10_Das Leben Edvard Munchs

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10_Das Leben Edvard Munchs
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Das Leben Edvard Munchs
Edvard Munch wird am 12. Dezember 1863 in Løten in Norwegen geboren.
Die wirtschaftliche Situation der Familie ist bescheiden, obwohl der Vater Militärarzt ist. Die Familie
wird von einer Haushälterin unterstützt und die Kinder selbst nicht zur Arbeit herangezogen. Seine
Mutter stirbt, als Edvard Munch gerade fünf Jahre alt ist. Die Schwester der Mutter nimmt sich der
Familie an und sorgt für den Vater und die fünf Kinder. Mit seiner ein Jahr älteren Schwester Sophie
verbindet Munch eine Seelenverwandtschaft. Sie stirbt wie die Mutter an Tuberkulose neun Jahre
später.
Mit 12 Jahren fängt Edvard an zu zeichnen und als 18-jähriger (1880) fällt der Entschluss: Ich werde
Maler! Tagebucheintrag, 8. November 1880: „Ich bin jetzt wieder von der Technischen Schule
abgemeldet. Mein Entschluss ist nun nämlich, Maler zu werden“.
In Munchs ersten Selbstbildnissen können wir den glatten, akademischen Stil erkennen, den er schon
kurze Zeit später zugunsten einer individuell freieren Malweise aufgibt.
Erste Ausstellungsbeteiligungen erfolgen seit 1883.
1884 kommt Edvard Munch in den Kreis der Kristiania-Boheme. Es ist der Treffpunkt radikaler
Anarchisten und Intellektueller, die für soziale Gleichheit und freie Liebe eintreten.
Noch im selben Jahr erhält Edvard Munch ein 14tägiges Stipendium für Paris. Dort besucht er den
Louvre und begeistert sich für Manet.
1885/86 malt Munch Das kranke Kind. Dieses Bild zeigt eine Darstellung seiner sterbenden Schwester
Sophie. Von diesem Motiv malt er mehrere Varianten. Es ist zugleich der Ausgangspunkt für seine
spätere Malerei. Das Bild wird in Norwegen zu einem Skandalbild. Dabei ist es nicht das Thema, was für
Erregung sorgt. Bildnisse kranken und sterbenden Kindern, sind ein gängiges Motiv. Die
Kindersterblichkeit zu dieser Zeit ist hoch und daher in der Gesellschaft präsent. Skandalös ist nicht was,
sondern wie er das Bild gemalt hat. Das Bild wirkt unfertig, roh. Die Erwartungen gegenüber einem
Kunstwerk werden grundlegend verletzt. Der Maler missachtet nach damaligen Vorstellungen die
Regeln der Kunst.
1889 stellt Munch in einer Einzelausstellung in Kristiania (Oslo) 110 Werken aus.
Vom norwegischen Staat erhält Munch 1889 das erste von drei Stipendien, die in den Wintermonaten
1889/90, 1890/91 und 1891/92 nach Paris führen.
Wichtige Impulse erfährt er dort in den Ausstellungen und Museen. Hier sieht er zum ersten Mal
druckgrafische Arbeiten von Paul Gauguin.
In Paris erreicht Munch Ende 1889 die Nachricht vom Tod seines Vaters.
In Saint-Cloud, einem kleinen Vorort von Paris, entstehen nun Arbeiten, die Veränderungen in seinem
Werk andeuten. In sein Tagebuch schreibt er: „Es sollen nicht mehr Interieurs mit lesenden Männern
und strickenden Frauen gemalt werden. Es müssen lebende Menschen sein, die atmen und fühlen, leiden
und lieben.“ Seine Malerei kreist fortan um die großen Menschenthemen wie Liebe, Eifersucht, Angst
und Tod.
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1892 wird Munch vom Verein Berliner Künstler eingeladen seine Bilder erstmals in Deutschland zu
präsentieren. Bei der Eröffnung ist der Teufel los. Auch in Berlin entzündet sich dabei die Erregung
nicht an den behandelten Themen, sondern vor allem an der Malweise. Das Flüchtige und
Fragmentarische seiner Werke findet besondere Missachtung. „Schlampig und eine Schande für die
Kunst“, entrüstete sich das Publikum. Das Berliner Tageblatt schrieb von „schrillen Scheußlichkeiten“,
und 23 Mitglieder des Vereins Berliner Künstler forderten die sofortige Schließung der Ausstellung, und
zwar „aus Hochachtung vor Kunst und ehrlichem künstlerischen Streben“. Sieben Tage nach Eröffnung
wurde die Ausstellung geschlossen, die Bilder abgehängt. Eine Katastrophe? Keineswegs! Eine Woche
hat gereicht, und Munch war über Nacht in aller Munde. Eine heftige Debatte war durch seine Malerei
losgebrochen. Sie führte zur Spaltung des Vereins Berliner Künstler und zur Gründung der Berliner
Sezession.
In Berlin kommt Munch nun mit anderen skandinavischen Künstlern zusammen. Im Gegensatz zu der
Kristiania-Boheme setzt sich die Berliner Avantgardeszene aus Künstlern und Literaten zusammen. Hier
geht es nicht um soziale Gerechtigkeit, im Mittelpunkt stand die Auseinandersetzung um Kunst und
Psychologie. Die Zeit war reif für Veränderung, zumindest in dem Weinlokal „Zum Schwarzen
Ferkel“, wo sich die Berliner Boheme (u.a. August Strindberg, Stanislaw Przybyzewski aber auch Julius
Meier-Graefe) traf. In der bildenden Kunst und in der Literatur fühlte man sich nicht mehr an das
altmeisterliche Regelwerk gebunden. Stattdessen ging es dieser Avantgarde um Unmittelbarkeit,
Intensität und den direkten Ausdruck von Gefühl.
1893 stellt Munch ein weiteres Mal in Berlin aus. Sechs seiner Bilder werden als Serie präsentiert:
„Studie zu einer Serie: Die Liebe“. Dazu gehörten die Bilder Sommernachts-Traum, Die Stimme, Kuss,
Vampir, Madonna-Gesicht, Melancholie und Der Schrei. Diese sechs Gemälde markieren den
Ausgangspunkt des künftigen Lebensfrieses. Offensichtlich entwickelte er nun die Idee zu einer ganzen
Bilderreihe, die sich mit den verschiedenen Abschnitten des Lebens und den unterschiedlichen
menschlichen Empfindungen beschäftigt. Rund dreißig Jahre hat ihn dieses Projekt Lebensfries
beschäftigt. Der Lebensfries ist kein klassischer Fries, der als Gesamtwerk konzipiert wurde. Vielmehr
arrangierte Munch seine Einzelwerke zusammen. Die Konstellationen konnten durchaus wechseln. Der
Lebensfries fand nie eine endgültige Gestalt. Bilder, die er verkaufen konnte, wurden herausgenommen
und durch neue Arbeiten ersetzt, so dass von vielen Bildern mehrere Fassungen existieren. Aber auch
einzelne Themen wurden immer wieder neu ausgearbeitet und variiert. Typisch für Munch aber ist, dass
einzelne Motive ihn immer wieder beschäftigten, die experimentell und kompositorisch weiter
entwickelt wurden.
1896 verlässt Munch Deutschland und geht wieder nach Paris. Er setzt sich jetzt intensiv mit der
Druckgrafik auseinander. Dabei erprobt und experimentiert Munch alle Techniken. Fasziniert von der
Vielseitigkeit der Technik entwickelt er kaum neue Motive. Beinahe jeder druckgrafischen Arbeit liegt
ein Gemälde zugrunde.
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Zwischen 1902 und 1908 ist Munch überwiegend in Deutschland. Hier hat er Anhänger und Förderer
gefunden, die seinen Erfolg vorantreiben. Malaufträge für Porträts führen ihn durch Deutschland und
Europa. Munchs künstlerischer Erfolg und Durchbruch sind eng mit Deutschland verbunden.
Das turbulente Künstlerleben und der Erfolg hinterlassen Spuren. Rast- und ruhelos bedrängen ihn
innere Konflikte. Da ist 1902 die tragische Liebesgeschichte mit Tulla Larsen, die mit einer
Revolverszene endet, bei der Munchs linke Hand angeschossen wird. Das Thema Selbstverletzung
kennen wir ja schon von van Gogh. Immer abhängiger vom Alkohol erleidet Munch 1908 einen
schweren Nervenzusammenbruch und geht in eine Kopenhagener Klinik.
Ab 1909 lebt Munch wie ein Einsiedler in Norwegen. Er kümmert sich um seine Geschwister, die er
auch finanziell unterstützt. Umfangreiche Bilderverkäufe an die Nationalgalerie Kristiania und Sammler
in Deutschland sichern seine Existenz.
1912 erhält Munch in der bedeutenden Sonderbund-Ausstellung in Köln den zweitgrößten Raum. Nur
der Ausstellungssaal von van Gogh ist größer. Munch ist unter den Pionieren der modernen Kunst
angekommen und wird als solcher anerkannt.
Für 20.000 Mark kauft der Kunstverein Bremen 1918 Munchs Gemälde Das Kind und der Tod. Unter
diesem Bild verbirgt sich ein zweites Gemälde, das erst 2005 entdeckt wird.
Mit der Aktion „Entartete Kunst“ werden 1937 Munchs Bilder aus öffentlichen und privaten
Sammlungen beschlagnahmt. Das Bremer Bild gehört zu den wenigen, die verschont bleiben.
Am 23. Januar 1944 stirbt Edvard Munch auf seinem Gut Ekely bei Oslo. Seine umfangreiche
Sammlung vermacht er der Stadt Oslo, die daraufhin das Munch Museum gründete.