Blumenberg · Heimes · Weitzman · Witt (Hg.) SUSPENSIONEN

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Blumenberg · Heimes · Weitzman · Witt (Hg.) SUSPENSIONEN
Blumenberg · Heimes · Weitzman · Witt (Hg.)
SUSPENSIONEN
Carolin Blumenberg · Alexandra Heimes
Erica Weitzman · Sophie Witt (Hg.)
SUSPENSIONEN
Über das Untote
Wilhelm Fink
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
Umschlagabbildung:
George Pfau, „Self-Replacing Body Trace (Froth)“ (2011)
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© 2015 Wilhelm Fink, Paderborn
(Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)
Internet: www.fink.de
Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München
Printed in Germany
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
ISBN 978-3-7705-5713-4
Inhalt
ANDREA ALLERKAMP
Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
CAROLIN BLUMENBERG, ALEXANDRA HEIMES,
ERICA WEITZMAN, SOPHIE WITT
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
POETIKEN DES UNTOTEN
ANSELM HAVERKAMP
Undone by Death. Umrisse einer Poetik nach Darwin . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
SOPHIE WITT
Response: Wüstes Zitieren und Geistern im Traditionsmüll:
Verlorenes Paradies, am Lesen (ge-)halten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
***
ERICA WEITZMAN
„Ich bin nicht krank, ich bin ja tot“: Robert Walsers kryogene Kunst . . . . . .
61
CAROLIN BOHN
Response: Der Stoff hat Methode. Schneewittchens gläserne Rettung . . . . . .
73
***
ELISABETH STROWICK
„Schatten eines Lebendigen“. Realitätseffekte des Untoten
bei Theodor Storm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
PABLO VALDIVIA OROZCO
Response: Nicht-Sichtbares sehen und Sichtbares nicht-sehen:
Einige Blicke auf Wirklichkeit(sbegriffe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
6
INHALT
INSZENIERUNGEN DES UNTOTEN
EVELYN ANNUSS
Theater of the Living Dead . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
MAXIMILIAN HAAS
Response: Zwei Arten von Zombies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
***
STEFANIE DIEKMANN
Fotografische Wiedergänger. Anmerkungen zur Geisterfotografie . . . . . . . . . 131
INGA SCHAUB
Response: Bühnen und Bilder, Szenen und Séancen:
Geisterfotografie als Theater der Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
EPISTEMOLOGIEN DES UNTOTEN
DIRK QUADFLIEG
Der Geist ist ein Ding. Hegel mit Hamlet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
KATRIN TRÜSTEDT
Response: Das Nach-Leben auf der Bühne des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
***
FELIX ENSSLIN
Sinnloses Denken: Das reale Unbewusste als Denken des Untoten? . . . . . . . 169
DIRK SETTON
Response: Hegels Phantasie und der wahre Horror:
Das Untote als Form der Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
***
CONSTANZE DEMUTH
Lebens-Gestalten. Unheimliche und gewöhnliche Beispiele
in der Philosophie der Alltagssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
INHALT
7
JULIAN DREWS
Response: Die Untoten trösten mit Unamuno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
POLITIKEN DES UNTOTEN
ALASTAIR HUNT
Tod durch Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
JOHN WOLFE ACKERMAN
Response: Deanimalisiertes Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
***
MARK POTOCNIK UND FRANK RUDA
Dawn of the Dead, Dawn of the Mad. Politik der Untoten . . . . . . . . . . . . . 233
VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
ANDREA ALLERKAMP
Vorwort
Der vorliegende Sammelband ist hervorgegangen aus einer Tagung, die unter dem
Titel „Yet removed from the living. Epistemologien des Untoten“ am 8. und 9. Juni
2012 am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin stattfand, veranstaltet vom Graduiertenkolleg „Lebensformen und Lebenswissen“ der Deutschen
Forschungsgemeinschaft. Als dessen gegenwärtige Sprecherin freue ich mich darüber, dass sich zu diesem Anlass StipendiatInnen aus drei Generationen, sowie aus
dem Vorgängerkolleg „Repräsentation – Rhetorik – Wissen“ hier versammelt
haben. Der Frage nach dem Verhältnis von Leben, Form und Wissen gehen die
Beiträge dieses Bandes auf vielfältige Weise nach – ausgehend vom Topos des Untoten, der zu allen drei Begriffen (Leben – Form – Wissen) in einem problematischen Verhältnis steht. Die „Epistemologien des Untoten“ haben es mit erkenntnistheoretischen Grenzziehungen, Grenzüberschreitungen und Aporien zu tun. Sie
entziehen sich den Prozeduren eines Entweder-Oder und verhandeln den Modus
einer Suspension. Das „yet“ weist auf ein Noch-nicht oder Nicht-mehr möglicher
Varianten vom Ab- und Aufbau des Lebens. Es zitiert aus Senecas Tragödie Ödipus,
die ihren nach Kolonos verbannten Helden sagen lässt: „Search out a way whereon
to wander, not mingling with the dead and yet removed from the living; die thou,
but reaching not thy sire.“1 So geht es auch hier darum, einen Weg jenseits des
Toten und des Lebendigen zu suchen und diese paradoxe Ortlosigkeit des Untoten
nach den Perspektiven zu befragen, die sie eröffnet.
Das Verhältnis des Lebens zu seinen Gegen- oder auch Komplementärbegriffen
ist in besonderer Weise kompliziert. Michel de Montaigne schreibt: „Oder falls ihr
es lieber so hören wollt: Nach dem Leben seid ihr Tote, solange ihr lebt, Sterbende.“2
Jener gewöhnlichen Ungeheuerlichkeit des Todes, der dem Leben nicht etwa als
Ausnahme, sondern als Gesetz innewohnt, begegnen die Essais mit einer unübertroffenen Gelassenheit: „Ich will, dass der Tod mich beim Kohlpflanzen antreffe,
aber derart, daß ich mich weder über ihn noch gar über meinen unfertigen Garten
gräme.“3 Das Sterben ist nur die letzte Aktualisierung eines immer wieder neu zu
erlernenden Todes. Epikur zitierend schreibt Montaigne: „Er [der Tod] betrifft
1 Seneca’s Tragedies, übers. v. Frank Justus Miller (Cambridge: Harvard University Press, 1927),
S. 535. Vgl. die deutsche Übersetzung: „[…] was dir nicht oft wider / fahren kann, widerfahre dir
auf lange Dauer; erkoren sei ein / langwährender Tod, gesucht ein Weg, auf dem du nicht mit /
den Begrabenen vereint, den Lebenden dennoch entzogen / irregehen sollst […].“ Seneca, Oedipus. Sämtliche Tragödien, Lateinisch und Deutsch, Bd. 2, übers. u. erläutert v. Theodor Thomann
(Zürich: Artemis, 1969), Verse 949-952, S. 97.
2 Michel de Montaigne, „Philosophieren heißt Sterben lernen“, in: Ders., Essais, übers. v. Hans
Stilett (München: dtv, 2011), 3 Bde., Bd. 1, S. 143.
3 Ebd., S. 137.
10
ANDREA ALLERKAMP
euch weder als Tote noch als Lebende: als Lebende nicht, weil ihr seid, als Tote
nicht, weil ihr nicht mehr seid.“4 Was es an Zeit durch den ausstehenden Tod verliert, gewinnt das Leben letztendlich an Tiefe und Fülle, so eine letzte Weisheit am
Ende der drei Bände: „Je kürzer ich das Leben noch besitze, desto tiefer und umfassender muß ich von ihm Besitz ergreifen.“5 Scheinbar sind Tod und Leben hier
in ihrer Entgegensetzung aufgerufen bzw. fungiert der Tod als reine Lebensgrenze,
im Angesicht derer das Leben sich intensiviert und überhaupt erst richtig lebendig
wird.
Wenn der Philosoph der abwägenden Essais empfiehlt, den Anblick des Todes
auszuhalten und ihn als Übung, exercitation, zu verstehen, so mag dies noch ganz
den antiken Lehren geschuldet sein. Montaigne aber erweitert das stoische Wissen
über die Todeserfahrung um das Moment der Unwissenheit, des Vergessens, der
Natur, „der Preisgabe ‚philosophischer‘ commentatio mortis.“6 Der antiken humanitas und dignitas zufolge zeichnet den Menschen das Vermögen aus, den Tod zu
antizipieren. Der Tod tritt in jedem Fall ein, auch wenn er vergessen wurde. Das
zeigt die Ruhe des Tieres, das um den Tod nicht weiß und doch zu ihm fähig ist. Es
hat den Tod noch vor sich, im Sinne der naturbezogenen Lebensstruktur aber
schon hinter sich. Das Vergessen des künftigen Todesaktes ist bei Montaigne immer
schon mitbedacht und mitvollzogen.
Wie also geht der Mensch, der doch alles wissen möchte, mit der Frage des ‚Lebens nach dem Tode‘ um? Eine der mysteriösesten Schriften Friedrich Wilhelm
Joseph von Schellings, das Fragment Clara. Über den Zusammenhang der Natur mit
der Geisterwelt, versucht darauf zu antworten. Mit ihrer Trauer um den Tod des
Bräutigams ist Clara ein Sinnbild für die monastische Verachtung alles Diesseitigen, Körperlichen, Natürlichen. Im Fragment fällt sie auf durch ihre Ähnlichkeit
zum Bruder des Toten, bezeugt durch ein Gemälde in der Ahnengalerie. Der Anblick dieser fernen Verwandtschaft lasse an Seelenwanderung glauben, kommentiert der Roman. Clara, die Hellsichtige, verkörpert Reinkarnation, ‚Wiederfleischwerdung‘ oder ‚Wiederverkörperung‘, auch Palingenese, das heißt die Vorstellung,
dass eine Seele sich nach dem Tod – der ‚Exkarnation‘ – erneut in anderen empfindenden Wesen manifestiert. Der Pfarrer, der das Gespräch führt, doziert über die
Fähigkeit einer „höchsten innern Klarheit“, über Menschen, die „sich bei völlig
erloschenen äußeren Sinnen […] wie todt verhalten.“7 Sie verfügten über einen
„Mittelzustand von Schlafen und Wachen“, der in „ganz neue Gesichtspunkte“
versetze, „in eine Art bilderlosen Anschauens, worin doch alles aufs genaueste unterschieden und durchaus ohne Verwirrung sey.“8
4 Ebd., S. 145. Vgl. Epikur, Brief an Menoikeus 125, in: Ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. und
übers. v. Christof Rapp (Stuttgart: Kröner, 2010), S. 4.
5 Montaigne, Essais III, S. 517.
6 Hugo Friedrich, Montaigne (Tübingen; Basel: Francke, 1949), S. 276.
7 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, „Ueber den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt. Ein Gespräch. Fragment. (Aus dem handschriftlichen Nachlaß)“, in: Ders., Sämtliche Werke,
hrsg. v. K.F.A. Schelling, Abt. I/9 (Stuttgart; Augsburg: Cottascher Verlag, 1856–1861), S. 65.
8 Ebd.
VORWORT
11
Wenn der Lebensbegriff in einer internen Relation sowohl zum Begriff des Wissens als auch des Todes steht, so schließt das die Aufforderung ein, den trügerischen
Bildern zu widerstehen. Aber welche Bilder sind die trügerischen? „Hier mußt du,
Leser, deine Augen schärfen (vero), / Weil jetzt der Schleier (velo) schon so fein
geworden, / Daß man gewiß ihn leicht durchdringen könnte.“9 Dantes Apostrophen stützen sich auf die Vorstellung einer traumverlorenen Jenseitsreise. Sie erzählen von Anstrengung und Vergnügen eines In-die-Luft-Sprechens. Vom Inferno
über das Purgatorio bis zum Paradiso sind die toten, körperlosen Seelen der Divina
Commedia auf Archivierung, Übertragung und Aktualisierung angewiesen, ermöglicht durch den Anruf eines Dichter-Boten. Doch wie verhält es sich genau mit
dem Moment der Anrufung?
Erleichtert die Nacht das Hellsehen und den spiritistischen Kontakt mit den
Toten, so zeigt ihre Finsternis Gottesferne an. Bis tief ins 19. Jahrhundert gehört
die Nacht den seelenlosen Geistern und Zauberwesen, die im Schutze der Dunkelheit ihr Unwesen treiben können: tote Bräute, Melusinen, Hexen, Vampire, Werwölfe, Geisterseher, Totengräber, Gespenster. Am Anfang der Nachtwachen des Bonaventura hüllt sich der Wächter Kreuzgang in seine abenteuerliche Vermummung,
um in die Dunkelheit hinauszugehen und die Stunde abzurufen – jedoch erst,
nachdem er sich durch ein Kreuz gegen die bösen Geister geschützt hat: „Es war
eine von jenen unheimlichen Nächten, wo Licht und Finsterniß schnell und seltsam mit einander abwechselten.“10 Der Kampf zwischen Tag und Nacht gerät zum
Kampf zwischen Gut und Böse in der Nacht. Das beschwört die wildesten Phantasien und Experimente. Umso mehr wenn der Ausruf in die Dunkelheit von Bildern
in Töne übertragen wird: „Den Sterbenden ist die Musik verschwistert, sie ist der
erste süße Laut vom fernen Jenseits.“11 Mit seiner Promenade durch das Kunstwerk seines verstorbenen Freundes Hartmann errichtet Mussorgsky in Bilder einer
Ausstellung ein musikalisches Denkmal. Das achte Bild zeigt Hartmann selbst, wie
er die Katakomben von Paris beim Licht einer Laterne untersucht. Vor dem zweiten Teil der Promenade, betitelt mit con mortuis in lingua mortua, notiert Mussorgsky im Autograph: „Der lateinische Text lautet: mit den Toten in einer toten
Sprache. Was besagt schon der lateinische Text? – Der schöpferische Geist des verstorbenen Hartmann führt mich zu den Schädeln und ruft sie an; die Schädel
leuchten sanft auf.“12 Als Heterotopie öffnet die ins nächtliche Dunkel getauchte
Welt den Freiraum für ein anderes Denken. Vorstellungen von Metempsychose,
Transmigration, Seelenwanderung oder Wiedergeburt legen den Grundstein für
epistemologische Graduierungen von Licht und Schatten, Ur- und Abbild, Verblendung und Aufklärung, Ähnlichkeit und Differenz, Zeugung und Tilgung.
9 Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, Italienisch und Deutsch, Bd. II: Purgatorio, hrsg. v. Hermann Gmelin (München: dtv, 1988), S. 93, VIII, 19-21.
10 August Klingemann, Nachtwachen von Bonaventura, hrsg. v. Jost Schillemeit (Göttingen: Wallstein, 2012), S. 9.
11 Ebd., S. 13.
12 Modest Petrovitch Mussorgskij, Bilder einer Ausstellung, nach dem Autograph hrsg. v. Petra Weber-Bockholdt, Fingersatz von Klaus Schilde (München: Henle, 1992), Satz VIII.
12
ANDREA ALLERKAMP
Figuren des Untoten sind Wiedergänger. Das macht sie zu einer Scharnierstelle
für Fragen der Re-Präsentation, der Vergegenwärtigung. Was hier wiederkehrt, ist
unser eigener Blick. Was wir sehen, blickt uns aus der Tiefe einer Zeit an, die sich
längst überlebt hat. Untote sind Verbildlichungen einer definitiv anachronistischen
Vergangenheit. Als solche haben sie „etwas mit dem Unmöglichen, dem Undenkbaren zu tun“.13 Das birgt ein Versprechen in sich: Wenn sich das Wissen vom
Sehen löst, verändert sich der Blick auf eine radikal offene Kunst. Macht das die
Untoten so anziehend? Dem vorliegendem Band geht es um ihre Konjunkturen:
spektrale Ökonomien, geisterhafte Dinge, Schatten-Effekte des Realen, monströse
Körper, Denkfiguren des Unheimlichen, wiederkehrende Bild-Tote, De-Animierungen, Grenzziehungen der Vernunft. Seine weit gestreuten und dichten Beiträge
zeugen dabei – sehr lebendig – von der Kontinuität einer Kollegstradition.
13 Georges Didi-Huberman, Vor einem Bild (München: Hanser, 2000), S. 46f.
CAROLIN BLUMENBERG, ALEXANDRA HEIMES,
ERICA WEITZMAN, SOPHIE WITT
Einleitung
Dass die Moderne sich einer Episteme des Lebens verschrieben hat, ist eine These,
in der ein Großteil zeitgenössischer Theorien übereinkommen. Das Leben als Kollektivsingular, wie er uns heute geläufig ist, geht aus der sich formierenden modernen Wissensordnung hervor und wirkt seinerseits auf diese zurück. Gleichermaßen
allerdings suchen seit der Aufklärung Figuren des Untoten in Philosophie, Wissenschaft und Kunst die moderne Lebensemphase und deren Wissensordnung heim
– seien es Vampire, Wiedergänger, Gespenster, oder, insbesondere in jüngerer Zeit,
Zombies. Wenngleich es unbestreitbar auch der Vormoderne nicht an Gespenstern, Mumien, lebend-toten Jungfrauen und anderen Untoten-Figuren gemangelt
hat, erscheint es doch voreilig, das Untote in der Moderne einfach als ein beharrliches Relikt jener vormodernen Gestalten zu begreifen. Vielmehr gilt das leitende
Interesse dieses Bandes den genuin modernen Erscheinungsweisen des Untoten
sowie den sich durch sie stellenden theoretischen Herausforderungen und systematischen Provokationen.
Lange Zeit vor allem popkulturelles Einzugsgebiet und bis heute eher Sujet des
Horror- und Science-Fiction-Genres, sind die verschiedenen Erscheinungsformen
des Untoten seit einigen Jahren zunehmend auch von der wissenschaftlichen Forschung entdeckt worden.1 Das wachsende Interesse spiegelt sich im Befund einer
aktuellen „Zombie Renaissance“2 sowie in einer Vielzahl von Büchern, Filmen
und TV-Serien, Ausstellungen und Symposien.3 Die Untoten werden dabei nicht
selten als Symptom oder Metapher posthumaner und posthistorischer Zeitdiagnostik gehandelt, als eine Art Zerrspiegel, in dem wir uns selbst wiedererkennen
1 Vgl. u.a. Julia Bertschick; Christa A. Tuczay (Hrsg.), Poetische Wiedergänger. Deutschsprachige
Vampirismus-Diskurse vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Tübingen: Francke, 2005); Moritz Baßler; Bettina Gruber; Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsg.), Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005); Michael Fürst; Florian Krautkrämer; Serjoscha Wiemer (Hrsg.), Untot. Zombie Film Theorie (München: Belleville, 2010); Christine Göttler; Wolfgang Neuber (Hrsg.), Spirits Unseen. The Representation of Subtle Bodies in Early Modern
European Culture (Leiden; Boston: Brill, 2008).
2 Vgl. Mark McGurl, „Zombie Renaissance“, in: n+1 9 (Frühling 2010), http://nplusonemag.
com/issue-9/reviews/the-zombie-renaissance (Zugriff am 10. Juli 2014).
3 Z.B. die Ausstellung zwischen zwei toden/between two deaths, die von Felix Ensslin und Ellen Blumenstein 2007 im ZKM Karlsruhe organisiert wurde. Begleitend dazu ist der Katalog between
two deaths (Ostfildern: Hatje Cantz, 2007), herausgegeben von den beiden Kuratoren, erschienen. Vgl. außerdem „Die Untoten. Life Sciences & Pulp Fiction“. Ein Projekt der Kulturstiftung
des Bundes in Kooperation mit Kampnagel Hamburg und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Kongress und Inszenierung: 12.–14. Mai 2011, Kampnagel Hamburg.
14
BLUMENBERG, HEIMES, WEITZMAN, WITT
können.4 Doch mit den Untoten, so die Hypothese des vorliegenden Bandes, steht
mehr auf dem Spiel als nur ein popkulturelles Nischenphänomen und mehr auch
als eine auf die Gegenwart bezogene Diagnose gesellschaftlicher, politisch-ökonomischer Krisen. Es drängt sich zudem die Frage auf, ob nicht bereits die modernen
Diskurse über das Leben und das Erscheinen seines unheimlichen Gegenspielers,
des Untoten, weit enger und grundsätzlicher aufeinander bezogen sind, als es zunächst den Anschein haben mag. Diese Frage zielt auf das Verhältnis von Realitäts-,
Wissens- und Darstellungsbegriffen, als deren Herausforderung das Untote in Erscheinung tritt. Der Band folgt dieser Frage nicht entlang der Diskurse in den
Naturwissenschaften und den sogenannten Life Sciences – die zweifellos an der aktuellen Konjunktur des Untoten einen bedeutenden Anteil haben5 –, sondern stellt
ästhetische, literarische, medientheoretische, politische und philosophische Ansätze in den Vordergrund.
Suspensionen
Seinem Begriff nach unterhält das Untote eine strukturelle Verwandtschaft zu
Freuds Begriff des Unheimlichen: Dieser bezeichnet nicht einfach das Gegenteil
des Vertrauten und ‚Heimlichen‘ (im Doppelsinn von ‚zum Heim gehörig‘ und
‚versteckt, verborgen‘), sondern er lässt die Opposition als solche fragwürdig werden. Durch das Unheimliche wird das Heimlich-Vertraute an einen Punkt geführt,
an dem es mit seiner Negation in eins fällt: „Also heimlich ist ein Wort, das seine
Bedeutung nach einer bestimmten Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit
seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art
von heimlich.“6 An die Stelle eines Gegensatzes tritt hier eine unauflösbare Ambivalenz, die die Grenze zwischen beiden Bereichen und damit ihre Unterscheidbarkeit selbst unterläuft. Bereits Freud nennt untote Phänomene als Beispiele dieser
eigentümlichen Struktur, so etwa Wesen im Zwielicht von lebloser Materie und
Beseelung oder aus dem Jenseits zurückkehrende Tote.7 Es ist jene unentscheidbare Zweideutigkeit – und nicht lediglich eine morbide Verschleifung der Grenze
zwischen Leben und Tod –, die die Untoten erst zu dem macht, was sie sind bzw.
konstitutiv nicht ‚sind‘: Gespenster, Wiedergänger oder Zombies treten als Zwischenwesen in Erscheinung, als unmögliche Existenzen, die der diesseitigen Welt
4 Vgl. Markus Metz; Georg Seeßlen, Wir Untote! Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und
andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction (Berlin: Matthes & Seitz,
2012), sowie Christopher M. Moreman; Cory James Rushton (Hrsg.), Zombies Are Us: Essays on
the Humanity of the Walking Dead (Jefferson; London: McFarland & Co., 2011).
5 Vgl. etwa die Debatten um transhumane Biotechnologie, „Neuro-Enhancement“ usw. Dazu:
Petra Gehring, Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens (Frankfurt a. M.; New
York: Campus, 2006).
6 Sigmund Freud, „Das Unheimliche“, in: Ders., Gesammelte Werke, Bd. XII (London: Imago,
1947), S. 229-268, hier S. 237.
7 Ebd., S. 247.
EINLEITUNG
15
nicht angehören und doch gerade hier, als Ausgeschlossene, auf unheimliche Weise
heimisch sind. Mit dem Präfix ‚un-‘ ist daher weniger eine Negation, als vielmehr
eine – undialektische – Negation der Negation markiert, eine paradox verfasste
Positivität:8 Die Untoten sind weder nicht-tot, also lebendig, noch auch tot.
Indem diese Alternative hinfällig wird, drängt ein nicht dialektisierbarer Rest ins
Dasein, der sich weder auf die Höhe des Begriffs bringen, noch auch der Welt der
Lebenden assimilieren lässt, in die die Untoten so insistent zurückkehren. Ihre
Botschaft, wenn man so will, ist die Suspension der dialektischen Dynamik, die
gemeinhin die Relation des Lebens zum Tod bestimmt. Nicht sterben zu müssen,
mag ein Privileg der Götter sein; nicht sterben zu können hingegen, wird in der
Regel als Fluch der sogenannten Normalsterblichen betrachtet, deren Welt dabei
ist, aus den Fugen zu geraten. Denn wo die lebenden Toten aufwarten, rühren sie
nicht an eine beliebige Kategorie moderner Welt- und Ordnungsbegriffe. Mit
ihnen droht eine Suspension der symbolischen Ordnung der Dinge überhaupt,
eine Ent-Schöpfung der diesseitigen Welt, die als „untote Irrealität“ zum Schauplatz einer „Gefallenheit anderer, unerlösbarer Art“ wird.9 Mit dem Übergreifen
des Todes auf das Leben geschieht eine „Aufhebung alles dessen, was sich auf Umbildung, auf den Zyklus von Werden und Vergehen, ja sogar auf Geschichte bezieht, und führt uns auf eine Ebene, die viel radikaler ist“.10
Die splatterartige Ästhetik von Zombiefilmen – als derzeit vielleicht prominentestem Schauplatz des Untoten – scheint dem zunächst zu widersprechen. Die
Zombies, zumeist selbst schon halb verwest und auf der Suche nach mehr Menschenfleisch, tragen für gewöhnlich eine versehrte und zugleich gierige Körperlichkeit zur Schau, die scheinbar auf bloße Naturhaftigkeit reduziert ist. Erschreckend
an Zombies und anderen Untoten ist jedoch weniger ein ‚Mangel‘ – sei es an Geist
oder guten Manieren –, als eine ganz und gar unnatürliche Maßlosigkeit, eine „unheimliche Art von Mehrbelebung“11. Das Untote ist vor allem ein Phänomen des
Exzesses, des ‚Zuviel‘ an Leben in einem Körper, der biologischen Kriterien spottet.
Nicht, dass das individuelle Leben endlich ist und den Weg allen Fleisches geht, ist
der phantasmatische Schrecken, den die Untoten verbreiten, sondern dass es diesen
Weg auch nicht gehen könnte: Dass das Leben, als bereits gestorbenes, weitergeht;
seine entgrenzende, denaturalisierende und zugleich desubjektivierende Insistenz
über den Tod hinaus.
Unheimlich sind die Untoten auch deshalb, weil sie Wiederkehrende sind. Sie
haben den Tod bereits hinter sich und sind gleichwohl außerstande, die Welt der
8 Zu dieser Struktur einer „negativity that fails“ vgl. Mladen Dolar, „Hegel and Freud“, in: e-flux
journal 34 (April 2012), S. 1-14, bes. S. 9ff. Siehe außerdem: Dirk Quadflieg, „Der Geist ist ein
Ding. Hegel mit Hamlet“, in diesem Band, S. 152ff.
9 Anselm Haverkamp, „Undone by Death. Umrisse einer Poetik nach Darwin“, in diesem Band,
S. 45 u. S. 37.
10 Jacques Lacan, Seminar VII. Die Ethik der Psychoanalyse, hrsg. u. übers. v. Nobert Haas; Hans-Joachim Metzger (Weinheim; Berlin: Quadriga, 1986), S. 341.
11 Eric Santner, Zur Psychotheologie des Alltagslebens. Betrachtungen zu Freud und Rosenzweig (Zürich:
Diaphanes, 2010), S. 32.
16
BLUMENBERG, HEIMES, WEITZMAN, WITT
Lebenden zu verlassen. Als Nicht-sterben-Könnende suchen sie die Realität endlicher Wesen heim, aus der sie jedoch ebenso ausgeschlossen sind wie aus dem Reich
der Toten. Sie persistieren innerhalb der Welt als etwas, das dieser ganz und gar
fremd ist und sie zugleich im innersten Kern trifft. Diese „intime Exteriorität“12
macht sich in der notorischen Wiederkehr der Untoten geltend. Ins Leben kehrt
man entsprechend nicht als derselbe zurück, als der man es verlassen hat. In der
Struktur der Wiederkehr liegt eine Zäsur, die das Wiederkehrende von dem trennt,
was es im Leben – und als Lebendiges – einmal war, während es zugleich eine unheimliche Ähnlichkeit zu diesem vormaligen Dasein aufrechterhält.13 Untote
haben, qua Rückkehr, eine Transformation durchlaufen, die das unwiderruflich
Vergangene nur noch schemenhaft (und im Zweifelsfall eher zur Parodie denn zur
Melancholie neigend) mit sich führt; dies gilt für den alten Hamlet nicht weniger
als für die Zombies der Spätmoderne.14 In gewisser Weise also handelt es sich hier
um die „Wiederkehr dessen, was nicht zurückkommt“15. Mit diesem Paradox beschreibt Maurice Blanchot das befremdliche Eigenleben, das vertraute Personen
oder auch Dinge dann annehmen, wenn sie allein noch in schattenhaften Darstellungen, als Nachbilder ihrer selbst, auftreten. Sie erscheinen in einer Art QuasiVerlebendigung, die sich aus der impliziten Zäsur des ‚Nach‘ speist: „‚Nach‘ bedeutet, dass das Ding“ – oder das lebendige Wesen – „sich zunächst entfernen muss,
um sich wieder erfassen zu lassen. Doch dieses Entfernen ist nicht der einfache
Ortswechsel eines Möbels, das dabei das Gleiche bliebe. Die Entfernung geschieht
hier inmitten der Dinge.“16 Das Dasein nach dem Tod, so ließe sich anschließen,
impliziert stets auch eine (quasi-)räumliche Bestimmung, eine Dislozierung, welche die Untoten von sich selbst trennt und nicht zur Ruhe kommen lässt. Ihr
Wiedereintreten in die Wirklichkeit der Lebenden ist eine Heimsuchung im doppelten Wortsinn, denn die Untoten finden in dieser Welt keinen Platz, gleichwohl
sie, in genau diesem ortlosen Umherirren, Statt-haben und so die vorhandene Ordnung der Dinge zersetzen.
12 Lacan, Seminar VII, S. 171. Lacan bezeichnet diese Struktur mit dem Neologismus der „extimité“, der sich als Fortschreibung des Freud’schen Unheimlichen begreifen lässt. Vgl. dazu Anneleen Masschelein, The Unconcept: The Freudian Uncanny in Late Twentieth Century Theory (Albany: SUNY Press, 2011), S. 58f.
13 Der Effekt des Unheimlichen, so Freud, stellt sich ein, wenn „das Leblose die Ähnlichkeit mit
dem Lebenden zu weit treibt“. Vgl. Freud, „Das Unheimliche“, S. 245.
14 Vgl. George Romeros Zombie-Trilogie: Die wiederkehrenden Toten „preserve the marks of social
function and self-projection in the clothes they wear, which identify them as businessman, housewife, nun, Hare Krishna disciple, and so on. But this becomes one of the films’ running jokes:
despite such signs of difference, they all act in exactly the same way. The zombies are devoid of
personality, yet they continue to allude to personal identity. They are driven by a sort of vestigial
memory, but one that has become impersonal and indefinite, a vague solicitation to aimless movement.“ Steven Shaviro, „Contagious Allegories: George Romero“, in: Ders., The Cinematic
Body, 5. Aufl. (London; Minneapolis: University of Minnesota Press, 2006), S. 82-104, hier
S. 84f.
15 Maurice Blanchot, „Die zwei Fassungen des Bildlichen“, in: Thomas Macho; Kristin Marek
(Hrsg.), Die neue Sichtbarkeit des Todes (München: Fink, 2007), S. 25-40, hier S. 27.
16 Ebd., S. 26.
EINLEITUNG
17
Epistemologische Abgründe
Im Lichte des Untoten scheint das Leben selbst unheimliche Züge anzunehmen
und zu einem Phänomen zu werden, dem die untoten Abgründe latent innewohnen.17 Sie erweisen sich nicht zuletzt als epistemologische Abgründe und gehen mit
einer Verunsicherung des Lebensbegriffs einher, dem eine konstitutive Unbestimmtheit zu eignen scheint,18 die Anschauung und Begriff, Besonderes und Allgemeines in ein prekäres Verhältnis treten lässt.
Diese Verunsicherung ist mit der Aufklärung und ihrer Aufwertung der Wirklichkeit der Erscheinungen eng verbunden. So hat Kant einen Begriff des Lebens,
der objektiven Realität und des Wissens auszumessen versucht, in denen sich jeweils ein unaufhebbares Nicht-Wissen einträgt. Zwischen dem Ding ‚an sich‘ und
seiner Erscheinung bzw. Erkenntnis tut sich eine tiefe, „unübersehbare Kluft“19
auf, eine unüberbrückbare „Lücke unseres Wissens“20. Nach Kant wird dieser Abgrund durch eine epistemologische Grenzziehung offengehalten, die zugleich mit
der Lebensgrenze korreliert – einer ebenso unerbittlichen wie undenkbaren Grenze,
da ihr Jenseits (ein ‚Dahinter‘, das im Bild der Grenze angelegt ist) sich der Erfahrung und dem Wissen entzieht. Alle Wesen, die sie vermeintlich transzendieren
(wie Gott, die Engel, die Seelen oder die Totengeister) werden hierbei auf den
„leeren Platz“21 des Nicht-Wissbaren und Nicht-Erfahrbaren (sondern rein Intelligiblen und Transzendenten) verbannt. Geister-Erscheinungen gehören demnach in
den Bereich des Fantastischen, der Übertragung oder des Wahns, der täuschenden
Verwechslung von Innen und Außen, Einbildung und objektiver Realität. Nicht
zufällig hat Kant die „Marksteine“ jener kritischen Grenze bereits in seinem Aufsatz über die Träume eines Geistersehers (1766) gelegt.22 Auch Hume, dem Kant
hierin folgt, verhandelt seine zentrale erkenntnistheoretische Unterscheidung zwi17 Vgl. dazu Jacques Derrida: „Warum soll ausgerechnet die Frage des Lebens ‚abgründig‘ sein? […]
Wozu diese Frage? Läuft sie nicht auf die ungedachte Nicht-Identität des Begriffs oder des Seins
namens ‚Leben‘ mit sich hinaus? Auf die wesenhafte Dunkelheit, sowohl für die Wissenschaft als
auch für die Philosophie, dessen, was man Leben nennt? […] Um Zugang zur Möglichkeit dieser
Alternative selbst (das Leben und/oder der Tod) zu gewinnen, richten wir unsere Aufmerksamkeit
auf die Wirkungen und Erheischungen eines Über-Lebens oder einer Wiederkehr von Totem
(weder Leben noch Tod), von denen ausgehend man einzig von ‚lebendiger Subjektivität‘ (im
Gegensatz zu ihrem Tod) sprechen kann […].“ Jacques Derrida, Marx’ Gespenster. Der Staat der
Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, übers. v. Susanne Lüdemann, 4. Aufl. (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2014), S. 153f., Anm. 11.
18 Vgl. Georg Toepfer, „Der Begriff des Lebens“, in: Ders.; Ulrich Krohs (Hrsg.), Philosophie der
Biologie. Eine Einführung (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005), S. 157-174, hier S. 171: „Denn
‚Leben‘ transportiert eine grundsätzliche Opposition zu jedem Festgelegten und Begrifflichen; in
seinem impliziten Bezug auf das Unbestimmte, nicht Verfügbare bildet es einen Grenzbegriff des
Denkens.“
19 Immanuel Kant, Kritik der Urtheilskraft, in: Kants Werke, Bd. V, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Berlin: de Gruyter, 1968), XIX, S. 175.
20 Kant, Kritik der reinen Vernunft, in: Kants Werke, Bd. IV, A 393, S. 245.
21 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in: Kants Werke, Bd. V, S. 49.
22 Vgl. Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, in: Kants Werke,
Bd. II, S. 315-373, hier S. 369f.
18
BLUMENBERG, HEIMES, WEITZMAN, WITT
schen dem Unwahrscheinlichen und dem ganz und gar Unglaubwürdigen im Rahmen eines Gedankenexperiments, das von der behaupteten Wiederauferstehung
einer Toten aus dem Grabe handelt.23 Das Gedankenexperiment endet mit dem
Appell, eine Wundergeschichte dieser Art „nicht nur zu verwerfen, sondern dies
sogar ohne weitere Prüfung zu tun.“24 Paradoxerweise gibt erst diese Verwerfung
den Blick auf den der objektiven Realität immanenten Abgrund frei: einen Mangel
an Präsenz am Grunde der Erfahrung, eine transzendentale Wissenslücke, welche
die Forschung in eine unendliche Bewegung des Fortschreitens treibt. In dieser
Hinsicht haben die Untoten den eigentümlichen Effekt, dass sie jene Lücke zu
schließen drohen, die sie in ihrer Verbannung markieren und offen halten.
Die aufklärerische Exklusion der Untoten aus der objektiven Realität, die den
Terror des Spuks beenden soll, bringt die untoten Phänomene aber nicht zum Verschwinden, da sie sich im Reich der Kunst und des Fantastischen desto ungestörter
vermehren können. In gewisser Weise stellt sich die Frage, ob ihre Exklusion die
Untoten als Untote überhaupt erst hervorbringt: Kehrt das ausgeschlossene Transzendente in innerweltlicher Immanenz als Untotes wieder?25 Es erscheint verwirrend unklar, ob die Untoten den sie ausschließenden Binarismus infrage stellen
oder ob sie sein Effekt, ja, vielleicht sogar sein konstituierendes Moment sind.26
Für jene Ambiguität spricht auch, dass im Zuge der strengen Unterscheidung zwischen dem Anorganischen und dem Organischen, durch welche sich die Biologie
im 19. Jahrhundert als Wissenschaft sui generis begründet, zunehmend Grenzphänomene des Untoten bzw. „Formen uneindeutiger Lebendigkeit“27 in Erscheinung
getreten sind. Das Untote macht aus der Grenze zwischen Leben und Tod sowie
zwischen Organischem und Anorganischem eine Zone der Unentscheidbarkeit
und zugleich der notwendigen Entscheidung.
23 Vgl. David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, übers. v. Raoul Richter
(Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007), S. 163ff. Die zurückgewiesene Wiederauferstehung markiert
hier den Ausfall der heilsgeschichtlichen Narration bzw. deren Persiflage und Kritik.
24 Ebd., S. 165.
25 In dieser Perspektive ließe erst der Bruch mit einer vormodernen Transzendenz jene – epistemologisch wie ontologisch zwielichtige – Dimension entstehen, in der die modernen Untoten ihr Unwesen treiben. Vgl. Mladen Dolar, „‚I Shall Be with You on Your Wedding-Night‘: Lacan and the
Uncanny“, in: October 58 (Herbst 1991), S. 5-23.
26 Diese Doppelbewegung zeigt auch die Diskussion um die spätmodernen „philosophical zombies“, die sowohl eingesetzt werden, um den Mind/Body-Dualismus zu verteidigen, als auch, um
ihn zu kritisieren. Vgl. etwa David Chalmers, The Conscious Mind. In Search of a Fundamental
Theory (New York; Oxford: Oxford University Press, 1996); Robert Kirk, Zombies and Consciousness (Oxford: Clarendon Press, 2005).
27 Peter Geimer, „Einleitung“, in: Ders. (Hrsg), UnTot. Existenzen zwischen Leben und Leblosigkeit
(Berlin: Kadmos, 2008), S. 7-10, hier S. 7. Vgl. ebd.: „Spätestens seit dem 19. Jahrhundert gerät
das Leben gerade auch in seinen Randzonen und Überschneidungen mit dem Leblosen sowie in
der Durchdringung von Organischem und Anorganischem, Lebendigem und Dinglichem in den
Blick: Mediziner untersuchen den Scheintod, Biologen beobachten Leben außerhalb des Organismus, man versucht, das Leben künstlich zu verlängern oder es dort, wo es verschwunden ist,
künstlich wieder hervorzubringen.“
EINLEITUNG
19
Das Unheimliche des Untoten ist insofern mit seiner Verbannung keineswegs
gebannt. Dies liegt nicht zuletzt an jenem (nicht zu schließenden) immanenten
Abgrund, der sich dadurch auftut, dass das erkennende, menschliche Subjekt in
der Erfahrungsrealität als deren Erkenntnisbedingung wiederkehrt, so dass eine
simple Subjekt-Objekt-Dichotomie kollabiert. Diese Involviertheit des Erkennenden entfaltet sich im Wirken der unheimlichen Macht der Einbildungs- und
Urteilskraft,28 in der transzendierenden Bewegung menschlicher Vermögen, die in
den Erscheinungen verborgen wiederkehrt und in einem verstörenden Exzess des
experimentellen Verfahrens zutage tritt. Auf diese Weise verkompliziert sich die
Frage nach dem Untoten. Sie richtet sich nicht nur auf bestimmte Figuren, sondern auch auf die Logik der Verfahren und Vermögen, die der Figuration zugrunde
liegen. Wenn die entwicklungslose Wiederholung, die die Untoten vorführen oder
in Gang setzen, die Dialektik im Sinne eines Entwicklungsprozesses suspendiert, so
stellen die Untoten paradoxerweise zugleich die stillgestellte Formel der Dialektik
selbst dar: Denn sie imaginieren einen Zustand der „Identität des radikal NichtIdentischen“29, ein Zugleich des einander Ausschließenden, das andererseits kein
Zugleich ist. In diesem Sinne könnte man sie sowohl als Aufhebung als auch als
Inbegriff der dialektischen Formel „La vie, c’est la mort“30 betrachten, mit der
Claude Bernard die im Verlauf des 19. Jahrhunderts sich durchsetzende Auffassung
auf den Punkt bringt, dass der Tod nicht nur das Andere des Lebens ist, sondern
dass das Leben die Sterblichkeit bereits in sich trägt.31 Ein solcher Lebensbegriff
bezieht sich nicht länger auf ein unsichtbares Pneuma oder auf ein ewiges Leben,
sondern auf die Pluralität der verschiedenen Lebewesen. Dabei tritt nicht nur die
unerschöpfliche Vielfalt und Geschichtlichkeit der Lebensformen in den Blick.
Das Lebende erscheint in seinen ursprünglichsten Formen als eine „Verdopplungsmaschine“32 und Geburt und Tod der Individuen als „die Lösung, die die Evolution wählte, um die geschlechtliche Fortpflanzung zu begleiten.“33 In dieser Hinsicht dient die Fortpflanzung nicht, wie anzunehmen naheläge, der Überlistung des
Todes, sondern umgekehrt: Der Tod dient der Fortpflanzung und d.h. der Gattung
in ihrer pluralistischen Verfassung. Der Tod erscheint untrennbar mit der Gattungslogik verbunden, das Leben hingegen mit Individuation – doch zugleich trägt
das Leben die Gegenbewegung seiner Selbstzerstörung bereits in sich: „Leben ist
28 Vgl. Constanze Demuth, „Lebensgestalten. Unheimliche und gewöhnliche Beispiele in der Philosophie der Alltagssprache“, in diesem Band, S. 199; sowie Dirk Setton, „Hegels Phantasie und
der wahre Horror: Das Untote als Form der Einbildungskraft“, in diesem Band, S. 188ff.
29 Metz; Seeßlen, Wir Untote!, S. 24.
30 Claude Bernard, Leçons sur les phénomènes de la vie (Paris: Baillière, 1878), S. 41.
31 Der Tod ist danach eine im genetischen Programm „ex ovo vorgeschriebene Notwendigkeit“:
François Jacob, Die Logik des Lebendigen. Von der Urzeugung zum genetischen Code (Frankfurt a.
M.: Fischer, 1972), S. 329.
32 Michel Foucault, „Wachsen und Vermehren“, in: Ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits.
Bd. 2: 1970-1975, hrsg. v. Daniel Defert; François Ewald (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2002),
S. 123-128, hier S. 125: „Im Verlauf der Evolution war das Lebende eine Verdopplungsmaschine,
bevor es individueller Organismus wurde.“
33 Ebd.
20
BLUMENBERG, HEIMES, WEITZMAN, WITT
Reproduktion und Zerstörung zu gleicher Zeit; es ist also zugleich mit der Tendenz
seines Gegenteils.“34
Eine entscheidende Pointierung erfährt die moderne Inklusion des Todes in das
Leben durch den Gedanken des „Todestriebs“, den Sigmund Freud 1919/20, etwa
zeitgleich zu seinem Text über das Unheimliche, formuliert.35 Der Tod, so behauptet Freud, sei das „Ziel alles Lebens“36 – denn der Todestrieb bezeichne jene Tendenz, die alle Lebewesen und mit ihnen „alle Umwege der Entwicklung“37 zurück
zu einem anorganischen Ausgangszustand streben lasse. Wie Hans Blumenberg
feststellt, lässt sich diese Konzeption als eine modernisierte, mit dem zweiten
Hauptsatz der Thermodynamik verzahnte Erzählung von mythischer Zirkularität
lesen. Unter der Dominanz des Todestriebs und seiner zwanghaften Wiederholungsstruktur, so Blumenbergs Kritik, verblasst das individuelle Leben zur belanglosen Episode, die sich vor allem durch ihre Umständlichkeit auszeichnet: Das
Leben wird herabgesetzt auf die „Redundanz des Umwegs vom Noch-nicht zum
Nicht-mehr“, während der Todestrieb als „der Inbegriff aller Schwierigkeiten“ erscheint, „das Nicht-mehr noch nicht zu sein“.38 In Lacans Relektüre von Freuds
Text hingegen erhält diese Denkfigur eine grundlegend andere Wendung.39 Demnach zielt der Todestrieb – anders, als der Begriff suggerieren mag – nicht auf den
biologischen Tod und insofern auf keinerlei Telos. Nicht nur ist er nicht auf den
Tod gerichtet, er setzt diesen gewissermaßen außer Kraft, denn er „impliziert […],
daß der Tod nicht die Grenze ist“.40 Ebenso wenig wie den Tod will der Todestrieb
das Leben; er verhält sich zu beiden indifferent und wird so als Instanz eines ateleologischen, untoten Eigensinns beschreibbar, der sich in bloßer Wiederholung gefällt und (wie der Geist Hamlets „eine Erinnerung ohne Wissen ins Werk“41 setzend) die Geschichte vor sich her treibt.
34 Ferdinand Tönnies, „Philosophische Terminologie in psychologisch-soziologischer Ansicht“, in:
Ders., Gesamtausgabe (Berlin: de Gruyter, 2009), S. 206.
35 Sigmund Freud, „Jenseits des Lustprinzips“, in: Ders., Gesammelte Werke, Bd. XIII (London:
Imago, 1940), S. 3-69.
36 Ebd., S. 38.
37 Ebd.
38 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006), S. 105.
39 Vgl. Jacques Lacan, Das Seminar von Jacques Lacan. Buch II: Das Ich in der Theorie Freuds und in
der Technik der Psychoanalyse, übers. v. Hans-Joachim Metzger (Olten; Freiburg i. Br.: WalterVerlag, 1980), bes. S. 81ff.
40 Alenka Zupančič, Das Reale einer Illusion. Kant und Lacan, übers. v. Reiner Ansén (Frankfurt a.
M.: Suhrkamp, 2001), S. 13.
41 Quadflieg, „Der Geist ist ein Ding“, S. 160. „In einer solchen Trennung von Erinnerung und
Wissen […] kehrt etwas aus der Vorgeschichte zurück und rächt sich, das sich nicht in der Arbeit
des Gedächtnisses aneignen […] lässt“ und das „die Geschichte unkontrolliert vor sich her und
umtreibt“. Ebd.
EINLEITUNG
21
Untotes Erscheinen
Nicht nur die neu entstehende Disziplin der Biologie, auch die sich formierende
Ästhetik bedient sich zwischen 1750 und 1800 mit großer Emphase des Lebensbegriffs. Der Lebensbegriff, wie er sich im 18. Jahrhundert herausbildet, ist demnach
immer auch ein Darstellungsbegriff. Er bezeichnet das Problemfeld ästhetischer
Lebendigkeit,42 das mit der Frage nach den Verfahren der Vergegenwärtigung eine
der Grundfiguren der Medialität aufruft und noch die aktuelleren Debatten um die
Verfahren und Funktionen des Medialen prägt. Auch wenn biologischer und ästhetischer Lebensbegriff im 18. Jahrhundert nicht zur Deckung zu bringen sind und
unterschiedlichen Genealogien folgen, treffen sich ‚Leben‘ und Ästhetik in ihrer
jeweiligen Angewiesenheit auf Form,43 einer Angewiesenheit auf spezifische Weisen des Erscheinens. An beiden wird ein neuartiges Verhältnis von sinnlichem Erscheinen und dessen Wahrnehmung sowie von Gegenstand und dessen Erkenntnis
verhandelt. So erweitert Baumgartens Aesthetica die Erkenntnis um die Dimension
des Sinnlichen und verbindet diese Dimension mit der Frage nach den rhetorischen Techniken und Figurationen der Darstellung.44 Die Un-Form des Untoten
stellt eine Herausforderung an den Form-Anspruch von Leben und Wissen dar;
gleichzeitig stört ihr eigentümlicher Negations-Status die Emphase der Anwesenheit, die den Kern ästhetischer Lebendigkeit ausmacht. Sofern ästhetische Lebendigkeit das Potenzial der Darstellung impliziert, zu verlebendigen und zu vergegenwärtigen, so ist in dieser Lebendigkeit zugleich enthalten, dass „die Welt der
Zeichen eine testamentarische und nekrophile [ist], errichtet über der Abwesenheit
und letztlich dem Tod ihrer Objekte.“45 Anschaulichkeit wird so einerseits zum
Gradmesser für die Verlebendigungsleistung der Darstellung, andererseits aber
markiert sie die Inkongruenz oder Nicht-Sinnfälligkeit von Darstellung und Leben
und kehrt die rhetorisch-medialen Leistungen hervor, derer es zur Verlebendigung
bedarf. Die Untoten zeigen diese wechselseitige Zusammengehörigkeit und Angewiesenheit von rhetorischer Technik und evidenter Wirkung und zugleich deren
nicht-deterministische Beziehung. Indem das Untote einen unheimlichen Exzess
des Lebens ins Spiel bringt, kehrt es nicht nur hervor, dass die Verlebendigung im
selben Atemzug ihren Gegenstand als abwesenden produziert, sondern vor allem,
dass die Darstellungsleistung einen diffusen Transformationsraum zwischen Leben
und Tod, An- und Abwesenheit schafft. So zeugt die „Persistenz der Gespenster
durch die Zeiten […] von den Schwierigkeiten, ein reines Diesseits oder ein unbezweifeltes Jenseits als Realität zu konstruieren – beides kann offenbar nur über eine
Sphäre der Vermittlung im Spiel gehalten werden, eine Sphäre, die zugleich un42 Vgl. Armen Avanessian et al. (Hrsg.), Vita aesthetica. Szenarien ästhetischer Lebendigkeit (Berlin;
Zürich: Diaphanes, 2009).
43 Vgl. Rüdiger Campe, „Form und Leben in der Theorie des Romans“, in: Avanessian et al. (Hrsg.),
Vita Aesthetica, S. 193-211.
44 Vgl. Rüdiger Campe, „Bella Evidentia. Begriff und Figur von Evidenz in Baumgartens Ästhetik“,
in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 49 (2001), S. 243-255.
45 Avanessian et al., „Einführung“, in: Dies. (Hrsg.), Vita aesthetica, S. 7-11, hier S. 7.
22
BLUMENBERG, HEIMES, WEITZMAN, WITT
heimlich (weil nicht ‚eigentlich‘) und alltäglich-konventionell ist.“46 Als Erscheinungsweise einer solchen Sphäre lässt sich das Untote weder jener Emphase anschaulicher Lebendigkeit und präsenter Sichtbarkeit zuordnen oder entgegenstellen,
noch fällt es allein dem Bereich des Abwesenden oder des ‚bloß‘ Zeichenhaften
zu.47 Vielmehr changiert das Untote zwischen medialer Evokation und Referenz.
Es fordert die Differenz von Realität und symbolischen Systemen heraus, bringt sie
in ein nicht-kausales Verhältnis und treibt ein monströses Spiel mit ihren Positionen. In diesem Sinne ist ihre Erscheinungsweise stets unheimlich, ein ‚Zuviel‘ und
‚Zuwenig‘ der Darstellung und der Rezeption zugleich. Das massenhafte Auftreten
der Zombies etwa stellt eine dementsprechende Störung dar. Nicht nur die Logiken des Präsentierens und der bildlichen Anordnung stehen hier auf dem Spiel,
sondern auch der rezeptive Modus schauenden Erfassens. Indem die Untoten den
ästhetischen Rahmen sprengen, drohen sie die Ordnung der Wahrnehmung in
Chaos zu versetzen: etwa durch die Desorganisation des geordneten Wahrnehmungsraums oder durch den Entzug fixierbarer Subjektpositionen.48 So thematisieren die Untoten die Prozessualisierung der medialen Verfahren und Funktionen,
indem sie diese stören und verunsichern. In ihrem Umhergehen, Hereinbrechen,
im Exzess und im Entzug stellen sie „Reflexionsfiguren der Medialität“49 dar.
Haben die Untoten im Rahmen einer dichotomischen Ordnung keinen Platz,
problematisieren sie genau darum diesen Rahmen. Als Phänomen des Medialen
provozieren sie daher nicht nur Fragen nach den Weisen des Erscheinens, sondern
auch nach dem Ort und der Lozierung, auf die jedes Erscheinen angewiesen ist.
Von ihrem ‚Un-Ort‘ aus verwirren die Untoten die Verfahren räumlicher Positionierung sowie der Darstellung und demonstrieren diese zugleich. Wenn man
deshalb von einem Zusammenhang zwischen dem Untoten und der (theatralen)
Inszenierung sprechen kann, dann geht dieser über die gespenstischen TheaterÖkonomien des (Wieder-)Verkörperns und figurierten Auftretens hinaus. Die Untoten verkomplizieren die Szene sinnlicher Erkenntnis, und dislozieren somit die in
der ästhetischen Lebendigkeit verheißene evidente ‚Schau‘. Damit erschöpft sich
das Wesentliche an der medialen Reflexion des Untoten nicht in medientheoretischer Überlegung. Vielmehr provozieren die Untoten in ihrer Medialität, die nicht
im Aggregatzustand evidenter Sichtbarkeit aufgeht, einen anderen Typus des Wissens und der Theorie, der die Prämissen der Evidenz durchkreuzt.
Während die Entdeckung des modernen Lebensbegriffs mit einer „Verzeitlichung der Natur“50 einherging, der die Darstellung von Leben in Philosophie,
Wissenschaft und Kunst seither Rechnung tragen muss, betrifft diese Verzeitlichung auch die Prämissen ästhetischer Lebendigkeit. Das Untote gehorcht hinge46 Baßler et al., „Einleitung“, in: Dies. (Hrsg.), Gespenster, S. 9-22, hier S. 12.
47 Nach Shaviro sind die Untoten „at once alive and dead, grotesquely literal and blatantly artificial,
[…] allegorical and mimetic […].“ Shaviro, „Contagious Allegories: George Romero“, S. 85f.
48 Vgl. Mark Potocnik; Frank Ruda, „Dawn of the Dead, Dawn of the Mad. Politik der Untoten“,
in diesem Band, S. 235ff.
49 Baßler et al., „Einleitung“, S. 11.
50 Vgl. Jacob, Die Logik des Lebendigen, S. 100.
EINLEITUNG
23
gen einer Art suspendierter (Nicht-)Zeit, die eine paradoxe Form der Wiederholung zur Geltung bringt.51 Anders als die heiligen Wiederkehrer-Figuren sperrt sich
der Figurenstatus der Untoten, ihr Aggregatzustand als Figur, der Logik sinnstiftender Wiederholung und heilbringender Stellvertretung. Die uneindeutige ‚Herkunft‘ der Untoten widersetzt sich nicht zuletzt der Rückführung auf eine ‚väterliche‘ Ur-Instanz und unterläuft die Kategorien des versichernden Ursprungs.
Wenn im Zuge des 18. Jahrhunderts, am Ende des ‚klassischen Zeitalters‘, ein
Evidenzproblem im Verhältnis von Lebens- und Wissensbegriff manifest wird,
dann verlagert sich die nach dem Wegfall heilsgeschichtlicher Gewissheit prekär
werdende Präsenz- und Evidenzsehnsucht nicht zuletzt in den Bereich der Ästhetik
und in die Emphase der Lebendigkeit. Das ‚lebendige Kunstwerk‘ kann als der
Versuch der Überwindung des Abwesenden und damit als Ideal einer ins Mediale
verlagerten Sinnsehnsucht gelesen werden, die den Tod nicht nur teleologischlebensgeschichtlich plausibilisiert, sondern diese Plausibilisierung in die Darstellung selbst verlegt, und zwar in ihre Lebendigkeitsansprüche. Diese Funktion stört
das Untote auf, indem es eine Darstellung ins Feld führt, die radikal a-theologisch
ist. Sie ist mit dem vergleichbar, was Roland Barthes „das tote Theater des Todes“
nennt,52 in welchem die Betrachtung und Verinnerlichung des Todes verwehrt
bleibt. In solcher Darstellung fällt die kathartische Überwindung des Todes in einer
heilsgeschichtlichen Rahmung aus. Die Untoten machen nicht nur diesen Ausfall
lesbar, sondern rücken die Ordnungen und Figuren des Heils selbst ins Zwielicht.
Unheimliche Politik
Mit Blick auf ihre politische Dimension werden die Untoten oft als Allegorien für
die verschiedenen Albträume des Gemeinwesens gelesen. In ihrer befremdlichen
Präsenz verkörpern sie demnach das gesellschaftlich wiederkehrende Verdrängte,
das verwandelte Residuum all dessen, was eine Gemeinschaft ausschließen muss,
um als Gemeinschaft funktionieren zu können. So gilt etwa der Vampir nicht nur
als Figur einer morbid-unersättlichen Libido, sondern auch als ein Wiedergänger
der osteuropäischen Adelsherrschaft. Das Gespenst wiederum erscheint als ein metaphysischer Rest im Zeitalter des Materialismus, oder – denkt man an das von
Marx beschworene „Gespenst des Kommunismus“ – als Heimsuchung aus der Zukunft durch die Unterdrückten der Gegenwart.53 Die Zombies, die erst mit dem
atlantischen Sklavenhandel und den daraus hervorgegangenen afrokaribischen Re-
51 Zur spezifischen Zeitlichkeit des Untoten vgl. Elisabeth Strowick, „‚Schatten eines Lebendigen‘.
Realitätseffekte des Untoten bei Theodor Storm“, in diesem Band, bes. S. 85ff.
52 Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie (Frankfurt a. M.: Suhrkamp,
1985), S. 101.
53 Vgl. Derrida, Marx’ Gespenster, S. 59: „Die Hegemonie organisiert immer die Unterdrückung
und also die Bestätigung einer Heimsuchung. Die Heimsuchung gehört zur Struktur jeder Hegemonie.“
24
BLUMENBERG, HEIMES, WEITZMAN, WITT
ligionen Eingang in die westliche Kulturgeschichte fanden,54 werden seit George
Romeros kanonischem Film Night of the Living Dead (1968) nicht selten als Darstellung eines post-revolutionären Proletariats gelesen, im Falle Romeros etwa als
Sinnbild des erloschenen Klassenkampfs in einem postindustriellen Amerika.55
Der Arbeiter ohne Arbeit gleicht hier einem Lebewesen ohne Lebendigkeit: Beide
haben ihr definitorisches Merkmal, ihre Essenz verloren, so dass sie nunmehr aus
ihrer eigenen Geschichte und ihrer eigenen Existenz entrückt fortexistieren. Unschwer lassen sich dabei Analogien zwischen den zerfallenden Körpern der Untoten
und dem sich auflösenden politischen Körper herstellen, einem zerrissenen und
brüchigen Allgemeinen.56
Diese und ähnliche Überlegungen haben dazu beigetragen, das Untote in den
Diskussionen um das Posthumanistische fest zu etablieren, im affirmativen wie im
negativen Sinne.57 Als Bild eines vom Leben losgelösten Fortlebens markiert etwa
der Zombie hier einerseits eine Absage an die Vorstellung vom integralen, menschlichen Subjekt sowie an die damit verbundenen Konzepte des Individualismus und
der Autonomie.58 Als Verkörperung einer gierigen Konsum-Maschine ohne Willen
steht der Zombie andererseits für das vollendete Subjekt im Spätkapitalismus bzw.
für dessen groteske Parodie. Daher meinen Deleuze und Guattari, dass „[d]er einzige
moderne Mythos […] der der Zombies [ist] – tödliche Schizos, die, wieder zur Vernunft gebracht, gut für die Arbeit sind.“59 Wenn die unaufhörlich zirkulierenden
Signifikanten des Kapitalismus einen „[a]bsorbierte[n], diffuse[n], immanente[n]
Tod“ zum Ergebnis haben,60 dann heißt Überleben innerhalb dieser Ordnung not-
54 Vgl. Christopher M. Moreman; Cory James Rushton (Hrsg.), Race, Oppression and the Zombie:
Essays on Cross-Cultural Appropriations of the Carribean Tradition (Jefferson; London: McFarland
& Co., 2011).
55 Vgl. Marina Warner, Phantasmagoria: Spirit Visions, Metaphors, and Media into the Twenty-first
Century (Oxford: Oxford University Press, 2006), S. 366.
56 Vgl. Diedrich Diederichsen, „Blut, Schlamm und Barbecue“, in: Die Zeit, Nr. 35 (13. Sept.
2007), http://www.zeit.de/2007/35/Irak-Allegorien (Zugriff am 10. Juli 2014).
57 Siehe z.B. Sarah Juliet Lauro; Karen Embry, „A Zombie Manifesto. The Nonhuman Condition in
the Era of Advanced Capitalism“, in: boundary 2, 35.1 (2008), S. 85-108; Deborah Christie;
Sarah Juliet Lauro, Better off Dead: The Evolution of the Zombie As Post-Human (New York: Fordham University Press, 2011).
58 Zur Ambivalenz dieses Aspekts vgl. Werner Hamacher in Bezug auf Nietzsche: „Das ‚Individuum‘ lebt nicht. Es ‚überlebt‘ (sich). […] Statt noch die soziale oder psychische Existenzform
des Menschen zu sein, ist das Individuum […] Ankündigung des Über-Menschen. Aber es ist sie
nicht anders als im Modus der ‚unheimlichen‘, ‚gefährlichen‘, ‚luxurierenden‘ ‚Monstrosität‘, in
der Form eines den Tod seines Typus überdauernden Wiedergängers, eines lebendigen Toten, der
in seinem ‚Überleben‘ weder die Grenzen des Lebens noch die des Todes, noch die ihrer konventionellen semantischen Distinktion respektiert.“ Werner Hamacher, „‚Disgregation des Willens‘.
Nietzsche über Individuum und Individualität“, in: Ders., Entferntes Verstehen. Studien zu Philosophie und Literatur von Kant bis Celan (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1998), S. 113-150, hier
S. 129.
59 Gilles Deleuze; Félix Guattari, Anti-Ödipus: Kapitalismus und Schizophrenie I, 13. Aufl. (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2011), S. 433.
60 Ebd.
EINLEITUNG
25
wendigerweise Untot-Sein, ein Wuchern des Daseins als ewige Wiederkehr des Gleichen.
Doch – so kulturhistorisch begründet sie auch ist – es stellt sich zugleich die
Frage, ob diese sinnbildliche Lesart des Untoten nicht dessen eigentlich unheimlichen und destruktiven Charakter neutralisiert, indem sie in ihrem eigenen Verfahren gerade dasjenige Moment des Untoten übergeht, welches das System der symbolischen Stellvertretung aufs Spiel setzt. Wenn untote Figuren zu „extras in a story
of their own destiny“ 61 werden, so deutet sich darin eine Unmöglichkeit der Darstellung an, welche die diagnostische Identifikation und die sinnbildliche Lektüre
gleichermaßen zum Problem werden lässt. Gerade aber in ihrem prekären Figurenstatus liegt eine politische Dimension der Untoten. Denn diese stören nicht zuletzt
die Idee der Persona, die die Vermittlung zwischen dem Einzelwesen und dem Gemeinwohl bzw. der Gemeinschaft leisten soll.62 In diesem Zusammenhang tangieren die Untoten, sofern sie einen Überschuss oder Überrest der symbolischen Ordnung zur Erscheinung bringen, das Konzept des politischen Subjekts sowie die
Voraussetzungen der politischen Repräsentation schlechthin. Als ‚Phantom-Bilder‘
im wörtlichen Sinne verweisen sie auf die Kluft, die zwischen Repräsentanten und
Repräsentierten konstitutiv besteht und die die Logik der Entsprechung untergräbt. Nicht nur entziehen sich die Untoten dabei jenen Kriterien, die erforderlich
wären, um als politische Person erfassbar zu sein, sie trotzen auch den Verhandlungen mitteilbarer Bedürfnisse und Interessen, die für das Politische und die moderne
Zivilgesellschaft grundlegend sind.63 Die Untoten haben gewissermaßen keine
‚Stelle‘, die überhaupt vertreten werden könnte. So lassen sie die Grundkategorien
des Politischen in den „Wahnsinn“ gleiten und rücken die „unmögliche Möglichkeit [einer] anderen Politik“ ins Blickfeld.64
Es liegt nahe, dass die mit dem Untoten drohende Zersetzung auch das Paradigma der Biopolitik betrifft, d.h. die „Technologie der Macht über ‚die‘ Bevölkerung als solche“, bei deren Anwendung es darauf ankommt, „das Leben und die
biologischen Prozesse der Menschengattung zu erfassen und […] deren Regulierung sicherzustellen“.65 Nach Foucault führt diese moderne „Regulierungsmacht“
nicht bloß zu einem allgegenwärtigen Herrschaftsapparat der Optimierung und
der Normierung des Lebens, sondern unter Umständen auch zu einer rassistischen
Staatsgewalt und – im äußersten Falle – zu einer ‚Thanatopolitik‘ der Bevölke-
61 Warner, Phantasmagoria, S. 366.
62 Bei Hobbes etwa heißt es: „Persona in latine signifies the disguise, or outward appearance of a man,
counterfeited on the Stage […]. So that a Person, is the same that an Actor is, both on the Stage
and in common conversation; and to Personate, is to Act, or Represent himselfe, or an other“. Thomas Hobbes, Leviathan (London: Penguin, 1985), S. 217ff.; vgl. dazu Joseph Vogl, Kalkül und
Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen (Zürich; Berlin: Diaphanes, 2004), S. 20ff.
63 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. v. Eva Moldenhauer; Karl Markus Michel (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1970), §182-§188, S. 339-346.
64 Vgl. Potocnik; Ruda, „Dawn of the Dead, Dawn of the Mad“, S. 245 und S. 246.
65 Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-76),
übers. v. Michaela Ott (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2001), S. 291.