Anleitung zum Deutschsein
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Anleitung zum Deutschsein
„Anleitung zum Deutschsein“ by Karsten Bellin Was ist eigentlich typisch deutsch? Wie wir uns fühlen und wie man uns sieht! Aus der Sicht eines 89 er, zeichnet der Autor eine detailreiche Aufnahme über die Heimat Deutschland, das was man Deutschsein nennt oder nannte und über das Verhältnis der Deutschen zu sich selbst und wie uns das Ausland sieht. Er tut das als jemand der seinen Frieden geschlossen hat - auch wenn es sich zum Teil um Friendly fire handelt – das Schießen auf eigene als überholt erkannte Ansichten. Published by Karsten Bellin at smashwords Copyright © 2010 Karsten S. Bellin Smashwords Edition License Notes This ebook is licensed for your personal enjoyment only. This ebook may not be re-sold or given away to other people. If you would like to share this book with another person, please purchase an additional copy for each person you share it with. If you're reading this book and did not purchase it, or it was not purchased for your use only, then you should return to Smashwords.com and purchase your own copy. Thank you for respecting the author's work. ***** 1 Über dem Bild eines saftig grünen Flusstales, an dessen Hängen eine märchenhafte Ritterburg klebte, war zu lesen: „Visit the beautyfull Rhine and Mosel-Valley“ (Besuchen Sie das schöne Rhein- und Moseltal). Dies war nicht etwa das geheime Tal einer grünen Tropeninsel - nein, diese Landschaft befand sich direkt vor meiner Tür, der Stadt am Rhein, in der ich aufgewachsen war. Ich sah dieses Bild bei meinem ersten Aufenthalt in Singapur, in dem Schaufenster eines Reisebüros. Na und, werden sie meinen, das haben wir schon immer gewusst! Das mag sein, aber ich kannte mich zu diesem Zeitpunkt in Andalusien, der Provence, den Inseln im Golf von Siam besser aus, als vor meiner Haustür oder im Schwarzwald, auf Rügen oder in Heidelberg und im Harz. Möglicherweise hatte sich das Interesse an meinem Land urplötzlich durch die jetzt entstandene Ferne zu diesem verstärkt! Ich hatte mir einen gebrauchten Baedeker beschafft, denn ich wollte nur kurz am Südzipfel der malaiischen Halbinsel verweilen. Ich war noch mit einem alten Freund in Penang verabredet, mit dem ich die Schule besucht hatte. Es war unendlich heiß. Hier in Singapur wirkte es so aufgeräumt, wie an keinem anderen Ort Südostasiens, fast ein bisschen deutsch! Ich nahm mit Erstaunen war, dass die Einwohner Singapurs ein touristisches Verlangen nach dem Land hatten, in dem ich geboren war. Warum auch nicht? Offensichtlich interessierten sie sich besonders für Burgen, Schlösser und Fachwerk, wie das wohl die meisten Touristen taten, die nach Deutschland kamen. Ich spottete, dass der Höhepunkt des touristischen Interesses am Rheintal, seit etwa 1890 überschritten sein musste! Was natürlich nicht wahr ist, denn mit 3 Mio. Besuchern löst die Drosselgasse, in Rüdesheim am Rhein, nach dem Kölner Dom mit 6 Mio. und dem Oktoberfest in München mit 5.9 Mio. Besuchern, mit das größte touristische Interesse in Deutschland aus. Ich stand immer noch vor dem Werbeplakat, als hätte es in diesem fremden Kosmos, den größten Wiedererkennungswert. Hatte es nicht! Schließlich hatte ich seit einer verregneten Reise in meiner frühsten Jugend auf die Nordseeinsel Langeoog mehr Urlaubszeit im Ausland verbracht, als in Deutschland. Damit befinde ich mich wohl unter meinen Landsleuten in der aller besten Gesellschaft. Ich beschloss, mich fortan etwas mehr mit dem fremdem Land zu beschäftigen, in dem ich geboren war. Was hat das mit diesem Buch zu tun? Wenn ein Deutscher ein Buch über „die Deutschen“ schreibt, dann muss dies einfach in einem fremden Land beginnen. Wenn man sich nur in seinem Kulturkreis bewegt, werden einem die eigenen Besonderheiten nie auffallen. Am besten lernt man also seine inländischen Eigenarten auf Reisen kennen; im Vergleich zu einer anderen Gesellschaft. Das setzt die Einsicht in die Kulturabhängigkeit des eigenen Denkens voraus. Das, was uns von anderen Völkern unterscheidet, macht die Besonderheit der eigenen Kultur aus. Aus der Ferne bekommt man einen besseren Blick für seine Heimat. Im Ausland merkt man auf einmal, dass man anders denkt und handelt; vielleicht auch, dass man deutscher ist als man es jemals vermutet hat oder als mancher es in 2 diesem Land zugeben möchte. Der grenzüberschreitende Austausch von Vorurteilen, der Vergleich der Kulturstandards, der lustvolle Umgang mit Stereotypen, verschafft uns Erkenntnisse über Normalitäten und über unsere Kuriositäten: Warum gibt es in diesem Land mancher Orts draußen, nur Kaffee in Kännchen oder warum tüten die Deutschen ihren Kuchen mit Hilfe von Zellophanpapier ein, statt ihn wie der Rest Europas in Kuchenschachteln zu verpacken? Warum bezahlt jeder einzeln oder warum bauen Deutsche Strandburgen? Wieso liegen die Einkaufswagen im Supermarkt an der Kette und was ist die GEZ? Was das Deutsche ausmacht, ist nicht leicht festzulegen. Es ist schwierig, ein ganzes Volk über einen „Kamm zu scheren“. Immerhin sind die Deutschen 82 millionenmal individualisiert. Es ist klar, dass da die einen ganz anders sind, als die anderen. Und es wird immer ein Abenteuer bleiben, den Reichtum an Ansichten und Lebensvorstellungen, die in einer Nation vorzufinden sind, auf einen Nenner bringen zu wollen. Obwohl der aufgeklärte Zeitgenosse, in der Regel bestreitet den Angehörigen bestimmter Nationen spezifische Persönlichkeitscharakteristika zu unterstellen, zeigen psychologische Test, dass diese Ansichten unterschwellig sehr wohl lebendig sind. Typische Eigenschaften sollen für alle gelten, sind aber oftmals nur das Resultat von Erfahrungen mit Einzelnen. Sehr oft bestehen Urteile über andere Menschen, Gruppen oder Völker, ohne auch nur ein einziges persönliches Erlebnis. Selbst wer sich bemüht, vorurteilsfrei zu sein und dies auch von sich behauptet, wird nie ganz ohne Vorurteile sein. Zahlreiche Experimente haben gezeigt, dass auch verbal geäußerte Einstellungen nicht unbedingt mit dem gezeigten Verhalten übereinstimmen müssen. Sich also einzugestehen, dass man Vorurteile hat, ist der Beginn der Erkenntnis. Es hilft also nichts darüber zu klagen, denn Vorurteile sind einfach da. Wenn man nicht darüber spricht, hat man keine Chance bestimmte Ansichten gerade zu rücken. Es gibt für bestimmte Dinge schon eine erhöhte Wahrscheinlichkeit. Es macht Sinn darüber nachzudenken. Man kann darüber entscheiden, ob man diesem gemeinsamen Nenner entspricht oder nicht. Menschen werden von Geburt an den formenden Einflüssen ihrer Kultur ausgesetzt. Dadurch werden ihre Erfahrungen und Erkenntnisse derart geprägt, dass ihre Wahrnehmung kulturabhängig ist. Der Deutsche (und immer wenn ich das schreibe, sei auch „die Deutsche“ eingeschlossen...) ist z.B. stark von einer unrühmlichen Vergangenheit und einer außergewöhnlich langen Friedensperiode geprägt, sowie von hoher materieller Sicherheit, einem relativ hohen Bildungsniveau, von der relativen Rohstoffarmut des Landes bzw. dessen aus ökonomischer Sicht mangelnder Verwertbarkeit. Und natürlich, wie jeder andere auch, von der Region in der er lebt, der Familie aus der er stammt und seinem individuellen Lebenslauf. Zwar müssen überall auf der Welt Menschen mit ähnlichen Problemen klar kommen: Essen, Arbeiten, Sexualität, aber die Strategien zur Lösung solcher Probleme unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Ein Volk wird bestimmt von 3 der Art des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns der Mehrzahl seiner Mitglieder. Nationale Kultur ist das, was diese Mehrheit für sich persönlich und für andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich ansieht. Oft ist es unmöglich zu unterscheiden, was Kulturstandards oder was nur Klischees sind. Aber auch Klischees haben manchmal einen wahren Kern! Man muss ergründen, was sich dahinter verbirgt und was davon überlebt hat - und zwar jeder für sich. Wenn man sich seiner kulturellen Eigenarten bewusst ist, wenn man weiß, warum man sich so oder so verhält, dann, und erst dann, kann man sein eigenes kulturelles Verhalten erkennen, überprüfen, in Frage stellen, es verbessern oder beibehalten. Das menschliche Gehirn neigt notwendigerweise zur Vereinfachung. Kulturelle Klischees sind Denk- und Wahrnehmungshilfen, um die Vielfalt der menschlichen Erscheinungen, auch die eines Volkes, für sich zu ordnen. Wir brauchen sie, um die unüberschaubare Anzahl von Einzelinformationen, die uns täglich überhäuft, in eine überschaubare Anzahl von Schubladen zu sortieren. Das menschliche Gehirn verlangt nach einfachen Regeln mit der der Alltag bewältigt werden kann: z.B. Sandale: liberales, schwarze glänzende Schuhe: konservatives Weltbild. Rituale und Klischees sind also wichtig, weil sie einem Ökonomieprinzip folgen! Die Umwelt ist so Komplex, ihre Details so vielfältig, dass man sie einfach in Kategorien einteilen muss. Normen, Rituale und Gewohnheiten helfen mir, wenn ich auf Fremde treffe. Dann kann ich mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Wenn ich eine Frau treffe, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie sich nicht so sehr für das „Tuning an dem Motor meines Autos“ interessiert, wenn ich mit einem Moslem essen gehe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er keine „Schweinemedaillons in Pfifferlingsrahm“ isst und wenn ich auf einen USAmerikaner treffe ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er ein „echter Patriot“ ist. Eine andere Frage ist es, ob diese Urteile richtig oder falsch sind. Würde ich nämlich behaupten, alle Frauen interessieren sich nicht für technische Dinge, wäre dies eine unzulässige Verallgemeinerung. In dieser Vereinfachung, der Suche nach dem Typischen, besteht also das Risiko, ungenau oder falsch zu sein. Die Einteilung in Kategorien darf deswegen nicht starr und endgültig sein. Wenn in diesem Land der Begriff Vorurteil gebraucht wird, meinen die meisten damit, falsche Ansichten, unzulässige Verallgemeinerungen oder aber oft auch ablehnenden Einstellungen. Das Vorurteil ist ein Fehler in der Wahrnehmung der ausgebügelt werden muss, den es gilt zu verhindern, notfalls mit Selbstzensur. Es wird geredet von Vorurteilsfreiheit, Vorurteilsabbau und Vorurteilsvermeidung als Lösung allen Übels, nicht aber von Vorurteilsaustausch. Zum Teil behindert der Vorwurf, einem Vorurteil zu erliegen, einen ungestörten Gedankenaustausch, den es wird dadurch schon pauschal unterstellt, dass man diskriminierend ist. Ich bezweifle, dass dies die Lösung von Konflikten ist. Die negative Variante dieses Begriffs führt häufig zu einer „unzulässigen Gleichmacherei“, nach dem Motto „alle Menschen oder Völker sind doch gleich“. Wie wäre es mit: alle Menschen sind 4 einzigartig! Manche zwingen sich sogar dazu, das Vorurteil wie einen bösen Gedanken zu vermeiden und graben ihn dabei noch tiefer in ihr Gedächtnis. Andere behaupten ihre Vorurteile längst überwunden zu haben. Vorurteilsabbau setzt Vorurteilsaustausch voraus. Vorurteile lassen sich nicht revidieren, in dem man sie, wenn auch politisch korrekt, verschweigt. Diese Haltung führt dazu, dass Vorurteile eingefroren werden. Hinter den Sprachreglementierungen der Political Correctness, also dem "was man öffentlich nicht sagen, nicht tun darf, wenn man nicht moralisch verurteilt werden will“, verbirgt sich nichts anderes als die Hoffnung, über die Sprache ließe sich die Moral der Menschen kultivieren. Oder einfacher gesagt: Sprecht "nett" übereinander, und ihr werdet "nett" zueinander sein und euer Anderssein gegenseitig anerkennen. Dadurch entsteht die Gefahr, das so lange politisch korrekt geredet. wird, bis die gesamte Wahrheit auf der Strecke bleibt. „Political Correctness“ kann dazu führen, dass falsche Ansichten nur glatt gebügelt werden und dadurch eine Auseinandersetzung mit Vorurteilen verhindert wird. Dies führt nicht zu einem wirklichen umdenken. Diese Form des Umgangs mit Vorurteilen erreicht nur die kundgegebene Meinung und berührt aber nicht die dahinterliegenden Einstellungen. Harmoniegetue bringt keinen weiter. Viel wichtiger als Vorurteile zu unterdrücken, ist es deswegen diese Offenzulegen und sich zu fragen: „Woher kommt dieses Vorurteil, wie ist es entstanden?“ Nur wer seine Ansichten zur Diskussion stellt, kann sich sicher sein, dass diese richtig sind. Wer behauptet allem und jedem gegenüber vorurteilsfrei zu sein, geht in Wirklichkeit Konflikten nur aus dem Weg. Mögen wir noch so sehr versichern, dass wir alle Kulturen als gleichwertig ansehen, mindestens unterbewusst geben wir der eigenen Lebensform den Vortritt. Wirkliche Toleranz heißt sich auseinandersetzen mit den eigenen Abneigungen und Feindseligkeiten und anderen dieselben Rechte und Freiheiten einräumen, wie sich selbst. Wie Klischees funktionieren, zeigt sich z.B. in der Antwort auf die Frage: „Wie sieht ein ideales Europa aus?“ „In einem idealen Europa ist der Franzose Koch, der Brite Polizist und der Deutsche Ingenieur. Die Hölle aber wäre es, wenn in Europa der Brite Koch, der Franzose Ingenieur und der Deutsche Polizist wären. Was steckt hinter diesen Anschauungen? Genauso, wie wir den Franzosen eher die Fähigkeit unterstellen gutes Essen zuzubereiten und den Briten genau diese Fähigkeit absprechen, traut man uns eher zu, ein Auto oder eine Maschine zu bauen, als einen guten freiheitlich-demokratischen Ordnungshüter zu stellen. Deutschland ist stark mit den Begriffen Fleiß und Tüchtigkeit verknüpft, wie etwa die Niederlande mit dem Begriff Toleranz, die Briten mit Humor und die Italiener mit Sex-Appeal. Ein weiteres Beispiel für klischeeverliebtes Denken war während der letzten Fußballweltmeisterschaft in einer italienischen Zeitung zu lesen: Brasilianische Samba trifft auf italienische Theatralik, spanischer Stolz auf afrikanische Verspieltheit und teutonische Präzision misst sich mit argentinischer Leidenschaft. Hier spiegeln sich kulturelle Klischees wieder, die tief in uns verwurzelt sind. Diese 5 Vorstellungen sind einfach da. Wer wissen will, wie ein Volk funktioniert, der muss sich auch mit diesen Klischees auseinander setzen. Kebab und Pizza Auch wenn sich so manche der folgenden Eigenschaften „der Deutschen“ in den Köpfen einiger immer noch unveränderlich halten, glaube ich mittlerweile erkannt zu haben, welche Vorstellungen es sind, die kein typisches, sondern ein überzogenes Deutschlandbild charakterisieren: Deutschlands Ureinwohner haben alle blaue Augen, sind blond und arbeitswütig, kühl und abweisend, bürokratisch, unfreundlich und humorlos. Sie ernähren sich den ganzen Tag von Würstchen, Sauerkraut, Brezeln, Schweinehaxen, Grünkohl und Buletten oder anderem schweren fettigem Essen, von dem man anderswo ein ganzes Dorf ernähren kann. An ihren Stammtischen trinken sie Bier wie Wasser, in den Straßen spielt Blasmusik. Der Deutsche ist im Allgemeinen eintönig, fleißig, emotionslos und steif. Abgerundet wird diese Vorstellung von wahnwitzigen Märchenschlössern und gamsbärtigen Jodlern untermalt von Bildern grausamer Dokumente aus den Wochenschauen des Zweiten Weltkriegs. Außerdem haben die Deutschen die besten Autobahnen, auf denen man sich mit durchschnittlich 160 Sachen rüpelhaft fortbewegt und die aggressivsten Fußballspieler. Sie sind perfektionistische und kinderfeindliche Sauberkeitsfanatiker mit Blockwartmentalität. Ihre Sprache klingt wie das Gurgeln eines Sportauspuffs, wenn ihnen unwillkürlich die Worte „Happen, pappen, sauerkrauten, Achtung oder Blitzkrieg“ über die Lippen gehen. Ihrem Eroberungsdrang folgend, schützen sie ihr Revier an Stränden durch den Bau von Sandburgen. Jeder hat eine ganze Armee von Gartenzwergen und einen Dackel. Der deutsche Mann liebt sein Auto mehr als seine Frau. Frauen tragen Dirndl, die Männer einen Hut und über ihren Bierbäuchen Lederhosen. Das Spießertum ist eine deutsche Erfindung und die Deutschen sind die ausländerfeindlichste Nation der Welt. Weiße Socken in Sandalen, schon am Abend die Liegen am Pool reservieren, sich am Ballermann besaufen, so sieht man sie im Urlaub. Sie wohnen in Reihenhäusern, vor ihrer Tür steht ein Benz, der jeden Samstag gewaschen und poliert wird. Auf der Hutablage liegt ein gehäkelter Hut, unter dem sich eine Rolle Klopapier verbirgt. Wenn mehr als drei Deutsche sich treffen gründen sie gleich einen Verein, z.B. einen Verein zur Zucht von Kampfkaninchen, aber sie reden nicht mir ihren Nachbarn. Deutschland ist Schmalz, Spätzle, Schrebergärten, Saumagen, Christstollen, Kuckucksuhren, Loreley, Rucksack, Dosenpfand, Bierdeckel, Hundehaufen, Achselhaare, ausgelatschte Sandalen und Turnvater Jahn. Der Deutsche liebt es gemütlich, denn die Gemütlichkeit entstand in Deutschland, weswegen sich die Deutschen Bilder von „röhrenden Hirschen“ übers Sofa hängen und dann volkstümliche Musik hören, usw. usw. Ist das wirklich die Nation? Wenn dies alles typisch deutsch ist, dann sind mir in meinem ganzen Leben, hauptsächlich untypische Deutsche begegnet. Natürlich ist dieses oder jenes deutsch, bestand, besteht oder hat überlebt. Keinesfalls 6 charakterisiert dies jedoch einen repräsentativen Durchschnitt. In Wirklichkeit ist die Deutsche Nation wesentlich vielschichtiger, auch wenn die meisten Deutschen selber Schwierigkeiten hätten, spontan eine Handvoll positiver Punkte am Leben in Deutschland zu benennen. Wer mit offenen Augen durch Deutschland geht wird sehen, dass die Deutschen ihr Leben genießen, Kebab, Pizza und Pasta essen und in netten Cafés sitzen, dass sie picknicken und grillen, wandern, joggen und Fahrrad fahren. Sie lieben ihre Gärten, Wohnungen und Häuser und investieren viel Geld und Zeit dafür. Deutsche amüsieren sich gerne, sind freigiebig und hilfsbereit, jedenfalls wenn man sie bittet. Sie kleiden sich gerne international und leger. In Deutschland können Homosexuelle die Ehe eingehen. Ein schwul oder lesbisches Pärchen Hand in Hand auf der Straße, erregt in der Stadt kein Aufsehen mehr. Die traditionellen Geschlechterrollen sind ein wenig aufgeweichter als anderswo. Deutschland hat eine funktionierende Demokratie und eine der besten Verfassungen der Welt, in der Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte großgeschrieben werden. Man kann zwischen 300 Brotsorten wählen. 87 Kg Backwaren verzehrt jeder Bundesbürger im Jahr, mehr als in jedem anderen Land. Zu jeder Tages- und Nachtzeit ist in der Nähe eine Apotheke geöffnet. Deutschland ist zu 31% von Wald bedeckt und hat 40 000 km Radwege. Den Deutschen ist der Schutz der Natur heilig. Sie spenden von allen Nationen das meiste Geld für soziale und karikative Zwecke. Die Deutschen sind sehr bereist, sie wissen viel über fremde Kulturen und haben einen ausgesprochen hohen Bildungsstandard. Die Deutschen interessieren sich für Politik und praktizieren in der Schule einen demokratischen Unterrichtsstil. In Deutschland ist das „älteste Gewerbe“, die Prostitution, legal. Deutschland ist das Land mit den weltweit härtesten Umweltauflagen. Ausbildung ist fast immer umsonst und wer kein Geld zum studieren hat, wird gefördert. Es gibt viele öffentliche bzw. öffentlich finanzierte Schulen, Universitäten, Kindergärten, Museen, Theater, Bibliotheken und Parks, sowie Wissenschafts- und Forschungsförderung. Deutschland hat ein auf dem Gedanken der Solidarität basierendes Kommunal- und Sozialwesen mit den verschiedensten Leistungen: Kranken-, Rente-, Unfall- und Pflegeversicherung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitsförderung, Erziehungsgeld, Jugendhilfe, Wohngeld, Kriegsopferfürsorge usw. usw. Gegen alle Vorurteile, ist Deutschland, in einem Vergleich mit dem Rest der Welt, viel unbürokratischer als die meisten denken. Außerdem ist Deutschland eines der sichersten Länder der Welt, mit einer vergleichsweise geringen Kriminalität, in dem in 10 Minuten oder schneller Feuerwehr und Notarzt zur Stelle sind: Nirgendwo werden so wenig Leute erschossen, man kann nachts die U-Bahn benutzen und Radfahren ist keine Form des Selbstmordversuchs. Es ist ein Land mit einer starken Wirtschaft, hervorragenden Lebensbedingungen und einer hohen Lebenserwartung. In Deutschland kann man in autofreien, prächtigen und adretten Fußgängerzonen so ziemlich alles einkaufen, was das Herz begehrt. Die Deutschen versuchen Müll zu vermeiden und es ärgert sie, wenn sie ihre wiederverwendbaren 7 Einkaufstaschen vergessen. Tatsächlich nehmen Autofahrer Rücksicht auf Fußgänger, wie in nur wenigen anderen Teilen der Erde, auch wenn die meisten Deutschen glauben, dass wir eine Land von Dränglern sind. Das Dienstleistungsangebot wird besser, die Verkäufer werden freundlicher und der Kunde ist fast ein König. Das Bruttosozialprodukt gehört zu den höchsten der Welt. Lustig geht `s in der "närrischen Zeit" ab, wenn sich in den Hochburgen des Karnevals, z. B. in Köln und Mainz, mit einmal wildfremde Menschen umarmen und küssen, die sich als Clown, Streichholz oder Ölscheich verkleidet haben. Wer uns wohlwollend betrachtet wird feststellen, dass die Menschen hier aufgeschlossen sind, aber nicht aufdringlich; modern, aber nicht technologieverliebt, traditionsbewusst, aber nicht von gestern, begeisterungsfähig, hilfsbereit und freundlich, aber nicht anbiedernd. Und dennoch, auch wenn sich Deutschland tatsächlich ganz anders darstellt, als manche annehmen, es hält sich die Vorstellung vom Deutschen als eine Art engstirnigen Perfektionisten, dem es schwer fällt locker zu lassen. „Deutsche sind oft im Stress und sie vergessen einfach, zwischendurch zu leben!" Auf manche wirken die Deutschen deswegen gehetzt und griesgrämig, als sei die Mühsal dieser Erde auf ihren Schultern abgeladen worden. Für den Deutschen ist das Wort Problem viel gegenwärtiger als für andere Nationen. Er redet nicht erst von Problemen, wenn sein Leben bedroht ist. Was für andere noch „kleine Brötchen“ sind, bringt sein Leben bereits aus der Bahn. Das wirkt sich auf die Lebensvorstellungen der Deutschen aus: Er sieht manche Dinge nicht so locker. Es kommt einem so vor, als ob er sich Probleme schafft, um etwas zu tun zu haben. Zugleich werden Deutsche ängstlich bewundert und man neidet ihnen ihren Erfolg. Wenn es dem Deutschen darum geht seine Ziele durchzusetzen, mutiert er bisweilen zu einem fanatischen Arbeitstier, nüchtern, sachlich, aggressiv und emotionslos. „Deutschland ist das Grab der Phantasie“, schrieb zum Beispiel die römische La Repubblica am Tag nach dem deutschen Finaleinzug bei der WM 2002 und hob die „Härte“ des teutonischen Spiels hervor. „Mit der ganzen Feldtruppe im Galopp überrollen und bekriegen sie den Gegner“, schrieb die linksliberale El País nach dem 8:0-Erfolg beim Auftakt gegen die Saudis – der schon fast ängstlich wahrgenommen wurde. Der Autor sprach der Elf sogleich einen eigenen Charakter ab, denn „sie sind, nach einem Muster geklonte Spieler, deren Charakter keine Romantik zulässt. Sie bilden eine Montagekette und schrauben phantasielos am Fließband. Ihre Baukräne beordern sie dabei in den Strafraum“, hieß es über unsere Fußballkultur. Gleichzeitig aber wird die klassische „Turnierbestie“ als Gegner gefürchtet, die „das Schöne zerstört“ - womit man natürlich die eigene Auswahl meint. Auch wenn solche Reaktionen im Ausland eher Seltenheitswert haben, zeigen sich doch, durch die Benutzung von Kriegs- und Industrierhetorik, das hier gerne ein Deutschlandbild wahrgenommen aufgezeigt werden soll, das in der Vergangenheit des 3. Reichs und in der Phase der Industrialisierung stecken geblieben ist. 8 Ein anderes Beispiel, wie unsere Geschichte das Deutschlandbild bestimmt: die Debatte von 1996, ob Deutsche in Dänemark Sommerhäuser kaufen können. In einer Medienkampagne gab es verhüllte Andeutungen an den Expansionsdrang der Deutschen. Dänische Politiker sahen sich zum Handeln gezwungen, um Dänemark vor einer neuen Invasion zu schützen. Tatsächlich erhielten, wenn auch nur wenige Deutsche, anschließend einen Bescheid, dass sie ihr Haus verkaufen sollten. Was ist dran an dem Bild des perfektionistischen Teutonen? Mehr als wir ahnen, möglicherweise mehr, als wir zuzugeben bereit sind. Tatsächlich will der Deutsche nicht nur einfach mit dem Leben zurechtkommen, er will es meistern. Er nimmt die Dinge nicht wie sie kommen, er will sie regieren. Viele junge Ausländer empfinden die Deutschen deswegen nicht gerade als „Lebenskünstler“. Mit ihrem Verlangen, alles "in Regeln zu fassen“, mit Hektik, Ungeduld und Pingeligkeit, glaubt man, kann kein wirkliches Vergnügen aufkommen. Deutsche machen Dinge nicht einfach aus Spaß, sondern allenfalls „just for fun“, wofür man eine andere Sprache bemühen muss. Der "Ernst des Lebens" beginnt für uns Deutsche nach kurzer Kindheit spätestens dann, wenn wir in die Schule kommen. „Irgendwann wollen dann alle möglichst viel Geld verdienen und kaufen sich tolle Sachen, haben dann aber keine Zeit, sie zu genießen“, empfindet z.B. ein Student aus Afrika. Ausländer vermissen Aufgeschlossenheit und Offenheit, Wärme und Geborgenheit und den unbeschwerten Umgang miteinander. „Den älteren Deutschen fehle die Leichtigkeit des Herzens, eine gewisse Basisfröhlichkeit“ meint ein anderer. „Die Deutschen gehören nicht zu jenen Völkern, die auf den ersten Blick sympathisch erscheinen. Dafür sind sie zu kompliziert, zu selbstgefangen und auch zu förmlich“. Würde man Agenturen damit betrauen, eine entsprechende positive Werbekampagne für Deutschland im Ausland zu gestalten, dann müsste man wohl gegen viele der oben genannten Klischees angehen. Man wäre wohl angehalten ein „warmes und empfindsames“ Deutschlandbild zu malen und den Deutschen entgegen alter Voreingenommenheit, als "fehlertolerant, freundlich und aufgeschlossen" darzustellen. Des Deutschen liebstes Kind Ich befand mich auf der Insel Penang im Hauptort Georgetown, der Hauptstadt der ehemaligen britischen Kolonie Malaysia. Hier war ich, um einen alten Freund zu treffen. Ein in den USA und Deutschland aufgewachsener, nunmehr in Korea lebender Koreaner, den ich in der Schulzeit kennen gelernt hatte: Chang! Um es vorwegzunehmen, ich habe viele schöne Länder bereist und was mir gefallen hat, habe ich einfach zu meiner eigenen Kultur gemacht. Gerade der Abstand, den ich als Deutscher zu meiner eigenen Kultur gelernt habe, hat genau das erleichtert. Ich hatte irgendwann aber nicht mehr das Gefühl, das es woanders wesentlich besser sei, sondern nur anders. Ich habe gelernt, dass es in anderen Ländern Probleme, wie in meiner Heimat nicht gibt, aber dafür wiederum andere. Schon nach einem kurzen heftigen Begrüßungsritual klingelte und vibrierte Changs Handy und das tat es den ganzen Urlaub. Yoboseyo! Yobeseyo! waren die 9 ersten koreanischen Worte nach Hyndai und Kia, die ich seit langen hörte: Es ist die Begrüßung am Telefon. Die Verbreitung und vor allem die Nutzung von Handys scheinen für Koreaner enorm wichtig zu sein. Die Umgangsformen damit sind freundlich ausgedrückt gewöhnungsbedürftig, denn Live-Gespräche werden durch Anrufe unterbrochen, ob an der Hotelbar, im Restaurant oder während der Autofahrt. Ohne Sinn, der On/Out – Knopf. Handys werden nie abgestellt. Chang liebte sein Handy. Sind Handys „des Koreaners liebstes Kind“? Es gibt eine Menge Vorurteile über uns, richtige und falsche: Betrachten wir z.B. das Verhältnis der Deutschen zu ihren Autos. Rein rechnerisch besitzt jeder Erwachsene Bundesbürger eins davon. Das Auto stand und steht als Inbegriff für die deutsche Wirtschaft: In den 50er Jahren symbolisierte das Auto: "Wir haben es geschafft, wir sind wieder wer." Die neue Mobilität löste riesige Reisewellen über den "Brenner" nach Italien, oder nach Spanien aus. Dass das Auto der Deutschen liebstes Kind sei, also der Deutsche ein abnorm gesteigertes emotionales Verhältnis zu seinem Vehikel hat, hört man nicht selten. Ob ein Auto einer bestimmten Marke, als Symbol für einen bestimmten Status geeignet ist, ist in Deutschland milieuabhängig. Und so kommt die Kritik am Statussymbol Auto, vor allen aus den Reihen derer, denen ein nobles Auto nicht zu einem höheren Ansehen verhelfen kann, weil der gesellschaftliche Status anders erreicht wird, beispielsweise über eine angesehene Schul- und Berufsbildung. Andererseits studiert man ja auch nicht Zahnmedizin um später Twingo, Saxo oder Polo zu fahren, was sollen die Angestelltinnen von einem Denken. Andere fahren ganz bewusst einen Klein- oder Mittelklassewagen, möglicherweise einer nichtdeutschen Marke: Volvo, Citroen, Saab oder Peugeot, können sich aber dennoch bestimmter Statussymbole bedienen: das gepflegte Eigenheim, das Ferienhaus in der Toskana, Urlaubsreisen, der Weinkeller und die Antiquitätensammlung. Als Statussymbol kann auch ein edler Dress gelten, aber nie würden wir Deutschen darum so ein „Geschiss“ darum machen, wie ein Italiener. Aber liebt der durchschnittliche Deutsche sein Auto wirklich „doller“ als ein Italiener, Grieche, Brite oder Kanadier? Chang liebte deutsche Autos und er hielt sie für die besten der Welt. Wer verehrte seinen Benz mehr, als die erste türkische Einwandergeneration? Nirgendwo sonst fanden die gebrauchten süddeutschen Renomierschlitten einen solchen reißenden Absatz. Heute ist unter jungen Türken in Deutschland, das beliebteste Auto ein 3 er von BMW, am liebsten „tiefer und schneller“. Der schnellst wachsende Automarkt ist China und in den USA muss ein Auto vor allen Dingen groß sein. Und in Frankreich: hier sind verbeulte Autos aus dem Straßenbild verschwunden und das meist gewünschte Auto: ein Mercedes. Das das Auto in Frankreich dennoch einen andere Bedeutung hat wird spätestens klar, wenn angesehene Geschäftsleute mit einem Kleinwagen vorfahren und das nicht gleich als mangelnde Solvenz des Geschäftspartner gedeutet wird, wie dies in 10 unserem Land der Fall wäre. Rund um den Globus ist das Auto mehr als nur Fortbewegungsmittel, es ist Potenzmittel, Spaßfaktor, Egoverbesserer und Fetisch. Aber in diesem Land – und das ist der einzige Unterschied - mangelt es manchen in besonderer Masse am Verständnis für diese Liebe und Hingabe. Warum nur? Das Auto ist nicht gerade umweltfreundlich, das Interesse an umweltpolitischen Themen aber groß. Tatsächlich ist die deutsche Gesellschaft deswegen viel autofeindlicher als andere Gesellschaften – Die Behauptung das Auto wäre des deutschen liebstes Kind, ist ein Vorwurf, der dieses Unverständnis ausdrückt. Aber die Liebe zur Umwelt hat ihre Grenzen und so reagiert die Mehrheit der Bevölkerung, auf jede Einschränkung ihrer individuellen Mobilität mit großer Ablehnung. Trotz dieser Hingabe zum Auto liebt der Deutsche seine Umwelt so sehr, dass er sich das Autowaschen vor der eigenen Haustür hat verbieten lassen, weil eine Wäsche ohne Ölabscheider als umweltbelastend gilt. Nichts mehr mit dem stundenlangen zärtlich intimen Einmassieren von Pflegeprodukten unterm eigenen Car-Port. Selbst das Waschen an einem Sonntag, noch vor Jahren Lieblingssport vieler Deutscher, lässt er sich untersagen. Das Betreiben von Autowaschanlagen ist nämlich in den meisten Bundesländern an Sonntagen verboten, sogar wenn es sich um Münzwaschanlagen handelt. Wegen seines schlechten Gewissens der Umwelt gegenüber, nimmt der Deutsche auch jede Spritverteuerung durch Steuererhöhung in Kauf. Er erträgt genauso wie andere Bürger dieser Welt, dass ihm jährlich seine KFZ-Steuer erhöht wird, dass man ihm seine innerstädtischen Parkplätze vernichtet, um dann teure Parkhäuser zu bauen oder Parkuhren aufzustellen und ihm diese für teures Geld anzubieten. Außer dem Fehlen eines generellen Tempolimits - dem letzten Rest von Anarchie - ist es mit der „freien Fahrt für freie Bürger“ nicht mehr weit her. Abgesehen davon, dass „Schnellfahren“ auf deutschen Autobahnen angesichts von Baustellen, hohem Verkehrsaufkommen und seriellen Tempolimits (Tempo-30-Zonen) schon praktisch gar nicht mehr möglich ist. Dass sich in Deutschland noch kein generelles Tempolimit durchgesetzt hat, obwohl es solche Limits auf der ganzen Welt gibt, wird damit zu erklären versucht, dass sich der “gute Ruf der deutschen Autoindustrie unter anderem damit begründet, dass Autos hier Schnelligkeit und zugleich Sicherheit auf deutschen Autobahnen beweisen können“. Das fehlende Tempolimit also ein Geschenk an die Autoindustrie und weniger an die Liebhaber schneller Wagen? Es ist in Deutschland ordnungswidrig und kann mit einem Bußgeld geahndet werden, seinen Motor unnötig lange laufen zu lassen, die Türen zuzuschlagen, unnötig schnell beim Anfahren zu beschleunigen und mit quietschenden Reifen durch eine Kurve zu fahren. Schade auch! Eine Besonderheit stellt auch die strenge, alle 2 Jahre vorzunehmende, TÜV-Abnahme dar, die bei Besitzern älterer Autos Angstschweiß auslösen kann und in dieser Form einmalig ist: Kann doch bereits ein kaputtes Lämpchen in diesem Land die Erteilung des begehrten Siegels verhindern. Für den mit der HU verbundenen Vorschriftenberg, werden Gründe der Sicherheit angeführt. Die „Technische Untersuchung“ nützt aber auch der 11 Autoindustrie sehr, werden doch in diesem Teil der Welt Autos besonders schnell fahruntüchtig. Natürlich gilt der Wechsel zu einem höheren Wagentyp erst dann als gesellschaftlich akzeptiert, wenn dieser Wagen auch dem Status seines Fahrers entspricht. Wer also eine neue E-Klasse fährt, sollte schon Abteilungsleiter sein. Diese Regel wurde zu unserem Entsetzen einfach von jungen türkischen Mitbürgern durchbrochen – „wahrscheinlich Drogendealer!!!“ Nein, sauberes Geld und der daraus resultierende Luxus, sollte in diesem Land schon durch ehrliche Arbeit hart verdient sein. Ansonsten kann man damit keine Anerkennung finden. Eine fiese Unterstellung ist auch die Vorliebe deutscher Autofahrer für den gehäkelten Hut, unter dem sich eine Rolle Klopapier verbirgt. Die meisten Deutschen finden das peinlich. Rein muss es sein oder was ist Umweltbewusstsein Was fällt Gästen in Deutschland auf? Was schätzen und achten diese, wenn sie nach Deutschland kommen? Von Besuchern in Deutschland werden häufig Pünktlichkeit von Menschen und Verkehrsmitteln bewundert, genauso wie überhaupt der hohe Organisationsgrad, mit dem das Leben in Deutschland gemeistert wird, Anerkennung findet. Und wo auf der Welt gibt es ein Land, in dem jede Stadt und fast jedes Dorf eine in sich tadellos organisierte Gemeinde darstellt, die weit mehr bietet als alles, was man zur rein materiellen Versorgung der Bevölkerung braucht: z.B. durch die von der Gemeinde subventionierten Schwimmbäder oder kulturellen Veranstaltungen. Auch die Sauberkeit in Deutschland verdutzt viele Besucher. Jedenfalls zu den Zeiten, als die Kommunen noch genug Geld für die Straßenreinigung hatten. Sauberkeit hat was mit Ordnung zu tun. Ordnung ist die klare Trennung von Themen, Formen, Farben, Räumen und Flächen. Alles hat einen nach seiner Funktionalität zugewiesenen Platz: Straße, Bürgersteig, Grünfläche, Haus. Ordnung ist Geometrie. Die Ordnung wird durch das Chaos gestört: Provisorien, Bauruinen, Müll, Kabelgewirr, Rost, abgestorbene Blätter und fehlende Begrenzungen. Ohne Sauberkeit keine Ordnung. Viele Deutsche stellen sich im Ausland regelmäßig die Frage: „Warum räumt hier eigentlich keiner auf?“, oder sie fangen einfach beherzt selber an, Strände in der 3. Welt von Müll zu befreien. Schon sehr früh hat meine Generation von einer rundlichen Nervbacke in Latzhosen gelernt, „nicht nur sauber, sondern rein“ muss es sein! In Deutschland ist Sauberkeit von scheinbar lebenswichtiger Bedeutung und noch vor kurzen waren deutsche Hausfrauen stolz, wenn man bei ihnen vom Boden essen konnte, obwohl tatsächlich nie jemand dies jemals getan hätte oder wollte. Bei den Schwaben wird Reinlichkeit zelebriert, in dem man gleich eine ganze „Kehrwoche“ einlegt. Oder wo auf der Welt gibt es einen „Frühjahrputz“ oder kommunale „Clean up -Partys“. In Deutschland angekommen, stellte jemand verwundert fest: „Es gibt auch Menschen, die ihren Müll nicht auf die Straße schmeißen“. Ausnahmen abgesehen: In deutschen Großstädten ist das „Knöllchen“ für achtlos auf die Straße entsorgten Müll gerade wieder als neue Einnahmequelle entdeckt worden. 12 Wer in Deutschland länger bleibt, muss schnell einige Regeln dazu lernen, z.B. das „Umweltbewusstsein“. Wenn manche es auch wagen, die akribische Mülltrennung, fortwährende Angelegenheit in deutschen Studentenwohnheimen, einfach als „deutschen Sortiertick“ abzutun. Doch der Deutsche kennt bei diesem Thema keinen Spaß. Schnell merken das auch Gaststudenten: Mülltrennen ist eine Weltanschauung und der Beweis für unsere kulturelle Überlegenheit. Es ist zwar mittlerweile möglich jede Art von Müll technisch zu trennen, aber wer würde es wagen, diese liebgewonnene Verhaltensweise in Frage zu stellen; kann man doch sein gesteigertes Umweltbewusstsein daran ausleben. Dabei ist das System doch wirklich einfach. Jedes Kind in Deutschland beherrscht die Methode, kann alle nur vorstellbaren Typen von Müll identifizieren und einwandfrei dem richtigen Behältnis zuordnen: blaue Tonne, grüne Tonne und gelbe Tonne- für Plastik, Papier und Metallverpackungen. Braune oder grüne kann für organischen Abfall stehen und in die blauen Tonnen kommt Papier. Aber bitte: warum hat „Der Grüne Punkt“, denn um Gottes Willen keine grünen Tonnen? Und dann noch Container für Glas: nach Farben sortiert: Weiß, Grün und Braun. „Bitte beachten Sie die Einwurfzeiten!“ Die Deutschen verhalten sich umweltbewusst aus Überzeugung. Sie verzichten auf Pelzmäntel, sparen Wasser und bevorzugen Eier aus Freilandhaltung. In einem brasilianischen Zeitungsartikel fragte sich die Autorin, ob sich die Sorge um die Umwelt in Deutschland nicht längst zu einer Besessenheit gewandelt hat. Sie hörte davon, dass man in Deutschland wieder für Tuchwindeln plädiert hat. Für brasilianische Mütter unvorstellbar, sind doch Wegschmeißwindeln (fraldas descartáveis) für sie die größte Erfindung des 20. Jahrhunderts. Eine Sache des Standpunkts Was ist wohl außerdem noch typisch deutsch? Dass ich mich in einem fremden Teil der Welt rumtrieb? Dies ist kein Zufall und unterscheidet mich nicht von anderen Deutschen. Schließlich sind wir Deutschen ein Volk von Reisenden und genießen in manchen Teilen der Welt einen guten Ruf, weswegen es zuweilen sinnvoll sein kann sich als Deutscher zu outen. In Südamerika und auch im Rest der Welt ist es oft segensreich, wenn man zu erkennen gibt, kein „Gringo“ zu sein. Als Deutscher identifiziert, stellt sich bei vielen Einwohnern des amerikanischen Kontinents nebenbei noch ein froher Gesichtsausdruck ein. In vorwiegend arabischen Ländern, ging ich bisweilen dazu über, als Schweizer aufzutreten, denn ich sah alte Männer beim Anblick von Deutschen ihren rechten durchgestreckten Arm heben und „heyl“ rufen. Mit der Frage warum der Deutsche so viel reist und wie der typische deutsche Reisende so ist, werde ich mich später beschäftigen. Ich jedenfalls begann mit dem Reisen, weil ich in diesem Land irgendetwas vermisste. Es hat eine Weile gedauert zu begreifen, was das Deutsche in mir ausmacht und mir über diese Nation klar zu werden. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen und wird es auch nie werden. Ich gehörte damals noch zu denen, die ich heute als die „Suchenden“ bezeichne. Ich ging auf Reisen, um etwas zu suchen, was es bei uns nicht gab. Nein, ich habe dieses Land nicht von Anfang geliebt. 13 Niemand hat das von mir verlangt. Im Gegenteil, eher wurde ich zu einem kritischen Umgang mit dem Deutschsein erzogen, was ich für ganz selbstverständlich hielt. Mein Deutschlandbild entstand im wesentlichen in den 70/80er Jahren. Als Jugendlicher, bin ich dann in einem Deutschland aufgewachsen, in dem sich die Leute selber nicht besonders mochten und die, die sich selber mochten, galten als selbstgefällig. Die 80er sind die Zeit, in der jungen Menschen Blockflöten zum Geburtstag geschenkt wurden, vielleicht um sie vom schädlichen Gitarrenspiel abzuhalten oder weil unsere Eltern nicht so viel Geld fürs Musische hatten. Die Zeit, in der Twix noch Raider hieß und die Neue Deutsche Welle Wogen schlug. Anfang der 80er Jahre fangen nämlich auch die „Jungen“ an deutsch zu singen: Joachim Witt wird Goldener Reiter, Markus wollte vor allem Spaß, Nena ließ Neunundneunzig Luftballons fliegen und Ideal steht auf „Berlin“ und „blaue Augen“, die ihn „so sentimental machen“. Aufgrund eines „momentanen Hangs zur glückseligen Nostalgie“ glaubt heute jeder die Geheimnisse der 70/80er genau zu kennen: gehäkelte Topflappen, der rosarote Panther, Derrick. und Catweazel: Ein angelsächsischer Hexenmeister, der im 20. Jahrhundert landete. (Wie hieß seine Kröte? Kühlwalda). Doch das ist nur der Unterhaltungsaspekt: Die 80 er waren nur unpolitisch für die, die die Augen verschlossen haben. Als kritischer und politisch interessierter Bürger erzogen, war in diesen Zeiten zum Überleben eine optimistische Grundeinstellung von Nöten. Überspannt gesagt: Es galt die Bedrohung durch sauren Regen, Dioxin, Tschernobyl, einem atomaren Krieg, ausgetragen auf deutschem Boden, zu überstehen. Die 80 er waren nicht nur „Am laufenden Band“ und „Schwarzwaldklinik“, sondern auch „Roots“ und Wackersdorf, Startbahn West, Sandoz, Flick und Neue Heimat. Die 80 er, das waren auch die Attentate auf: Ronald Reagan, John Lennon, Papst Johannes Paul II und Olof Palme: Am 28. Februar 1986 fällt Schwedens Ministerpräsident Olof Palme im Alter von 59 Jahren in Stockholm einem Attentat zum Opfer. Täter und Motiv bleiben bis heute ungeklärt. Im Januar 1979 erschütterte die Ausstrahlung der amerikanischen Holocaustserie (mit Meryl Streep und James Woods) die deutsche Fernsehnation. Auch meine Familie, so wie 40 % aller Deutschen verfolgte die Ausstrahlung mit Gänsehaut, Tränen und Zorn. Der Film stellt die nationalsozialistische Judenverfolgung am Beispiel zweier Familien dar, die sich kennen, doch unterschiedliche Seiten einnehmen. Die Familie der Opfer ist die des jüdischen Arztes Dr. Josef Weiss, zu den Tätern gehört die Familie des Juristen Dorf. Der Holocaust als Seifenoper? Am Vorabend erschien in der Welt ein Artikel: "Die Ausstrahlung sei eine Unverschämtheit und der WDR-Programmdirektor solle die 1,1 Millionen aus eigener Tasche bezahlen". Der Artikel führte dann auch noch ein Ereignis in England ins Feld. "Als Holocaust dort gelaufen war, hatte eine ältere Dame, eine Jüdin, in der Erinnerung an ihre Zeit im Konzentrationslager 14 einen Herzschlag bekommen". Die FAZ (20. April 1978) berichtete über die Erstausstrahlung in den USA. »Holocaust« sei »eine Art jüdischer Roots«. Die Fernsehgesellschaft NBC habe »Holocaust« nur produziert, weil ihr die Konkurrentin ABC mit »Roots« den Rang abgelaufen habe, deswegen habe man den Schrecken noch toppen müssen. Für manchen amerikanischen Juden war „Holcaust“ hingegen viel zu harmlos. Deutsche Neonazis verübten Anschläge auf zwei Sendemasten in Koblenz und im Münsterland, um die Ausstrahlung zu verhindern. Kein Dokumentarfilm hätte es geschafft, so viele Menschen vor den Fernseher zu bringen. Der amerikanische Vierteiler erzeugte ein neues, bis dahin ungewohntes Bild. Sein Erfolgsrezept bestand darin, dass es Geschichte emotionalisierte. Das bis dahin namenlose, lediglich in abstrakten Todeszahlen präsente Schicksal der jüdischen Bevölkerung bekam ein Gesicht; es wurde persönlich nachvollziehbar und damit erst "wirklich". Noch überraschender als die hohe Quote war jedoch die mehrheitlich positive Reaktion des deutschen Publikums auf die Ausstrahlung. 1980 galt es den konservativen CSU-Mann Strauß, den Inbegriff eines machthungrigen Politikers, zu stoppen, der mit seinem Motto „Freiheit statt Sozialismus“ zur Bundestagswahl angetreten war. Viele Schüler gingen im Sommer 1980 auf die Straße! Ganz Deutschland war mit »Stoppt Strauß«-Plaketten bepflastert. Das waren rote Stoppschildmotive, die man an der Kleidung spazieren trug, um damit Farbe zu bekennen. Auch ich trug eine, aber nur weil meine ältere Schwester mir eine verpasst hatte und weil dies, wie ich glaubte, gut mit meinem grünen Parker harmonierte. Dass man uns später verbot die Plaketten in der Schule zu tragen, erhöhte unser ohnehin fehlendes Vertrauen in diesen Staat nicht. Strauß war erstmals 1962 unangenehm aufgefallen, als er das Parlament belog, um seine eigene Rolle in der "Spiegel-Affäre" zu verschleiern. Die Verhaftung Augsteins und Ahlers und die Durchsuchung der Redaktionsräume des Spiegels wegen angeblichem Landesverrats – „etwas außerhalb der Legalität“ - war die persönliche Rache von Strauß gegen den Spiegel für eine kritische Berichterstattung. Es wurde auch bekannt, dass er ausgezeichnete Beziehungen zu rechten Diktatoren pflegte, darunter auch zu General Pinochet in Chile. In diesem Zusammenhang hatte er sich einmal folgendermaßen geäußert: „Die Demokratisierung der Gesellschaft ist der Beginn der Anarchie, das Ende der wahren Demokratie. Wenn die Demokratisierung weit genug fortgeschritten ist, dann endet sie im kommunistischen Zwangsstaat“. Aber eines seiner bemerkenswertesten Zitate ist: „Ich bin die Stimme der Partei. Bringen Sie das Geld mit, dann dürfen Sie auch mitreden“ Das mit dem Geld war kein Scherz, wie man heute weiß! Er blieb in München, obwohl die CDU/CSU stärkste Partei wurde, aber nicht die absolute Mehrheit erlangte! Es ist schon ein besonderer Witz der Geschichte, dass ausgerechnet der Kommunistenfresser Strauß, der längst insolventen DDR einen Milliardenkredit verschaffte. Die 80er waren auch die Zeit, in der es den Grünen gelang, mit ökologischen und sozialen Themen, die Barriere der 5%-Hürde zu überwinden und das etablierte 15 Parteiensystem auf ein Vierparteiensystem zu erweitern. In wenigen Jahren war damit zu rechnen, dass es den „Deutschen Wald“ nicht mehr gab und eine Klimakatastrophe stand uns unmittelbar bevor. Die Amerikaner hatten (auf Drängen, auch der deutschen Regierung) Atomraketen in Deutschland stationiert, um den Frieden zu sichern und uns damit erst recht zu einem atomaren Angriffsziel gemacht, jedenfalls glaubten wir das. Große Friedensdemonstrationen zeigten das Unverständnis für dieses Wettrüsten. In Gorleben und an der Startbahn West verkloppten Polizisten Demonstranten und umgekehrt. Unsere pubertäre Welt war in Ökos, Popper, Punker und „Normalos“ aufgeteilt und leider auch in ein paar Neonazis. Es war die Zeit zwischen Pershing und Perestroika. Ausgerechnet kurz vor dem „orwellschen 1984“ wollte man das Volk statistisch erfassen. Mit wenig Vertrauen in die Obrigkeit beunruhigte es die Bevölkerung doch sehr, dass man sie zählen wollte. Das Stichwort „Volkzählung“ spukte durch die Medienlandschaft. Manche befürchten gar einen „gläsernen Bürger“ oder ein „Volksverhör“. Eine Form leichten Verfolgungswahns oder berechtigter Sorge? Der Protest mündete jedenfalls in eine Verfassungsbeschwerde und tatsächlich musste das Volkszählungsgesetz nachgebessert werden. Wir 89er waren keine Revoluzzer. Wir haben in den 80ern nur das geerntet was die 70er und 60er schon erkämpft hatten. Was ist schon dabei, wenn man ein bisschen für Frieden demonstriert. Aber wir waren nicht so unpolitisch, wie man es uns vorwirft, nur die Feindbilder waren Anfang der 90 er nicht mehr so klar umrissen. Bestimmte Rituale des Protests wirkten irgendwann wie sinnentleert. Was wir über das Deutsche erlernten, kam hauptsächlich aus den Medien und der Schule. Schwerpunkt römisches und Drittes Reich, ein bisschen französische Revolution. Anfangs waren wir noch schockiert über unsere Vorfahren. Man versuchte an unserer Generation die Verdrängungsversuche der vorangegangen Generation wiedergut zu machen, in dem man uns mit der Geschichte um so heftiger malträtierte, bis wir erst Schuldgefühle bekamen und schließlich begannen, entnervt abzuschalten. Natürlich war das Nationalgefühl bei uns Deutschen mit gutem Grund nach 1945 stark belastet. Aber die „Umerzieher“ – deren Erfolge bei den Tätern und Mitläufern nur gering waren - glaubten, man müsste dann wenigsten unser Generation auch noch den letzen Funken nationalidentischer Gefühle austreiben, um damit den „perfekten Europäer“, einen „gewaltlosen Deutschen“ zu schaffen. In ihrer Dummheit setzten Sie Nationalgefühl mit Chauvinismus gleich. Zu Ihnen gehören eine bestimmte Sorte von (keineswegs nur linken) Politologen, Soziologen, Pädagogen und sonstigen -gogen für die bisweilen die pädagogische Zähmung der Deutschen wichtiger ist, als ein ehrliches historisches Verständnis. Hatten wir eine Schuld, für das was unsere Vorfahren angerichtet hatten? Gibt es so etwas wie kollektive Schuld? Ruht in uns Deutschen das „Böse“? Sind wir schlechter als andere? Wie konnte Hitler an die Macht kommen? Wie konnte es zu etwas so unglaublichem, wie dem Holocaust kommen? Sind wir Deutsche 16 besonders leicht verführbar? Was habe ich mit der Generation meiner Großeltern zu schaffen? Was bedeutet geschichtliche Verantwortung? Das alles war uns natürlich nicht ständig präsent. Wir wollten vor allen Dingen leben und wehrten uns gegen den Begriff der No-Future-Generation. Ich konnte weder an eine Zukunft nach dem klassischen Vorbild meiner Eltern glauben, noch an das naive Gedusel von „Peace and Love“. Irgendwann begann eine Zeit, in der wir es satt hatten uns um den Weltfrieden zu kümmern! Die Kultivierung der Betroffenheit in Deutschland ging mir mächtig auf den Sack. Wir wollten endlich unseren Spaß und glaubten, ein Recht darauf zu haben. Prophezeite Katastrophen waren ausgeblieben. Das Ende des Kalten Krieges wurde eingeläutet, die politische Teilung Europas und Deutschlands beendet und der Ostblock aufgelöst. In Deutschland begann eine Zeit die fröhlicher und leichter war und nicht mehr so bedeutungsschwer. Jede Generation hat nicht nur ihre Probleme, sie hat auch ihre eigene Form, mit ihnen umzugehen. Meine Generation und die nachfolgenden waren deswegen schon immer dem Vorwurf ausgesetzt wir seien entpolitisiert, nur weil wir nicht mehr so sehr in den traditionellen Dimensionen: Rechts, Links, Oben, Unten dachten, sondern in Selbstverwirklichung, Unterhaltung und Lebensstil. Tatsächlich steckt dahinter ein Generationtenunverständnis. Angestammte Institutionen hatten an Orientierungskraft verloren. Politische Parteien waren nicht unsere ideologischen Heimstätten. Und wir konnten uns selber nicht so ernst nehmen, wie es die 68 er taten. Und wo stehen wir heute? In der Krise, Null-Wachstum, Wirtschaftsdiktatur, keine klaren politischen Botschaften, Reformstau, Geiz ist geil, radikaler Wandel, Kultur des Jammerns: Ist Jammern die neue Form des Protests oder der Ersatz? Das Jahr 2004 steht, für die Angst vor einer weiteren wirtschaftlichen Talfahrt, gefolgt von der Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten und steigenden Arbeitslosenzahlen. Viele Deutsche setzen dies, selbst wenn sie nicht betroffen sind, mit ihrem persönlichen Glück gleich. Das wiedervereinigte Deutschland hat sich nicht zu einem vierten Reich und zu einer wirtschaftspolitischen Dampfwalze entwickelt. Das wiedervereinigte Deutschland hat sich vielmehr - für viele überraschenderweise - zu einer völlig unspektakulären Normalität in der Mitte Europas entwickelt. Maikäfer flieg. Dein Vater ist im Krieg Früher blieben die meisten Menschen ihr Leben lang an einem Ort. Das führte dazu, dass sich Gemeinsamkeiten innerhalb eines bestimmten Gebiets entwickeln konnten. In der heutigen Gesellschaft, die immer mobiler wird, sind solcher Verhaltensgemeinschaften viel weniger an eine Region geknüpft. Ich fühle mich mittlerweile recht wohl in diesem Lande, mit all seinen Vorzügen und auch seinen Schwächen. Das hat eine Weile gedauert. Auf Reisen zu gehen war und ist die Suche nach einer neuen Welt, die Sehnsucht nach anderen Lebensformen. 17 Gerade mit Chang und meinen anderen nichtdeutschen Freunden hatte ich mir oft Gedanken gemacht, was es war, was die Deutschen ausmachte. Chang, dem es in seiner Jugend große Freude bereitet hatte Deutsch mit rheinischem Akzent zu sprechen, hatte mich einmal gefragt, woher es denn käme, dass in jeder Region in Deutschland anders gesprochen wird. Mir war das so gar nicht klar, ich hielt es für eine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich gibt es in Deutschland eine erstaunliche Anzahl von Dialekten auf engstem Raum, wie in kaum einem anderen Teil der Welt. Die Dialekte, also die regionalen Varianten unserer Sprache, unterscheiden sich hauptsächlich in der Aussprache, aber auch in ihren Worten. Die Leute, die die deutsche Nation heute ausmachen, lebten zwar dort, wo sie auch heute leben, aber das Land bestand aus vielen kleinen unabhängigen Einheiten und Kleinstaaten. Erst seit 1934 gibt es in Deutschland einen „gesamtdeutschen“ Reisepass und eine deutsche Staatsangehörigkeit. Bis dahin wies der Reisepass als Staatsangehörigkeit "Preußen", "Bayern" oder "Lippe-Detmold" usw. aus. Bis 1871 existierte Deutschland gar nicht als ein gemeinsamer Staat. Dieser Umstand unterscheidet uns von anderen europäischen Nationen! Also, wenn Chang mich noch mal fragen würde, das mit den Akzenten hängt mit der Geschichte zusammen. Damit man weiß, wer man ist und wohin man geht, muss man wissen, woher man kommt.: Deutschland lebte im geistigen Dunkel des Mittelalters, in einer Stimmung von Angst und Weltuntergangsvorstellungen, in der die Leute, das Jüngste Gericht erwarten, in der es Leibeigene, Inquisition und Folter gab. Ende der 15.Jahrhunderts machte sich ein Augustinermönch darüber Gedanken, wie man sich Gottes Gnade verdient, durch „eigene Anstrengung oder allein durch Glauben“. Letzteres gefiel ihm besser. Der Mann ist bekannt, er hieß Martin Luther. Seine Ideen waren mehr theologischer Natur. Weniger bekannt ist, dass lange vor Martin Luther, ein Engländer namens John Wyclif, verstorben am 31.12.1384, der die Bibel ins Englische übersetze, die Missstände der römisch katholischen Kirche und das „päpstliche Antichristentum“ anprangerte. Jedenfalls fanden die Ideen der Reformation bald anklang und verbreiteten sich schnell, schon weil gerade der Buchdruck erfunden war. Der „Ablasshandel“, d.h. Gläubige konnten Munter drauf los sündigen und sich dann gegen eine entsprechende Spende vor den Qualen des Höllenfeuers freikaufen, stand zunehmend in der Kritik: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt“. Viele Fürsten fanden die Steuern, Gebühren und Abgaben die in päpstlichen Kassen flossen sowieso viel zu hoch. Zahlreiche Länder und Fürstentümer traten zum Protestantismus über und spalteten Deutschland bis heute in zwei religiöse Lager. Jahre später. Die Gegenbewegung (angeführt durch die Habsburger), setzte sich zum Ziel, die vom rechten Glauben abgefallenen Landstriche zurückzugewinnen. Im Jahr 1618 beginnt der Dreißigjährige Krieg. Was scheinbar religiös motiviert 18 war, wandelte sich bald zu einem politischen Machtkampf der europäischen Großmächte. Das Ergebnis war eine Katastrophe von unvorstellbaren Ausmaßen: Nach 30 Jahren Krieg war Deutschland völlig verwüstet und verarmt; das Land war um Jahrzehnte zurückgeworfen. Der Krieg hatte der Hälfte aller Deutschen das Leben gekostet. Während Frankreich oder England bereits Nationalstaaten waren, bildeten die Fürstentümer des Reichs nur noch lose Einheiten und waren dadurch lange Zeit nur noch mit sich selbst beschäftigt. Noch vor 200 Jahren war Deutschland ein Gebilde aus vielen einzelnen Staaten: Herzöge, Grafen und Fürsten regierten das Land mit fast uneingeschränkter Souveränität. Es gab an die 40 unterschiedliche Währungen, fast jedes Land hatte seine eigene und natürlich auch Grenzen und Zölle. Dadurch haben sich regionale Lebensformen herausgebildet, die sich bis heute erhalten haben. Durch die lange Kleinstaaterei verankerte sich in den deutschen Staaten ein starkes Gefühl der Bedrohung durch das Ausland, das sich in 19. Jahrhundert bis zum Verfolgungswahn steigerte und zu einer pessimistischen Grundstimmung führte. Aus dieser Zeit stammen übrigens „angsteinflößende“ Kinderlieder, die seltsamerweise noch 350 Jahre später unbeschadet, an meine Generation überliefert wurden, bis „fortschrittliche“ Kindergärtner/innen sich weigerten diesen Brauch fortzusetzen: „Maikäfer flieg. Dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland. Pommerland ist abgebrannt“ - was kein Kind versteht. Oder „Oh du lieber Augustin, Augustin (... alles ist hin, Mäd´l ist weg..., alles weg, ...Rock ist weg, Stock ist weg,...Augustin liegt im Dreck, ...Geld ist weg, o du Schreck, das ist schlecht und nicht recht...), dass entstanden sein soll, als der Bänkelsänger Max Augustin, nach einem Zechgelage am Straßenrand einschlief und, wie zur Zeiten der Pest üblich, eingesammelt wurde, und dann fast bei lebendigem Leib begraben worden wäre, hätte er sich nicht mit diesem Lied Aufmerksamkeit verschafft. Es ist schon bizarr, dass sich viele solcher Lieder gewissermaßen als kulturelles Erbe, all die Jahre erhalten haben. Von Schrippen, Brötchen und Semmeln Die Unterschiede zwischen den Menschen der verschiedenen Regionen waren und sind immer noch da. Befragen Sie einen Friesen über seine Meinung zu den Pfälzern oder umgekehrt! Die einfachste Reaktion wird fehlendes Interesse sein. Es gibt Sachsen, Pfälzer, Westfalen, Hessen und Bayern. Und selbst die Bayern unterscheiden sich in Niederbayer, Oberbayer und Franken. Der Oberbayer aus München wiederum vom Oberbayern aus einer ländlichen Gegend. Die Bayern unterscheiden sich so sehr vom Rest Deutschlands, dass sie sogar ihre eigene Partei haben, die sich auch nur in Bayern zu Wahl stellt, die CSU. Sie steht für Konservatismus, christliche Grundwerte und einen starken Staat. Bei ausländischen Besuchern hat Bayern regelmäßig mit die höchsten Übernachtungszahlen. Daraus kann man schließen, dass diese Region das größte touristische Interesse erweckt: Es ist das Ursprüngliche, was Besucher Deutschlands in Bayern suchen. Man lebt im Süden Deutschlands ländlicher, traditioneller und konservativer als im Rest der 19 Republik und vor allen Dingen anders, eben nicht so preußisch, aber auch sehr lebenslustig. Als typisch bayrisch gilt auch ein gewisses „grantlerisches“ Verhalten. Eine Art – hier grantig - die auch dem Sachsen zu Eigen sein soll, der sich zu dem auch, so behaupten böse Zungen, als überaus begriffsstutzig zeigt. Die Saarländer und die Pfälzer stellen sich durchweg als lebensfrohe und gesellige, aber etwas träge Naturen dar. Während der Rheinländer noch geselliger, noch lebenslustiger und vor allen Dingen agiler wirkt, vor allen wenn er aus Köln kommt. Düsseldorfer, die dazu neigen ihren tatsächlich vorhandenen Reichtum mehr als andere herauszustellen, würden nie Kölsch, das aus klitzekleinen Gläsern konsumiert wird, trinken und Kölner nie Alt. Das Kölsch genießt im Übrigen als einziges Bier in Deutschland Regionalschutz: man kann Kölsch also nicht einfach in Kiel herstellen. Die Menschen aus dem „Pott“ (Ruhrgebiet) sind auf freundliche Art grundehrlich, hilfsbereit, irgendwie geerdet und reserviert gegenüber jeder Art von Großspurigkeit z.B. „gegen eingebildete Fatzkes“ und jede Art von „Firlefanz“, „Fimschigkeit“, „Gedöns“, „Graf Rotz“ oder „Herumgesülze“. Sagt jemand im Pot zu ihnen „kannzema“, dann heißt das so viel wie „kannst du mir mal ein Bier reichen“ und Pommes Schranke im Pott, ist gleichbedeutend mit Pommes Rot-Wies im Rheinland, was so viel heißt wie Pommes mit Mayo und Ketchup! Die norddeutschen Küstenbewohner hingegen, gelten als „unterkühlte Fischköppe“. Sie sind schwermütiger, eigenbrötlerischer und bestimmter als alle anderen und wirken eher spröde, was sich durch langsames Habitus und ihr überdurchschnittliches Maß an Schweigsamkeit äußert: Man kennt sich gerade einmal 20 Jahre und schon sagt man sich guten Tag! Ganz im Gegensatz zum Hessen, der besonders durch seine Geschwätzigkeit, dem sogenannten "Babbeln" auffällt. Hessen sind im Allgemeinen bodenständig, es sei denn sie sind weltmännische Frankfurter. Der Berliner „riskiert gerne ´ne kesse Lippe“ und wirkt dabei aufbrausend, abweisend und unhöflich, aber dafür auch erschreckend ehrlich und er ist der Erfinder der „Curry-Wurst“. Nord- und Westdeutsche verstehen nicht die in Bayern oder Berlin übliche Zeitangabe von „drei Viertel Zwei“ oder „Viertel zwei“, was so viel heißt wie 13:45 Uhr oder 13:15 Uhr, obwohl sie keine Schwierigkeiten mit "halb zwei", also 13:30 Uhr, haben. Den Schwaben sagt man nach, sie seien ausgesprochen sparsame „Häuslebauer“. Die Westfalen, die den Pumpernickel erfanden, sollen auch wortkarg sein und die Pfälzer, die sich grundsätzlich von Saumagen ernähren, noch gemütlicher als andere. Und obwohl viele Deutsche ein und dieselbe morgendliche Backware zu sich nehmen, essen die einen Brötchen und die anderen Semmel, Wecken, Schrippen oder Rundstücke. Wer nördlich vom „Weißwurstäquator“ „Grüß Gott“ zur Begrüßung sagt, wird schief angeguckt. Stattdessen sagt man. „;Moin“ – auch nachmittags und abends. Ein „Oktober Fest“ in Hamburg, scheint unmöglich und in Regensburg gibt es keinen „Labskaus“. Man sollte auch bitte nicht auf die Idee kommen, die Franken als Bayern zu bezeichnen, das gibt Probleme. 20 Es wird behauptet, dass sich Deutsche, aufgrund dieser geschichtlichen Besonderheiten, mehr über ihre Region als über ihre Nation definieren. Das spielt aber meiner Ansicht nach nur eine untergeordnete Rolle: Regionalismus ist nicht unbedingt der Ersatz für Nationalbewusstsein. Natürlich werden regionale Unterschiede wichtig, wenn sich Deutsche verschiedener Regionen untereinander begegnen, z.B. im Ausland. Meistens herrscht dann spätestens wieder kulturelle Eintracht, wenn man merkt dass die Unterschiede zu den Menschen des Gastgeberlandes noch größer sind. Sich über die Region zu definieren, bedeutet nicht die Nation in Frage zu stellen. Regionale Unterschiede, werden im Übrigen auch inoffiziell von der Bundeswehr berücksichtigt. Wenn möglich, vermeidet man es, junge Rekruten aus verschieden Bundesländern zusammen zu legen, jedenfalls in der Grundausbildung. Auch hört man, auch nur „hinter vorgehaltener Hand“ versteht sich, dass verschiedene Regionszugehörigkeiten, bei der Hotelbelegung von Reiseveranstaltern berücksichtig werden. Hamburger und Bayern in einem Hotel, das könnte Schwierigkeiten geben! Zwar gibt es auch in anderen Ländern regionale Besonderheiten, wie die Basken, Katalanen, Schotten, Waliser und Korsen. Aber in deutschen Landen gibt es trotz regionaler Unterschiede eine wichtige Gemeinsamkeit: Alle sind deutsch und fühlen sich deutsch! Die Vielzahl von Dialekten, ist dann auch Ausdruck für die starke regionale Natur des deutschen Denkens. Und es ist keineswegs selbstverständlich dass jeder „Hochdeutsch“, also den Hauptdialekt spricht. Hochdeutsch setzte sich im Übrigen nur deswegen durch, weil Martin Luther es bei seiner Bibelübersetzung benutzte. Die Übersetzung der Bibel ins Deutsche war ein geradezu revolutionärer Akt: Zum ersten Mal überhaupt konnten einfache Menschen Gottes Wort in ihrer Sprache lesen. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Hochdeutsche in allen Schichten weiter ausgebreitet und die Dialekte aus den verschiedenen Situationen des Alltagslebens verdrängt. Im Radio oder Fernsehen taucht dialektgefärbtes Deutsch eher selten auf und wird wenn, gerne zur Parodierung des einfachen Deutschen aus dem Volk eingesetzt: dem Hausmeister, der Verkäufer/in, dem Kioskbetreiber. Dies entspringt dem Klischee der (ein)gebildeten Stadtbevölkerung, deren Sprache eindeutig hochdeutsche Züge trägt, während die Landbevölkerung, die in der Mundart aufgewachsen ist und die Hochsprache nur mangelhaft oder gar nicht beherrscht, ungebildeter ist. Kein Hochdeutsch zu sprechen gilt deswegen als unzivilisiert und rückständig. Mehr und mehr wird die Mundart gar als eine mangelhafte Abwandlung der Hochsprache mit geringem Prestige betrachtet: Umfragen über das Ansehen von deutschen Dialekten haben ergeben, dass die bayrische Mundart hiervon am wenigsten betroffen ist (– da der Bayer sowieso anders ist, hat er auch einen Sonderstatus bei der Sprache); das Schwäbische oder Sächsische dagegen genießen eher wenig Prestige in der deutschen Bevölkerung. Zum WEITERLESEN bitte kaufen!!! 21