- Fakultät Raumplanung

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Regionale Effekte der feindlichen Übernahme von Mannesmann durch Vodafone auf das
Rhein-Ruhrgebiet – Ein neues Paradigma für ´Stakeholder´ von/in traditionellen
Industrieregionen Deutschlands? (Stand: 5.9.00)
Hermann Bömer
Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Politische Ökonomie
August Schmid-Strasse 6, 44227 Dortmund
Email: boemer@rp.uni-dortmund.de
Inhalt
1. Schareholder-Value-Kapitalismus versus „Rheinischer Kapitalismus“ - was sind die
Unterschiede?
2. Externe
Kontrolle
der
Regionen,
Shareholder-Value-Management
regionalökonomische Entwicklung am Beispiel des Ruhrgebiets
und
3. Das Beispiel Vodafone-Mannesmann: ein Modell für den Risikokapitalismus und ein
Faktor der Beschleunigung der externen Kontrolle sowie der Abkopplung des
Ruhrgebiets von den anderen deutschen Agglomerationen?
3.1. Kennziffern zum Mannesmann-Konzern
3.2. Die Übernahmeschlacht im Winter 1999/2000 – eine kurze Übersicht
3.3. Die Reaktion der Politiker
3.4. Die Zerschlagung des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone.
3.5. Nachtrag: ein Liquiditätsproblem bei Vodafone und anderen Telecom-Firmen?
4. Politik in der globalisierten Shareholder-Ökonomie – einige Anmerkungen zu den
Möglichkeiten, den Prozeß zu steuern und zu kontrollieren.
4.1. Übernahmegesetz (Vgl. Putzhammer/Köstler, 2000)
4.2. Regionale Kooperation, Infrastruktur und Qualifikationspolitik
4.3. Nationalstaatliche und Europäische Regionalpolitik
4.4. UMTS- Lizenzpreispolitik, Steuerpolitik und allgemeine Finanzrisiken
1. Schareholder-Value-Kapitalismus versus „Rheinischer Kapitalismus“ - was sind die
Unterschiede?
Es fand und findet eine breite politökonomische Diskussion über verschiedene Varianten oder
Typen des modernen Nachkriegskapitalismus statt (Jung, 1978; Lipiez, 1991; Streek, 1999;
Schneider, 2000; Schmid, 2000). Auch die klassen- und schichtenspezifischen
Differenzierungen dieser Gesellschaftstypen sind Untersuchungsgegenstand (vgl. z.B. Vester,
M. 1999). Die Typen variieren zwischen dem klassischen schwedischen Wohlfahrtsstaat, dem
deutschen korporatistischen und föderalistischen Modell (Deutschland AG), dem
französischen System eines starken Zentralstaates sowie der Transformation des traditionellen
britischen Wohlfahrtsstaates in den 80er Jahren unter M. Thatcher, dem US-amerikanischen
neoliberalen Modell sowie dem japanischen System, das sich durch das Prinzip des „closed
shop“, einen starken Zentralstaat, und das MITI als dem zentralen Planungs- und
Koordiantionszentrum auszeichnete und nach dem Spekualtionsboom der 80er Jahre in eine
tiefe Krise geraten ist. Die Unterscheidung zwischen dem eindimensionalen
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Unternehmens(kurs)wert-Management und mehrdimensionalen Stakeholder-Management auf
der Ebene der Unternehmenspolitik und ihrer Regulierung schließt nicht alle Aspekte der
Verschiedenartigkeit der Nachkriegssysteme des Kapitalismus ein, ist aber natürlich ein
Schlüsselelement, das letztlich Druck auf viele andere Elemente der kontinentaleuropäischen
Gesellschaft und ihrer Politiken ausübt, die sie mehr in Richtung des US-Systems tendieren
lassen. (Es findet derzeit jedoch ein Debatte darüber statt, ob nicht das britische System unter
Thatcher und bislang auch unter Blair das neoliberale Extrem darstellt und nicht das USSystem, das makroökonomisch viel konsequenter auf Wachstum orientiert ist als die EU
einschließlich Großbritanniens, und das auch durch sein tax-credit-System gewisse
Umverteilungskomponenten zugunsten der Niedrigeinkommen enthält. Vgl. hierzu European
Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (2000): Alternative Economic
Policy Guidelines for Full Employment and Social Cohesion in Europe (draft, June 2000,
hektrogr. Manuskript).
Roland Schneider bezieht sich auf eine OECD-Studie über Unternehmensführungssysteme
(corporate governance) (OECD, 1999) und charakterisiert die Aktionärsorientierte
Unternehmensführung als ein System externer Kontrolle. Die Anteile liegen bei
unterschiedlichen Besitzern, obwohl die Pensionsfonds einen großen Einfluß haben. Der
Börsenumsatz ist sehr hoch. Die Anteilseigner unterliegen einem starken Schutz, auch die
Kleinaktionäre. Sie bekommen bessere Informationen. Die Finanzmärkte übernehmen die
Aufgabe, die Firmen stärker zu finanzieren und den Gründerunternehmen mehr Wagniskapital
zur Verfügung zu stellen. Die Finanzmarktakteure spielen die wichtigste Rolle bei der
Beeinflussung der Unternehmensentscheidungen. Institutionelle Investoren kontrollieren mehr
als 40% der Anteile in den USA und mehr als 60% in Großbritannien (Schneider, 2000, 37).
Nichtsdestotrotz kontrollieren einzelne Fondsmanager nur einen geringen Teil einzelner
Unternehmen.
Im Unterschied hierzu ist die sogenannte Stakeholder-Führung von Unternehmen durch ein
Insider-Kontrollsystem charakterisiert. Dies bedeutet ein hohes Maß an Kontrolle der Aktien
und der Stimmrechte auf der Hauptversammlung (durch Großaktionäre und insbesondere die
Großbanken, deren Macht durch das Depotstimmrecht weit über ihre eigenen Anteile
hinausgeht, H.B.). Pensionsfonds sind nicht so bedeutsam im Vergleich zu Banken und
Versicherungsgesellschaften. Die Kapital- und Finanzmärkte spielen nicht die entscheidende
Rolle. Obwohl dies manchmal die Beschaffung von billigem Kapital und Wagniskapital
behindern mag, werden diese Nachteile i.d.R. durch stabile und langfristige Beziehungen
zwischen den Unternehmen und Banken kompensiert. Dieser Typ von Beziehungen stimuliert
langfristig angelegte Investitionen, Forschung und Entwicklung und daher auch die
Wachstumsrate der Produktivität. (Ingenieure spielen in den Vorständen eine größere Rolle
als Finanzspezialisten). Das Stakeholder-System ist in der Lage, eine bessere Rolle bei der
Sanierung von Krisenfirmen und ihrer langfristigen Neuausrichtung zu spielen (z.B. durch
einen unternehmensinternen Verlustausgleich). Wegen der normalerweise stabilen
Beziehungen zu den Gewerkschaften und Betriebsräten wird in der Regel unter diesem
Regime auch mehr in die Qualifikation der Belegschaften investiert.
Optimisten wie R. Schneider, dessen Position hier referiert wurde (Schneider, 2000),
argumentieren, daß das Shareholder-Regime nicht zwangsläufig das Stakeholder-System
verdrängen wird, weil auch in den Ländern, in denen das Shareholder-System dominiert, die
Menschen nach mehr sozialer Sicherheit, höheren Mindestlöhnen usw. streben würden.
Diesen Optimismus teile ich nicht. Das hohe BIP-Wachstum der USA im Vergleich zu
Europa und Japan in den 90er Jahren wird in der Öffentlichkeit hauptsächlich der „Kultur“
des Shareholder-Managements und der Flexibilität auf den Arbeitsmärkten zugeschrieben.
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Tatsächlich aber ist es in erster Line Ergebnis einer klugen makroökonomischen Politik
(niedrige Zinsraten und hohes Defizit-Spending zu Beginn der 90er Jahre).
Eine Vorbedingung der Transformation des kontinentaleuropäischen Systems in ein stärker
auf die Shareholder orientiertes Regime ist die Transformation der Altersversorgung in
Richtung auf die zweite und dritte Säule (Privatvorsorge und Betriebsrenten), die das
Volumen der Finanzanlagen radikal erhöhen würde. Diese „Reform“ wird in der
Bundesrepublik derzeit vorbereitet. (Zur Kritik dieser Rentenreform vgl. Arbeitsgruppe
Alternative Wirtschaftspolitik, Sondermemorandum...). Die sehr geringen gesetzlichen
Renten in Großbritannien haben die dortige Bevölkerung schon lange gezwungen, in private
Pensionsfonds einzuzahlen, die die Basis für die Macht der Pensionsmanager und der
Analysten-Community sind.
2. Externe Kontrolle der Regionen, Shareholder-Value-Management und
regionalökonomische Entwicklung am Beispiel des Ruhrgebiets
Exportbasissektoren sind das Herzstück von Regionalökonomien. Die Stärkung der
vorhandenen und die Schaffung neuer Exportbasissektoren hängt von vielen Faktoren ab,
speziell von der Zahl; Produktivität und Kreativität des innovativen Beschäftigungspotentials
(Beschäftigte und Unternehmer), die sich statistisch in den Kategorien Forschung und
Entwicklung, Unternehmensplanung, Marketing usw. widerspiegeln (Vgl. Schaubild 1 und 2.
Hier sind natürlich nur die abhängig Beschäftigten registriert). Diese Beschäftigten arbeiten in
der Regel in den Städten, in denen die Mehrbetriebsunternehmen ihre Headquarters haben, in
den Zentren der Metropolregionen. Da diese Funktionen in Zeiten, in denen Produktion,
Dienstleistungen und Marketing stärker verwissenschaftlicht werden, steigt auch die
Nachfrage nach diesen Kräften in den Zentren, in denen die Hauptverwaltungen konzentriert
sind, stärker. Ein spezifisches Charakteristikum der Ruhrwirtschaft ist deren überwiegende
externe Kontrolle. Es ist schon immer hauptsächlich eine Ausführungsregion gewesen, nicht
eine Führungsregion, in der Management- und Forschungsfunktionen konzentriert waren. Aus
verschiedenen Gründen (Sub- und Desurbanisierung, Deindustrialisierung in Teilen der
„alten“ Wirtschaftszweige, die ihrerseits durchaus hochmodern sein können (z.B. die
Stahlindustrie)) ist das Ruhrgebiet heute auch nicht mehr eine besondere Produktionsregion,
wenn man z.B. den Indikator Industriedichte heranzieht (Blotevogel, 1998).
Düsseldorf dagegen war und ist immer noch der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“. Die
Konzernzentralen von Mannesmann, Thyssen, VEBA und anderer Großunternehmen waren
und sind immer noch in Landeshauptstadt Düsseldorf beheimatet. Auch die meisten der
Anteilseigner der Ruhrkonzerne regulieren und managen ihre Interessen von außerhalb,
insbesondere die privaten Großbanken (Deutsche Bank, Dresdener Bank, Commerzbank) von
Frankfurt sowie die WestLB von Düsseldorf aus. Die Großbanken werden ihre Anteile
möglicherweise verstärkt verkaufen, wenn am 1.1.2001 die Steuerreform in Kraft tritt, die die
Besteuerung von Verkäufen von Unternehmensanteilen (und die in ihnen schlummernden
stillen Reserven) beendet. Dies ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Demontage der
Deutschland AG und des Übergangs zum Shareholder-Kapitalismus.
Die zweite Industrialisierungswelle erfaßte das Ruhrgebiet in den 1960er Jahren, als
Untenehmen wie General Motors große Investitionen plazierten (Bochum, 1962; Siemens in
Gladbeck und Witten; Dupont in Hamm). Das Problem der externen Kontrolle wuchs erneut.
Die dritte Investitionswelle, z.B. das CentrO in Oberhausen, der Warner Brothers Movie Park
in Bottrop oder die total anonymen Investoren in Bürogebäude, Projekte der
Unterhaltungsindustrie, ist im wesentlichen durch die nationalen und internationalen
Finanzzentren gemanaged (Häußermann, 1999), obwohl hier angemerkt werden muß, daß
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selbst noch heute die Finanzmärkte der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs
und Japans sehr stark national verfaßt sind (Huffschmid, 1999). Ein Ergebnis der
Verdopplung der externen Kontrolle des Ruhrgebiets besteht darin, daß die Chancen sinken,
den Verlust von Jobs im unternehmensorientierten Dienstleistungsbereich im Vergleich zur
Entwicklung im nationalen Durchschnitt zu verhindern. Die folgenden Abbildungen, speziell
Abb. 2, demonstrieren diese Relation und die Abkopplung des Ruhrgebiets eindeutig.
Die Transformation des deutschen Modells des Kapitalismus, das viel stärker als das angloamerikanische ein Stakeholder-System war (und immer noch ist), sowie die Entwicklung der
Märkte für Unternehmen signalisieren damit einen fundamentalen Wechsel und eine neue
Dimension der Bedeutung der externen Kontrolle von Unternehmen und Regionen. Solange
große private Banken die Eigentümer der Unternehmen einer Region sind, wissen die Leute
und Akteure, wo die Entscheidungszentren sind. Das deutsche Modell der Mitbestimmung in
Großunternehmen und speziell in der Kohle- und Stahlindustrie (paritätische Mitbestimmung)
macht(e) es den Gewerkschaftsführern und den Betriebsräten großer Unternehmen möglich,
persönlich die Personen zu kennen, die über strategische Investitionen, Fusionen
Übernahmen, Standorte usw. entscheiden. In der Shareholder-Ökonomie machen dagegen die
Manager der Pensionsfonds sowie die Analysten in den Investmentabteilungen der Banken
sehr unpersönliche Entscheidungen und schielen verstärkt auf die kurzfristige Profitabilität
von Unternehmensstrategien. Die externe Kontrolle der Ruhrgebietswirtschaft (und jeder
anderen Region) wird verdoppelt, wenn z.B. feindliche oder auch friedliche Übernahmen die
Konzernzentralen in Düsseldorf in von Vodafone und Siemens/Bosch abhängige
Managementfilialen verwandeln. Selbst Aktivitäten mit traditionell extrem starkem
Regionalbezug wie die großer Wohnungsgesellschaften, die früher im Eigentum der
Montankonzerne Thyssen, Krupp, Hoesch sowie der Ruhrkohle AG waren, werden
zunehmend der Kontrolle und den Verwertungsregeln der Börse unterworfen. Z.B. muß
Viterra, die größte private Wohnungsgesellschaft mit mehr als 130.000 Wohneinheiten, die
früher VEBA gehörte und sich nun im Besitz von e.on (VEBA-VIAG) befindet, nun sehr
hohes Mindestrenditen für die Anteilseigner erwirtschaften.
Konzentration auf Kernkompetenzen
Es ist kein Zufall, dass die Stärkung der Aktionärsposition simultan begleitet wird von der
Management-Regel der Konzentration auf die Kernkompetenzen anstelle der Konzeption der
Diversifikation. Dies bedeutet, dass das Management die Gelegenheit hat, ihre intellektuellen
Kompetenzen auf wenige Branchen, Produkte und Dienstleistungen zu konzentrieren. Der
Prozeß von Fusionen und Übernahmen reartikuliert den Branchenansatz anstelle des
modernen regionalen Cluster-Ansatzes. Der Index der relativen Konzentration in den
Branchen wird steigen. Es wird versucht werden, monopolistische oder zumindest
oligopolistische Positionen zu erreichen bzw. zu festigen, um Kontrolle über die
Preisentwicklung zu erlangen. Auf Märkten mit homogenen Produkten wie Stahl oder
anderen Werkstoffen, Energie (Elektrizität, Gas und Öl) ist es möglich, diese Versuche durch
öffentliche Kartellbehörden zu vereiteln. Dies ändert sich aber auf Märkten wie Autos oder
entwickelte Konsumprodukte, die eng mit verschiedenen Lifestyles verbunden sind, damit
auch mit hohen Design- und Marketingkosten.
Der erste Schritt zur Herstellung der Shareholder-Transformation eines Unternehmen ist die
Umwandlung von Konzernen in Holdings, die die verschiedenen Geschäftsfelder als
Profitcenter führen. Der zweite Schritt besteht dann darin, diese Geschäftsfelder in
börsennotierte Gesellschaften umzuwandeln. Wenn das Kursniveau hoch ist, erfüllt dieser
Schritt verschiedenen Funktionen: erstens kann der Gründergewinn durch das Begeben von
neuen Aktien einkassiert werden (Hilferding, 1910/1968). Zweitens ermöglicht dieser Schritt
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die Beschleunigung von Fusionen, weil es nun für die Beratungsunternehmen und
Investmentbanken viel leichter ist, die Unternehmen zu bewerten. Drittens ist die Aufspaltung
der Unternehmen eine Methode, den gesamten Börsenwert zu maximieren, was es
möglicherweise für andere Unternehmen schwieriger macht, eine feindliche Übernahme
durchzusetzen. Viertens schafft sich das Unternehmen damit eine eigene Aquisitionswährung,
mit der sie selbst Übernahmen finanzieren kann.
Regionale Konsequenzen
Die Regionalen Konsequenzen dieser Transformation sind sehr komplex und widersprüchlich.
Auf der einen Seite werden neue Rationalisierungspotenziale erschlossen, die die Zahl der
Arbeitsplätze i.d.R. verringert, falls keine effektiven Strategien zur Schaffung von
Ersatzarbeitsplätzen existieren. Auf der anderen Seite kann es möglich sein, dass
Tochtergesellschaften großer Unternehmen, die vormals nicht zu den Hauptaktivitäten
gehörten – so der Fall mit vielen Maschinenbauaktivitäten im den Montankonzernen – neue
Chancen erhalten, neue Märkte zu gewinnen bzw. mit anderen Unternehmen der selben
Branche zu fusionieren und damit starke Marktpositionen zu gewinnen.
Die intraregionalen Unterschiede der externen Kontrollintensität
Die Unterschiede zwischen kontrollierenden und kontrollierten Regionen werden im
Ruhrgebiet selbst reproduziert und beim Übergang zum Shareholder-System vertieft. Die
Stadt Essen (600.000 Einwohner) ist der wichtigste Standort für Konzernzentralen im
Ruhrgebiet (RWE, Krupp, RAG, Ruhrgas), während z.B. Dortmund (ebenfalls 600.000
Einwohner) in den letzten zehn Jahren schrittweise diese Funktionen verloren hat. Der
Stahlproduzent Hoesch, der 1979 noch 24.000 Beschäftigte in der Stadt hatte, wurde 1993
von Krupp übernommen. Krupp selbst fusionierte 1997 mit Thyssen. Im Jahre 2001 werden
nach den derzeitigen Planungen in Dortmund der letzte Hochofen, das Stahlwerk sowie die
Warmbreitbandstraße, ein Kaltwalzwerk sowie die Großkokerei stillgelegt. Nur noch eine
Kaltwalzanlage wird weiterbetrieben, weniger als 1.500 Arbeiter beschäftigt. Ein anderes
Beispiel ist die Übernahme des Versorgungsunternehmens VEW durch das RWE im Jahr
2000. Auch die Union-Schultheiss-Brauereigruppe, die sich bereits im Portefeuille der
HypoVereinsbank befand, wird ihre Selbstständigkeit verlieren und von der SchörghuberGruppe (München) übernommen.
Natürlich ist es heute besonders wichtig, sich auch die räumliche Verteilung der zweiten
Führungsebene, d.h. die Managementzentralen der operativen Unternehmen, anzusehen und
sie zu beeinflussen. Aber selbst wenn die lokalen und regionalen Stakeholder in der ersten
Fusionsrunde in der Lage sind, trotz der Abwanderung der Konzernzentrale Standorte der
zweiten Führungsebene zu sichern und sich garantieren zu lassen, gibt es keine Garantie, dass
in der nächsten Fusionsrunde (z.B. bei dem eventuellen Zusammengehen von Thyssen Krupp
Steel und dem französischen Monopolisten Usinor) die Zusagen noch eingehalten werden.
Obwohl es sehr wichtig ist, in allen Sektoren die Entwicklung von neuen Untenehmen zu
fördern, speziell im Sektor unternehmensorientierte Dienstleistungen, so ist doch klar, dass
große Regionen wie das Ruhrgebiet oder Rhein-Ruhrgebiet, das von der NRW-Regierung als
Europäische Metropolregion betrachtet wird (Blotevogel, 1998), Standort von
Konzernzentralen sein muß. Die schlechten Erfahrungen Ostdeutschlands demonstrieren
eindrucksvoll, dass es nicht möglich ist, eine große Krisenregion ohne ein hohes Maß an
Eigenkontrolle zu entwickelt (zumindest dann nicht, wenn sie nicht (wie etwa Irland) über
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den Status eines Nationalstaates und damit über große allgemeine ökonomische und
infrastrukturelle Eigensteuerungspotentiale verfügt).
Die Abbildungen 1-3 verdeutlichen die Entwicklung der Beschäftigung im Verarbeitenden
Gewerbe bezüglich der Funktionen im Verdichtungsraum Ruhr, deren Entwicklung der
Beschäftigung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt sowie die Entwicklung der
Erwerbstätigkeit des Ruhrgebiets mit den führenden Agglomerationsgebieten der
Bundesrepublik (West). Danach verliert das Ruhrgebiet kontinuierlich. Die Transformation
des Deutschen Systems in den Shareholder-Kapitalismus wird diese Abkopplung der
Krisenregionen - so meine These – weiter beschleunigen.
Abb. 1: Die Beschäftigungsentwicklung des Verarbeitenden
Gewerbes nach Funktionen im Verdichtungsraum Ruhr 1985-1998
Veränderung seit 1985
20%
UnternehmensPlanung
0%
Forschung,
Entwicklung
Verwaltung
Übrige Technik
alle Beschäftigte
Fertigung
Lager, Transport
-20%
-40%
1984
1989
Quelle: Beschäftigtenstatistik, eigene Auswertungen
1994
1999
Bade UniDO
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Abb. 2: Die relative Beschäftigungsentwickl. des verarbeitenden
Gewerbes nach Funktionen im Verdichtungsraum Ruhr 1985-1998
Veränderung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt
0%
-10%
Fertigung
Verwaltung
alle Beschäftigte
Lager, Transport
UnternehmensPlanung
Übrige Technik
-20%
Forschung, Entwicklung
-30%
1984
1989
1994
1999
Bade UniDO
Quelle: Beschäftigtenstatistik, eigene Auswertungen
Abb. 3
Abb. 7: Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit im Ruhrgebiet
im Vergleich zu ausgewählten Verdichtungsräumen 1976-1998
Veränderung seit 1976
München
+20%
Nürnberg
+10%
RheinRhein-Main
Alte BL
Hamburg
Hannover
Düsseldorf
Stuttgart
Bremen
0%
-10%
Ruhrgebiet
-20%
1975
1980
1985
1990
Quelle: Erwerbstätigenrechnung der Länder; eigene Schätzungen
1995
2000
Bade UniDO
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3. Der Übernahmekampf zwischen Mannesmann und Vodafone – ein Modell für den
Risikokapitalismus und ein Faktor für die Vertiefung der externen Kontrolle und der
Abkopplung des Ruhrgebiets von den führenden deutschen Agglomerationsräumen
3.1. Kennziffern zum Mannesmann-Konzern
Mannesmann war ein ausgezeichnetes Beispiel für eine innovative Transformation eines
Unternehmens mit Stahlgeschichte, das ein Synonym für „alte Industrien“ war. Tabelle 1
zeigt jedoch, daß die meisten der Beschäftigten auch zur Zeit der Übernahmeschlacht zur
Jahreswende 2000 in „traditionellen Sektoren“ gearbeitet haben, die allerdings auf
modernstem Niveau befinden und auch Zukunft haben. Der Anteil der Auslandsbeschäftigten
lag 1998 bei 34%. Der Anteil der im Rhein-Ruhrgebiet Beschäftigten von Atecs, der
Gesellschaft, die die Bereiche Automotive (VDO, Sachs) und Maschinenbau (Rexroth,
DEMAG, Krauss-Maffei und Dematic) enthält, wurde für den Winter 1999/2000 von der
Landesregierung auf 23.000 geschätzt. Weitere 6.500 waren im Sektor Telekommunikation
beschäftigt (D2, ARCOR, O.tel.o) sowie 1.050 im Sektor E-Commerce (SZ, 5./6. 2.2000).
Zusätzlich waren ca. 6.000 der 10.000 Beschäftigten der Mannesmann-Röhrenwerke (MRW)
im Rhein-Ruhrgebiet tätig (Tabelle 3, eigene Schätzung). Mit knapp 40.000 Beschäftigten
war Mannesmann damit für das Rhein-Ruhrgebiet eine industrielle Perle. MRW wurde im
Mai 2000 an die Stahlwerke Salzgitter AG verkauft, während Atecs von dem Konsortium
Siemens/Bosch für ca. 19 Mrd. DM erworben wurde, das ein höheres Gebot abgab als
Thyssen Krupp AG mit 17 Mrd. DM.
Tab. 1: Kennzahlen zum Mannesmann-Konzern 1998
Konzern
Engineering
Automotive
Tubes
Telecommunications
Umsatz in Mrd.
Euro
19,1
6,1
5,5
2,3
4,7
Ergebnis (Mrd.
Euro)
1,4
0,229
0,216
0,026
0,982
MitarbeiterInnen
116.000
46.000
43.000
12.000
14.000
Quelle: SZ, 20./21.11. 1999, S. 29
Tab. 2.. Key-indicators for Atecs-Mannesmann 1999
Employees (31.12.
1999)
Rexroth
2,584
125
20,835
Dematic
2,230
166
14,987
Demag Krauss-Maffei
1,910
204
10,232
VDO
3,495
224
23,825
Sachs
2,170
163
19,953
12,389
882
89,832
Total
Source: http://www.atecs.de , 20.6.2000, author`s own calculations; Bömer, 2000[2]
Turnover in bill.. €
Investments in Mio.€
9
Tab. 3: Mannesmann employees in the Rhine Ruhr-area (estimation in May2000)
Firm
Workers
Ruhr
23,000
Rexroth,
DEMAG,
Krauss-Maffei
and
Dematic
VDO, Sachs
at
Engineering,
hydraulics, military
equipment (tanks)
Autombile
electronics, shock
absorbers, clutches
MRW Mannesmann- Tubes
6,000
Röhrenwerke
AG
(consolidated: 10,200)
Rhine- Main locations
Wetter/Ruhr
(Dematik), Duisburg
(Demag)
(VDO:
Dortmund
2,200)
Mülheim/Ruhr
(Europipe et al.2,500)
Hamm (MHP*: 900)
Düsseldorf-Rath
(Vall.-MM**:1,800)
(MHP*
Remscheid
400)
Düsseldorf
Mannesmann
D2, Telecommunication 6,500
ARCOR, O.TEL.O
E-Commerce
1,050
Düsseldorf
HKM
Hüttenwerke Iron&Steel
1,800 of 3,600
Duisburg-Huckingen
Krupp-Mannesmann
(HKM: 1,800)
(50%
share,
now
Salzgitter)
Mannesmann AG
Headquarter
Düsseldorf
38,330
Total
* Mannesmann-Hoesch-Präzisionsrohr; **Vallourec
Source: Süddeutsche Zeitung, 5./6.2.2000 (Ministry for Economic Affairs, NRW), p.25,
author´s estimation; shop stewards´information; Bömer. 2000[2]
Tab. 4: Die zwölf größten europäischen Mobilfunkanbieter (Kunden in Mio., Dez.
1998, Juni 1999 und 2001)
Dez. 1998
Telecom Italia
Mobile
Omnitel
D2 Mannesmann
Mob.
T-Mobil
France Telecom
Telefonica Moviles
Vodafone
SFR
Cellnet
Orange
Airtel
E-Plus
Juni 1999
2001 (Schätzung)
14,3
16,0
21,1
6,2
7,9
13,0
6,1
7,3
12,9
5,8
5,5
4,9
4,9
4,2
4,0
2,2
2,0
2,2
7,1
7,0
6,7
6,1
5,1
5,0
3,0
3,0
2,6
12,4
12,4
11,4
10,7
10,0
8,5
6,7
6,3
6,2
10
Summe
Wachstum seit
Dez.98
62,3
-
76,8
23,3%
131,6
94%
Quelle: Salomon Smith Barney, zitiert in SZ, 16.11.1999, S. 28, eigene Berechnung; Bömer, 2000[1]
Es ist offensichtlich, daß die dramatische Übernahmeschlacht zwischen Mannesmann und
Vodafone, die mit einem Sieg von Vodafone endete, zunächst aus der Perspektive der Zukunft
eines sehr bedeutsamen Sektors der Regionalwirtschaft des Rhein-Ruhrgebiets zu diskutieren
ist, und zweitens unter dem Aspekt der Zukunft des Modells der deutschen sozialen
Marktwirtschaft bzw. des „Rheinischen Kapitalismus“. Um die Konsequenzen deutlich zu
machen, ist es sinnvoll, eine kurzen Rückblick auf diese Auseinandersetzung, ihre Formen
und Methoden zu geben und die wichtigsten Interventionen der Stakeholders wie z.B. der
Landesregierung von NRW zu benennen.
3.2. Die Übernahmeschlacht im Winter 1999/2000 – eine kurze Übersicht
Die Jahre 1999 und 2000, speziell die zweite Jahreshälfte ´99 und die erste des Jahres 2000,
sind offensichtlich der Zeitraum, in dem die wichtigsten Veränderungen der
Unternehmensstrukturen und Machtverhältnisse im Kommunikationssektor (Festnetze,
Mobilnetze, Internetangebote und E-Commerce) stattfanden, der auf revolutionäre Art
umstrukturiert wurde und wahrscheinlich in ungefähr dieser Gestalt auf Jahre fixiert sein
wird. Im Sommer 1999 kaufte der Deutsche Telekom AG (DTAG) die britische
Mobilfunkfirma One2one. Der Preis betrug 21 Mrd. DM, etwa 5.000 Dollar für jeden der
damaligen Kunden, ein sehr hoher Preis unter dem Gesichtspunkt der Gewinnerzielung. In der
Tat gingen die Gewinne der DTAG im Jahre 1999 radikal zurück. Als Resultat wurden viele
Stellen gestrichen. Dabei war die Gesellschaft One2one nicht einmal auf der Liste der zwölf
größten europäischen Mobilfunkfirmen aufgetaucht, die im November 1999 von Salomon
Smith Brothers publiziert wurde (Tabelle 4). Dies zeigte aus meiner Sicht deutlich, daß der
Wettlauf um Kunden in dieser Branche zu einem sehr spekulativen Geschäft geworden war.
Ron Sommer, Vorstandsvorsitzender der DTAG, glaubte der Börse und den Analysten
beweisen zu müssen, daß die Deutsche Telekom noch in der Lage war, dynamisch zu agieren,
nachdem die Übernahme von Telecom Italia im Sommer 1999 fehlgeschlagen war. Der Preis
von 5.000$ pro Kunde wurde mit 8.000$ noch übertroffen, als die US-Firma Worldcom die
amerikanische Sprint im Herbst 1999 kaufte (inzwischen von den Kartellbehörden untersagt).
Selbst Mannesmann – bis dahin als dynamisches, erfolgreiches, aber seriöses Unternehmen
bekannt, - begann, dieses Spiel mitzuspielen und kaufte die britische Firma Orange für etwa
60 Mrd. DM oder etwa 20.000 DM (ca. 10.000$) pro Kunde, von denen 24 Mrd. DM bar zu
zahlen waren. Vodafone AirTouch´s prompte Antwort war dann der feindliche
Übernahmeversuch von Mannesmann. Zunächst wurden 43,7 Vodafone-Papiere für eine
Mannesmann-Aktie (Marktwert 200 Mrd. DM), später 53,7 Stück angeboten (Marktwert 242
Mrd. DM). Eines der Argumente von Mr. Gent war, daß das Zusammengehen VodafoneMannesmann eine feindliche Übernahme seitens einer amerikanischen Firma wie Worldcom
oder AT&T verhindern würde (Mr. Gent als europäischer Stakeholder!), ein anderes, daß der
Preis für Orange für Mannesmann viel zu hoch gewesen sei.
Aus meiner Sicht ist niemand in der Lage ernsthaft darzustellen, wie angesichts solcher Preise
in Zukunft Geld im Mobilfunkgeschäft verdient werden kann, selbst wenn man
berücksichtigt, daß sie teilweise mit eigenen Aktien bezahlt wurden bzw.- werden. Ein
Argument sind die inzwischen sehr geringen Preise für das Telefonieren. Ein anderes, daß die
Produkte dieser Untenehmen relativ homogen sind und daß auf solchen Märkten selbst eine
oligopolistische Struktur keine Garantie dafür ist, überproportionale Gewinnraten realisieren
11
zu können. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist in der „New Economy“ extrem in die
Höhe geschossen. Aber bereits in den nächsten zwei oder drei Jahren kann der Markt für
Mobilfunk sich bereits einem Sättigungszustand nähern, obwohl die nächste Generation der
Mobilfunktelephone – UMTS-basiert – den Umsatz diese Sektors wahrscheinlich weiter
steigen lassen wird, allerdings um eine unbekannte Größenordnung (Vgl. die bisherige
Umsatzentwicklung in Tab. 5 sowie DIW, 2000[1]).
Tab. 5: The West-European market of telecommunication (turnover in bill. €)
Year
1997
1998
1999
2000
2001
Turnover
197
221
250
277
300
Annual
12.2
14.2
11.0
8.3
growth in%
-Germany
58.6
-Gratbritain
43.6
-Italy
39.9
-France
39.7
-Spain
25.6
-The
12.8
Netherlands
-Switzerland
8.8
-Sweden
7.7
Source: EITO, Globus, Westfälische Rundschau, 4th of July 2000; author´s calculation;
Bömer, 2000[2]
Die Kosten für die UMTS-Lizenzen und die zugehörigen Infrastrukturinvestitionen sind
allerdings gewaltig. Wenn man die Fundamentaldaten (Umsatzentwicklung, Kosten, KGV)
vernachlässigt und statt dessen nur der internen Logik des Spiels an der Börse und zwischen
den Vorständen der Telekommunikationsunternehmen folgt, das zu einem hohen Maße bereits
von R. Hilferding im Jahre 1910 mit der Kategorie „Gründergewinn“ theoretisch erfaßt
worden ist (Hilferding 1910/1968), wird man einige der jeweils aktuellen Argumente, die in
diesem Milliardenspiel verwendet wurden, nachvollziehen können.
Die Zentralisierungslogik dieses Marktes verlangt von den Unternehmensführungen, ihre
Unternehmen „schwerer“ zu machen, d.h. ihren Börsenwert zu steigern bzw. zu maximieren,
um sich vor Übernahmen zu schützen. Die Orange-Übernahme mag von Mannesmann auch
unter diesem Gesichtspunkt betrieben worden sein. Dennoch war sie ein Aggressionsakt
gegen den Partner Vodafone, weil dieser mit 34% an der Mobilfunktochter D2 beteiligt war.
Es galt und gilt in dieser Branche folglich schlicht das Motto „Fressen, um nicht gefressen zu
werden“ bzw. „Man muß mit den Wölfen heulen, wenn man überleben will“.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Mannesmann betrug am 23. 12. 1999 347,99 zu 1, das von
VW oder andern klassischen Blue Chips dagegen etwa 11! Eine Erklärung für diesen
fundamentalen Unterschied besteht darin, daß auf explodierenden Märkten nicht Umsatz und
Gewinn die Kurse bestimmen, sondern von den Analysten und Investmentbanken die
Kategorie Ebitda (Earnings Before Interst, Taxes, Deterioration and (Goodwill)Amortisation)
(Gewinn vor Abzug von Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Paketzuschlag) genutzt wird.
Da die Investitionen dieser Firmen rasant gestiegen sind, ist dieser Index in der Tat in den
letzten Jahren und Monaten rasant in die Höhe geschossen. In ihm spiegelt sich
unternehmerisches Draufgängertum wider. Letztendlich wird das KGV wieder die
Aktienpreise an den Börsen bestimmen (Vgl. zur detaillierteren Diskussion der
12
Börsenkursentwicklung I. Schmidt, 2000, S. 494 ff). Niemand kann aber sicher sein, daß
Unternehmen wie Vodafone oder Deutsche Telekom in der Lage sein werden, in Zukunft viel
Geld zu verdienen, weil sie mit ihrer Expansionsstrategie und der UMTS-Runde hohe
Schulden machen, die sich bis 2002, dem Beginn des UMTS-Zeitalters, dessen
Umsatzpotenzial völlig im Dunkeln liegt, noch erheblich erhöhen werden.
3.3. Die Reaktion der Politiker
In der ersten Phase haben einige deutsche Politiker wie Bundeskanzler Schröder
nationalistische Töne angeschlagen. Aber schnell haben sie ihre Argumentation dann
rationaler gestaltet, indem sie die Vorteile einer friedlichen Einigung hervorhoben. Hätte der
Mannesmann-Vorstandsvorsitzende Esser letztlich nicht in das Übernahmeangebot
eingewilligt, hätte Vodafone einen Riesenkredit aufnehmen müssen, um den
nichtinteressierten Teil der Aktionäre bar auszuzahlen. Dies hätte die zukünftigen Gewinne
drastisch reduziert und damit zu großen Steuerausfällen beim Bund, den Ländern und den
Standortgemeinden (Gewerbesteuer) geführt.
Das Steuerproblem war übrigens eines der wesentlichen Argumente, das die NRWLandesregierung bereits 1997 bewog, für eine friedliche Fusion der Stahlkonzern Thyssen und
Krupp anstelle der feindlichen Übernahme von Thyssen durch Krupp zu argumentieren (und
mit Hilfe des Anteileigners WestLB, die Londoner City mit ca. 15 Mrd. DM hätte finanzieren
wollen. Aber natürlich erwuchsen aus dieser Fusion dennoch Probleme:
Das Beispiel Thyssen-Krupp zeigt einmal mehr, daß der Verlust von Mehrheiten letztlich auch
zum Kontroll- und Funktionsverlust der Standorte führte, wo die Konzernzentralen der
unterlegenen Firmen lagen. Dies bedeutet letztlich den Verlust von Arbeitsplätzen, besonders
auch im Hochqualifikationsbereich. Während die Übernahme von Hoesch durch Krupp im
Jahre 1993 regionalpolitisch einigermaßen unter Kontrolle gehalten werden konnte, indem
(aufgrund von starken Aktionen der Beschäftigten und der Lokalpolitik) verschiedene Zentren
auf operativer Ebene und auch die Produktionssparte im Wesentlichen in Dortmund gehalten
werden konnten, machte die nächste Runde der Zentralisation diese Garantien obsolet, was
(mit Ausnahme eines Kaltwalzwerks) zur Totalstillegung der Roheisen-, Stahl- und
Warmwalzwerke im Jahre 2001 führt.
Insgesamt geht also die Kontrolle des Telekommunikationssektors von Mannesmann über den
Kanal. Ob die Europaaktivitäten von Vodafone von Düsseldorf aus geleitet werden, so ein
Verssprechen von Mr. Gent im Verlaufe der Übernahmeauseinandersetzungen, ist offen und
dürfte eher unwahrscheinlich sein.
3.4. Die Zerschlagung des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone.
Wegen der Hohen Schulden und der Fortsetzung der Zentralisationsprozesse war Mr. Gent
gezwungen, Atecs und die andern Teile des Konzerns möglichst schnell zu verkaufen.
Siemens und Bosch, deren Konzernzentralen in München bzw. Stuttgart liegen, kauften Atecs
für ca. 19 Mrd. DM. Die Mannesman-Röhrenwerke (MRW) wechselten zur Salzgitter AG
zum Preis von einer DM, wobei zunächst das Eigenkapital um etwa 750 Mill. DM aufgestockt
werden mußte. Im Juli 2000 wurde schließlich der Luxusuhrenhersteller LMH für 3,5 Mrd.
DM an die Schweizer Luxusartikelfirma Richemont verkauft.
Obwohl die neuen Eigentümer von Atecs garantierten, daß dieser Konzernteil drei Jahre lang
nicht zerlegt werden sollte (was ich nicht geglaubt habe, s.u.), wurden die ersten negativen
Effekte für das Rhein-Ruhrgebiet unmittelbar deutlich: Die Thyssen Krupp AG, die mit ihrem
Angebot von 17 Mrd. DM nicht zum Zuge gekommen war, begann sofort Firmen aus ihrem
13
Maschinenbausektor zu verkaufen, z.B. im Bereich Kunststoffverarbeitung, weil diese Sparte
aus der Sicht der Konzernleitung nicht groß genug ist bzw. war, ohne den erhofften Zuwachs
aus dem Mannesmann Bestand auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Später geriet
die Konzernstrategie von Thyssen Krupp generell in eine schwierige Situation1.
Meine Vermutung, daß die „Garantie“ von Siemens und Bosch, Atecs für drei Jahre nicht zu
zerschlagen, von Anfang an nichts wert war, wurde schnell bestätigt. Im Juli 2000 wurde
bekannt, daß darüber verhandelt wurde, VDO vorzeitig in die Automobilelektronik-Sparte von
Siemens zu integrieren und auch die anderen Gebiete unter den beiden Konzernen aufzuteilen.
3.5. Nachtrag: ein Liquiditätsproblem bei Vodafone und anderen Telecom-Firmen?
Vodafone hat Mannesmann übernommen. Siemens und Bosch kauften für 19 Mrd. DM Atecs,
und der Stahlproduzent Salzgitter AG verleibte sich die Mannesmann Röhrenwerke ein. Am
30.5.2000 kaufte nun France Telecom (FT) die Mannesmann-Tochter Orange für netto 25,1
Mrd. Pfund und wurde dadurch nach Vodafone zum zweitgrößten Mobilfunkunternehmen in
Europa. 11,3 Mrd. Pfund werden mit Aktien und 13,8 Mrd. in bar bezahlt. FT übernimmt
außerdem Orange-Schulden in Höhe von 1,8 Mrd. Pfund sowie die Kosten der UMTS-Lizenz
in Großbritannien in Höhe von 4,1 Mrd. Pfund. FT zahlt somit mehr als 15.000 DM pro
Kunde. Vodafone war an möglichst viel Bargeld interessiert, weil es sich überall in Europa
um UMTS-Lizenzen bewirbt. Mannesmann D2 z.B. hat ca. 16,5 Mrd. DM für eine der sechs
Lizenzen zu zahlen, die am 17. 8.2000 in Deutschland unter den Hammer gekommen sind.
Allein für diese Firma werden die in den nächsten 3 Jahren aufzubringenden
Infrastrukturinvestitionen auf zusätzliche 10 Mrd. DM geschätzt. Der Gesamtwert der
Lizenzeinnahmen in Deutschland beträgt 98,8 Mrd. DM (SZ, 18.8.00). ein Pressesprecher der
Deutschen Telekom nannte das Verfahren von Mainz „kompletten Wahnsinn“.
Vaodafone´s Problem (und das auch der anderen Mitbieter) ist das Wachstum der Schulden
und der Zinszahlungen. Es stimmt zwar, daß die Übernahme von Mannesmann hauptsächlich
mit eigenen Papieren bezahlt worden ist und die Ausschlachtung von Mannesmann knapp 100
Mrd. DM eingebracht haben dürfte, davon mehr als die Hälfte in Bar (Atecs , Orange und
LMH). Sie haben jedoch auch Schulden mit übernommen, z.B. die, die noch aus der
Übernahme von Orange durch Mannesmann im Herbst 1999 stammen. Außerdem verkaufen
die meisten europäischen Staaten ihre UMTS-Lizenzen bar. Financial Times schätze den
operativen Gewinn von Vodafone für das Geschäftsjahr 99/2000 auf 2,64 Mrd. Pfund, „less
than twice the likely annual interest rate“ (Financial Times, 26.5.2000, S. 26). Der Börsenkurs
der Vodafone-Aktie verringerte sich allein von März bis Mai 2000 um etwa ein Drittel. Dies
bedeutet, daß es nun extrem schwierig bis unmöglich wurde, neue Emissionen an der Börse
zu tätigen, um Bargeld zu erhalten. Möglicherweise steuern Vodafone und andere
Gesellschaften auf eine Liquiditätskrise zu. Analysten schätzen, daß Vodafone zwischen 50
und 58 Mrd. Pfund für den Erwerb der UMTS- Lizenzen und die entsprechend notwendigen
Infrastrukturinvestitionen benötig, davon das meiste in bar (Financial Times, 26.5.00, S. 26).
Dabei kann niemand sagen, ob die dritte Mobilfunkgeneration so erfolgreich wie die
1
Thyssen Krupp AG brach den Versuch, 30-35% seiner Stahlsparte an die Börse zu bringen und dabei
mindestens 3 Mrd. DM zu erlösen, wegen der Schwäche der Börsenkurse in der 2. Hälfte des August 2000 ab.
Der französische Stahlproduzent Usinor war als potentieller Interessent im Gespräch und ist es auch nach der
Vertagung des Börsengangs, wobei sogar über einen Komplettverkauf spekuliert wird. Aus meiner Sicht ist es
aber völlig unverständlich, warum dem Vorstand der Thyssen Krupp AG daran gelegen ist, sich vom Stahl zu
trennen. Natürlich mag es schwierig sein, den in der Regel schlicht denkenden Analysten klar zu machen, daß
die Gewinnlage der Stahlunternehmen zwangsläufig je nach Konjunkturlage überproportional schwanken. Aber
es sollte doch möglich sein, das Image dieser Branche durch Öffentlichkeitsarbeit so zu festigen, daß deutlich
wird, daß im Durchschnitt eines Zyklus auch dieser Sektor rentabel betrieben werden kann.
14
vorhergehenden sein wird (vgl. DIW, 2000 [1])2. Diese gewaltigen Summen müssen im
Voraus finanziert werden. Vodafone ist seit 1999 um etwa 400% expandiert. Aber jeder
Betriebs- und Volkswirt sollte wissen, wie riskant eine solche Expansion ist.
Lastenverteilung
Obwohl der Vodafone –France Telecom- Deal Teile des Risikos auf FT verschoben hat,
existiert trotzdem das Problem, genug Gewinne zu machen, um in Zukunft die Schulden und
Zinsen zahlen zu können. Die Deutsche Telekom wird ebenso mit diesem Problem belastet
werden, weil diese Firma sich entschlossen hat, die US-Gesellschaft VoiceStream für den
astronomischen Preis von 50,7 Mrd. $ zu kaufen (an Stelle von Sprint, von der sich Worldcom
aufgrund von Entscheidungen der US-Kartellbehörden trennen muß). VoiceStream hatte Ende
März 2000 nur 2,3 Mill. Kunden. Der Preis pro Kunde lag damit bei 20.000 $!!!3
Anleiheemissionen
Die Hauptstrategie zur Refinanzierung dieser gewaltigen Summen verlagert sich nun vom
Aktien- auf den Anleihemarkt und teilweise sogar auf klassische Bankkredite, weil die
Börsenkurse der Telekom-Unternehmen im ersten Halbjahr 2000 abgesackt sind. Die
Deutsche Telekom begann mit im Juni 2000 mit 13,5 Mrd. $, der größten jemals von einer
privaten Firma begebenen Anleihe, die spanische Telefonica, France Telecom und British
Telecom (die eigentliche Gewinnerin der UMTS-Versteigerung in Deutschland, weil sich
VEBA-VIAG von ihrem 49%-Anteil an Viag Interkom trennt und an British-Telecom
verkauft) bereiten Emissionen in Höhe von 25 Mrd. $ vor (SZ, 11.8.2000). Dies bedeutet für
die Zukunft eine gewaltige Zinsbelastung, die eventuell zu Verlusten und somit auch zum
Ausfall von Gewinn- und Gewerbesteuern führen wird. Die Ratingagenturen
Standard&Poor´s sowie Moody´s haben denn auch reagiert und sowohl die deutsche Telekom
als auch die anderen UMTS-interessierten Firmen in Europa stark herabgestuft, so France
Telecom von Aaminus um zwei Stufen auf A, British Telecom von AAplus um vier Stufen
auf A, Deutsche Telekom von AAminus um wahrscheinlich drei Stufen. „Eine Herabstufung
um drei Stufen kann die Refinanzierungskosten der Telekom um bis zu 0,5 Prozentpunkte
verteuern“, wird ein Finanzanalyst des Bankhauses Merck Finck zitiert (SZ, 25.8.00, S. 25).
Der Übergang zur Anleihefinanzierung ist somit ein Signal dafür, daß sich diese Teile der
„New Economy“ den Geschäfts- und Finanzierungsusancen der ´ordinären´ Wirtschaft
nähern. Ein wesentlicher Unterschied der Börsenfinanzierung zur Anleihefinanzierung besteht
darin, daß Kursverluste nach erfolgreicher Aktienemission das Unternehmen zunächst nicht
treffen müssen. Das volkswirtschaftliche Problem rührt aber daher, daß die (Kleinaktionäre)
aufgrund hoher Gewinnerwartungen ihr Konsum- und Sparverhalten verändert haben
(Wohlstandeffekt einer Aktienhausse, der sich im Gegenzug natürlich in ein Angstsparen
verwandeln kann). Außerdem haben viel Leute und auch Großspekulanten Aktien auf Kredit
2
Es ist daran zu erinnern, daß Systeme wie Iridium, ein weltweites satellitengestütztes Mobiltelefon von
motorola, gescheitert ist und Mororola etwa 5 Mrd. $ abschreiben mußte, Möglicherweise ereilt Globalstar, an
dem die Deutsche Telekom beteiligt ist, das selbe Schicksal (DIW, 2000[1]).
3
Die Anteilseigener von VoiceStream erhalten 3,2 Telekom-Papiere pro Anteil sowie 30 $ pro Aktie. Wahlweise
können sie auch 200$ pro Aktie verlangen. Obwohl Deutsche Telekom damit einen großen Anteil des
Gesamtpreises mit eigenen Papieren bezahlen könnte, ist es dennoch möglich, das der Baranteil sehr hoch sein
wird. In der Wirtschaftspresse wurde er mit 26 Mrd. DM (!) beziffert (SZ, 25.8.00, S. 25). Eine andere delikate
Information ist, dass VoiceStream im Jahre 1999 bei einem Umsatz von 475,5 Mill. $ einen Verlust von 454,7
Mill $ gemacht hat (SZ, 25.7.2000, S.25). Das einzige Argument, das Ron Sommer vortragen konnte, war, daß
VoiceStream den GSM Standard nutzt, der den US-Systemen überlegen sei.
15
gekauft (Huffschmid, 1999) und stehen damit möglicherweise vor dem Problem der
Zahlungsunfähigkeit.
Steuerverluste
Obwohl die Finanzminister der Nationalstaaten glücklich über die hohen UMTSLizenzeinnahmen sind, werden sie, die Länderfinanzminister und die Stadtkämmerer große
Gewinn- und Gewerbesteuereinnahmeverluste hinnehmen müssen. Erste Schätzungen allein
für das Land NRW (ohne die Kommunen) belaufen sich auf 300 Millionen DM pro Jahr über
den Abschreibungszeitraum von 20 Jahren. Bei den Kommunen wird für die 20 Jahre mit
Gewerbesteuerausfällen in Höhe von 17 Mrd. DM gerechnet, den Ländern entgehen in dieser
Zeit 10 Mrd. DM an anteiliger Körperschaftssteuer, so Bayerns Finanzminister Falthauser im
SZ-Interview vom 26./27. 8.2000 (S. 27). Daher fordern Länder wie Bayern und NRW aus
meiner Sicht absolut zu recht, einen Teil der Lizenzeinnahmen an die Länder und Kommunen
weiterzureichen. Falthauser schlägt vor, den Fonds „Deutsche Einheit“, für den Bund,
Ländern und Kommunen jährlich 9,5 Mrd. DM für Annuitäten zahlen müssen, zu entlasten.
Hohes Umsatzrisiko für die UMTS-Technologie
Obwohl die DIW-Schätzung für die zu erwartenden Lizenzeinnahmen in der Bundesrepublik,
die das Institut in einem Beitrag vom Juli 2000 auf nur etwa 20 Mrd. DM angesetzt hatte
(DIW, 2000[1]), völlig daneben lag, sind die Argumente, die die Berliner Ökonomen für diese
Schätzung anführten, aus meiner Sicht nach wie vor stichhaltig: Hohes Marktrisiko der
UMTS-Handys, von den Unternehmen unkontrollierbare oligopolistische Strukturen, die wohl
kaum eine monopolistische Preispolitik ermöglichen, Parallelen zu den gescheiterten
Systemen Iridium und Globalstar. So muß der Freudentaumel der Finanzminister sehr kritisch
betrachtet werden.
4. Politik in der globalisierten Shareholder-Ökonomie – einige Anmerkungen zu den
Möglichkeiten, den Prozeß zu steuern und zu kontrollieren.
4.1. Übernahmegesetz (Vgl. Putzhammer/Köstler, 2000)
Freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen bezüglich des Übernahmeverhaltens
der (multinationalen) Firmen haben in der Vergangenheit keine positive Wirkung gehabt.
Großbritannien und Deutschland z.B. haben in der jüngsten Zeit schlechte Erfahrungen
gemacht (BMW-Rover und Vodafone-Mannesmann). Seit 1989 wird der EUKommissionsentwurf zur 13. Richtlinie zum Gesellschaftsrecht und damit auch zum
Übernahmerecht diskutiert. Das Europäische Parlament hat in dieser Auseinandersetzung
nicht nur mehr Rechte und Sicherheiten für Minderheiten- und Kleinaktionäre, sondern auch
für die Beschäftigten und ihre Vertretungen ins Spiel gebracht. Diese EU-Initiative, die aber
dennoch sehr unzureichend ist, scheiterte erneut im Dezember 1999, weil Spanien und
Großbritannien einige Dissonanzen über Gibraltar nutzten, um das aus ihrer Sicht ungeliebte
Kind, das die krudesten Methoden feindlicher Übernahmen verhindern soll, scheitern zu
lassen. Deshalb hat die deutsche Regierung einen eigenen Gesetzentwurf angekündigt. Dabei
geht es unter anderem um folgende Punkte:
-
Schwelle für ein Pflichtübernahmeangebot: Der DGB fordert hier 30 Prozent
(Putzhammer, Köstler, 2000, 22).
16
-
-
-
Barzahlungspflicht des Bieters: Der Vorschlag verlangt eine Mischung von
Aktientausch und Barzahlung. Die reale Sicherheit für Kleinaktionäre sei auch
wichtig, weil immer mehr Belegschaftsaktien begeben würden.
Mitbestimmung und Partizipation der Belegschaftsvertretungen. Obwohl die
Gegner eines Übernahmegesetzes diesbezüglich von einem
Übernahmeverhinderungsgesetz reden, argumentiert der DGB, daß Informationsrechte
und die Festschreibung der Mitbestimmungsregelungen notwendig sind. Z.B. müßte
der Vorstand des Übernahmekandidaten verpflichtet werden, den Betriebsrat zu
konsultieren, bevor, er eine Stellungnahme zum Übernahmeangebot abgibt usw.
Neutralität des Vorstands des Übernahmekandidaten: Der Richtlinienentwurf Nr.
13 fordert, daß der Vorstand neutral sein muß. Dies sei unlogisch, denn selbst in den
USA haben die Firmen das Recht, sich zu verteidigen. Zweitens verwandele die EU
die Aktiengesellschaft damit in eine reine Anteilseigner-Organisation. Der DGB
argumentiert gegen diesen Ansatz (Putzhammer, Köstler, 2000) und fordert, die
gesamten Unternehmensinteressen als eine Mischung der Interessen der anteilseigner,
der Beschäftigten, der Öffentlichkeit, Kreditgeber (und der Standortregionen, H.B.) zu
betrachten.
4.2. Regionale Kooperation, Infrastruktur und Qualifikationspolitik
Regionen und Städte ohne starke Positionen als Standort von Konzernzentralen (wie das
Ruhrgebiet, Dortmund oder insbesondere auch die neuen Bundesländer) haben keine Chance,
sich erfolgreich zu entwickeln, wenn sie nicht ihre eigenen endogenen Potenziale und die des
Landes, in diesem Fall des Landes NRW bündeln. Wenn es genügend Innovationspotenziale
in Form von Universitäten, öffentlichen Forschungseinrichtungen, Forschungs- und
Entwicklungszentren großer Unternehmen und ein gutes öffentlich-privates institutionelles
Netzwerk zur Entwicklung neuer Cluster wie etwa des Software- und Logistik-Cluster in
Dortmund und selbst in Duisburg gibt, haben sie vielleicht die Chance, die Vergrößerung des
Abstandes zu den gut positionierten Ballungsgebieten zu verhindern. Vgl. z.B. Abb. 4. Die
Unternehmensorientierten Dienstleistungen scheinen sich seit 1994 relativ zum
Bundesdurchschnitt wieder besser zu entwickeln, der Sektor Verkehr seit 1992. Die Abteilung
Staat und Organisationen ohne Erwerbscharakter trägt offensichtlich ebenfalls zur
Stabilisierung bei. Ich würde jedoch meinen, daß es unmöglich ist, daß die Region aus eigener
Kraft (d.h. ohne zusätzliche Strukturhilfen und schon gar nicht bei Auslaufen derselben nach
2006) der in der Lage sein kann, die Vergrößerung des Abstands zu verhindern oder ihn gar
zu reduzieren. Genau dies aber verlangt die Landesregierung von den Ruhrgebietskommunen
auf sehr voluntaristische Weise4.
4
Wirtschaftsminister Schwanhold hat dies anläßlich einer OB-Konferenz der Ruhrgebietsstädte im August 2000
angemahnt, ohne Mittel und Wege aufzuzeigen (WR,...)
17
Abb. 4
Abb. 6: Die relative Beschäftigungsentwicklung nach Wirtschaftsabteilungen im Verdichtungsraum Ruhr 1976-1998
Veränderung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt
Staat, Org. o. Erw.
0%
Haushalts-orient.
Dienstleistungen
Bergbau
Kredit, Versicher.
Verkehr
-10%
Handel
Gesamtwirtschaft
Baugewerbe
-20%
Unternehm.orient.
Dienstleistungsgew.
Verarbeit. Gew.
-30%
1975
1980
1985
1990
1995
Quelle: Beschäftigtenstatistik, eigene Auswertungen
Bade UniDO
4.3. Nationalstaatliche und Europäische Regionalpolitik
Da die endogenen Aktivitäten nicht in der Lage sein werden, die Vergrößerung des Abstandes
zu verhindern, muß die nationalstaatliche und europäische regionale Strukturpolitik zugunsten
der Krisenregionen verstärkt und auch über das Jahr 2006 hinaus fortgesetzt werden. Es ist
vollkommen unverständlich, daß die Landesregierung NRW schon jetzt davon ausgeht, daß es
nach 2006 in Westdeutschland keine Ziel 2-Regionen mehr geben wird. Vgl. hierzu die
Deklaration der Europäischen Ökonominnen und Ökonomen für eine alternative
Wirtschaftspolitik, 1997 und 2000 sowie Bömer, 2000[1]).
4.4. UMTS- Lizenzpreispolitik, Steuerpolitik und allgemeine Finanzrisiken
Die Regierungen sollten sich – soweit es noch nicht zu spät ist - genau überlegen, ob es
wirklich klug ist, die Preise für die Lizenzen zu maximieren. Obwohl dies die Erfahrungen
auf den Kopf zu stellen scheint, daß Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden,
was auf den ersten Blick erfreulich ist, wird sich auf lange Sicht das Risiko auch für die
öffentlichen Hände stark erhöhen. Auf die wahrscheinlichen jahrelangen Steuerausfälle dieses
Wirtschaftszweiges ist schon verwiesen worden. Darüber hinaus gibt es auch das Risiko einer
allgemeinen Finanzkrise, wenn die Global Player der Telekommunikationsindustrie
überschuldet sind. Der Übergang zum Shareholder-Kapitalismus läßt derartige Risiken, die im
„goldenen Zeitalter“ des Keynesianismus unmöglich waren, wieder denkbar erscheinen.
Literatur:
18
Bömer, H. (2000[1]): Ruhrgebietspolitik in der Krise. Kontroverse Konzepte aus Wirtschaft,
Politik, Wissenschaft und Verbänden. Unter Mitarbeit von M. Jacobs, R. Rath und P. Rogge.
Dortmunder Beiträge zur Raumplanung Bd. 101, Hrsg. Institut für Raumplanung, Fakultät
Raumplanung, Universität Dortmund. Im Erscheinen
Bömer, H.(2000[2]): The regional impact of the „hostile“ takeover of Mannesmann by
Vodafone on the Rhine-Ruhr Region – a new paradigm for stakeholders in/ from traditional
industrial regions in Germany? Paper presented to the XIV AESOP-Congress at Brno, Czech
Republic 18.-23.7.200, Revised Paper presented again to the European Economists for an
Alternative Economic Policy in Europe. Brussels, 29.9.-1.10.2000 (
http://rwp.raumplanung.uni-dortmund.de )
Blotevogel, H.H. (1998): Europäische Metropolregion Rhein-Ruhr. Theoretische, empirische
und politische Perspektiven eines neuen raumordnungspolitischen Konzepts. in: Institut für
Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen. ILS Schriften
135, Dortmund
DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2000[1]): Die UMTS-Lizenzvergabe in
Deutschland – Auktionsverfahren unbefriedigend. In: DIW Wochenbericht 30/2000., p. 490498
DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2000[2]): Informations- und
Kommunikationswirtschaft räumlich stark konzentriert. In: DIW-Wochenbericht 32-33/2000,
p. 526-534
European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (1997): Full
Employment, Social Cohesion and Equity for Europe. Alternatives to Competitive Austerity.
A declaration and memorandum of European economists. Barcelona, Bremen, London, Paris.
See http://www.barkhof.uni-bremen.de/kua/memo
European Economists for an Alternative Economic Policy in Europe (2000): Alternative
Economic Policy Guidelines for Full Employment and Social Cohesion in Europe (draft, June
2000, hektogr. Manuskript).
Financial Times, 26-5-2000, p. 26: Ringing the changes in Vodafone´s growing debt burden
Freeman, R. (2000): Shared Capitalism or apartheid economy? In: CentrePiece Spring….
Häußermann, H. (1999): Was kann Lokalpolitik in einer globalisierten Welt? in: Süddeutsche
Zeitung, 19. 10. 1999
Hilferding, R. (1910/1968): Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des
Kapitalismus. Frankfurt/Wien. Europäische Verlagsanstalt.
Jung, H. (1978): Die privatwirtschaftliche Entwicklungsvariante des staatsmonopolitischen
Kapitalismus der BRD: Voraussetzungen, Inhalt, Perspektiven, Entwicklungstendenzen 1973
bis 1978. In: Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF1/1987. Frankfurt
Lipietz, S. (1991): Die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit am Vorabend des 21.
Jahrhunderts. In: Leviathan 1/1991
19
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Putzhammer, H./Köstler, R. (2000): Eckpunkte für ein Übernahmegesetz. In: Die
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Schmid, Günther (2000): Flexibilität und Sicherheit im globalen Sozialstaat. In:
Gewerkschaftliche Monatshefte 8-9/2000. New Economy oder alter Frühkapitalismus?
Schmidt, Ingo (2000): Computer.com & @ktien – Die neuen Quellen des Wachstums?. In:
Gewerkschaftliche Monatshefte 8-9/2000. New Economy oder alter Frühkapitalismus?
Schneider, R. (2000): Krieg oder Konvergenz der Kapitalismen? In: Die Mitbestimmung.
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Streek, W. (1999): Korporatismus in Deutschland. Zwischen Nationalstaat und europäischer
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(SZ) Süddeutsche Zeitung, verschiedene Ausgaben
Vester, M. (2000): Gibt es eine ´neue Mitte´? Die Gesellschaftliche Basis für eine
sozialdemokratische Reformpolitik. In: spw Zeitschrift für Sozialistische Politik und
Wirtschaft. Heft 1/2000
Vester, M. (1997): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen
Integration und Ausgrenzung. Frankfurt/M
Anhang
20
Karte 1: Das Ruhrgebiet in der Region Nordrhein-Westfalen
(Quelle: IRPUD, Bömer, 2000[1])
Karte 2: Das Ruhrgebiet in den Grenzen des Kommunalverbandes Ruhrgebiet (KVR)
(Source: KVR, Bömer 2000[1])