Die Methode des Alltags- und Prozessbegleiters
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Die Methode des Alltags- und Prozessbegleiters
Methode Willem Kleine Schaars Fachliche Anleitung SoLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Anlage 1 zum Dokument: SoLe Standard Bezugspersonensystem Geltungsbereich: Fachbereich SoLe Durch Gleichberechtigung zur Selbstbestimmung Die Methode des Alltags- und Prozessbegleiters von Willem Kleine Schaars Willem Kleine Schaars ist Sozialarbeiter in Holland. Er entwickelte die Methode des Alltags- und Prozessbegleiters während seiner Tätigkeit als Leiter eines Behindertenheimes in Zwolle. Er nannte die Methode damals :Anleitung zur Selbständigkeit. Sie entstand zwischen 1984 und 1992. Im Mittelpunkt der Methodik steht der Klient und seine Begleitung durch jeweils einen Alltags- und einen Prozessbegleiter. Willem Kleine Schaars beschreibt die Entstehung seiner Methode als eine Art Vision zur Verwirklichung von Selbstbestimmung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Diese Methode rückt davon ab, Klienten zu problematisieren, sie stellt die Arbeitsweise in den Mittelpunkt, nicht die Problematik des Klienten. In der Praxis sieht das so aus, dass der Alltagsbegleiter den Klienten auf seinem Weg zu ausgewogener Selbstbestimmung unterstützt. Er berät ihn und strukturiert Aufgaben, um einer Überforderung vorzubeugen. Der Prozessbegleiter begleitet diesen Prozess des Klienten und achtet darauf, ob die Beziehung zwischen Klient und Alltagsbegleiter vertretbar ist; er prüft, die Machtposition des Alltagsbegleiters in Beziehung zur Abhängigkeit des Klienten und gibt darüber eine Rückmeldung, ohne sich inhaltlich mit den Problemen zu befassen. Grundsätzliche Überlegungen zur Methode: Begleiter, die über Jahre gelernt haben, die Verantwortung für Klienten zu tragen und die bisher kaum mit der Unabhängigkeit des Klienten zu tun hatten, finden es schwierig, Verantwortung den Klienten selbst zu überlassen. Ihre eigenen Werte und Normen sind viel zu bestimmend. Jeder Klient einer Einrichtung der Behindertenhilfe befindet sich in einer Situation der Abhängigkeit. Jeder, der mit abhängigen Menschen arbeitet sollte wissen, dass das Entscheiden für andere (statt sie selbst entscheiden zu lassen) der Vergangenheit angehört. Klienten wollen nicht überbehütet werden, und sie verdienen, dass wir ihnen mit Respekt begegnen. Wenn aber Klienten auf ihrem Weg zur Selbständigkeit nicht unterstützt werden, ist es wahrscheinlich, dass soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 1 von 7 Methode Willem Kleine Schaars sie überfordert werden, weil sie sich selbst zu hohe Ziele setzen und weil ihre Umgebung zu viel von ihnen verlangt. Selbstbestimmung eines Klienten darf niemals heissen, dass es an Unterstützung mangelt. Allerdings hemmt Überbehütung auch die persönliche Entwicklung, weil sich der Prozess des Wachsens einer Beziehung hin zur Gleichberechtigung gar nicht entfalten kann. Um wirklich im Dienste des Klienten zu handeln, müssen Organisationen ihre Strukturen von Neuem beleuchten. Eigenen Entscheidungen zu treffen und damit die Grenzen der Selbstbestimmung zu entdecken, ist für die Klienten ein langwieriger Prozess. Wenn wir die Lebenswelt eines Klienten beurteilen wollen, müssen wir seine Wirklichkeit kennen. Wenn Entscheidungen getroffen werden, müssen Klienten nach ihrem kognitiven Entwicklungsniveau eingeschätzt werden, und nicht nach Lebensalter oder einem angestrebten Niveau. Also müssen Begleiter Entscheidungssituationen für Klienten strukturieren, gegebenenfalls Dinge gar nicht erst zur Wahl stellen bzw. ein verantwortbares Risiko eingehen. Solange wir glauben, dass wir nichts tun dürfen, um die Verantwortung nicht zu übernehmen, erzeugen wir bei uns und bei den Klienten Unvermögen. Es ist wichtig, dass wir zwar die Entwicklungsmöglichkeiten von Klienten im Blick behalten, dabei dürfen aber Einschränkungen nicht übersehen werden. Manchmal muss ein Begleiter Risiken eingehen, um zu sehen, ob sich ein Klient weiterentwickeln kann. Aber wir müssen uns nicht schämen, falls etwas nach unserer Ansicht nicht gelingt. Immer gibt es ein Spannungsfeld zwischen dem, was ein Klient überblicken kann und was seine direkte Umgebung von ihm erwartet. Letztendlich bestimmt immer der Klient selbst seine Entwicklung. Es ist jedoch sehr wichtig, dass er in seiner Entwicklung unterstützt wird. Darin liegt eine wichtige Aufgabe für Alltags- und Prozessbegleiter, denn diese beiden haben die klarste Vorstellung von dem, was ein Klient vermag. Es ist wichtig, dass Klienten lernen, selbst herauszufinden, wo sie Hilfe brauchen. Selbstverantwortung ist eine Grundvoraussetzung, wenn wir die Fähigkeiten, nicht die Defizite der Bewohner in den Mittelpunkt stellen. Wollen wir den Klienten wirklich in den Mittelpunkt stellen, dann können wir von der Vorgabe ausgehen, dass er alles selbst kann oder will. Auf diese weise lernt er schneller zu erkennen, was ihm alleine nicht gelingt und wir können ihn, wenn er das wünscht, unterstützen. Ausgangspunkt der Methodik ist Gleichberechtigung. Das heisst aber nicht, dass bei jedem Bewohner Strukturen aufgebrochen werden, die während vieler Jahre der Hilfe aufgebaut wurden. Gleichberechtigung als Ausgangspunkt verpflichtet vielmehr, auf das Individuum zu sehen und seinen Prozess der Entwicklung zu respektieren. Einfach die alten Strukturen und Absprachen über Bord werfen und dem Klienten Freiräume gewähren, ist nicht immer die beste Weise, das Wachstum zu grösserer Unabhängigkeit zu unterstützen. Zunehmende Unabhängigkeit, und die Möglichkeit eigene Entscheidungen treffen zu können ist für die Klienten häufig ein Weg mit vielen Rückschlägen. Deshalb gibt werden dem Klienten bei Keine Schaars 2 Begleiter zur Seite gestellt. In allen wichtigen Fragen sind sie die Gesprächspartner des Klienten. soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 2 von 7 Methode Willem Kleine Schaars Die Zusammenarbeit von Alltagsbegleiter und Prozessbegleiter: In jeder Betreuungssituation geht es um Prozesse. Auch in dieser Hinsicht nimmt die Zusammenarbeit zwischen Prozess- und Alltagbegleiter einen wichtigen Platz ein. Mann kann sich nämlich der Funktion des jeweils anderen bedienen. Es gibt diesbezüglich 4 Merkpunkte: 1. Prüfen, ob der Klient und Alltagsbegleiter einander verstehen. 2. Ist der Klient zu sehr vom Prozessbegleiter abhängig. 3. Wer beginnt das Gespräch (Wichtig vor allem in Konfliktsituationen) 4. Die gezielte Einbeziehung von Prozessbegleitern bei Konflikten. Der Prozessbegleiter gibt dem Alltagsbegleiter Rückmeldung. In vielen wichtigen Fragen sind Alltags- und Prozessbegleiter die Gesprächspartner des Klienten. Beziehung Klient/Alltagsbegleiter: Klient Beratung, Konfrontation; Unterstützung Alltagsbegleiter - zwischen Klient und Alltagsbegleiter findet die primäre Interaktion statt.(Begleitung, Konfrontation, Unterstützung) -Alltagsbegleiter übernimmt Verantwortung und kann bei grenzüberschreitenden Verhalten einschreiten (Konfrontation) Ziel des Alltagsbegleiters muss die Unterstützung sein. Gefahr: Zwischen Klient und Alltagsbegleiter kann leicht ein Ungleichgewicht der Macht entstehen. Dieses äußert sich darin, dass der Alltagsbegleiter zu viel für den Klienten übernimmt oder dieser aber überfordert wird. soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 3 von 7 Methode Willem Kleine Schaars Beziehung Klient/Alltagsbegleiter/Prozessbegleiter: Klient Beratung, Konfrontation, Unterstützung Prozessbegleiter Alltagsbegleiter Der Prozessbegleiter überprüft die Machtposition des Alltagsbegleiters in Bezug auf die Abhängigkeit des Klienten. Er gibt Rückmeldung. Beziehung Klient/Prozessbegleiter: Klient Verständnis für die Situation Prozessbegleiter - Der Prozessbegleiter hat Verständnis für die Situation- Der Klient kann jederzeit den Prozessbegleiter aufsuchen und wird ernst genommen - Die Meinung des Prozessbegleiters ist unbedeutend. Dieser darf nicht beurteilend auftreten. - Der Prozessbegleiter darf keine Probleme des Klienten lösen. Beziehung Prozessbegleiter/Alltagsbegleiter: Prozessbegleiter Alltagsbegleiter Feedback zwischen Prozessbegleiter und Alltagsbegleiter. Das Team (als Beobachter): Außer der Protzessbegleiter und der Alltagsbegleiter haben die Teammitglieder keine oder kaum eine begleitende Rolle gegenüber den Klienten. Aufgaben des Teams: - Beobachten! - Weitergabe des beobachteten an den Prozessbegleiter und den Alltagsbegleiter - Bei Bedarf Klienten an Protzessbegleiter und Alltagsbegleiter weiterverweisen. soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 4 von 7 Methode Willem Kleine Schaars Diese bedeutet nicht: „Die Mitarbeiter dürfen nichts“!!! Sie sollen: -Beobachten -Aufmerksam zuhören -nicht mehr bestimmen -zurückhalten und nicht einmischen Daraus folgt: Die Klienten bestimmen immer mehr ihren eigenen Entwicklungsprozess. Begleiter werden kontinuierlich daran erinnert, dass sie in erster Linie unterstützend arbeiten. Klient Verständnis für die Situation Beratung, Konfrontation, Unterstützung Prozessbegleiter Alltagsbegleiter Feedback Team Gibt es Schwierigkeiten bzgl. Absprachen zwischen Klient und Alltagsbegleiter oder Prozessbegleiter bei einem Teammitglied: - Diskussion im Team und nicht beim Klienten! Verantwortung im Team: Um den Begleitprozess gut im Blick zu haben, geben Alltagsbegleiter und Prozessbegleiter Verantwortung an das Team ab. Im Team wird die weitere Entwicklungsplanung und die Entwicklung besprochen. Während der Teambesprechung vertritt der Prozessbegleiter den Klienten. In der Begleitung Alltagsbegleiter/Klient hält sich dieser an die Entscheidungen, die im Team besprochen wurden. Der Alltagsbegleiter übergibt dem Team somit Verantwortung. Feedback: Wichtig: -Geben und Nehmen von Feedback durch Ich-Botschaften -genaues Zuhören auf Rückmeldung anderer. soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 5 von 7 Methode Willem Kleine Schaars Da Alltagsbegleiter und Prozessbegleiter eine gezielte Aufgabenbeschreibung haben, kann funktionell Feedback gegeben werden. Prozessbegleiter Feedback Alltagsbegleiter Prozessbegleiter und Alltagsbegleiter begleiten ständig Veränderungsprozesse des Klienten. Deshalb ist Feedback sehr wichtig. Entwicklungen des Klienten könnten sie ansonsten schnell stagnieren lassen. Feedback für Alltagsbegleiter. Häufige Rückmeldungen an den Alltagsbegleiter sind.: o dass sie Klienten zu wenig Zeit lassen, selbst Lösungen zu finden o oft stehen eigene Werte und Normen der Alltagsbegleiter im Mittelpunkt; dann muss der Prozessbegleiter dem Alltagsbegleiter Feedback geben. Feedback richtet sich auch darauf, dass Klienten deutlich Grenzen gesetzt werden müssen, um sie vor Überforderung zu schützen. Prozessbegleiter und Team prüfen so auf vielfältige Weise die Arbeit des Alltagsbegleiter. Feedback für Prozessbegleiter: Häufige Rückmeldungen an den Prozessbegleiter sind: o Eigene Werte und Normen stehen im Mittelpunkt und können nicht zurückgestellt werden. Dieses äußert sich darin, dass Klienten ihren Alltagsbegleiter mit Ansichten gegenübertreten, die sie von ihrem Prozessbegleiter übernommen haben. o Enthusiasmus und Empathie sind für den Klienten sehr wichtig, dürfen die Neutralität nicht außer Acht lassen. Dieses muss durch Feedback von Seiten des Alltagsbegleiters m Blick behalten werden, da die Klienten dem Prozessbegleiter in dieser Hinsicht kein Feedback geben. Feedback von Alltags- und Prozessbegleiter für das Team: Für das Team ist es oftmals schwierig, die Entwicklungsprozesse von Klienten, die sie nicht begleiten, den Alltags- und Prozessbegleitern zu überlassen. Dieses gilt besonders, wenn sie die Klienten nicht weiter verweisen. Da durch die Methode von Willem Kleine Schaars deutlich Rahmenbedingungen formuliert werden, wird es auch leichter, Teammitglieder gezielte Rückmeldung zu geben. soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 6 von 7 Methode Willem Kleine Schaars Gesprächsaufbau bei Einzelgesprächen: Gesprächsdauer: maximal 30 Minuten 1. Aufstellen der Besprechungspunkte Besprechungspunkte des Klienten; Besprechungspunkte des Begleiters (möchte ein Klient den Punkt nicht besprechen, muss dieser es respektieren.) (5 Minuten) 2. Besprechung dieser Punkte (20 Minuten) 3. Ausklang Wiederholen der Absprachen; Festlegung von Besprechungspunkten für das nächste Treffen. (5 Minuten) Merkpunkte: o Klient als erstes Punkte benennen lassen o Schaffen eines verlässlichen Rituals für Klienten mit niedrigen Entwicklungsniveau o Regelmäßig Gespräch zusammenfassenÜberprüfen ob sie einander verstanden haben o Raum ohne Störungen o Gespräch nicht länger als 30 Minuten o Aufbau eines regelmäßigen Gesprächsrythmusses (mindestens 1x die Woche) o Evt. Videoaufnahmen der Gespräche Prozessbegleitung und Alltagsbegleitung für Gruppen: Es ist günstig bei Gruppenbegleitung einen Alltagsbegleiter und zwei Prozessbegleiter einzusetzen. Bei Gruppengesprächen gibt es folgende Aufgabenverteilung: -ein Prozessbegleiter leitet das Gespräch -ein Prozessbegleiter unterstützt den Klienten in der Kommunikation Gesprächsdauer: Aufbau wie bei Einzelbegleitung soLe.pb-fan-1.2-01-05.02 Gültig ab 1.8.2006 Änderungsstand 0 Seite 7 von 7