Liebe Gemeinde! - Startseite - Evang. Kirchengemeinde Poppenweiler

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Evangelische Kirchengemeinde Poppenweiler
Gottesdienst am 24.01.2016
1. Korinther 9,24-27 (Pfarrer Häcker)
Liebe Gemeinde!
Ich weiß nicht, ob Sie sich für Sport interessieren, und wenn ja, für
welche Sportart. Ich weiß auch nicht, ob Sie sportlich aktiv sind oder
lieber andere ihre Runden drehen lassen. Ich selbst bin – das gebe
ich offen zu –, was den eigenen Sport angeht ein bisschen bequem.
Dafür schaue ich gern anderen zu, wie sie rennen oder um jeden
Ball kämpfen. Das ist auch einfacher, denn als Zuschauer erkennt
man genau die Fehler der anderen und kann sich herrlich darüber
aufregen, wenn so ein Fehler zur Niederlage des eigenen Clubs
oder der bewunderten Sportsperson führt.
Manche Sportarten mag ich mehr, andere dafür weniger. Und gewisse Disziplinen stehen bei mir inzwischen generell unter Dopingverdacht. Da fällt es mir schwer, die vollbrachten Leistungen noch
zu bewundern. Ich weiß nicht, ob der Sieg auf ehrliche Art zustande
gekommen ist oder nur durch Betrug. Dann nämlich wären andere,
die nicht betrügen wollen, von vorne herein ohne Chance und um
den Erfolg ihres langen Trainings gebracht.
Denn eins ist klar: Ohne Fleiß kein Preis, ohne Training keine Leistung, ohne harte Arbeit kein großer Sieg. So zumindest funktioniert
fast jede Sportart, so funktioniert auch unsere Gesellschaft. Sie trägt
nicht von ungefähr den Beinamen „Leistungsgesellschaft“.
Zunächst möchte ich dieses Denken stehen lassen: Wer viel trainiert, hat größere Chancen auf den Sieg. Wer hart arbeitet, wird
mehr verdienen. Wer auf viel verzichtet, wird später reich dafür belohnt. Ich bleibe deshalb erstmal dabei, weil auch der heutige Bibeltext genau so argumentiert:
Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen,
aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr
ihn gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam;
jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Darum laufe ich nicht
wie einer, der ziellos läuft, und kämpfe mit der Faust nicht wie
einer, der in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und unterwerfe
ich meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst
verworfen werde.
Das sportliche Bild ist eindeutig und den damaligen Lesern ebenso
vertraut wie heutigen Zuschauern bei olympischen Spielen oder anderen sportlichen Ereignissen: Es kann nur einen Sieger geben.
Ganz selten einmal sind zwei Sportsleute tatsächlich genau gleich
stark, dass sie gemeinsam den ersten Platz belegen. Im Normalfall
steht nur eine oder einer ganz oben, und schon die Zweitplatzierten
gelten als die ersten Verlierer. Silber ist eben nicht so viel wert wie
Gold, und wer gar auf dem undankbaren vierten Platz landet, hat
sowieso die große Niete gezogen.
Ich muss auch hier zugeben: Viel zu oft sehe ich das ebenso. Sehe
nicht mehr die Leistung, die die Zweiten, Dritten oder gar Vierten
gebracht haben, und erst recht nicht diejenigen, die es nicht mal in
den Endlauf geschafft haben. Doch ist das fair? Haben nicht alle
sich mit ihren Möglichkeiten vorbereitet, angestrengt, trainiert bis
zum Umfallen? Haben nicht auch sie verzichtet auf so vieles, was
das Leben süß macht und schön? Sind sie und ihre Leistung weniger wert als die der Sieger?
Beim ersten Lesen der kurzen biblischen Sätze habe ich spontan
dem zugestimmt, was da steht. Doch mit jedem weiteren NachDenken wurde meine Zustimmung dünner, fragwürdiger: Stimmt das
wirklich? Kann nur einer oder eine als Siegerin, als Sieger das Ziel
erreichen? Ist es recht, die vielen anderen zu ignorieren, zu übersehen, ihre Leistung nicht anzuerkennen?
Und noch mehr hinterfrage ich das Leistungsprinzip, wenn ich lese,
dass es auch noch auf den christlichen Lebenswandel übertragen
wird: „Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt“ lese ich da. Und
frage mich: Wenn das Bild aus dem Sport als Vorbild für den Lebensstil von Christen gelten soll, dann heißt das ja, dass wir immer
gegen andere kämpfen, uns gegen sie behaupten, sie besiegen
sollen. Dagegen aber, liebe Gemeinde, sträubt sich in mir jede Faser meines Herzens, Fühlens und Denkens!
Und schon schlägt das Pendel ins andere Extrem aus: Dieses biblische Beispiel taugt nichts. Taugt nicht als Vorbild und ist deshalb
nicht nachzuahmen. Denn wohl die wenigsten von uns werden beghaupten wollen, dass Christen sich bekämpfen, ständig gegeneinander antreten und sich im (Wett-)Streit befinden müssen. Ich neige also dazu, diesen Bibeltext abzulegen wie alte Socken, die auch
nach dem Waschen noch riechen ...
Doch wieder regt sich in mir Widerstand. Immerhin haben es diese
Sätze in die Bibel geschafft, sind dort geblieben, haben seit 2000
Jahren Ohren erreicht und wohl auch hier und dort Gutes bewirkt.
Sonst wären sie nicht in die Reihe der Predigtexte aufgenommen
worden. Deshalb mache ich mich nach dem langen Vorlauf doch
noch auf den Weg, um nach dem zu suchen, was ich aus ihnen für
mein eigenes Leben gewinnen kann.
Und da beginne ich ganz hinten: „...damit ich nicht anderen predige
und selbst verworfen werde". Darum also scheint es zu gehen: um
die eigene Glaubwürdigkeit. Um einen Lebensstil, bei dem Reden
und Tun miteinander übereinstimmen. Um eine Predigt, die nicht
hohles Geschwätz ist, und um Prediger, die nicht Wasser predigen
und selber Wein saufen. Nein: dem Schreiber, keinem Geringeren
als dem Apostel Paulus, geht es um Menschen, die sich ihres Glaubens würdig erweisen, glaub-würdig leben. Denen die Umwelt abnimmt, was sie sagen, weil sie es selbst leben. Die damit anderen
zu Wegweisern werden, zu Vorbildern, zu Menschen die zeigen, wie
ein gutes Leben aussehen kann.
Und dem, liebe Gemeinde, kann ich voll und ganz zustimmen! Ich
selbst brauche Menschen, denen ich glauben kann, ihnen abnehme
was sie sagen, ihren Versprechen traue. Ich brauche Vorgänger,
denen ich nachfolge, Vorbilder, die an meinem Lebensbild mitmalen.
Ich brauche Anschauung, damit ich abschauen kann. Aus mir allein
wüsste ich nicht, welche Ziele ich verfolgen soll, welche Werte mir
wichtig wären, welche Schwerpunkte gut sind.
So funktioniert auch jede Erziehung. Kinder leben zuerst nach, was
sie sehen, und nicht vorrangig, was sie hören. Da kann der Vater,
der am Glimmstängel hängt, seine Kinder noch so sehr vor dem
Rauchen warnen – es wirkt nicht glaubwürdig, was er sagt. Da kann
der Lehrer den Kindern viel erzählen von Umweltschutz – wenn er
selbst grob fahrlässig Müll im Überfluss produziert oder ein großes
Auto mit extrem hohem Spritverbrauch fährt, darf er sich nicht wundern, wenn sich die lieben Schölerlein hinter seinem Rücken über
ihn lustig machen. Und ich könnte unseren Konfirmandinnen und
Konfirmanden viel erzählen von Nächstenliebe und Rücksicht –
wenn ich mich selbst rücksichtslos verhielte, würde ich alles Mögliche bei ihnen fördern, nur nicht ihren Glauben!
„...damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde" –
von dieser Aussage her will ich den ganzen Text nochmal betrachten. Dabei entdecke ich, dass ein glaub-würdiges, vorbildliches,
nachahmenswertes christliches Leben nicht von allein kommt. Es
muss – wie eben auch im Sport – eingeübt und dauerhaft trainiert
werden. Wenn ich Nachahmer finden will, muss mein Vorbild stim-
men. Dazu muss ich mich selbst immer wieder hinterfragen und,
wenn nötig, korrigieren.
Ganz selten verwende ich Fremdwörter, liebe Gemeinde – heute
mache ich eine Ausnahme. Das englische Wort für “Anhänger, Jünger, Schüler, Nachfolger” heißt “Disciple”. Darin steckt das lateinische „discipere“, „lernen“. Und daraus wiederum hat sich bei uns
das Wort „Disziplin” entwickelt. Wer jemand anderem nacheifern will,
dasselbe erreichen will wie das Vorbild, braucht eine gewisse Disziplin dazu. Jede Schülerin, jeder Schüler, weiß das. Und auch alle,
die einen Beruf ausüben, den sie einmal gelernt haben. Doch hat
man jemals ausgelernt?
Der Volksmund hat schon recht: Ohne Fleiß kein Preis und Übung
macht den Meister. Aber eben nicht auf Kosten Anderer. Wer gegen andere arbeitet, schult deshalb noch lange nicht die eigenen
Fähigkeiten. Wer aber an sich selbst arbeitet, wird immer besser.
Und das ist tatsächlich nicht verwerflich, auch nicht, wenn es um
den christlichen Lebensstil geht!
Denn eine gute, glaubwürdige Lebensführung fällt nicht einfach vom
Himmel. Wir wissen nicht automatisch mit der Taufe, wie ein gutes
Leben aussehen und gelingen kann. Um das herauszubekommen,
müssen wir immer wieder lernen, abschauen, Vorbildern nacheifern.
Das geht nicht ohne Disziplin, und das hört auch nie auf. Niemand
von uns wird je sagen können: Jetzt mache ich alles richtig. Oder
können Sie es? Ich kann es nicht ...
Das heutige biblische Bild vom Sportler, der alles einsetzt, um den
Sieg zu holen, will herausfordern und ermutigen. Herausgefordert
fühle ich mich, jeden Tag bewusst zu leben. Damit ich verantworten
kann, was ich tue oder lasse. Damit ich so glaubwürdig sein kann,
wie es geht. Und ermutigt fühle ich mich, nicht aufzugeben, dranzubleiben, mich immer wieder neu auf den Weg zu machen.
Denn auch das steckt in dem Bild: Manchmal wird das Ziel nicht
erreicht. Manchmal gehört man nicht zu den Gewinnern. Manchmal
fühlt man sich eher als Versager, als „Looser“, als überflüssig und
wertlos. Was aber dann?
Dann gibt es – Gott sei Dank! – noch die vielen Bibeltexte, die einen
Blick auf die andere Seite der Medaille werfen. Es ist jene Seite, mit
der Gott uns sagt: Du bist und bleibst, egal was passiert, mein geliebtes Kind. Für immer und ewig. Nichts und niemand kann dich je
aus meiner Hand reißen, auch wenn mal wieder was schief gelaufen
ist oder nicht geklappt hat.
Diese Seite, liebe Gemeinde, gehört genauso zu unserem Leben.
Für mich ist sie sogar die erste, die Vorderseite. Weil ich mich bedingungslos geliebt und angenommen weiß, kann ich mich bemühen, mein Leben gut zu gestalten. Weil ich die Kraft kenne, aus der
ich lebe, kann ich sie nutzen. Auch das heutige Beispiel aus dem
Bereich des Sports hat diesen Vorlauf, obwohl er nicht vorgelesen
wurde. Doch hängt unser ganzer Glaube wie jeder daraus folgende
Lebensstil daran: Wir sind von Gott geliebt, immer und ohne Bedingung. Deshalb können wir seine Liebe weitergeben – im Rahmen
unserer Kräfte und mit allem Einsatz, der uns möglich ist. Ich meine:
So ein Leben ist dann tatsächlich ein glaubwürdiges Leben!
Im Gesangbuch (S. 1199) steht ein Text von Johannes XXIII, jenem
Papst, der 1962 mit der Einberufung des zweiten vatikanischen
Konzils seine Kirche auf einen neuen Weg brachte:
Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne
das Problem meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.
Nur für heute werde ich die größte Sorge für mein Auftreten pflegen
...; ich werde niemand kritisieren, ja ich werde nicht danach streben,
die anderen zu verbessern, nur mich selbst.
Nur für heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für
das Glück geschaffen bin - nicht nur für die andere, sondern auch
für diese Welt.
Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu
verlangen, dass die Umstände sich an meine Wünsche anpassen.
Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen; wie die Nahrung für das Leben des Leibes notwendig ist,
ist die gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.
Nur für heute werde ich eine gute Tat verbringen, und ich werde es
niemandem erzählen.
Nur für heute werde ich etwas tun, das ich keine Lust habe zu tun;
sollte ich mich in meinen Gedanken beleidigt fühlen, werde ich dafür
sorgen, dass niemand es merkt.
Nur für heute werde ich ein genaues Programm aufstellen. Vielleicht
halte ich mich nicht genau daran, aber ich werde es aufsetzen. Und
ich werde mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und der Unentschlossenheit.
Nur für heute werde ich fest glauben - selbst wenn die Umstände
das Gegenteil zeigen sollten - , dass die gütige Vorsehung Gottes
sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemand in der Welt.
Nur für heute werde ich keine Angst haben. Ganz besonders werde
ich keine Angst haben, mich an allem zu freuen, was schön ist, und
an die Güte zu glauben.
Nur für heute, liebe Gemeinde – und das jeden Tag neu – sind wir
herausgefordert und werden wir ermutigt, glaubwürdig zu leben:
Gott helfe uns dabei! Amen.