Anleitung zum Deutschsein

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Anleitung zum Deutschsein
„Anleitung zum Deutschsein“
by
Karsten Bellin
Was ist eigentlich typisch deutsch? Wie wir uns fühlen
und wie man uns sieht!
Aus der Sicht eines 89 er, zeichnet der Autor eine detailreiche Aufnahme über die
Heimat Deutschland, das was man Deutschsein nennt oder nannte und über das
Verhältnis der Deutschen zu sich selbst und wie uns das Ausland sieht. Er tut das
als jemand der seinen Frieden geschlossen hat - auch wenn es sich zum Teil um
Friendly fire handelt – das Schießen auf eigene als überholt erkannte Ansichten.
Published by Karsten Bellin at smashwords
Copyright © 2010 Karsten S. Bellin
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Über dem Bild eines saftig grünen Flusstales, an dessen Hängen eine
märchenhafte Ritterburg klebte, war zu lesen: „Visit the beautyfull Rhine and
Mosel-Valley“ (Besuchen Sie das schöne Rhein- und Moseltal). Dies war nicht etwa
das geheime Tal einer grünen Tropeninsel - nein, diese Landschaft befand sich
direkt vor meiner Tür, der Stadt am Rhein, in der ich aufgewachsen war. Ich sah
dieses Bild bei meinem ersten Aufenthalt in Singapur, in dem Schaufenster eines
Reisebüros. Na und, werden sie meinen, das haben wir schon immer gewusst! Das
mag sein, aber ich kannte mich zu diesem Zeitpunkt in Andalusien, der Provence,
den Inseln im Golf von Siam besser aus, als vor meiner Haustür oder im
Schwarzwald, auf Rügen oder in Heidelberg und im Harz.
Möglicherweise hatte sich das Interesse an meinem Land urplötzlich durch die
jetzt entstandene Ferne zu diesem verstärkt! Ich hatte mir einen gebrauchten
Baedeker beschafft, denn ich wollte nur kurz am Südzipfel der malaiischen
Halbinsel verweilen. Ich war noch mit einem alten Freund in Penang verabredet,
mit dem ich die Schule besucht hatte. Es war unendlich heiß. Hier in Singapur
wirkte es so aufgeräumt, wie an keinem anderen Ort Südostasiens, fast ein bisschen
deutsch! Ich nahm mit Erstaunen war, dass die Einwohner Singapurs ein
touristisches Verlangen nach dem Land hatten, in dem ich geboren war. Warum
auch nicht? Offensichtlich interessierten sie sich besonders für Burgen, Schlösser
und Fachwerk, wie das wohl die meisten Touristen taten, die nach Deutschland
kamen.
Ich spottete, dass der Höhepunkt des touristischen Interesses am Rheintal, seit
etwa 1890 überschritten sein musste! Was natürlich nicht wahr ist, denn mit 3 Mio.
Besuchern löst die Drosselgasse, in Rüdesheim am Rhein, nach dem Kölner Dom
mit 6 Mio. und dem Oktoberfest in München mit 5.9 Mio. Besuchern, mit das
größte touristische Interesse in Deutschland aus.
Ich stand immer noch vor dem Werbeplakat, als hätte es in diesem fremden
Kosmos, den größten Wiedererkennungswert. Hatte es nicht! Schließlich hatte ich
seit einer verregneten Reise in meiner frühsten Jugend auf die Nordseeinsel
Langeoog mehr Urlaubszeit im Ausland verbracht, als in Deutschland. Damit
befinde ich mich wohl unter meinen Landsleuten in der aller besten Gesellschaft.
Ich beschloss, mich fortan etwas mehr mit dem fremdem Land zu beschäftigen, in
dem ich geboren war.
Was hat das mit diesem Buch zu tun? Wenn ein Deutscher ein Buch über „die
Deutschen“ schreibt, dann muss dies einfach in einem fremden Land beginnen.
Wenn man sich nur in seinem Kulturkreis bewegt, werden einem die eigenen
Besonderheiten nie auffallen. Am besten lernt man also seine inländischen
Eigenarten auf Reisen kennen; im Vergleich zu einer anderen Gesellschaft. Das
setzt die Einsicht in die Kulturabhängigkeit des eigenen Denkens voraus. Das, was
uns von anderen Völkern unterscheidet, macht die Besonderheit der eigenen
Kultur aus. Aus der Ferne bekommt man einen besseren Blick für seine Heimat.
Im Ausland merkt man auf einmal, dass man anders denkt und handelt; vielleicht
auch, dass man deutscher ist als man es jemals vermutet hat oder als mancher es in
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diesem Land zugeben möchte. Der grenzüberschreitende Austausch von
Vorurteilen, der Vergleich der Kulturstandards, der lustvolle Umgang mit
Stereotypen, verschafft uns Erkenntnisse über Normalitäten und über unsere
Kuriositäten: Warum gibt es in diesem Land mancher Orts draußen, nur Kaffee in
Kännchen oder warum tüten die Deutschen ihren Kuchen mit Hilfe von
Zellophanpapier ein, statt ihn wie der Rest Europas in Kuchenschachteln zu
verpacken? Warum bezahlt jeder einzeln oder warum bauen Deutsche
Strandburgen? Wieso liegen die Einkaufswagen im Supermarkt an der Kette und
was ist die GEZ?
Was das Deutsche ausmacht, ist nicht leicht festzulegen. Es ist schwierig, ein
ganzes Volk über einen „Kamm zu scheren“. Immerhin sind die Deutschen 82
millionenmal individualisiert. Es ist klar, dass da die einen ganz anders sind, als die
anderen. Und es wird immer ein Abenteuer bleiben, den Reichtum an Ansichten
und Lebensvorstellungen, die in einer Nation vorzufinden sind, auf einen Nenner
bringen zu wollen.
Obwohl der aufgeklärte Zeitgenosse, in der Regel bestreitet den Angehörigen
bestimmter Nationen spezifische Persönlichkeitscharakteristika zu unterstellen,
zeigen psychologische Test, dass diese Ansichten unterschwellig sehr wohl lebendig
sind. Typische Eigenschaften sollen für alle gelten, sind aber oftmals nur das
Resultat von Erfahrungen mit Einzelnen. Sehr oft bestehen Urteile über andere
Menschen, Gruppen oder Völker, ohne auch nur ein einziges persönliches
Erlebnis. Selbst wer sich bemüht, vorurteilsfrei zu sein und dies auch von sich
behauptet, wird nie ganz ohne Vorurteile sein. Zahlreiche Experimente haben
gezeigt, dass auch verbal geäußerte Einstellungen nicht unbedingt mit dem
gezeigten Verhalten übereinstimmen müssen. Sich also einzugestehen, dass man
Vorurteile hat, ist der Beginn der Erkenntnis. Es hilft also nichts darüber zu klagen,
denn Vorurteile sind einfach da. Wenn man nicht darüber spricht, hat man keine
Chance bestimmte Ansichten gerade zu rücken. Es gibt für bestimmte Dinge schon
eine erhöhte Wahrscheinlichkeit. Es macht Sinn darüber nachzudenken. Man kann
darüber entscheiden, ob man diesem gemeinsamen Nenner entspricht oder nicht.
Menschen werden von Geburt an den formenden Einflüssen ihrer Kultur
ausgesetzt. Dadurch werden ihre Erfahrungen und Erkenntnisse derart geprägt,
dass ihre Wahrnehmung kulturabhängig ist. Der Deutsche (und immer wenn ich
das schreibe, sei auch „die Deutsche“ eingeschlossen...) ist z.B. stark von einer
unrühmlichen Vergangenheit und einer außergewöhnlich langen Friedensperiode
geprägt, sowie von hoher materieller Sicherheit, einem relativ hohen
Bildungsniveau, von der relativen Rohstoffarmut des Landes bzw. dessen aus
ökonomischer Sicht mangelnder Verwertbarkeit. Und natürlich, wie jeder andere
auch, von der Region in der er lebt, der Familie aus der er stammt und seinem
individuellen Lebenslauf.
Zwar müssen überall auf der Welt Menschen mit ähnlichen Problemen klar
kommen: Essen, Arbeiten, Sexualität, aber die Strategien zur Lösung solcher
Probleme unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Ein Volk wird bestimmt von
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der Art des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns der Mehrzahl seiner
Mitglieder. Nationale Kultur ist das, was diese Mehrheit für sich persönlich und für
andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich ansieht. Oft ist es
unmöglich zu unterscheiden, was Kulturstandards oder was nur Klischees sind.
Aber auch Klischees haben manchmal einen wahren Kern! Man muss ergründen,
was sich dahinter verbirgt und was davon überlebt hat - und zwar jeder für sich.
Wenn man sich seiner kulturellen Eigenarten bewusst ist, wenn man weiß, warum
man sich so oder so verhält, dann, und erst dann, kann man sein eigenes kulturelles
Verhalten erkennen, überprüfen, in Frage stellen, es verbessern oder beibehalten.
Das menschliche Gehirn neigt notwendigerweise zur Vereinfachung. Kulturelle
Klischees sind Denk- und Wahrnehmungshilfen, um die Vielfalt der menschlichen
Erscheinungen, auch die eines Volkes, für sich zu ordnen. Wir brauchen sie, um die
unüberschaubare Anzahl von Einzelinformationen, die uns täglich überhäuft, in
eine überschaubare Anzahl von Schubladen zu sortieren. Das menschliche Gehirn
verlangt nach einfachen Regeln mit der der Alltag bewältigt werden kann: z.B.
Sandale: liberales, schwarze glänzende Schuhe: konservatives Weltbild.
Rituale und Klischees sind also wichtig, weil sie einem Ökonomieprinzip folgen!
Die Umwelt ist so Komplex, ihre Details so vielfältig, dass man sie einfach in
Kategorien einteilen muss. Normen, Rituale und Gewohnheiten helfen mir, wenn
ich auf Fremde treffe. Dann kann ich mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Wenn ich
eine Frau treffe, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie sich nicht so sehr für
das „Tuning an dem Motor meines Autos“ interessiert, wenn ich mit einem
Moslem essen gehe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er keine
„Schweinemedaillons in Pfifferlingsrahm“ isst und wenn ich auf einen USAmerikaner treffe ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er ein „echter Patriot“
ist.
Eine andere Frage ist es, ob diese Urteile richtig oder falsch sind. Würde ich
nämlich behaupten, alle Frauen interessieren sich nicht für technische Dinge, wäre
dies eine unzulässige Verallgemeinerung. In dieser Vereinfachung, der Suche nach
dem Typischen, besteht also das Risiko, ungenau oder falsch zu sein. Die
Einteilung in Kategorien darf deswegen nicht starr und endgültig sein.
Wenn in diesem Land der Begriff Vorurteil gebraucht wird, meinen die meisten
damit, falsche Ansichten, unzulässige Verallgemeinerungen oder aber oft auch
ablehnenden Einstellungen. Das Vorurteil ist ein Fehler in der Wahrnehmung der
ausgebügelt werden muss, den es gilt zu verhindern, notfalls mit Selbstzensur. Es
wird geredet von Vorurteilsfreiheit, Vorurteilsabbau und Vorurteilsvermeidung als
Lösung allen Übels, nicht aber von Vorurteilsaustausch. Zum Teil behindert der
Vorwurf, einem Vorurteil zu erliegen, einen ungestörten Gedankenaustausch, den
es wird dadurch schon pauschal unterstellt, dass man diskriminierend ist. Ich
bezweifle, dass dies die Lösung von Konflikten ist. Die negative Variante dieses
Begriffs führt häufig zu einer „unzulässigen Gleichmacherei“, nach dem Motto
„alle Menschen oder Völker sind doch gleich“. Wie wäre es mit: alle Menschen sind
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einzigartig! Manche zwingen sich sogar dazu, das Vorurteil wie einen bösen
Gedanken zu vermeiden und graben ihn dabei noch tiefer in ihr Gedächtnis.
Andere behaupten ihre Vorurteile längst überwunden zu haben.
Vorurteilsabbau setzt Vorurteilsaustausch voraus. Vorurteile lassen sich nicht
revidieren, in dem man sie, wenn auch politisch korrekt, verschweigt. Diese
Haltung führt dazu, dass Vorurteile eingefroren werden. Hinter den
Sprachreglementierungen der Political Correctness, also dem "was man öffentlich
nicht sagen, nicht tun darf, wenn man nicht moralisch verurteilt werden will“,
verbirgt sich nichts anderes als die Hoffnung, über die Sprache ließe sich die Moral
der Menschen kultivieren. Oder einfacher gesagt: Sprecht "nett" übereinander, und
ihr werdet "nett" zueinander sein und euer Anderssein gegenseitig anerkennen.
Dadurch entsteht die Gefahr, das so lange politisch korrekt geredet. wird, bis die
gesamte Wahrheit auf der Strecke bleibt. „Political Correctness“ kann dazu führen,
dass falsche Ansichten nur glatt gebügelt werden und dadurch eine
Auseinandersetzung mit Vorurteilen verhindert wird. Dies führt nicht zu einem
wirklichen umdenken. Diese Form des Umgangs mit Vorurteilen erreicht nur die
kundgegebene Meinung und berührt aber nicht die dahinterliegenden
Einstellungen. Harmoniegetue bringt keinen weiter.
Viel wichtiger als Vorurteile zu unterdrücken, ist es deswegen diese Offenzulegen
und sich zu fragen: „Woher kommt dieses Vorurteil, wie ist es entstanden?“ Nur
wer seine Ansichten zur Diskussion stellt, kann sich sicher sein, dass diese richtig
sind. Wer behauptet allem und jedem gegenüber vorurteilsfrei zu sein, geht in
Wirklichkeit Konflikten nur aus dem Weg. Mögen wir noch so sehr versichern,
dass wir alle Kulturen als gleichwertig ansehen, mindestens unterbewusst geben wir
der eigenen Lebensform den Vortritt. Wirkliche Toleranz heißt sich
auseinandersetzen mit den eigenen Abneigungen und Feindseligkeiten und anderen
dieselben Rechte und Freiheiten einräumen, wie sich selbst.
Wie Klischees funktionieren, zeigt sich z.B. in der Antwort auf die Frage: „Wie
sieht ein ideales Europa aus?“ „In einem idealen Europa ist der Franzose Koch, der
Brite Polizist und der Deutsche Ingenieur. Die Hölle aber wäre es, wenn in Europa
der Brite Koch, der Franzose Ingenieur und der Deutsche Polizist wären. Was
steckt hinter diesen Anschauungen? Genauso, wie wir den Franzosen eher die
Fähigkeit unterstellen gutes Essen zuzubereiten und den Briten genau diese
Fähigkeit absprechen, traut man uns eher zu, ein Auto oder eine Maschine zu
bauen, als einen guten freiheitlich-demokratischen Ordnungshüter zu stellen.
Deutschland ist stark mit den Begriffen Fleiß und Tüchtigkeit verknüpft, wie etwa
die Niederlande mit dem Begriff Toleranz, die Briten mit Humor und die Italiener
mit Sex-Appeal.
Ein weiteres Beispiel für klischeeverliebtes Denken war während der letzten
Fußballweltmeisterschaft in einer italienischen Zeitung zu lesen: Brasilianische
Samba trifft auf italienische Theatralik, spanischer Stolz auf afrikanische
Verspieltheit und teutonische Präzision misst sich mit argentinischer Leidenschaft.
Hier spiegeln sich kulturelle Klischees wieder, die tief in uns verwurzelt sind. Diese
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Vorstellungen sind einfach da. Wer wissen will, wie ein Volk funktioniert, der muss
sich auch mit diesen Klischees auseinander setzen.
Kebab und Pizza
Auch wenn sich so manche der folgenden Eigenschaften „der Deutschen“ in den
Köpfen einiger immer noch unveränderlich halten, glaube ich mittlerweile erkannt
zu haben, welche Vorstellungen es sind, die kein typisches, sondern ein
überzogenes Deutschlandbild charakterisieren:
Deutschlands Ureinwohner haben alle blaue Augen, sind blond und arbeitswütig,
kühl und abweisend, bürokratisch, unfreundlich und humorlos. Sie ernähren sich
den ganzen Tag von Würstchen, Sauerkraut, Brezeln, Schweinehaxen, Grünkohl
und Buletten oder anderem schweren fettigem Essen, von dem man anderswo ein
ganzes Dorf ernähren kann. An ihren Stammtischen trinken sie Bier wie Wasser, in
den Straßen spielt Blasmusik. Der Deutsche ist im Allgemeinen eintönig, fleißig,
emotionslos und steif. Abgerundet wird diese Vorstellung von wahnwitzigen
Märchenschlössern und gamsbärtigen Jodlern untermalt von Bildern grausamer
Dokumente aus den Wochenschauen des Zweiten Weltkriegs.
Außerdem haben die Deutschen die besten Autobahnen, auf denen man sich mit
durchschnittlich 160 Sachen rüpelhaft fortbewegt und die aggressivsten
Fußballspieler. Sie sind perfektionistische und kinderfeindliche Sauberkeitsfanatiker
mit Blockwartmentalität. Ihre Sprache klingt wie das Gurgeln eines Sportauspuffs,
wenn ihnen unwillkürlich die Worte „Happen, pappen, sauerkrauten, Achtung oder
Blitzkrieg“ über die Lippen gehen. Ihrem Eroberungsdrang folgend, schützen sie
ihr Revier an Stränden durch den Bau von Sandburgen. Jeder hat eine ganze Armee
von Gartenzwergen und einen Dackel. Der deutsche Mann liebt sein Auto mehr als
seine Frau. Frauen tragen Dirndl, die Männer einen Hut und über ihren
Bierbäuchen Lederhosen. Das Spießertum ist eine deutsche Erfindung und die
Deutschen sind die ausländerfeindlichste Nation der Welt. Weiße Socken in
Sandalen, schon am Abend die Liegen am Pool reservieren, sich am Ballermann
besaufen, so sieht man sie im Urlaub. Sie wohnen in Reihenhäusern, vor ihrer Tür
steht ein Benz, der jeden Samstag gewaschen und poliert wird. Auf der Hutablage
liegt ein gehäkelter Hut, unter dem sich eine Rolle Klopapier verbirgt. Wenn mehr
als drei Deutsche sich treffen gründen sie gleich einen Verein, z.B. einen Verein zur
Zucht von Kampfkaninchen, aber sie reden nicht mir ihren Nachbarn.
Deutschland ist Schmalz, Spätzle, Schrebergärten, Saumagen, Christstollen,
Kuckucksuhren, Loreley, Rucksack, Dosenpfand, Bierdeckel, Hundehaufen,
Achselhaare, ausgelatschte Sandalen und Turnvater Jahn. Der Deutsche liebt es
gemütlich, denn die Gemütlichkeit entstand in Deutschland, weswegen sich die
Deutschen Bilder von „röhrenden Hirschen“ übers Sofa hängen und dann
volkstümliche Musik hören, usw. usw.
Ist das wirklich die Nation? Wenn dies alles typisch deutsch ist, dann sind mir in
meinem ganzen Leben, hauptsächlich untypische Deutsche begegnet. Natürlich ist
dieses oder jenes deutsch, bestand, besteht oder hat überlebt. Keinesfalls
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charakterisiert dies jedoch einen repräsentativen Durchschnitt. In Wirklichkeit ist
die Deutsche Nation wesentlich vielschichtiger, auch wenn die meisten Deutschen
selber Schwierigkeiten hätten, spontan eine Handvoll positiver Punkte am Leben in
Deutschland zu benennen.
Wer mit offenen Augen durch Deutschland geht wird sehen, dass die Deutschen
ihr Leben genießen, Kebab, Pizza und Pasta essen und in netten Cafés sitzen, dass
sie picknicken und grillen, wandern, joggen und Fahrrad fahren. Sie lieben ihre
Gärten, Wohnungen und Häuser und investieren viel Geld und Zeit dafür.
Deutsche amüsieren sich gerne, sind freigiebig und hilfsbereit, jedenfalls wenn man
sie bittet. Sie kleiden sich gerne international und leger. In Deutschland können
Homosexuelle die Ehe eingehen. Ein schwul oder lesbisches Pärchen Hand in
Hand auf der Straße, erregt in der Stadt kein Aufsehen mehr. Die traditionellen
Geschlechterrollen sind ein wenig aufgeweichter als anderswo. Deutschland hat
eine funktionierende Demokratie und eine der besten Verfassungen der Welt, in
der Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte großgeschrieben werden. Man
kann zwischen 300 Brotsorten wählen. 87 Kg Backwaren verzehrt jeder
Bundesbürger im Jahr, mehr als in jedem anderen Land. Zu jeder Tages- und
Nachtzeit ist in der Nähe eine Apotheke geöffnet. Deutschland ist zu 31% von
Wald bedeckt und hat 40 000 km Radwege. Den Deutschen ist der Schutz der
Natur heilig. Sie spenden von allen Nationen das meiste Geld für soziale und
karikative Zwecke. Die Deutschen sind sehr bereist, sie wissen viel über fremde
Kulturen und haben einen ausgesprochen hohen Bildungsstandard. Die Deutschen
interessieren sich für Politik und praktizieren in der Schule einen demokratischen
Unterrichtsstil. In Deutschland ist das „älteste Gewerbe“, die Prostitution, legal.
Deutschland ist das Land mit den weltweit härtesten Umweltauflagen. Ausbildung
ist fast immer umsonst und wer kein Geld zum studieren hat, wird gefördert. Es
gibt viele öffentliche bzw. öffentlich finanzierte Schulen, Universitäten,
Kindergärten, Museen, Theater, Bibliotheken und Parks, sowie Wissenschafts- und
Forschungsförderung. Deutschland hat ein auf dem Gedanken der Solidarität
basierendes Kommunal- und Sozialwesen mit den verschiedensten Leistungen:
Kranken-, Rente-, Unfall- und Pflegeversicherung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld,
Kurzarbeitergeld, Arbeitsförderung, Erziehungsgeld, Jugendhilfe, Wohngeld,
Kriegsopferfürsorge usw. usw.
Gegen alle Vorurteile, ist Deutschland, in einem Vergleich mit dem Rest der Welt,
viel unbürokratischer als die meisten denken. Außerdem ist Deutschland eines der
sichersten Länder der Welt, mit einer vergleichsweise geringen Kriminalität, in dem
in 10 Minuten oder schneller Feuerwehr und Notarzt zur Stelle sind: Nirgendwo
werden so wenig Leute erschossen, man kann nachts die U-Bahn benutzen und
Radfahren ist keine Form des Selbstmordversuchs. Es ist ein Land mit einer
starken Wirtschaft, hervorragenden Lebensbedingungen und einer hohen
Lebenserwartung. In Deutschland kann man in autofreien, prächtigen und adretten
Fußgängerzonen so ziemlich alles einkaufen, was das Herz begehrt. Die Deutschen
versuchen Müll zu vermeiden und es ärgert sie, wenn sie ihre wiederverwendbaren
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Einkaufstaschen vergessen. Tatsächlich nehmen Autofahrer Rücksicht auf
Fußgänger, wie in nur wenigen anderen Teilen der Erde, auch wenn die meisten
Deutschen glauben, dass wir eine Land von Dränglern sind. Das
Dienstleistungsangebot wird besser, die Verkäufer werden freundlicher und der
Kunde ist fast ein König. Das Bruttosozialprodukt gehört zu den höchsten der
Welt. Lustig geht `s in der "närrischen Zeit" ab, wenn sich in den Hochburgen des
Karnevals, z. B. in Köln und Mainz, mit einmal wildfremde Menschen umarmen
und küssen, die sich als Clown, Streichholz oder Ölscheich verkleidet haben.
Wer uns wohlwollend betrachtet wird feststellen, dass die Menschen hier
aufgeschlossen sind, aber nicht aufdringlich; modern, aber nicht
technologieverliebt, traditionsbewusst, aber nicht von gestern, begeisterungsfähig,
hilfsbereit und freundlich, aber nicht anbiedernd.
Und dennoch, auch wenn sich Deutschland tatsächlich ganz anders darstellt, als
manche annehmen, es hält sich die Vorstellung vom Deutschen als eine Art
engstirnigen Perfektionisten, dem es schwer fällt locker zu lassen. „Deutsche sind
oft im Stress und sie vergessen einfach, zwischendurch zu leben!" Auf manche
wirken die Deutschen deswegen gehetzt und griesgrämig, als sei die Mühsal dieser
Erde auf ihren Schultern abgeladen worden. Für den Deutschen ist das Wort
Problem viel gegenwärtiger als für andere Nationen. Er redet nicht erst von
Problemen, wenn sein Leben bedroht ist. Was für andere noch „kleine Brötchen“
sind, bringt sein Leben bereits aus der Bahn. Das wirkt sich auf die
Lebensvorstellungen der Deutschen aus: Er sieht manche Dinge nicht so locker. Es
kommt einem so vor, als ob er sich Probleme schafft, um etwas zu tun zu haben.
Zugleich werden Deutsche ängstlich bewundert und man neidet ihnen ihren
Erfolg. Wenn es dem Deutschen darum geht seine Ziele durchzusetzen, mutiert er
bisweilen zu einem fanatischen Arbeitstier, nüchtern, sachlich, aggressiv und
emotionslos.
„Deutschland ist das Grab der Phantasie“, schrieb zum Beispiel die römische La
Repubblica am Tag nach dem deutschen Finaleinzug bei der WM 2002 und hob die
„Härte“ des teutonischen Spiels hervor. „Mit der ganzen Feldtruppe im Galopp
überrollen und bekriegen sie den Gegner“, schrieb die linksliberale El País nach
dem 8:0-Erfolg beim Auftakt gegen die Saudis – der schon fast ängstlich
wahrgenommen wurde. Der Autor sprach der Elf sogleich einen eigenen Charakter
ab, denn „sie sind, nach einem Muster geklonte Spieler, deren Charakter keine
Romantik zulässt. Sie bilden eine Montagekette und schrauben phantasielos am
Fließband. Ihre Baukräne beordern sie dabei in den Strafraum“, hieß es über unsere
Fußballkultur. Gleichzeitig aber wird die klassische „Turnierbestie“ als Gegner
gefürchtet, die „das Schöne zerstört“ - womit man natürlich die eigene Auswahl
meint. Auch wenn solche Reaktionen im Ausland eher Seltenheitswert haben,
zeigen sich doch, durch die Benutzung von Kriegs- und Industrierhetorik, das hier
gerne ein Deutschlandbild wahrgenommen aufgezeigt werden soll, das in der
Vergangenheit des 3. Reichs und in der Phase der Industrialisierung stecken
geblieben ist.
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Ein anderes Beispiel, wie unsere Geschichte das Deutschlandbild bestimmt: die
Debatte von 1996, ob Deutsche in Dänemark Sommerhäuser kaufen können. In
einer Medienkampagne gab es verhüllte Andeutungen an den Expansionsdrang der
Deutschen. Dänische Politiker sahen sich zum Handeln gezwungen, um Dänemark
vor einer neuen Invasion zu schützen. Tatsächlich erhielten, wenn auch nur wenige
Deutsche, anschließend einen Bescheid, dass sie ihr Haus verkaufen sollten.
Was ist dran an dem Bild des perfektionistischen Teutonen? Mehr als wir ahnen,
möglicherweise mehr, als wir zuzugeben bereit sind. Tatsächlich will der Deutsche
nicht nur einfach mit dem Leben zurechtkommen, er will es meistern. Er nimmt
die Dinge nicht wie sie kommen, er will sie regieren. Viele junge Ausländer
empfinden die Deutschen deswegen nicht gerade als „Lebenskünstler“. Mit ihrem
Verlangen, alles "in Regeln zu fassen“, mit Hektik, Ungeduld und Pingeligkeit,
glaubt man, kann kein wirkliches Vergnügen aufkommen. Deutsche machen Dinge
nicht einfach aus Spaß, sondern allenfalls „just for fun“, wofür man eine andere
Sprache bemühen muss. Der "Ernst des Lebens" beginnt für uns Deutsche nach
kurzer Kindheit spätestens dann, wenn wir in die Schule kommen. „Irgendwann
wollen dann alle möglichst viel Geld verdienen und kaufen sich tolle Sachen, haben
dann aber keine Zeit, sie zu genießen“, empfindet z.B. ein Student aus Afrika.
Ausländer vermissen Aufgeschlossenheit und Offenheit, Wärme und Geborgenheit
und den unbeschwerten Umgang miteinander. „Den älteren Deutschen fehle die
Leichtigkeit des Herzens, eine gewisse Basisfröhlichkeit“ meint ein anderer. „Die
Deutschen gehören nicht zu jenen Völkern, die auf den ersten Blick sympathisch
erscheinen. Dafür sind sie zu kompliziert, zu selbstgefangen und auch zu förmlich“.
Würde man Agenturen damit betrauen, eine entsprechende positive
Werbekampagne für Deutschland im Ausland zu gestalten, dann müsste man wohl
gegen viele der oben genannten Klischees angehen. Man wäre wohl angehalten ein
„warmes und empfindsames“ Deutschlandbild zu malen und den Deutschen
entgegen alter Voreingenommenheit, als "fehlertolerant, freundlich und
aufgeschlossen" darzustellen.
Des Deutschen liebstes Kind
Ich befand mich auf der Insel Penang im Hauptort Georgetown, der Hauptstadt
der ehemaligen britischen Kolonie Malaysia. Hier war ich, um einen alten Freund
zu treffen. Ein in den USA und Deutschland aufgewachsener, nunmehr in Korea
lebender Koreaner, den ich in der Schulzeit kennen gelernt hatte: Chang!
Um es vorwegzunehmen, ich habe viele schöne Länder bereist und was mir
gefallen hat, habe ich einfach zu meiner eigenen Kultur gemacht. Gerade der
Abstand, den ich als Deutscher zu meiner eigenen Kultur gelernt habe, hat genau
das erleichtert. Ich hatte irgendwann aber nicht mehr das Gefühl, das es woanders
wesentlich besser sei, sondern nur anders. Ich habe gelernt, dass es in anderen
Ländern Probleme, wie in meiner Heimat nicht gibt, aber dafür wiederum andere.
Schon nach einem kurzen heftigen Begrüßungsritual klingelte und vibrierte
Changs Handy und das tat es den ganzen Urlaub. Yoboseyo! Yobeseyo! waren die
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ersten koreanischen Worte nach Hyndai und Kia, die ich seit langen hörte: Es ist
die Begrüßung am Telefon. Die Verbreitung und vor allem die Nutzung von
Handys scheinen für Koreaner enorm wichtig zu sein. Die Umgangsformen damit
sind freundlich ausgedrückt gewöhnungsbedürftig, denn Live-Gespräche werden
durch Anrufe unterbrochen, ob an der Hotelbar, im Restaurant oder während der
Autofahrt. Ohne Sinn, der On/Out – Knopf. Handys werden nie abgestellt. Chang
liebte sein Handy. Sind Handys „des Koreaners liebstes Kind“?
Es gibt eine Menge Vorurteile über uns, richtige und falsche: Betrachten wir z.B.
das Verhältnis der Deutschen zu ihren Autos. Rein rechnerisch besitzt jeder
Erwachsene Bundesbürger eins davon. Das Auto stand und steht als Inbegriff für
die deutsche Wirtschaft: In den 50er Jahren symbolisierte das Auto: "Wir haben es
geschafft, wir sind wieder wer." Die neue Mobilität löste riesige Reisewellen über
den "Brenner" nach Italien, oder nach Spanien aus.
Dass das Auto der Deutschen liebstes Kind sei, also der Deutsche ein abnorm
gesteigertes emotionales Verhältnis zu seinem Vehikel hat, hört man nicht selten.
Ob ein Auto einer bestimmten Marke, als Symbol für einen bestimmten Status
geeignet ist, ist in Deutschland milieuabhängig. Und so kommt die Kritik am
Statussymbol Auto, vor allen aus den Reihen derer, denen ein nobles Auto nicht zu
einem höheren Ansehen verhelfen kann, weil der gesellschaftliche Status anders
erreicht wird, beispielsweise über eine angesehene Schul- und Berufsbildung.
Andererseits studiert man ja auch nicht Zahnmedizin um später Twingo, Saxo oder
Polo zu fahren, was sollen die Angestelltinnen von einem Denken.
Andere fahren ganz bewusst einen Klein- oder Mittelklassewagen, möglicherweise
einer nichtdeutschen Marke: Volvo, Citroen, Saab oder Peugeot, können sich aber
dennoch bestimmter Statussymbole bedienen: das gepflegte Eigenheim, das
Ferienhaus in der Toskana, Urlaubsreisen, der Weinkeller und die
Antiquitätensammlung. Als Statussymbol kann auch ein edler Dress gelten, aber nie
würden wir Deutschen darum so ein „Geschiss“ darum machen, wie ein Italiener.
Aber liebt der durchschnittliche Deutsche sein Auto wirklich „doller“ als ein
Italiener, Grieche, Brite oder Kanadier? Chang liebte deutsche Autos und er hielt
sie für die besten der Welt.
Wer verehrte seinen Benz mehr, als die erste türkische Einwandergeneration?
Nirgendwo sonst fanden die gebrauchten süddeutschen Renomierschlitten einen
solchen reißenden Absatz. Heute ist unter jungen Türken in Deutschland, das
beliebteste Auto ein 3 er von BMW, am liebsten „tiefer und schneller“. Der
schnellst wachsende Automarkt ist China und in den USA muss ein Auto vor allen
Dingen groß sein. Und in Frankreich: hier sind verbeulte Autos aus dem
Straßenbild verschwunden und das meist gewünschte Auto: ein Mercedes. Das das
Auto in Frankreich dennoch einen andere Bedeutung hat wird spätestens klar,
wenn angesehene Geschäftsleute mit einem Kleinwagen vorfahren und das nicht
gleich als mangelnde Solvenz des Geschäftspartner gedeutet wird, wie dies in
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unserem Land der Fall wäre. Rund um den Globus ist das Auto mehr als nur
Fortbewegungsmittel, es ist Potenzmittel, Spaßfaktor, Egoverbesserer und Fetisch.
Aber in diesem Land – und das ist der einzige Unterschied - mangelt es manchen
in besonderer Masse am Verständnis für diese Liebe und Hingabe. Warum nur?
Das Auto ist nicht gerade umweltfreundlich, das Interesse an umweltpolitischen
Themen aber groß. Tatsächlich ist die deutsche Gesellschaft deswegen viel
autofeindlicher als andere Gesellschaften – Die Behauptung das Auto wäre des
deutschen liebstes Kind, ist ein Vorwurf, der dieses Unverständnis ausdrückt. Aber
die Liebe zur Umwelt hat ihre Grenzen und so reagiert die Mehrheit der
Bevölkerung, auf jede Einschränkung ihrer individuellen Mobilität mit großer
Ablehnung.
Trotz dieser Hingabe zum Auto liebt der Deutsche seine Umwelt so sehr, dass er
sich das Autowaschen vor der eigenen Haustür hat verbieten lassen, weil eine
Wäsche ohne Ölabscheider als umweltbelastend gilt. Nichts mehr mit dem
stundenlangen zärtlich intimen Einmassieren von Pflegeprodukten unterm eigenen
Car-Port. Selbst das Waschen an einem Sonntag, noch vor Jahren Lieblingssport
vieler Deutscher, lässt er sich untersagen. Das Betreiben von Autowaschanlagen ist
nämlich in den meisten Bundesländern an Sonntagen verboten, sogar wenn es sich
um Münzwaschanlagen handelt. Wegen seines schlechten Gewissens der Umwelt
gegenüber, nimmt der Deutsche auch jede Spritverteuerung durch Steuererhöhung
in Kauf. Er erträgt genauso wie andere Bürger dieser Welt, dass ihm jährlich seine
KFZ-Steuer erhöht wird, dass man ihm seine innerstädtischen Parkplätze
vernichtet, um dann teure Parkhäuser zu bauen oder Parkuhren aufzustellen und
ihm diese für teures Geld anzubieten. Außer dem Fehlen eines generellen
Tempolimits - dem letzten Rest von Anarchie - ist es mit der „freien Fahrt für freie
Bürger“ nicht mehr weit her. Abgesehen davon, dass „Schnellfahren“ auf
deutschen Autobahnen angesichts von Baustellen, hohem Verkehrsaufkommen
und seriellen Tempolimits (Tempo-30-Zonen) schon praktisch gar nicht mehr
möglich ist. Dass sich in Deutschland noch kein generelles Tempolimit
durchgesetzt hat, obwohl es solche Limits auf der ganzen Welt gibt, wird damit zu
erklären versucht, dass sich der “gute Ruf der deutschen Autoindustrie unter
anderem damit begründet, dass Autos hier Schnelligkeit und zugleich Sicherheit auf
deutschen Autobahnen beweisen können“. Das fehlende Tempolimit also ein
Geschenk an die Autoindustrie und weniger an die Liebhaber schneller Wagen?
Es ist in Deutschland ordnungswidrig und kann mit einem Bußgeld geahndet
werden, seinen Motor unnötig lange laufen zu lassen, die Türen zuzuschlagen,
unnötig schnell beim Anfahren zu beschleunigen und mit quietschenden Reifen
durch eine Kurve zu fahren. Schade auch! Eine Besonderheit stellt auch die strenge,
alle 2 Jahre vorzunehmende, TÜV-Abnahme dar, die bei Besitzern älterer Autos
Angstschweiß auslösen kann und in dieser Form einmalig ist: Kann doch bereits
ein kaputtes Lämpchen in diesem Land die Erteilung des begehrten Siegels
verhindern. Für den mit der HU verbundenen Vorschriftenberg, werden Gründe
der Sicherheit angeführt. Die „Technische Untersuchung“ nützt aber auch der
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Autoindustrie sehr, werden doch in diesem Teil der Welt Autos besonders schnell
fahruntüchtig.
Natürlich gilt der Wechsel zu einem höheren Wagentyp erst dann als
gesellschaftlich akzeptiert, wenn dieser Wagen auch dem Status seines Fahrers
entspricht. Wer also eine neue E-Klasse fährt, sollte schon Abteilungsleiter sein.
Diese Regel wurde zu unserem Entsetzen einfach von jungen türkischen
Mitbürgern durchbrochen – „wahrscheinlich Drogendealer!!!“ Nein, sauberes Geld
und der daraus resultierende Luxus, sollte in diesem Land schon durch ehrliche
Arbeit hart verdient sein. Ansonsten kann man damit keine Anerkennung finden.
Eine fiese Unterstellung ist auch die Vorliebe deutscher Autofahrer für den
gehäkelten Hut, unter dem sich eine Rolle Klopapier verbirgt. Die meisten
Deutschen finden das peinlich.
Rein muss es sein oder was ist Umweltbewusstsein
Was fällt Gästen in Deutschland auf? Was schätzen und achten diese, wenn sie
nach Deutschland kommen? Von Besuchern in Deutschland werden häufig
Pünktlichkeit von Menschen und Verkehrsmitteln bewundert, genauso wie
überhaupt der hohe Organisationsgrad, mit dem das Leben in Deutschland
gemeistert wird, Anerkennung findet. Und wo auf der Welt gibt es ein Land, in
dem jede Stadt und fast jedes Dorf eine in sich tadellos organisierte Gemeinde
darstellt, die weit mehr bietet als alles, was man zur rein materiellen Versorgung der
Bevölkerung braucht: z.B. durch die von der Gemeinde subventionierten
Schwimmbäder oder kulturellen Veranstaltungen.
Auch die Sauberkeit in Deutschland verdutzt viele Besucher. Jedenfalls zu den
Zeiten, als die Kommunen noch genug Geld für die Straßenreinigung hatten.
Sauberkeit hat was mit Ordnung zu tun. Ordnung ist die klare Trennung von
Themen, Formen, Farben, Räumen und Flächen. Alles hat einen nach seiner
Funktionalität zugewiesenen Platz: Straße, Bürgersteig, Grünfläche, Haus. Ordnung
ist Geometrie. Die Ordnung wird durch das Chaos gestört: Provisorien, Bauruinen,
Müll, Kabelgewirr, Rost, abgestorbene Blätter und fehlende Begrenzungen. Ohne
Sauberkeit keine Ordnung. Viele Deutsche stellen sich im Ausland regelmäßig die
Frage: „Warum räumt hier eigentlich keiner auf?“, oder sie fangen einfach beherzt
selber an, Strände in der 3. Welt von Müll zu befreien. Schon sehr früh hat meine
Generation von einer rundlichen Nervbacke in Latzhosen gelernt, „nicht nur
sauber, sondern rein“ muss es sein! In Deutschland ist Sauberkeit von scheinbar
lebenswichtiger Bedeutung und noch vor kurzen waren deutsche Hausfrauen stolz,
wenn man bei ihnen vom Boden essen konnte, obwohl tatsächlich nie jemand dies
jemals getan hätte oder wollte. Bei den Schwaben wird Reinlichkeit zelebriert, in
dem man gleich eine ganze „Kehrwoche“ einlegt. Oder wo auf der Welt gibt es
einen „Frühjahrputz“ oder kommunale „Clean up -Partys“. In Deutschland
angekommen, stellte jemand verwundert fest: „Es gibt auch Menschen, die ihren
Müll nicht auf die Straße schmeißen“. Ausnahmen abgesehen: In deutschen
Großstädten ist das „Knöllchen“ für achtlos auf die Straße entsorgten Müll gerade
wieder als neue Einnahmequelle entdeckt worden.
12
Wer in Deutschland länger bleibt, muss schnell einige Regeln dazu lernen, z.B.
das „Umweltbewusstsein“. Wenn manche es auch wagen, die akribische
Mülltrennung, fortwährende Angelegenheit in deutschen Studentenwohnheimen,
einfach als „deutschen Sortiertick“ abzutun. Doch der Deutsche kennt bei diesem
Thema keinen Spaß. Schnell merken das auch Gaststudenten: Mülltrennen ist eine
Weltanschauung und der Beweis für unsere kulturelle Überlegenheit.
Es ist zwar mittlerweile möglich jede Art von Müll technisch zu trennen, aber wer
würde es wagen, diese liebgewonnene Verhaltensweise in Frage zu stellen; kann
man doch sein gesteigertes Umweltbewusstsein daran ausleben. Dabei ist das
System doch wirklich einfach. Jedes Kind in Deutschland beherrscht die Methode,
kann alle nur vorstellbaren Typen von Müll identifizieren und einwandfrei dem
richtigen Behältnis zuordnen: blaue Tonne, grüne Tonne und gelbe Tonne- für
Plastik, Papier und Metallverpackungen. Braune oder grüne kann für organischen
Abfall stehen und in die blauen Tonnen kommt Papier. Aber bitte: warum hat „Der
Grüne Punkt“, denn um Gottes Willen keine grünen Tonnen? Und dann noch
Container für Glas: nach Farben sortiert: Weiß, Grün und Braun. „Bitte beachten
Sie die Einwurfzeiten!“ Die Deutschen verhalten sich umweltbewusst aus
Überzeugung. Sie verzichten auf Pelzmäntel, sparen Wasser und bevorzugen Eier
aus Freilandhaltung. In einem brasilianischen Zeitungsartikel fragte sich die
Autorin, ob sich die Sorge um die Umwelt in Deutschland nicht längst zu einer
Besessenheit gewandelt hat. Sie hörte davon, dass man in Deutschland wieder für
Tuchwindeln plädiert hat. Für brasilianische Mütter unvorstellbar, sind doch
Wegschmeißwindeln (fraldas descartáveis) für sie die größte Erfindung des 20.
Jahrhunderts.
Eine Sache des Standpunkts
Was ist wohl außerdem noch typisch deutsch? Dass ich mich in einem fremden
Teil der Welt rumtrieb? Dies ist kein Zufall und unterscheidet mich nicht von
anderen Deutschen. Schließlich sind wir Deutschen ein Volk von Reisenden und
genießen in manchen Teilen der Welt einen guten Ruf, weswegen es zuweilen
sinnvoll sein kann sich als Deutscher zu outen. In Südamerika und auch im Rest
der Welt ist es oft segensreich, wenn man zu erkennen gibt, kein „Gringo“ zu sein.
Als Deutscher identifiziert, stellt sich bei vielen Einwohnern des amerikanischen
Kontinents nebenbei noch ein froher Gesichtsausdruck ein.
In vorwiegend arabischen Ländern, ging ich bisweilen dazu über, als Schweizer
aufzutreten, denn ich sah alte Männer beim Anblick von Deutschen ihren rechten
durchgestreckten Arm heben und „heyl“ rufen. Mit der Frage warum der Deutsche
so viel reist und wie der typische deutsche Reisende so ist, werde ich mich später
beschäftigen. Ich jedenfalls begann mit dem Reisen, weil ich in diesem Land
irgendetwas vermisste. Es hat eine Weile gedauert zu begreifen, was das Deutsche
in mir ausmacht und mir über diese Nation klar zu werden. Dieser Prozess ist nicht
abgeschlossen und wird es auch nie werden. Ich gehörte damals noch zu denen, die
ich heute als die „Suchenden“ bezeichne. Ich ging auf Reisen, um etwas zu suchen,
was es bei uns nicht gab. Nein, ich habe dieses Land nicht von Anfang geliebt.
13
Niemand hat das von mir verlangt. Im Gegenteil, eher wurde ich zu einem
kritischen Umgang mit dem Deutschsein erzogen, was ich für ganz
selbstverständlich hielt.
Mein Deutschlandbild entstand im wesentlichen in den 70/80er Jahren. Als
Jugendlicher, bin ich dann in einem Deutschland aufgewachsen, in dem sich die
Leute selber nicht besonders mochten und die, die sich selber mochten, galten als
selbstgefällig. Die 80er sind die Zeit, in der jungen Menschen Blockflöten zum
Geburtstag geschenkt wurden, vielleicht um sie vom schädlichen Gitarrenspiel
abzuhalten oder weil unsere Eltern nicht so viel Geld fürs Musische hatten. Die
Zeit, in der Twix noch Raider hieß und die Neue Deutsche Welle Wogen schlug.
Anfang der 80er Jahre fangen nämlich auch die „Jungen“ an deutsch zu singen:
Joachim Witt wird Goldener Reiter, Markus wollte vor allem Spaß, Nena ließ
Neunundneunzig Luftballons fliegen und Ideal steht auf „Berlin“ und „blaue
Augen“, die ihn „so sentimental machen“.
Aufgrund eines „momentanen Hangs zur glückseligen Nostalgie“ glaubt heute
jeder die Geheimnisse der 70/80er genau zu kennen: gehäkelte Topflappen, der
rosarote Panther, Derrick. und Catweazel: Ein angelsächsischer Hexenmeister, der
im 20. Jahrhundert landete. (Wie hieß seine Kröte? Kühlwalda).
Doch das ist nur der Unterhaltungsaspekt: Die 80 er waren nur unpolitisch für
die, die die Augen verschlossen haben. Als kritischer und politisch interessierter
Bürger erzogen, war in diesen Zeiten zum Überleben eine optimistische
Grundeinstellung von Nöten. Überspannt gesagt: Es galt die Bedrohung durch
sauren Regen, Dioxin, Tschernobyl, einem atomaren Krieg, ausgetragen auf
deutschem Boden, zu überstehen. Die 80 er waren nicht nur „Am laufenden Band“
und „Schwarzwaldklinik“, sondern auch „Roots“ und Wackersdorf, Startbahn
West, Sandoz, Flick und Neue Heimat. Die 80 er, das waren auch die Attentate auf:
Ronald Reagan, John Lennon, Papst Johannes Paul II und Olof Palme:
Am 28. Februar 1986 fällt Schwedens Ministerpräsident Olof Palme im Alter von
59 Jahren in Stockholm einem Attentat zum Opfer. Täter und Motiv bleiben bis
heute ungeklärt.
Im Januar 1979 erschütterte die Ausstrahlung der amerikanischen Holocaustserie
(mit Meryl Streep und James Woods) die deutsche Fernsehnation. Auch meine
Familie, so wie 40 % aller Deutschen verfolgte die Ausstrahlung mit Gänsehaut,
Tränen und Zorn. Der Film stellt die nationalsozialistische Judenverfolgung am
Beispiel zweier Familien dar, die sich kennen, doch unterschiedliche Seiten
einnehmen. Die Familie der Opfer ist die des jüdischen Arztes Dr. Josef Weiss, zu
den Tätern gehört die Familie des Juristen Dorf.
Der Holocaust als Seifenoper? Am Vorabend erschien in der Welt ein Artikel:
"Die Ausstrahlung sei eine Unverschämtheit und der WDR-Programmdirektor
solle die 1,1 Millionen aus eigener Tasche bezahlen". Der Artikel führte dann auch
noch ein Ereignis in England ins Feld. "Als Holocaust dort gelaufen war, hatte eine
ältere Dame, eine Jüdin, in der Erinnerung an ihre Zeit im Konzentrationslager
14
einen Herzschlag bekommen". Die FAZ (20. April 1978) berichtete über die
Erstausstrahlung in den USA. »Holocaust« sei »eine Art jüdischer Roots«. Die
Fernsehgesellschaft NBC habe »Holocaust« nur produziert, weil ihr die
Konkurrentin ABC mit »Roots« den Rang abgelaufen habe, deswegen habe man
den Schrecken noch toppen müssen. Für manchen amerikanischen Juden war
„Holcaust“ hingegen viel zu harmlos. Deutsche Neonazis verübten Anschläge auf
zwei Sendemasten in Koblenz und im Münsterland, um die Ausstrahlung zu
verhindern.
Kein Dokumentarfilm hätte es geschafft, so viele Menschen vor den Fernseher zu
bringen. Der amerikanische Vierteiler erzeugte ein neues, bis dahin ungewohntes
Bild. Sein Erfolgsrezept bestand darin, dass es Geschichte emotionalisierte. Das bis
dahin namenlose, lediglich in abstrakten Todeszahlen präsente Schicksal der
jüdischen Bevölkerung bekam ein Gesicht; es wurde persönlich nachvollziehbar
und damit erst "wirklich". Noch überraschender als die hohe Quote war jedoch die
mehrheitlich positive Reaktion des deutschen Publikums auf die Ausstrahlung.
1980 galt es den konservativen CSU-Mann Strauß, den Inbegriff eines
machthungrigen Politikers, zu stoppen, der mit seinem Motto „Freiheit statt
Sozialismus“ zur Bundestagswahl angetreten war. Viele Schüler gingen im Sommer
1980 auf die Straße! Ganz Deutschland war mit »Stoppt Strauß«-Plaketten
bepflastert. Das waren rote Stoppschildmotive, die man an der Kleidung spazieren
trug, um damit Farbe zu bekennen. Auch ich trug eine, aber nur weil meine ältere
Schwester mir eine verpasst hatte und weil dies, wie ich glaubte, gut mit meinem
grünen Parker harmonierte. Dass man uns später verbot die Plaketten in der Schule
zu tragen, erhöhte unser ohnehin fehlendes Vertrauen in diesen Staat nicht.
Strauß war erstmals 1962 unangenehm aufgefallen, als er das Parlament belog, um
seine eigene Rolle in der "Spiegel-Affäre" zu verschleiern. Die Verhaftung
Augsteins und Ahlers und die Durchsuchung der Redaktionsräume des Spiegels
wegen angeblichem Landesverrats – „etwas außerhalb der Legalität“ - war die
persönliche Rache von Strauß gegen den Spiegel für eine kritische
Berichterstattung. Es wurde auch bekannt, dass er ausgezeichnete Beziehungen zu
rechten Diktatoren pflegte, darunter auch zu General Pinochet in Chile. In diesem
Zusammenhang hatte er sich einmal folgendermaßen geäußert: „Die
Demokratisierung der Gesellschaft ist der Beginn der Anarchie, das Ende der
wahren Demokratie. Wenn die Demokratisierung weit genug fortgeschritten ist,
dann endet sie im kommunistischen Zwangsstaat“. Aber eines seiner
bemerkenswertesten Zitate ist: „Ich bin die Stimme der Partei. Bringen Sie das
Geld mit, dann dürfen Sie auch mitreden“ Das mit dem Geld war kein Scherz, wie
man heute weiß! Er blieb in München, obwohl die CDU/CSU stärkste Partei
wurde, aber nicht die absolute Mehrheit erlangte! Es ist schon ein besonderer Witz
der Geschichte, dass ausgerechnet der Kommunistenfresser Strauß, der längst
insolventen DDR einen Milliardenkredit verschaffte.
Die 80er waren auch die Zeit, in der es den Grünen gelang, mit ökologischen und
sozialen Themen, die Barriere der 5%-Hürde zu überwinden und das etablierte
15
Parteiensystem auf ein Vierparteiensystem zu erweitern. In wenigen Jahren war
damit zu rechnen, dass es den „Deutschen Wald“ nicht mehr gab und eine
Klimakatastrophe stand uns unmittelbar bevor. Die Amerikaner hatten (auf
Drängen, auch der deutschen Regierung) Atomraketen in Deutschland stationiert,
um den Frieden zu sichern und uns damit erst recht zu einem atomaren
Angriffsziel gemacht, jedenfalls glaubten wir das. Große Friedensdemonstrationen
zeigten das Unverständnis für dieses Wettrüsten.
In Gorleben und an der Startbahn West verkloppten Polizisten Demonstranten
und umgekehrt. Unsere pubertäre Welt war in Ökos, Popper, Punker und
„Normalos“ aufgeteilt und leider auch in ein paar Neonazis. Es war die Zeit
zwischen Pershing und Perestroika. Ausgerechnet kurz vor dem „orwellschen
1984“ wollte man das Volk statistisch erfassen. Mit wenig Vertrauen in die
Obrigkeit beunruhigte es die Bevölkerung doch sehr, dass man sie zählen wollte.
Das Stichwort „Volkzählung“ spukte durch die Medienlandschaft. Manche
befürchten gar einen „gläsernen Bürger“ oder ein „Volksverhör“. Eine Form
leichten Verfolgungswahns oder berechtigter Sorge? Der Protest mündete
jedenfalls in eine Verfassungsbeschwerde und tatsächlich musste das
Volkszählungsgesetz nachgebessert werden.
Wir 89er waren keine Revoluzzer. Wir haben in den 80ern nur das geerntet was
die 70er und 60er schon erkämpft hatten. Was ist schon dabei, wenn man ein
bisschen für Frieden demonstriert. Aber wir waren nicht so unpolitisch, wie man es
uns vorwirft, nur die Feindbilder waren Anfang der 90 er nicht mehr so klar
umrissen. Bestimmte Rituale des Protests wirkten irgendwann wie sinnentleert.
Was wir über das Deutsche erlernten, kam hauptsächlich aus den Medien und der
Schule. Schwerpunkt römisches und Drittes Reich, ein bisschen französische
Revolution. Anfangs waren wir noch schockiert über unsere Vorfahren. Man
versuchte an unserer Generation die Verdrängungsversuche der vorangegangen
Generation wiedergut zu machen, in dem man uns mit der Geschichte um so
heftiger malträtierte, bis wir erst Schuldgefühle bekamen und schließlich begannen,
entnervt abzuschalten. Natürlich war das Nationalgefühl bei uns Deutschen mit
gutem Grund nach 1945 stark belastet. Aber die „Umerzieher“ – deren Erfolge bei
den Tätern und Mitläufern nur gering waren - glaubten, man müsste dann
wenigsten unser Generation auch noch den letzen Funken nationalidentischer
Gefühle austreiben, um damit den „perfekten Europäer“, einen „gewaltlosen
Deutschen“ zu schaffen. In ihrer Dummheit setzten Sie Nationalgefühl mit
Chauvinismus gleich. Zu Ihnen gehören eine bestimmte Sorte von (keineswegs nur
linken) Politologen, Soziologen, Pädagogen und sonstigen -gogen für die bisweilen
die pädagogische Zähmung der Deutschen wichtiger ist, als ein ehrliches
historisches Verständnis.
Hatten wir eine Schuld, für das was unsere Vorfahren angerichtet hatten? Gibt es
so etwas wie kollektive Schuld? Ruht in uns Deutschen das „Böse“? Sind wir
schlechter als andere? Wie konnte Hitler an die Macht kommen? Wie konnte es zu
etwas so unglaublichem, wie dem Holocaust kommen? Sind wir Deutsche
16
besonders leicht verführbar? Was habe ich mit der Generation meiner Großeltern
zu schaffen? Was bedeutet geschichtliche Verantwortung?
Das alles war uns natürlich nicht ständig präsent. Wir wollten vor allen Dingen
leben und wehrten uns gegen den Begriff der No-Future-Generation. Ich konnte
weder an eine Zukunft nach dem klassischen Vorbild meiner Eltern glauben, noch
an das naive Gedusel von „Peace and Love“. Irgendwann begann eine Zeit, in der
wir es satt hatten uns um den Weltfrieden zu kümmern! Die Kultivierung der
Betroffenheit in Deutschland ging mir mächtig auf den Sack. Wir wollten endlich
unseren Spaß und glaubten, ein Recht darauf zu haben. Prophezeite Katastrophen
waren ausgeblieben. Das Ende des Kalten Krieges wurde eingeläutet, die politische
Teilung Europas und Deutschlands beendet und der Ostblock aufgelöst. In
Deutschland begann eine Zeit die fröhlicher und leichter war und nicht mehr so
bedeutungsschwer.
Jede Generation hat nicht nur ihre Probleme, sie hat auch ihre eigene Form, mit
ihnen umzugehen. Meine Generation und die nachfolgenden waren deswegen
schon immer dem Vorwurf ausgesetzt wir seien entpolitisiert, nur weil wir nicht
mehr so sehr in den traditionellen Dimensionen: Rechts, Links, Oben, Unten
dachten, sondern in Selbstverwirklichung, Unterhaltung und Lebensstil. Tatsächlich
steckt dahinter ein Generationtenunverständnis. Angestammte Institutionen hatten
an Orientierungskraft verloren. Politische Parteien waren nicht unsere
ideologischen Heimstätten. Und wir konnten uns selber nicht so ernst nehmen, wie
es die 68 er taten.
Und wo stehen wir heute? In der Krise, Null-Wachstum, Wirtschaftsdiktatur,
keine klaren politischen Botschaften, Reformstau, Geiz ist geil, radikaler Wandel,
Kultur des Jammerns: Ist Jammern die neue Form des Protests oder der Ersatz?
Das Jahr 2004 steht, für die Angst vor einer weiteren wirtschaftlichen Talfahrt,
gefolgt von der Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten und steigenden
Arbeitslosenzahlen. Viele Deutsche setzen dies, selbst wenn sie nicht betroffen
sind, mit ihrem persönlichen Glück gleich. Das wiedervereinigte Deutschland hat
sich nicht zu einem vierten Reich und zu einer wirtschaftspolitischen Dampfwalze
entwickelt. Das wiedervereinigte Deutschland hat sich vielmehr - für viele
überraschenderweise - zu einer völlig unspektakulären Normalität in der Mitte
Europas entwickelt.
Maikäfer flieg. Dein Vater ist im Krieg
Früher blieben die meisten Menschen ihr Leben lang an einem Ort. Das führte
dazu, dass sich Gemeinsamkeiten innerhalb eines bestimmten Gebiets entwickeln
konnten. In der heutigen Gesellschaft, die immer mobiler wird, sind solcher
Verhaltensgemeinschaften viel weniger an eine Region geknüpft. Ich fühle mich
mittlerweile recht wohl in diesem Lande, mit all seinen Vorzügen und auch seinen
Schwächen. Das hat eine Weile gedauert. Auf Reisen zu gehen war und ist die
Suche nach einer neuen Welt, die Sehnsucht nach anderen Lebensformen.
17
Gerade mit Chang und meinen anderen nichtdeutschen Freunden hatte ich mir
oft Gedanken gemacht, was es war, was die Deutschen ausmachte. Chang, dem es
in seiner Jugend große Freude bereitet hatte Deutsch mit rheinischem Akzent zu
sprechen, hatte mich einmal gefragt, woher es denn käme, dass in jeder Region in
Deutschland anders gesprochen wird. Mir war das so gar nicht klar, ich hielt es für
eine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich gibt es in Deutschland eine erstaunliche
Anzahl von Dialekten auf engstem Raum, wie in kaum einem anderen Teil der
Welt. Die Dialekte, also die regionalen Varianten unserer Sprache, unterscheiden
sich hauptsächlich in der Aussprache, aber auch in ihren Worten. Die Leute, die die
deutsche Nation heute ausmachen, lebten zwar dort, wo sie auch heute leben, aber
das Land bestand aus vielen kleinen unabhängigen Einheiten und Kleinstaaten.
Erst seit 1934 gibt es in Deutschland einen „gesamtdeutschen“ Reisepass und
eine deutsche Staatsangehörigkeit. Bis dahin wies der Reisepass als
Staatsangehörigkeit "Preußen", "Bayern" oder "Lippe-Detmold" usw. aus. Bis 1871
existierte Deutschland gar nicht als ein gemeinsamer Staat. Dieser Umstand
unterscheidet uns von anderen europäischen Nationen!
Also, wenn Chang mich noch mal fragen würde, das mit den Akzenten hängt mit
der Geschichte zusammen.
Damit man weiß, wer man ist und wohin man geht, muss man wissen, woher man
kommt.: Deutschland lebte im geistigen Dunkel des Mittelalters, in einer Stimmung
von Angst und Weltuntergangsvorstellungen, in der die Leute, das Jüngste Gericht
erwarten, in der es Leibeigene, Inquisition und Folter gab. Ende der
15.Jahrhunderts machte sich ein Augustinermönch darüber Gedanken, wie man
sich Gottes Gnade verdient, durch „eigene Anstrengung oder allein durch
Glauben“. Letzteres gefiel ihm besser. Der Mann ist bekannt, er hieß Martin
Luther. Seine Ideen waren mehr theologischer Natur.
Weniger bekannt ist, dass lange vor Martin Luther, ein Engländer namens John
Wyclif, verstorben am 31.12.1384, der die Bibel ins Englische übersetze, die
Missstände der römisch katholischen Kirche und das „päpstliche Antichristentum“
anprangerte.
Jedenfalls fanden die Ideen der Reformation bald anklang und verbreiteten sich
schnell, schon weil gerade der Buchdruck erfunden war. Der „Ablasshandel“, d.h.
Gläubige konnten Munter drauf los sündigen und sich dann gegen eine
entsprechende Spende vor den Qualen des Höllenfeuers freikaufen, stand
zunehmend in der Kritik: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem
Fegefeuer springt“. Viele Fürsten fanden die Steuern, Gebühren und Abgaben die
in päpstlichen Kassen flossen sowieso viel zu hoch. Zahlreiche Länder und
Fürstentümer traten zum Protestantismus über und spalteten Deutschland bis
heute in zwei religiöse Lager.
Jahre später. Die Gegenbewegung (angeführt durch die Habsburger), setzte sich
zum Ziel, die vom rechten Glauben abgefallenen Landstriche zurückzugewinnen.
Im Jahr 1618 beginnt der Dreißigjährige Krieg. Was scheinbar religiös motiviert
18
war, wandelte sich bald zu einem politischen Machtkampf der europäischen
Großmächte. Das Ergebnis war eine Katastrophe von unvorstellbaren Ausmaßen:
Nach 30 Jahren Krieg war Deutschland völlig verwüstet und verarmt; das Land war
um Jahrzehnte zurückgeworfen. Der Krieg hatte der Hälfte aller Deutschen das
Leben gekostet.
Während Frankreich oder England bereits Nationalstaaten waren, bildeten die
Fürstentümer des Reichs nur noch lose Einheiten und waren dadurch lange Zeit
nur noch mit sich selbst beschäftigt. Noch vor 200 Jahren war Deutschland ein
Gebilde aus vielen einzelnen Staaten: Herzöge, Grafen und Fürsten regierten das
Land mit fast uneingeschränkter Souveränität. Es gab an die 40 unterschiedliche
Währungen, fast jedes Land hatte seine eigene und natürlich auch Grenzen und
Zölle. Dadurch haben sich regionale Lebensformen herausgebildet, die sich bis
heute erhalten haben. Durch die lange Kleinstaaterei verankerte sich in den
deutschen Staaten ein starkes Gefühl der Bedrohung durch das Ausland, das sich in
19. Jahrhundert bis zum Verfolgungswahn steigerte und zu einer pessimistischen
Grundstimmung führte.
Aus dieser Zeit stammen übrigens „angsteinflößende“ Kinderlieder, die
seltsamerweise noch 350 Jahre später unbeschadet, an meine Generation überliefert
wurden, bis „fortschrittliche“ Kindergärtner/innen sich weigerten diesen Brauch
fortzusetzen: „Maikäfer flieg. Dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist im
Pommerland. Pommerland ist abgebrannt“ - was kein Kind versteht. Oder „Oh du
lieber Augustin, Augustin (... alles ist hin, Mäd´l ist weg..., alles weg, ...Rock ist weg,
Stock ist weg,...Augustin liegt im Dreck, ...Geld ist weg, o du Schreck, das ist
schlecht und nicht recht...), dass entstanden sein soll, als der Bänkelsänger Max
Augustin, nach einem Zechgelage am Straßenrand einschlief und, wie zur Zeiten
der Pest üblich, eingesammelt wurde, und dann fast bei lebendigem Leib begraben
worden wäre, hätte er sich nicht mit diesem Lied Aufmerksamkeit verschafft. Es ist
schon bizarr, dass sich viele solcher Lieder gewissermaßen als kulturelles Erbe, all
die Jahre erhalten haben.
Von Schrippen, Brötchen und Semmeln
Die Unterschiede zwischen den Menschen der verschiedenen Regionen waren
und sind immer noch da. Befragen Sie einen Friesen über seine Meinung zu den
Pfälzern oder umgekehrt! Die einfachste Reaktion wird fehlendes Interesse sein. Es
gibt Sachsen, Pfälzer, Westfalen, Hessen und Bayern. Und selbst die Bayern
unterscheiden sich in Niederbayer, Oberbayer und Franken. Der Oberbayer aus
München wiederum vom Oberbayern aus einer ländlichen Gegend. Die Bayern
unterscheiden sich so sehr vom Rest Deutschlands, dass sie sogar ihre eigene Partei
haben, die sich auch nur in Bayern zu Wahl stellt, die CSU. Sie steht für
Konservatismus, christliche Grundwerte und einen starken Staat. Bei ausländischen
Besuchern hat Bayern regelmäßig mit die höchsten Übernachtungszahlen. Daraus
kann man schließen, dass diese Region das größte touristische Interesse erweckt: Es
ist das Ursprüngliche, was Besucher Deutschlands in Bayern suchen. Man lebt im
Süden Deutschlands ländlicher, traditioneller und konservativer als im Rest der
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Republik und vor allen Dingen anders, eben nicht so preußisch, aber auch sehr
lebenslustig. Als typisch bayrisch gilt auch ein gewisses „grantlerisches“ Verhalten.
Eine Art – hier grantig - die auch dem Sachsen zu Eigen sein soll, der sich zu dem
auch, so behaupten böse Zungen, als überaus begriffsstutzig zeigt.
Die Saarländer und die Pfälzer stellen sich durchweg als lebensfrohe und gesellige,
aber etwas träge Naturen dar. Während der Rheinländer noch geselliger, noch
lebenslustiger und vor allen Dingen agiler wirkt, vor allen wenn er aus Köln
kommt. Düsseldorfer, die dazu neigen ihren tatsächlich vorhandenen Reichtum
mehr als andere herauszustellen, würden nie Kölsch, das aus klitzekleinen Gläsern
konsumiert wird, trinken und Kölner nie Alt. Das Kölsch genießt im Übrigen als
einziges Bier in Deutschland Regionalschutz: man kann Kölsch also nicht einfach
in Kiel herstellen. Die Menschen aus dem „Pott“ (Ruhrgebiet) sind auf freundliche
Art grundehrlich, hilfsbereit, irgendwie geerdet und reserviert gegenüber jeder Art
von Großspurigkeit z.B. „gegen eingebildete Fatzkes“ und jede Art von
„Firlefanz“, „Fimschigkeit“, „Gedöns“, „Graf Rotz“ oder „Herumgesülze“. Sagt
jemand im Pot zu ihnen „kannzema“, dann heißt das so viel wie „kannst du mir
mal ein Bier reichen“ und Pommes Schranke im Pott, ist gleichbedeutend mit
Pommes Rot-Wies im Rheinland, was so viel heißt wie Pommes mit Mayo und
Ketchup!
Die norddeutschen Küstenbewohner hingegen, gelten als „unterkühlte
Fischköppe“. Sie sind schwermütiger, eigenbrötlerischer und bestimmter als alle
anderen und wirken eher spröde, was sich durch langsames Habitus und ihr
überdurchschnittliches Maß an Schweigsamkeit äußert: Man kennt sich gerade
einmal 20 Jahre und schon sagt man sich guten Tag! Ganz im Gegensatz zum
Hessen, der besonders durch seine Geschwätzigkeit, dem sogenannten "Babbeln"
auffällt. Hessen sind im Allgemeinen bodenständig, es sei denn sie sind
weltmännische Frankfurter.
Der Berliner „riskiert gerne ´ne kesse Lippe“ und wirkt dabei aufbrausend,
abweisend und unhöflich, aber dafür auch erschreckend ehrlich und er ist der
Erfinder der „Curry-Wurst“. Nord- und Westdeutsche verstehen nicht die in
Bayern oder Berlin übliche Zeitangabe von „drei Viertel Zwei“ oder „Viertel zwei“,
was so viel heißt wie 13:45 Uhr oder 13:15 Uhr, obwohl sie keine Schwierigkeiten
mit "halb zwei", also 13:30 Uhr, haben. Den Schwaben sagt man nach, sie seien
ausgesprochen sparsame „Häuslebauer“. Die Westfalen, die den Pumpernickel
erfanden, sollen auch wortkarg sein und die Pfälzer, die sich grundsätzlich von
Saumagen ernähren, noch gemütlicher als andere. Und obwohl viele Deutsche ein
und dieselbe morgendliche Backware zu sich nehmen, essen die einen Brötchen
und die anderen Semmel, Wecken, Schrippen oder Rundstücke. Wer nördlich vom
„Weißwurstäquator“ „Grüß Gott“ zur Begrüßung sagt, wird schief angeguckt.
Stattdessen sagt man. „;Moin“ – auch nachmittags und abends. Ein „Oktober Fest“
in Hamburg, scheint unmöglich und in Regensburg gibt es keinen „Labskaus“. Man
sollte auch bitte nicht auf die Idee kommen, die Franken als Bayern zu bezeichnen,
das gibt Probleme.
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Es wird behauptet, dass sich Deutsche, aufgrund dieser geschichtlichen
Besonderheiten, mehr über ihre Region als über ihre Nation definieren. Das spielt
aber meiner Ansicht nach nur eine untergeordnete Rolle: Regionalismus ist nicht
unbedingt der Ersatz für Nationalbewusstsein. Natürlich werden regionale
Unterschiede wichtig, wenn sich Deutsche verschiedener Regionen untereinander
begegnen, z.B. im Ausland. Meistens herrscht dann spätestens wieder kulturelle
Eintracht, wenn man merkt dass die Unterschiede zu den Menschen des
Gastgeberlandes noch größer sind. Sich über die Region zu definieren, bedeutet
nicht die Nation in Frage zu stellen.
Regionale Unterschiede, werden im Übrigen auch inoffiziell von der Bundeswehr
berücksichtigt. Wenn möglich, vermeidet man es, junge Rekruten aus verschieden
Bundesländern zusammen zu legen, jedenfalls in der Grundausbildung. Auch hört
man, auch nur „hinter vorgehaltener Hand“ versteht sich, dass verschiedene
Regionszugehörigkeiten, bei der Hotelbelegung von Reiseveranstaltern
berücksichtig werden. Hamburger und Bayern in einem Hotel, das könnte
Schwierigkeiten geben! Zwar gibt es auch in anderen Ländern regionale
Besonderheiten, wie die Basken, Katalanen, Schotten, Waliser und Korsen. Aber in
deutschen Landen gibt es trotz regionaler Unterschiede eine wichtige
Gemeinsamkeit: Alle sind deutsch und fühlen sich deutsch!
Die Vielzahl von Dialekten, ist dann auch Ausdruck für die starke regionale Natur
des deutschen Denkens. Und es ist keineswegs selbstverständlich dass jeder
„Hochdeutsch“, also den Hauptdialekt spricht. Hochdeutsch setzte sich im
Übrigen nur deswegen durch, weil Martin Luther es bei seiner Bibelübersetzung
benutzte. Die Übersetzung der Bibel ins Deutsche war ein geradezu revolutionärer
Akt: Zum ersten Mal überhaupt konnten einfache Menschen Gottes Wort in ihrer
Sprache lesen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Hochdeutsche in allen Schichten weiter
ausgebreitet und die Dialekte aus den verschiedenen Situationen des Alltagslebens
verdrängt. Im Radio oder Fernsehen taucht dialektgefärbtes Deutsch eher selten
auf und wird wenn, gerne zur Parodierung des einfachen Deutschen aus dem Volk
eingesetzt: dem Hausmeister, der Verkäufer/in, dem Kioskbetreiber. Dies
entspringt dem Klischee der (ein)gebildeten Stadtbevölkerung, deren Sprache
eindeutig hochdeutsche Züge trägt, während die Landbevölkerung, die in der
Mundart aufgewachsen ist und die Hochsprache nur mangelhaft oder gar nicht
beherrscht, ungebildeter ist. Kein Hochdeutsch zu sprechen gilt deswegen als
unzivilisiert und rückständig. Mehr und mehr wird die Mundart gar als eine
mangelhafte Abwandlung der Hochsprache mit geringem Prestige betrachtet:
Umfragen über das Ansehen von deutschen Dialekten haben ergeben, dass die
bayrische Mundart hiervon am wenigsten betroffen ist (– da der Bayer sowieso
anders ist, hat er auch einen Sonderstatus bei der Sprache); das Schwäbische oder
Sächsische dagegen genießen eher wenig Prestige in der deutschen Bevölkerung.
Zum WEITERLESEN bitte kaufen!!!
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