14.02.27 RechtKrankschreibung
Transcription
14.02.27 RechtKrankschreibung
ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 27.02.2014 THEMA: RECHTSLAGE BEI KRANKSCHREIBUNG Autor: Heinz Pohl EXPERTE IM STUDIO: WOLFGANG BÜSER Funktion: MoMa-Rechtsexperte _____________________________________________________________________ Herrn M. geht es hundsmiserabel. Ihn hat die Grippe-, zumindest die grassierende Erkältungswelle, erwischt. Er müsste dringend einen Arzt aufsuchen, doch sein Dienst endet erst in sechs Stunden. Darf er sich abmelden – und bezahlt sein Chef dennoch den Lohn für den ganzen Tag? Kann er also von seinem Arbeitgeber eine bezahlte Freistellung verlangen? Ja. Zwar gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch heute noch. Doch kann Arbeitsentgelt auch dann bezogen werden, wenn der Arbeitnehmer durch einen „in seiner Person liegenden Grund“ (und „schuldlos“) nicht arbeiten kann. Persönliche Hinderungsgründe, bei denen der Arbeitgeber Gehalt oder Lohn fortzuzahlen hat, können neben besonderen familiären Ereignissen wie Geburten, Todesfällen und Hochzeiten auch Erkrankungen und die damit zusammenhängenden Arztbesuche sein. Der Arbeitgeber muss aber seinen Beschäftigten den Arztbesuch während der Arbeit nur gestatten (und bezahlen), wenn dies außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich wäre. Arbeitnehmer M. müsste sich also grundsätzlich bemühen, den Doktor vor Arbeitsbeginn oder nach Arbeitsende aufzusuchen, wenn er keinen Lohnausfall haben will. Das gilt insbesondere für Vorsorgeuntersuchungen, die ja terminlich „planbar“ sind. Wird allerdings während der Arbeitszeit ein Arztbesuch durch eine Verletzung oder – wie hier eine akute Erkrankung unaufschiebbar, so muss die Firma den Arbeitnehmer in dem notwendigen Umfang von der Arbeit bezahlt freistellen. Das ist zwar nicht im Detail im Gesetz geregelt, dafür aber in den meisten Tarifverträgen, wenn auch unterschiedlich je nach Industriezweig oder Gewerbe. Diese Verträge bestimmen meist, dass der Arbeitnehmer dann Anspruch auf Vergütung der für einen Arztbesuch benötigten Zeit hat, wenn die Konsultation während der Arbeitszeit erforderlich ist, etwa bei starken Zahnschmerzen oder weil der Arzt bestimmte Untersuchungen nur zu bestimmten Zeiten vornimmt, und wenn keine Dauerbehandlung vorliegt. Der Arbeitgeber kann auch nicht darauf bestehen, dass sein Mitarbeiter einen Doktor mit „günstigeren Öffnungszeiten“ konsultieren möge; niemand darf an der freien Arztwahl rütteln. In Betrieben mit gleitender Arbeitszeit ist der Arztbesuch während des Dienstes – sei es wegen einer Vorsorgeuntersuchung oder einer nicht akut aufgetretenen Erkrankung - deshalb meist die Ausnahme, weil die Arbeitnehmer im Rahmen bestimmter Zeitspannen den Beginn und das Ende ihrer Arbeitszeit frei bestimmen können und sie folglich überwiegend Gelegenheit haben, außerhalb der Kernzeit zum Arzt zu gehen. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in einem vergleichbaren Fall so entschieden. (AZ: 11 Sa 247/03) Doch auch hier gilt die Regel: Bestellt ein Arzt seinen Patienten zu einem bestimmten Termin innerhalb der Kernzeit, so darf der Arbeitgeber nicht auf die „Gleitzeit“-Möglichkeit verweisen, sondern muss bezahlt freistellen - und das ohne die Verpflichtung, die ausgefallene Arbeitszeit nachzuarbeiten. Ob wegen Erkältungen oder aus anderen Gründen nicht gearbeitet werden kann: Arbeitnehmer haben Regeln einzuhalten, damit es mit dem Arbeitgeber keinen Ärger gibt. Arbeitnehmer sind verpflichtet, ihren Arbeitgeber unverzüglich – also „ohne schuldhaftes Zögern“ - so schnell wie möglich – über ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer zu informieren (beispielsweise per Telefon). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage, so hat der Arbeitnehmer die ärztliche Bescheinigung spätestens am darauf folgenden Tag vorzulegen. Allerdings kann per Arbeits- oder Tarifvertrag geregelt sein, dass eine solche Bescheinigung des Arztes bereits nach eintägiger Krankheit dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen ist. ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 27.02.2014 -2- Auch während einer länger dauernden Krankheit muss der Arbeitgeber auf dem Laufenden gehalten werden. Das heißt: Auch die weiteren Arztatteste sind an die Firma weiterzuleiten – auch nach Ablauf der meist sechswöchigen Entgeltfortzahlung, wenn die Krankenkasse bereits mit der Krankengeldzahlung eingesetzt haben sollte. Während der Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer außerdem verpflichtet, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird. Er hat demnach alles zu unterlassen, was einer Genesung im Wege stehen könnte. Arbeitet der Kranke während der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bei einem anderen Arbeitgeber, so kann dadurch die ärztliche Bescheinigung entkräftet werden – mit der Folge, dass kein Lohnfortzahlungsanspruch besteht. Außerdem: Ein während einer Arbeitunfähigkeit ausgeübter Zweitjob kann den Hauptjob kosten: Der Chef kann den Mitarbeiter fristlos entlassen. Darf der Arbeitgeber einen Mitarbeiter besuchen (lassen), wenn er der Meinung ist, er simuliere? Ja. Er darf sogar – liegen Verdachtsmomente vor - einen Detektiv einschalten. Die Kosten dafür muss der Arbeitnehmer dann tragen, wenn er „überführt“ worden ist und der Arbeitgeber nicht auf andere Weise den Verstoß gegen den Arbeitsvertrag nachweisen konnte. Das Verhältnis Lohn/Detektivkosten darf aber nicht zu weit auseinander klaffen – so das Bundesarbeitsgericht (AZ: 8 AZR 5/97). Darf ein Arbeitgeber Mitarbeitern vorschreiben, wo sie sich während einer Arbeitsunfähigkeit aufzuhalten haben? Nein. Das bestimmt allenfalls der Arzt. Niemand aber wird etwas gegen Spaziergänge einzuwenden haben (wenn nicht Bettruhe verordnet worden war). Schließlich: Muss der Arbeitgeber Lohn oder Gehalt fortzahlen, wenn ein Arbeitnehmer, der nicht arbeitsunfähig krank ist, während der Dienstzeit zum Arzt will? Grundsätzlich nicht – es sei denn, der Arztbesuch sei „unaufschiebbar“ (Beispiel: plötzliche starke Zahnschmerzen oder wenn der Arztbesuch „in nüchterndem Zustand“ erforderlich ist). Er muss ferner zahlen, wenn der Arzt außerhalb der Dienstzeit nicht zu erreichen ist, etwa weil er für eine Untersuchung einen bestimmten Termin anberaumt hat. Der Arbeitgeber kann (wegen des Rechts auf freie Arztwahl) nicht verlangen, dass ein anderer Doktor mit „günstigeren“ Praxisöffnungszeiten besucht wird. Im Übrigen regeln sich daraus ergebende Probleme in Betrieben mit gleitender Arbeitszeit oft von selbst. Aktuelle Urteile zum Thema „Arbeitsunfähigkeit“: Krankheit im Urlaub "sofort" dem Arbeitgeber melden und nicht "aussitzen" - In Tarifverträgen kann vorgesehen sein, dass Arbeitnehmer, die während ihres bezahlten Erholungsurlaubs arbeitsunfähig erkranken, ihren Arbeitgeber genau so schnell darüber zu informieren haben, wie es bei einer "im Dienst" eingetretenen Krankheit der Fall gewesen wäre. Nur dann können sie davon ausgehen, dass die Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Das gilt sowohl für den gesetzlichen Mindest- als auch für den darüber hinausgehenden tariflichen Urlaub. (Hier hatte eine Mitarbeiterin, im Glauben, im Urlaub "eile" eine Krankmeldung nicht so sehr, weil sie ja ohnehin nicht im Betrieb war, ihre am 25.11. eingetretene Arbeitsunfähigkeit ihrem Arbeitgeber per Post erst am 29.11. mitgeteilt - also nicht mehr "unverzüglich", wie der Arbeitgeber es verlangte. Die entsprechenden Urlaubstage wurden trotz ihrer ärztlich bescheinigten Krankheit nicht "anerkannt" - das heißt: Sie wurden auf den Erholungsurlaub angerechnet.) (LAG Rheinland-Pfalz, 8 Sa 246/11) Wer seine Krankheit "ankündigt", kann durchaus schon "krank" sein... - Kündigt ein Arbeitnehmer in einem Streitgespräch mit seinem Chef an, "krank zu werden" (beziehungsweise sich "krankschreiben zu lassen"), weil sein Wunsch nach Urlaub nicht erfüllt wurde, so kann ihm zwar grundsätzlich fristlos gekündigt werden. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Mitarbeiter - vom Arzt bestätigt - tatsächlich "arbeitsunfähig" ist. Für diesen Fall hätte der Arbeitgeber aber durchaus eine Abmahnung aussprechen können. (LAG Berlin-Brandenburg, 10 Sa 2427/12) ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 27.02.2014 -3- Wem es "plötzlich wieder besser geht", der muss "zurückkehren"... - Stellt ein Arzt einem Arbeitnehmer eine "Krankschreibung" für eine Woche aus, wird der Mitarbeiter aber dabei beobachtet, wie er an mindestens drei Tagen in dieser Woche bis zu neun Stunden bei Renovierungsarbeiten tatkräftig zur Verfügung stand, so darf ihm fristlos gekündigt werden. Sein Argument, dass er wegen eines neuen Medikamentes "schneller wieder gesund" geworden sei und ein Arbeitnehmer sei rechtlich nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft vor Ablauf des Enddatums der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes anzubieten, wenn er sich gesund und arbeitsfähig fühle. Die subjektive Wertung des betroffenen Arbeitnehmers sei nicht ausschlaggebend. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz überzeugte das - im Gegensatz zur Vorinstanz - nicht und bestätigte den fristlosen Rauswurf, zumal der Mann bei seiner Tochter "schwere körperliche Arbeiten" verrichtet und sich somit die Entgeltfortzahlung durch seinen Arbeitgeber erschlichen habe. (LAG Rheinland-Pfalz, 10 Sa 100/13) Endet eine Arbeitsunfähigkeit am Freitag, dann endet sie nicht am Sonntag - Stellt ein Arzt einem Patienten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus, auf der ein Freitag als "letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit" notiert ist, so kann der Arbeitgeber des Patienten nicht annehmen, bis "einschließlich Sonntag" erkrankt gewesen zu sein. Erkrankt dieser Mitarbeiter am darauf folgenden Montag an einer anderen Krankheit, so entsteht erneut ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen. Der Arbeitgeber kann nicht behaupten, die "Folgekrankheit" habe an sich schon vorher bestanden (was ihm die erneute Entgeltfortzahlung erspart hätte), wenn dies nicht auch durch ein ärztliches Attest nachgewiesen wird. (LAG Baden-Württemberg, 13 Sa 117/11) „Krankengeld“ auch für den Nachwuchs: Arbeitgeber vor der „Kasse“ Alleinerziehende haben bis zu zwei Monate bezahlt frei Das ist in vielen Familien hin und wieder „Alltag“: Ein Kind kann morgens nicht zur Schule oder in den Kindergarten gehen, weil es mit hohem Fieber aufgewacht ist. Mutter und Vater, beide berufstätig, sprechen sich ab, dass die Mutter bei dem Kind bleibt. Ein Arzt bestätigt, dass das Kind der Betreuung bedarf. Zwei Monate später eine ähnliche Situation. Diesmal bleibt der Papa zu Hause. Sowohl die erwerbstätige Mutter als auch der erwerbstätige Vater können für jedes gesetzlich krankenversicherte Kind, das wegen einer Krankheit nicht allein sein kann und noch nicht zwölf Jahre alt – oder (altersunabhängig) behindert - ist, bis zu zehn Arbeitstage zu Hause bleiben. Das macht bei beiderseits erwerbstätigen Eltern 20 Tage pro Kind aus. Für zwei Kinder stehen zweimal 20 Tage zu, ab drei Kindern zweimal 25 Tage - pro Jahr. Und damit Alleinerziehende nicht im Nachteil sind, bestimmt das Gesetz, dass sie wie ein Ehepaar behandelt werden - jedenfalls mit Blick auf das „Kinderpflegekrankengeld“. Im Klartext: Eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern kann bis zu 40 Arbeitstage bezahlt zu Hause bleiben; hat sie drei Kinder, dann sind es 50 Tage - glatte zwei Monate. Immer unterstellt, dass die erkrankten Kleinen so lange die elterliche Fürsorge benötigen - und sonst niemand im Haushalt ist, der dies übernehmen könnte, etwa die Großmutter. Was die Krankenkasse zahlt - Und wer bezahlt das Kinderpflegekrankengeld? Die gesetzliche Krankenkasse, also die AOK, die Ersatzkasse, die Betriebs-, Innungskrankenkasse oder Knappschaft. Und zwar in Höhe von 70 Prozent des vorherigen Bruttoverdienstes, begrenzt auf 90 Prozent vom „Netto“. Doch halt! Zuvor lohnt ein Blick in den Arbeits- oder Tarifvertrag. Sofern darin nämlich nicht ausdrücklich geschrieben steht, dass in Fällen der Betreuung von kranken Kindern der Arbeitgeber den Lohn oder das Gehalt nicht fortzuzahlen hat, ist die Firma leistungspflichtig. Sie muss allerdings nach Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts pro Jahr nur für fünf Tage einspringen. (Diese Urteile stammen noch aus einer Zeit, in der die Krankenkassen nur 5 Tage Kinderpflegekrankengeld zu zahlen hatten. Ob das höchste Arbeitsgericht nach der Aufstockung auf 10 Tage einen gleichen Anspruch für das Arbeitsrecht anerkennt, der ja inhaltlich umfangreicher ist als der gegen die Kasse, steht dahin.) ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 27.02.2014 -4- ... und die Privaten? Besonders bedeutsam ist die Regelung, nach der der Arbeitgeber vor der Krankenkasse leistungspflichtig ist, für privat Versicherte. Da ihre Versicherungsverträge im Regelfall kein „Kinderpflegekrankengeld“ vorsehen, sind diese Eltern allein auf Ansprüche gegen ihren Arbeitgeber angewiesen - wenn sie nicht per Vertrag (siehe oben) ausgeschlossen sind. (Die private Signal Krankenversicherung hat allerdings inzwischen mit der „GKV“ gleichgezogen – wenn auch gegen Zusatzbeitrag. Sie bietet in einem speziellen Tarif ein vergleichbares Krankengeld an – entsprechend den Voraussetzungen, die in der GKV maßgebend sind.) Was der Arbeitgeber zahlt - Die Arbeitgeberzahlung steht – im Gegensatz zur abgespeckten Krankenkassenleistung – zu 100 Prozent zu, folglich so, als wenn der Arbeitnehmer krank wäre und deshalb nicht arbeiten könne. Und die Begrenzung auf zwölf Jahre ist für Arbeitgeber im Gesetz ebenfalls nicht vorgesehen. Muss aber der Arbeitgeber den Verdienst weiterzahlen, dann ist die Krankenkasse insoweit aus dem Schneider. Ist der Chef nicht verpflichtet, Geld für solche Arbeitsausfälle zu zahlen, dann hat er aber die Mutter (beziehungsweise den Vater) unbezahlt freizustellen. Das Finanzielle übernimmt dann gegebenenfalls, siehe oben, die gesetzliche Krankenkasse der beiden. Noch etwas: Sind Mutter und Vater bei verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen versichert, so steht ihnen unabhängig davon das Kinderpflegekrankengeld zu, bei welcher Kasse das Kind „mitversichert“ ist. Und auch das ist wichtig: Hat ein Elternteil seinen Höchstanspruch in einem Jahr – zum Beispiel 10 Tage bei einem Kind - ausgeschöpft, so kann er von seinem Ehepartner noch vorhandene Betreuungstage „übernehmen“. Allerdings muss sein Arbeitgeber mit dieser Tauschaktion einverstanden sein...