141219 Biedermann

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141219 Biedermann
PETER JACOBI
in:
ZEITBREMSE
19. Dezember 2014
"Biedermann und die Brandstifter"
– eine Rezension als Antwort auf Pegida
"BIEDERMANN:
Es ist halt so eine Sache, mein Herr, heutzutage. Keine Zeitung kann man mehr aufschlagen: Schon wieder so
eine Brandstifterei! Und wieder die alte Geschichte, sage und schreibe: Wieder ein Hausierer, der um Obdach
bittet, und am andern Morgen steht das Haus in Flammen … Ich meine nur – offengesprochen: Ich kann ein
gewisses Misstrauen schon verstehen."
[…]
"CHORFÜHRER:
Der, um zu wissen, was droht,
Zeitungen liest
Täglich zum Frühstück entrüstet
Über ein fernes Ereignis,
Täglich beliefert mit Deutung
Die ihm das eigene Sinnen erspart,
Täglich erfahrend, was gestern geschah,
Schwerlich durchschaut er, was eben geschieht
Unter dem eigenen Dach:
Unveröffentlichtes!
Offenkundiges.
Hanebüchenes!
Tatsächliches."
[…]
"CHORFÜHRER:
Der die Verwandlungen scheut
Mehr als das Unheil,
Was kann er tun
Wider das Unheil?"
[…]
"EISENRING:
Sie finden es vielleicht kindisch, Madame, aber so sind halt die Leute aus dem Volk. Sepp zum Beispiel, der bei
den Köhlern aufgewachsen ist und noch nie ein Messerbänklein gesehen hat, sehen Sie, es ist nun einmal der
Traum seines verpfuschten Lebens: - so eine Tafel mit Silber und Kristall!"
aus: Max Frisch, "Biedermann und die Brandstifter", 1958
Max Frisch hat sein Drama "Biedermann und die Brandstifter" eine Burleske genannt, einen
volkstümlich angelegten Scherz, womit er wahrscheinlich darauf verweisen wollte, dass das von ihm
gezeichnete Gesellschaftsbild des Bürgertums einer scherzhaften Darstellung bedurfte, um seine
traurige Wirklichkeit ans Licht zu führen. Doch stets, wenn kluge Geister den Finger auf eine Wunde
unter dünnem Pflaster drücken, schmerzt solch Hinweis auf Missstände gewaltig und provoziert zu
Auslegungen, die der gewünschten Wirkung oft zuwiderlaufen. Und so erging es auch dem Schweizer
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Max Frisch mit seinem "Biedermann", den man gleich nach der Veröffentlichung in Deutschland als
eine antikommunistische Kampfansage missdeutete, die zeigen wolle, wie gefährlich es sei, sich mit
Kommunisten einzulassen, weil die in den Augen der meisten selbstverständlich allesamt Brandstifter
waren. Man vereinnahmte eine scharfe Gesellschaftskritik, indem man sie als Beleg für die Richtigkeit
der herrschenden Vorurteile nutzte. Max Frisch hat seinem Drama daraufhin ein Nachspiel angefügt,
wodurch diese Interpretation entkräftet werden sollte. Das Nachspiel konnte er jedoch später
zurückziehen, als sich zeigte, dass die auf das Verhalten der Biedermänner insgesamt gerichtete
Geschichte des Brandes im Hause Gottlieb Biedermanns inzwischen doch zumindest annähernd seiner
Auffassung entsprechend verstanden wurde, jedenfalls von denen, die sich das Stück ansahen. Die
Uraufführung fiel allerdings in die heiße Phase der Adenauer-Zeit, als die meisten Deutschen so sehr
von ihrer eigenen Rechtschaffenheit überzeugt und dem Zeitgeist gemäß auf die Abwehr des
Kommunismus – der Inkarnation des Bösen schlechthin – fixiert waren, dass sich niemand vorstellen
konnte, es weilten auch andere Brandstifter unter den Deutschen. Und man erkannte nicht, wie sehr
gerade der typische Bundesbürger dieser Epoche einem Gottlieb Biedermann ähnelte ('bieder' stand
übrigens ursprünglich für 'rechtschaffen' und erhielt später den Beigeschmack von 'einfältig'). –
Nachdem in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts ein wenig mehr Aufgeschlossenheit unter
den sogenannten Bildungsbürgern anzutreffen war, gelangte das Drama in die Spielpläne der
deutschen Bühnen und wurde mehr als 300-mal aufgeführt; und die Germanisten des Schulbetriebs
überführten das Stück als Pflichtlektüre in den gymnasialen Deutschunterricht; doch heute steht es
weder im Blickpunkt der Theatermacher, noch lesen es jüngere Schülergenerationen – das Werk
verstaubt mittlerweile in den Regalen der literarischen Asservatenkammer.
Das ist höchst schade! Denn das Drama hat nicht nur keine Aktualität verloren, sondern es dürfte
heute sogar noch beklemmender wirken, wenn man das Geschehen auf der Bühne ins Jetzt überträgt
und die Stimmung der deutschen Biedermänner im 21. Jahrhundert daran spiegelt. Es liegt vor allem
an zwei Merkmalen, die den Bezug zu den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen förmlich
herausfordern: Zum einen erlauben die sehr knappen Verweise auf rein zeitgenössische Gegebenheiten
eine Übertragung in andere Epochen; und zum anderen entspringt die geistige Haltung der Figuren
allgemeinen, also zeitlosen menschlichen Wesensmerkmalen, die wir deshalb auch heute beobachten
und deren Wirkung wir nachempfinden können. Die Geschichte selbst ist schnell erzählt: Dem
Fabrikanten Gottlieb Biedermann läuft der obdachlose und arbeitslose Zirkusringer Josef Schmitz ins
Haus, den er, um sein schlechtes Gewissen gegenüber einem anderen zu beruhigen, auf seinem
Dachboden wohnen lässt. Schmitz schmuggelt seinen Freund und Kumpan, den ehemaligen Kellner
und Zuchthäusler Wilhelm Eisenring, auf "seinen" Dachboden, wo er sich gemütlich eingerichtet hat,
und wo Biedermann ihn schließlich, wenn auch widerwillig, ebenfalls willkommen heißt; und zu
denen gesellt sich noch ein als Dr. phil. bezeichneter gescheiterter namenloser Intellektueller. Vor dem
Hintergrund, dass sich in der Stadt des Gottlieb Biedermann Brandanschläge auf Wohnhäuser und
städtische Gasometer häufen, argwöhnen Herr Biedermann und seine Frau Babette, ihre neuen Gäste
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gehörten zu den Brandstiftern, was sie sich jedoch nicht eingestehen wollen, obwohl die neuen
Hausgenossen genau das planen: einen Brandanschlag; und zwar, indem sie Benzinfässer auf dem
Dachboden deponieren und mit Zündschnüren so verbinden, dass sie diese gleichzeitig in Brand setzen
können. Die Anzeichen für einen Brandanschlag sind unübersehbar, werden aber von Herrn
Biedermann regelmäßig missachtet. Dass es schließlich zu der Katastrophe kommt, liegt allein an der
Unfähigkeit des Hausherrn, sich vorzustellen, auch seine heile Welt könne von den Unruhen erfasst
werden, die ganz entscheidend von Brüchen im Gefüge der Gesellschaft genährt werden und die er zu
verdrängen sucht. Am Ende reicht Biedermann seinen unerwünschten Hausgenossen noch die
Streichhölzer und erklärt seiner inzwischen völlig verstörten Frau, die immerhin Befürchtungen hegt:
"Wenn die wirklich Brandstifter wären, du meinst, die hätten keine Streichhölzer? … Babettchen,
Babettchen!" – dann rumst es. Und der Chor kommentiert:
"Sinnlos ist viel, und nichts
Sinnloser als diese Geschichte:
Die nämlich, einmal entfacht,
Tötete viele, ach, aber nicht alle
Und änderte gar nichts."
[…]
"Was nämlich jeder voraussieht
Lange genug,
Dennoch geschieht es am End:
Blödsinn,
Der nimmer zu löschende jetzt,
Schicksal genannt."
Versuchen wir, diese Geschichte ins Jahr 2014 zu überführen, dann müssen wir uns vergegenwärtigen,
welche Zustände Max Frisch im Nachkriegsdeutschland beobachtete, die er als Schweizer mit dem
hilfreichen Abstand des Ausländers wahrscheinlich sehr viel klarer sah, als es den Betroffenen im
Wirtschaftswunderland gelingen konnte. Und wir müssen überprüfen, inwieweit sich eine Systematik
erkennen lässt, die im heutigen Gesellschaftszustand wiederzufinden ist. Damals, und das haben viele
längst vergessen, hatte sich der sogenannte Mittelstand gerade ein wenig erholt und rechnete mit
weiterem Aufstieg, den die nach oben lugenden Leute zu gefährden meinten, wenn sie mit ihrer
Umgebung kritisch ins Gericht gingen. Ein erfolgreicher Wahl-Slogan der regierenden CDU war:
"Keine Experimente!", was, befolgte man diese Parole, jegliche Entwicklung abwürgen musste.
Übersehen wurde deshalb tunlichst alles, was auf Fehlentwicklungen hindeutete und was womöglich,
würde es wahrgenommen, zum Umdenken und zur Umkehr zwingen könnte. – Es gab schon zu
Beginn der Phase des Wirtschaftswunders ein erhebliches Missverhältnis zwischen jenen Wenigen, die
bereits oben angekommen waren, meist weil sie Vermögen "über die Zeit" retten konnten oder weil sie
als Mitglieder bei einflussreichen Seilschaften hochgeschleppt wurden, – und den vielen, die nach der
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Währungsreform tatsächlich mit 40 Mark beginnen und hart arbeiten mussten, um einigermaßen
anständig zu überleben. Unter den vielen glaubte die Mehrheit, sie gelange zu den Auserwählten,
wenn sie nur ordentlich mitschuftete bei der Vergrößerung des "Bruttosozialprodukts". Diesen
Biedermännern entging, dass sich Brandstifter in ihre Reihen mischten, die mit hinterhältigen
Methoden überall dort zündelten, wo auch nur vorsichtige Kritik lautwurde. Die Oberbrandstifter jener
Zeit waren häufig Altnazis und Altnationale, die in so windigen Figuren wie Franz Josef Strauß ihre
neuen "Führer" sahen und sie zum Zündeln anregten, wenn sie nicht gleich selbst als Brandstifter
fungierten. In jenen "goldenen" Fünfziger- und Sechzigerjahren wurde unsere junge, unerfahrene
Demokratie – von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt – ausgehebelt, indem die Brandstifter den
Biedermännern weismachten, die Stabilität des Staates hänge ab von der Effizienz wirksamer
Notstandsgesetze und anderer restriktiver Regeln, um die "Feuer", die sie selbst legten, löschen zu
können, und um damit die Notwendigkeit harten Durchgreifens zu rechtfertigen. Außerdem verfestigte
man das Parteiensystem mit seiner Funktionärskaste und behauptete, nur so sei Demokratie
praktizierbar. Damals wurden die Bankiers Robert Pferdmenges und Hermann Josef Abs
Finanzberater des Bundeskanzlers Adenauer und installierten eine noch heute überaus einflussreich
wirkende Lobby-Macht der "Finanzindustrie". Währenddessen sorgten die "alten Kameraden" für die
Remilitarisierung der Bundesrepublik und führten mit ihr die wilhelminische Geheimhaltungsmanie
wieder ein, die so typisch ist für autoritäre Regime. Öffentlich sichtbar wurde das alles 1962 während
der sogenannten „Spiegel“-Affäre, die eigentlich Strauß-Affäre heißen müsste, als Konrad Adenauer
im deutschen Bundestag die Veröffentlichungen des „Spiegels“ zur Situation der Bundeswehr
("Bedingt abwehrbereit") eine "Ausgeburt von Landesverrat" nannte. Später stellte sich heraus, dass
das Ganze ein Komplott der Brandstifter war, was die Regierenden, nachdem fast die gesamte
deutsche Presse massiven Protest anmeldete, wenn auch zögerlich eingestanden und woraufhin sie
Franz Josef Strauß nach Bayern verbannten, als wohlfeiles Bauernopfer sozusagen. Ordentlich bestraft
wurden die Brandstifter aber nicht.
Selbstverständlich sind die äußeren Umgebungsbedingungen der Fünfziger- und Sechzigerjahre
durchaus verschieden von den heutigen, zumal, nachdem der Zusammenbruch des Sowjetimperiums
die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichte und die veränderte weltpolitische Lage den Blick
auf andere Themen richtete, als sie die Bürger der frühen Bundesrepublik bewegten. Geblieben ist
allerdings die Grundhaltung, wie sie Gottlieb Biedermann vertrat. Ja, die hat sich sogar verstärkt, weil
das Gefühl der Teilhabe am Wohlstand inzwischen viel weiter in die Gesellschaft gedrungen ist und
die Sorge wuchs, dass jegliche Störung des Eindrucks eigener Rechtschaffenheit, dieses Wohlleben
gefährden könnte. Das gilt besonders für solche Ängste, wie sie Herr Biedermann äußert, wenn er
sagt: "Keine Zeitung kann man mehr aufschlagen: Schon wieder so eine Brandstifterei! Und wieder
die alte Geschichte, sage und schreibe: Wieder ein Hausierer, der um Obdach bittet, und am andern
Morgen steht das Haus in Flammen … Ich meine nur – offengesprochen: Ich kann ein gewisses
Misstrauen schon verstehen." Misstrauen bewegt auch die Biedermänner unserer Tage, und sie haben
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nicht ganz zu Unrecht Angst davor, dass die heile satte Welt, die im "christlichen Abendland"
vorherrscht, erschüttert werden könnte; doch sie mögen sich nicht konkret vorstellen, woran das liegt.
Und was das heutige politische und journalistische Establishment so nervös macht, wenn "Wutbürger"
Parolen brüllend durch die Straßen ziehen, ist im Grunde das Echo ihrer eigenen "Brandstifterei".
Denn wie kann in einer Region (Sachsen beispielsweise), wo öffentlich kaum muslimisches Leben
bemerkbar wird, ein giftiger Hass gegen Muslime, ein derart unbegründeter Anti-Islamismus
entstehen? – Eigene Beobachtung und das Erleiden von Überfremdung können nicht dazu führen;
denn die gibt es gar nicht. Es wird im "gesellschaftlichen Diskurs", den die "Spitzen in Politik und
Wirtschaft" pflegen (besonders an den Stammtischen der sogenannten Talk-Shows und auf Partei- und
Verbandstagen oder "politischen Frühschoppen"), von Gefahren geredet, die gar nicht existieren, aber
trefflich ablenken von solchen, die ernsthaft bekämpft werden müssten. Wenn Parteifunktionäre von
Wirtschaftsflüchtlingen schwadronieren, die unser Boot entern wollen, obwohl das längst voll sei,
dann legen sie einen Brand, der wie Benzin explosionsartig Ausbreitung findet. – Zu fragen ist
deshalb, welche gesellschaftlichen Ströme wirken, die diese im Grunde schizophrene Haltung
heraufbeschwören.
Auffällig ist, dass "wirkliche" Gefahren wie Weltfinanzkrise, an Zahl und Gewalt zunehmende Kriege
mit Ausbreitungstendenzen bis zu uns, Zerstörung der Lebensgrundlagen bei steigender
Bevölkerungszahl oder stetig schrumpfende Beschäftigungsmöglichkeiten kaum öffentlich geäußerten
Unmut erregen, während die Einführung einer PKW-Maut für Ausländer(!), die Frauenquote, die
sogenannte Edathy-Affäre und das Weihnachtswetter die Gemüter erhitzen. Zurzeit wird eine Angst
vor angeblich wiedererwachtem russischem Imperialismus geschürt, dem man mit Sanktionen
(Strafmaßnahmen) begegnen möchte und wobei man sich diebisch freut, dass der Kurs des Rubels nun
ins "Bodenlose" fällt, obwohl kaum jemand überblickt, welche tatsächlichen Ursachen und Folgen das
hat. Da aber alle diese Wehwehchen offenbar stärkeren Eindruck hinterlassen (zum Teil sogar Angst
machen), als es die wirklich existenzbedrohenden Gefahren vermögen, muss ein "Mechanismus"
wirken, der für die Ablenkung vom Wesentlichen sorgt.
Es sind zwei unterschiedlich aber in einer Resultierenden mündenden Kräfte, die den Prozess in Gang
setzen, der zu einem gesellschaftlichen Gemütszustand besonderer Art führt: Erstens wirkt in jedem
System, zumindest solange es dem Anschein nach "funktioniert", eine Beharrungskraft, die
verändernde Einflüsse zu verdrängen sucht. Auch wir Menschen folgen wie alle anderen
Erscheinungen in unserem Universum diesem Naturgesetz, das für jede Existenz von Systemen
bindende Voraussetzung ist und "leidenschaftslos" wirkt, egal ob die Versuche, etwas zu ändern,
positive oder negative Konsequenzen haben. Wir werden, erklärt uns die Neurobiologie, in manchen
Fällen, wo Reize von außen direkt auf unseren "Gefühlsapparat" wirken, mit Reaktionsanweisungen
"automatisch" versorgt, die uns zu rational unverständlichen Handlungen zwingen, weil sie vor vielen
Tausend Jahren als "nützlich erkannt" und ins genetische Programm aufgenommen wurden. Dazu
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gehört beispielsweise die gemeinhin mit dem Begriff Fremdenfeindlichkeit beschriebene Angst, jeder
Fremde könne uns etwas von unserer kargen Nahrung nehmen (heute eher: unseren Arbeitsplatz
gefährden), weshalb er unmittelbar nach seinem Auftauchen zu vertreiben sei. Wir wissen
mittlerweile, dass dieser direkte Zusammenhang nicht länger gilt; doch sobald wir uns in unseren
wohligen Nestern nicht mehr ganz sicher fühlen, versetzt uns ein nahender Fremder, ein fremd
Aussehender, in Abwehrhaltung. Deshalb auch wird dieses biologische Merkmal der Spezies Mensch
so häufig als Mittel eingesetzt, um ganze Völker mit Fremdenhass zu vergiften und nationalistische
Umtriebe zu begründen. Eines der furchtbarsten Beispiele hierfür lieferten die Deutschen im vorigen
Jahrhundert; und wie wir beobachten müssen, wurden die daraus entwickelten Verhaltensmuster noch
nicht vollständig aus unserem "gesellschaftlichen Gedächtnis" getilgt. Denn andernfalls dürften vor
dem Hintergrund unserer jüngsten Geschichte keine nationalistischen Vorstellungen mehr durch
unsere Gesellschaft schwirren und der sogenannten rechtsradikalen Szene den Nährboden bereiten.
Auf die heutige bundesdeutsche Situation angewandt, bedeutet dies, wir erleben einen Wohlstand, wie
er bisher in der Geschichte unerreicht war, und verweigern jeder Einsicht, dass dieser schöne Zustand
zeitlich begrenzt sein könnte, einen Platz in unserem Bewusstsein; denn wir fürchten, dass wir schon
jetzt Einschränkungen hinnehmen müssten, setzten wir uns mit diesem Gedanken auseinander Das ist
im Übrigen auch ein Grund dafür, warum Veränderungen innerhalb menschlicher Gesellschaften
generell nur sehr langsam durchzusetzen sind, selbst wenn dafür dringende Notwendigkeit besteht.
Da die meisten Menschen unterschwellig aber sehr wohl spüren, dass an unserem System einiger
Makel haftet, der zum Umdenken auffordern sollte, bedienen sie sich einer zweiten auch sehr
menschlichen Kraft, der der Fantasie nämlich, mit deren Hilfe für alle Unzulänglichkeiten externe
Verantwortliche gesucht werden und deren Einsatz es dann gestattet, die notwendige Beseitigung von
Mängeln durch die Bekämpfung der vermeintlich Schuldigen zu ersetzen. Dabei hilft die genetische
Anlage, im Fremden "vorsichtshalber" einen Feind zu erkennen, und daraus entwickelt sich häufig
eine prinzipielle Fremdenfeindlichkeit, die nicht durch tatsächlichen Angriff feindlicher Kräfte
ausgelöst wird, sondern einem sich selbst verstärkenden Prozess folgt, der Fremdenfeindlichkeit "an
sich" und ohne Anlass erzeugt: Der Schuldige muss ein Fremder sein, weil andernfalls die Ursachen
für das Gefühl von aufziehender Gefahr "im eigenen Lager" zu finden wären, also genau zu der
Einsicht führten, die es gerade zu verhindern gilt. Die Resultierende aus den beiden Kräften ist ein
diffuser Angstzustand, der aus teils berechtigter Befürchtung zukünftig "schlechterer Zeiten" und der
fiktiven Gefahr eines Angriffs fremder Mächte gespeist wird. Und aus ihm entwickelt sich die giftige
Aggressivität, die heute bei manchen dem Islam gilt wie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts dem
Judentum.
So erleben wir "in der Mitte unserer Gesellschaft" eine Häufung von Biedermännern, die zwar
Brandstiftung befürchten und nach Brandstiftern suchen, die richtigen aber nicht erkennen oder nicht
erkennen wollen und deshalb jede beliebige Zielscheibe zur Kompensation ihres Gefühls der
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Ohnmacht nutzen, die ihnen gereicht wird. Die Biedermänner sind im Übrigen in ihrer großen
Mehrheit nicht jene, die ihrem wenig motivierten Unmut krakeelenden Ausdruck verleihen wie etwa
die "patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida), sondern all jene, die
sich vornehm zurückhalten und hinter vorgehaltener Hand erklären: "Ich meine nur – offen
gesprochen: Ich kann ein gewisses Misstrauen schon verstehen." Diese Leute mokieren sich sogar über
die Einfalt der öffentlich Empörung zeigenden "Wutbürger" und merken nicht, dass sie selbst
diejenigen sind, denen das Feuer unters Dach gelegt wird. Denn die Brandstifter, die nämlich, die
maßgeblich verantwortlich sind für die Mängel des Systems, haben sich längst bei den Biedermännern
eingenistet und bitten um die Streichhölzer, mit denen sie die Zündschnur entflammen wollen.
Obwohl den meisten Bürgern und insbesondere denen, die Teilhaber des Wohlstands sind und sich
häufig sogar den "Eliten" zugehörig empfinden (Manager, Wissenschaftler, Verbandsfunktionäre,
Beamte im höheren Dienst nebst deren Zuarbeitern und Speichelleckern), obwohl denen zumindest
schwant, wenn nicht sogar ganz klar ist, unter welchen Schwächen das kapitalistische
Gesellschaftssystem zu leiden hat und wie abhängig von "globalen" Krisen auch die hiesigen
Verhältnisse sind, erkennen sie in den sie Regierenden und in der Führungsschicht der Institutionen,
die am Regierungsapparat hängen, nicht diejenigen, die ihnen den Brandsatz ins Haus bringen. Am
Beispiel der jetzt aufflammenden Hysterie gegen eine "Islamisierung des Abendlandes" lässt sich
eindrucksvoll zeigen, welches Zündeln zu derartigen Bränden führt; denn das ist zu betonen: Die
Leute um "Pegida" sind nicht die Brandstifter, sie sind die Brände! Und schon gar nicht sind die
Flüchtlinge Brandstifter, die es abzuwehren gilt.
Allen Brandsätzen liegt eine Bedingung zugrunde, die besonders "entzündlich" wirkt: Die Mitglieder
des politischen Establishments belügen fast ständig die Bürger, deren Belange sie eigentlich zu wahren
haben. Sie widmen, indem sie staatliche Leistungen, die in Wahrheit Einzelinteressen dienen aber von
der Allgemeinheit zu erbringen oder zu bezahlen sind, mit wohlklingenden Worten in
gemeinschaftsdienliche Projekte um. Und leuchtet man die "politischen Zielsetzungen" entsprechend
hell aus, dann erkennt man schnell, dass Verlogenheit das Mittel ist, das als Brandbeschleuniger
Verwendung findet. Dazu drei Beispiele:
Erstens:
Mit der Begründung, es werde damit eine effizientere und billigere Lösung gefunden, werden
öffentliche Aufgaben privaten Unternehmen zur Ausführung übertragen, obwohl tatsächlich meist
großen Konzernen lediglich neue Geschäftsfelder eröffnet oder Banken die Finanzierung von
Projekten ermöglicht werden, für die der Steuerzahler im Falle von Verlusten einzuspringen hat –
zunächst meist durch steigende Gebühren, später durch "Rückkauf" abgewirtschafteter Einrichtungen.
Dazu zählen die Elektrizitätswerke, die Post, die Bahn, die Krankenhäuser sowie
Infrastrukturmaßnahmen des Straßenverkehrs, aber auch Müllabfuhr und Straßenreinigung. Solche
Bereiche gehören in das Feld der öffentlichen Grundversorgung und sind Angelegenheit öffentlicher
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Verwaltung. Die Hoffnung, beziehungsweise die Ankündigung, Privatisierungsprojekte dienten nur
dem Wohl der Bürger, stellt sich regelmäßig als falsch heraus.
Zweitens:
Mit dem scheinbar schlüssigen Argument, der Euro werde allen Bürgern des gemeinsamen
Währungsraumes nur Vorteile bringen, wurde eine Währung eingeführt, die zum Scheitern verurteilt
ist, weil ihr die gemeinschaftliche Deckung aller Steuerzahler fehlt. Tatsächlich bietet dieses
Finanzinstrument nur den international operierenden Banken und anderen "Finanzdienstleistern" ein
neues Betätigungsfeld, das dem Zugriff nationaler Rechtsordnung weitgehend entzogen wurde. Daraus
ergibt sich für die gigantischen Geldmengen, die elektronisch gesteuert um den Globus jagen, eine
weitere Möglichkeit, aus Geld mehr Geld zu machen, was am Ende der Tage eine galoppierende
Inflation auslösen wird, die nur im Wege eines Währungsschnitts, also mit existenzbedrohenden
Verlusten für alle überwunden werden kann. Das ist keine Befürchtung, das ist bereits jetzt eine
unabwendbare Tatsache! Dennoch wird von der gesamten politischen und wirtschaftlichen
"Führungselite" behauptet, der Euro sei ein Segen für alle, und der "gewöhnliche Tourist" darf sich
freuen, dass er für seinen Spanienurlaub kein Geld tauschen muss. Die Zündschnur zum
währungstechnischen Benzinfass ist bereits gelegt, und es bleibt nur noch offen, wann Herr
Biedermann die Streichhölzer reicht.
Drittens:
Den Bürgern "gewährt" das parlamentarische System die Möglichkeit, in bestimmten zeitlichen
Abständen, zu wählen, womit der Eindruck vermittelt wird, der Bürger als der politische "Souverän"
bestimme über das Wohl und Wehe seiner gesellschaftlichen Umfeldes. Tatsächlich handelt es sich
jedoch um die Wahl von Personen, die von Parteigremien ausgesucht werden und als Abhängige
dieser Parteien auch an die Weisungen der Parteiführungen gebunden sind. Die Vorstellung, mit solch
einer Wahl sei das demokratische Prinzip erfüllt, ist eine typisch "biedermännische"; denn die Bürger
nehmen nicht zur Kenntnis, dass sie sich mit den Wahlen die Brandstifter ins Haus holen, die dann
nach ihren eigenen Vorstellungen zündeln. Wirksame Mitbestimmungsrechte erhält die Bevölkerung
nur, wenn sie zu einzelnen sachlichen Entscheidungen aufgerufen wird und nicht wenn sie lediglich
die Postenverteilung zwischen den Parteien ein wenig beeinflussen darf.
Solange es in unserer Gesellschaft eine Mehrheit von Biedermännern gibt, wird es sehr schwer sein,
die Brandstifter in ihrem "Geschäft" zu stören, und es wird weiterhin nur möglich sein, die
Feuerwehreinsätze zu verstärken, die jedoch regelmäßig erst dann erfolgen können, wenn bereits
erheblicher Schaden angerichtet ist. Dabei wird obendrein derjenige Schaden immer größer, der durch
Löschwasser entsteht, weil der Einsatz von Löschmitteln ebenfalls verstärkt werden muss. Das weist
auf einen Teufelskreis hin, dem zu entrinnen kaum möglich erscheint. Es gibt jedoch ein Schlupfloch:
Wir müssen beginnen, den Brandstiftern auf die Finger zu hauen, wenn sie uns ihre Benzinfässer
unters Dach tragen wollen. Ins Praktische übersetzt heißt das: Wir können nur dann erfolgreich sein,
wenn wir alle Möglichkeiten nutzen, uns außerhalb des "Informations-Mainstreams" Einsicht in die
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tatsächlich herrschenden Verhältnisse zu verschaffen. Dazu bieten uns die modernen
Kommunikationstechniken gute Gelegenheit, weshalb es nicht länger als Ausrede gelten kann, die
regierenden Brandstifter wirkten hinter einem unüberwindlichen Wall von Geheimhaltung, den zu
überwinden unmöglich sei. Allerdings müssen wir, um die Zahl der Biedermänner auf ein
verträgliches Maß zu reduzieren, bereit sein, das scheinbar Undenkbare, ein Abwenden von der
Parteien-Demokratie hin zu direkter demokratischer Mitwirkung der Bevölkerung, als reale
Möglichkeit zu denken, in die Diskussion einführen. – Max Frisch hat in seinen Tagebüchern 1948
folgendes notiert: "Jede menschliche Antwort, sobald sie über die persönliche Antwort hinausgeht und
sich eine allgemeine Gültigkeit anmaßt, wird anfechtbar sein, das wissen wir; und die Befriedigung,
die wir im Widerlegen fremder Antworten finden, besteht darin, dass wir darüber wenigstens die Frage
vergessen, die uns belästigt – das würde heißen: Wir wollen gar keine Antwort, sondern wir wollen die
Frage vergessen. Um nicht verantwortlich zu werden." Dieser Gefahr müssen wir aber entrinnen, wenn
wir die Brandstifter rechtzeitig entlarven wollen! Und wir sollten dem Chorführer im "Biedermann"
gut zuhören, wenn er ausruft:
"Der die Verwandlungen scheut
Mehr als das Unheil,
Was kann er tun
Wider das Unheil?"
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