleichzeitig die Imitation eines «normalen» Familienlebens darstellt. Und
zwar nicht nur wegen des Fakts der Freiheitsberaubung; Wolfgang
dient seinem Entführer nicht nur als Ersatzsohn, sondern auch als
Sexualobjekt. Es ist ein diffiziler Themenbereich mit dem sich Markus Schleinzer befasst, und es gelingt dem Regisseur, sich damit
auseinanderzusetzen, ohne voyeuristisch zu sein oder trivial-psychologische Erklärungen zu bemühen. «Michael» ist nicht als Krimi konzipiert, auch nicht als emotionsheischendes Familiendrama.
Konsumationsfreundlichkeit ist eine Kategorie, die der Film kaum
bedient. Die geradezu «karge» Gestaltung (Verzicht auf Elemente
wie Filmmusik, Kameraschwenks und -fahrten, schnelle Schnitte)
ermöglicht es, sich tatsächlich intensiv auf den Inhalt der Geschichte einzulassen. Das ist nicht unterhaltsam, sondern oft beunruhigend, aber dennoch spannend.
j. l.
Ab 2. September im Kino
Jeder sieht das weinende Kind, das sich
am Schluss noch retten kann und so weiter und so fort.
Was ich aber in diesem Film erzählen
wollte, ist vor allem die Beziehung, die
die beiden – Täter und Opfer – zueinander haben. Es interessiert mich herzlich wenig, den sexuellen Missbrauch zu
zeigen, das finde ich auch obszön, und
es kam für mich nie in Frage, Bilder zu
schaffen, wo man eine vollzogene Sexualität zeigt. Wozu auch? Das kann sich ja
jeder vorstellen, dass das auch Teil der
Sache ist. Spannender fand ich einfach,
den Moment, wo man sich organisieren
muss, also in Beziehung treten muss. Wo
jemand sagt: «Nimm den Mistsack mit!»
Oder: «Ich habe Hunger.» Oder: «Mir
ist kalt.»
In «Michael» wird eine erfundene Geschichte erzählt, die sehr realistisch wirkt. Der
Eindruck wird verstärkt durch den Verzicht
von stilistischen Mitteln wie Filmmusik oder
Kamerafahrten.
Ich habe versucht, einen Film zu machen,
der nicht publikumstherapeutisch ist. Es
gibt ja schon genügend «Märchenfilme»
zu diesem Thema mit lieblichen Bildern,
schönem Licht und toller Musik, und vielleicht kann das Kind mit einem selbst gestohlenen Löffel einen Tunnel graben und
sich befreien und mit dem Löffel dann
noch den Täter zur Strecke bringen. Das
ist ja alles Quatsch, das sind erlösende Fantasien für Menschen, die sich mit der Sache überhaupt nicht wirklich auseinandersetzen wollen.
Das Motiv des misshandelten Kindes
ist ja wahrscheinlich schon vor 15 Jahren in der Filmbranche angekommen.
Man kann ja mittlerweile fast keinen
Sonntagstatort anschauen, ohne dass da
zu Beginn ein Kind umgebracht oder
vergewaltigt wird oder das Kind selber
der Täter ist. Im Verlauf des Films ist es
dann aber scheißegal, weil es nur der
Aufmacher bleibt. Es wird dann herumgeforscht, und das Kind ist halt tot. (...)
Mein Ansatz, sich dem Thema zu stellen,
war ein anderer als das nur als Motiv zu
benutzen und dann eine hübsche Geschichte drumherum zu spinnen. Meine
Foto: Lisa Bolios
Publikumstherapie ist Quatsch
… wie auf Kameraschwenks, Kamerafahrten, schnelle Schnitte und so weiter
Platzfest zur Erinnerung an den 17. September 1911
Aufstand in Ottakring
Geschichte ist an sich dieses Thema und
das Leben dieser beiden Menschen.
Wie sind die
Kinopublikums?
Reaktionen
des
Sehr gut, finde ich. Wenn ich einen Film
hätte machen wollen, für den mich die
ganze Welt ansatzlos liebt, hätte ich mir
ein anderes Thema gesucht. Das ist mir
nicht wichtig. Dass das jetzt ein Film ist,
der kontroversiell aufgenommen wird,
ist allzu verständlich. (...) Was ich damit
erreichen wollte – dass es ein Gespräch
gibt, dass es eine Auseinandersetzung
gibt - das ist zu 100 Prozent gelungen.
Und das ist toll. Der Film ist zu wahnsinnig vielen Filmfestivals eingeladen. Er ist
mittlerweile auch in sehr, sehr viele Länder verkauft. Vor zwei Wochen hat ihn
sogar der Iran gekauft, das ist eine absolute Novität. Ich kann mir nichts Besseres für den Film wünschen.
Mit Markus Schleinzer sprach
Jenny Legenstein.
A
uch in Wien: Massendemo der Empörten.
Vor 100 Jahren allerdings. Der Ottakringer
17. September 1911 ist in Vergessenheit geraten. Ein Tag, an dem mehr als 100.000 Menschen in Wien gegen die unzumutbaren Lebensbedingungen demonstrierten. Ein Tag, der mit
drei Toten und hunderten Verletzten endete –
und mit der militärischen Besetzung eines ganzen
Stadtviertels. Begonnen hatte dieser Tag mit einer
Kundgebung vor dem Parlament gegen die rasant
steigenden Lebensmittelpreise. Organisiert hatte
diese Kundgebung die sozialdemokratische Partei, und gekommen waren vor allem die Bewohner_innen der Vorstädte, aus Landstraße, Simmering, Ottakring ...
Auch wenn die Presse (und die Sozialdemokratie) später von «unverantwortlichen Elementen«
und «Lumpenproletariat» sprach, so musste sie
gleichzeitig zugestehen, dass die «Exzedenten» –
die Randale – von einem Großteil der Otakringer
Bevölkerung unterstützt wurden: Frauen versorgten Jugendliche mit Steinen, die sie in ihren Schürzen herbeischafften, aus Gasthäusern wurden die
Ordnungshüter mit Bierkrügeln, aus den Fenstern
der Wohnhäuser mit allem, was verfügbar war, beworfen. Die SP-Politiker_innen verstanden ebenso
wenig wie die Bürger_innen, warum Papierhandlungen und Schulen verwüstet und Straßenlaternen zerstört wurden.
Die sozialdemokratische Führung hatte den
Aufruf zur Kundgebung als Ventil für die Massen, die ihre Wut artikulieren «durften», und als
Unterstützung ihrer Parlamentsfraktion gesehen.
Die Massen selbst verstanden, dass eine Kundgebung nichts ändern würde, sahen sie sich doch
von Anfang an tausenden Ordnungshütern gegenüber, die nur darauf warteten, die Demonstration
so rasch wie möglich aufzulösen.
Der 17. September 1911 in Neu-Ottakring ist in
vielerlei Hinsicht aktuell: Das vertritt eine Gruppierung, die sich «Komitee 1/7. 1911 nennt. Spekulation mit Lebensmitteln und Wohnraum,
Überwachung und Unterdrückung seien so wenig Geschichte wie ihre Ursache, die kapitalistische Verwertung – und der Kampf dagegen. Am
Samstag, 17. September 2011 lädt das Komitee
ein, einige der Brennpunkte des Aufstands von
1911 zu besuchen. Der Treffpunkt: 16 Uhr, Hofferplatz. Ab 18 Uhr gibt es Straßenfest auf diesem
Platz (ab 22 Uhr Fortsetzung im B.O.E.M., Koppstraße 26) – zur Erinnerung an die Empörten des
Jahres 1911.
art.ist.in |
Kunst im Dienst von «Pflichterfüllung» und Manneskult: Wilhelm Frass
Eine sehr österreichische Karriere
Gebrauchskunst und Opportunismus. Manchmal
hat man wie in einem besonders bösen Alptraum das völlig
aberwitzige und ebenso abstruse Gefühl, der Zweite Weltkrieg sei irgendwie noch gar nicht zu Ende. Beispielsweise
wenn an einem 8. Mai – und jährlich grüßt das Murmeltier
– am Wiener Heldenplatz wieder einmal Burschenschafter
lautstark dafür demonstrieren, den 8. Mai 1945, historisches
Datum der Kapitulation Hitler-Deutschlands, nicht als Tag
der Befreiung, sondern ganz im Gegenteil als Tag der Niederlage im Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher zu verankern.
G
erne legen die Ewiggestrigen
bei dieser Gelegenheit auch einen Kranz vor der Monumentalfigur des «Toten Kriegers» in
der Krypta des Äußeren Burgtores am
Rande des Heldenplatzes nieder, und
die meisten von ihnen wissen wohl genau, warum. Der «Tote Krieger» wurde
1934 als zentrale Ausstattung des sogenannten «Österreichischen Heldendenkmals» des Ständestaat-Regimes
von dem aus St. Pölten stammenden
Bildhauer Wilhelm Frass geschaffen,
der seit 1933 der NSDAP angehörte.
«Er ist als Symbol des Urgedankens
des Soldaten gemacht, der in letzter
Pflichterfüllung und im innersten Gehorsam, im Herzen die lodernde Flamme der Treue, der Kameradschaft, der
Hingebung und des grenzenlosen Opfers, nun in die Ewigkeit eingegangen
ist», schrieb Frass in der «Gedenkschrift anlässlich der Weihe des österreichischen Heldenmales».
Bei der Aufstellung der tonnenschweren Figur aus rotem Adneter
Marmor im Jahr 1934 gelang es dem
illegalen Nazi angeblich, ein persönliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus in Form einer Metallhülse mit
darin befindlicher Schriftrolle im Sockel zu versenken. Am 20. Dezember
1938 schrieb er an den Kunsthistoriker Karl Hareiter: «Bei allen möglichen Anlässen standen die damaligen
hohen Würdenträger der Systemzeit
vor der Figur und hatten keine Ahnung
(was für mich einigermaßen belustigend war!), dass unter der Figur eine
„
‹hochverräterische› Inschrift liegt. [...]
Mit dem Tag – dem 15. März 1938 – an
dem der Führer das erstemal den Kranz
vor dieser Figur im Heldendenkmal legte, hatte sich mein Wunsch erfüllt.» Diese Mitteilung wurde selbstverständlich
auch in den «Völkischen Beobachter» gerückt. Natürlich könnte es auch gut sein,
dass Frass nach dem Anschluss mit dieser Geschichte vom nationalsozialistischen Kuckucksei nur angab, um sich bei
den neuen Machthabern buchstäblich ins
rechte Licht zu rücken, dass also im Fundament des «Toten Kriegers» nichts zu
finden wäre außer Beton, aber andererseits würde die Schriftrolle mit dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus gut zu
einem wie ihm passen.
Der Sachbearbeiter für Bildhauerei
entsorgt «jüdische» Skulpturen
Die Landeshauptstadt ist
übersät von
Werken des
GebrauchsBildhauers
“
Wilhelm Frass wurde 1886 in einer
Dienstwohnung des ehemaligen St. Pöltner Gaswerks in der Kerensstraße geboren, dessen Verwalter sein Vater Alois
war. Ab 1904 war er Gasthörer der Wiener Akademie der bildenden Künste.
Ab 1905 studierte er an der Allgemeinen Bildhauerschule der Akademie. 1909
erhielt er einen ersten großen Auftrag,
nämlich die Gestaltung eines Grabmales
am St. Pöltner Hauptfriedhof, und absolvierte ein Einjährig-Freiwilligen-Jahr.
Unterbrochen von Waffenübungen studierte er von 1910 bis 1914 abermals an
der Akademie. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss er sein Studium ab, wurde
1919 Mitglied der Secession und erhielt
vor allem Aufträge für Kriegerdenkmäler und Grabmale.
1924 wurde er mit dem Preis der Stadt
Wien, 1928, 1930 und 1933 und 1937
jeweils mit dem Julius-Reich-Künstler-Ehrenpreis ausgezeichnet und 1933
zum Professor ernannt. 1934 avancierte er zum Präsidenten des Künstlerverbandes österreichischer Bildhauer und
wurde Mitglied des Kunstbeirates der
Stadt Wien. 1936 wurde er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. 1937 bewarb sich Frass mit
einer dementsprechenden, dem NS-Geschmack genehmen Arbeit, die – um den
Amateurmaler Hitler zu zitieren – «auf
die freudigste und innigste Zustimmung
der gesunden breiten Masse des Volkes
rechnen konnte», für eine Teilnahme an
der ersten «Großen Deutschen Kunstausstellung» in München und wurde von einer NS-Jury akzeptiert.
Nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich erhielt er einen Posten «als Sachbearbeiter für Bildhauerei» im Wiener
Kulturamt. In dieser Schlüsselstellung ließ
er in Wien Denkmäler jüdischer Bildhauer beziehungsweise Denkmäler, die jüdische Persönlichkeiten wie etwa den Erfinder Siegfried Marcus ehrten, abtragen
und einschmelzen beziehungsweise vernichten. Für Frass und seine nationalsozialistischen Gesinnungsgenossen war
diese Barbarei eine «Entschandelungsaktion des Wiener Stadtbildes». Seit 1939
war er auch Mitglied des Künstlerhauses. 1940 wurde er zum Professor an der
Wiener Frauenkunstschule ernannt. 1942
wurde ihm die Große Goldene Ehrenmedaille der Gesellschaft bildender Künstler Wiens zuerkannt. Mit seinem 1939
gehauenen «Anschlussgedenkstein für
Wien» feierte er das Ende Österreichs.
«Im selben Jahr [...] ‹Die Ostmark›, eine
Aktplastik, die dem Reichskommissar für
die Wiedervereinigung Österreichs mit
dem Deutschen Reich, Joseph Bürckel,
von der Wiener Arbeiterschaft zum Geschenk gemacht wurde», berichtete Friedrich Grassegger im Katalog der 1994 im
Wiener Künstlerhaus gezeigten Ausstellung «Kunst und Diktatur».
Als NS-Bildhauer und brauner Kulturfunktionär war Frass natürlich nicht
schlecht im Geschäft, ein Werkverzeichnis nennt für die sieben Jahre des so genannten Tausendjährigen Reiches drei
Hitler-Büsten sowie eine nach der Visage des SSlers Skorzeni und je eine Porträt-
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303
24
Medaille nach dem böhmischen Gefreiten und nach Göring sowie diverse
«Hoheitszeichen», sprich repräsentative
Hakenkreuze für öffentliche Räume wie
etwa den Festsaal des Wiener Rathauses,
die Wiener Nordwestbahnhalle und die
Eisenwerke Oberdonau in Linz. Nach der
Niederlage der Nazis wurde Frass all seiner öffentlichen Funktionen enthoben.
«Aus dem grauenhaften Mist der Jahre
nach 1945», so Frass im Jahr 1950, gelang dem Herrn Professor aber bald eine
sozusagen vierte, schöne Karriere. «Die
Zwangsmaßnahmen nach 1945 gegen
den erklärten Nationalsozialisten Frass
währten nicht lange. Schließlich war er
ja als Bildhauer für die Sozialdemokraten
der Ersten Republik [...] noch ebenso bekannt wie als Bildhauer für den autoritären Ständestaat. Sehr bald wurden seine
Künste zur Ausschmückung von Bauten
von der Gemeinde Wien und vom Staat
wieder beansprucht», zeigte Grassegger
auf. 1956 wurde Frass mit dem Goldenen
Lorbeer des Künstlerhauses ausgezeichnet, 1961 zum Ehrenmitglied des Künstlerverbandes österreichischer Bildhauer
ernannt. 1961 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und
Kunst, 1963 der Ehrenring der Stadt St.
Pölten verliehen. Der Katalog der Einzel-Ausstellung «Der Bildhauer Wilhelm
Frass» des Kulturamtes der Stadt St. Pölten nannte im Jahr 1963 noch 36 in St.
Pölten befindliche Arbeiten Frass'. Der
Wendehals starb 1968. Natürlich erhielt
er ein Ehrengrab der Stadt Wien auf dem
Zentralfriedhof.
Frass, Frass, Frass – überall in der
Landeshauptstadt
Kein Bildhauer besetzte je den öffentlichen Raum der nunmehrigen niederösterreichischen Landeshauptstadt stärker
als Wilhelm Frass. Der Großteil seines St.
Pöltner Werkes besteht aus heroischen
Denkmälern, figuralem Grabschmuck
und Herrenporträts von Honoratioren,
alles in allem höchst angepasste Gebrauchskunst um Krieg, Tod und allerlei
Manneskult. Wo seine Figuren namenlos
bleiben, herrschen athletische, nackte,
überlebensgroße Männerkörper in seltsam gekünstelten Posen vor. Der Rest ist
zuweilen auch unverhohlener Kitsch voll
unbeholfener Erotik wie etwa ein weiblicher Sandstein-Torso im Stadt- beziehungsweise Sparkassenpark.
St. Pölten ist wie keine andere Stadt in
Österreich geradezu übersät von den mediokren Arbeiten des Gebrauchskünstlers
| art.ist.in
Frass. Zwei am zentralen
Rathausplatz, eines in der
Hauptgeschäftsstraße, der
Kremser Gasse, das städtische Kriegerdenkmal auf
der Hofstatt, zwei Arbeiten im Stadt- bzw. Sparkassenpark und zig Grabdenkmäler am städtischen
Hauptfriedhof, ein Teil
der Ausstattung der Rosenkranzkapelle des Domes, zwei Denkmäler für
verdiente Bürgermeister am Rande der historischen Innenstadt, von den
Außenbezirken ganz zu
schweigen. «So ist dieser
Künstler in seinem Werke wie kaum ein anderer
mit St. Pölten verbunden
geblieben. Der Großteil
des plastischen Schmuckes, der hier in den letzten Jahrzehnten geschaffen
wurde, stammt von seiner
Meisterhand», stellte der
St. Pöltner Kulturamtsleiter Karl Gutkas 1963
fest. Bis heute ist an einem Wohnhaus in der St.
Pöltner Josefstraße auf dem Frass-Relief
«Zeitenlauf» die Figur eines SS-Mannes
in voller Montur und eine höchst mangelhaft entfernte SS-Rune zu sehen. Immerhin wurde die Inschrift «Des Reiches
Macht schützt die Grenzen und führet die
Brüder heim ins Reich 1939 1940» nach
Kriegsende abgeschlagen. Von Fritz Wotruba gibt es gar keine Arbeit in St. Pölten zu sehen.
Noch mehr als der öffentliche Raum
der niederösterreichischen Landeshauptstadt sind die Depots des St. Pöltner Stadtmuseums geradezu überfüllt mit
den Arbeiten Wilhelm Frass', der Ende
1966 die Bestände seines Wiener Ateliers der Stadt zum Geschenk machte. Der
St. Pöltner Gemeinderat dankte es ihm –
wohl auf Vorschlag des damaligen Kulturamtsleiters und Stadtmuseumsdirektors Karl Gutkas – kaum drei Jahre später
mit der Benennung einer Wilhelm-FrassGasse im Stadtteil Spratzern.
Eine kleine Führung durch das
«Horrorkabinett»
Im hintersten Winkel des Depotkellers
des St. Pöltner Stadtmuseums, das in einem von Joseph II. aufgehobenen Karmeliterinnen-Kloster im Stadtzentrum
untergebracht ist, lagert in drei Meter hohen Teilen das Gipsmodell von Wilhelm
Frass' monumentaler Aktplastik «Die Ostmark». Hinter einer riesigen, verstaubten,
dunkelvioletten Begräbnis-Prunkdecke,
die als Vorhang dient und dereinst einmal
wohl eine Pompesfüneberer-Kutsche zierte,
ist auch das Gipsmodell für Frass' 1942 geschaffenes Denkmal «Der gute Kamerad» –
die üblichen nackten, muskulösen Männer
mit Stahlhelm und Schwert – sowie weitere
gipserne Rudimente des Frass’schen Schaffens für die Nazis zu finden. «Mein Horrorkabinett» nennt Stadtmuseumsleiter Thomas Pulle diesen Kellerraum.
Wie viele Quadratmeter der ohnehin
knappen Depotfläche des Stadtmuseums
Frass mit seinem Nachlass okkupiert, vermag er nicht anzugeben. In den letzten 20,
25 Jahren hat man jedenfalls nur einen monumentalen Gipsadler, Teil der Plastik «Die
Ostmark», als Beispiel für ein nationalsozialistisches Macht- und Herrschaftszeichen
ausgestellt. Der Frass’sche Adler blickt übrigens noch tausend Mal grimmiger als
Sam, der amerikanische (Weißkopf-)Seeadler, aus der Muppet Show. «An sich wäre
es ein reichhaltiger, bisher weitgehend unbearbeiteter Künstlernachlass für eine akademische Abschlussarbeit, aber wer will
sich schon länger damit beschäftigen?
25
Der Nachlass von
Wilhelm Frass im
St. Pöltner
Stadtmuseum
Text und Fotos:
Manfred
Wieninger
art.ist.in |
303
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| art.ist.in
27
Der Wallander-Macher als Afrika-Lobbyist und vagabundierender Theatermann
Mankells steirisches Intermezzo
Die Abenteuer des Kommissars Wallander, des vielleicht introvertiertesten Krimihelden der zeit-
genössischen Literatur, machten dessen Erfinder, den Schweden Henning Mankell, zu einer globalen Figur. International ins Gerede gekommen ist er außerdem durch seine Konfrontation mit der israelischen
Armee vor der Küste Gazas. Dass er in Afrika ein Theater leitet, ist weit weniger bekannt. Und dass seine Freundschaft mit dem Fenster- und Türen-Unternehmer Gaulhofer heuer auch zu einer Theaterproduktion in Österreich führte, ist nur an einem Punkt der Welt ein allgemein bekanntes Faktum: in der
steirischen Gemeinde Übelbach.
I
n Maputo, der Hauptstadt Mosambiks,
leitet Mankell ehrenamtlich das Teatro Avenida, das einzige professionelle
Theater in Mosambik überhaupt, das
1984 von Manuela Soeiro gegründet wurde. Durch Mankell wurde es international bekannt, und seither reisen die Schauspieler des Teatro Avenida für Gastspiele
und Ko-Produktionen um die Welt. 2003
wurde Mankell vom Schauspielhaus Graz
eingeladen, wo er das Stück «Butterfly
Blues» inszenierte, das er eigens für das
Kulturhauptstadtjahr geschrieben hatte.
Darin erzählt Mankell die Geschichte von
jungen afrikanischen Frauen, die mit großen Träumen die gefährliche Reise nach
Europa antreten und in den Fängen der
Prostitution landen.
Acht Jahre später schrieb Henning
Mankell erneut ein Theaterstück für die
Steiermark. Diesmal mit weitaus weniger drastischem Inhalt: ein verspielt-unterhaltsames Episodenstück, das die Ankunft eines afrikanischen Ehepaars in
Graz thematisiert und nicht umsonst an
die biblische Herbergssuche erinnert.
Mankell hat das Stück für den mit ihm
befreundeten Fenster- und Türen-Fabrikanten Manfred Gaulhofer verfasst. In
der 2000-Seelen-Gemeinde Übelbach bei
Graz ist Gaulhofers Fabrik ansässig, die
auch als Theater-Spielstätte diente. Fenster und vor allem Türen spielen eine zentrale Rolle in dem schwungvollen Stück
mit dem Titel «Doors», das in erster Linie
durch das Mitwirken von sieben Gaulhofer-Mitarbeitern zu einem Theatererlebnis der ganz besonderen Art wurde. Fabriksarbeiter, die normalerweise Fenster
und Türen fertigen, standen plötzlich als
Laiendarsteller auf der Bühne, schlüpften in die unterschiedlichsten Rollen
(sie stellten alle Charaktere dar, auf die
das Paar aus Afrika während ihrer Reise
trifft – Polizisten, Nachbarn, verunsicherte Rentner etc.) und vollzogen eine künstlerische Symbiose zwischen der Steiermark und Mosambik. Das Ehepaar aus
Afrika wurde von den Schauspielern Lucrecia Paco und Jorge Vaz dargestellt –
beide Ensemble-Mitglieder des Teatro
Avenida.
Henning Mankell erzählte im Vorfeld
bei einer Veranstaltung im Grazer Literaturhaus über das Stück: «Als ich das erste
Mal von dieser Idee hörte, dass professionelle Schauspieler aus Afrika gemeinsam mit professionellen Tür- und Fenster-Herstellern Theater machen sollten,
dachte ich mir, dass das eine wundervolle Herausforderung werden würde. Etwas noch nie Dagewesenes, das wir unbedingt machen sollten.» Als Regisseur für
dieses Experiment wählte Mankell seinen ehemaligen Regie-Assistenten Dominique Schnizer, den er 2003 bei «Butterfly Blues» in Graz kennen- und schätzen
gelernt hat. Inzwischen hat er ihn in sein
Theater in Maputo eingeladen
Kern-Botschaft und Schlusssatz von
Mankells Stück «Doors»: Afrikaner sterben nicht nur, sie leben auch – und wir
Europäer sollen endlich einen Blick auf
dieses lebendige Afrika werfen. Die mediale Afrika-Berichterstattung ist Mankell
also zu einseitig, weshalb er selbst immer
wieder bemüht ist, durch seine Theaterstücke und Nicht-Wallander-Romane ein
realistischeres Afrika-Bild herzustellen.
Zumindest in Übelbach sind erste Erfolge dahingehend sichtbar geworden. Wer
das Stück in der Gaulhofer-Lagerhalle gesehen, das Spiel der Laiendarsteller aus
der Fabrik mit den Profis aus Afrika sowie die Reaktionen des begeisterten Publikums erlebt hat, wird etwaige Bedenken, der Firma Gaulhofer sei es bei dem
Theater-Projekt nur um eine gute Presse
gegangen, suspendieren.
Nur Dumme nehmen sich keine Zeit
Europa habe Afrikas traditionelle Strukturen zerschlagen, um Afrika auszubeuten, und es dadurch künstlich arm gemacht, kritisierte Mankell vor wenigen
Wochen in einem voll besetzten Hörsaal
der Uni Tübringen. Diese Strukturen wieder aufzubauen brauche viel Zeit, brauche
afrikanische Geduld statt europäischer
Hochgeschwindigkeit. Mankell erinnerte an eine afrikanische Weisheit: «Nur
dumme Menschen nehmen sich für Entscheidungen nicht genügend Zeit.» Im
Zusammenhang mit der aktuellen Hungersnot in Nordostafrika und vor dem
Hintergrund des Bildes «Kekse aus dem
Westen für die Sterbenden» ist Mankells
Vorschlag revolutionär: Die wichtigste
Unterstützung, die Afrika brauche, bestünde darin, den Bevölkerungen zu helfen, die Rohstoffe selbst zu verarbeiten.
Henning Mankel unterstützt auch
Christoph Schlingensiefs Vision eines
«Operndorfes» in Burkina Faso. Schlingensief hatte, kurz vor seinem Tod, Mankell bei der Berlinale kennengelernt, weil
sie beide in der Jury saßen. «Eine wunderbare und zugleich absolut verrückte
Idee», das wusste Mankell sofort: «Und
weil die Idee verrückt ist, ist sie eben so
wundervoll. Schlingensief kommt nicht
einfach aus Deutschland hierher mit einer deutschen Oper im Gepäck. Nein, er
kommt hierher, um den Menschen hier
ihr eigenes Festspielhaus zu ermöglichen,
das sie dann selbst mit Leben füllen.» Das
Operndorf entsteht in der Nähe von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina
Faso – mit Schule, Krankenstation, einer
Theaterbühne, einer Cafeteria und Unterkünften für die Künstler_innen, gebaut um einen felsigen Hügel, von dem
aus man einen weiten Blick über die trockene Savannenlandschaft hat. Aino Laberenz, die Witwe, will aus der «verrückten Idee» Realität machen.
Für Mankell sind solche Projekte auch
wichtig, um den «Brain Drain» zu stoppen, das permamente Aufsaugen des
professionellen und intellektuellen Potenzials Afrikas durch Europa. In einem Interview erläuterte er die Folgen
dieses Sogs: «Nehmen Sie das Beispiel
von Krankenschwestern, die in den ärmsten Staaten Afrikas angelernt werden. Sie
wandern nach Europa aus, um in unseren
Krankenhäusern zu arbeiten. Die afrikanischen Länder bleiben auf ihren Ausbildungskosten sitzen. Außerdem fehlen
ihnen diese Kräfte zu Hause. Ein Zustand,
der sich in den kommenden Jahren noch
verschärfen könnte. Genauso gibt es übrigens keinen Grund, warum es allein in
Manchester mehr malawische Ärzte geben soll als in Malawi selbst. In was für
einer Welt leben wir eigentlich? Wir müssen etwas gegen diesen versteckten Kolonialismus unternehmen!»
Wo Mankell die Fratze der Apartheit
sieht …
Viele mögliche Verbündete im Kampf
gegen den Neokolonialismus hat Mankell vergrämt mit seinem Engagement
für die Gaza-Solidaritätsflotte und seinem Apartheids-Vorwurf gegen den israelischen Saat. «Die Verbindung zwischen
Afrika und Palästina ist für mich das
Apartheidsystem, das die Israelis errichtet haben. Ich habe in Südafrika erlebt,
wie dieses monströse System untergegangen ist. In Israel ist dieses Monster in neuer Form auferstanden. Palästinenser sind
Bürger zweiter Klasse. Sehe ich die Fratze
dieser Apartheid, muss ich tun, was ich
kann, um sie zu zerstören«, sagte Mankell
in einem «Spiegel»-Interview. Und zum
Beweis dafür, dass das Gerede von der
«offenen Gesellschaft» in Israel Schmarrn
sei: «Ich war auf dem palästinensischen
Literaturfestival in Hebron. Ich sollte bei
der Eröffnungsveranstaltung im Palästinensischen Nationaltheater in Jerusalem
sprechen. Als wir anfangen wollten, öffnete sich die Tür und israelisches Militär
sprengte die Feier. Ich fragte nach dem
Grund, und mir wurde gesagt, ich sei
ein Sicherheitsrisiko. Ich, ein Schriftsteller, sagte ich? Ich sei hier, um über Kultur zu reden. Keine Diskussion, war die
Antwort, die Feier war vorbei.»
Text & Foto:
Michael Lippitsch
Henning Mankell in
der Gemeinde Übelbach (kein schlechter
Name für den Aufenthaltsort eines Kriminalromanschreibers)
303
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art.ist.in |
magazin
| art.ist.in
Musikarbeiter unterwegs … mit den Happy Kids in den Garagen-Rock-Heaven
The Happy Kids heißt ein seit
knapp zwei Jahren aktives Duo,
dessen Musik mit seiner stilbewussten Trash-Ästhetik im Wiener Popwunder eine besondere
Position einnimmt.
Play Their Own Songs
Gegründet wurden The Happy Kids
im Frühling 2009 ursprünglich nur für
Foto: Mario Lang
A
na Threat (Gitarre, Glockenspiel,
Thelephone & …) und Al Bird
Dirt (Organs, Telephone) schlagen für den Augustin-Termin das
Café mit dem urzeitlich konnotierten
Namen vor. Ohne jetzt den Neandertaler_innen selig nahetreten zu wollen
evozieren diese eine Assoziation zu gepflegter Primitivität, die der Musik des
Duos – mit den Beats ihres treuen, aber
interviewscheuen dritten Mitglieds A
Tapedeck, der für die Beats sorgt – nicht
fremd ist. Das Café, das sich menschheitsgeschichtliches Bewusstsein über
den Eingang schreibt, liegt unweit von
Lager und Büros der Firma Hoanzl, die
einige der auf 300 Stück limitierten Vinyl-Langsspielplatte von The Happy Kids
an den Fachhandel ausliefern wird. (Per
E-Mail lässt mich Al Bird wissen, dass die
LP parallel beim Grazer Kassettenlabel
(!) Wilhelm Show Me The Major Label
in einer 100-Stück-Auflage erscheint.)
Im Café Neandertal sind die Reste eines
nachmittäglichen Flohmarkts zu sehen.
Auf unserem Tisch ein Stapel Singles,
der Musikarbeiter gambelt später eine
Euro-Münze für eine von Springsteen,
wegen der B-Seite. Bei der zweiten Runde sind wir schon so weit eingemeindet,
dass wir uns das exakt richtig gekühlte
Bier selbst aus dem Kühlschrank holen.
Der Wirt passt währenddessen hinter der
Buddel auf die Stammgäste und die ausgezeichnete Musik – wenn das nicht die
leibhaftigen Los Lobos sind?! – auf. Ein
totaler Musik-Hotspot, dieses Café Neandertal, in dem unser Gespräch ausgehend vom The-Happy-Kids-Universum
aufs Prächtigste mäandern kann. Genau,
die Musik ist nämlich überall.
einen Gig, der im Juli dann so gut ausfiel, mit so gutem Response, dass die beiden sagten: «Wir machen weiter.» The
Happy Kids sind dabei zu einem Fokus
der Aktivitäten der beiden geworden.
Sie fungieren als Gastgeber_innen ihres eigenen Clubs, betreiben ein Label,
auf dem demnächst ein Soloalbum von
Ana Threat erscheint und kulminieren
dazu umfangreiches essenzielles Wissen – sie schwärmen von einem unlängst
entdeckten Laden, in dem sich Ana mit
Schellacks eingedeckt hat – über entlegenere Musik. Wir streifen beim Reden die Slaves, österreichische Garagenbands mit prominenten Jazzern in
ihren Reihen und solche, die keine Ahnung davon haben, wie großartig das
war, was sie damals gemacht haben, die
Dead Nittels und die Rasenden Leichenbeschauer. Ihr eigener Sound schöpft aus
Referenzen an Bands wie die Angry Samoans, Beat Happening, die Cramps,
Devo oder die Shangri-Las, die sie allesamt gecovert haben. Al Bird, mit ungarischen Wurzeln, betrieb früher seinerseits eine One-Man-Band, Ana, mit
Linzer Wurzeln, spielte unter richtigem
Namen vor Jahren in einer Hardcore/Noise-Band. Könnte mensch vieles, was sich
aktuell in der goldenen Wiener Stadt popmusikalisch tut, als ökonomisch motiviert
sehen – nicht zuletzt subventionstechnisch wird versucht, einen Wirtschaftssektor hochzuziehen, dessen Unternehmensgegenstand zufällig Musik ist –, geht
es hier um selbstbestimmte (Aufnahme-)
Ästhetiken, nicht reproduzierbare (Live-)
Momente, Ideen und subkulturelle Querverbindungen, ohne dass The Happy Kids
dabei den öden Song von der Selbstausbeutung in ihre Telefone vokalisieren müssen
oder möchten. «Wir reden viel darüber»,
halten The Happy Kids über ihre Musik
fest und erzählen von ausufernden ProbeSessions, die die Mitbenutzer ihres Proberaums schon stutzig machten. Die LP, erschienen auf einem holländischen Label,
sollte eben nicht 16 x die erste Single der
Band reproduzieren – tut sie auch nicht. Sie
spiegelt das Selbstbewusstsein der Happy
Kids wieder, die sich schnell Liveroutine
mit Gigs über Wien hinaus erspielt haben –
eine solch schlanke Band-Struktur kommt
The Happy Kids vor
selbst mit einem PKW oder Zug rasch hedem neuen Musikrum –, und ihr spezielles Popverständnis.
Hotspot
Weil bei allem Trash, bei aller Liebe zu krachigen, schiefen Sounds hören sich «I Need
Your Love», «Up Jumped The Devil», «Seven Are The Horns Of Satan» oder «Kitty Kitty Kitty» endlich mal wieder wie die
Hits einer besseren, anderen Welt an, in der
nicht alles so aalglatt, kapitalistisch beschissen und berechenbar ist. Garagenrock aus
der globalen Garage, in der die Autos längst
über die Klippen gefahren wurden, nicht
ohne dass vorher mit dem Happy-KidsTape Mainstream-Rock à la Bon Jovi ein
The Happy Kids: «Play Their für allemal in die Abgründe des schlechten
Own Songs» (Greyp As-T
Geschmacks verdammt wurde. Ein lebendiRecords)
ges, vor Leidenschaft und Eigensinn strothttp://thehappykids200.
zendes Stück Vinyl – Abgabe nur in Hausbandcamp.com
www.trashrockproductions. haltsmengen, weil diese Musik muss unter
com
die Menschen, nicht unter die Sammler! –
mit dem sich prächtig Railjet-Bistros zerlegen lassen. Viva Los Happy Kids!
Rainer Krispel
B ibliotick
Unsere Republik von
links beschrieben
K arls K abinett
D
Donaustädter Kulturfestival eröffnet mutig
Zwei Berger und eine Monsterfrau
«e
in echter wiener will halt
hint sein, / und nur mit
vorbehalt die welt verstehn» heißt es im Refrain vom
«wienerlied für sehenden bariton
und blinden bass» aus der Feder
Joe Bergers. Obwohl in Kaltenleutgeben geboren und zum Chemiker
ausgebildet, zählte Berger (1939–
1991) über Jahrzehnte hinweg zu
den originellsten Vertreter_innen
der Wiener Literaturszene, wobei
Wolfgang Bauer einschränkend
festhält, dass Berger der bedeutendste nicht schreibende Literat
sei, den er kenne, wenn man eben
Literatur nicht bloß als ein manuell schreibendes, druckendes Denken oder gar als ein aus Angst vor
der Unfähigkeit zur Philosophie
gewachsenes eitles pseudokünstlerisches Handwerk definiere.
Selbstredend, dass einem Künstler, der Titel wie «Literarische
Kraftnahrung» oder «Plädoyer für
den Alkohol» veröffentlichte, eine
größere Aufmerksamkeit verwehrt
blieb. Da halfen auch Auftritte als
Schauspieler in Quotenhits wie
«Tatort» oder «Ein echter Wiener
geht nicht unter» herzlich wenig.
Umso erfreulicher, dass das Donaustädter Kulturfestival «Auf
zu neuen Ufern» mit Texten dieses Underdogs eröffnet wird. Die
«Märchen der Satten und Irren»
des Joe Berger wird ein anderer
Berger lesen, u. z. der Schauspieler Helmut Berger. Nicht nur wegen der Namensvetternschaft eine
Die «Monsterfrau» gastiert in der VHS
hervorragende Besetzung!
Donaustadt!
Auch der zweite Programmteil
des Eröffnungsabends verspricht unter den Beats von Sascha Neueine künstlerische Kraftnahrung, deck und den Visuals von Susanwenn die «Monsterfrau», die Diva ne Schuda in der Volkshochschuder «Underground Opera», erwar- le Donaustadt ordentlich krachen
tungsgemäß mit riesigem Phal- lassen wird.
lus die Bühne betreten wird. Für
reisch
diese Electro-Noise-Trash-Oper
entwickelte die Performerin Lena
«Auf zu neuen Ufern II»
Wicke-Aengenheyster (u. a. En- Eröffnung am 2. September um 19 Uhr
gagement beim theatercombinat) VHS Donaustadt
ein Mischwesen aus heroischen Bernoullistraße 1, 1220 Wien
Figuren der Mythologie, das es Freier Eintritt
Foto: Stephan Doleschal
Trash-Rock-Frenzy im Café Neandertal!
29
er Fall der Familie Zogaj, der im Juni
2010 für einen vorläufigen Höhepunkt
an öffentlicher Empörung gesorgt habe,
sei Auslöser für ihre Themenwahl gewesen,
schreiben die Organisatoren der Lesereihe
«Linkes Wort», die alljährlich im Rahmen des
Volksstimmefestes auf der Jesuitenwiese abgehalten wird. Seit 2008 sind dafür Roman
Gutsch und Christoph Kepplinger verantwortlich, die ihre Arbeit aber nicht auf die Durchführung des Literaturprogramms beschränken, sondern als Fleißaufgabe eine Anthologie
zum «Linken Wort» herausgeben.
Schon der Titel zeigt, wo es lang geht:
Mit «Abgeschoben. Rassismusrepublik Österreich» nehmen sich weder die Herausgeber noch der Großteil der 27 in diesem Band
versammelten Autor_innen ein Blatt vor den
Mund, auch wenn mitunter nur mit gutem
Willen ein Bezug zum vorgegebenen Thema
zu finden ist. Irritierend ist auch das Mitwirken von Marlene Streeruwitz. Einerseits ist es
ihr anzurechnen, als namhafte Autorin dem
«Linken Wort» aktiv beizuwohnen, andererseits ist die Koketterie, einen ultrakurzen Text,
der nicht einmal eine halbe Seite füllt, zu bringen, nicht nachvollziehbar.
Mehr Einsatz zeigten beispielsweise Hilde Schmölzer oder Dieter Schrage. Schmölzer
arbeitete in einem Kurzessay Parallelen zwischen Sexismus und Rassismus heraus, hingegen setzte der erst vor wenigen Wochen
verstorbene Kunstvermittler auf eine andere Textsorte, u. z. auf den autobiografischen
Text: dem ehemaligen deutschen Staatsbürger Schrage drohte samt Familie in Österreich
die Abschiebung!
Und nicht zu vergessen, das politische
Schreiben jüngerer Jahrgänge wie Benjamin
Turecek, Florian Haderer, Angéla Korb oder
Lale Rodgarkia-Dara. Hier sind die Autorinnen zuletzt angeführt, doch beim «Linken
Wort 2011» wird nur ihnen die Bühne gehören, denn es heißt: FRAUEN: TEXTEN | FRAUEN: LESEN (am 3. und 4. 9., jeweils 16–18 Uhr,
7*Stern-Bühne).
reisch
Roman Gutsch, Christoph Kepplinger (Hg.)
«Abgeschoben. Rassismusrepublik Österreich»
Globus Verlag, Wien 2011
135 S., € 12,–
| dichter innenteil
Aufg'legt
Sandwich-Feeling für
den gelockten Herzensbrecher Nicolas
in Xavier Dolans neuestem Film
Foto: Waystone Film
Wohin …
ein Gedankenschweifer
durch die Stadt
Xavier Dolan versteckt selbstironische Leckerbissen direkt unter der Oberfläche
Die Liebe ist ein seltsames Spiel
M
arie (Monia Chokri) und
Francis (Xavier Dolan)
sind hin und weg. Sie,
ungestüm, weiblich – er, ruhig,
schwul, verlieben sich beide Hals
über Kopf in den süßen blonden Lockenkopf Nicolas (Niels
Schneider). Die bis dahin innige Freundschaft der adorablen Hipsters aus der Montrealer Partyszene kommt auf den
Prüfstand. Als sie sich die umfangreiche Fifties-Outfits-Garderobe durchstöbernd gegenseitig zusichern, dass Nick der
Typ keines von beiden sei, hat
der Konkurrenzkampf in Sachen
Liebe längst begonnen. Während Marie optisch zu einer Art
Audrey Hepburn mutiert, versucht Francis es mit teuren Geschenken. Beim Trip in die kanadische Pampa laufen die beiden
(ins Konzept Liebe) Verliebten
zur Höchstform auf. Geschickt
durchbricht der als Regiewunderkind gefeierte Xavier Dolan mit In-die-Kamera-Statements «gebrochener Herzen»,
die als Videoclips verpackten
Szenen einer Liebesgeschichte,
die so oberflächlich wie «imaginaire» ist. «Diese Leute träumen von einer sehr konzeptuellen Liebe», meint Xavier Dolan,
der den verschlossenen JamesDean-Blick verhangenen Francis
selbst gibt, «es gibt keine Tiefe –
sie sind durch die Augen eines
schönen Mannes regelrecht in
sich verliebt. Und es wäre großartig, wenn er sie lieben könnte.
Das ist es, worum es hier geht».
Die beiden Protagonist_innen
wählen ein unmögliches Ziel,
um sich nicht auf etwas Wirkliches einlassen zu müssen. Sie
sind sehr romantisch, doch der
Grund dafür, dass es keine Tränen gibt, ist letztlich, dass diese
Liebe sehr banal ist.
Xavier Dolan, der mit 17 sein
erstes Drehbuch schrieb, es mit 19
verfilmte und damit («J’ai tué ma
mère»/I Killed My Mother) 2009
in Cannes in der Quinzaine drei
von drei möglichen Preisen und elf
weitere kanadische und internationale Filmpreise gewann, schrieb
das Drehbuch zu «Herzensbrecher» quasi nebenbei im Zug zum
Filmfestival Toronto, nachdem er
kurz nach einem Roadtrip mit seinen Freunden Niels und Monia
erfahren hatte, dass sein nächstes
Filmprojekt abgesagt wurde. «Les
amours imaginaire» (Originaltitel) ist preisgekrönt frisches Kino
aus Kanada.
DH
Ab 9. 9. im Topkino
VOLLE KONZENTRATION
Das Volxkino hat den längsten
Atem: Wenn schon alle Freiluft-Som-
merkinos ihre Leinwände und Projektoren eingewindert haben, zieht das
Wanderkino noch wochenlang durch
die Stadt. Heuer bis zum 16. September, und die Schlussvorstellung wird
«Schwarzkopf» im Auer-WelsbachPark geben (auch bereits am 3. 9. im
Alois-Drasche-Park). Mit dieser Dokumentation tauchte Arman T. Riahi in
die heimische Rap-Szene ein und heftete sich vor allem an die Ferse des
iranischstämmigen Musikers Nazar.
Programm unter: www.volxkino.at
(Alle Vorstellungen sind gratis)
Ein feiner Mischmasch aus Kunst
und Theorie steht auf dem Programm der «Verbale 2». Dieses vom
Maler Herbert Fuchs konzipierte Festival wurde erstmals 2007 in Tirol veranstaltet. Vier Jahre später folgt nun die
zweite Auflage, die neben Tirol auch
Wien als Festivalort anführen kann.
Die zentrale Station in der Bundeshauptstadt ist das Palais Kabelwerk
in Meidling, doch auch Dependancen wie der Kunstraum Bernsteiner
oder die Galerie Konzett sind mit von
der Partie. Neben Filmen, bildender
Kunst und einer Menge Musik stehen
auch Vorträge mit verlockenden Titeln wie «Die Freundschaft von Kunst
und Philosophie» (Marcus Steinweg)
oder «Einiges quer durch» (Ferdinand
Schmatz) auf dem Programm.
26.–28. 8.
Oswaldgasse 35A, 1120 Wien
www.palaiskabelwerk.at
Unabhängiger Musikjournalismus wird zunehmend untergraben, halten Nina Polaschegg (ORF,
SWR u. a.) und Andreas Fellinger (Hg.
des Musikmagazins «freiStil») in einer
Aussendung fest: «Viele von ihnen
(den Medien, Anm.) leisten den Zensurversuchen kommerzieller Veranstalter fröhlich Vorschub. An die Stelle
von unabhängigem Journalismus treten immer häufiger sogenannte Medienpartnerschaften. Sie propagieren ‹Partnerschaft›-Veranstaltungen
und rezensieren sie in längst vergangen geglaubter Hofberichterstattung.
In diese Malaise passen auch die Bestechungsversuche diverser Plattenfirmen, die ihre Inserate von der
Publikation von Artikeln über ‹ihre›
Künstler abhängig machen.»
RONNIE ROCKET SUPERSTAR
«20th Century Hits» (CD)
RONNIE ROCKET & THE SUBCANDIES
«Fire Waves» (CD)
(Monkey Music)
www.ronnierocket.at
Ronald Iraschek, Ronnie Urini, oder Ronnie
Rocket, wie auch immer, war der Rockmusik
schon immer einen Schritt voraus. Urini oder
Rocket – nennen wir ihn der Einfachheit halber «R.» – hat Rammstein erfunden, wo es
noch nicht einmal die DDR-Vorgängerband
(Feeling B) gegeben hat. Großes Dark-NewWave-Kindertheater. Man mag von «R.» halten, was man will, es werden auch garstige
Sachen über ihn kolportiert, dennoch hat keiner den 80er-Untergrund so lustvoll geprägt
wie er: Legendäre U4-Auftritte, bestes RayBan-Model österreichweit, altes Chelsea-Urgestein. Stellen Sie sich vor: Ein Gassenlokal
(Chelsea Mark 1/Piaristengasse), finster wie
in einem A...loch, große Sonnenbrille, mindestens 75 % Abdunklung, dahinter «R.» die
Bar stützend. Peinlich? Woher denn. Urcool!
Und dann die Musik: «The Frozen Seas Of Io»,
«Niemand hilft mir», «Konrad Bayer Is Dead»,
... großartig! Und auch die Fremd(mit)arbeiter
(lt. Booklet) auf diesem Sammelsurium können sich sehen lassen: Miles Davis, Nico, Mars
Bonfire ... Apropos Booklet, die Jahreszahlen
hinter den Songs sind allesamt geflunkert.
Möglicherweise war «R.» bereits 1960 im realen Leben ein «Mädchenschreck», der Song
gemeinsam mit den «letzten Poeten» stammt
natürlich aus den frühen 80er-Jahren. Aber
wer wird denn so kleinlich sein und sich an
Zahlen und Namen stoßen. Selten war Realität und Dichtung so verschwommen. Egal.
«R.» ist ein Original, und da verwischen Grenzen eben. Was allerdings fehlt aus «R.’s» Superstar-Jahren, sind seine Episoden mit «The
Vogue», «Dirt Shit» oder der «Rucki Zucki Palmencombo». Stattdessen gibt es neues Superstarfutter gemeinsam mit den Subcandies.
«Fires Waves» heißt das aktuelle Werk, und
wer den alten «R.» (Urini) gemocht hat, wird
sich auch für den neuen «R.» (Rocket-)Sympathien abringen können. Aber wie meint er
gleich zu Beginn: «The heroes are tired, they
wanna go to bed / the party is over, striktly
no fun / ...» Superstar-Rente? Geh, bleib noch
ein bisserl!
lama
E
in Kaffee nach dem andern, eine Leichtigkeit des Seins folgt auf die nächste. Jetzt
wo die Tage länger werden, ist auch mehr Koffein an der Tagesordnung. Denn aus
dem Boden sprießende Gastgärten füllen sich schließlich nicht von selbst. Also,
Hawaii-Hemd aufgeknöpft, Brusthaare nicht epiliert, unmöglich gekrümmte Sonnenbrille aufgesetzt und ab geht’s auf die Hilfa … oder ins MQ zu den Pseudointellektuellen. Zwischen Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum darf man nicht auf
der Wiese liegen, aber da bringt einem sowieso keiner Häferlkaffee. Wohin nur hmm …
Die Hilfa wär schon was. Zuerst «shoppen» und dann Cheeseburger fressen gehen. So viele Franchisenehmer eines Lebenskonzeptes auf einer Stelle … Dumdidum. Oder doch die
Arschbar aufsuchen? Bin heute so ungezügelt liederlich aufgelegt. Dort kann man als Godzilla oder Dr. Frank-N-Furter verkleidet auftauchen, ohne schief angesehen zu werden.
Hauptsache man hat eine urbane Weisheit auf den Lippen. Asooo, Arschbar gibt’s nimma!
Man bekommt nur einmal im Leben eine Chance, sich Würstl und Bier durch einen gewaltigen Schließmuskel zu bestellen und anschließend serviert zu bekommen. Und die habt
ihr wohl leider verpasst. Ich habs schon hintern mir … Eigentlich sollt ich aber ins Hawelka meinen Schal zurückfladern gehen. Meine Sorgen metastasieren, nichts kann sie aufhalten. «GRÜSS GOTT, BITTESCHÖN?», explodiert die Bäckereiverkäuferin jedes Mal,
wenn ein Kunde zur Theke kommt. Auf meinem Eckplatz sitzend zermalme ich vor Schreck
schon den vierten Kugelschreiber. Der gerade angesprochene Dandy lässt schockiert seinen Spazierstock fallen, welcher laut gegen den Boden knallt und fast eine herumstolzierende Taube erschlägt. Vor ihm kam schon ein anderer Herr in den Geschmack dieser warmen Begrüßung. Als dieser andere beim Verlassen der Bäckerei das laute Aufprallen des
Spazierstockgriffes hört, entfernt er sich noch schneller als zuvor und streicht sich kurz vor
dem Erreichen der anderen Straßenseite verstört die Haare zurecht. Eine Punkerin steht
barfüßig in der Türschwelle und blickt in die Ferne … Wahrscheinlich bleib ich lieber, wo
ich bin, beim Bäcker am Praterstern. Wo ich immer zu früh dran bin, um mir die verbilligte
Bäcker-Jause zu gönnen. Wo nicht fern von meinem Platz wild verkostet wird. In der Früh
geht’s hier ganz besonders ab. Wenn die ersten Rotwein-Tetrapaks entkorkt werden und die
Wodka-Zombies aufmarschieren …
Runter mit dem Kaffee, im Bahnhof am Ende des Universums.
Jakub Veverka
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DICHTER INNENTEIL
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Wohngemeinschaft gesucht!
Dass man ein Piefke – obendrein auch noch ein Ostpiefke – ist, kommt bei der Wohnungssuche erschwerend hinzu. Der zwar zu Hause eine schmucke Eigentumswohnung
besitzt, diese aber in Ermangelung ausreichender Verdienstmöglichkeiten dort leider
unmöglich abstottern kann.
Führungsriege verwandt oder verschwägert
ist, muss eben versuchen, anderswo Arbeit
zu finden. Es sei denn, man teilt mit diesen
ein möglichst ausgefallenes Hobby oder
wurde zum Vorstandsvorsitzenden irgendeines Traditionsvereins gewählt, die in ostdeutschen Dörfern nicht erst seit gestern
wie Pilze aus dem Boden schießen. Und
speziell dort, wo der Ostpiefke bis kürzlich
wohnte, gibt es inzwischen sogar schon wieder einen gemeinsamen Feind. Aber weil
man beim Plaudern aus dem Nähkästchen
Namen lieber nicht nennt, sei dieser hier
vorsichtshalber verschwiegen. Der Mitgliederschwund innerhalb dieser nicht genannten Großfamilie war jedenfalls bis Mitte der
vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts derart
enorm, dass man sich wundert, worauf solche Antipathien eigentlich diesmal beruhen.
Aber irgendwer muss schließlich an der
kontinuierlichen Gesamtrezession schuld
sein …
Die Wahrheit ist ein schleichender Prozess, so dass erst allmählich zutage tritt, wie
perfide das ostdeutsche System teilweise
war. Nach harmlosen Komödien à la Thomas Brussig erfährt man inzwischen auch,
wie raffiniert das Leben der Anderen von
den Staatsorganen zerstört werden konnte,
was manch ambitionierten Künstler bis in
den Selbstmord trieb. Dazu musste man
sich unter Umständen bloß in die richtige
Frau verlieben. Oder mit den falschen
Freunden einlassen. Manch einer hatte auch
einfach bloß Pech und geriet, wie der Pro­
tagonist aus Tellkamps Turm, nach Schwedt,
von wo niemand als derjenige zurückkehrte, als der er dorthin gelangte. Vom Autor
aus Dresden ist obendrein zu erfahren, dass
es selbst in der früheren DDR so etwas wie
eine Aristokratie gab, deren Wissen leider
nicht immer zum Wohle des Volkes Verwendung fand. Und wie es momentan aussieht, ging manches davon mit dem Eisernen Vorhang leider nicht für immer verloren. Namentlich auch, was an psychologisch oder sozialen Fallstricken aufzubieten
war, wenn es darum ging, missliebigen Existenzen mit jedem erdenklichen Stein den
Lebensweg zu verbauen. Und dabei schreckt
man leider vor gar nichts zurück. Nicht wenige junge Frauen wissen darüber Klagelieder zu singen. Und zwar auch speziell dort,
wo der Ostpiefke bis kürzlich wohnte …
Der Bürgermeister promovierte über
Nietzsche
Also ist er jetzt in Wien und sucht eine
Wohnung. Für ihn alleine ist die zu Hause
eh zu groß. Aber von einem Leben im Cheaper Life in der Donaufelder Straße hat
selbst er nicht geträumt. Wo er ein Klo und
zwei Duschen mit schlimmstenfalls sieben
weiteren Ostpiefkes teilen muss, die sich auf
zwei Räume à 15 Quadratmeter verteilen.
Für 13 Euro am Tag! Und weil die wenigsten
von ihnen je etwas von Mahler gehört haben oder von Klimt etwas sahen, fühlt er
sich inmitten dieser zuweilen ziemlich allein und würde sich nach einem harten
Zwölfstundentag lieber in sein eigenes Zimmer zurückziehen und schlafen, als über
Schaltsysteme oder die österreichische Bierqualität zu philosophieren. Wer je wissen
wollte, wie er sich die Hölle vorzustellen
hat, kommt jedenfalls um einen längeren
Aufenthalt im Cheaper Life nicht umhin.
Aber der Ostpiefke arrangiert sich und
träumt erst ab Mitternacht von einem Häuschen im Grünen. Da, wo nämlich der Ostpiefke herstammt, ist die dörfliche Idylle inzwischen bloß noch trügerisch, seit man
dort einen Bürgermeister hat, der über
Nietzsche promovierte. Selbstmörder und
Alkoholtote gibt es dort zwar nicht erst seit
jenem tragischen Tag, aber es geschehen inzwischen noch weit merkwürdigere Dinge,
über die sich ganze Bücher schreiben ließen. Dafür sind aber anderswo die Grundstückspreise wesentlich höher, so dass sich
mit einem Verdienst im Bauhauptgewerbe
unmöglich ein Häuschen im Grünen finanzieren lässt. Zumal man ja eh eine sparkassenfinanzierte Wohnung besitzt, für die sich
aber nur schwer ein Mieter findet. Wo nämlich der Ostpiefke herstammt, will inzwischen einfach keiner mehr hin. Vermutlich
Illustratiion: Carla Müller
A
uch in Österreich sind die Verdienstmöglichkeiten auf dem
Straßenstrich und im Bauhauptgewerbe dramatisch gesunken.
Solches liegt vermutlich an der gestiegenen
Konkurrenz und außerdem an der Tatsache,
dass es im Osten lehrstellentechnisch nur
wenige Alternativen gab. Obendrein gelten
natürlich auch die autodidaktischen Fähigkeiten osteuropäischer Hausfrauen als
durchaus bemerkenswert! Es kam sogar vor,
dass sich jemand mit mittelmäßigem Abitur
zum Maurer anlernen ließ, in der nicht unbegründeten Hoffnung, sich später ein
Häuschen im Grünen zimmern zu dürfen.
Die Grundstückspreise waren lediglich symbolischer Natur und es durfte seinerzeit
auch noch an Sonntagen schwarz gearbeitet
werden. Zudem waren Kredite zur Eigenheimfinanzierung beinahe zinsfrei, was zu
erfahren einem Strauss-Kahn sicherlich die
Haare zu Berge stehen lässt. Schließlich
kann sich davon kein Mensch seine Edelschlampen finanzieren! Da obendrein zur
Aufdeckung weiterer Sündenregister innerhalb unserer gesamteuropäischen Eliten ein
enormer juristischer Aufwand betrieben
werden muss, verwundert es daher auch einen Neu-Wiener und geborenen Ostpiefke
nicht, dass in Österreich ebenfalls nur wenig Mittel zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zur Verfügung stehen. Dass es andererseits freilich nicht lohnt, sich darüber
aufzuregen, beweist der Umstand, dass sich
der Ostpiefke erst einmal von der Leasingfirma im Arbeiterwohnheim hat unterbringen lassen. Immerhin ist in Österreich wenigstens noch auf diese Verlass, was von
deutschen Leiharbeiterfirmen leider schon
lange nicht mehr gesagt werden kann.
Apropos. Dort ist nämlich längst nichts
mehr so, wie es scheint. Dort, wo der Ostpiefke bis kürzlich wohnte, betreiben die
Nazis inzwischen eine eigene Parallelaktion,
indem sie sich diejenigen Jobs untereinander zujubeln, für die sich die ehemaligen
Realsozialisten schon früher zu schade waren. Wer dagegen weder rechts noch mit
Angehörigen der verbliebenen
selbst dann nicht, wenn der erste Goetheoder Schiller-Wanderweg mit einem Qualitätssiegel ausgezeichnet wird. Falls dies nicht
längst geschehen und als bahnbrechende Innovation auf dem Gebiet des gehobenen Bildungstourismus im Regionalfernsehen bejubelt wurde, wobei die Innovation beinahe als
«multiinzident» bezeichnet werden darf. Zum
einen durch die Erfindung eines Qualitätssiegels für einen Trampelpfad, den beim besten
Willen keiner braucht. Und zum anderen eröffnet es enorm vielfältige Möglichkeiten zur
Gründung eines Traditionsvereins. Wobei
obendrein auch noch ein neuer Arbeitsplatz
in Form eines Vorstandsvorsitzenden entstehen sollte.
Eines steht jedenfalls fest: Dort, wo man
bei Anna Amalia einst glücklich Unterschlupf
fand, hat sich seither wenig gebessert. Nicht
nur das Paradies hat man sich selbst verloren, sondern inzwischen auch alles verjagt,
was sich darüber halbwegs vornehm auszudrücken verstand. Oder wer noch eigene Ideen hatte.
Ein durchgeknallter Österreicher mit dem
Prädikat «Übermensch»
Nietzsche selbst soll jedenfalls vor seinem
geistigen Zusammenbruch lieber in Turin ein
Pferd geküsst haben, als freiwillig zu seiner
Schwester nach Naumburg zurückzukehren,
von wo aus diese später seinen geistigen Missbrauch vorantrieb, indem sie einem durchgeknallten Österreicher das Prädikat Übermensch verlieh. Noch dazu dem allerersten in
der Geschichte! Hoffentlich aber auch des allerletzten, denn es schreit buchstäblich zum
Himmel, was geschieht, wenn Schlagwörter wie Wille zur Macht oder gar von der
ewigen Wiederkehr in einem Kuhdorf auf
lammfromme Ohren stoßen, während man
öffentlich über eine Neufassung der Friedhofssatzung berät oder irgendeine Wohlfahrtsorganisation mit der Errichtung eines
neuen Seniorenheims beauftragt. Damit wenigstens noch diejenigen dableiben, denen
schon längst keine Menschenzukünfte mehr
dämmern! Nebenbei schaffen sich dergestalt
sogar einige zu besetzende Pflegestellen ganz
wie von selbst, so dass zumindest in diesem
Bereich keinerlei Handlungsbedarf besteht.
Dieser besteht allenfalls darin, zumindest
einmal sagen zu dürfen, worüber sich unmöglich schweigen lässt. Und sei es eben dem
Augustin. Schließlich sucht man ja eine Wohnung und wüsste ansonsten wenig zu berichten über das Woher und Wohin. Sollte es
nämlich mit einer Wohngemeinschaft nicht
klappen, könnte es auch einfach daran liegen,
dass ein Verdienst im Bauhauptgewerbe für
ein Zimmer in Wien heutzutage einfach auch
nicht mehr langt, wenn man an seine ostdeutsche Bank pünktlich die Raten für seine
schmucke Wohnung bezahlen muss. Und das,
obwohl der Mietzins in Wien der niedrigste
unter den europäischen Metropolen sein soll.
Ergo hat sich für den Ostpiefke die Wende
nicht wirklich gelohnt. Andererseits hätte er
als Obdachloser endlich Zeit für eine Zweitlektüre der Recherche von Proust, wobei es
aber wieder Probleme mit der Bibliotheksanmeldung geben könnte. Weil er dann nämlich als Meldewohnsitz immer noch irgendein Kaff in Ostdeutschland angeben müsste.
Wo der Ostpiefke aber nicht mehr hin will.
Woran er aber leider noch immer andauernd
denken muss. Insbesondere während er Zwischenwände mauert. Hin und wieder pfeift er
dann auch diese schaurigen Klagelieder vor
sich hin. Oder er berechnet nebenher lokale Maxima zur Bestimmung der optimalen
Glasperlendichte innerhalb tragischer Aufsätze. Zu Hause fühlt er sich im Moment jedenfalls auch in Wien noch nicht wirklich …
lüds
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In der Zentrifuge
P
aris und die Banlieues, aufgelodert 2005 in sozialer Wut aus einer Machtlosigkeit heraus, schienen so lange her … Außerdem
waren die damaligen Barrikaden und ausgebrannten Geschäfte und Autos, quer
übers ganze Land verteilt, nur eine Vorhut
der kommenden Kämpfe ohne Programm
und Chancengleichheit. Dann kam 2007
– wenig überraschend, aus Amerika – die
Wirtschaftskrise und die flächendeckende
Plünderung der Staatskassen zur Rettung
maroder Unternehmen. Überhaupt widersprach das der Logik des Marktes, deren Verfechter, wie noch zu Schulzeiten gelernt, stets beteuert hatten, im Gegensatz
zur Planwirtschaft die unprofitablen Betriebe nicht zu stützen, um Misswirtschaft
zu vermeiden und das gute Konkurrenzleben, also Freiheit und Erfolg, zu bringen. Nach ein paar individuellen, unbedingt nötigen Opferlämmern unter den
Managern legte sich das populäre Gesuse von der Ungerechtigkeit eines Systems,
das private Interessen praktisch über jene
der Allgemeinheit gestellt hatte. 2008 versuchte man international abzulenken von
den zugedeckten sozialen Problemen, die
daheim fortbestanden, und lenkte medial
mit der wackligen Unabhängigkeit Kosovos oder dem Georgienkrieg pünktlich zur
Olympiade die Gedanken wieder ins Nationale. Aber wie von selbst gravitierte die
öffentliche Meinung anderswohin, zurück
zum Sozialen. Der moderne Staat war werbefachmännisch mit dem Wohlstand wohl
gestanden, später mit der Wohlfahrt eine
Zeit lang wohl gefahren und trotzdem zuletzt nicht im massenhaften Wohlgefühl
aufgegangen. Die Schule hatte nämlich nie
so recht erklärt, warum sozial ein Riss ging
durch die Welt, sondern bloß, dass zwei
mal zwei vier wäre und 1989 wohl alles im
Lot, wie auch die meisten Medien bestätigen könnten, wenn sie – wie Glucksmann
und Lévy zum Beispiel – wiederkauten,
was das richtige Lager der Geschichte denn
konkret bedeuten würde. Doch der Spielraum der Politik wurde umso enger, je größer die Abhängigkeit von der Privatwirtschaft war.
Da waren zunächst die verschiedenen,
immer gleichen Treffen in Europa und
2009 ein einschlägiger Klimagipfel in Dänemark, wo präventive Massenverhaftungen bei Minusgraden, sprich, von Hunden
bewachte und in Reihen sitzende, aber
selbstverständlich gefesselte Zivilisten eine
Vorahnung der politischen Entwicklungen
erlaubten. Anschließend 2010 waren, nebst
BP-Erdöldesaster und dem bereits abgehakten humanitären Gau in Haiti, da auch
noch gewöhnliche Demonstrationen in Albanien gegen die Regierung, fast schon gewohnheitsmäßige Generalstreiks in Griechenland und hier wie dort Verletzte unter
Bestellschein für ein
um 85 Euro
Weltwirtschaftsgipfel
Geschenkabo um 85 Euro
den Demonstranten – und leider einige
Tote in Tirana. Im Handumdrehen folgte
2011, nach einer Veröffentlichung der
Bankdaten Ben Alis durch Wikileaks, eine
Erhebung in Tunesien, ein Aufstand in
Bahrain in unmittelbarer Nachbarschaft
der 5. US-Flotte, die dort trotz hunderten
Toten nicht eingriff, eine halbvollendete
Rebellion in Ägypten, ein Aufflackern von
Stammesfehden im erdölreichen Lybien
samt NATO-Einsatz, kurz, ein arabischer
Frühling, wie man boulevardpoetisch zu
sagen pflegte. Man streute, wie gesagt, selektiv auch den Krieg als falsche Freiheitswürze in die ganzen Geschehnisse.
Davor war ja noch europäischer Winter,
an welchem von der Reform der Finanzarchitektur zwar gefaselt wurde, ohne jede
Nacharbeit jedoch, als bestenfalls auf der
Akropolis ein irgendwie anachronistisch
wirkendes Banner an die Völker Europas
appellierte, sich doch bitte zu erheben: gegen den Verlust der Souveränität an Währungsfond und Banken! Die Versprechen
der Politik, an den Marktregeln etwas
wirklich Wesentliches zu ändern, waren
schnell vergessen, ebenso die Bedeutung
von Wikileaks für die politische Frühlingsbrise, geschweige denn der zwielichtige
Umgang mit Assange, dem WikileaksGründer, oder mit dem Soldaten Bradley
Manning. Stattdessen laberte man begeistert in den scheinbar gleichgeeichten
-Abo (23 Ausgaben)
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Nur für Geschenkabos: Die Rechnung geht an:
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Medien von der großartigen Bedeutung
des Facebook für das Revoltenlüftchen
– wobei sich von der amerikanischen
Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft
Accel Partners über Microsoft bis zur
russischen Investmentfirma Digital Sky
Technologies übrigens alle mit dessen
Aktien und Gewinnen eindeckten. Und
ständig hörte man einerseits Meldungen von gleichhohen Bonizahlungen
und andererseits von der Wichtigkeit
der finanziellen Rettungsschirme, aber
ohne die Macht der Privatwirtschaft, ihrer Rating­agenturen und Spekulationssünder so zu thematisieren, dass Veränderung endlich zum Thema würde:
etwas Anderes eben anstatt das Gleiche
nochmal, oder Schlimmeres sogar. Inzwischen forderten zigtausende Empörte in Spanien sozusagen echte Demokratie, eine also, die sich auf das
Ökonomische auszuweiten hätte, ehe sie
als unbescholtene Staatsbürger niedergeknüppelt wurden und – den arabischen Regimen zumindest ähnlich –
vom Zutritt zum Madrider Hauptplatz
durch Uniformierte abgeschnitten wurden. Immerhin war es ihr Land, ihre
Hauptstadt, ihr Sonnenplatz. Dann passierte, wie schon 2010 im krawallreichen Grenoble, in England plötzlich
wieder ein Toter, Vater dreier Kinder,
wiederum ein Anlass für die sozial Ausweglosen und Ärmeren, in Gewaltausbrüchen auf sich aufmerksam zu machen, wodurch zuerst London, dann
mehrere Städte wie Liverpool und Birmingham in Unruhen ausbrechen und
lichterloh brennen, mit nochmals einem Toten als vorläufige Bilanz der
Straßenschlachten.
Interessant ist der Umgang mit alledem. Dort, wo die arabische Jugend gegen die Bereicherung ihrer politischen
Elite und der sie stützenden und schützenden Klasse tatsächlich aufbegehrte
und physisch Widerstand leistete, waren – keine Frage! – sofort bürgerliche
Tugenden und sonstige Heldentaten gewittert. Hingegen, wo die europäische
Jugend ins gleiche Flußbett trat, waren
andere Maßstäbe angeblich
angebrachter, und daher nannte man
diese einfach Randalierer. Die Medien
hatten womöglich diese Umwertungen
von Sarkozy gelernt, der die aufgebrachten französischen Vorstädter einst
als Unrat bezeichnet hatte und ihre Gegengewalt schlicht als Randale. Im
Nordkosovo zumindest, wo Zivilistenhaufen Blockaden errichten, während
die NATO unter deutscher Führung sie
Kriminelle heißt, zieht diese Masche
noch; man versteht ohnehin nicht allzu
viel davon. Die politische Zentrifuge
aber, die die Gesellschaften nun in Bewegung versetzt, war nie etwas Anderes
gewesen als – sozialer Sprengstoff. Und
schon munkelt man, einer tragischen
Schicksalsgemeinschaft gleich, vom
möglichen Börsenzusammenbruch,
und zwar neuerdings, welcher mit alledem nichts zu tun hat? Was für ein bewölkter Sommer 2011 muss das sein,
wenn die europäischen Massen hypnotisiert auf ihr Mokieren, Teil 2, warten!
Mladen Savić
TONIS BILDERLEBEN
Sie beraten, polarisieren, recherchieren,
sie versuchen,
den Hunger aus den Augen der Armen zu kratzen
sie reden, sie beschwören, polemisieren,
um in Händen von Spekulanten
ihrer Sprachlosigkeit Worte zu geben
sie versuchen,
die Spreu vom Weizen zu trennen,
damit die Wirtschaft wächst
Gerechtigkeit an Wimpern einer Welt,
die mit geschlossenen Augen glaubt,
der Armut ihre Blöße zu nehmen.
Global
Global kriecht der Hunger
aus den Nestern
zu Gold wird das Getreide gemahlen
für jene,
die gesättigt nach Lösungen suchen,
um die Welt zu retten.
Lieselotte Stiegler
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Aus der KulturPASSage
Natur und Kultur in der Sommerzeit
A
uf der Pilgerfahrt durch die Wiener Kulturinstitutionen, die sich
der Aktion «Hunger auf Kunst
und Kultur» angeschlossen haben, fällt uns das ESSL-Museum ein: Das
ist doch ein schöner Sonntagsausflug! Gesagt, getan.
Von der Albertina fährt ein Gratisbus,
der nicht voll ist, vorbei am Yacht-Hafen
gegenüber dem Kahlenbergerdorf bis nach
Weidling, also schon eine sehr erfreuliche
Anreise.
Das Museum ist höchst modern gebaut,
funktionell und trotzdem schön, angenehm für Familien. Es gibt ein Café am
Dach, eine große Terrasse mit Liegestühlen
und einige Angebote für Kinder.
Die Ausstellung «Festival der Tiere» ist
ein Kaleidoskop von Tiergemälden und
-darstellungen – nicht dass ich besonders
drauf stehen würde, aber es ist «Kunst».
Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht immer schnalle, warum, wozu und wieso
überhaupt so manches stattfindet, aber bitte – so ist der Mensch –, er/sie will sich
ausdrücken auf jede nur erdenkliche
Weise.
Der Spaziergang danach im Auwald ist
jedenfalls dem Natur-Genuss gewidmet.
Wir kommen vorbei am Klosterneuburger
Strandbad und einer Rettungshundeausbildungsstation. Ich liebe sie, diese allerintelligentesten und so wahnsinnig hilfreichen
Viecherl, ein Blick – und ich bin schon
weg, d. h. «verliebt».
Zu Fuß geht’s vorbei am Donauarm zur
S-Bahn und wieder heim im Zug. Wir haben das Gelände erkundet, jetzt wird es sicherlich bald wieder besucht, noch dazu,
wo die frei zugängliche Donau nicht weit
ist. Das ist Urlaubsfeeling, wie ich es voll
mag: Meinen Blick in der vielseitigen Vegetation verlieren, der breiten Wasserfläche
und den Schiffen zusehen, hie und da ins
kühlende Nass steigen und den Wind dieser wunderbaren Landschaft fühlen, nicht
zu vergessen die vielen leiwanden Verpflegungshütterl für hungrige oder durstige
Radler_innen, die selbstverständlich auch
uns offen stehen. Da soll noch einer sagen,
dass man nach Caorle fahren muss, um
sich zu entspannen.
Kunstschlange
Beichtn gengan de leit heitzutog net zan pforra
Sundern zan psychiata
Der fratscherlts zwo a vü aus
Und trampelt auf eana sö umanand
Ob se brauchn si net fiachtn
Dass in de höll kumman
Wauns zuagebn dass a pantscherl ghobt haum
Mid da freindin vaun da ex
Und an vaterunser miassns a net betn bei eam
Er ziagt eana nur an hunderta aus da briaftoschn
Oba daun is eana leichter.
Waun se bei da formel ans
Aner dasteßt
Oder se baim obfohrtslauf des kreuz bricht
Waun sa se in tscheschenien massakriern
Oder in java de lava über an berghaung obarutscht
Sitz i mit ana floschn gumpolds
Vorm glotzkastl
Loß ma de schen büda in mei sö einerinna
Und denk ma
Is do guat das i a bisserl wos siach vo der wöd
Auf meine oidn tog
I hob jetzt a ras zan mond bucht
Oba waun des raumschiff an eam vorbeifliagt
Sois ma recht sei
Auf da venus is ma eh liaba
Was bleibt?
Der Begriff «homeless» beschreibt die Situation von Menschen ohne Wohnsitz wohl am
besten.
H
omeless stellt den Eingang in
ein Labyrinth der Gegensätzlich- und Unabwägbarkeiten innerhalb einer vermeintlich gesicherten Sozialgesellschaft dar. Homeless
bedeutet, sich in einer feindlichen oder ablehnenden Umwelt wiederzufinden und
schlagartig ungesichert existieren zu müssen. In diesem Umfeld entwickeln die Betroffenen eine äußerst kreative Lebensführung, welche durch unzählige
Gestaltungsfinessen mitgeprägt werden.
Diese Kreativität zeichnet sich oft durch
den Lebensweg der jeweiligen Person aus,
so sind im Homeless-Bereich alle sozialen
Schichten vertreten Akademiker_innen,
Angestellte, Asyl-Suchende etc. ... Ebenso
sind die sichtbaren Probleme wie Drogenund Alkoholsucht in jeder Gruppe vorzufinden, ebenso sind die kriminellen Energien wie in der gesamten Gesellschaft Teil
der individuellen Eigenschaften, aber nicht
der bestimmende Faktor im täglichen
Friedrich Weissensteiner
DA S N ackte L E B E N
Leben von der Mehrzahl des betroffenen
Personenkreises. Homeless People stehen
in ihren täglichen Bewegungen unter massivem Anpassungsdruck, so wird etwa der
Längeraufenthalt auf öffentlichen Plätzen
und Räumen durchaus zur Gefahr für die
Person mit polizeilichen Sanktionen als
Folgewirkung. Doch sind Homeless People
eine bemerkenswerte Gruppe von Kreativen. In dieser Gemeinschaft finden sich
Musiker_innen, Literaten_innen, Schnitzer_innen, Verkaufskünstler_innen, Unternehmer_innen. Allen gemein ist die hohe
Kunst des Überlebens und Erlebens in einer abwehrenden Gesellschaft. Die Potenziale, die in diesen Gruppen verborgen liegen, stellen wohl eine nachhaltige Quelle
für die Gesellschaft dar. Menschen, die
über längere Zeit ohne Verankerung ihr
Leben verbringen müssen oder wollen, erscheinen als Gesellschaft- und Unternehmensberater_innen eine interessante Bereicherung zu sein. Auch im
Wirtschaftsleben und im Kulturbetrieb
wäre eine Einbindung dieser Person wünschenswert, da die Eigenschaft des mittellosen Wirtschaftens und Überlebens in der
gesamten Gruppe vorhanden ist. Das
Vorhandensein dieser Begabungen muss
Berücksichtigung in einer modernen und
flexiblen Gesellschaft finden und zu einem
veränderten Blick auf die Homeless People
führen. Weg von der sozialarbeiterischen
Armutsverwaltung und organisationsgesteuerten Wohnraumbewirtschaftung. Da
beide Beispiele nachweislich nicht zu einer
Reduktion der Probleme geführt haben
(Anstieg der armutsgefährdeten Personen,
Fehlentwicklungen im Sub­stitolprogramm,
subjektive Verunsicherung im öffentlichen
Raum ...). Homeless people können in den
vorhandenen und zukünftigen Spannungsfeldern unserer Gesellschaft maßgebliche
Lösungshilfen und Bewältigungsstrategien
mitentwickeln, da ihnen die (erlebten) Basisinformation zu Lösungsansätzen und
Spannungsfeldern (z. B. öffentliche Plätze,
fehlerhafte Sozialversorgung etc.) bestens
bekannt sind, welche erst durch langwierige Forschung erarbeitet werden müssten.
Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen Ausgang aus dem Labyrinth der Inkompetenz
und Mutlosigkeit unserer Gesellschaft mit
der Hilfe unserer selbst erschaffenen
Schlüssel – den «homeless people».
Wolfgang Katzinger
Aus Mehmet Emirs Fotoserie für eine Boulevardzeitung der anderen Art
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Breitenbrunn – Ein Tag am See
171.
Folge
herr groll
auf reisen
E
Foto: Mario Lang
nde Juli begab Herr Groll sich mit seinem Kleinwagen
nach Breitenbrunn. Der Dozent hatte angekündigt, mit
dem Rennrad an den Neusiedler See zu fahren, um dort
einen befreundeten Soziologen aus Hamburg zu treffen,
der sich für die Europameisterschaft im Kite-Surfen qualifiziert
hatte, die in den nächsten Tagen in Breitenbrunn beginnen sollte. Der Freund würde in einem Zwei-Mann-Zelt am Strand
nächtigen, der Dozent könne bei ihm Unterschlupf finden. Für
Groll werde sich wohl unschwer in dem Tourismusgebiet eine
Übernachtungsmöglichkeit auftun.
Als Groll am Campingplatz in Breitenbrunn ankam, war er
trotz des trüben und wechselhaften Wetters guter Dinge. Er war
schon viele Jahre nicht mehr zwischen Eisenstadt und Neusiedl
unterwegs gewesen und hatte mit wachsendem Erstaunen die
Fortschritte der Gemeinden Neusiedl, Winden, Jois und Breitenbrunn registriert. Aus ärmlichen Straßendörfern waren
schmucke Fremdenverkehrsorte geworden, die Häuser waren
im pannonischen Stil weiß gefärbelt und mit roten Rosen geschmückt. Wo man hinschaute, stieß man auf Tourismuszentralen, Wohlfühl-Pensionen, radfahrerfreundliche Quartiere, Vinotheken, einladende Heurigenbetriebe. Räucheraal, Mehlspeisen,
Schnäpse und der allgegenwärtige Wein waren im Ab-Hof-Verkauf erhältlich. Selbst die alte Schokoladefabrik am Ortsausgang
von Breitenbrunn existierte noch, als Filialbetrieb eines transnationalen Konzerns. Die Chancen, hier für zwei Nächte in einem
rollstuhlgerechten Quartier unterschlüpfen zu können, beurteilte Groll mit deutlich mehr als fünfzig Prozent.
Auch der Erstkontakt mit der Kassenfrau am Eingang stimmte Groll zuversichtlich. Er wolle einen Freund direkt am See besuchen, sagte er. Kein Problem, meinte die Frau, Sie brauchen
Der See ist immer für Überraschungen gut
nichts zu bezahlen, außerdem gibt es beim Seerestaurant mehrere Behindertenparkplätze. Tatsächlich fand Groll die Parkplätze,
alle waren frei. Er stellte den Rollstuhl zusammen und fuhr eine
Viertelstunde entlang von schilfbewehrten Kanälen durch
Wohnwagenzeilen und Bungalows bis zum Zeltplatz, wo er sich
bis zum Zelt des Deutschen durchfragte. Es war das letzte in einer Reihe kleiner Zelte, nahe beim Leuchtturm. Das Rennrad
des Dozenten war an einen Baum gekettet. Der See war vom
Sturm aufgewühlt, was die Kite-Surfer nicht vom Training abhielt, in hohem Tempo vollführten sie ihre atemberaubenden
Manöver in der Luft, schwer klatschten sie mit ihren Brettern
auf das stahlgraue Wasser. Auf der anderen Seite des Sees, weit
im Osten, sah Groll die Mole von Podersdorf. Der Sturm trieb
das Wasser in Richtung Leithagebirge, Herr Groll glaubte sich
an einem rasch fließenden, mächtigen Strom. Nach einer halben
Stunde hatte er sich am See und den Akrobaten der Luft satt gesehen, er machte sich über die Liegewiese des Strandbads auf
zum schilfgedeckten Seerestaurant. Auf dem Weg kam er an den
Sanitärräumen des Campingplatzes vorbei und fand sogar eine
Behindertentoilette vor. Allerdings war sie verschlossen. Den
Schlüssel bekomme man im Campingbüro, berichtete ein
freundliches Ehepaar aus Bayern, in einem zehnminütigem
Fußmarsch sei das Büro zu erreichen, es könne aber sein, dass es
geschlossen sei. Wunderbar, sagte Groll, wie komme ich dann in
die Behindertentoilette. Keine Ahnung, sagten die Bayern, probieren Sie es doch im Seerestaurant, die müssten auch über eine
Behindertentoilette verfügen.
Das Restaurant erwies sich als dumpfe Höhle, in der seit Jahrzehnten nichts investiert worden war. Die Sanitärräume schienen noch aus der Monarchie zu stammen, ein penetranter
Gestank nach Urin und Erbrochenem lotste Groll zu den WCKabinen. Die waren für den Rollstuhl viel zu schmal. Eine Behindertentoilette gebe es hier nicht, habe es auch nie gegeben,
sagte ein stoppelbärtiger Mann hinter der Theke mit vor Müdigkeit rot unterlaufenen Augen. Groll solle es im Ort versuchen,
es könne sein, dass die Pension Niederlechner über eine derartige Einrichtung verfüge. Groll drehte noch eine Runde über den
Zeltplatz, bewunderte noch kurz die fliegenden Männer auf ihren schmalen Brettern, und machte sich auf den Rückweg zu
seinem Wagen. Vom Dozenten und dessen Freund war nichts zu
sehen.
Groll fuhr auf der Stichstraße zum See in den Ort zurück. Er
fuhr langsam, um die Landschaft und den Ausblick zu genießen.
Das Leithagebirge mit Eichenwäldern an den Kuppen und ausgedehnten Weingärten an den Flanken bot ein friedliches, einladendes Bild. Groll war zuversichtlich, bald ein Quartier zu finden. Er freute sich schon darauf, abends mit dem Dozenten und
dessen Hamburger Freund das eine oder andere Glas Wein zu
verkosten.
Erwin Riess
Im nächsten Heft: Herr Groll macht eine existenzielle
Grenzerfahrung
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Irre Kreuzfahrten auf dem
Mobiltelefon
25. 7.
Nun kommt die Auflösung der vor kurzem gestellten Frage: «Wer oder was ist ein Xylander?» Auch wenn man es
kaum glauben mag, aber mit diesem seltsamen Vornamen
wurde kürzlich in Deutschland ein frisch geschlüpfter Knabe bedacht.
27. 7.
Das Ereignis in Norwegen mit den vielen toten Menschen
beschäftigt sehr viele Personen und Experten_innen, die
es ja immer schon gewusst haben wollen. Ich als Nebenerwerbsexperte behaupte, dass rechte Politiker_innen, wie
wir sie auch hierzulande zur Genüge haben, mit ihrer rassistischen Ideologie Wegbereiter_innen solcher Gewalttaten wie jetzt in Norwegen sind.
29. 7.
Ich suche gelegentlich Zerstreuung, indem ich mir lustige
Sendungen im TV ansehe. Zu früh gefreut, denn heute zeigt
ein angeblich lustiger Mensch sein wahres, nicht gerade witziges Gesicht. Ich überlege hin und her, warum das so ist,
finde aber keine befriedigende Antwort. Die Einen sagen, er
sei ein genialer Komiker, die Anderen, darunter ich, sind seit
heute der Meinung, dass Helge Schneider zumindest in der
heutigen Sendung als überbezahlter Niemand agierte. Es
kam innerhalb von 50 Minuten keine einzige halbwegs vernünftige oder wenigstens lustige Wortmeldung bei «Genial
daneben». Von drei verbalen, aber sinnfreien Rülpsern einmal abgesehen. Er saß dort natürlich nicht für Gottes Lohn.
Aber es war das einzige Mal, dass er zu «Genial daneben»
eingeladen wurde. Warum wohl?
30. 7.
Wenn ich den derzeitigen Sommer so betrachte, dann
möchte ich am liebsten bitterlich weinen. Denn jeder
schimpft über das Wetter, aber keiner unternimmt etwas
dagegen. Vielleicht sollte eine Volksbefragung stattfinden.
Aber wenn mir sonst nichts Besseres einfällt, dann sehe ich
manchmal auch gerne Dokumentationen an. Heute ging es
um den Beruf des Türstehers. Wenn ich das Ganze richtig
verstanden habe, dann hat der durchschnittliche Türsteher
keinen Hals, keine Haare und kein Gehirn. Aber seien wir
doch einmal ehrlich, wer äußert denn ernsthaft den Berufswunsch «Türsteher»?
1. 8.
«Unser Geld für unsere Leut'!», brüllt es mir von einem
Plakat der FPÖ entgegen. Aber bitte, was ist «unser Geld»?
Wer sind «unsere Leut'»? Falls mit unserem Geld die Steuereinnahmen gemeint sind, dann müsste irgendjemand
dem Herrn H. C. endlich einmal erklären, dass ausländische Mitbürger_innen auch Steuern bezahlen, und zwar
nicht wenig. Und falls mit unsere Leut' die FPÖ-Wähler_
innen gemeint sein sollten, dann fällt mir zu diesem Thema aber gar nichts mehr ein. So nebenbei bemerkt muss
ich dringend etwas zum großen Wunsch des H. C. sagen.
Er träumt nämlich davon, nach der nächsten Wahl Kanzler zu werden. Das kann doch niemand ernsthaft wollen.
Alleine seine Wirtschaftskompetenz ist jämmerlich. Unter seiner Mithilfe gingen immerhin zwei Firmen in Konkurs. Mir wird schlecht. Ich ziehe mich nun in mich zurück
und fürchte mich dort weiter vor dieser Vision. Nämlich
vor Kanzler H. C.
TAGEBUCH
EINES
AUGUSTINVERKÄUFERS
3. 8.
Mein Freund Karl wirft mit derben Zoten um sich. Ich erkundige mich nach dem Grund für diese Schimpftiraden.
Anscheinend regt er sich über die angekündigte Helmpflicht für Radfahrer_innen auf. Denn da gibt es wie überall mehrere Sichtweisen. Manche befürchten, dass dann
viele wieder auf das Rad verzichten würden. Andere zweifeln mit Recht an der Qualität der derzeit erhältlichen Helme. Ich meine, dass ein denkender Mensch, der sein Gehirn nicht vor Schaden bewahren will, ohnehin schon
einen leichten Schaden beherbergt. Aber soll jede_r tun,
was ihm_ihr für richtig erscheint.
5. 8.
Ich habe heute ein wenig Nachrichten auf CNN geschaut.
Danach kam ein kurzer Bericht über Warnhinweise. Ich
schwöre, dass ich folgende Hinweise nicht erfunden habe.
«Kleidung bitte vor dem Bügeln vom Körper entfernen!»
«Kind vor dem Zusammenklappen des Kinderwagens aus
diesem entfernen!» Wie dumm muss eine Nation und ihre
Gesetze sein, damit solche Hinweise notwendig sind?
12. 8.
«Diamonds are a girl's best friends» – diese Behauptung
stellte Marilyn Monroe vor etlichen Jahrzehnten auf. Heute
habe ich über Blutdiamanten gelesen. Die kommen immer
aus den ärmsten Ländern der Welt, sind aber bei uns sauteuer. Noch Fragen?
13. 8.
Ich sehe Leute, die wie die Irren mit ihren Finger kreuz und
quer über ihr Mobiltelefon fahren. Sieht seltsam aus und ist
es auch. Früher hat man in ein Telefon einfach nur hi­nein
geredet.
15.8.
«wctni.pä+» meint Mausi und ist entrüstet. Sie hat nämlich
gehört, dass ein Mann aus der High Snobiety laut eigener
Aussage 50.000 Euro in ein Rennpferd gesteckt habe. Also
pfui, wo bleibt da der Tierschutz?! Nur mit Mühe kann ich
sie beruhigen und ihr erklären, dass der Mann trotz viel
Geld einfach nur ein Problem mit der Sprache habe. Aber
wer viel Geld hat, der muss nicht unbedingt sinnerfassend
reden können. Der blinde Murli sieht in der vorliegenden
Causa eher schwarz.
Gottfried
„
Blutdiamanten
kommen immer
aus den ärmsten
Ländern der Welt,
sind aber bei uns
sauteuer. Noch
Fragen?
“