- Fakultät Raumplanung
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1 Regionale Effekte der feindlichen Übernahme von Mannesmann durch Vodafone auf das Rhein-Ruhrgebiet – Ein neues Paradigma für ´Stakeholder´ von/in traditionellen Industrieregionen Deutschlands? (Stand: 5.9.00) Hermann Bömer Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Politische Ökonomie August Schmid-Strasse 6, 44227 Dortmund Email: boemer@rp.uni-dortmund.de Inhalt 1. Schareholder-Value-Kapitalismus versus „Rheinischer Kapitalismus“ - was sind die Unterschiede? 2. Externe Kontrolle der Regionen, Shareholder-Value-Management regionalökonomische Entwicklung am Beispiel des Ruhrgebiets und 3. Das Beispiel Vodafone-Mannesmann: ein Modell für den Risikokapitalismus und ein Faktor der Beschleunigung der externen Kontrolle sowie der Abkopplung des Ruhrgebiets von den anderen deutschen Agglomerationen? 3.1. Kennziffern zum Mannesmann-Konzern 3.2. Die Übernahmeschlacht im Winter 1999/2000 – eine kurze Übersicht 3.3. Die Reaktion der Politiker 3.4. Die Zerschlagung des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone. 3.5. Nachtrag: ein Liquiditätsproblem bei Vodafone und anderen Telecom-Firmen? 4. Politik in der globalisierten Shareholder-Ökonomie – einige Anmerkungen zu den Möglichkeiten, den Prozeß zu steuern und zu kontrollieren. 4.1. Übernahmegesetz (Vgl. Putzhammer/Köstler, 2000) 4.2. Regionale Kooperation, Infrastruktur und Qualifikationspolitik 4.3. Nationalstaatliche und Europäische Regionalpolitik 4.4. UMTS- Lizenzpreispolitik, Steuerpolitik und allgemeine Finanzrisiken 1. Schareholder-Value-Kapitalismus versus „Rheinischer Kapitalismus“ - was sind die Unterschiede? Es fand und findet eine breite politökonomische Diskussion über verschiedene Varianten oder Typen des modernen Nachkriegskapitalismus statt (Jung, 1978; Lipiez, 1991; Streek, 1999; Schneider, 2000; Schmid, 2000). Auch die klassen- und schichtenspezifischen Differenzierungen dieser Gesellschaftstypen sind Untersuchungsgegenstand (vgl. z.B. Vester, M. 1999). Die Typen variieren zwischen dem klassischen schwedischen Wohlfahrtsstaat, dem deutschen korporatistischen und föderalistischen Modell (Deutschland AG), dem französischen System eines starken Zentralstaates sowie der Transformation des traditionellen britischen Wohlfahrtsstaates in den 80er Jahren unter M. Thatcher, dem US-amerikanischen neoliberalen Modell sowie dem japanischen System, das sich durch das Prinzip des „closed shop“, einen starken Zentralstaat, und das MITI als dem zentralen Planungs- und Koordiantionszentrum auszeichnete und nach dem Spekualtionsboom der 80er Jahre in eine tiefe Krise geraten ist. Die Unterscheidung zwischen dem eindimensionalen 2 Unternehmens(kurs)wert-Management und mehrdimensionalen Stakeholder-Management auf der Ebene der Unternehmenspolitik und ihrer Regulierung schließt nicht alle Aspekte der Verschiedenartigkeit der Nachkriegssysteme des Kapitalismus ein, ist aber natürlich ein Schlüsselelement, das letztlich Druck auf viele andere Elemente der kontinentaleuropäischen Gesellschaft und ihrer Politiken ausübt, die sie mehr in Richtung des US-Systems tendieren lassen. (Es findet derzeit jedoch ein Debatte darüber statt, ob nicht das britische System unter Thatcher und bislang auch unter Blair das neoliberale Extrem darstellt und nicht das USSystem, das makroökonomisch viel konsequenter auf Wachstum orientiert ist als die EU einschließlich Großbritanniens, und das auch durch sein tax-credit-System gewisse Umverteilungskomponenten zugunsten der Niedrigeinkommen enthält. Vgl. hierzu European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (2000): Alternative Economic Policy Guidelines for Full Employment and Social Cohesion in Europe (draft, June 2000, hektrogr. Manuskript). Roland Schneider bezieht sich auf eine OECD-Studie über Unternehmensführungssysteme (corporate governance) (OECD, 1999) und charakterisiert die Aktionärsorientierte Unternehmensführung als ein System externer Kontrolle. Die Anteile liegen bei unterschiedlichen Besitzern, obwohl die Pensionsfonds einen großen Einfluß haben. Der Börsenumsatz ist sehr hoch. Die Anteilseigner unterliegen einem starken Schutz, auch die Kleinaktionäre. Sie bekommen bessere Informationen. Die Finanzmärkte übernehmen die Aufgabe, die Firmen stärker zu finanzieren und den Gründerunternehmen mehr Wagniskapital zur Verfügung zu stellen. Die Finanzmarktakteure spielen die wichtigste Rolle bei der Beeinflussung der Unternehmensentscheidungen. Institutionelle Investoren kontrollieren mehr als 40% der Anteile in den USA und mehr als 60% in Großbritannien (Schneider, 2000, 37). Nichtsdestotrotz kontrollieren einzelne Fondsmanager nur einen geringen Teil einzelner Unternehmen. Im Unterschied hierzu ist die sogenannte Stakeholder-Führung von Unternehmen durch ein Insider-Kontrollsystem charakterisiert. Dies bedeutet ein hohes Maß an Kontrolle der Aktien und der Stimmrechte auf der Hauptversammlung (durch Großaktionäre und insbesondere die Großbanken, deren Macht durch das Depotstimmrecht weit über ihre eigenen Anteile hinausgeht, H.B.). Pensionsfonds sind nicht so bedeutsam im Vergleich zu Banken und Versicherungsgesellschaften. Die Kapital- und Finanzmärkte spielen nicht die entscheidende Rolle. Obwohl dies manchmal die Beschaffung von billigem Kapital und Wagniskapital behindern mag, werden diese Nachteile i.d.R. durch stabile und langfristige Beziehungen zwischen den Unternehmen und Banken kompensiert. Dieser Typ von Beziehungen stimuliert langfristig angelegte Investitionen, Forschung und Entwicklung und daher auch die Wachstumsrate der Produktivität. (Ingenieure spielen in den Vorständen eine größere Rolle als Finanzspezialisten). Das Stakeholder-System ist in der Lage, eine bessere Rolle bei der Sanierung von Krisenfirmen und ihrer langfristigen Neuausrichtung zu spielen (z.B. durch einen unternehmensinternen Verlustausgleich). Wegen der normalerweise stabilen Beziehungen zu den Gewerkschaften und Betriebsräten wird in der Regel unter diesem Regime auch mehr in die Qualifikation der Belegschaften investiert. Optimisten wie R. Schneider, dessen Position hier referiert wurde (Schneider, 2000), argumentieren, daß das Shareholder-Regime nicht zwangsläufig das Stakeholder-System verdrängen wird, weil auch in den Ländern, in denen das Shareholder-System dominiert, die Menschen nach mehr sozialer Sicherheit, höheren Mindestlöhnen usw. streben würden. Diesen Optimismus teile ich nicht. Das hohe BIP-Wachstum der USA im Vergleich zu Europa und Japan in den 90er Jahren wird in der Öffentlichkeit hauptsächlich der „Kultur“ des Shareholder-Managements und der Flexibilität auf den Arbeitsmärkten zugeschrieben. 3 Tatsächlich aber ist es in erster Line Ergebnis einer klugen makroökonomischen Politik (niedrige Zinsraten und hohes Defizit-Spending zu Beginn der 90er Jahre). Eine Vorbedingung der Transformation des kontinentaleuropäischen Systems in ein stärker auf die Shareholder orientiertes Regime ist die Transformation der Altersversorgung in Richtung auf die zweite und dritte Säule (Privatvorsorge und Betriebsrenten), die das Volumen der Finanzanlagen radikal erhöhen würde. Diese „Reform“ wird in der Bundesrepublik derzeit vorbereitet. (Zur Kritik dieser Rentenreform vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Sondermemorandum...). Die sehr geringen gesetzlichen Renten in Großbritannien haben die dortige Bevölkerung schon lange gezwungen, in private Pensionsfonds einzuzahlen, die die Basis für die Macht der Pensionsmanager und der Analysten-Community sind. 2. Externe Kontrolle der Regionen, Shareholder-Value-Management und regionalökonomische Entwicklung am Beispiel des Ruhrgebiets Exportbasissektoren sind das Herzstück von Regionalökonomien. Die Stärkung der vorhandenen und die Schaffung neuer Exportbasissektoren hängt von vielen Faktoren ab, speziell von der Zahl; Produktivität und Kreativität des innovativen Beschäftigungspotentials (Beschäftigte und Unternehmer), die sich statistisch in den Kategorien Forschung und Entwicklung, Unternehmensplanung, Marketing usw. widerspiegeln (Vgl. Schaubild 1 und 2. Hier sind natürlich nur die abhängig Beschäftigten registriert). Diese Beschäftigten arbeiten in der Regel in den Städten, in denen die Mehrbetriebsunternehmen ihre Headquarters haben, in den Zentren der Metropolregionen. Da diese Funktionen in Zeiten, in denen Produktion, Dienstleistungen und Marketing stärker verwissenschaftlicht werden, steigt auch die Nachfrage nach diesen Kräften in den Zentren, in denen die Hauptverwaltungen konzentriert sind, stärker. Ein spezifisches Charakteristikum der Ruhrwirtschaft ist deren überwiegende externe Kontrolle. Es ist schon immer hauptsächlich eine Ausführungsregion gewesen, nicht eine Führungsregion, in der Management- und Forschungsfunktionen konzentriert waren. Aus verschiedenen Gründen (Sub- und Desurbanisierung, Deindustrialisierung in Teilen der „alten“ Wirtschaftszweige, die ihrerseits durchaus hochmodern sein können (z.B. die Stahlindustrie)) ist das Ruhrgebiet heute auch nicht mehr eine besondere Produktionsregion, wenn man z.B. den Indikator Industriedichte heranzieht (Blotevogel, 1998). Düsseldorf dagegen war und ist immer noch der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“. Die Konzernzentralen von Mannesmann, Thyssen, VEBA und anderer Großunternehmen waren und sind immer noch in Landeshauptstadt Düsseldorf beheimatet. Auch die meisten der Anteilseigner der Ruhrkonzerne regulieren und managen ihre Interessen von außerhalb, insbesondere die privaten Großbanken (Deutsche Bank, Dresdener Bank, Commerzbank) von Frankfurt sowie die WestLB von Düsseldorf aus. Die Großbanken werden ihre Anteile möglicherweise verstärkt verkaufen, wenn am 1.1.2001 die Steuerreform in Kraft tritt, die die Besteuerung von Verkäufen von Unternehmensanteilen (und die in ihnen schlummernden stillen Reserven) beendet. Dies ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Demontage der Deutschland AG und des Übergangs zum Shareholder-Kapitalismus. Die zweite Industrialisierungswelle erfaßte das Ruhrgebiet in den 1960er Jahren, als Untenehmen wie General Motors große Investitionen plazierten (Bochum, 1962; Siemens in Gladbeck und Witten; Dupont in Hamm). Das Problem der externen Kontrolle wuchs erneut. Die dritte Investitionswelle, z.B. das CentrO in Oberhausen, der Warner Brothers Movie Park in Bottrop oder die total anonymen Investoren in Bürogebäude, Projekte der Unterhaltungsindustrie, ist im wesentlichen durch die nationalen und internationalen Finanzzentren gemanaged (Häußermann, 1999), obwohl hier angemerkt werden muß, daß 4 selbst noch heute die Finanzmärkte der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und Japans sehr stark national verfaßt sind (Huffschmid, 1999). Ein Ergebnis der Verdopplung der externen Kontrolle des Ruhrgebiets besteht darin, daß die Chancen sinken, den Verlust von Jobs im unternehmensorientierten Dienstleistungsbereich im Vergleich zur Entwicklung im nationalen Durchschnitt zu verhindern. Die folgenden Abbildungen, speziell Abb. 2, demonstrieren diese Relation und die Abkopplung des Ruhrgebiets eindeutig. Die Transformation des deutschen Modells des Kapitalismus, das viel stärker als das angloamerikanische ein Stakeholder-System war (und immer noch ist), sowie die Entwicklung der Märkte für Unternehmen signalisieren damit einen fundamentalen Wechsel und eine neue Dimension der Bedeutung der externen Kontrolle von Unternehmen und Regionen. Solange große private Banken die Eigentümer der Unternehmen einer Region sind, wissen die Leute und Akteure, wo die Entscheidungszentren sind. Das deutsche Modell der Mitbestimmung in Großunternehmen und speziell in der Kohle- und Stahlindustrie (paritätische Mitbestimmung) macht(e) es den Gewerkschaftsführern und den Betriebsräten großer Unternehmen möglich, persönlich die Personen zu kennen, die über strategische Investitionen, Fusionen Übernahmen, Standorte usw. entscheiden. In der Shareholder-Ökonomie machen dagegen die Manager der Pensionsfonds sowie die Analysten in den Investmentabteilungen der Banken sehr unpersönliche Entscheidungen und schielen verstärkt auf die kurzfristige Profitabilität von Unternehmensstrategien. Die externe Kontrolle der Ruhrgebietswirtschaft (und jeder anderen Region) wird verdoppelt, wenn z.B. feindliche oder auch friedliche Übernahmen die Konzernzentralen in Düsseldorf in von Vodafone und Siemens/Bosch abhängige Managementfilialen verwandeln. Selbst Aktivitäten mit traditionell extrem starkem Regionalbezug wie die großer Wohnungsgesellschaften, die früher im Eigentum der Montankonzerne Thyssen, Krupp, Hoesch sowie der Ruhrkohle AG waren, werden zunehmend der Kontrolle und den Verwertungsregeln der Börse unterworfen. Z.B. muß Viterra, die größte private Wohnungsgesellschaft mit mehr als 130.000 Wohneinheiten, die früher VEBA gehörte und sich nun im Besitz von e.on (VEBA-VIAG) befindet, nun sehr hohes Mindestrenditen für die Anteilseigner erwirtschaften. Konzentration auf Kernkompetenzen Es ist kein Zufall, dass die Stärkung der Aktionärsposition simultan begleitet wird von der Management-Regel der Konzentration auf die Kernkompetenzen anstelle der Konzeption der Diversifikation. Dies bedeutet, dass das Management die Gelegenheit hat, ihre intellektuellen Kompetenzen auf wenige Branchen, Produkte und Dienstleistungen zu konzentrieren. Der Prozeß von Fusionen und Übernahmen reartikuliert den Branchenansatz anstelle des modernen regionalen Cluster-Ansatzes. Der Index der relativen Konzentration in den Branchen wird steigen. Es wird versucht werden, monopolistische oder zumindest oligopolistische Positionen zu erreichen bzw. zu festigen, um Kontrolle über die Preisentwicklung zu erlangen. Auf Märkten mit homogenen Produkten wie Stahl oder anderen Werkstoffen, Energie (Elektrizität, Gas und Öl) ist es möglich, diese Versuche durch öffentliche Kartellbehörden zu vereiteln. Dies ändert sich aber auf Märkten wie Autos oder entwickelte Konsumprodukte, die eng mit verschiedenen Lifestyles verbunden sind, damit auch mit hohen Design- und Marketingkosten. Der erste Schritt zur Herstellung der Shareholder-Transformation eines Unternehmen ist die Umwandlung von Konzernen in Holdings, die die verschiedenen Geschäftsfelder als Profitcenter führen. Der zweite Schritt besteht dann darin, diese Geschäftsfelder in börsennotierte Gesellschaften umzuwandeln. Wenn das Kursniveau hoch ist, erfüllt dieser Schritt verschiedenen Funktionen: erstens kann der Gründergewinn durch das Begeben von neuen Aktien einkassiert werden (Hilferding, 1910/1968). Zweitens ermöglicht dieser Schritt 5 die Beschleunigung von Fusionen, weil es nun für die Beratungsunternehmen und Investmentbanken viel leichter ist, die Unternehmen zu bewerten. Drittens ist die Aufspaltung der Unternehmen eine Methode, den gesamten Börsenwert zu maximieren, was es möglicherweise für andere Unternehmen schwieriger macht, eine feindliche Übernahme durchzusetzen. Viertens schafft sich das Unternehmen damit eine eigene Aquisitionswährung, mit der sie selbst Übernahmen finanzieren kann. Regionale Konsequenzen Die Regionalen Konsequenzen dieser Transformation sind sehr komplex und widersprüchlich. Auf der einen Seite werden neue Rationalisierungspotenziale erschlossen, die die Zahl der Arbeitsplätze i.d.R. verringert, falls keine effektiven Strategien zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen existieren. Auf der anderen Seite kann es möglich sein, dass Tochtergesellschaften großer Unternehmen, die vormals nicht zu den Hauptaktivitäten gehörten – so der Fall mit vielen Maschinenbauaktivitäten im den Montankonzernen – neue Chancen erhalten, neue Märkte zu gewinnen bzw. mit anderen Unternehmen der selben Branche zu fusionieren und damit starke Marktpositionen zu gewinnen. Die intraregionalen Unterschiede der externen Kontrollintensität Die Unterschiede zwischen kontrollierenden und kontrollierten Regionen werden im Ruhrgebiet selbst reproduziert und beim Übergang zum Shareholder-System vertieft. Die Stadt Essen (600.000 Einwohner) ist der wichtigste Standort für Konzernzentralen im Ruhrgebiet (RWE, Krupp, RAG, Ruhrgas), während z.B. Dortmund (ebenfalls 600.000 Einwohner) in den letzten zehn Jahren schrittweise diese Funktionen verloren hat. Der Stahlproduzent Hoesch, der 1979 noch 24.000 Beschäftigte in der Stadt hatte, wurde 1993 von Krupp übernommen. Krupp selbst fusionierte 1997 mit Thyssen. Im Jahre 2001 werden nach den derzeitigen Planungen in Dortmund der letzte Hochofen, das Stahlwerk sowie die Warmbreitbandstraße, ein Kaltwalzwerk sowie die Großkokerei stillgelegt. Nur noch eine Kaltwalzanlage wird weiterbetrieben, weniger als 1.500 Arbeiter beschäftigt. Ein anderes Beispiel ist die Übernahme des Versorgungsunternehmens VEW durch das RWE im Jahr 2000. Auch die Union-Schultheiss-Brauereigruppe, die sich bereits im Portefeuille der HypoVereinsbank befand, wird ihre Selbstständigkeit verlieren und von der SchörghuberGruppe (München) übernommen. Natürlich ist es heute besonders wichtig, sich auch die räumliche Verteilung der zweiten Führungsebene, d.h. die Managementzentralen der operativen Unternehmen, anzusehen und sie zu beeinflussen. Aber selbst wenn die lokalen und regionalen Stakeholder in der ersten Fusionsrunde in der Lage sind, trotz der Abwanderung der Konzernzentrale Standorte der zweiten Führungsebene zu sichern und sich garantieren zu lassen, gibt es keine Garantie, dass in der nächsten Fusionsrunde (z.B. bei dem eventuellen Zusammengehen von Thyssen Krupp Steel und dem französischen Monopolisten Usinor) die Zusagen noch eingehalten werden. Obwohl es sehr wichtig ist, in allen Sektoren die Entwicklung von neuen Untenehmen zu fördern, speziell im Sektor unternehmensorientierte Dienstleistungen, so ist doch klar, dass große Regionen wie das Ruhrgebiet oder Rhein-Ruhrgebiet, das von der NRW-Regierung als Europäische Metropolregion betrachtet wird (Blotevogel, 1998), Standort von Konzernzentralen sein muß. Die schlechten Erfahrungen Ostdeutschlands demonstrieren eindrucksvoll, dass es nicht möglich ist, eine große Krisenregion ohne ein hohes Maß an Eigenkontrolle zu entwickelt (zumindest dann nicht, wenn sie nicht (wie etwa Irland) über 6 den Status eines Nationalstaates und damit über große allgemeine ökonomische und infrastrukturelle Eigensteuerungspotentiale verfügt). Die Abbildungen 1-3 verdeutlichen die Entwicklung der Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe bezüglich der Funktionen im Verdichtungsraum Ruhr, deren Entwicklung der Beschäftigung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt sowie die Entwicklung der Erwerbstätigkeit des Ruhrgebiets mit den führenden Agglomerationsgebieten der Bundesrepublik (West). Danach verliert das Ruhrgebiet kontinuierlich. Die Transformation des Deutschen Systems in den Shareholder-Kapitalismus wird diese Abkopplung der Krisenregionen - so meine These – weiter beschleunigen. Abb. 1: Die Beschäftigungsentwicklung des Verarbeitenden Gewerbes nach Funktionen im Verdichtungsraum Ruhr 1985-1998 Veränderung seit 1985 20% UnternehmensPlanung 0% Forschung, Entwicklung Verwaltung Übrige Technik alle Beschäftigte Fertigung Lager, Transport -20% -40% 1984 1989 Quelle: Beschäftigtenstatistik, eigene Auswertungen 1994 1999 Bade UniDO 7 Abb. 2: Die relative Beschäftigungsentwickl. des verarbeitenden Gewerbes nach Funktionen im Verdichtungsraum Ruhr 1985-1998 Veränderung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt 0% -10% Fertigung Verwaltung alle Beschäftigte Lager, Transport UnternehmensPlanung Übrige Technik -20% Forschung, Entwicklung -30% 1984 1989 1994 1999 Bade UniDO Quelle: Beschäftigtenstatistik, eigene Auswertungen Abb. 3 Abb. 7: Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit im Ruhrgebiet im Vergleich zu ausgewählten Verdichtungsräumen 1976-1998 Veränderung seit 1976 München +20% Nürnberg +10% RheinRhein-Main Alte BL Hamburg Hannover Düsseldorf Stuttgart Bremen 0% -10% Ruhrgebiet -20% 1975 1980 1985 1990 Quelle: Erwerbstätigenrechnung der Länder; eigene Schätzungen 1995 2000 Bade UniDO 8 3. Der Übernahmekampf zwischen Mannesmann und Vodafone – ein Modell für den Risikokapitalismus und ein Faktor für die Vertiefung der externen Kontrolle und der Abkopplung des Ruhrgebiets von den führenden deutschen Agglomerationsräumen 3.1. Kennziffern zum Mannesmann-Konzern Mannesmann war ein ausgezeichnetes Beispiel für eine innovative Transformation eines Unternehmens mit Stahlgeschichte, das ein Synonym für „alte Industrien“ war. Tabelle 1 zeigt jedoch, daß die meisten der Beschäftigten auch zur Zeit der Übernahmeschlacht zur Jahreswende 2000 in „traditionellen Sektoren“ gearbeitet haben, die allerdings auf modernstem Niveau befinden und auch Zukunft haben. Der Anteil der Auslandsbeschäftigten lag 1998 bei 34%. Der Anteil der im Rhein-Ruhrgebiet Beschäftigten von Atecs, der Gesellschaft, die die Bereiche Automotive (VDO, Sachs) und Maschinenbau (Rexroth, DEMAG, Krauss-Maffei und Dematic) enthält, wurde für den Winter 1999/2000 von der Landesregierung auf 23.000 geschätzt. Weitere 6.500 waren im Sektor Telekommunikation beschäftigt (D2, ARCOR, O.tel.o) sowie 1.050 im Sektor E-Commerce (SZ, 5./6. 2.2000). Zusätzlich waren ca. 6.000 der 10.000 Beschäftigten der Mannesmann-Röhrenwerke (MRW) im Rhein-Ruhrgebiet tätig (Tabelle 3, eigene Schätzung). Mit knapp 40.000 Beschäftigten war Mannesmann damit für das Rhein-Ruhrgebiet eine industrielle Perle. MRW wurde im Mai 2000 an die Stahlwerke Salzgitter AG verkauft, während Atecs von dem Konsortium Siemens/Bosch für ca. 19 Mrd. DM erworben wurde, das ein höheres Gebot abgab als Thyssen Krupp AG mit 17 Mrd. DM. Tab. 1: Kennzahlen zum Mannesmann-Konzern 1998 Konzern Engineering Automotive Tubes Telecommunications Umsatz in Mrd. Euro 19,1 6,1 5,5 2,3 4,7 Ergebnis (Mrd. Euro) 1,4 0,229 0,216 0,026 0,982 MitarbeiterInnen 116.000 46.000 43.000 12.000 14.000 Quelle: SZ, 20./21.11. 1999, S. 29 Tab. 2.. Key-indicators for Atecs-Mannesmann 1999 Employees (31.12. 1999) Rexroth 2,584 125 20,835 Dematic 2,230 166 14,987 Demag Krauss-Maffei 1,910 204 10,232 VDO 3,495 224 23,825 Sachs 2,170 163 19,953 12,389 882 89,832 Total Source: http://www.atecs.de , 20.6.2000, author`s own calculations; Bömer, 2000[2] Turnover in bill.. € Investments in Mio.€ 9 Tab. 3: Mannesmann employees in the Rhine Ruhr-area (estimation in May2000) Firm Workers Ruhr 23,000 Rexroth, DEMAG, Krauss-Maffei and Dematic VDO, Sachs at Engineering, hydraulics, military equipment (tanks) Autombile electronics, shock absorbers, clutches MRW Mannesmann- Tubes 6,000 Röhrenwerke AG (consolidated: 10,200) Rhine- Main locations Wetter/Ruhr (Dematik), Duisburg (Demag) (VDO: Dortmund 2,200) Mülheim/Ruhr (Europipe et al.2,500) Hamm (MHP*: 900) Düsseldorf-Rath (Vall.-MM**:1,800) (MHP* Remscheid 400) Düsseldorf Mannesmann D2, Telecommunication 6,500 ARCOR, O.TEL.O E-Commerce 1,050 Düsseldorf HKM Hüttenwerke Iron&Steel 1,800 of 3,600 Duisburg-Huckingen Krupp-Mannesmann (HKM: 1,800) (50% share, now Salzgitter) Mannesmann AG Headquarter Düsseldorf 38,330 Total * Mannesmann-Hoesch-Präzisionsrohr; **Vallourec Source: Süddeutsche Zeitung, 5./6.2.2000 (Ministry for Economic Affairs, NRW), p.25, author´s estimation; shop stewards´information; Bömer. 2000[2] Tab. 4: Die zwölf größten europäischen Mobilfunkanbieter (Kunden in Mio., Dez. 1998, Juni 1999 und 2001) Dez. 1998 Telecom Italia Mobile Omnitel D2 Mannesmann Mob. T-Mobil France Telecom Telefonica Moviles Vodafone SFR Cellnet Orange Airtel E-Plus Juni 1999 2001 (Schätzung) 14,3 16,0 21,1 6,2 7,9 13,0 6,1 7,3 12,9 5,8 5,5 4,9 4,9 4,2 4,0 2,2 2,0 2,2 7,1 7,0 6,7 6,1 5,1 5,0 3,0 3,0 2,6 12,4 12,4 11,4 10,7 10,0 8,5 6,7 6,3 6,2 10 Summe Wachstum seit Dez.98 62,3 - 76,8 23,3% 131,6 94% Quelle: Salomon Smith Barney, zitiert in SZ, 16.11.1999, S. 28, eigene Berechnung; Bömer, 2000[1] Es ist offensichtlich, daß die dramatische Übernahmeschlacht zwischen Mannesmann und Vodafone, die mit einem Sieg von Vodafone endete, zunächst aus der Perspektive der Zukunft eines sehr bedeutsamen Sektors der Regionalwirtschaft des Rhein-Ruhrgebiets zu diskutieren ist, und zweitens unter dem Aspekt der Zukunft des Modells der deutschen sozialen Marktwirtschaft bzw. des „Rheinischen Kapitalismus“. Um die Konsequenzen deutlich zu machen, ist es sinnvoll, eine kurzen Rückblick auf diese Auseinandersetzung, ihre Formen und Methoden zu geben und die wichtigsten Interventionen der Stakeholders wie z.B. der Landesregierung von NRW zu benennen. 3.2. Die Übernahmeschlacht im Winter 1999/2000 – eine kurze Übersicht Die Jahre 1999 und 2000, speziell die zweite Jahreshälfte ´99 und die erste des Jahres 2000, sind offensichtlich der Zeitraum, in dem die wichtigsten Veränderungen der Unternehmensstrukturen und Machtverhältnisse im Kommunikationssektor (Festnetze, Mobilnetze, Internetangebote und E-Commerce) stattfanden, der auf revolutionäre Art umstrukturiert wurde und wahrscheinlich in ungefähr dieser Gestalt auf Jahre fixiert sein wird. Im Sommer 1999 kaufte der Deutsche Telekom AG (DTAG) die britische Mobilfunkfirma One2one. Der Preis betrug 21 Mrd. DM, etwa 5.000 Dollar für jeden der damaligen Kunden, ein sehr hoher Preis unter dem Gesichtspunkt der Gewinnerzielung. In der Tat gingen die Gewinne der DTAG im Jahre 1999 radikal zurück. Als Resultat wurden viele Stellen gestrichen. Dabei war die Gesellschaft One2one nicht einmal auf der Liste der zwölf größten europäischen Mobilfunkfirmen aufgetaucht, die im November 1999 von Salomon Smith Brothers publiziert wurde (Tabelle 4). Dies zeigte aus meiner Sicht deutlich, daß der Wettlauf um Kunden in dieser Branche zu einem sehr spekulativen Geschäft geworden war. Ron Sommer, Vorstandsvorsitzender der DTAG, glaubte der Börse und den Analysten beweisen zu müssen, daß die Deutsche Telekom noch in der Lage war, dynamisch zu agieren, nachdem die Übernahme von Telecom Italia im Sommer 1999 fehlgeschlagen war. Der Preis von 5.000$ pro Kunde wurde mit 8.000$ noch übertroffen, als die US-Firma Worldcom die amerikanische Sprint im Herbst 1999 kaufte (inzwischen von den Kartellbehörden untersagt). Selbst Mannesmann – bis dahin als dynamisches, erfolgreiches, aber seriöses Unternehmen bekannt, - begann, dieses Spiel mitzuspielen und kaufte die britische Firma Orange für etwa 60 Mrd. DM oder etwa 20.000 DM (ca. 10.000$) pro Kunde, von denen 24 Mrd. DM bar zu zahlen waren. Vodafone AirTouch´s prompte Antwort war dann der feindliche Übernahmeversuch von Mannesmann. Zunächst wurden 43,7 Vodafone-Papiere für eine Mannesmann-Aktie (Marktwert 200 Mrd. DM), später 53,7 Stück angeboten (Marktwert 242 Mrd. DM). Eines der Argumente von Mr. Gent war, daß das Zusammengehen VodafoneMannesmann eine feindliche Übernahme seitens einer amerikanischen Firma wie Worldcom oder AT&T verhindern würde (Mr. Gent als europäischer Stakeholder!), ein anderes, daß der Preis für Orange für Mannesmann viel zu hoch gewesen sei. Aus meiner Sicht ist niemand in der Lage ernsthaft darzustellen, wie angesichts solcher Preise in Zukunft Geld im Mobilfunkgeschäft verdient werden kann, selbst wenn man berücksichtigt, daß sie teilweise mit eigenen Aktien bezahlt wurden bzw.- werden. Ein Argument sind die inzwischen sehr geringen Preise für das Telefonieren. Ein anderes, daß die Produkte dieser Untenehmen relativ homogen sind und daß auf solchen Märkten selbst eine oligopolistische Struktur keine Garantie dafür ist, überproportionale Gewinnraten realisieren 11 zu können. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist in der „New Economy“ extrem in die Höhe geschossen. Aber bereits in den nächsten zwei oder drei Jahren kann der Markt für Mobilfunk sich bereits einem Sättigungszustand nähern, obwohl die nächste Generation der Mobilfunktelephone – UMTS-basiert – den Umsatz diese Sektors wahrscheinlich weiter steigen lassen wird, allerdings um eine unbekannte Größenordnung (Vgl. die bisherige Umsatzentwicklung in Tab. 5 sowie DIW, 2000[1]). Tab. 5: The West-European market of telecommunication (turnover in bill. €) Year 1997 1998 1999 2000 2001 Turnover 197 221 250 277 300 Annual 12.2 14.2 11.0 8.3 growth in% -Germany 58.6 -Gratbritain 43.6 -Italy 39.9 -France 39.7 -Spain 25.6 -The 12.8 Netherlands -Switzerland 8.8 -Sweden 7.7 Source: EITO, Globus, Westfälische Rundschau, 4th of July 2000; author´s calculation; Bömer, 2000[2] Die Kosten für die UMTS-Lizenzen und die zugehörigen Infrastrukturinvestitionen sind allerdings gewaltig. Wenn man die Fundamentaldaten (Umsatzentwicklung, Kosten, KGV) vernachlässigt und statt dessen nur der internen Logik des Spiels an der Börse und zwischen den Vorständen der Telekommunikationsunternehmen folgt, das zu einem hohen Maße bereits von R. Hilferding im Jahre 1910 mit der Kategorie „Gründergewinn“ theoretisch erfaßt worden ist (Hilferding 1910/1968), wird man einige der jeweils aktuellen Argumente, die in diesem Milliardenspiel verwendet wurden, nachvollziehen können. Die Zentralisierungslogik dieses Marktes verlangt von den Unternehmensführungen, ihre Unternehmen „schwerer“ zu machen, d.h. ihren Börsenwert zu steigern bzw. zu maximieren, um sich vor Übernahmen zu schützen. Die Orange-Übernahme mag von Mannesmann auch unter diesem Gesichtspunkt betrieben worden sein. Dennoch war sie ein Aggressionsakt gegen den Partner Vodafone, weil dieser mit 34% an der Mobilfunktochter D2 beteiligt war. Es galt und gilt in dieser Branche folglich schlicht das Motto „Fressen, um nicht gefressen zu werden“ bzw. „Man muß mit den Wölfen heulen, wenn man überleben will“. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Mannesmann betrug am 23. 12. 1999 347,99 zu 1, das von VW oder andern klassischen Blue Chips dagegen etwa 11! Eine Erklärung für diesen fundamentalen Unterschied besteht darin, daß auf explodierenden Märkten nicht Umsatz und Gewinn die Kurse bestimmen, sondern von den Analysten und Investmentbanken die Kategorie Ebitda (Earnings Before Interst, Taxes, Deterioration and (Goodwill)Amortisation) (Gewinn vor Abzug von Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Paketzuschlag) genutzt wird. Da die Investitionen dieser Firmen rasant gestiegen sind, ist dieser Index in der Tat in den letzten Jahren und Monaten rasant in die Höhe geschossen. In ihm spiegelt sich unternehmerisches Draufgängertum wider. Letztendlich wird das KGV wieder die Aktienpreise an den Börsen bestimmen (Vgl. zur detaillierteren Diskussion der 12 Börsenkursentwicklung I. Schmidt, 2000, S. 494 ff). Niemand kann aber sicher sein, daß Unternehmen wie Vodafone oder Deutsche Telekom in der Lage sein werden, in Zukunft viel Geld zu verdienen, weil sie mit ihrer Expansionsstrategie und der UMTS-Runde hohe Schulden machen, die sich bis 2002, dem Beginn des UMTS-Zeitalters, dessen Umsatzpotenzial völlig im Dunkeln liegt, noch erheblich erhöhen werden. 3.3. Die Reaktion der Politiker In der ersten Phase haben einige deutsche Politiker wie Bundeskanzler Schröder nationalistische Töne angeschlagen. Aber schnell haben sie ihre Argumentation dann rationaler gestaltet, indem sie die Vorteile einer friedlichen Einigung hervorhoben. Hätte der Mannesmann-Vorstandsvorsitzende Esser letztlich nicht in das Übernahmeangebot eingewilligt, hätte Vodafone einen Riesenkredit aufnehmen müssen, um den nichtinteressierten Teil der Aktionäre bar auszuzahlen. Dies hätte die zukünftigen Gewinne drastisch reduziert und damit zu großen Steuerausfällen beim Bund, den Ländern und den Standortgemeinden (Gewerbesteuer) geführt. Das Steuerproblem war übrigens eines der wesentlichen Argumente, das die NRWLandesregierung bereits 1997 bewog, für eine friedliche Fusion der Stahlkonzern Thyssen und Krupp anstelle der feindlichen Übernahme von Thyssen durch Krupp zu argumentieren (und mit Hilfe des Anteileigners WestLB, die Londoner City mit ca. 15 Mrd. DM hätte finanzieren wollen. Aber natürlich erwuchsen aus dieser Fusion dennoch Probleme: Das Beispiel Thyssen-Krupp zeigt einmal mehr, daß der Verlust von Mehrheiten letztlich auch zum Kontroll- und Funktionsverlust der Standorte führte, wo die Konzernzentralen der unterlegenen Firmen lagen. Dies bedeutet letztlich den Verlust von Arbeitsplätzen, besonders auch im Hochqualifikationsbereich. Während die Übernahme von Hoesch durch Krupp im Jahre 1993 regionalpolitisch einigermaßen unter Kontrolle gehalten werden konnte, indem (aufgrund von starken Aktionen der Beschäftigten und der Lokalpolitik) verschiedene Zentren auf operativer Ebene und auch die Produktionssparte im Wesentlichen in Dortmund gehalten werden konnten, machte die nächste Runde der Zentralisation diese Garantien obsolet, was (mit Ausnahme eines Kaltwalzwerks) zur Totalstillegung der Roheisen-, Stahl- und Warmwalzwerke im Jahre 2001 führt. Insgesamt geht also die Kontrolle des Telekommunikationssektors von Mannesmann über den Kanal. Ob die Europaaktivitäten von Vodafone von Düsseldorf aus geleitet werden, so ein Verssprechen von Mr. Gent im Verlaufe der Übernahmeauseinandersetzungen, ist offen und dürfte eher unwahrscheinlich sein. 3.4. Die Zerschlagung des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone. Wegen der Hohen Schulden und der Fortsetzung der Zentralisationsprozesse war Mr. Gent gezwungen, Atecs und die andern Teile des Konzerns möglichst schnell zu verkaufen. Siemens und Bosch, deren Konzernzentralen in München bzw. Stuttgart liegen, kauften Atecs für ca. 19 Mrd. DM. Die Mannesman-Röhrenwerke (MRW) wechselten zur Salzgitter AG zum Preis von einer DM, wobei zunächst das Eigenkapital um etwa 750 Mill. DM aufgestockt werden mußte. Im Juli 2000 wurde schließlich der Luxusuhrenhersteller LMH für 3,5 Mrd. DM an die Schweizer Luxusartikelfirma Richemont verkauft. Obwohl die neuen Eigentümer von Atecs garantierten, daß dieser Konzernteil drei Jahre lang nicht zerlegt werden sollte (was ich nicht geglaubt habe, s.u.), wurden die ersten negativen Effekte für das Rhein-Ruhrgebiet unmittelbar deutlich: Die Thyssen Krupp AG, die mit ihrem Angebot von 17 Mrd. DM nicht zum Zuge gekommen war, begann sofort Firmen aus ihrem 13 Maschinenbausektor zu verkaufen, z.B. im Bereich Kunststoffverarbeitung, weil diese Sparte aus der Sicht der Konzernleitung nicht groß genug ist bzw. war, ohne den erhofften Zuwachs aus dem Mannesmann Bestand auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Später geriet die Konzernstrategie von Thyssen Krupp generell in eine schwierige Situation1. Meine Vermutung, daß die „Garantie“ von Siemens und Bosch, Atecs für drei Jahre nicht zu zerschlagen, von Anfang an nichts wert war, wurde schnell bestätigt. Im Juli 2000 wurde bekannt, daß darüber verhandelt wurde, VDO vorzeitig in die Automobilelektronik-Sparte von Siemens zu integrieren und auch die anderen Gebiete unter den beiden Konzernen aufzuteilen. 3.5. Nachtrag: ein Liquiditätsproblem bei Vodafone und anderen Telecom-Firmen? Vodafone hat Mannesmann übernommen. Siemens und Bosch kauften für 19 Mrd. DM Atecs, und der Stahlproduzent Salzgitter AG verleibte sich die Mannesmann Röhrenwerke ein. Am 30.5.2000 kaufte nun France Telecom (FT) die Mannesmann-Tochter Orange für netto 25,1 Mrd. Pfund und wurde dadurch nach Vodafone zum zweitgrößten Mobilfunkunternehmen in Europa. 11,3 Mrd. Pfund werden mit Aktien und 13,8 Mrd. in bar bezahlt. FT übernimmt außerdem Orange-Schulden in Höhe von 1,8 Mrd. Pfund sowie die Kosten der UMTS-Lizenz in Großbritannien in Höhe von 4,1 Mrd. Pfund. FT zahlt somit mehr als 15.000 DM pro Kunde. Vodafone war an möglichst viel Bargeld interessiert, weil es sich überall in Europa um UMTS-Lizenzen bewirbt. Mannesmann D2 z.B. hat ca. 16,5 Mrd. DM für eine der sechs Lizenzen zu zahlen, die am 17. 8.2000 in Deutschland unter den Hammer gekommen sind. Allein für diese Firma werden die in den nächsten 3 Jahren aufzubringenden Infrastrukturinvestitionen auf zusätzliche 10 Mrd. DM geschätzt. Der Gesamtwert der Lizenzeinnahmen in Deutschland beträgt 98,8 Mrd. DM (SZ, 18.8.00). ein Pressesprecher der Deutschen Telekom nannte das Verfahren von Mainz „kompletten Wahnsinn“. Vaodafone´s Problem (und das auch der anderen Mitbieter) ist das Wachstum der Schulden und der Zinszahlungen. Es stimmt zwar, daß die Übernahme von Mannesmann hauptsächlich mit eigenen Papieren bezahlt worden ist und die Ausschlachtung von Mannesmann knapp 100 Mrd. DM eingebracht haben dürfte, davon mehr als die Hälfte in Bar (Atecs , Orange und LMH). Sie haben jedoch auch Schulden mit übernommen, z.B. die, die noch aus der Übernahme von Orange durch Mannesmann im Herbst 1999 stammen. Außerdem verkaufen die meisten europäischen Staaten ihre UMTS-Lizenzen bar. Financial Times schätze den operativen Gewinn von Vodafone für das Geschäftsjahr 99/2000 auf 2,64 Mrd. Pfund, „less than twice the likely annual interest rate“ (Financial Times, 26.5.2000, S. 26). Der Börsenkurs der Vodafone-Aktie verringerte sich allein von März bis Mai 2000 um etwa ein Drittel. Dies bedeutet, daß es nun extrem schwierig bis unmöglich wurde, neue Emissionen an der Börse zu tätigen, um Bargeld zu erhalten. Möglicherweise steuern Vodafone und andere Gesellschaften auf eine Liquiditätskrise zu. Analysten schätzen, daß Vodafone zwischen 50 und 58 Mrd. Pfund für den Erwerb der UMTS- Lizenzen und die entsprechend notwendigen Infrastrukturinvestitionen benötig, davon das meiste in bar (Financial Times, 26.5.00, S. 26). Dabei kann niemand sagen, ob die dritte Mobilfunkgeneration so erfolgreich wie die 1 Thyssen Krupp AG brach den Versuch, 30-35% seiner Stahlsparte an die Börse zu bringen und dabei mindestens 3 Mrd. DM zu erlösen, wegen der Schwäche der Börsenkurse in der 2. Hälfte des August 2000 ab. Der französische Stahlproduzent Usinor war als potentieller Interessent im Gespräch und ist es auch nach der Vertagung des Börsengangs, wobei sogar über einen Komplettverkauf spekuliert wird. Aus meiner Sicht ist es aber völlig unverständlich, warum dem Vorstand der Thyssen Krupp AG daran gelegen ist, sich vom Stahl zu trennen. Natürlich mag es schwierig sein, den in der Regel schlicht denkenden Analysten klar zu machen, daß die Gewinnlage der Stahlunternehmen zwangsläufig je nach Konjunkturlage überproportional schwanken. Aber es sollte doch möglich sein, das Image dieser Branche durch Öffentlichkeitsarbeit so zu festigen, daß deutlich wird, daß im Durchschnitt eines Zyklus auch dieser Sektor rentabel betrieben werden kann. 14 vorhergehenden sein wird (vgl. DIW, 2000 [1])2. Diese gewaltigen Summen müssen im Voraus finanziert werden. Vodafone ist seit 1999 um etwa 400% expandiert. Aber jeder Betriebs- und Volkswirt sollte wissen, wie riskant eine solche Expansion ist. Lastenverteilung Obwohl der Vodafone –France Telecom- Deal Teile des Risikos auf FT verschoben hat, existiert trotzdem das Problem, genug Gewinne zu machen, um in Zukunft die Schulden und Zinsen zahlen zu können. Die Deutsche Telekom wird ebenso mit diesem Problem belastet werden, weil diese Firma sich entschlossen hat, die US-Gesellschaft VoiceStream für den astronomischen Preis von 50,7 Mrd. $ zu kaufen (an Stelle von Sprint, von der sich Worldcom aufgrund von Entscheidungen der US-Kartellbehörden trennen muß). VoiceStream hatte Ende März 2000 nur 2,3 Mill. Kunden. Der Preis pro Kunde lag damit bei 20.000 $!!!3 Anleiheemissionen Die Hauptstrategie zur Refinanzierung dieser gewaltigen Summen verlagert sich nun vom Aktien- auf den Anleihemarkt und teilweise sogar auf klassische Bankkredite, weil die Börsenkurse der Telekom-Unternehmen im ersten Halbjahr 2000 abgesackt sind. Die Deutsche Telekom begann mit im Juni 2000 mit 13,5 Mrd. $, der größten jemals von einer privaten Firma begebenen Anleihe, die spanische Telefonica, France Telecom und British Telecom (die eigentliche Gewinnerin der UMTS-Versteigerung in Deutschland, weil sich VEBA-VIAG von ihrem 49%-Anteil an Viag Interkom trennt und an British-Telecom verkauft) bereiten Emissionen in Höhe von 25 Mrd. $ vor (SZ, 11.8.2000). Dies bedeutet für die Zukunft eine gewaltige Zinsbelastung, die eventuell zu Verlusten und somit auch zum Ausfall von Gewinn- und Gewerbesteuern führen wird. Die Ratingagenturen Standard&Poor´s sowie Moody´s haben denn auch reagiert und sowohl die deutsche Telekom als auch die anderen UMTS-interessierten Firmen in Europa stark herabgestuft, so France Telecom von Aaminus um zwei Stufen auf A, British Telecom von AAplus um vier Stufen auf A, Deutsche Telekom von AAminus um wahrscheinlich drei Stufen. „Eine Herabstufung um drei Stufen kann die Refinanzierungskosten der Telekom um bis zu 0,5 Prozentpunkte verteuern“, wird ein Finanzanalyst des Bankhauses Merck Finck zitiert (SZ, 25.8.00, S. 25). Der Übergang zur Anleihefinanzierung ist somit ein Signal dafür, daß sich diese Teile der „New Economy“ den Geschäfts- und Finanzierungsusancen der ´ordinären´ Wirtschaft nähern. Ein wesentlicher Unterschied der Börsenfinanzierung zur Anleihefinanzierung besteht darin, daß Kursverluste nach erfolgreicher Aktienemission das Unternehmen zunächst nicht treffen müssen. Das volkswirtschaftliche Problem rührt aber daher, daß die (Kleinaktionäre) aufgrund hoher Gewinnerwartungen ihr Konsum- und Sparverhalten verändert haben (Wohlstandeffekt einer Aktienhausse, der sich im Gegenzug natürlich in ein Angstsparen verwandeln kann). Außerdem haben viel Leute und auch Großspekulanten Aktien auf Kredit 2 Es ist daran zu erinnern, daß Systeme wie Iridium, ein weltweites satellitengestütztes Mobiltelefon von motorola, gescheitert ist und Mororola etwa 5 Mrd. $ abschreiben mußte, Möglicherweise ereilt Globalstar, an dem die Deutsche Telekom beteiligt ist, das selbe Schicksal (DIW, 2000[1]). 3 Die Anteilseigener von VoiceStream erhalten 3,2 Telekom-Papiere pro Anteil sowie 30 $ pro Aktie. Wahlweise können sie auch 200$ pro Aktie verlangen. Obwohl Deutsche Telekom damit einen großen Anteil des Gesamtpreises mit eigenen Papieren bezahlen könnte, ist es dennoch möglich, das der Baranteil sehr hoch sein wird. In der Wirtschaftspresse wurde er mit 26 Mrd. DM (!) beziffert (SZ, 25.8.00, S. 25). Eine andere delikate Information ist, dass VoiceStream im Jahre 1999 bei einem Umsatz von 475,5 Mill. $ einen Verlust von 454,7 Mill $ gemacht hat (SZ, 25.7.2000, S.25). Das einzige Argument, das Ron Sommer vortragen konnte, war, daß VoiceStream den GSM Standard nutzt, der den US-Systemen überlegen sei. 15 gekauft (Huffschmid, 1999) und stehen damit möglicherweise vor dem Problem der Zahlungsunfähigkeit. Steuerverluste Obwohl die Finanzminister der Nationalstaaten glücklich über die hohen UMTSLizenzeinnahmen sind, werden sie, die Länderfinanzminister und die Stadtkämmerer große Gewinn- und Gewerbesteuereinnahmeverluste hinnehmen müssen. Erste Schätzungen allein für das Land NRW (ohne die Kommunen) belaufen sich auf 300 Millionen DM pro Jahr über den Abschreibungszeitraum von 20 Jahren. Bei den Kommunen wird für die 20 Jahre mit Gewerbesteuerausfällen in Höhe von 17 Mrd. DM gerechnet, den Ländern entgehen in dieser Zeit 10 Mrd. DM an anteiliger Körperschaftssteuer, so Bayerns Finanzminister Falthauser im SZ-Interview vom 26./27. 8.2000 (S. 27). Daher fordern Länder wie Bayern und NRW aus meiner Sicht absolut zu recht, einen Teil der Lizenzeinnahmen an die Länder und Kommunen weiterzureichen. Falthauser schlägt vor, den Fonds „Deutsche Einheit“, für den Bund, Ländern und Kommunen jährlich 9,5 Mrd. DM für Annuitäten zahlen müssen, zu entlasten. Hohes Umsatzrisiko für die UMTS-Technologie Obwohl die DIW-Schätzung für die zu erwartenden Lizenzeinnahmen in der Bundesrepublik, die das Institut in einem Beitrag vom Juli 2000 auf nur etwa 20 Mrd. DM angesetzt hatte (DIW, 2000[1]), völlig daneben lag, sind die Argumente, die die Berliner Ökonomen für diese Schätzung anführten, aus meiner Sicht nach wie vor stichhaltig: Hohes Marktrisiko der UMTS-Handys, von den Unternehmen unkontrollierbare oligopolistische Strukturen, die wohl kaum eine monopolistische Preispolitik ermöglichen, Parallelen zu den gescheiterten Systemen Iridium und Globalstar. So muß der Freudentaumel der Finanzminister sehr kritisch betrachtet werden. 4. Politik in der globalisierten Shareholder-Ökonomie – einige Anmerkungen zu den Möglichkeiten, den Prozeß zu steuern und zu kontrollieren. 4.1. Übernahmegesetz (Vgl. Putzhammer/Köstler, 2000) Freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen bezüglich des Übernahmeverhaltens der (multinationalen) Firmen haben in der Vergangenheit keine positive Wirkung gehabt. Großbritannien und Deutschland z.B. haben in der jüngsten Zeit schlechte Erfahrungen gemacht (BMW-Rover und Vodafone-Mannesmann). Seit 1989 wird der EUKommissionsentwurf zur 13. Richtlinie zum Gesellschaftsrecht und damit auch zum Übernahmerecht diskutiert. Das Europäische Parlament hat in dieser Auseinandersetzung nicht nur mehr Rechte und Sicherheiten für Minderheiten- und Kleinaktionäre, sondern auch für die Beschäftigten und ihre Vertretungen ins Spiel gebracht. Diese EU-Initiative, die aber dennoch sehr unzureichend ist, scheiterte erneut im Dezember 1999, weil Spanien und Großbritannien einige Dissonanzen über Gibraltar nutzten, um das aus ihrer Sicht ungeliebte Kind, das die krudesten Methoden feindlicher Übernahmen verhindern soll, scheitern zu lassen. Deshalb hat die deutsche Regierung einen eigenen Gesetzentwurf angekündigt. Dabei geht es unter anderem um folgende Punkte: - Schwelle für ein Pflichtübernahmeangebot: Der DGB fordert hier 30 Prozent (Putzhammer, Köstler, 2000, 22). 16 - - - Barzahlungspflicht des Bieters: Der Vorschlag verlangt eine Mischung von Aktientausch und Barzahlung. Die reale Sicherheit für Kleinaktionäre sei auch wichtig, weil immer mehr Belegschaftsaktien begeben würden. Mitbestimmung und Partizipation der Belegschaftsvertretungen. Obwohl die Gegner eines Übernahmegesetzes diesbezüglich von einem Übernahmeverhinderungsgesetz reden, argumentiert der DGB, daß Informationsrechte und die Festschreibung der Mitbestimmungsregelungen notwendig sind. Z.B. müßte der Vorstand des Übernahmekandidaten verpflichtet werden, den Betriebsrat zu konsultieren, bevor, er eine Stellungnahme zum Übernahmeangebot abgibt usw. Neutralität des Vorstands des Übernahmekandidaten: Der Richtlinienentwurf Nr. 13 fordert, daß der Vorstand neutral sein muß. Dies sei unlogisch, denn selbst in den USA haben die Firmen das Recht, sich zu verteidigen. Zweitens verwandele die EU die Aktiengesellschaft damit in eine reine Anteilseigner-Organisation. Der DGB argumentiert gegen diesen Ansatz (Putzhammer, Köstler, 2000) und fordert, die gesamten Unternehmensinteressen als eine Mischung der Interessen der anteilseigner, der Beschäftigten, der Öffentlichkeit, Kreditgeber (und der Standortregionen, H.B.) zu betrachten. 4.2. Regionale Kooperation, Infrastruktur und Qualifikationspolitik Regionen und Städte ohne starke Positionen als Standort von Konzernzentralen (wie das Ruhrgebiet, Dortmund oder insbesondere auch die neuen Bundesländer) haben keine Chance, sich erfolgreich zu entwickeln, wenn sie nicht ihre eigenen endogenen Potenziale und die des Landes, in diesem Fall des Landes NRW bündeln. Wenn es genügend Innovationspotenziale in Form von Universitäten, öffentlichen Forschungseinrichtungen, Forschungs- und Entwicklungszentren großer Unternehmen und ein gutes öffentlich-privates institutionelles Netzwerk zur Entwicklung neuer Cluster wie etwa des Software- und Logistik-Cluster in Dortmund und selbst in Duisburg gibt, haben sie vielleicht die Chance, die Vergrößerung des Abstandes zu den gut positionierten Ballungsgebieten zu verhindern. Vgl. z.B. Abb. 4. Die Unternehmensorientierten Dienstleistungen scheinen sich seit 1994 relativ zum Bundesdurchschnitt wieder besser zu entwickeln, der Sektor Verkehr seit 1992. Die Abteilung Staat und Organisationen ohne Erwerbscharakter trägt offensichtlich ebenfalls zur Stabilisierung bei. Ich würde jedoch meinen, daß es unmöglich ist, daß die Region aus eigener Kraft (d.h. ohne zusätzliche Strukturhilfen und schon gar nicht bei Auslaufen derselben nach 2006) der in der Lage sein kann, die Vergrößerung des Abstands zu verhindern oder ihn gar zu reduzieren. Genau dies aber verlangt die Landesregierung von den Ruhrgebietskommunen auf sehr voluntaristische Weise4. 4 Wirtschaftsminister Schwanhold hat dies anläßlich einer OB-Konferenz der Ruhrgebietsstädte im August 2000 angemahnt, ohne Mittel und Wege aufzuzeigen (WR,...) 17 Abb. 4 Abb. 6: Die relative Beschäftigungsentwicklung nach Wirtschaftsabteilungen im Verdichtungsraum Ruhr 1976-1998 Veränderung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt Staat, Org. o. Erw. 0% Haushalts-orient. Dienstleistungen Bergbau Kredit, Versicher. Verkehr -10% Handel Gesamtwirtschaft Baugewerbe -20% Unternehm.orient. Dienstleistungsgew. Verarbeit. Gew. -30% 1975 1980 1985 1990 1995 Quelle: Beschäftigtenstatistik, eigene Auswertungen Bade UniDO 4.3. Nationalstaatliche und Europäische Regionalpolitik Da die endogenen Aktivitäten nicht in der Lage sein werden, die Vergrößerung des Abstandes zu verhindern, muß die nationalstaatliche und europäische regionale Strukturpolitik zugunsten der Krisenregionen verstärkt und auch über das Jahr 2006 hinaus fortgesetzt werden. Es ist vollkommen unverständlich, daß die Landesregierung NRW schon jetzt davon ausgeht, daß es nach 2006 in Westdeutschland keine Ziel 2-Regionen mehr geben wird. Vgl. hierzu die Deklaration der Europäischen Ökonominnen und Ökonomen für eine alternative Wirtschaftspolitik, 1997 und 2000 sowie Bömer, 2000[1]). 4.4. UMTS- Lizenzpreispolitik, Steuerpolitik und allgemeine Finanzrisiken Die Regierungen sollten sich – soweit es noch nicht zu spät ist - genau überlegen, ob es wirklich klug ist, die Preise für die Lizenzen zu maximieren. Obwohl dies die Erfahrungen auf den Kopf zu stellen scheint, daß Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, was auf den ersten Blick erfreulich ist, wird sich auf lange Sicht das Risiko auch für die öffentlichen Hände stark erhöhen. Auf die wahrscheinlichen jahrelangen Steuerausfälle dieses Wirtschaftszweiges ist schon verwiesen worden. Darüber hinaus gibt es auch das Risiko einer allgemeinen Finanzkrise, wenn die Global Player der Telekommunikationsindustrie überschuldet sind. Der Übergang zum Shareholder-Kapitalismus läßt derartige Risiken, die im „goldenen Zeitalter“ des Keynesianismus unmöglich waren, wieder denkbar erscheinen. Literatur: 18 Bömer, H. (2000[1]): Ruhrgebietspolitik in der Krise. Kontroverse Konzepte aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Verbänden. Unter Mitarbeit von M. Jacobs, R. Rath und P. Rogge. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung Bd. 101, Hrsg. Institut für Raumplanung, Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund. Im Erscheinen Bömer, H.(2000[2]): The regional impact of the „hostile“ takeover of Mannesmann by Vodafone on the Rhine-Ruhr Region – a new paradigm for stakeholders in/ from traditional industrial regions in Germany? Paper presented to the XIV AESOP-Congress at Brno, Czech Republic 18.-23.7.200, Revised Paper presented again to the European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe. Brussels, 29.9.-1.10.2000 ( http://rwp.raumplanung.uni-dortmund.de ) Blotevogel, H.H. (1998): Europäische Metropolregion Rhein-Ruhr. Theoretische, empirische und politische Perspektiven eines neuen raumordnungspolitischen Konzepts. in: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen. ILS Schriften 135, Dortmund DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2000[1]): Die UMTS-Lizenzvergabe in Deutschland – Auktionsverfahren unbefriedigend. In: DIW Wochenbericht 30/2000., p. 490498 DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2000[2]): Informations- und Kommunikationswirtschaft räumlich stark konzentriert. In: DIW-Wochenbericht 32-33/2000, p. 526-534 European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (1997): Full Employment, Social Cohesion and Equity for Europe. Alternatives to Competitive Austerity. A declaration and memorandum of European economists. Barcelona, Bremen, London, Paris. See http://www.barkhof.uni-bremen.de/kua/memo European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (2000): Alternative Economic Policy Guidelines for Full Employment and Social Cohesion in Europe (draft, June 2000, hektogr. Manuskript). Financial Times, 26-5-2000, p. 26: Ringing the changes in Vodafone´s growing debt burden Freeman, R. (2000): Shared Capitalism or apartheid economy? In: CentrePiece Spring…. Häußermann, H. (1999): Was kann Lokalpolitik in einer globalisierten Welt? in: Süddeutsche Zeitung, 19. 10. 1999 Hilferding, R. (1910/1968): Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus. Frankfurt/Wien. Europäische Verlagsanstalt. Jung, H. (1978): Die privatwirtschaftliche Entwicklungsvariante des staatsmonopolitischen Kapitalismus der BRD: Voraussetzungen, Inhalt, Perspektiven, Entwicklungstendenzen 1973 bis 1978. In: Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF1/1987. Frankfurt Lipietz, S. (1991): Die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit am Vorabend des 21. Jahrhunderts. In: Leviathan 1/1991 19 OECD (Ed.) (1999): Corporate Governance: Effects on Firm Performance and Growth. Paris Putzhammer, H./Köstler, R. (2000): Eckpunkte für ein Übernahmegesetz. In: Die Mitbestimmung. Magazin der Hans Böckler Stiftung. Heft 5/2000 Schmid, Günther (2000): Flexibilität und Sicherheit im globalen Sozialstaat. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 8-9/2000. New Economy oder alter Frühkapitalismus? Schmidt, Ingo (2000): Computer.com & @ktien – Die neuen Quellen des Wachstums?. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 8-9/2000. New Economy oder alter Frühkapitalismus? Schneider, R. (2000): Krieg oder Konvergenz der Kapitalismen? In: Die Mitbestimmung. Magazin der Hans Böckler Stiftung. Heft 5/2000 Streek, W. (1999): Korporatismus in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und europäischer Union. Frankfurt/Main, New York (SZ) Süddeutsche Zeitung, verschiedene Ausgaben Vester, M. (2000): Gibt es eine ´neue Mitte´? Die Gesellschaftliche Basis für eine sozialdemokratische Reformpolitik. In: spw Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft. Heft 1/2000 Vester, M. (1997): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt/M Anhang 20 Karte 1: Das Ruhrgebiet in der Region Nordrhein-Westfalen (Quelle: IRPUD, Bömer, 2000[1]) Karte 2: Das Ruhrgebiet in den Grenzen des Kommunalverbandes Ruhrgebiet (KVR) (Source: KVR, Bömer 2000[1])