verdikt 2.13 - Bund + Länder
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verdikt 2.13 - Bund + Länder
November 2013 2.13 12. Jahrgang verdikt Mitteilungen der Fachgruppen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di 4 Aus Treue zur Demokratie – Laudatio zur Verleihung des IALANA Whistleblower-Preises 2013 an Edward J. Snowden 7 Der Fall Snowden – die deutsche Justizgeschichte – zugleich ein Fall missbräuchlicher Medienmacht 11 Ungewohnter Aufstand der Justiz – Richter und Staatsanwälte gehen auf die Straße 13 Der Flickenteppich der Besoldung bekommt weitere Löcher (ver.di-Erklärung) 14 Bericht von der Konferenz „Sozialstaat-Spielball der Finanzmärkte?” am 21. Juni 2013 in Berlin 17 Die Unabhängigkeit der europäischen Justiz muss noch errichtet werden verdikt 2.13 , Seite 2 3 Editorial brennPUNKT4 Aus Treue zur Demokratie – Laudatio zur Verleihung des IALANA Whistleblower-Preises 2013 an Edward J. Snowden | Sonia Mikich 7 Der Fall Snowden – die deutsche Justizgeschichte – zugleich ein Fall missbräuchlicher Medienmacht | Helmut Kramer 9 PR statt Aufklärung – Vom Elend der parlamentari schen Geheimdienstkontrolle | Wolfgang Nešković JUSTIZ Im Fokus11 Ungewohnter Aufstand der Justiz – Richter und Staats- anwälte gehen auf die Straße | Bernd Asbrock 13 Der Flickenteppich der Besoldung bekommt weitere Löcher (ver.di-Erklärung) Internationales14 Bericht von der Konferenz „Sozialstaat-Spielball der Finanzmärkte?” am 21. Juni 2013 in Berlin | Thorsten Beck 17 Die Unabhängigkeit der europäischen Justiz muss noch errichtet werden | Carsten Schütz Rechtspolitisches20 Wie viel ist uns der Rechtsstaat wert? Zum neuerlichen Versuch, die Prozesskostenhilfe einzuschränken | Uwe Boysen Aus der Justiz22 Gespräch mit der nds. Justizministerin Anje Niewisch- Lennartz am 24.04.2013 | Martina Dierßen 22 Starke hessische Justiz sichert den Rechtsstaat | Georg Schäfer 24 Selbstverwaltung der Justiz – Vollendung der Gewaltenteilung? | Georg Schäfer In eigener Sache25 25 Aus für akzent-druck – Ende einer Erfolgsgeschichte | Martin Bender Mit Interdruck nachhaltig in die Zukunft | Bernd Asbrock Rezensionen 26 Robert Pragst: Verurteilt – Mein Jahr als Strafrichter | Christian Oestmann 26 W. O. Müller-Hill: Man hat es kommen sehen ... Kriegs tagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/1945 | Peter Kalmbach 27 Das Oberlandesgericht München zwischen 1933 und 1945 | Wolfgang Helbig | Hans-Ernst Böttcher 28 „Die Rosenburg“ – oder: das Forschungsvorhaben der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim BMJ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit | Hans-Ernst Böttcher Rechts-Links 31 Impressum31 verdikt 2.13 , Seite 3 [ED I T O R I A L] Liebe Leserinnen und Leser . Wer heute die Journale und Zeitungen liest, der kann sich vor Kapitalismuskritik gar nicht retten. Bei den Juristen ist sie allerdings noch nicht angekommen. Das zu ändern, lässt sich als eine der Hauptaufgaben charakterisieren, die sich der von MEDEL und ver.di am 21. Juni 2013 in Berlin veranstaltete Kongress zum Ziel gesetzt hatte. Griechenland, Spanien, Portugal, diese als Krisenstaaten bezeichneten Länder der EU machen uns gerade vor, was man in Deutschland erwarten könnte, sollte eine Wirtschaftskrise auch einmal in unsere Breiten vordringen. Beschneidung von Gewerkschaftsrechten, Demontage öffentlicher Rundfunksender, massenhafte Zwangsräumungen von Schuldnern, die ihre Kreditzinsen nicht mehr bezahlen können, unbegrenzte Steuermittel für Banken, die ansonsten dem Untergang geweiht wären – das ist die neoliberale Medizin, die den Menschen in Südeuropa zwangsweise verabreicht wird. Dass davon in dieser Größenordnung in der Bundesrepublik derzeit noch keine Rede sein kann, darf nur marginal beruhigen. Wer die Aufund Abwärtsbewegungen des Kapitalismus längerfristig analysiert, der weiß, dass sie irgendwann kommen wird, eine Krise des gegenwärtigen Wirtschaftssystems, auch wenn sie offensichtlich bisher nicht zu den Umstürzen geführt hat, die sich ein Marx oder ein Lenin früher von solchen Krisen versprochen hatten. . Welche Rolle spielt hier das Recht, und welche Rolle können oder müssen aufgeklärte, an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit interessierte und diesen Prinzipien verpflichtete Juristinnen und Juristen im Europa des 21. Jahrhunderts spielen? Diesen Fragen versuchte die Berliner Tagung nachzugehen (siehe den ausführlichen Bericht von Beck, Seite 14). . Wie es um die Justiz im Europa der damals 27 und heute 28 bestellt ist, darüber verhandelten Vertreter von MEDEL am 23. Mai 2013 auch beim ersten Europäischen Justiztag in Brüssel. Hier stellte Carsten Schütz die deutsche Situation dar (siehe Seite 17). . Aber nicht nur die europäische Ebene darf uns interessieren. Auch unsere eigene Situation muss uns Kommentare und Überlegungen Wert sein, zumal wenn sie sich deutlich verschlechtert, wie das derzeit der Fall ist. Dass Richterinnen und Richter auch Arbeitnehmer sind und daher ein vehementes Interesse daran haben müssen, sich auch gewerkschaftlich zu engagieren, diese These haben wir trotz vielen Naserümpfens von Kollegen seit Langem vertreten. Gerade bewahrheitet sie sich durch die obrigkeitlichen Sparbeschlüsse wieder einmal auf eine – für alle öffentlich Bediensteten – mehr oder weniger einschneidende Weise. Da hilft auch eine Standesorganisation wie der Richterbund nur wenig. Der hätte nämlich das Tarifergebnis, das jetzt nicht übertragen werden soll, allein niemals erreicht! Dass Richterinnen und Richter hier endlich einmal Rückgrat zeigen, lässt hoffen, dass sie es auch bei der Verteidigung demokratischer Rechte wie des Rechts auf eine Privatsphäre tun werden (dazu unser Brennpunkt in diesem Heft). Für die Redaktion Uwe Boysen verdikt 2.13 , Seite 4 [BRENNPUNKT] Whistleblowerpreis 2013 für Edward Snowden am 30. August 2013 in Berlin Mit dem diesjährigen Whistleblowerpreis wurde der 30jährige US-Amerikaner Edward J. Snowden ausgezeichnet. Der Preis wird seit 1999 alle zwei Jahre von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW e.V.) und der deutschen Sektion von IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms) verliehen. Erstmals beteiligte sich in diesem Jahr daran auch die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e.V. Whistleblower sind Personen, die im öffentlichen Interesse schwerwiegende Missstände und gefährliche Entwicklungen für Mensch und Gesellschaft, Demokratie, Frieden und Umwelt aufdecken. Nach der Begründung der Jury hat Edward J. Snowden als Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) die massenhafte und verdachtsunabhängige Ausforschung und Speicherung von E-Mails, IP-Adressen sowie von Telefon- und anderen Kommunikationsdaten durch US- und andere westliche Geheimdienste öffentlich gemacht. Dadurch wird es nach Ansicht der Jury möglich und unausweichlich, die Fakten- und Beweislage durch Regierung, Parlament, Gerichte und die kritische Öffentlichkeit intensiv zu klären und auf gesicherter Tatsachengrundlage dann zu prüfen, ob und in welcher Hinsicht das durch Snowden aufgedeckte Verhalten und Vorgehen in- und ausländischer geheimdienstlicher Stellen geltendes Recht verletzt haben. Abschließend heißt es, Edward Snowden hat mit seinem Whistleblowing Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsstaaten einen großen Dienst erwiesen. Deshalb sollten EU-Staaten wie Deutschland und andere darum wetteifern, ihn aufzunehmen und zu schützen: Aus Überzeugung, aber auch aus Dankbarkeit. Nachfolgend die von der Journalistin und Fernsehmoderatorin Sonia Seymor Mikich gehaltene Laudatio. bas Eine Dokumentation findet sich unter: http://www.ialana.de/arbeitsfelder/whistleblowing/whistleblower-preis/whistleblowerpreis-2013.de Sonia Seymour Mikich, Fernsehmoderatorin und leitende Redakteurin, WDR Aus Treue zur Demokratie Laudatio auf den Whistleblower-Preisträger 2013 Edward J. Snowden . Da schwingt ein Kammerton in unseren westlichen Gesellschaften, zielgerichtet, unentrinnbar, nicht sehr laut. Er durchdringt unseren Alltag, unseren Konsum, unsere Wünsche und Träume. Unsere Geschäfte, unsere Willensbildung, unsere Entscheidungen. Eingestimmt werden wir auf die Verknüpfung von Big Data und Big State, aber noch hören die meisten kaum hin. Anstatt Misstrauen zur höchsten Bürgertugend auszurufen unterwerfen wir uns der Update-Diktatur von kommerziellen Netzriesen genauso wie dem Schnüffelwahn der Staaten. Vielleicht keimt da ein ganz neuartiger Totalitarismus heran, und wir haben schon aufgegeben, ihn erkennen zu wollen. Wie beklemmend. . Darum, meine Damen und Herren, liebe Jurymitglieder, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gut genau hier zu sein. Wir teilen nicht nur ein ähnliches Verständnis von Machtmissbrauch und demokratischer Gegenwehr. Wir definieren die Bedeutung der Spähaffäre als das, was sie ist. Historisch. Die Enthüllung der NSA-Aktivitäten und die darauf folgenden, weltweiten Diskussionen über die Zukunft der Privatsphäre in einer digitalen Gesellschaft sind ein Wendepunkt. Niemand wird später sagen können, er habe von der schleichenden Erosion der Demokratie nichts mitbekommen. Edward Snowdon hat Politiker, Diplomaten, Juristen und Geheimdienstler der Welt in Erklärungsnot gebracht. Er hat ein Schlaglicht auf die neue Balance zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum im digitalen Zeitalter geworfen: Wer kontrolliert wen, wer hat die Deutungshoheit, wer ist schützenswert? Wer sind die Profiteure von data-mining, warum machen Weltkonzerne so eilfertig einen Kotau vor den Diensten, was haben sie wohl davon? Große Fragen, die wir ohne Snowdens Schritt in die Öffentlichkeit gar nicht stellen würden. Und nun? Ausgerechnet demokratische Regierungen reagieren mit Gesten der Vormoder- Sonia Mikich, Foto: Internet ne. Bestrafung, Zensur, Einschüchterung, Verächtlichmachung der Diskurse. Gesetze werden sinnentstellt:. In dieser Logik sind nur regierbare Bürger gute Bürger. Untertanen eben. Dies ist wahrlich ein Konflikt des 21.Jahrhunderts, verhandelt mit den Werkzeugen des 20. Die US-Administration, aber auch die deutsche Regierung argumentieren gern mit verhinderten Terroranschlägen. 50 verhinderte Terrorakte in den USA, 5 hierzulande. Die, zum Teil partnerschaftliche, Datenausbeutung der Dienste hätten Schlimmes abgewehrt. . Mag sogar sein, aber hat dann die Öffentlichkeit nicht das Recht, Genaueres zu erfahren? Wie gefährlich waren die Anschlags-Pläne? Wie realistisch ihre Ausführung? Wären sie auch ohne Prism-Software aufgeflogen? Das Bundeskanzleramt und das Innenministerium verkündeten allen Ernstes: „Die NSA und der britische Nachrichtendienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten“. Punkt. Und das soll mir, einer Bürgerin in einer demokratischen Zivilgesellschaft die Sorge nehmen, dass ich ein Leben lang verdächtig bin? Nicht nur digital nackt, sondern verdächtig? Das soll meine Fassungslosigkeit beseitigen, dass - vielleicht – mit ausgespähten deutschen Handydaten amerikanische Drohnen Menschen in Afghanistan töten – ohne Gerichtsprozess, ohne Urteil? . Und gibt es keine Sicherheitslage, keinen Terroralarm, dann bedient sich die Sicherheitslobby gern des schwammigen Begriffs des „Staats- verdikt 2.13 , Seite 5 wohls“. Damit lassen sich nicht nur illegale Aktionen rechtfertigen, sondern die zunehmende Verschiebung von roten Linien. Dazu gehört das Mantra: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Der Satz ist, leider, Allgemeingut geworden und fördert die Duldungsstarre der Bürger. So plausibel. So unverschämt. (Oder wie es die Piraten sagen: Wenn ich nichts zu verbergen habe, warum wollt Ihr das wissen?“…) . Der Schriftsteller Ilya Trojanow sagte neulich in der NZZ dazu: „Heute gehen die informationssaugenden Behörden nicht mehr von einem verdächtigen Individuum aus, dessen Verhalten und Kommunikation zu überwachen ist, sondern von einer verdächtigen Gesellschaft, die als Ganze durchleuchtet werden muss, um die Gefährlichen, Auffälligen, Kritischen und Renitenten herauszufischen.“ . Seit Snowdens Enthüllungen treibt mich ein Bedürfnis um, den Zustand unserer Demokratie zu reflektieren, jenseits von Wahlterminen. Ich weiß nicht, ob auch hierzulande ein „tiefer Staat“ entsteht. Dessen Ingredienzen wären Verselbstständigungsprozesse in Apparaten, überholte Kontrolltools des Parlaments, unaufmerksame Medien, begleitet vom ungeheuren Potential des data mining. . Ich weiß auch nicht, ob ich die Sammelei der Dienste oder die der Konzerne wie Apple, Google, Amazon und Co. mehr fürchten sollte. Ich ahne nur, dass die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft tiefer wird als die zur Zeit des Kalten Krieges, der vor-digitalen Zeit. Damals existierte ein gewisser Konsens in den westlichen Demokratien über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Immer wurde der Konsens geprüft. Volkszählung, Großer Lauschangriff Rasterfahndung, Vorratsdatenspeicherung = Überwachungsstaat = nein Danke. Und wütende Bürger gingen zu Zehntausenden auf die Straße. . Und heute? Das Netz ist Überwachung, punkt. Es lockt geradezu mit dauerhafter Überwachung der Konsumenten und Kommunikationswilligen. Das Netz verleiht mir sogar eine sehr detaillierte Identität. Ich klicke, also bin ich. Ich bin längst berechenbar, qualifizierbar. Und das, was über mich gespeichert und gelesen wird, ist genauso wirklich wie mein analoges Ich. Schon schwer eine besondere Sensibilität gegenüber staatlichen Datenkraken zu entwickeln, wenn man sich mit dem „Like“-Button durchs Leben klickt. Nur weil das Unwissen der Bürger in Sachen Datensicherheit weiterhin groß ist, kann die Politik ins Vage und Ungefähre abtauchen. 500 Millionen in Deutschland gesammelte Daten in einem Monat? Oder doch von Deutschland im Ausland ausgespäht? . Ob das überhaupt auswertbar ist? Ohnehin, alles längst bekannter Usus. Beziehungsweise, Neuland. Wohlklingendes behaupten, Selbstverständliches betonen, so fasst es der Blogger Sascha Lobo zusammen. So lullt man kostenfrei das Misstrauen von uns Bürgern ein bevor es überhaupt wach wird. . Die Reaktionen auf Snowdens Enthüllungen hierzulande waren zum Teil erschreckend, zum Teil lächerlich. Während in den USA Senatoren sagen durften, Snowden möge zurückkommen, ihm drohe nicht Todesstrafe oder Folter (!!!), verniedlichte unsere politische Kaste das Geschehen zum Wahlkampfthema. Oder erklärte die Debatte für beendet. . Dabei schreit es nach Konkretisierung: Braucht der Datenschutzbeauftragte mehr Handlungsspielraum oder das Kontrollgremium des Parlaments? Ist der BND entfesselt? Und, ich die normale Verbraucherin, muss wohl schleunigst Verschlüsselungsprogramme lernen, auf Kryptopartys gehen, muss Privatsphäre kaufen, weil mein Land meine Privatsphäre nicht schützen kann. Fühlt sich an wie Kapitulation. . Edward Snowdens Tat sollte ein Weckruf für uns alle sein: Wie wollen wir es halten mit dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit? Was ist Staats-Aufgabe, was muss Zivilgesellschaft verlangen? . Ein Staat hat das Recht, seine Interessen zu schützen, ja. Aber Bürger haben nicht die Pflicht, „staatstragend“ zu sein. Edward Snowden hat – in meinem Wertesystem – „staatsbürgerlich“ gehandelt. Die USA haben ihm dafür den Pass, den Nachweis der staatsbürgerlichen Existenz entzogen. . Ich habe versucht, mich in Edward Snowden hineinzuversetzen. Es heißt, er habe sich in dem Augenblick zu seiner Tat entschieden, als seine Vorgesetzten die Öffentlichkeit über den Umfang der Datensammlungen belogen. Und ja, es macht fassungslos, dass James Clapper, der Chef sämtlicher US-Geheimdienste noch im Amt sein darf, obwohl er nachweislich im März Kongressmitglieder über die NSA-Spähprogramme anlog und dann nach Snowdens Enthüllungen die absurde Formulierung fand, seine Lüge sei die „am wenigsten unwahre Antwort“ gewesen. Das klingt wie Orwells 1984, Winston Smith im Neusprech-Rausch. Vertuschen, verdrehen und die Öffentlichkeit für bodenlos dumm oder vergesslich zu halten, manche Menschen haben eben Reflexe gegen solche Manöver. Ihren gesunden Menschenverstand. Ihr moralisches Kapital. Snowden setzte nicht nur einen Scoop in die Welt, sondern seine Existenz aufs Spiel. . Wie ist wohl dieser Moment, wenn ein Whistleblower auf „SEND“ drückt, wenn die Entscheidung fällt? Oder vor ihm und anderen das rote Licht einer Kamera angeht? Wenn der Umschlag in den Briefkasten rutscht? Die Minute Null. Muss man sie sich als Katharsis vorstellen, endlich sind das Abwägen, das Grübeln und Zweifeln zu Ende? Als starkes Herzklopfen? Die Minute Null. Klar ist nur: von nun an ist nichts mehr wie vorher. Isolation, Mobbing drohen. Physischer und psychischer Druck. Jobverlust. . Existenzverlust. Gefängnis, Verachtung. Studien belegen, dass 90 Prozent aller Whistleblower zuerst intern auf Missstände hinweisen und dann erst an die Öffentlichkeit gehen. Aber was ist, wenn die Behörde, die Firma, die Institution selbst Missstände zum Prinzip oder Geschäftsmodell gemacht haben? Und Anerkennung, Schutzangebote oder Dank sind nie der erste Reflex der aufgeschreckten Öffentlichkeit. Nein, Davids Kampf gegen Goliath ist eine Schulhof-Rauferei im Vergleich zur Minute Null. . Edward Snowden hat Transparenz erzwungen, wo keine war. Er hat gezeigt, wo Wanzen stecken und Freiheit verschwindet. Das klingt nach Glanz und Gloria, aber man muss Snowden und andere gar nicht heroisieren. Mir reicht es schon ihr Engagement für die Wahrheit zu respektieren. Vergessen wir nicht Bradley Manning, der der Welt die „Killer-Videos“ offenbarte. Aufnahmen von gezielten verdikt 2.13 , Seite 6 Schüssen aus US-Kampfhubschraubern auf Zivilisten auf Bagdads Straßen – das konnte er nicht mit seinem eigenen Patriotismus in Einklang bringen. 12 Tote, darunter 2 Kollegen von Reuters. Mannings Leben ist zerstört, die Schützen sind meines Wissens noch nicht einmal angeklagt… . Oder John Kiriakou, der ehemalige CIA-Agent, der die Folter durch Waterboarding bekannt machte. Er sitzt, die Folterer nicht. . Whistleblower wie Snowden oder Manning schauen hin, wo es dunkel ist. Wo es stinkt. Uns nützt der Blick, aber sie zahlen den Preis. Beschämend, dass die Zivilgesellschaft denen keinen festen Schutz bieten kann, die uns auf Machtmissbrauch hinweisen. Nicht in den USA. Nicht in Europa. Nicht in Deutschland. . Auf den Bühnen der veröffentlichten Meinung wurde in den letzten Wochen gern das Drama „Whistleblower: Held oder Verräter“ aufgeführt. Ein plumper Gegensatz, in meiner Sicht. Gewiss, Edward Snowden hat einen massiven Regelverstoß begangen – mindestens - indem er die Geheimhaltungsklauseln seines Arbeitsvertrages verletzt hat. Er hat sein Wissen nicht teuer verkauft und ... er hat seiner Tat seinen Namen gegeben, sich sichtbar gemacht. Mir gefällt der Begriff „ethischer Dissident“ da sehr, lieber Herr Deiseroth... . In der Jurybegründung heißt es in schöner Sachlichkeit: Snowden hat die massenhafte und verdachtsunabhängige Ausforschung und Speicherung von E-Mails, IP-Adressen sowie von telefon- und anderen Kommunikationsdaten durch US- und andere westliche Geheimdienste öffentlich gemacht (...) und seine Enthüllungen machen es möglich und unausweichlich, die Fakten- und Beweislage durch Regierung, Parlamente, Gerichte und die kritische Öffentlichkeit intensiv zu klären. Mit dem Ziel zu prüfen, ob geltendes Recht verletzt wurde. „The public needs to decide whether these programs and policies are right or wrong.“ So erklärte sich Snowden im Interview mit dem Guardian. Die Öffentlichkeit muss entscheiden. . Und der große Gegner erschreckte ihn nicht, die Regierung der Weltmacht USA. Edward Snowden setzte auf die andere Weltmacht, die öffentliche Meinung. Das ist Verrat – aus Treue zur Demokratie. Aus streng geheim möge streng öffentlich werden. Und so müssen wir hier (nicht nur wir hier) den Fall Snowden anders diskutieren als etwa die Regierung der USA. Eben als Staatsbürger, nicht als Staatsträger. Im Kontext unserer Freiheitsrechte, unseres Wertefundaments. Unserer demokratischen Bedürfnisse nach Transparenz und Rechenschaftspflicht. Whistleblower: Von ihnen bekommt die Zivilgesellschaft Impulse, das Falsche, das Ungerechte korrigieren zu können. Wir haben etwas davon – auch wir Journalisten. . Viele Enthüllungen in der Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft fangen bei einem Informanten an, der Interna weitergibt. Weil er oder sie überzeugt ist, dass das Recht der Öffentlichkeit, von Missständen zu erfahren, größer ist als seine Pflicht, Betriebsgeheimnisse zu wahren. Interessenspolitik, Fehlleistungen, Gesetzesverstöße und Korruption werden ja nie freiwillig zugegeben, sondern meist von Überzeugungstätern mühselig ausgebuddelt, gegen recherchiert, dokumentiert. Hat je ein Geheimdienst freiwillig zugegeben, dass er sich millionen- fach und weltweit über verbriefte Grundrechte hinwegsetzt? Haben je Machthaber freiwillig Machtmissbrauch eingeräumt? Hat je eine Firma einfach so offenbart, die Umwelt vergiftet oder Mitarbeiter um Löhne geprellt zu haben? Oder ein Pflegeheim die kriminelle Vernachlässigung alter, hilfloser Menschen? Darum müssen Whistleblower gesetzlich geschützt werden. Und ihre Partner in den Medien müssen sich darauf verlassen können, dass der Informanten- und Quellenschutz nicht ausgehöhlt wird. . Edward Snowden könnte den investigativen Journalismus auch hierzulande beleben. Unabhängig berichten, einer kritischen Öffentlichkeit dienen und keine Angst vor großen Gegnern haben – diese eigentlich selbstverständliche Grundhaltung von Journalisten erhält jedes Mal frischen Sauerstoff, wenn interne Hinweisgeber uns kontaktieren. Glauben Sie mir, die Stimmung, das Adrenalin steigt, wenn unsereins im Berufsalltag das noch nicht veröffentlichte Dokument vor sich liegen sieht… (Um ein kleines, eigenes Erfolgserlebnis einzuflechten: Bei Monitor enthüllten wir wie Lobbyisten mächtiger Branchen an Gesetzen mitschrieben und an Schreibtischen in deutschen Ministerien saßen – ein Skandal, von Informanten sichtbar gemacht. Die unrühmliche Praxis wurde erst bestritten, dann abgeschafft.) . Whistleblower helfen Journalisten bei einer ganz wesentlichen Aufgabe: die dunkle Seite der Macht auszuleuchten. Warum finden sich wohl auf so vielen Dokumenten, Studien, Gesetz-Entwürfen und Depeschen „top secret“-Vermerke? Wohl auch, um Entscheidungsträger vor unangenehmen Fragen zu schützen. . Investigativer Journalismus ist im besten Sinne anti-autoritär, unsere Verantwortung läuft nicht darauf hinaus, die Mächtigen zu schonen. Die Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Whistleblowern organisiert Transparenz und hilft gute Fragen zu stellen: Toleriert eine Regierung Folteraktionen? Werden aus wirtschaftlichen Interessen Menschenrechte geopfert? Schaut man bei Korruption und Repression weg, weil es grad mal der Verbündete ist? Welche PRArbeit wird betrieben, um uns – sagen wir mal – von einem Kriegseinsatz zu überzeugen? . Das Recht einer Regierung auf Geheimhaltung ist in meiner Sicht nicht grundsätzlich größer als das Recht der Öffentlichkeit auf Information und Aufklärung. Edward Snowden ist der erste politische Asylbewerber des digitalen Zeitalters, er lebt jetzt – wie absurd – in Russland. Das FBI hat am 14. Juni Strafanzeige gegen ihn erstattet. Ihm wird bisher Diebstahl von Regierungseigentum, widerrechtliche Weitergabe geheimer Informationen sowie Spionage vorgeworfen. Dafür kann er 30 Jahre ins Gefängnis kommen. Seine Freiheit, seine bürgerliche Existenz zu sichern hat Europa, hat Deutschland ausgerechnet ans Regime Putin delegiert. Bei uns wird es keinen Platz für einen transnationalen Störenfried geben. Da sei die ängstliche Interpretation des Asylrechts vor! Wenn man freilich der Politik hierzulande glaubt, ist alles inzwischen prima geregelt. Irgendwann kommt das No-Spy-Abkommen zwischen den USA und Deutschland zustande. Und Präsident Barack Obama hat doch einen Vier-PunktePlan für mehr Transparenz bei den Diensten versprochen. Na also. Alle benehmen sich gut, das Publikum möge sich beruhigen. Game over. verdikt 2.13 , Seite 7 . Zeitgleich aber gibt der verschlüsselte Email-Dienst von Snowden lieber auf, als sich dem Druck von – nun ja, wem genau – zu beugen. David Miranda, der Lebensgefährte des Guardian-Journalisten Glenn Greenwald, wird im Transitbereich des Flughafens Heathrow knapp neun Stunden lang festgesetzt, seine elektronischen Geräte: beschlagnahmt. Der Guardian selbst steht unter massivem Druck, Festplatten werden unter Aufsicht zerstört – you have had your fun. . Wer hat das Sagen im digitalen Zeitalter? Allen Realpolitikern, Zynikern und Hasenherzigen zum Trotz: Verbriefte Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit verknöchern nie. Konsum und Überwachung dürfen nicht ihren Platz einnehmen. Transparenz schaffen für das Wohl aller, für das Wissen aller, für den Fortschritt aller – das wäre ein schönerer Ehrgeiz als unsere Informationsflüsse einfach Konzernen und Geheimdiensten zu überlassen. Wir stehen am Scheideweg. Ich ende mit meinem Lieblingszitat von Joseph Pulitzer, als hätte der den Whistleblower Edward Snowden vorausgeahnt: „Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt. Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibt sie, macht sie vor aller Augen lächerlich. Und früher oder später wird die öffentliche Meinung sie hinwegfegen. Bekannt machen allein genügt nicht – aber es ist das einzige Mittel, ohne das alle anderen versagen.“ Helmut Kramer Der Fall Snowden – die deutsche Justizgeschichte – zugleich ein Fall missbräuchlicher Medienmacht . In der Affäre des Whistle-Blowers Edward Snowden sieht Stefan Kornelius1 den „eigentlichen Kern der Sache“ darin, dass ein amerikanischer Staatsbürger schlicht und einfach „Geheimnisverrat“ begangen hat.2 Mit diesem gleichermaßen rechtlich wie politisch verengten Blick befindet sich der Leiter des Ressorts Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung in (un-)guter Gesellschaft, nicht nur mit vielen anderen staatstragenden Journalisten, sondern auch mit der Landesverrats-Rechtsprechung der deutschen Justizgeschichte. . „Landesverrat hat immer und zu allen Zeiten als das schimpflichste Verbrechen gegolten“. Mit dieser pleonastischen Betonung der besonderen Verwerflichkeit des Landesverrats pries 1951 die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lüneburg in einem Verfahren gegen den NS-Generalrichter Manfred Roeder die in den Jahren 1942/43 vom Reichskriegsgericht in einem absolut „rechtsstaatlichen Verfahren“ gefällten Todesurteile gegen 49 Mitglieder der „Roten Kapelle“ als „unausweichlich“. In einer Zeit, in der sich „Deutschland in einem Kampf um Leben und Tod befand“, hätten sie verbrecherisch das „Wohl des deutschen Reiches“ gefährdet. . Für eine Perhorreszierung des „Landesverrats“ gibt es eine lange Tradition. Bei der Reformierung des Strafrechts wollte der Preußische Gesetzgeber sich 1833 mit der Enthauptung des Verräters nicht begnügen, sondern „für dieses scheußlichste und schrecklichste aller Verbrechen“ an der „geschärften Todesstrafe“, d. h. an der „des Rades“, mit der grausamen allmählichen Zertrümmerung der Gliedmaßen, festhalten. Ob im wilhelminischen Kaiserreich mit den Landes- und Hochverratsprozessen gegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg oder in der Weimarer Republik gegen tausende pazifistische Journalisten und Schriftsteller, darunter Carl von Ossietzky im „Weltbühnen-Prozess“ vor dem Reichsgericht, immer ging es darum, Bürger an der Aufklärung über ebenso heimliche wie friedensgefährdende Rüstungsmaßnahmen und Kriegsvorbereitungen zu hindern, mit denen die Regierung und illegale Geheimorganisationen das ei1 Kornelius ist nicht der einzige, der so oder ähnlich verfährt. Ich behandle ihn hier als Vertreter eines neuen Stils von Journalismus, der Hochkonjunktur hat, exemplarisch 2 Stefan Kornelius, Zurück nach Amerika, Süddeutschen Zeitung v. 04. Juli 2013 gene Volk, die Verfassung und das Völkerrecht gebrochen hatten. Und immer hatte die Justiz die Macht der Massenmedien hinter sich. . Verlaß auf die höchsten deutschen Gerichte bei der Edward Snowden, Foto: Internet Abwehr der Aufdeckung verfassungswidriger Praktiken war auch bei dem Urteil des BGH gegen Werner Paetsch, dem als Angestellten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Bedenken gegen die unter Mitarbeit ehemaliger Gestapo- und SS-Leuten organisierte Post- und Telefonüberwachung gekommen waren. Weil über einen von ihm zu Rate gezogenen Rechtsanwalt die illegale Überwachungspraxis an die Öffentlichkeit gekommen war, wurde Paetsch im Jahre 1966 wegen Geheimnisverrats zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Die Berufung des Verurteilen auf die Pflicht auch eines Beamten, schwerwiegende Missstände, gar Grundrechtsverletzungen in der Praxis seiner Behörde ans Tageslicht zu bringen, wischten die Richter mit den Hinweis zurück, erst einmal müsse der Beamte seine Kritik auf „dem Dienstweg“ vorbringen – Er soll also den Bock zum Gärtner machen. Diese BGH-Rechtsprechung ist bis heute nicht revidiert. . Wie hochgradig das Wort „Landesverrat“ negativ besetzt ist und schnell die Vernunft zurücktreten lässt, zeigte sich auch in der Spiegel-Affäre von 1962, als Bundeskanzler Adenauer in einem SpiegelArtikel einen „Abgrund von Landesverrat“ witterte und die konservative Cellesche Zeitung die Wiedereinführung der Todesstrafe für Landesverrat forderte. . Noch in den Jahren 2006 bis Mitte 2009 wollte die CDU/CSU in Übereinstimmung mit dem Koalitionspartner SPD an der Gültigkeit der NS-Todesurteile gegen die sog. Kriegsverräter festhalten. Ihr rechtspolitischer Sprecher Norbert Geis warf den Opfern „eine nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt in höchstem Maße verwerfliche“ Handlungsweise vor. Zu einer Rehabilitierung dieser Opfer der verdikt 2.13 , Seite 8 mörderischen Wehrmachtsjustiz am 08. September 2009 durch den Bundestag führte erst der Nachweis einer Geschichtsfälschung des von der CDU ins Rennen vor dem Bundestag geschickten Sachverständigen Prof. Rolf-Dieter Müller vom Militärhistorischen Forschungsinstitut.3 „Der eigentliche Kern der Sache“ . Um auf den von Stefan Kornelius entdeckten vermeintlichen „eigentlichen Kern der Sache“ zu stoßen und die Meinungen des AlphaJournalisten Stefan Kornelius zu hinterfragen, muß, wer sich nicht gläubig auf die Unabhängigkeit und Objektivität wenigstens der sog. Qualitätsmedien verlassen will, wohl auch etwas von den hintergründigen Einflüssen wissen, die auf den real existierenden Journalismus einwirken, insbesondere einiges über die Einbindung journalistischer Meinungsführer in die politischen Elitenzirkel. Und wo der springende Punkt mancher journalistischer Parteinahme liegt, dafür liefert Stefan Kornelius in eigener Person ein sehr anschauliches Beispiel. Was bislang nur oberflächlich unter dem diffusen Schlagwort vom haben auch eine politische Funktion. Wenn die unbeschränkt und grenzenlos durchgeführte Überwachung die Bürger an der unbefangenen Ausübung der Grundrechte hindert, verändert sich die Balance zwischen Regierungsmacht und Bürgerbeteiligung; das Machtgefälle zwischen Exekutive, Parlament und Volk verschiebt sich zugunsten der Regierungsmacht. Mit der illegalen Überwachung durch die unheimliche „unsichtbare“ Hand der Geheimdienste verschafft sich der Staat einen entscheidenden Machtzuwachs. . Gegen diesen Machtmissbrauch hilft nur die Herstellung von Transparenz und Öffentlichkeit. Whistle-Blower, die als Demokraten angesichts staatlichen Unrechts Alarm schlagen, erfüllen eine für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unverzichtbare Bürgerpflicht. . Stefan Kornelius hat dem Whistle-Blower Edward Snowden den wohlmeinenden Rat gegeben, er solle sich doch freiwillig „einem rechtsstaatlichen Verfahren in den USA“ stellen – und sich damit in die Fänge einer in Staatsschutzsachen durch und durch politischen Justiz begeben und sich einem unmenschlichen Strafvollzug aus„I don’t want to live in a world, where everything that I say, everything I do, everyone I talk to, liefern. Welches „rechtsstaatliche“ every expression of creativity or love or friendship is recorded“ Verfahren einem in der Nachfolge Edward J. Snowden am 8. Juli 2013 eines Carl von Ossietzky handelnden Whistle-Blowers drohen würden, läßt sich auch an der Konstruktion eines bislang fast unbekannten „embedded“ Journalismus bekannt, im übrigen aber ein von den Geheimgerichts der USA ablesen. Die Richter des sog. FiSA-Court, Medien, aber auch von der Medienwissenschaft ausgespartes Terrain der die Geheimdienste der USA überwachen soll, werden von dem war, ist jetzt erstmals in einer materialreichen Analyse ans Tageslicht Vorsitzenden Richter des Supreme-Court ernannt. Zehn von den elf gebracht worden. In seinem Buch „Meinungsmacht“4 hat der Leipziger der jetzigen Richter werden dem republikanischen Lager zugerechnet. Hochschullehrer Uwe Krüger neben weiteren „meistvernetzten deutDie Verfahren sind geheim. Bis vor kurzem hat die Öffentlichkeit schen Journalisten“ die persönlichen und institutionellen Verbindunnicht einmal von der Existenz dieses Gerichts und der Art und Anzahl gen der führenden Journalisten in den außenpolitischen Ressorts der solcher Verfahren etwas gewusst. Durch diesen totalen Ausschluß der Süddeutschen Zeitung (SZ), FAZ, Die Zeit und andern überregionalen Öffentlichkeit manipuliert werden auch die Strafverfahren, in denen Printmedien unter die Lupe genommen und in akribischer Recherche wegen Staatsschutzdelikten verhandelt wird.5 die von diesen Meinungsmachern aufgebauten Netzwerke mit der dadurch entstandenen Nähe zur Macht, insbesondere zur Sicherheitsund Militärpolitik beschrieben. . Über all diese Vorgänge, im Verlauf einer Entwicklung vom autoritären, eines Tages vielleicht sogar bis zum totalitären Staat, . Bei Stefan Kornelius sind es 57 Personen und Organisationen mit schweigen manche Journalisten. Damit machen sie sich nicht nur denen, je nach Grad der Verbindung ein „erhöhtes Kontaktpotenzum Handlanger der Macht, sondern sind mit ihrer Einbindung in die tial“ besteht. Ähnlich wie bei den anderen untersuchten Journalisten Politik selbst Teil der Macht. stehen die betreffenden Personen auch untereinander in enger Verbindung. Die von Uwe Krüger angefertigten Grafiken gleichen einem . Was die deutsche und amerikanische Militärpolitik an Stefan vielfältig verzweigten Spinnennetz. Bei Stefan Kornelius, Ressortleiter Kornelius und gleichgesinnten Kollegen hat, hat auch der ebenfalls Außenpolitik der SZ, führen die allermeisten Wege direkt oder indiim Bereich Außenpolitik der SZ tätige Redakteur Peter Blechschmidt rekt nach Washington und zur NATO und damit in eine Nähe zu den gezeigt, nicht nur mit seinen jahrelangen Durchhalteparolen im Schaltstellen zur Sicherheits-, Rüstungs- und Militärpolitik. Afghanistan-Krieg, sondern kürzlich auch mit seiner Fürsprache für den für das Massaker am Kunduz-Fluss verantwortlichen Oberst . Tatsächlich geht es aber nicht nur um die individuellen Grund(jetzt: General) Klein. Man kann sagen: Blechschmidt orientiert sich, rechte des Bürgers. Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, das als es um die Beförderung dieses Haudegens geht, nicht an MaßstäDemonstrationsrecht, das Recht auf informative Selbstbestimmung ben des Rechts, sondern an „christlichen Werten“. Mit der Überschrift 3 vgl. Helmut Kramer, Das letzte Gefecht um den „Kriegsverrat“ im NS-Staat, Kritische Justiz „Barmherzigkeit für Oberst Klein“ besteht Peter Blechschmidt darauf, 2009, S. 89 ff.; Ossietzky Nr. 23 v. 15. November 2008, S. 864 ff.; Der Spiegel Nr. 5 v. 26.01.2009, S. die zahlreichen Verstöße des Oberst Klein gegen das Kriegsvölker37 f. recht und die militärischen Einsatzregeln zu ignorieren und Oberst 4 Uwe Krüger, Meinungsmacht. Der Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse, hg. vom Institut für praktische Journalismus- und Klein zu befördern – wie wir wissen, mit Erfolg. Kommunikationsforschung (IPJ), Leipzig 2013. 5 vgl. Andreas Zielcke, SZ v. 23. Juli 2013 verdikt 2.13 , Seite 9 Wolfgang Nešković1 PR statt Aufklärung – Vom Elend der parlamentarischen Geheimdienstkontrolle . Das Niveau der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste ist eine Kümmernis. Es lässt sich am besten mit dem Satz von Isaac Newton veranschaulichen: ’Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ist ein Ozean.“ Bei der Aufklärung der durch den Whistleblower Edward Snowden enthüllten Spähaktivitäten der NSA und einer möglichen Komplizenschaft deutscher Nachrichtendienste folgt das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages nicht den Regeln und dem Selbstverständnis eines Kontrollorgans, sondern es führt sich auf wie eine PR-Agentur im Wahlkampfmodus. Eine auf Kontrolle ausgerichtete Aufklärung durch das Gremium, dem ich bis zu meinem Austritt aus der Fraktion der Linkspartei Ende 2012 selbst sieben Jahre lang angehört habe, findet nicht statt. Bei bisher fünf Sitzungen hat sich zwar das Medieninteresse an den Gremiumssitzungen stets gesteigert, nicht jedoch der Wert der Erkenntnisse, die das Gremium zutage förderte. Die Sitzungen folgten einem bekannten Ritual: Die Opposition übt sich im Angriff, die Regierungsfraktionen üben sich in der Verteidigung. Letztlich liefen alle Sitzungen darauf hinaus, dass sich die Mitglieder des Gremiums in der Exklusivität eines fensterlosen Raumes von Herrn Pofalla und anderen Regierungsvertretern im Kern noch einmal vortragen ließen, was sie vorher schon in der Presse hatten nachlesen können. Dabei beschränkt die Opposition sich lediglich darauf, Fragen zu stellen und die Antworten der Regierung entgegenzunehmen. Welchen Sinn macht eine Kontrolle, in der die Kontrolleure sich allein auf bloße Erklärungen der zu Kontrollierenden verlassen? Das ist vergleichbar mit einer Fahrscheinkontrolle, bei der sich der Kontrolleur nicht die Fahrscheine der Fahrgäste zeigen lässt, sondern sich mit deren Zusicherung begnügt, sie besäßen einen. Für eine Kontrolle ist demnach nicht nur entscheidend, was die Regierung sagt, sondern vielmehr auch, ob das, was die Regierung sagt, der Wahrheit entspricht. Genau auf diese Überprüfung verzichtet das Gremium, obwohl es durchaus entsprechende Möglichkeiten besitzt. Es muss diese Möglichkeiten bloß nutzen wollen. Denn während bei den allermeisten parlamentarischen Kontrollrechten das Parlament lediglich das Recht hat, durch die Regierung informiert zu werden (Fremdinformationsrecht), hat das Parlamentarische Kontrollgremium deutlich weiter gehende Rechte. Es kann - ähnlich einem Untersuchungsausschuss - sich die zu seiner Kontrollausübung erforderlichen Informationen selbst beschaffen (Selbstinformationsrecht). Die Selbstinformationsrechte des Gremiums sind dabei kontinuierlich ausgebaut worden. Zuletzt beschäftigte sich der Bundestag im Jahr 2009 mit einer Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Anlass war unter anderem das Agieren des BND im Irak und während der Liechtensteiner Steueraffäre. Auch diese Sachverhalte wurden nicht vom Kontrollgremium aufgedeckt, sondern fanden über die Medien ihren Weg in die Öffentlichkeit und das Kontrollgremium. Ergebnis war das Gesetz zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes vom 29. Juli 2009. Es verfolgt ausweislich der Gesetzesbegründung das Ziel, der „herausragenden Bedeutung der parlamentarischen Kontrolle, vor allem auch zur Wahrung der 1 Wolfgang Nešković, Richter am BGH, MdB von 2005 bis 2013; der Beitrag ist veröffentlicht in Deutscher Bundestag – Pressedokumentation vom 11.08.2013 Freiheitsrechte der Bürger, nachhaltig Rechnung“ zu tragen. Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste solle „professioneller und kontinuierlicher werden, um letztlich auch die Akzeptanz und das Vertrauen der Bürger in die Tätigkeit der Nachrichtendienste zu verbessern“. Die Selbstinformationsrechte, Sachaufklärungsmöglichkeiten und Befugnisse des Gremiums sollten gestärkt werden. Seit dieser Reform haben die Mitglieder des Gremiums ein gesetzlich festgeschriebenes jederzeitiges Recht auf Zutritt zu sämtlichen Dienststellen der Nachrichtendienste des Bundes. Außerdem wurde dem Gremium ein Anspruch auf Herausgabe von Akten und Daten auch im Original eingeräumt. Damit wäre es zum Beispiel auch, in der Lage, zweifelsfrei zu klären, welche Verwaltungsabkommen auf Regierungsebene mit ausländischen Staaten zur wechselseitigen Informationsweitergabe abgeschlossen worden sind. Bei der Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten hat der Gesetzgeber sich zudem gegenüber den in der Regel vielbeschäftigten und im Lesen und Verstehen nachrichtendienstlicher Originalakten und Originalcomputerdateien unterschiedlich bewanderten Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums noch besonders fürsorglich gezeigt. Diese müssen nicht zwingend selbst tätig werden und zum BND nach Pullach oder zum Bundesamt für Verfassungsschutz nach Köln reisen. Das Gremium kann vielmehr in einem Einzelfall wie dem Prism-Skandal einen Sachverständigen damit beauftragen, zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben sämtliche erforderlichen Untersuchungen durchzuführen. Statt wie derzeit das Kontrollgremium vor allem als Wahlkampfplattform zu missbrauchen, müssen die Politiker dort ihre Kontrollaufgaben ernst nehmen und endlich von diesen Rechten Gebrauch machen. . Es liegt auf der Hand, dass weder Frau Merkel noch Herr Steinmeier zur Aufklärung des Prism-Skandals irgendetwas beitragen werden. Es ist unter dem Gesichtspunkt eines ernsthaften Aufklärungsbemühens reine Zeitverschwendung, beide, wie jetzt diskutiert, im Kontrollgremium anzuhören. Es wird höchste Zeit, dass das Gremium sich nicht länger von den Nachrichtendiensten als Märchenstunde bespötteln lässt und „Zähne zeigt“. Es muss deshalb unverzüglich einen Sachverständigen zur Aufklärung des größten Geheimdienstskandals des 21. Jahrhunderts bestellen. Dieser kann dann bei den Nachrichtendiensten vor Ort überprüfen, ob die von den Diensten gemachten Angaben vollständig sind beziehungsweise der Wahrheit entsprechen. Dazu kann er nach der Gesetzeslage sogar selbst in die entsprechenden Akten und Computerdateien von BND, MAD und Bundesamt für Verfassungsschutz Einsicht nehmen. Allerdings setzt die Inanspruchnahme der Kontrollbefugnisse jeweils einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss des Gremiums voraus (für die Sachverständigenbestellung sogar eine Zweidrittelmehrheit). Da in dem Gremium jedoch die Vertreter der Regierungsfraktionen die Mehrheit besitzen, könnten sie entsprechende Aufklärungsbemühungen der Opposition verhindern. Diese Möglichkeit darf die Opposition jedoch nicht als Alibi benutzen, um von vornherein auf entsprechende Aufklärungsanträge zu verzichten. Wenn sie ernsthaft an Aufklärung interessiert ist, müsste sie zwingend solche Anträge stellen. Sollte verdikt 2.13 , Seite 10 sich dann die Regierungsmehrheit solchen Anträgen verweigern, wären die Regierungsvertreter als Aufklärungsverhinderer entlarvt. Gleichzeitig könnte eine solche Verweigerungshaltung der Regierungsvertreter der Diskussion über weitere notwendige Reformen der parlamentarischen Kontrolle neuen Rückenwind verleihen. Eine solche Kontrollblockade durch die Regierungsvertreter könnte der Öffentlichkeit nämlich die Augen dafür öffnen, dass die Kontrollbefugnisse nicht der Mehrheit, sondern jedem einzelnen Kontrolleur zustehen müssten. Nur ein solches Minderheitenrecht bietet Gewähr für eine effektive Kontrolle. Es stellt ein schweres Versäumnis des derzeitigen Gremium-Vorsitzenden und Oppositionspolitikers Opper- mann dar, dass er nicht schon längst dem Gremium diesen seriösen Weg der Aufklärung gewiesen hat. Damit setzt er das Gremium dem berechtigten Vorwurf aus, zu einer bloßen PR-Veranstaltung zu mutieren. Auch das mit dem Reformgesetz 2009 beabsichtigte Ziel, „die Akzeptanz und das Vertrauen der Bürger in die Tätigkeit der Nachrichtendienste zu verbessern“, wird damit nicht befördert, sondern vielmehr in sein Gegenteil verkehrt. Das Gremium muss endlich den Weg aus seiner selbstverschuldeten Ahnungslosigkeit finden. Die Welt der Geheimdienste darf für die parlamentarische Kontrolle auf Dauer kein unergründlicher Ozean bleiben. Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung Die Initiative »Rechtsanwälte gegen Totalüberwachung« ist eine Gruppe von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, ein Zeichen der Anwaltschaft gegen Totalüberwachung zu setzen und die Bevölkerung zu sensibilisieren. Auszüge aus der „Hamburger Erklärung“*: ... Die digitale Totalüberwachung ist ein historisch beispielloser Angriff auf das verfassungsmäßige Grundrecht auf Privatsphäre Die durch Edward Snowden enthüllte Totalüberwachung aller Bürger stellt einen historisch beispiellosen Angriff auf das verfassungsmäßige Grundrecht auf Privatsphäre dar. Dies hat mit gezielter Spionage, die gewohnheitsrechtlich akzeptiert ist, nichts zu tun. Freiheitlich-demokratische Parteien, Institutionen und Bürger sind verpflichtet, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um diesen Angriff abzuwehren... ... Digitale Totalüberwachung zerstört das Vertrauen der Bürger in Berufsgeheimnisträger Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten und Seelsorger sind in besonderer Weise auf ihr gesetzlich verbürgtes Berufsgeheimnis angewiesen, um als gesellschaftliche Institutionen funktionieren zu können. Hier zeigt sich auch die trügerische »Zweitrangigkeit« der Metadaten-Erfassung: Bereits der Anruf bei einem Strafverteidiger oder in einer Suchtklinik lässt überwältigende Rückschlüsse auf die Lebenssituation eines Menschen zu ... Unsere Forderungen an die Bundesregierung: • Erklären Sie, dass die anlass- und verdachtsunabhängige Totalüberwachung der deutschen Bevölkerung eine krasse Verletzung von Grundrechten sowie des deutschen (Straf-)Rechts darstellt, ganz gleich, wo sie stattfindet. Sie ist mit jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung unvereinbar und daher sofort einzustellen. • Bestellen Sie die Botschafter der USA und Großbritanniens förmlich ein, verdeutlichen sie diesen diese Haltung und fordern sie die sofortige Einstellung der Totalüberwachung. • Prüfen Sie alle erdenklichen Maßnahmen auf EU-Ebene gegen Großbritannien als EU-Mitglied. • Setzen Sie die Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen aus und kündigen Sie die »Safe-Harbour-Abkommen« sowie die Verträge zum Austausch von Fluggastdaten, bis die Totalüberwachung seitens der USA eingestellt wird. • Schließen Sie sämtliche Standorte der NSA in Deutschland, damit die BRD ihre volle Souveränität erhält. • Überprüfen Sie die Netze und Netzwerkeinrichtungen in Deutschland auf ihre Integrität hin, um ein »Abzapfen« von Daten auszuschließen. • Veranlassen Sie strengere Kontrollen der deutschen Nachrichtendienste sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz. • Sorgen Sie dafür, dass Berichte vor Kontrollgremien künftig mit Vollständigkeitserklärungen unter Eid erstattet werden müssen. • Stoppen Sie die Verwendung von Programmen wie XKeyscore oder stellen Sie diese zumindest unter eine strenge Prüfung der verdachtsbezogenen Verwendung. * Ausführliche Informationen unter https://rechtsanwaelte-gegen-totalueberwachung.de verdikt 2.13 , Seite 11 [Justiz im Fokus] Bernd Asbrock Ungewohnter Aufstand der Justiz – Richter und Staatsanwälte gehen auf die Straße . Dass beamtete Staatsdiener wie Feuerwehrleute, Justizbedienstete, Polizeibeamte und Lehrer für die inhaltsgleiche Übertragung der Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst demonstrieren, ist bereits ein gewohntes Bild, seit die politisch Verantwortlichen bei den Besoldungsempfängern einfach zu beschließende Einsparmöglichkeiten entdeckt haben, ohne dass wegen des fehlenden Streikrechts mit einer wirksamen Gegenwehr der Beamtinnen und Beamten gerechnet werden muss. .In Bremen hat die grüne Finanzsenatorin Linnert sich offen zu diesem sparpolitischen Handlungsmuster bekannt und bereits im Vorfeld der diesjährigen Tarifrunde insoweit lapidar von „dem Klassiker“ gesprochen. Die im Laufe der Jahre den besoldeten Staatsdienern zugemuteten Sonderopfer (einschließlich der Kürzung bzw. Streichung der Einmalzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld) haben zu einer fortgesetzten Abkoppelung von der allgemeinen Wirtschafts- und Einkommensentwicklung geführt. Immerhin jedoch blieben bei der jeweiligen Besoldungsanpassung „Nullrunden“ die Ausnahme. Seit der Föderalisierung des Besoldungs- und Laufbahnrechts und der verfassungsrechtlichen Einführung der Schuldenbremse hat sich die Lage für die Staatsbediensteten namentlich in einigen Bundesländern deutlich weiter verschlechtert. . Eine vom DGB erstellte aktuelle Übersicht zur Besoldungsrunde 2013/2014 (Stand 30.08.2013)1 zeigt, dass in den 15 in der Tarifgemeinschaft der Länder vertretenen Bundesländern (Hessen ist nicht Mitglied der TdL) lediglich Bayern und Hamburg das Tarifergebnis öD 2013 zeit- und inhaltsgleich auf ihre Landes- und Kommunalbeamten übertragen. In den übrigen Ländern gibt es erhebliche Abstriche. Nordrhein-Westfalen und Bremen, beide rot-grün regiert, haben ihren höher eingruppierten Beamten (ab Besoldungsgruppe A13) sowie den Richtern und Staatsanwälten (R1 u. höher) sogar eine doppelte Nullrunde 2013/2014 verordnet. Das 1 Siehe Homepage DGB und ver.di hat in beiden Ländern offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht und in den betroffenen Berufsgruppen der Polizei, Lehrerschaft und Justiz eine bislang nicht gekannte Empörung ausgelöst. . Selbst die in Relation zu anderen öffentlich Bediensteten besser verdienenden Richter und Staatsanwälte haben ihre traditionelle Zurückhaltung aufgegeben und in vielfältiger Weise ihren Protest gegen dieses erneute Sonderopfer zum Ausdruck gebracht. Sie sind – ein Novum – für ihre Forderung nach angemessener Besoldung in großer Zahl auf die Straße gegangen. So gab es in NRW vor dem Landtag in Düsseldorf eine vom Richterbund organisierte Demonstration, an der mehr als 1000 (!) Richterinnen und Richter (z. T. in Roben) beteiligt waren. In Bremen haben die Richterverbände (Brem. Richterverein, ver.di, NRV) gemeinsam zu Protestaktionen aufgerufen. Auf einer Demonstration am 18. Juni 2013 (1 Tag vor der 2. Lesung des Besoldungsgesetzes) mit anschließender Kundgebung auf dem Marktplatz vor der Bremischen Bürgerschaft waren gemeinsam mit Polizisten, Lehrern u. a. Beamten ca. 50 Richter und Staatsanwälte mit Transparenten und Trillerpfeifen vertreten, die wegen ihrer Roben von dem Redner der GdP als „schwarzer Block“ begrüßt wurden. Und es blieb nicht bei dieser eindrucksvollen Demonstration. . So wie die enttäuschten Polizeibeamten zu ungewöhnlichen Protestformen gegriffen haben, wie z. B. die demonstrative öffentliche Abgabe ihrer Notdiensthandys und der Aktion, bis auf weiteres im Rahmen ihres Ermessensspielraums statt „Knöllchen“ zu verteilen, lediglich mündliche Verwarnungen auszusprechen („wenn wir weniger bekommen, soll auch Bremen weniger Einnahmen haben“), haben sich auch die Richterverbände zu besonderen Protestaktionen entschlossen. In Offenen Briefen vom 4. Juni 2013 und 1. Juli 2013 an den Justizsenator und an die für die Ausbildung und Prüfung des juristischen Nachwuchses zuständigen Demonstration auf dem Bremer Marktplatz am 18. Juni 2013, Fotos: B. Asbrock Präsidentinnen des Hans. OLG Bremen und des Gemeinsamen Prüfungsamtes in Hamburg hatten die Bremer Richterverbände u. a. hervorgehoben, dass die Pflicht des Dienstherrn zur amtsangemessenen Alimentation Verfassungsrang habe. Infolge der Personaleinsparungen sei gleichzeitig die Arbeitsbelastung kontinuierlich angestiegen. Unter diesen Umständen könne nicht erwartet werden, dass die Richter und Staatsanwälte neben ihrem Hauptamt weiterhin bereit seien, unentgeltliche bzw. nur gering vergütete Sonderaufgaben zu übernehmen wie z. B. Schulungen für ehrenamtliche Richter, Notarprüfungen und die Ausbildung und Prüfung des juristischen Nachwuchses. . Um ein „erstes Zeichen“ zu setzen, regten die Richterverbände deshalb an, dass alle Kolleginnen und Kollegen ihren Einsatz bei der Aufsicht über die schriftlichen Examensarbeiten und deren Korrekturen sowie der Abnahme der mündlichen Prüfungen im 1. und 2. Staatsexamen bis auf weiteres einstellen. Dieser „Streikaufruf“ führte alsbald zu Engpässen, so dass selbst hochrangige Juristen aus dem Justizressort einspringen mussten. . In einem Schreiben vom 12.7.2013 an die Richterverbände bedauerte der Justiz-Staatsrat für den Justizsenator diese Initiative der verdikt 2.13 , Seite 12 Demonstration auf dem Bremer Marktplatz am 18. Juni 2013 Richterverbände. Gleichzeitig rechtfertigte er die Entscheidung der Bürgerschaft mit der besonderen Haushaltsnotlage Bremens. Richtig sei aber, dass die Vergütungssätze für die genannten Sonderaufgaben „der Anpassung bedürfen.“ Auch die OLG-Präsidentin räumte ein, dass die Vergütungssätze im Vergleich mit anderen Bundesländern „absurd niedrig“ seien, wenn z. B. für den Prüfer in der mündlichen Examensprüfung ein Stundenlohn von 5,11 € brutto (!) bezahlt werde. . Die nächste Runde im Streit um die Beamten- und Richterbesoldung wird nunmehr mit juristischen Mitteln geführt werden. Der DGB und die Einzelgewerkschaften bereiten sowohl in NRW als auch in Bremen Musterklageverfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der sog. Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetze vor. In Bremen hat der Senat mit dem DGB vereinbart, dass einzelne Musterverfahren akzeptiert und allen übrigen Betroffenen, die Widersprüche einlegen, nach einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung die Gleichbehandlung mit den Klägern der Musterverfahren garantiert wird. Entsprechende Zusagen sind den Gewerkschaften auch von der Landesregierung in NRW gegeben worden. . Da die Besoldungskürzungen der letzten Jahre die Kritik an der Amtsangemessenheit der Besoldung im Vergleich zu anderen Berufsgruppen und auch im europäischen Vergleich2 neu entfacht haben, müssen sich 2 s. Ital. VerfGH 223/2012 v. 8.10.12; www. neuerichter.de mit dieser Frage inzwischen zunehmend die Verwaltungsgerichte befassen, die z. T. die Verfahren dem BVerfG vorgelegt haben (so z. B. das VG Halle im Jahr 2011 zur R1-Besoldung in Sachsen-Anhalt im Zeitraum von 2008 bis 20103), während das VG Berlin in 2 Entscheidungen vom November 2012 die R1- und die R2-Besoldung im Land Berlin noch als amtsangemessen angesehen hat, obgleich sie monatlich ca. 300 € bzw. 350 € unterhalb des Durchschnitts der anderen Bundesländer lag.4 Noch in diesem Jahr ist mit einer BVerfG-Entscheidung zur Richterbesoldung zu rechnen, die auf einen Vorlagebeschluss des OVG NRW von 2009 zurückgeht und die R1-Besoldung bis 2003 betrifft.5 . In NRW ist seit September d.J. ein Normenkontrollverfahren beim Landesverfassungsgerichtshof anhängig zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Besoldungsanpassungsgesetzes. . Das Ergebnis der gerichtlichen Prüfung bleibt abzuwarten. . Ein im Auftrag der GEW mit Unterstützung des DGB von Prof. Battis, Berlin, erstelltes 60-seitiges Rechtsgutachten vom 19. Juni 2013 zur amtsangemessenen Besoldung insbesondere in den Ländern Berlin, Rhein3 4 Vorlagebeschlüsse mit den AZ 5 A 206/09 HAL, 5 A 207/09 HAL, 5 A 208/09 HAL u. 5 A 216/09 HAL – BeckRS 2012,59687 4 Urteile vom 6. 11. 2012 - VG 28 K 5.12 u. vom 21. 11. 2012 – VG 26 K 114.10 NJOZ 2013, 1574 5 Az. 2 BvL 17/09 und 18/09 Vorlagebeschlüsse des OVG Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 2009 (1 A 1416/06 und 1 A 373/08) land-Pfalz, Schleswig-Holstein, NordrheinWestfalen und Bremen stimmt insoweit zuversichtlich, denn es kommt überzeugend zu dem Ergebnis, dass die entsprechenden Ländergesetze einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. . Ein Aspekt kommt in der öffentlichen Debatte zu kurz: die seit der Föderalisierung 2006 zunehmende Zerstückelung des Besoldungsrechts und das zum Teil gravierende Auseinanderdriften bei Richterbesoldung und Laufbahnrecht zwischen den Bundesländern. So gibt es zwischen den Eingangsgehältern der Richter in Brandenburg und in Hamburg einen Unterschied von ca. 400 € und bei den R1-Bezügen in der letzten Lebensaltersstufe bzw. Erfahrungsstufe zwischen Berlin und Baden-Württemberg einen Unterschied von 535 € (!). Diese Schere wird durch die aktuelle Besoldungsrunde noch weiter auseinander gehen. . Bei derart deutlichen Einkommensunterschieden kann man davon ausgehen, dass der qualifizierte Richternachwuchs sich bevorzugt in den Bundesländern bewirbt, die eine bessere Bezahlung versprechen und dadurch die Gefahr eines Gefälles in der Qualität der Rechtsprechung zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern besteht. . Die gewerkschaftliche Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bekommt insoweit auch für die Richterbesoldung eine besondere Bedeutung. verdikt 2.13 , Seite 13 Der Flickenteppich der Besoldung bekommt weitere Löcher Oder: Warum ver.di für die wirkungsgleiche Erhöhung der Richterbesoldung eintritt!* . Auch Richter sind mitunter nur Arbeitnehmer: Bisher wurden die Ergebnisse der Tarifverhandlungen für die Tarifbeschäftigten im Öffentlichen Dienst weitgehend inhaltsgleich – wenn auch nicht immer zeitgleich – auf die Besoldung der Richter und Staatsanwälte übertragen. „Nullrunden“ blieben die Ausnahme. Dies ist auch richtig so und hat seinen guten Grund: die Lebenshaltungskosten steigen für beide Statusgruppen gleichermaßen. Tarifgehälter und Besoldung haben sich an der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zu orientieren. . Seit Einbau der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 GG) und mit der Föderalisierung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte in den einzelnen Bundesländern will man diesem Grundsatz offenbar nicht länger folgen. Gerade unter dem Druck der Schuldenbremse fällt einigen Bundesländern, wie NRW, Bremen oder Berlin, zur Besoldungsrunde 2013 nichts Besseres ein, als die Einkommen der Richter und Staatsanwälte (ab Besoldungsgr. R 1) real zu kürzen. Für die Jahre 2013 und 2014 sind für sie keine oder keine nennenswerten Besoldungserhöhungen vorgesehen. Eine ganze Berufsgruppe von öffentlich Bediensteten wird als „Sparschwein“ mißbraucht und mit einem „Sonderopfer“ belegt. . Bei Richtern und Staatsanwälten ist das – anders als bei Tarifbeschäftigten – so einfach realisierbar, weil die Besoldungsanpassung oder eben Nichtanpassung lediglich mit einfacher Mehrheit im Landesbesoldungsgesetz beschlossen werden muss. Die fehlende Tarifautonomie und die „Ohnmacht“ der Besoldungsempfänger werden gezielt ausgenutzt, um den Haushalt zu sanieren und Belegschaften zu spalten. . Wir meinen, die Föderalisierung des Besoldungs- und Laufbahnrechts war ein politischer Fehler und hat zu einem Flickenteppich in der bundesdeutschen Gesetzgebung und dem realen Einkommensgefälle in den Bundesländern geführt. Inzwischen sind die Unterschiede in der Besoldung der Richter und Staatsanwälte in finanzstarken und finanzschwächeren Ländern sowie im Bund so gewaltig, dass beispielsweise ein Vorsitzender Richter in Berlin nach langer Berufskarriere weniger verdient als ein neu ernannter Richter in Baden-Württemberg. Die Schere droht angesichts der unterschiedlichen Übertragung der Tarifergebnisse in der Besoldungsrunde 2013 sich noch weiter auseinander zu entwickeln.Das ist Besoldung nach Kassenlage und damit verfassungswidrig! . Rechtliche und verfassungsrechtliche Zusammenhänge werden dabei völlig außer Acht gelassen: die Abkopplung der Besoldung einzelner Berufsgruppen von der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst zum Zwecke der Haushaltssanierung widerspricht der Verfassungspflicht der Länder, ihre Bediensteten amtsangemessen zu alimentieren, und verletzt zudem den Gleichheitssatz (verfassungswidriges Sonderopfer). . Vielmehr muss ein schlüssiges, objektiv nachprüfbares Konzept zur Bemessung der Besoldung vorliegen, wenn der Landesgesetzge- ber von der bisherigen Praxis abrücken will (BVerfG Urt. v.14.2.2012 – 2 BvL 4/10- BVerfGE 130,263,302). . Es geht nicht an, dass Länder über den Bundesrat an Gesetzesvorhaben mitwirken, die zwangsläufig zu höheren Arbeitsbelastungen in Gerichten und Staatsanwaltschaften führen, und sie gleichzeitig beim richterlichen wie nicht richterlichen Personal massive Stellen und Personalkosten einsparen. Ein Beispiel – neben vielen anderen – ist das SGB II (Hartz IV): Dieses Gesetz hat zu einer Verdoppelung der Klagen bei den Sozialgerichten geführt, ohne dass das Personal bei den Gerichten adäquat aufgestockt wurde. . Gerade für die Justiz als dritte Gewalt im Staat ist ein wertschätzendes und verlässliches Konzept für eine amtsangemessene Alimentierung der Richter und Staatsanwälte unerlässlich: die Bürger erwarten – egal, in welchem Bundesland sie wohnen oder arbeiten – zu Recht, dass Richterinnen und Richter gleich besoldet und wirtschaftlich auf sicherem Boden stehen, um unabhängig und engagiert gleiches Recht für alle zu sprechen! . Nicht zuletzt sind Besoldungserhöhungen immer auch Wertschätzung für geleistete Arbeit in der Justiz. Erheblich verzögerte Übertragungen der Tarifergebnisse oder gar „Besoldungsnullrunden“ können von den betroffenen Richtern und Staatsanwälten als nichts anderes verstanden werden als eine Geringschätzung ihrer Arbeit. . Hohe Leistungsbereitschaft und Verantwortung für den Rechtsstaat und vielfältiges ehrenamtliches Engagement, wie die Mitwirkung in Prüfungsausschüssen, in der Referendarausbildung und verschiedenen Kommissionen, werden so eben nicht honoriert. Schon seit Jahren bleibt die Besoldung deutlich hinter der Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten zurück. Nach unserer Rechtsordnung dürfen die Länder als „Dienstherr“ von ihren Bediensteten Loyalität und treue Pflichterfüllung verlangen, nun verhalten sie sich „treuwidrig“, wenn sie allein den Richtern und Staatsanwälten bzw. einzelnen Besoldungsgruppen die Übertragung der Tarifergebnisse vorenthalten. . Ein Justizminister am Kabinettstisch kann offenkundig für die Justiz nicht viel bewirken. Wir brauchen – wie nahezu in allen anderen europäischen Staaten – eine Selbstverwaltung der Justiz mit eigener Budgetverantwortung, um der Justiz ihre unabhängige Rolle als Dritte Gewalt im Staat zu sichern und sie von der unheilvollen Entwicklung fiskaler, justizieller und politischer Entscheidungen abzukoppeln. . Für die wirkungsgleiche Übertragung des Tarifabschlusses im Öffentlichen Dienst der Länder auf Richter und Staatsanwälte! Keine weitere Abkopplung von der allgemeinen Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst! Kein verfassungswidriges Sonderopfer für Richter und Staatsanwälte! * ver.di Information 1/13, www.justiz.verdi.de, www.richter-staatsanwaelte.verdi.de verdikt 2.13 , Seite 14 [internationales] Thorsten Beck, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Hamburg Bericht von der Konferenz „Sozialstaat-Spielball der Finanzmärkte?” am 21. Juni 2013 in Berlin Erfolgreiche Tagung von MEDEL und ver.di . Am Sommeranfang und längsten Tag des Jahres 2013 fand in Berlin eine internationale Konferenz zum Thema „Sozialstaat - Spielball der Finanzmärkte?“ statt, zu der sich etwa 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus vielen europäischen Ländern eingefunden hatten. Organisiert wurde die Konferenz von der Europäischen Richtergewerkschaft für Demokratie und Grundrechte MEDEL (Magistrats Europeens pour la Democratie et les Libertes), in der sich europaweit Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zusammengeschlossen haben und in der auch die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di vertreten sind . Zur Eröffnung sprach Georg Schäfer, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Frankfurt/Main und Bundessprecher der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in ver.di, der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Namen der Gewerkschaft begrüßte. Sodann sprach der Vorsitzende von MEDEL, Antonio Cluny, Presidente do Ministerio Publico de Portugal, der die Ungerechtigkeit der gegenwärtigen Finanzkrise brandmarkte, die gerade Menschen treffe, die nicht dafür verantwortlich seien. Er stellte die Sicherung der sozialen Rechte in Europa in den Fokus. Ihm folgte Professor Dr. Manfred Weiss vom Hugo-Sinzheimer-Institut für Arbeitsrecht, Frankfurt/Main, das die Tagung wesentlich unterstützt hatte. . Im Anschluss referierte Professor Dr. Lyon-Caen von der Universite du Paris Ouest Nanterre La Defense zum Thema „Krise des Rechts und Krise der Institutionen aufgrund der Veränderungen auf den Arbeitsmärkten“. Er betonte, dass gerade die Verbindung zwischen einerseits Wissenschaftlern und andererseits Richterschaft zur Bewältigung der Krise der sozialen Rechte in Europa von zentraler Bedeutung sei. Zu Beginn seiner Ausführungen wies er auf den allgemeinen Erfolg der neoliberalen Doktrin hin, die gebetsmühlenartig ihre eigene Alternativlosigkeit beschwöre. Diese Doktrin sei in allen europäischen Ländern anzutreffen. Anschaulich erläuterte er den Begriff „Arbeitsmarkt“ als Bahnhofshalle. Der Arbeitsmarkt gewährleiste nach der neoliberalen Doktrin angeblich eine perfekte Rationalität im Hinblick auf die Konkurrenz der Arbeitssuchenden. Soziale Rechte würden insoweit lediglich als Hindernis und Bremse für das optimale Funktionieren des Arbeitsmarktes wahrgenommen. Alles müsse sich heute einem Benchmarking stellen. Der Referent betonte die Bedeutung des Kampfes gegen die Fragmentarisierung. Die neoliberale Doktrin wolle um noch größere Beweglichkeit auf dem Arbeitsmarkt sicherzustellen, befristete Arbeitsverhältnisse verlängern, die Barrieren gegen unbegründete Entlassungen reduzieren und strebe insgesamt eine „light version“ des Arbeitsvertrages an. Aus Sicht der Arbeitgeber stelle sich Recht schlicht als ein Störfaktor dar. Richterinnen und Richter würden von diesen als unkalkulierbar wahrgenommen. Daher gebe es in den Ländern, die besonders unter der Finanzkrise zu leiden hätten, deutliche Versuche, die Rolle des Richters zu reduzieren. Dies komme zum Beispiel in der Pauschalierung von Entschädigungsbeträ- gen oder der Förderung der rechtlichen Autonomie der Unternehmen zum Ausdruck. Recht werde verantwortlich gemacht für einen Teil der Beschäftigungskrise. Da aufgrund des Euroverbundes keine Möglichkeit für eine Abwertung der nationalen Währungen mehr bestehe, versuche man eine normative Abwertung, also einen Abbau der rechtlichen Schutzstandards der arbeitenden Menschen. . Ihm folgte Professor Dr. Jose Abrantes von der Neuen Universität Lissabon mit einem Beitrag zum Thema „Sozialstaat und Globalisierung des Wirtschaftsraumes“. In einem historischen Abriss verdeutlichte er, dass der interventionistische Staat stets einen sozialen Ausgleich im Blick gehabt habe. Als Beispiel bezog er sich auf den Wohlfahrtsstaat, der bereits in der Mexikanischen Verfassung von 1917 und der Weimarer Reichsverfassung von 1919 angestrebt worden sei. Aus seiner Sicht sei das Arbeitsrecht die größte Erfindung des 20. Jahrhunderts, da es die effektive Gleichheit fördere. In Zeiten der Flexibilisierung des Arbeitsrechts würden jedoch die Prinzipien des Wohlfahrtsstaates zunehmend untergraben. Dies laufe parallel mit dem Ruf nach mehr Markt im Arbeitsrecht. Der Referent verdeutlichte die verheerenden Konsequenzen für das Arbeitsrecht am Beispiel Portugal. Dort gebe es mittlerweile zahllose prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Flexibilität gehe auf Kosten der Arbeitnehmerrechte. Es sei nicht wahr, dass die sozialen Rechte der Arbeitenden überflüssig geworden seien. Die Aufweichung des Arbeitsrechts führe auch zu einer Aufweichung des Rechtsstaats. Er verwies auf den Verfassungsgrundsatz, dass die Würde des Menschen unantastbar sei und betonte, dass man nicht produktiv sein könne ohne gleichzeitige soziale Sicherheit. Durch das Memorandum of Understanding sei das Arbeitsrecht in Portugal 2011 dramatisch beschnitten worden. Der Begriff »Flexicurity“ sei für sein Land ohnehin geheuchelt, denn Länder wie Portugal seien nicht mit der Situation wie beispielsweise in Dänemark vergleichbar. Als Beispiele für den Sozialabbau nannte er, dass die Arbeitszeit der Beschäftigten früher nur im Tarifvertrag hätte festgelegt werden können, jetzt aber mit dem einzelnen Arbeitnehmer aushandelbar sei. Beim Kündigungsrecht seien objektive Kriterien nunmehr nicht mehr so wichtig. Versetzungen seien erheblich erleichtert und Entschädigungszahlungen deutlich reduziert worden. Viele Feiertage seien eliminiert und der Urlaub gekürzt worden. Das neoliberale Gedankengut habe zu einer Machtverschiebung geführt. Die sozial Schwachen bezahlten die Kosten der Krise. Dies sei verfassungswidrig. Regierungen versuchten, die Krise auszunutzen, um soziale Rechte abzubauen. Dem Neoliberalismus müsse entschieden Einhalt geboten werden. Der Referent betonte, dass die Finanzkrise auch eine gesellschaftliche Krise darstelle, die mit einer Schwächung des Staates einhergehe. Nötig sei eine Rückbesinnung auf soziale Rechte und Bürgerrechte. Anknüpfend an einem Satz von Pierre Maurois führte er aus, dass es nicht sein könne, dass die Freiheit der Unternehmen auf Kosten derjenigen erweitert werde, die im Unternehmen arbeiteten. Man könne keine guten Resultate auf Kosten der gesellschaftlichen Gerechtigkeit erzielen. verdikt 2.13 , Seite 15 . Ihm folgte Wolfgang Däubler, emeritierter Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bremen, der die „Rechtliche Regulierung von Rating-Agenturen« in den Blick nahm. Er betonte einerseits, dass das Rating unabdingbar sei für die Mitspieler auf dem Kapitalmarkt. Andererseits werde aber oft von den Rating-Agenturen bei der Vergabe der Bewertungen für einzelne Länder darauf hingewiesen, dass es „Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt“ gebe. Der Rechtsschutz gegen Rating-Agenturen sei nur marginal ausgeprägt. In den USA sei er teilweise gar nicht vorhanden, da die Verlautbarungen von RatingAgenturen als regelmäßig zulässige „Meinungsäußerung“ verstanden würden. Während die Rating-Agenturen bislang unkontrolliert gearbeitet hätten, habe sich aber doch durch die Wirtschaftskrise hier einiges geändert. So sei seit 2008 eine Registrierung der Rating-Agenturen gesetzlich verpflichtend. Die Arroganz der großen Agenturen zeige sich aber daran, dass die drei größten sich innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Meldefrist gar nicht angemeldet hätten. Allerdings gebe es auch positive Nachrichten hinsichtlich des Rechtsschutzes. So habe ein Rentner aus Bremen, der kurz vor der Pleite noch Lehman Brothers-Aktien gekauft habe, gegen die Rating-Agentur Standard & Poors geklagt. Es gebe auch Beispiele aus den USA, wo Schadensersatzklagen am Ende mit einem Vergleich über 225 Millionen US-$ geendet hätten. Interessant sei auch die Entscheidung des Federal Court of Australia von November 2012, in der eine Rating-Agentur zu 20 Mio £ Schadensersatz verurteilt worden sei. Allerdings sei bereits gegen dieses Urteil Berufung eingelegt worden. . Sodann referierte Tiziana Orru, Consigliere Corte d‘Appello Roma, über das Thema »Basic Income – Mindeststandards Europäischer Sozialpolitik“. Ihre These ging dahin, dass wirtschaftliche Integration ohne soziale Integration ein Trugbild sei. Es gehe zentral um die Begriffe Würde und Wert der Person. Sie forderte ein bedingungsloses Grundeinkommen und stellte das Netzwerk BIEN (Basic Income Earth Network) vor, dem sie angehört. Es sei wichtig, eine Definition des Bürgerbedarfs vorzunehmen. Ein Grundeinkommen von 1000 € sei in Monaco bereits Realität. Sie verwies auch auf die rechtlichen Verpflichtungen der EU-Grundrechte-Charta in den Artikeln 2, 3 und 6 sowie auf die Artikel 151, 153 AEUV. Wichtig sei, dass man soziale Rechte einfordern könne. Es müsse hier zu einer Annäherung der nationalen Gesetzgebungen kommen. Im Anschluss an ihr Referat ergab sich eine heftige Diskussion, in der der Referentin z.T. vorgeworfen wurde, ihr Beitrag habe zu sehr romantisiert, zumal es sich um ein komplexes Thema handele. Zudem müsse man sich in den verschiedenen Ländern Europas erst einmal darüber verständigen, was man überhaupt unter einem bedingungslosen Grundeinkommen verstehe. Es gebe europäische Länder, die im Grunde in Hartz IV bereits einen sozialen Fortschritt sähen. Prof. Däubler vertrat in der Diskussion die Auffassung, dass ein europäischer einheitlicher Mindestlohn kein Ziel sein könne. Versuche, hier zu einer Europäisierung zu kommen, würden weniger demokratische Kontrolle und Transparenz mit sich bringen und die Veränderungsmöglichkeiten bei unsozialen Gesetzen bzw. Verordnungen erschweren. . Nach der Mittagspause wurde der Fokus auf einzelne europäische Länder gelegt und die dort gegenwärtig stattfindende Demontage des Sozialstaats an Beispielen verdeutlicht. Aus Griechenland berichtete George Almpouras, Präsident des Gerichts von Karpisi. Er unterstrich, dass unter dem Vorwand der Wettbewerbsfähigkeit das Arbeits- und Sozialrecht in Griechenland in einer Weise unterminiert werde, die sozial nicht mehr akzeptabel sei. So seien Tarifverträge ausgesetzt worden und die automatische Lohnanhebung abgeschafft worden. Letzteres sei unter Verfassungsbruch geschehen. Schiedsgerichte könnten durch die neuen rechtlichen Regelungen nur noch von beiden Seiten angerufen werden. Rechtlich sei inzwischen auch eine leichtere Entlassung jüngerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne jede Abfindung möglich. Dieser „Neokonstitutionalismus“ lasse keinen Raum für den Rechtsstaat. Der Vormarsch der Marktkräfte sei derzeit ungebrochen. . Aus Spanien berichtete Rafael Lopez Parada vom Höheren Justiztribunal aus Kastilien und Leon. Er führte aus, dass das spanische Arbeitsrecht zum Teil noch aus der Franco-Zeit stamme. Es treffe zu, dass es sich um einen teilweise überregulierten Arbeitsmarkt gehandelt habe. Die Tarifverträge hätten sich im Wesentlichen nur auf Löhne und Arbeitszeit bezogen. Gegenwärtig sei es zu vielen Privatisierungen und Betriebsschließungen gekommen. Das Prekariat nehme zu. Nach Einführung des Euro hätten sich viele Unternehmen und auch Beschäftigte zu viel Geld bei den Banken geliehen. Nach dem Rechtsschwenk bei den Wahlen 2011 habe die Regierung teilweise Gesetze in nicht mehr transparenter Weise beschlossen. Gegenwärtig werde die Laufzeit der Tarifverträge ständig abgesenkt und Unternehmen könnten leichter aus Tarifverträgen aussteigen. Eine Lockerung des Kündigungsschutzes sei Realität sowie die Absenkung von Löhnen und Abfindungszahlungen. Feststellbar sei auch ein hoher Druck auf die Richterinnen und Richter in diesem Bereich. Der Abbau des Sozialstaates, die Zunahme der Armut und das damit einhergehende Demokratiedefizit hätten im Ergebnis jedoch die wirtschaftlichen Probleme Spaniens nur verschärft. . Aus Portugal berichtete Viriato Reis, Producador da Republica, aus Lissabon. In historischer Hinsicht wies er darauf hin, dass nach der Revolution von 1975 zahlreiche Reformen durchgeführt worden seien. Gegenwärtig sei jedoch ein Neoindividualismus feststellbar. Seit 2010 habe es mehrere Wellen von Sparmaßnahmen gegeben. So seien die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung abgesenkt worden. Außerdem sei es zu einem Einfrieren der Renten, der Arbeitslosenversicherung und Gehaltskürzungen zwischen 3,5 Prozent und 10 Prozent gekommen. Beispielsweise auch die portugiesischen Richterinnen und Richter hätten eine Gehaltskürzung um ein Viertel hinnehmen müssen. Die Beschäftigten müssten mittlerweile sieben Tage Mehrarbeit pro Jahr ohne Lohnausgleich leisten. Tarifverträge seien vielfach entwertet und Jahreszusatzprämien seien gestrichen worden. 400.000 Arbeitsplätze seien weggefallen und das Land leide unter der extrem hohen Arbeitslosigkeit. Als Lichtblick sei jedoch die Entscheidung des portugiesischen Verfassungsgerichts vom April 2013 zu sehen, worin Teile der Sparmaßnahmen für verfassungswidrig erklärt worden seien. . Den Schluss der Länderberichte bildete Italien, dessen Situation von Gualtiero Michelini, einem Arbeitsrichter vom Berufungsgericht in Rom, dargestellt wurde. Er beschrieb die allgemeine Erosion des Arbeitsrechts in Italien. Junge Leute seien inzwischen weitgehend ohne arbeitsrechtlichen Schutz. Der Organisationsgrad in den Gewerk- verdikt 2.13 , Seite 16 Eröffnung durch den MEDEL-Vors. Antonio Cluny, Fotos: B. Asbrock Podium der Ländervertreter schaften sei schwach ausgeprägt. Die Gesellschaft werde zunehmend aufgesplittet in „Insider“ und „Outsider“. Migrationsströme erschwerten die Problematik. Das Arbeitsrecht werde dereguliert ohne dass eine fundierte Abschätzung des Nutzens der Maßnahmen erfolge. Als Beispiel nannte er das Gesetz Nr. 92, das so genannte Fornero-Gesetz, das sich auf die Kündigungsgründe beziehe. So sei die Strafzahlung bei rechtswidrigen Kündigungen erheblich verändert worden. Wirksamer Rechtsschutz sei nur noch bei diskriminierender Kündigung möglich. Durch das Gesetz gebe es jetzt zwei Phasen in Kündigungsschutzverfahren. Das gesetzgeberische Ziel, die Kündigungsschutzverfahren zu beschleunigen, werde aber nicht erreicht. Zudem seien viele große Unternehmen aus den Arbeitgeberverbänden ausgetreten. Es müsse hier zu einer transnationalen Durchsetzung von Solidarität kommen. Nach den Länderberichten kam es zu einer intensiven Diskussion unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz. Grundrechtecharta komme echte Drittwirkung zu. Auch sei der Flankenschutz durch die europäische Menschenrechtskonvention nicht zu unterschätzen. Die europäische Grundrechtecharta setze Maßstäbe bei den Grenzen des Sozialabbaus (Art. 31, 28, 21 und 30 GRC). Als mögliche Handlungsschritte verwies der Referent insbesondere auf die Thematisierung der sozialen Fortschrittsklausel im Primärrecht. Auch müsse es darum gehen, wieder die Deutungshoheit durch Fachkonferenzen und Veröffentlichungen zu gewinnen. Geboten sei eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit, wozu die MEDELKonferenz einen wichtigen Beitrag leiste. . Im Anschluss an die Länderberichte aus den von der Krise am stärksten betroffenen Ländern wurde in einem Forum über die rechtlichen Strategien gegen Deregulierungsmaßnahmen im Lichte der Krise diskutiert. Interessant war hier vor allem der Beitrag von Lukas Oberndorfer von der Arbeiterkammer Wien, der die gegenwärtige Austeritätspolitik heftig kritisierte. Er stellte die Sparpakete „Six-Pack“ 2011 und „Two-Pack“ 2013 dar als Versuch der Verrechtlichung der Maßnahmen der Troika. Es sei zu einer Radikalisierung der neoliberalen Integration gekommen. Die Instrumente seien größtenteils europarechtswidrig. Zudem sei allenthalben eine Aufwertung der Exekutive gegenüber dem Parlament feststellbar. Die Empfehlungen der Kommission wirkten wie Nachrichten aus dem neoliberalen Paralleluniversum. Zudem machte der Referent interessante Ausführungen zu Klagestrategien. Ihm folgte Isabelle Schömann vom European Trade Union Institut aus Brüssel. Sie berichtete vor allem über Prozesse von griechischen Klägern und Beklagten, verwies auf die Rolle der ILO und betonte die Bedeutung der Entscheidung des portugiesischen Verfassungsgerichts vom 5. April 2013, das vier von neun Sparmaßnahmen zur Krisenbewältigung als verfassungswidrig angesehen hatte. . Im Schlusswort des MEDEL-Vorsitzenden Antonio Cluny schilderte dieser noch einmal eindringlich die sich ausbreitende Armut in den europäischen Krisenstaaten und die konzeptionelle Hilflosigkeit der nationalen Regierungen. Gehälter und Renten nähmen tagtäglich ab und das Prekariat nehme zu. Eigentlich werde – um an Ernst Bloch anzuknüpfen - das Prinzip Hoffnung negiert. Die Banken finanzierten nicht mehr die Realwirtschaft. Ein „deutsches Europa“ sei eine problematische Perspektive, führte der Referent mit Bezugnahme auf den Soziologen Ulrich Beck aus. Am Schluss dankte er den Veranstaltern für die vorzügliche Vorbereitung und Durchführung der Konferenz und drückte die Hoffnung aus, dass es zu einem Bündnis zwischen den Akteuren des Rechts und den Kräften der sozialen Bewegungen kommen möge. . Sodann folgte das Referat von Prof. Dr. Jens Schubert, Bereichsleiter Recht und Rechtspolitik bei ver.di. Er setzte an bei den Grundfreiheiten in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs, betonte aber gleichfalls die Unkalkulierbarkeit von dessen Entscheidungen. Der Gerichtshof könne nicht als Hoffnungsträger gelten. Die Europäische Grundrechtecharta sei auch nur eingeschränkt als Bollwerk gegen Sozialabbau tauglich. Jedoch enthalte Art. 3 Abs. 3 EUV eine soziale Fortschrittsklausel, die nutzbar gemacht werden könne. Art. 28 der . In der anschließenden Diskussion wurde die Thematik einer europarechtlichen Kontrolle des Budgetverhaltens von Nationalstaaten diskutiert. Man müsse von der euphorischen zu einer analytischen Europa-Diskussion vordringen. Betont wurde allgemein die soziale Verantwortung der Justiz. . Am Ende der interessanten und gewinnbringenden Tagung bedankte sich Georg Schäfer insbesondere bei Leandro Valgolio, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Celle, und Barbara Wederhake, der verantwortlichen ver.di- Gewerkschaftssekretärin für den Justizbereich für die hervorragende Organisation der Tagung. Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Konferenz einen wichtigen Beitrag für die Bestandsaufnahme der Auswirkungen neoliberaler Sparpolitik in Europa und für die Gewinnung rechtlicher Handlungsstrategien gegen den Abbau des Arbeits- und Sozialrechts geleistet hat. * Die Referate der Konferenz finden sich unter folgenden links von ver.di www.verdi.de und MEDEL, www.medelnet.org Les contributions au colloque de Berlin : »l`Etat social, terrain de jeu des marchés financiers« sont en ligne. Papers of the conference of Berlin : »The Welfare State-At the Mercy of the Financial Markets?« are on line. Eric Alt verdikt 2.13 , Seite 17 Dr. Carsten Schütz, Fulda Die Unabhängigkeit der europäischen Justiz muss noch errichtet werden (L‘indépendance de la justice en Europe est encore à construire) 1. Einleitung . Der Titel meines Referats ist nicht als Frage formuliert, sondern als Feststellung. Und diese Feststellung ist zutreffend. „Le tableau de bord de la justice dans l’UE“ vom 27. März 2013 belegt dies jenseits aller berechtigter Einwände, die man gegen die Zielrichtung der Studie und die Art des Datenvergleichs erheben kann. Auch wenn die Daten, wie die Commission Européenne selbst betont, sehr uneinheitlich und nur beschränkt vergleichbar sind, zeigen sich doch einige besorgniserregende Tendenzen, die einen „Jour d’alerte pour l’indépendance de la justice en Europe“ mehr als gerechtfertigt erscheinen lassen. Für mich als deutschen Richter ist es dabei eine besondere Ehre, heute hier sprechen zu dürfen, ist doch der 23. Mai der Tag der Verkündung unserer Verfassung, des Grundgesetzes, das wir Deutsche uns dank französischen, englischen und amerikanischen Vertrauens in unsere Demokratiefähigkeit vor 64 Jahren geben durften. . Lassen Sie mich dies zum Anlass nehmen, am Beispiel unserer Verfassung aufzuzeigen, dass selbst in einem Kernland der Europäischen Union die Unabhängigkeit der Justiz nach wie vor nicht vollendet ist. Gleichzeitig enthält das Grundgesetz aber auch Gewährleistungen, die Vorbild für andere Justizsysteme sein können, wenn es darum geht, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu sichern. . In einem dritten und letzten Schritt will ich aufzeigen, dass die positiven Aspekte der deutschen richterlichen Unabhängigkeit die Nachteile einer fehlenden Selbstverwaltung nicht kompensieren können. 2. Zunächst zu den Defiziten der Unabhängigkeit der deutschen Justiz . Entgegen der Errungenschaften anderer postfaschistischer Justizsysteme wie in Italien oder Spanien ist es Deutschland seit 1945 nicht gelungen, eine Form der Selbstverwaltung der Justiz zu errichten. Wir haben keinen Obersten Rat der Justiz oder ein vergleichbares Gremium, das unter Beteiligung der Richterschaft oder sonstiger durch das Parlament gewählter Personen über die Organisation der Justiz entscheiden oder diese verantworten würde. Solches besteht nicht einmal im Ansatz. Es ist vielmehr ganz anders: Die Regierungen der Bundesländer verwalten die Justiz und damit die Gerichte und Staatsanwaltschaften – letztere sind sogar unmittelbar weisungsgebunden. Zwar stehen allen Gerichten – so wie etwa ich selbst – Richter vor, wir sind aber zugleich weisungsgebundene Amtsträger des Justizministers, soweit es die Frage der Organisation und Verwaltung der Gerichte angeht. . Dies hat historische Gründe: Während die Garantie der Menschenrechte im Grundgesetz den Bruch mit der deutschen Vergangenheit und Tradition dokumentiert, wird die Organisation des Staates von Kontinuität beherrscht. So auch in der Justiz. Daher brauchte man 1949 insgesamt auch nur 24 Stunden, um die Frage der Organisation der Justiz zu klären. . Wie die Gerichte organisiert Dr. Carsten Schütz, Foto: privat sind und in welchem Umfeld die Richter ihre Tätigkeit ausüben, wird daher von der Regierung bestimmt – und dem Parlament, indem es die Höhe der finanziellen Ressourcen der Justiz festsetzt. Ein richterliches Mitspracherecht existiert nicht. Wir Richter müssen mit dem leben, was uns gegeben wird. . Gleiches gilt auch für die Einstellung und die Beförderung der Richter. Dies ist allein Sache des Justizministers, dem in verschiedenen Bundesländern, für die Berufung in das Richteramt ein Wahlausschuss zur Seite steht. Jedoch gelangt kein Richter in sein Amt ohne die Zustimmung des Ministers. 3. Deutsche Errungenschaften zum Schutz der Unabhängigkeit . Trotzdem darf sich Deutschland zu den demokratischen Rechtsstaaten zählen – und das Vertrauen der Betroffenen in die Unabhängigkeit richterlicher Entscheidungen in Deutschland scheint hoch. Im „Tableau de bord de la justice dans l’UE“ erreichen wir in der EU Platz 4, weltweit Platz 7 – jedenfalls aus Sicht der Wirtschaftsvertreter. Und in der Tat kann es schon überraschen, wie es der deutschen Justiz gelungen ist, sich vom willfährigen Vollstrecker des Nationalsozialismus zu wandeln in die Verteidiger der Grundrechte und des Rechtsstaats – ohne einen organisatorischen Bruch mit der exekutiven Verwaltung zu vollziehen. . Dafür dürften neben einer Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, aus der die Richter stammen, besonders zwei Gründe verantwortlich sein: 1. die strikte Durchsetzung des Gebots des gesetzlichen Richters und seine organisatorische Sicherung, gestützt durch den grundrechtlichen Schutz dieses Gebots. 2. der Rechtsschutz jeden Richters gegen Eingriffe in die Unabhängigkeit. Lassen Sie mich dies kurz erläutern: Die Zuständigkeit für ein gerichtliches Verfahren ist nach dem Gesetz über die Gerichtsverfassung individuell im Voraus bestimmt und verdikt 2.13 , Seite 18 kann einzelfallbezogen nicht nachträglich geändert werden. Dies gilt zunächst für das zuständige Gericht: Dies ist durch örtliche und sachliche Kriterien durch Parlamentsgesetz festgelegt. . Innerhalb der Gerichte wird für jedes Kalenderjahr vorab durch das Kollegium aller Richter oder durch ein von ihnen gewähltes Gremium – genannt das „Präsidium“ – ein Plan über die so genannte Geschäftsverteilung beschlossen. Dieser Plan regelt mit abstakten Kriterien im Voraus, welcher Richter im kommenden Jahr für welche Verfahren . Gleichzeitig hat jeder Richter jederzeit das Recht, das so genannte „Dienstgericht“ anzurufen, wenn er sich durch die Gerichtsverwaltung der Regierung in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlt. Dadurch haben Richter stets das letzte Wort darüber, ob eine konkrete Handlungsweise der Regierung zulässig ist oder nicht. . Dieses organisatorische System zum Schutz des einzelnen Richters vor der Justizverwaltung der Regierung hat über die Jahrzehnte hinweg zu einem weitgehenden Schutz des Richters geführt und MEDEL, unsere europäische Dachorganisation der Richtergewerkschaften, hat am 23. Mai in Brüssel einen „jour d’alerte pour la justice“ veranstaltet. „Alarm schlagen“ für die Justiz und den demokratischen Rechtsstaat in Zeiten des Sozialabbaus und der Ökonomisierung“ – darum ging es. Carsten Schütz war als Grundsatzreferent eingeladen, nicht zuletzt wegen seines Alarmrufs „Der ökonomisierte Richter“ (Carsten Schütz, Der ökonomisierte Richter – Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit als Grenzen Neuer Steuerungsmodelle in den Gerichten, Berlin (Duncker &Humblot) 2005). Wir drucken seinen Brüsseler Beitrag hier in deutscher Übersetzung ab. Carsten Schütz ist Sozialrichter und leitet als Direktor das Sozialgericht Fulda. Er ist Mitglied der Redaktion von BETRIFFT:JUSTIZ. Wir freuen uns ganz besonders über dies erneute Zeichen freundschaftlicher Verbundenheit zwischen den beiden Zeitschriften und Redaktionen. zuständig sein wird. Gleiches gilt für die Zuständigkeiten innerhalb eines Spruchkörpers. Dabei wird auch bestimmt, wer den zuständigen Richter im Falle von Krankheit oder Urlaub vertritt. . Einzelne Verfahren können sodann niemals unter Abweichung von diesem Plan von einem anderen Richter als dem bestimmten entschieden werden. Eine Änderung des Planes im Laufe eines Jahres ist zwar möglich, erfordert aber einen objektiven Grund, wie etwa eine unerwartet große Zahl von Verfahren für einzelne Richter oder eine Änderung der Zusammensetzung des Richterkollegiums. Dann kann das Präsidium eine Veränderung beschließen, jedoch wiederum nur nach abstrakten Kriterien, nicht in Bezug auf einzelne Verfahren. . Dieses Prinzip wird zum Schutz der Bürger durch das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter in Art. 101 des Grundgesetzes und das Prozessrecht abgesichert. Eine Entscheidung, die durch einen nicht zuständigen Richter getroffen wurde, ist verfassungswidrig und kann keinen Bestand haben – unabhängig davon, ob sie in der Sache „richtig“ ist. Dieses Grundrecht kann von jedem auch vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden. . Auf dieser Basis hat es sich als Selbstverständlichkeit entwickelt, dass niemand außer dem zuständigen Richter über ein Verfahren entscheidet. Daher darf als Errungenschaft für Deutschland festgehalten werden, dass es keinerlei Einflussnahme gibt, die Zuständigkeiten der Richter in einem Gericht für den Einzelfall zu ändern. Dies schützt den Richter enorm, weil er weiß, dass sich niemand in seinen Fall einmischen wird. innerhalb der Richterschaft grundsätzlich das Bewusstsein gestärkt, sich auch unabhängig von den Erwartungen der Regierung zu verhalten – mit den Defiziten, auf die ich noch zu sprechen komme. 4. Wo liegen somit die Probleme? . Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum Deutschland nach meiner Auffassung Organe einer Selbstverwaltung wie einen Obersten Richterrat braucht, wenn doch schon alles in unabhängiger Ordnung ist. . Dies hat mit dem beschränkten Verständnis des Parlaments und der Regierung für die Besonderheiten der Rechtsprechung zu tun. Zwar werden bei festlichen Gelegenheiten gerne die Bedeutung und die Leistung einer unabhängigen Justiz betont. Im Alltag aber bleibt davon meist wenig übrig. Die Gerichte sind Teil eines Ministeriums, dem der Finanzminister das Geld streicht, als ginge es um ein Straßenbauprojekt. Und diese Umstände haben sich in der Finanzkrise keineswegs verbessert. . Aber bereits zuvor hatten die Regierungen nur wenig Verständnis für die Besonderheiten der Justiz. Anfang dieses Jahrhunderts glaubte man in den deutschen Verwaltungen, dass mit den Methoden der privaten Wirtschaft ein besserer, vor allem aber effizienterer und billigerer Staat zu schaffen sei. So wurden die Methoden von Unternehmen, deren Ziel einzig und allein die Gewinnmaximierung darstellt, auf die staatliche Verwaltung übertragen, um die Kosten der staatlichen „Produkte“ zu messen. Gleichzeitig sollten die einzelnen Verwaltungsstellen nur noch so viel Geld erhalten, wie sie verdikt 2.13 , Seite 19 zu der Herstellung ihrer „Produkte“ angeblich benötigten – also eine Budgetierung. . Hierbei fiel kaum jemandem auf, dass sich das Handeln der Justiz einer Bewertung in Geld entzieht. Vielleicht kann man berechnen, wie teuer ein Urteil einschließlich der hierzu erforderlichen Arbeitszeit ist. Den Wert der mit der Tätigkeit der Justiz vermittelten Gerechtigkeit, Rechtssicherheit oder Befriedung der Gesellschaft kann man nicht berechnen. Daher entzieht sich die Justiz einer Kosten-NutzenBetrachtung, wie sie sich in einem Unternehmen vornehmen lässt. . Nimmt man zur Kenntnis, dass das Ökonomische in der Politik allgemein und in der gesamten Gesellschaft zum tragenden Prinzip geworden ist, wird diese auch die Justiz erfassen. Auch Rechtsprechung wird zunehmend und weithin sogar vorrangig unter dem Blickwinkel des damit verursachten finanziellen Aufwands betrachtet. Indem die Rahmenbedingungen der Justiz geändert werden, nimmt man Einfluss auf das Ergebnis richterlicher Tätigkeit. . Dies zu verdeutlichen und die Verschiedenheit der Justiz von anderer Staatstätigkeit klar zu machen, kann nur gelingen, wenn gar nicht erst der äußere Eindruck entsteht, die Gerichte und Staatsanwaltschaften seien nur irgendeine, wenn auch irgendwie unabhängige Abteilung der Regierungstätigkeit. Hierfür bedarf es einer Organisation, die getrennt ist von den beiden anderen Staatsgewalten und ihre eigenen Regeln für ihr Handeln bestimmen kann. Hierzu ist ein Oberster Rat der Richterschaft, der unabhängig von irgendeinem Ministerium über die Organisation der Justiz entscheidet, unverzichtbar. . Das Urteil des Italienischen Verfassungsgerichts vom 8. Oktober 2012 über die Verfassungswidrigkeit der Gehaltskürzungen für Richter verdeutlicht dies – und das zudem noch in einem Land, in dem mit dem „Consiglio Superiore della Magistratura“ ein zentrales Organ der richterlichen Selbstverwaltung besteht. Das Verfassungsgericht hat dabei zutreffend herausgehoben, dass die Stellung der Judikative auch vom Gesetzgeber zu beachten ist und die Bezahlung der Richter nicht einen Arbeitslohn darstellt, der auf der einfachen Beziehung von Leistung und Gegenleistung beruht. . Ein solches Organ ist auch von besonderer Bedeutung, weil es verhindert, dass die Handlungsprinzipien und Erwartungen der Exekutive unvermittelt in die Richterschaft eindringen können. Eine Erwartung der Regierung an die Richter ist es regelmäßig, mit möglichst geringem Personal und finanziellem Aufwand möglichst viel zu „erledigen“. Die Einhaltung der Verfahrensprinzipien und die Qualität der Entscheidungen spielen regelmäßig keine Rolle. Hinzu kommt, dass die qualitativen Kriterien richterlichen Handelns nicht oder kaum messbar sind – die quantitativen aber sehr wohl. Auch „Le tableau de bord de la justice dans l’UE“ zeigt dies: Es werden Daten erhoben und verglichen über die durchschnittliche Dauer eines Verfahrens und die Quote der erledigten Verfahren. Insofern haben die Außenminister Deutschlands, der Niederlande, Dänemarks und Finnlands mit Recht gegenüber Kommissionspräsident Barroso darauf hingewiesen, dass eine unabhängige Justiz mehr ist als nur ein Wirtschaftsfaktor, der Kosten reduziert und ausländische Investitionen erleichtert. . Man kann in der deutschen Justiz beobachten, dass die Richter sich dieser Erwartung anpassen. Sie sind bereit, die Zahl der Verfahrensabschlüsse immer weiter zu steigern. Dies tun sie auch deshalb, weil sie wissen, dass sie Verantwortung tragen für die Parteien eines Rechtsstreits. Es hilft einem Kläger, dessen Verfahren nicht zur Entscheidung steht, nicht, wenn er weiß, dass der zuständige Richter andere Verfahren zu erledigen hat. Die natürliche Reaktion darauf ist es, seine Arbeitsweise anzupassen und ein Verfahren mit immer weniger Sorgfalt zu erledigen. . Erst recht funktioniert dieses System, wenn ein Richter den Eindruck gewinnt, dass er für diese Anpassung an die Erwartungen der Regierung mit einer Beförderung und besserer Bezahlung belohnt wird. Dabei geht es nicht um Eingriffe in die Unabhängigkeit von außen, sondern die Anpassung des eigenen Verständnisses von Unabhängigkeit durch die Richter selbst. 5. Lassen Sie mich zusammenfassen: . Ein Rechtsstaat ist unvollkommen, solange die Verwaltung der Justiz in den Händen der Regierung liegt. Daher ist die Einrichtung eines richterlich getragenen Selbstverwaltungsorgans für die Justiz unabdingbar und kann auch durch andere Formen der Sicherung der Unabhängigkeit für die Dritte Gewalt als solche nicht kompensiert werden. Dies gilt insbesondere in Zeiten zunehmender Kürzung der finanziellen Ressourcen. . Ein für die Sicherung der individuellen Unabhängigkeit des Richters bedeutender Schritt kann erreicht werden, wenn die Garantie des gesetzlichen Richters strickt eingehalten wird. Hierzu hat die Assemblée parlementaire du Conseil de l´Europe 2009 mit Recht folgende Empfehlung abgegeben: . “l’indépendance des juges vis-à-vis des présidents de tribunaux et des juges de juridictions supérieures doit être protégée, notamment par la définition préalable de systèmes objectifs d’attribution des affaires, l’établissement de règles strictes interdisant qu’un juge soit dessaisi d’une affaire pour des raisons non expressément prévues par la loi et une evaluation des performances basée sur d’autres critères que le nombre de décisions confirmées ou annulées par des instances supérieures.”1 1 „Die Unabhängigkeit der Richter gegenüber den Gerichtspräsidenten wie gegenüber Richtern der höheren Instanzen muss vor allem durch die Einführung eines objektiven Systems der Zuteilung der einzelnen Sachen sowie durch die Formulierung verbindlicher Zuständigkeitsregeln gewährleistet werden. Diese Vorschriften müssen es eindeutig verbieten, einem Richter einen Fall aus anderen als aus den im Gesetz selbst vorgesehenen Gründen zu entziehen. Ebenso wenig darf das auf Grund anderer Kriterien als der Zahl von bestätigten oder abgeänderten Entscheidungen durch eine höhere Instanz geschehen.“ (Übersetzung der Redaktion) verdikt 2.13 , Seite 20 [rechtspolitisches] Uwe Boysen Wie viel ist uns der Rechtsstaat wert? Zum neuerlichen Versuch, die Prozesskostenhilfe einzuschränken . Seitdem ich mich für Rechtspolitik interessiere, fällt mir ein Phänomen auf: Immer wieder werden von interessierter Seite – häufig von der Justizbürokratie – Vorschläge zu Gesetzesänderungen neu eingebracht, auch wenn sie mehrfach vom Parlament abgelehnt worden sind. irgendwann werden sie dann – oh Wunder – doch Gesetz. Das kann man gut an Verschärfungen im Strafund Strafprozessrecht beobachten, wo immer wieder – und das teilweise auch mit Erfolg – versucht wurde, Beschuldigten- und Verteidigerrechte einzuschränken oder Strafvorschriften zu verschärfen. Es gilt aber auch für sog. Reformen der ZPO (in der ich mehr zu Hause bin). So wurde bei Einbringung des Rechtspflegeentlastungsgesetzes 1992 die massive Ausdehnung des Einzelrichtereinsatzes gefordert. Ebenso war damals schon bei der Berufung von einer Zurückweisung durch Beschluss die Rede. Beide Vorschläge haben sich dann tatsächlich in der Reform des Jahres 2002 mit den neu gefassten §§ 348, 522 ZPO durchgesetzt. Dass der Bundesgesetzgeber sich 2011 genötigt sah, die zuletzt genannte Vorschrift wieder restriktiver zu fassen, sei nur am Rande erwähnt. . Auch bei der Prozesskostenhilfe (im folgenden PKH) gibt es seit langem Bestrebungen der Länder, ihre Kosten zu senken. So machten sie bereits 2006 mobil (vgl. BR-Drs 250/06 = BT-Drs 16/1994) und erklärten dem von ihnen offenbar massenhaft gesehenen „Missbrauch“ der PKH den Kampf (vgl. dazu Bader, BJ 83, 144 ff.; sehr krit. auch Boysen verdikt H. 2/2006, S. 16; aus familienrechtlicher Sicht Rakete-Dombek, NJW 2007, 3162), damals noch ohne Unterstützung des BMJ, so dass ihr Entwurf letztlich zu keinen Veränderungen der §§ 114 ff. ZPO führte. Nun haben sie es erneut versucht (BT-Drs 17/1216), diesmal mit ausdrücklicher Hilfe des Bundes (BT-Drs 17/11472). Die Argumentation hat sich indes kaum geändert. Die Vorschläge des Gesetzentwurfs . Gleiches gilt für die unterbreiteten Vorschläge. Dabei sah der Entwurf drei Gruppen von Maßnahmen vor: „Änderungen im PKH-Verfahren sollen sicherstellen, dass die Gerichte die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (die Bedürftigkeit) umfassend aufklären, um auf diese Weise ungerechtfertigte Prozesskostenhilfebewilligungen zu vermeiden und der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe entgegenzuwirken. Durch die Absenkung von Freibeträgen, die Verlängerung der Ratenzahlungshöchstdauer um zwei Jahre und die Neuberechnung der PKH-Raten sollen die Prozesskostenhilfeempfänger in stärkerem Maße als bisher an der Finanzierung der Prozesskosten beteiligt werden. Die Änderung der Vorschriften zur Anwaltsbeiordnung in Scheidungssachen und im arbeitsgerichtlichen Verfahren sowie die neue Möglichkeit zur Teilaufhebung der PKH-Bewilligung sollen die Ausgaben der Länder für Prozesskostenhilfe reduzieren“ (Regierungsentwurf, BT-Drs 17/11472 S. 1). . Statt wie bisher 48 Monatsraten sollte der PKH-Empfänger nunmehr ggf. bis zu 72 Monatsraten zahlen müssen. Einen zinslosen Justizkredit nennen die Entwurfsverfasser das. . Auch der Gegner der PKH beantragenden Partei soll nunmehr nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO-E nicht nur zur Erfolgsaussicht Stellung nehmen, sondern auch ein Wörtchen zur Bedürftigkeit mitreden, „soweit dies aus besonderen Gründen nicht unzweckmäßig erscheint.“ Konsequenterweise müsste ihm dann auch Einblick in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der PKH-Partei gewährt werden – zum Teufel mit dem Datenschutz! Das wiederum verhindert aber § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Kritik . Was der Entwurf sorgsam vermied, ist, die Frage zu stellen, wie viel der soziale Rechtsstaat, zu dem als integraler Bestandteil gehört, sein (gutes oder weniger gutes) Recht auch gerichtlich überprüfen zu lassen, dem Staat wert ist. Bürger sind keine systemrelevanten Banken. Ihre Rechte kann der Gesetzgeber getrost – und natürlich ohne schlechtes Gewissen – beschneiden. . Auch die These, die Reform sei wegen der gestiegenen Kosten notwendig, wird von den vorgelegten Zahlen so nicht eindeutig gedeckt. So wurde an beigeordnete Anwälte im Jahr 2005 ein Betrag von 494,5 Mio. € ausgezahlt, 2008 waren es 507,3 Mio. € und 2010 knapp 509 Mio. €, was eine Steigerung um nicht einmal 4 Prozent ausmacht. Dabei ist der Anteil der ordentlichen Gerichte hieran kontinuierlich gesunken. Während es 2005 noch 434 Mio. € waren, betrug der Aufwand 2010 lediglich noch 424,6 Mio. € Demgegenüber stieg der Anteil in den Fachgerichtsbarkeiten steil an, nämlich von 60,3 Mio. € im Jahr 2005 auf 84,3 Mio. € im Jahr 2010, und zwar in erster Linie auf Grund von Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit. Zurückgegangen sind die Rückflüsse, und zwar von 23,09 Prozent 2005 auf 19,29 Prozent 2010, wobei nicht alle Länder Rückflüsse gemeldet hatten (vgl. BT-Drs 17/11472 S. 20; zu den Zahlen aus den einzelnen Ländern ebd. S. 18 f.). . Nicht erläutert wurde im Entwurf, wem die prognostizierten Einsparungen zu Gute kommen sollen. Würden sie dazu genutzt, die Justiz insgesamt effektiver, bürgerfreundlicher und möglicherweise sogar schneller zu machen, ließe sich – vielleicht – über die eine oder andere Änderung diskutieren. So aber scheint es nur ums Sparen um des Sparens willen zu gehen. Das Resultat . Das Gesetz ist, nachdem der Bundesrat zunächst den Vermittlungsausschuss angerufen, das aber später wieder zurückgenommen hat, verabschiedet. Insgesamt sind sie nun doch noch einmal - halbwegs - davongekommen, die Unterprivilegierten in Deutschland, die Menschen, die nicht in der Lage sind, Kosten zur Führung eines Rechtsstreits aufzubringen. Sie sind noch einmal davongekommen, weil eine Reihe der verdikt 2.13 , Seite 21 eben beschriebenen Änderungen, wie sie von der Bundesregierung aber vor allem von den Bundesländern vorgeschlagen worden waren, dank der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten nicht Gesetz geworden sind. So bleibt es bei der Höchstratendauer von 48 Monaten. Ebenso wenig gibt es eine Herabsetzung der nach § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO eingeräumten Freibeträge. Gleichfalls bleibt es bei der Regelung von § 113 Abs. 1 FamFG, wonach einem zur Inanspruchnahme von Verfahrenskostenhilfe Berechtigten stets ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, wenn der Gegner einen hat. Auch die Idee, dass der oder die Vorsitzende die Bedürftigkeitsprüfung auf die Rechtspflegerin oder den Rechtspfleger übertragen können soll (§ 20 Nr. 4a RPflG-E), die bekanntlich ein Faible für Zahlen haben, ist so nicht Gesetz geworden. Stattdessen bringt die Reform nun eine Länderöffnungsklausel. . Dagegen wird die bisher geltende Tabelle zu § 115 Abs. 2 ZPO abgeschafft. Stattdessen wird jetzt die Hälfte des einzusetzenden Einkommens als Monatsrate festgesetzt. Waren bei einem einzusetzenden Einkommen zwischen mehr als 200 Euro bis 250 Euro 75 Euro als Monatsrate zu zahlen, sind es jetzt bei 250 Euro also 125 Euro. Die Grenze, bei der der Antragsteller den Rest seines einzusetzenden Einkommens für die PKH-Rate aufzuwenden hat, wird außerdem von 750 auf 600 Euro herabgesetzt (§ 115 Abs. 2 ZPO-neu). Nun ist es nicht von vornherein schlimm, auf die Tabelle zu verzichten. Richtig wäre allerdings gewesen, nicht die Hälfte des einzusetzenden Einkommens für die Ratenhöhe heranzuziehen, sondern ca. 30 Prozent. Tatsächlich soll der Gegner nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO-neu nun umfassend zum PKH-Gesuch gehört werden mit der expliziten Absicht, ihm auch Gelegenheit zu geben, zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers vorzutragen (vgl. BT-Drs 17/11472 S. 24 und 31). Was dabei in verhärteten Konfliktfällen herauskommen wird, können sich alle Richterinnen und Richter, die je einen Rechtsstreit mit verfeindeten Parteien geführt haben, schnell ausmalen. Dagegen bleibt dem Gericht nach Intervention des Bundestagsrechtsausschusses immerhin erspart, im PKH-Verfahren auch noch Zeugen zur Bedürftigkeit der Antragsteller zu hören, wie es noch § 118 Abs. 4 ZPO-E der Bundesregierung vorsah. . Verschärft werden auch die Meldepflichten der Menschen, denen die Gnade der Bewilligung von PKH tatsächlich zu Teil geworden ist. Auf Verlangen des Gerichts müssen sie jetzt nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO-neu jederzeit erklären, ob eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist. Ist sie wesentlich, soll das Gericht die Entscheidung zur PKH ändern (§ 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO-neu). Wann eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich ist, verrät uns § 120a Abs. 3 Satz 1 ZPO-neu, der dazu das durch den Prozess Erlangte zählt. Dann soll das Gericht schon wieder prüfen (§ 120a Abs. 3 Satz 2 ZPO-neu), diesmal ob eine Änderung des PKH bewilligenden Beschlusses geboten ist. Abbau von Justizbürokratie sieht anders aus. Aber das spielt, wenn es darum geht, staatliche Einnahmen im Justizhaushalt zu generieren, offenbar keine ausschlaggebende Rolle. Ein Fazit . Auch wenn nicht alle Änderungen durchgesetzt worden sind, bleibt ein fader Nachgeschmack. Steter Tropfen höhlt den Sozialstaat. Das wissen wir schon länger. Und die Länder werden auch in der nächsten Legislaturperiode wieder mit ihren Uraltforderungen in die Gesetzgebungsschlacht ziehen und bemüht sein, Menschen, die lediglich versuchen, ihr Recht durchzusetzen, als Parasiten, Schmarotzer oder Sozialbetrüger zu diskreditieren, wie es teilweise Mode geworden ist. Um des Rechtsstaats willen, um der prekären Verhältnisse willen, in denen diese Menschen leben, um unserer eigenen Glaubwürdigkeit als sozial verantwortliche Justiz willen sollten, nein müssen wir diesen Tendenzen mit ihrer potenziell diskreditierenden Konnotation auch in Zukunft energisch entgegentreten. verdikt 2.13 , Seite 22 [Aus der Justiz] Martina Dierßen Gespräch mit der nds. Justizministerin Anje Niewisch-Lennartz am 24.04.2013 . Das eineinhalb stündige Gespräch fand in sehr angenehmer, offener Atmosphäre statt. . Vorab bat die Ministerin um eine kurze Vorstellung der GesprächsteilnehmerInnen. Für die ver.di Fachgruppe der Richter waren dies: Peter Scheider und Karl Schulte (beide LSG), Tobias Walkling (LAG) und Dr. Michael Schwickert (AG Lingen). Die Ministerin selbst nutzte die Gelegenheit zu einer Erläuterung und Einordnung ihres Werdegangs. . Die Themen »Selbstverwaltung der Justiz« und die Etablierung von Richterwahlausschüssen seien aus ihrer Sicht zu trennen. . Die Diskussion zur Selbstverwaltung solle auf die Tagesordnung genommen werden, das Ministerium wolle dazu eine Anhörung durchführen, wie sie vor wenigen Tagen von der Grünen Bundestagsfraktion durchgeführt worden sei. Kritisch vermerkte die Ministerin dazu, das Thema könne wohl nur dann tatsächlich erfolgreich vorangebracht werden, soweit es gelinge, die junge Richterschaft dafür zu begeistern. Dem Einwand, dass Interesse und Begeisterung ggfls. auch durch entsprechende Initiative des Justizministeriums ausgelöst bzw. befördert werden könne, widersprach sie nicht. . Das Thema der Richterwahlausschüsse solle von ihrem Ministerium unmittelbar angegangen werden, in die Grundkonstruktion seien die Verbände/Gewerkschaften aktiv einzubinden. Man sei auf der Suche nach einem guten Modell, vor allem müsse geklärt werden, welche Kompetenzen die Richterwahlausschüsse haben sollten. Ver. di sei insoweit besonders gefragt. Noch in dieser Legislaturperiode sollen Änderungen angeschoben werden, innerhalb der nächsten Monate werde das Ministerium Verbände und Gewerkschaften einladen. . Aus Sicht des Justizministeriums sollte der Zusammenschluss von Gerichten gefördert werden; es gehe aber ausdrücklich nicht um die Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten. Die Ministerin zeigte sich Argumenten zur Erhaltung von kleinen Gerichten durchaus aufgeschlossen; man könne aber keine Garantieerklärung zur Erhaltung aller kleinen Gerichte geben. . Hinsichtlich PEBB§Y plädierte sie bei aller Kritik dafür, dass sich die Gerichte/die RichterInnen an der anstehenden neuen PEBB§YErhebung aktiv beteiligen. Sie versuche, überall PEBB§Y 1.0 zu erreichen; sofern sich in den Fachgerichtsbarkeiten der Trend zu tendenziell komplexeren und arbeitsintensiveren Verfahren abzeichne, müsse sich dies in den neuen Arbeitszeitaufschreibungen zu PEBB§Y auch widerspiegeln. . In der HAZ hatte die Ministerin kürzlich sehr eindeutig für die PKH in der jetzigen Form plädiert, die geplanten Änderungen der Bundesregierung seien völlig inakzeptabel, das nds. Justizministerium werde seine Möglichkeiten in die Waagschale werden, um das zu verhindern (vgl. dazu aktuell Boysen, in diesem Heft S. 20) In unserem Gespräch verwies die Ministerin auf die prekäre finanzielle Situation: auch der Justizetat müsse sich anteilig an der Finanzierung der Studiengebühren beteiligen, die „Schuldenbremse“ werfe ihre Schatten voraus. An einer Anhebung der Gerichtsgebühren gehe aus ihrer Sicht kein Weg vorbei, das betreffe aber nicht die Sozialgerichtsbarkeit. Das Thema PKH sei „im Paket“ zu sehen; z.B. in Scheidungsverfahren stehe sie einer Verschlechterung der PKH kritisch gegenüber. Dem Hinweis, dass auch die Länder „egal welcher politischen Couleur“ die Frage der Justizgewährung einseitig nur noch unter dem Blickwinkel der Kostendeckung betrachten, widersprach sie nicht. Georg Schäfer, Vors. Richter am Hess. Landesarbeitsgericht, Sprecher des Bundesfachausschusses Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Starke hessische Justiz sichert den Rechtsstaat . Am 27. August 2013 - und damit zu Beginn der heißen Phase des hessischen Landtagswahlkampfs - fand im Audimax des Behördenzentrums Frankfurt am Main eine Veranstaltung statt, zu der der ver. di-Landesbezirksvorstand Hessen und der Landesbezirksfachausschuss der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (LBFA) gemeinsam eingeladen hatten. Forderungen nach selbstverwalteter Justiz (abgedruckt im Anschluss) siehe den nach, was dort zu einer sehr lebendigen Diskussion führte und schließlich zu dem Beschluss, im Vorfeld der Landtagswahl eine öffentliche Informationsveranstaltung durchzuführen, in der allerdings nicht nur dieses, sondern auch andere justizpolitische Themen behandelt werden sollten. . Diese Veranstaltung hatte folgende Vorgeschichte: In einem Gespräch, das der Bundesfachausschuss (BFA) im Januar 2012 mit Frank Bsirske u.a. zum Thema „Selbstverwaltete Justiz“ führte, regte dieser an, die Positionen des Bundesfachausschusses stärker in die Organisation hineinzutragen. In der Folge hielt Georg Schäfer, Sprecher des Bundesfachausschusses, im Dezember 2012 vor dem versammelten hessischen Landesbezirksvorstand ein Referat über die . Eine Arbeitsgruppe des LBFA erarbeitete dann gemeinsam mit Conny Kröll, der stellvertretenden Landesbezirksleiterin, das Konzept. Schnell war man sich darüber einig, dass man die rechtspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen zu einer Stellungnahme und Diskussion veranlassen wollte. Als Themen wurden neben der Selbstverwaltung die Richterbesoldung und die Ausstattung der Justiz ausgewählt. Und um die Gemeinsamkeit der drei Richterorganisationen in verdikt 2.13 , Seite 23 verschiedenen Kernbereichen herauszustellen, wurden Richterbund und NRV gebeten, sich mit jeweils einem Kurzreferat zu beteiligen. Guido Kirchhoff (NRV) und Dr. Ursula Goedel (Richterbund) sagten sofort zu. . Die Veranstaltung richtete sich an zwei Zielgruppen: Einerseits lud der Landesbezirksvorstand über seinen Verteiler haupt- und ehrenamtliche Angehörige der Gewerkschaft ein, bei denen ein Interesse an den justizpolitischen Themen erwartet wurde. Andererseits wurden über das Justiz-Intranet alle Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Hessen mit einem Flugblatt eingeladen. Plakate in den Gerichten des Rhein-Main-Gebiets vervollständigten die Werbeaktion. . Für die Parteien sagten die rechtspolitischen Sprecher Jürgen Frömmrich (Bündnis 90/Grüne), Hartmut Honka (CDU), Stefan Müller (FDP) und Ulrich Wilken (Linke) sofort zu, für die SPD meldete sich die für den Posten der Justiz- und Frauenministerin vorgesehene Ute Sacksofsky. . Als Moderator der Veranstaltung wurde schließlich der Kollege Hans-Ernst Böttcher aus Lübeck gewonnen, da sich die Vorbereitungsgruppe darüber einig war, dass am besten eine bestens informierte Person, die aber nicht in Hessen tätig ist, diese Funktion übernehmen sollte. . Alle Beteiligten waren im Vorfeld davon ausgegangen, dass interessante Themen, kompetente Gesprächspartner und die Tatsache, dass die entscheidenden Wochen des hessischen Landtagswahlkampfs begonnen hatten, viele Kolleginnen und Kollegen dazu veranlassen würden, einmal einen Vorabend – der Beginn war auf 17.30 Uhr festgelegt – ihrer Freizeit zu opfern oder den Schreibtisch etwas früher zu verlassen. Und immerhin füllte sich das große Audimax mit ca. 50 Personen, viele von ihnen auch Funktionsträger der Richterorganisation. . Hochspannend verlief der Abend in inhaltlicher Hinsicht, was nicht zuletzt auch an den qualifizierten Diskussionsbeiträgen der Erschienenen lag – darunter mehrere Präsidentinnen und Präsidenten hessischer Gerichte. . Zunächst begrüßte Jens-Peter Hoth in seiner Eigenschaft als Sprecher des Landesbezirksfachaussusses die Gäste auf dem Podium und im Saal, bevor er schnell Platz machte für die Kurzreferate zu folgenden Themen: • Selbstverwaltung der Justiz – Vollendung der Gewaltenteilung! • Ausstattung der Justiz – Handlungsfähigkeit trotz Schuldenbremse • Richterbesoldung – Amtsangemessenheit und Fairness . Es begann Georg Schäfer mit einer in 9 Thesen zusammengefassten Begründung, warum alle drei Richterorganisationen die Selbstverwaltung der Justiz als immer noch ausstehende Vollendung der Gewaltenteilung fordern (siehe Text). . Anschließend referierte Guido Kirchhoff die Ergebnisse einer Umfrage, die die NRV unter allen hessischen Richtern per E-Mail durchgeführt hatte. Insgesamt 251 Richterinnen und Richter, darunter 19 Richterinnen oder Richter auf Probe, hatten den Fragenkatalog beantwortet, und als erstaunlichstes Ergebnis führte er an, dass genau 50% angaben, dem fast von allen festgestellten erhöhten Arbeitsdruck dadurch zu begegnen, dass sie weniger Zeit für Aktenarbeit und Recherche aufwendeten, also bei der Qualität ihrer Arbeit Abstriche machten. Ein offener Brief des NRV-Sprechergremiums an den hessischen Justizminister, in dem die Ergebnisse dargestellt werden, gipfelt in der Forderung: „Die NRV Hessen fordert Sie deshalb auf, nicht nur von weiteren Kürzungen abzusehen, sondern die selbst nach PEBB§Y notwendigen Stellen zu schaffen.“ . Frau Dr. Goedel legte in ihrem Referat einen besonderen Schwerpunkt auf das inzwischen immer deutlicher zu Tage tretende Auseinanderdriften der Richterbesoldung in den verschiedenen Bundesländern (vgl. dazu auch das Flugblatt des ver.di-Bundesfachausschusses) und sprach auch die Stimmen an, die von einer verfassungsrechtlich bedenklichen Abkopplung der Richterbesoldung von der Entwicklung der Lebenshaltungskosten sprechen. Am hessischen Gesetzgeber kritisierte sie, dass zwar die prozentuale Erhöhung im Tarifbereich des Landes für die R-Besoldung übernommen wurde, nicht aber die Einmalzahlungen. . Nach diesen kurzen Einführungen in die Themen des Abends übernahm es Hans-Ernst Böttcher, die folgende Podiumsdiskussion kompetent, charmant, aber auch präzise nachfragend zu leiten und dabei insbesondere Antworten zu der Frage einzufordern, wie sich die Parteien zur Forderung nach Selbstverwaltung stellen. Die Antworten waren natürlich nicht völlig überraschend, aber sie erhellten doch einige Standpunkte und machten darüber hinaus deutlich, dass die Diskussion darüber nicht mehr als völlig abseitig abgetan wird, sondern dass das Bewusstsein darüber inzwischen auch in der politischen Sphäre deutlich gewachsen ist. Interessant war, dass Stefan Müller (FDP) sein Interesse am Fortgang der Diskussion betonte und darauf hinwies, dass Staatssekretär Kriszeleit Mitglied der „Albrecht-Kommission“ ist. . Hartmut Honka (CDU) lobte die Arbeit des Richterwahlausschusses und sah keine Notwendigkeit einer weitergehenden Selbstverwaltung, während Ute Sacksofsky auf das SPD-Wahlprogramm hinwies, das einen Prüfauftrag und den Dialog mit den Richterinnen und Richtern über eine erweiterte Selbstverwaltung der Justiz enthalte. Jürgen Frömmrich (Bündnis 90/Die Grünen) und Ulrich Wilken (Die Linke) kündigten für den Fall der Regierungsbeteiligung an, zuallererst einmal die bestehenden Mitbestimmungsgremien, deren Befugnisse in den Jahren schwarz-gelber Regierung stark zusammengestrichen wurden, wieder mit echten Mitbestimmungsrechten ausstatten zu wollen. . Zu den anderen Themenkreisen verhielten sich die Podiumsteilnehmer so, wie es zu erwarten war. Während die Vertreter der Regierungsparteien den Zustand der hessischen Justiz und deren Leistungen lobten und angesichts Schuldenbremse und Krise der öffentlichen Haushalte um Verständnis für Einsparungen warben, hielten sich die Vertreter der Opposition mit Versprechungen merklich zurück und kündigten zunächst einen Kassensturz an, nach dem man erst entscheiden könne, wo Investitionen getätigt werden. Ute Sacksofsky verdikt 2.13 , Seite 24 meinte zusätzlich, sie freue sich darauf, in ihrer vorgesehenen Doppelfunktion besonders die Förderung von Frauen in allen Bereichen der Justiz betreiben zu können. . Insgesamt war die Bilanz des Abends – abgesehen davon, dass er noch mehr Teilnehmer verdient gehabt hätte – durchaus positiv. Alle, die zu seinem Gelingen beigetragen haben, gingen mit dem Gefühl nach Hause, dass gerade die Diskussion über die Selbstverwaltung der Justiz wieder ein kleines Stück vorangekommen war und die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer – gleich in welcher Funktion sie gekommen waren – in ihrem Tätigkeitsbereich als Multiplikatoren weiter aktiv daran arbeiten werden. Georg Schäfer Selbstverwaltung der Justiz - Vollendung der Gewaltenteilung! Kurzreferat für die Veranstaltung „Starke hessische Justiz sichert den Rechtsstaat“ vom 27. August 2013 in Frankfurt am Main . Seit einigen Jahren sind sich die drei großen Richterorganisationen, die auch bei dieser Veranstaltung vertreten sind, in der Forderung nach einer selbstverwalteten Justiz einig. . Zwar unterscheiden sich die Modelle von Richterbund, NRV und ver.di in einigen Bereichen, aber da wir noch nicht soweit sind, dass wir morgen gleich über die Umsetzung eines der Modelle in Form eines Gesetzes diskutieren dürfen, möchte ich heute nicht in aller Ausführlichkeit unsere Position vorstellen - d.h. die Position des Bundesfachausschusses Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver. di - die inzwischen auch vom Gewerkschaftstag insgesamt übernommen wurde, sondern in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit die Argumente für eine selbstverwaltete Justiz schlagwortartig benennen. Warum also Selbstverwaltung der Justiz? . Weil es europäischer Standard ist. Wir können uns mit unserer traditionellen, der Unabhängigkeit nicht gerecht werdenden obrigkeitsstaatlichen Gesamtorganisation der Justizverwaltung international kaum noch verständlich machen. Dies zeigt sich insbesondere immer dann, wenn man mit Kolleginnen und Kollegen anderer europäischer Länder über die Justizorganisation diskutiert. . Weil die deutsche Justizorganisation nach 1945 in den Ländern und mit dem Grundgesetz 1949 in der Bundesrepublik auf halbem Weg in Richtung Gewaltenteilung und Demokratie stehen geblieben ist: Mit parlamentarischen Richterwahlausschüssen, Präsidien der Gerichte, Richterdienstgerichten und einer eigenen Richterbesoldung und -mitbestimmung gibt es nur einige wenige demokratie-adäquate Elemente. Das Gesamtsystem aber blieb, wie es 1877 geschaffen worden war: wilhelminisch, obrigkeitsstaatlich. . Es kann nicht angehen, dass an der Spitze der Verwaltung der Justiz, also der rechtsprechenden Gewalt, die gem. Art. 92 GG den Richtern anvertraut ist, mit dem Justizminister ein Mitglied der Regierung und damit der zweiten Gewalt, der Exekutive, steht. . Wir fordern Selbstverwaltung auch, weil die Justiz dann auf allen Ebenen von denjenigen nach innen verwaltet und nach außen vertreten wird, die etwas von der Sache verstehen und die als Angehörige der Justiz auch die Folgen zu spüren haben. Für die Wahl auf allen Ebenen ist das Verhältniswahlrecht verpflichtend vorzusehen, damit die internen Strömungen und damit auch die Gewerkschaften und Verbände proportional repräsentiert sind. . Nur dann kann Justiz auch nach außen authentisch mit eigener Stimme sprechen und sachkundig und ohne Drittinteressen - z.B. parteipolitischer Art - mit dem Finanzministerium und dem Haushaltsausschuss verhandeln. Wie viel der Justizminister am Kabinettstisch für die Justiz ausrichten kann, sehen wir zurzeit im Rahmen der Umsetzung oder Nichtumsetzung der Tariferhöhungen für Richterinnen und Richter in mehreren Bundesländern. . Die Selbstverwaltungsmodelle verknüpfen Selbstverwaltung auf „oberster Ebene“ in Form der Gerichtsbarkeitsräte mit der Selbstverwaltung an der Basis, nämlich in den Eingangsgerichten und in den größeren Gerichtsbezirken und bilden so - jeweils unter Beteiligung von Repräsentanten der zum Bezirk gehörenden Gerichte ein durchgängiges und in sich schlüssiges Organisationsprinzip. . Mit der Selbstverwaltung und der Abkopplung von der Exekutive verbinden wir in ver.di die Enthierarchisierung des Richteramtes und die grundsätzlich einheitliche Richterbesoldung, gleich in welcher Instanz. Dies führt den Gedanken konsequent zu Ende, der Anfang der 70-er Jahre zur heutigen besonderen Richterbesoldung, der R-Besoldung, geführt hat. Der Vorsitz in den Spruchkörpern rotiert oder wird in anderer Weise, z.B. durch zeitlich begrenzte Wahl der Mitglieder, festgelegt. Letzteres gilt auch für die Gerichtsvorstände, die durch das Plenum der Richterinnen und Richter auf Zeit gewählt werden. . In einer selbstverwalteten Justiz darf die Mitbestimmung aller dort Beschäftigten - also auch der nichtrichterlichen Beschäftigten - natürlich nicht vernachlässigt werden. Darauf legen gerade wir als Gewerkschafter besonderen Wert. Es müssen daher im Einzelnen noch zu diskutierende Formen der Mitbestimmung innerhalb und neben der Selbstverwaltungsgremien geschaffen werden, damit dieser Aspekt nicht zu kurz kommt. . Schließlich gehört auch die Staatsanwaltschaft eindeutig zur Dritten Gewalt. Für sie sollen deshalb grundsätzlich dieselben Regeln zur Unabhängigkeit und zur Selbstverwaltung gelten wie für die Richterinnen und Richter. Nicht zuletzt spektakuläre Prozesse mit Beschuldigten, denen eine gewisse „Staatsnähe“ zugesprochen wird, machen deutlich, wie sensibel die Öffentlichkeit auf tatsächliche oder vermutete Einflussnahme durch Mitglieder der Exekutive reagiert. verdikt 2.13 , Seite 25 [IN EIGENER SACHE] Martin Bender Aus für akzent-druck - Das Ende einer Erfolgsgeschichte . Gestaltung und Druck von verdikt liegen seit Ende vergangenen Jahres nicht mehr in den Händen von der akzent-druck gGmbH in Hannover, sondern werden nunmehr von der Interdruck Berger + Herrmann GmbH verantwortet, die ebenfalls in Hannover ansässig ist. Dies markiert zugleich das Ende des ältesten sozialen Betriebs in Deutschland. Die Gründung von akzent-druck im Jahr 1992 durch den Kirchenkreis Hannover-Linden, der mit dem Stadtkirchenverband Hannover bis zur Schließung der Druckerei Ende Dezember vergangenen Jahres zu den Trägern des Betriebs gehörte, war eine Reaktion auf den starken Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit Anfang der 90 er Jahre. Statt Arbeitslosigkeit zu bezahlen, hielten es die Initiatoren mit dem Geschäftsführer des Betriebs Jürgen Schabram für sinnvoller, Arbeit zu bezahlen. Ein Programm der niedersächsischen Landesregierung zur Förderung sozialer Betriebe ermöglichte es, dass zunächst zehn Beschäftigte die Arbeit in der Druckerei aufnahmen, finanziert durch die Bundesagentur für Arbeit. Der Jahresumsatz überschritt nach zwei Jahren die Millionengrenze und nach fünf Jahren konnte der Betrieb allein aus den erwirtschafteten Umsätzen finanziert werden. Kunden von akzent-druck waren vor allem kirchliche Verbände und Organisationen, die ihre Broschüren, Zeitungen, Mitteilungsblätter und Flyer dort herstellen ließen, nicht zuletzt aber auch Externe wie ver.di mit unserer Zeitschrift verdikt, die seit ihrer ersten Ausgabe im März 2002 dort gestaltet und produziert worden ist. Auf diese Weise konnten in den 20 Jahren des Bestehens von akzent-druck mehr als 150 Menschen, darunter etlichen Auszubildenden eine neue berufliche Perspektive eröffnet werden. . Die Beendigung des Programms der Förderung sozialer Betriebe und die Veränderung des Fördersystems der Bundesagentur für Arbeit als Folge der Gesetzgebung zum Sozialgesetzbuch 2. Buch („Hartz IV“) bedeutete einen Bruch in der Entwicklung von akzent-druck, weil die Veränderung des Charakters der geförderten Maßnahmen, wie z. B. die sog. Ein-Euro-Jobs, auch die wirtschaftliche Existenz des Betriebs gefährdete. Akzent-druck musste dann Ende 2012 seinen Betrieb einstellen, weil eine finanzielle Förderung von Umschulungs- Mit Interdruck nachhaltig in die Zukunft Haben Sie gedacht, . ... dass für die Produktion der Druckform eines einfarbigen Druckes – wie der Inhalt von verdikt – nur ein Viertel so viel Aluminium und Energie verbraucht, wie der entsprechende vierfarbige Druck? . ... dass eine Druckmaschine, die nur zwei statt vier Farbwerke hat, natürlich auch nur halb so viel Platz und Ressourcen verbraucht, wie die entsprechende Vierfarbmaschine? . ... dass Recyclingpapiere nicht nur Rohstoffe einsparen helfen, sondern viele Transportwege zur Beschaffung des Rohstoffs verkürzen? . ... dass es mittlerweile Druckfarben gibt, die vollkommen mineralölfrei sind? . Das persönliche Engagement für das zu erstellende Druckprodukt, der bewusste Umgang mit Ressourcen und Nachhaltigkeit sind Leitlinien für Interdruck. . Katrin Herrmann und Matthias Berger betreiben den kleinen Familienbetrieb seit über 25 Jahren. Ursprünglich aus dem Buchhandel kommend, fühlen sie sich der Herstellung von Druckerzeugnissen wie Zeitschriften oder Büchern eher verbunden, als der Produktion von tausenden Werbeflyern. . Wir freuen uns sehr, bei der Herstellung von verdikt mit Rat und Tat mitwirken zu dürfen, so Katrin Herrmann. Hiervon konnte sich die Redaktion bei ihrem Besuch in der Druckerei einen eigenen Eindruck verschaffen. bas und Weiterbildungsmaßnahmen vermutlich aufgrund einer geänderten politischen Schwerpunktsetzung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht mehr bzw. nicht mehr in dem bisherigen Maß stattfand. Die Weiterführung des Betriebs war danach nicht mehr möglich. Das bedeutet jedoch nicht auch, dass die Notwendigkeit für eine Förderung und Fortführung von Initiativen wie akzent-druck entfallen wäre, weil Arbeitslosigkeit in Deutschland gegenwärtig keine Bedeutung mehr hätte. Ganz im Gegenteil: Zum Zeitpunkt der Gründung von akzent-druck im Jahr 1992 gab es nach Angaben der Arbeitsverwaltung in Deutschland 2.978.570 Arbeitslose. Im Jahr 2011, also ein Jahr vor der Schließung des Betriebs, lag die Zahl bei 2.975.800 Arbeitslosen. Hat sich also nichts verändert? Dies gilt sicher, soweit es um eine Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen geht. Diese Einschätzung wird jedoch sicher nicht von den Beschäftigten geteilt, die bei akzent-druck oder einem anderen sozialen Betrieb die Gelegenheit zu einer Ausbildung oder Umschulung erhielten und damit eine erstmalige oder neue berufliche Perspektive. verdikt 2.13 , Seite 26 [REZENSIONEN] Christian Oestmann Verurteilt – Mein Jahr als Strafrichter Robert Pragst, Verurteilt – Mein Jahr als Strafrichter, dtv premium München 2013, 220 Seiten, 19,90 € . Viele Richter und Staatsanwälte werden sich bei der Lektüre des neuen Buches von Robert Pragst vielleicht mit einem Schmunzeln an ihre eigene Probezeit erinnern. Viele andere erhalten einen authentischen Einblick in die Wirklichkeit des Justizalltages eines Amtsrichters in Berlin. . Nach seinem Erfolg mit dem Buch „Auf Bewährung – Mein Jahr als Staatsanwalt“, in dem Pragst bereits seine Erfahrungen in der Staatsanwaltschaft Berlin als Berufsanfänger lebendig und originell die Arbeit der Staatsanwälte geschildert hatte, schlägt er in dem Buch „Verurteilt – Mein Jahr als Strafrichter“ ein weiteres, lesenswertes Kapitel aus seiner Probezeit als Betreuungsrichter und als Strafrichter auf. Wieder gelingt es ihm, die eigenen beruflichen Erfahrungen mit verschiedenen Fällen aus der Praxis in interessanter Weise zu verknüpfen. Seine Betrachtungen sind nicht ohne Witz und Selbstironie geschrieben. . Er zeigt überraschende, erheiternde und auch sehr bedrückende Situationen und Lebensgeschichten aus dem Alltag eines Amtsrichters. Dabei geht es ihm nicht um spektakuläre Justizfälle oder juristische Auslegungen. Pragst konzentriert sich auf die Menschen, die in der Justiz arbeiten oder mit ihr zu tun bekommen. Der Amtsrichter steht oft allein, unter Zeit- und Aktendruck vor schwierigen Entscheidungen, sei es, wenn er über den Abbruch lebenserhaltender Behandlungen oder über mehrjährige Freiheitsstrafen entscheiden muss. Pragst schildert nicht Täglicher Akteneingang, nur die schwierigen Aufgaben des Richters, Foto: privat sondern bezieht auch die anderen Berufsgruppen in der Justiz ein. Er beschreibt, wie sich die Wachtmeister und die Protokollführerin trotz geringer Vergütungen tagtäglich erheblichen Belastungen und Risiken aussetzen müssen. Das oft angespannte Verhältnis zwischen Strafrichter und Strafverteidiger wird von ihm anhand eines Falles einer Drogenbande, der sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, sehr anschaulich nachgezeichnet. . Pragst zeigt in seinem neuen Buch ein schonungsloses und teilweise beklemmendes Bild der Berliner Justiz, in der ein junger Richter vor großen Herausforderungen und unter schweren Belastungen steht und frühzeitig Verantwortung für Entscheidungen übernehmen muss, auf die er kaum vorbereitet ist. Dabei geht es ihm stets um die Menschen, denen er mit Empathie begegnet, und um den eigenen Anspruch, trotz der hohen Belastungen im Einzelfall gerecht zu entscheiden. Eine Pflichtlektüre für Richter und solche, die es werden wollen. Ein lesenswerter Beitrag über die Justiz, wie sie wirklich ist. Dr. Peter Kalmbach* „Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert“ – Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters Werner Otto Müller-Hill, „Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert“, Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/45, Siedler Verlag München 2012, 176 S., 19,99 € . Zeugnisse von Juristen, die in der Zeit von 1933 bis 1945 in der „Rechtspflege“ tätig waren, sind rar – und meist mit Vorsicht zu genießende Quellen. Erich Schwinge, einflussreicher Theoretiker des Militärstrafrechts, etwa zeichnete ein apologetisches Bild seiner Richterkollegen und seiner selbst. Die von der Wehrmachtjustiz ausgesprochenen Todesurteile rechtfertigte er als unumgänglich, behauptete nach dem Krieg gar, sie seien notwendig gewesen, um das Militär als einzige aussichtsreiche Opposition gegen Hitler handlungsfähig zu halten (nachzulesen in seiner Autobiographie „Ein Juristenleben im 20. Jahrhundert“, Frankfurt 1997). Der unter dem Pseudonym Güstrow schreibende frühere Rechtsanwalt Dietrich Wilde konnte – jedenfalls kurzzeitig – seiner Leserschaft das Gefühl vermitteln, dass in der Juristenschaft „nicht alle mitgemacht hätten“ – diese Stimmung hielt freilich nur so lange, bis offengelegt wurde, dass der Autor verschwiegen hatte, selbst Hetzartikel gegen jüdische Mitbürger verfasst zu haben. Sicher, es gab rechtschaffene Juristen, die dem Druck des Regimes nicht wichen. Auch derartige Richterbiographien sind vereinzelt bekannt wie etwa jene von Lothar Kreyssig, der Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Euthanasiemorde gestellt hatte, oder – seit jüngstem – die des Wehrmachtrichters Heinrich Heinen, der es vermocht hatte, trotz des sich rasend steigernden Justizterrors innerhalb der Streitkräfte kein einziges Todesurteil auszusprechen. . Mit einem umfangreichen Vorwort von Wolfram Wette, dem vielleicht profundesten Kenner der NS-Militärjustiz, liegt nun die Veröffentlichung der Tagebücher des Kriegsrichters Werner Otto Müller-Hill vor. Vom 28.3.1944 bis zum 7.6.1945 führte er ein geheim gehaltenes Tagebuch, das jedem Interessierten einen glaubhaften und bis dahin nicht möglich gewesenen Einblick in die Erlebens- und Gedankenwelt eines Richters während der NS-Zeit erlaubt. MüllerHill zeichnet vor allem ein nachvollziehbares Bild seiner im Militär eingesetzten Richterkameraden: Dort sind zwar die überzeugten Nationalsozialisten in der Minderheit, doch ist die Masse infolge eines falsch verstandenen Loyalitätshabitus trotzdem autoritätsgläubig und daher ein nützlicher Diener des NS-Systems. Fast erstaunlich ist dabei die immer wieder aufgezeigte Naivität vieler dieser Protagonisten. Trotz zusammenbrechender Fronten hielten sich etliche an die verdikt 2.13 , Seite 27 ausgegebenen Propagandaformeln von Wunderwaffen, die noch in letzter Stunde die Wende bringen sollten. Noch etwas anderes wird durch die Aufzeichnungen Müller-Hills deutlich: Juristen konnten durch persönliches Engagement, und zwar ohne Gefahr für Leib und Leben, Milderungen für Angeklagte erreichen. Dies korreliert mit den Darlegungen des 2007 verstorbenen Widerständlers und Judenretters Heinz Drossel, der zeitweilig als Verteidiger vor Kriegsgerichten tätig war. . Der Verfasser bringt ungetrübt die sich stetig radikalisierende Praxis der NS-Gerichte zum Ausdruck. So erwähnt er mehrfach die ausufernde Anwendung des Wehrkraftzersetzungsparagraphen, der ursprünglich als Auffangtatbestand konzipiert war. Diese Normierung des Kriegsstrafrechts war ausgesprochen weit auslegbar und sah als Regelstrafe den Tod vor. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges nutzten viele Gerichte diese Umstände, um schnelle, harte Urteile zu produzieren. Müller-Hill weist darauf hin, dass bewusst speziellere Regelungen – mit milderen Sanktionsmöglichkeiten – schlicht übergangen wurden. Standgerichtliche Erschießung – hier eine Inszenierung – für 30.000 zum Tode Verurteilte grausame Realität – undatiert, Fotos: Archiv . Hervorzuheben ist die ungeschminkte Kenntnis des Tagebuchschreibers von den Massenmorden an Juden. Es wird bei diesen Anmerkungen deutlich, dass in allen militärischen Stäben ähnliche Vorstellungen vom Umfang der Verfolgungen vorhanden gewesen sein müssen; dies zumal Müller-Hill vornehmlich in einem rückwärtigen Gebiet des Krieges, im Elsass, eingesetzt war. . Wette beschreibt den Lebensweg Müller-Hills treffend: Er war ein untypischer Wehrmachtjurist. Seine kritische Haltung und die milde Urteilspraxis sind Ausnahmen angesichts etwa 3.000 eingesetzter Kriegsrichter, die bis zu 50.000 Todesurteile während des Zweiten Weltkrieges verhängten. Diese authentischen Aufzeichnungen eines moralisch integeren Juristen zu lesen, ist nicht nur wissenssteigernd, es ist auch ermutigend, denn tatsächlich haben wenigstens einige „nicht mitgemacht“. * Der Autor ist Rechtsanwalt in Bremen. Er hat jahrelang über die nationalsozialistische Militärjustiz geforscht und die Ergebnisse, die u.a. auch auf der Befragung zahlreicher Zeitzeugen beruhen, in dem 2012 im Metropol Verlag, Berlin, erschienenen Buch ‚Wehrmachtjustiz’ veröffentlicht. Justizgebäude: Offiziere verlassen nach einer kriegsgerichtlichen Verhandlung den Palais de Justice, Bordeaux – undatiert Wolfgang Helbig/Hans-Ernst Böttcher Das Oberlandesgericht München zwischen 1933 und 1945 Hannes Ludyga, Das Oberlandesgericht München zwischen 1933 und 1945, herausgegeben im Auftrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts München, Metropol Verlag Berlin 2012 . Das OLG München hat seine Rolle in der Zeit von 1933 bis 1945 untersuchen lassen durch den Rechtshistoriker Hannes Ludyga und das Ergebnis nun in Buchform vorgestellt. Das Buch enthält interessante Aspekte über die Rolle des Oberlandesgerichts und über den Umgang mit einzelnen Richtern jüdischen Glaubens und deren weiteres Schicksal. Auch die Rolle, die der damalige Justizminister und spätere „Generalgouverneur“ in Polen Hans Frank spielte, wird sehr gut beleuchtet, ebenso die Rolle der jeweiligen Präsidenten des Gerichts, die allesamt überzeugte Nationalsozialisten waren. Unter ihnen in diesem Sinne noch besonders hervorzuheben ist Georg Neithardt (Präsident von 1933 bis 1937), der als Vorsitzender den Prozess um den Hitlerputsch 1923 geleitet hatte. . Es gab auch Kollegen, die Widerstand leisteten, wenn auch nur einige wenige. Unter ihnen war Johann David Sauerländer, der dem Bayerischen Obersten Landesgericht angehörte, bis zu dessen Auflösung 1935. Sauerländer versuchte, gegen das lügnerisch so genannte Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3.7.1934 einen Plenumsbeschluss des BayObLG herbeizuführen. Das Gesetz sollte nicht mehr und nicht weniger, als die blanken Morde auf Befehl Hitlers im Zusammenhang mit innerparteilichen Machtkämpfen nachträglich legitimieren, Mord zu „Staatsnotwehr“ umdefinieren. Noch heute verwenden ja geschichtsblinde Zeitgenossen den zur Verharmlosung des „Mordes von oben“ von Goebbels erfundenen Begriff „Röhm-Putsch“. Ein bevorstehender Putsch der SA und vor allem ihres Stabsführers Ernst Röhm sei – so die NS-Propaganda – die alles rechtfertigende Ursache der Aktion der hitlertreuen SS gewesen, bei der außer Röhm und anderen SA- und Parteigenossen auch gleich noch missliebige demokratische Politiker aus der Weimarer Zeit und Hitlers unmittelbarer Vorgänger als Reichskanzler (!), der General von Schleicher, umgebracht wurden. Sauerländers Initiative scheiterte letztlich. Der Schlusssatz seines Beschlussentwurfes lautete: „Wir sind Richter, nicht Götzendiener“. . Unter den diskriminierten und verfolgten Richtern lernen wir auch Sigmund Elsässer kennen, der als Amtsgerichtsrat wegen der – nach NS-Doktrin – jüdischen Herkunft seines verstorbenen Vaters von verdikt 2.13 , Seite 28 Entlassung bedroht war, dann aber wegen seines Kriegsdienstes 1916 bis 1918 und durchaus auch wegen der Fürsprache von Kollegen und Vorgesetzten im Dienst verbleiben „durfte“. In der Nachkriegszeit wurde Elsässer Oberlandesgerichtspräsident (1956 bis 1966) und Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (1959 bis 1965). . Zu denjenigen unter den Richtern, denen die Verfolgungswut der Nazis galt, zählte auch der auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 (Wieder eine dieser lügnerischen Gesetzesbezeichnungen!) entlassene und alsbald in die Emigration getriebene Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner (1887 bis 1980), nach dem Krieg von 1945 bis 1946 und von 1954 bis 1957 bayerischer Ministerpräsident. . Wir lesen – die Rezensenten bekennen: mit einigem Erstaunen –, dass auch Erich Emminger (1880 bis 1951) zu den „furchtbaren Juristen“ (Ingo Müller) zählte: derselbe, der in der Weimarer Zeit kurzzeitig (30.11.1923 bis 15.4.1924) Reichsjustizminister war und dessen Name den Verordnungen anhaftet, deren eine uns bis heute andauernde (und immer wieder fortgeschriebene) Reduzierungen der Richterbank in Strafsachen gebracht hat. Er war eben nach seiner Zeit als Politiker und insbesondere MdR (1913 bis 1933, bis 1918 für die Zentrumspartei, danach für die Bayerische Volkspartei) wieder Richter am Obersten Landesgericht (ab 1935 OLG) in München geworden. Von 1946 bis 1949 war Emminger dann Senatspräsident am wieder errichteten BayObLG. Warum wir Emminger zu den „furchtbaren Juristen“ rechnen? Wir stoßen auf ihn in Ludygas Hauptteil (S. 135 bis 263), der die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München zwischen 1933 und 1945 schildert. Die Übersicht umfasst alle Rechtsgebiete und widerlegt zum wiederholten Male die These von der „Sauberkeit“ der Justiz außerhalb der politiknahen oder ideologiegeneigten Rechtsgebiete. Nicht nur die Beispiele zum Zivil- und Zivilprozessrecht zusammenfassend, sagt Ludyga treffend (S. 149) nach der Schilderung einer Willkürentscheidung von 1935 zum Verlagsrecht1: 1 Der Kommentator des Erbrechts im „Staudinger“ Felix Herzfelder hatte auf sein vereinbartes Honorar gegen den J. Schweitzer Verlag und seine Inhaber Arthur Sellier, Arthur Louis Sellier und Johann Georg Auer geklagt. Das OLG hielt, gestützt auf § 242 BGB, den Anspruch für unberechtigt, weil „dem Verlag … die Erfüllung der durch den Verlagsvertrag von 1929 übernommenen Verpflichtung , das Werk des Klägers zu vervielfältigen und zu verbreiten…, aus einem nach Entstehung eingetretenen Umstand unmöglich geworden (ist) und er damit nach § 275 BGB insoweit von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden ist.“ (OLG München, zitiert „Die Entscheidung zeigt, dass sich die Entrechtung von Juden nicht etwa auf sogenannte Rassenschande-Urteile oder Eheanfechtungen beschränkte. Vielmehr bezog sich die Entrechtung von Juden vor dem Oberlandesgericht München auf alle Rechtsbereiche. Im Übrigen billigte das Gericht unter Bestätigung der landgerichtlichen Entscheidung Herzfelder einen Entschädigungsanspruch zu.“2 . Nun zu Emminger in diesem Zusammenhang: Ludyga führt die strafrechtlichen Beispiele auf, dass Emminger als Beisitzer im 1. Strafsenat 1936 an einer Rechtsprechung in „Rassenschandesachen“ mitgewirkt hat, die noch über die Vorgaben der Nürnberger Gesetze, insbesondere des „Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ hinausging (S. 171 ff); dass der Senat ferner unter seinem Vorsitz 1944 eine Strafe von zwei Jahren Gefängnis wegen „Wehrkraftzersetzung“ gegen eine Frau verhängt hat, die geäußert haben soll: “Der Krieg wird in 1 – 2 Monaten … zu Ungunsten Deutschlands zu Ende sein und dann werden die besiegten Nationen wie Frankreich, wieder das Fleisch und Deutschland wird die Kartoffeln essen, Deutschland wird dann, so groß es jetzt ist, wieder so klein werden.“ (S. 197). . Das Werk hat ein imponierendes Quellen- und Literaturverzeichnis. Das ebenfalls beigegebene Namensregister ist hilfreich. An vielen Stellen kann der Leser erkennen, dass der Autor bei seiner erfolgreichen Suche nach weiteren Spuren dankbar (und selbstverständlich mit Belegen) den Wegen nachgegangen ist, die Helmut Kramer, Ingo Müller und Hans Wrobel gebahnt haben und die noch längst nicht „auserforscht“ sind (s. dazu Böttcher, „Die Rosenburg“ in diesem Heft, S. 28 zum Forschungsvorhaben des BMJ zur NS-Vergangenheit des eigenen Hauses). . Ludygas Buch zum Oberlandesgericht München ist eine gute und hilfreiche Regionalstudie, die die Forschungslandschaft bereichert. Es ist informativ und ein wichtiger und guter, wenn auch etwas später Beitrag der Justiz zur Aufklärung ihrer Rolle in der NS-Zeit. nach Fn 667 bei Ludyga S. 148. Ludyda zitiert hier noch (Fn 664 und 666) Tilmann Krach, der darauf hinweist, dass die Parteien erstmals im Jahr 1897 (!) einen Verlagsvertrag geschlossen hatten und dass der seit 1889 als Rechtsanwalt zugelassene Herzfelder bei Prozessbeginn 70 Jahre alt war und seit 1898 Mitherausgeber des „Staudinger“ und verantwortlich für die Kommentierung des Erbrechts; er konnte 1938 nach Palestina fliehen und starb 1944 in Haifa. 2 Bei Ludyga S. 149, mit Verweis wiederum auf Krach in Fn 669 Hans-Ernst Böttcher „Die Rosenburg“ – oder: das Forschungsvorhaben der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim BMJ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit1 „Da will doch jetzt das BMJ tatsächlich untersuchen, ob und in welchem Umfang es in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland alte Nazis in seinem Hause gab!“ So hieß es ironisch in Kreisen aufgeklärter JuristInnen und ZeitgeschichtlerInnen des Rechts, als die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger Anfang dieses Jahrzehnts eine Unabhängige Kommissionbeim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (UWK) berief. 1 So lautet der offizielle Titel der Kommission. Was bei Wortauslegung nicht sogleich klar wird: Es geht um die NS-Vergangenheit von (leitenden) Mitarbeitern des BMJ und um die Auswirkung der Tätigkeit der alten Eliten auf die Verwaltung und Gesetzgebungsvorbereitung „des Hauses“ und darüber hinaus auf Staat und Gesellschaft der jungen Bundesrepublik. Zugleich eine Besprechung von: a) Manfred Görtemaker/Christoph Safferling, Die Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit, eine Bestandsaufnahme, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2013; im folgenden: „Bestandsaufnahme“ b) Bundesministerium der Justiz/Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim BMJ zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, 2. Symposium: Die Verantwortung von Juristen im Aufarbeitungsprozess, Berlin (Eigendruck) 2013; im folgenden: „Verantwortung“ c) Ralph Giordano, Der perfekte Mord – Die deutsche Justiz und die NS-Vergangenheit. Mit einem Geleitwort von Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2013 verdikt 2.13 , Seite 29 . „Die Rosenburg“ – so hieß der erste Sitz des BMJ in Bonn und so heißen denn (s. Fn. 1) auch zwei der drei Bände die bis jetzt (oder soll ich sagen: schon jetzt?) dem Vorhaben gewidmet sind. „Die Rosenburg“ als Buchtitel mit entsprechender Bebilderung - das klingt dunkel und geheimnisvoll. Und das Schlösschen auf der Höhe über Bonn, das uns auf den beiden Titelblättern präsentiert wird (bei der „Bestandsaufnahme“ das Bild im Chamois-Ton, also auch schon leicht braun, der Titel in braunrot; bei der „Verantwortung“ das Bild auf weißem Grund, der Titel auf blauem Grund, oben links das heute übliche Logo des BMJ mit Bundesadler und dem ganz schmalen Schwarz-RotGold), sieht auch so aus. Wenn Sie mich fragen: Die Herausgeber begeben sich in die gefährliche Nähe der mythischen Verklärung eines ernsten Sachverhalts. Soll hier ein Krimi präsentiert werden oder die Arbeit einer wissenschaftlichen Kommission? Aber der Reihe nach und „zur Sache“: . Es soll hier nicht noch einmal der Frage nachgegangen werden, wie und warum es zur Auswahl gerade dieser beiden Leiter des Forschungsprojekts2 kam. Sie haben ihre Bewährungsprobe vor sich. Am Ende werden sie sich fragen lassen müssen, ob sie über den Stand der Erkenntnis hinausgekommen sind, zu dem Reinhard Strecker schon Ende der fünfziger Jahre3 und später Helmut Kramer4, Ingo Müller5, Hans Wrobel6 oder Klaus-Detlev Godau-Schüttke7 beigetragen haben, von Zeitzeugen aus Wissenschaft und Justizpraxis, die sowohl Widerstand geleistet und Verfolgung im NS erlitten haben als auch wissenschafts- und/oder justizpolitisch in der Bundesrepublik eine Rolle spielten wie Wolfgang Abendroth, Fritz Bauer und Richard Schmid8 ganz abgesehen. . Vielmehr will ich (2.) von den nach außen wahrnehmbaren Aktivitäten bis heute9 berichten und dann (3.) ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf den Inhalt der Veröffentlichungen eingehen. . 2012 haben eine Auftaktveranstaltung im Kammergericht in Berlin10 und eine weitere Veranstaltung im Landgericht Nürnberg11 stattgefunden, jeweils absichtsvoll in den damaligen Sitzungssälen des IMT. Im Mai 2013 gab es dann in Berlin eine expertenöffentliche gemeinsame Konferenz der Repräsentanten der Kommission beim 2 Auch wenn beide zur Thematik des Forschungsprojekts Berührungspunkte hatten, so waren sie jedoch nicht oder nicht in erster Linie mit Arbeiten zu diesem Bereich befasst und hervorgetreten. 3 Ich denke an die von ihm konzipierte Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ 4 Als Beispiel für viele: Die Aufarbeitung des Faschismus durch die Nachkriegsjustiz in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Ernst Böttcher (Hrsg.), Recht Justiz Kritik – Festschrift für Richard Schmid zum 85. Geburtstag, Baden-Baden (Nomos) 1985, S. 107 ff 5 Insbesondere: Furchtbare Juristen – Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz, München (Kindler) 1987 6 Verurteilt zur Demokratie – Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945 – 1949, Heidelberg (Decker&Müller) 1989 7 Ich habe doch nur dem Recht gedient – Die „Renazifizierung“ der Schleswig-Holsteinischen Justiz nach 1945, Baden-Baden (Nomos) 1993; Der Bundesgerichtshof – Justiz in Deutschland, Berlin (Verlagsgesellschaft Tischler) 2005 8 Sie kommen übrigens im Gegensatz zu den Vorgenannten im Literaturverzeichnis nicht vor – dazu auch noch später unter 2. 9 Sie sind – den heutigen Standards entsprechend, aber wohl auch absichtsvoll, um einen transparenten Forschungs- und Kommunikationsprozess zu dokumentieren (dies wohl auch um einer kleinen Polemik gegen die Kollegen Forscher zum AA willen), auf der Website des Projekts www.uwk-bmj.de nachgezeichnet. Dort findet sich auch unter „Forschungsgegenstand“ eine einigermaßen präzise Beschreibung desselben. Eine etwas vertieftere Beschreibung findet man auf der Website der Universität Potsdam www.uni-potsdam.de) unter „Historisches Institut“, dort weiter zu Prof. Görtemaker und „Drittmittelprojekte“. 10 Dazu die Eröffnungsansprachen in der Broschüre zu d) und die Dokumentation zu a) in Fn 1 11 Dazu „Verantwortung“, s. zu b) in Fn 1 BMJ mit Vertretern von Kommissionen bei anderen Ministerien oder sonstigen Behörden des Bundes. Es waren dies: Das AA, das BMF, das BMAS, das BMWT, der BND (!), das BKA, das BFV und das BMI. Die hochspannende Tagung kann in einem Videomitschnitt auf der Website der UWK 12 verfolgt werden. So sehr offenbar jetzt, zwei Generationen nach dem Kern des untersuchten Zeitraums (1945/49 bis in die sechziger Jahre des vergangen Jahrhunderts), in gleicher oder jedenfalls ähnlicher Weise alle genannten Institutionen an ihrer eigenen Geschichte interessiert sind, so unterschiedlich sind die Budgets, der Untersuchungszeitraum (Einige beschränken sich strikt auf die oben angesprochene „Kernzeit“ - natürlich samt ihrer NS-Vorgeschichte, das ist dem Thema ja eigen! - , andere fassen den Untersuchungszeitraum länger, und zwar in beide Richtungen der Zeitachse), die Zusammensetzung der Kommissionen, ihre jeweilige Arbeitsweise und interne Struktur, auch das Alter der ForscherInnen. Einige können schon fertige Ergebnisse präsentieren (AA und BKA), andere stehen, ähnlich wie das BMJ, erst am Anfang. Alle legen Wert auf die – von den jeweiligen Auftraggebern respektierte – Unabhängigkeit als Wissenschaftler. Im Juni schließlich wurde, wiederum in Berlin, der Band „Bestandsaufnahme“13 medienöffentlich präsentiert und bei dieser Gelegenheit hielt Ralph Giordano eine – ich wage das Wort – ergreifende Rede, die das BMJ dankenswerterweise inzwischen in einem eigenen kleinen Band veröffentlicht hat.14 Beginnen wir bei einer ersten kurzen Betrachtung des Inhalts der Veröffentlichungen mit dem Bändchen von Ralph Giordano! Einige unserer LeserInnen werden sich noch an ihn und seine Rede auf dem Richterratschlag in Damp/Schleswig-Holstein im November 1994 erinnern. Damals nahm er mit Staunen und Freude wahr, dass Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihn einladen und dass sie für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat stehen. Nun erinnert er an erlebte und erlittene Diskriminierung und Verfolgung bis 1945 und danach und begrüßt leidenschaftlich das Vorhaben des „Gerechtigkeitsministeriums“, sich der eigenen braunen Vergangenheit zu stellen. Man kann fast den Eindruck haben, Giordano sehe – nach Lektüre des ersten großen Bandes („Bestandsaufnahme“) – das Werk schon als vollbracht an15. Davon aber kann, auch aus Sicht der Projektleiter, noch längst nicht die Rede sein. Ralph Giordanos Befreiungsschrei ist durchaus verständlich. Und er erklärt ihn auch16: „..lese ich: ‚Das westdeutsche Justizwesen ist in den drei Jahrzehnten nach dem Krieg in ganz erheblichem Maße von einstigen Parteigängern des NS-Regimes bestimmt worden.‘ Das ist einer jener Ecksätze, die schnörkellos eine historische Schande beim Namen nennen, … Ist es doch ein Thema, mit dem ich mich mein ganzes Leben befasst habe und hier nun auf einen Ton stoße, auf den ich so lange vergeblich gehofft hatte: Konfrontation mit den konkreten Handlungen; politische und moralische Unbestechlichkeit; innere Positionen, die unberührt sind vom Dunst der Täter- und Mittäterschaft – das Ende der Verdrängung.“ Aber auch abgesehen von diesem wichtigsten inhaltlichen Punkt trifft Giordanos (zu) frühes Lob durchaus etwas Richtiges: Wer als Außenstehender die Öffentlichkeitsarbeit der Kommission und des BMJ erlebt, der fragt sich, ob hier Vorhaben 12 S. Fn 4 13 S. Fn 1, dort a) 14 S. Fn 1, dort c) 15 Auf S. 15 nennt er die „Bestandsaufnahme“ … „ein wahres Schwergewicht an politischer Aufklärung“, sagt: “Vor uns liegt eine bedeutende materielle und mentale Investition für die Zukunft“ und spricht jetzt schon vom „Opus Magnum“. 16 Ebenfalls S. 15 verdikt 2.13 , Seite 30 angekündigt werden, ob es sich um Zwischenberichte handelt oder ob hier schon Ergebnisse präsentiert werden. Die Wahrheit und zugleich das Problem liegen in der Mitte: Bei den beiden Bänden „Bestandsaufnahme“ und „Verantwortung“ handelt es sich jeweils um ein mixtum compositum. Ich meine, solche Irrtum erregende Veröffentlichungspraxis sollte vermieden werden.17 in „Bestandsaufnahme“ sind die meisten Beiträge, nämlich diejenigen von Ulrich Herbert18, Horst Dreier19, Thomas Vormbaum20, Christoph Safferling21, Jan Thiessen22 und Dieter Schwab23 eher Hintergrundberichte, als dass sie schon direkt etwas mit dem eigentlichen Thema des Forschungsprojektes zu tun hätten, bei Dreier mit Ausnahme der Notiz zu dem NS-belasteten zunächst im BMJ tätigen späteren Bundesverfassungsrichter Willi Geiger.24. Eine Ausnahme ist Bernd Rüthers. Er bringt25 eine Art Thesen (Er nennt sie Hypothesen) – Das ist mehr als nur eine Wiederholung des verdienstvollen Teils seines Lebenswerkes, nämlich seiner kompromisslosen Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte des Rechts und der Justiz und insbesondere mit den opportunistischen juristischen Mittätern der Barbarei an Hochschulkathedern, an Schreibtischen der Verwaltung und in den Sitzungssälen der Justiz. Rüthers skizziert, jedenfalls passagenweise, vorstellbare Bestandteile eines Forschungsprogramms. Der Text hätte allerdings, insbesondere hinsichtlich seiner Gliederung, eine redaktionelle Überarbeitung verdient gehabt. Interessant ist bei Manfred Görtemakers Einleitung26 des Bandes, dass bei der Schilderung früherer Anläufe des BMJ, die braune Vergangenheit 1933 bis 1945 und dabei auch die Nachkriegsgeschichte einschließlich des Wiederauftauchens der alten Eliten auch im eigenen Hause aufzuklären, immer wieder, um nicht zu sagen: nur, Justizminister mit FDP-Parteibuch vorkommen, insbesondere, außer Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Herren Engelhard und Kinkel (die ja, neben den eigentlichen „Machern“, den Referenten im BMJ, durchaus Verdienste z.B. um die großen Wanderausstellungen zur NS- und zur SED-Justiz haben). Die Hausleitungen aus der SPD, hier insbesondere Minister Vogel und Staatssekretär de With (mit ihrem „Ghostwriter“ Hans Wrobel27) kommen als Aufklärer mit ihren durchaus auch vorhandenen Meriten nicht oder allenfalls am Rande vor. Dem Leser erschließt sich nicht, wie bei diesem Befund Michael 17 Im weitesten Sinne, also einschließlich der bereits veröffentlichten Bücher und/oder Broschüren 18 Bei Erscheinen dieses Heftes (Anfang November), dessen Redaktionsschluss der 1. 10. 2013 war, wird gerade vom 25. bis 27. 10. die diesjährige Wissenschaftliche Tagung des Forums Justizgeschichte e.V. in Wustrau stattgefunden haben. Dort wird Safferling vor einem fachkundigen und kritischen Publikum über das Vorhaben berichten und womöglich die Struktur des Vorhabens und die „Veröffentlichungspolitik“ näher erläutern. Deshalb für alle Fälle hier die Website des Forums, auf der sicher alsbald über die Tagung berichtet werden wird: www. forum-justizgeschichte.de. Oder sollte – bei aller Unabhängigkeit der Kommission – hinter dem Veröffentlichungseifer der Wunsch der – damals gewiss noch auf Wiederwahl hoffenden - Ministerin stecken, mit dem Vorhaben und damit verbundenen eigenen Auftritten möglichst oft in den Medien präsent zu sein? 19 Justiz und NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik 1945 – 1970, S. 43 ff 20 Das Bundesministerium der Justiz und die Verfassungsentwicklung in der frühen Bundesrepublik Deutschland, S. 88 ff 21 Die „strafrechtliche“ Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justizverbrechen in der Nachkriegszeit, S. 142 ff 22 „…daß es sich empfiehlt, generell tabula rasa zu machen…“. Die Anfänge der Abteilung II – Strafrecht im BMJ, S. 169 ff 23 Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsrechtler im Schatten der NS-Vergangenheit, S. 204 ff 24 Entwicklungen im Familienrecht vor und nach 1945, S. 296 ff 25 S. 95 ff 26 Die Gesetzgebung – Vom ‚Dritten Reich‘ zur Bundesrepublik Deutschland. Vierzehn Hypothesen, S. 119 ff 27 In eigener Sache. Das BMJ und seine Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, S. 17 ff Stolleis28von einem „mit dieser Tagung begonnenen29 Forschungsprojekt“ sprechen kann. Zu loben ist in „Bestandsaufnahme“ grundsätzlich das hilfreiche und weiterführende Literaturverzeichnis. Allerdings fehlen hier, wie bereits angemerkt30, Namen wie Richard Schmid, Wolfgang Abendroth und Fritz Bauer. Möglicherweise liegt hier ein – noch zu korrigierendes! – Manko auch des Forschungsansatzes zu Tage: die Beschränkung auf die „rein akademische“ Literatur unter Ausklammerung der aus der Praxis entsprungenen und/oder (auch) politisch wertenden. Man könnte auch mit Handke sagen: „Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter“ oder im Klartext gefragt: Scheuen sich die Herausgeber, bei der Kritik der Renazifizierung (wie es der Schleswig-Holsteinische Innenminister Pagels (CDU) verzweifelt 1948 nannte31) des Öffentlichen Dienstes der werdenden Bundesrepublik Deutschland, auch die radikalen Kritiker (und zugleich intimen Kenner) von Hochschulen, Justiz und „besserer Gesellschaft“ im NS und in der Nachkriegszeit zu Wort kommen zu lassen? Anzumerken ist als kleine Kritik auch noch, dass gelegentlich im Text geheimnisvolle „Literaturbelege“ auftauchen, die sich im Literaturverzeichnis nicht finden, so Fn 65 auf S. 41: ‚Ausarbeitung „Die Rolle des Justizressorts im NS-Regime und personelle Kontinuitäten nach 1945 sowie deren Aufarbeitung durch das Bundesministerium der Justiz“, S. 3‘32 f. Während die „Bestandsaufnahme“ groß aufgemacht und in einem richtigen Verlag erschienen ist, kommt die „Verantwortung“ bescheidener daher: als im Eigendruck erschienene Broschüre. Sie hat aber nicht minderes Gewicht. Safferlings Beitrag� führt vom Titel her etwas in die Irre. Es handelt sich um Prolegomena zu einer näheren „Würdigung“ der Tätigkeit von Eduard Dreher im BMJ. Ein Höhepunkt des Bandes ist der Abdruck des Vortrages des israelischen Anklägers im Prozess gegen Adolf Eichmann Gabriel Bach33 kaum minder derjenige des Untersuchungsrichters im Frankfurter Auschwitz-Prozess Heinz Düx34. Der frühere Präsident des BGH Günter Hirsch, der am Ende seines richterlichen Berufslebens zu klaren Worten zur NS-Vergangenheit der deutschen Justiz gefunden hat, schließt sich an35. Nicht genug kann man – wie er36 auf das (sinnigerweise in einem Prozess gegen einen DDR-Richter wegen Rechtsbeugung ergangene) Urteil des BGH v. 19. 11. 199537 hinweisen, in dem eine neue Generation von RichterInnen den (auch von Hirsch beschriebenen) Skandal des „freisprechenden“ Umgangs der deutschen Strafjustiz und insbesondere des BGH mit den NS-Richtern beim Namen nennt. Einen würdigen Abschluss des Bandes bildet der Beitrag der Göttinger Rechtshistorikerin Eva Schumann38. Insgesamt ist aber von allen 28 Regierungsdirektor im BMJ, später Senatsrat in Bremen. Er kommt nur am Rande und mehr wegen Bremen-bezogener Veröffentlichungen vor, sieht man von der „rührenden“ Geschichte ab, dass sein wichtiges Buch „Verurteilt zur Demokratie“ in hoher Zahl vom BMJ angekauft und an Gäste verschenkt wurde – auch dies sei eine Form der Förderung wissenschaftlicher Arbeiten und Veröffentlichungen gewesen, heißt es bei Görtemaker. So kann man es auch nennen…: Hans Wrobel hat das Buch als Privatgelehrter geschrieben – ein bitteres Los, wie außer ihm auch Theo Rasehorn, Helmut Kramer, der leider viel zu früh gestorbene Diether Huhn und viele andere( auch der frühe Ingo Müller!) wissen. 29 Schlussbemerkungen, S. 327 ff, 331 30 Hervorhebung der Verfasserin 31 In Fn 9 32 Nachzulesen bei Godau-Schüttke „Renazifizierung“, s. Fn 7 33 Möglicherweise soll sich die Fn auf einen Vortrag von Ingo Müller bei der DRiAk beziehen, dies bleibt aber für den Leser unklar. 34 Die Arbeit der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission, S. 15 ff 35 Der Prozess gegen Adolf Eichmann, S. 24 ff 36 Der Frankfurter Auschwitzprozess, S. 42 ff 37 Die bundesdeutsche Justiz und die Aufarbeitung des NS-Unrechts, S. 57 ff 38 S. 67 f verdikt 2.13 , Seite 31 Beiträgen (auch) dieses Bandes zu sagen, dass sie eher Bekanntes berichten und zusammenfassen (also ebenfalls mehr einen Hintergrundbericht geben), als dass sie einen Forschungsansatz beschreiben oder präzisieren. . Zum Schluss: Jetzt müssen wir dem Projekt erst einmal wünschen, dass wer auch immer als BundesjustizministerIn und natürlich ebenso der oder die, neue oder alte FinanzministerIn das Projekt mit der gleichen Verve unterstützt wie Frau LeutheusserSchnarrenberger und offenbar Herr Schäuble; und vor allem natürlich: der Haushaltsgesetzgeber. Aber wer wird sich da verweigern wollen? „Man trägt das heute!“ – 50 bis 60 Jahre danach … Benennen wir es positiv: Niemand kann und wird sich heute mehr der Aufgabe entziehen, die systematische und vertiefte Erforschung der Verstrickung der deutschen Juristen in der Zeit des Nationalsozialismus zu fördern, ganz besonders natürlich zu den Akteuren und ihren Taten im BMJ der frühen Bundesrepublik als der Schaltstelle für den juristischen Blick zurück ebenso wie nach vorn. . Nötig ist es allemal. Also: freuen wir uns darüber und seien wir gespannt auf die weitere transparente Planung und Durchführung und vor allem die Ergebnisse … und dass sie in Rechts- und Personalpolitik, in Juristenaus- und – Fortbildung bedacht, umgesetzt und gelebt werden. Impressum Herausgeber Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Frank Bsirske, Vorsitzender Achim Meerkamp, Mitglied des Bundesvorstandes Fachbereich Bund + Länder Paula-Thiede-Ufer 10 10179 Berlin Fachgruppen Niedersachsen/Bremen Hamburg Schleswig-Holstein/ Mecklenburg-Vorpommern Berlin/Brandenburg Bayern/Sachsen-Anhalt Nordrhein-Westfalen Hessen Presserechtlich verantwortlich Barbara Wederhake ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Justiz barbara.wederhake@verdi.de [RECHTS-LINKS] . Unsere heutigen RECHTS LINKS befassen sich noch einmal mit geschichtlichen Aspekten des Rechts. denn ohne historisches Verständnis geht es nun einmal auch im juristischen Alltag nach wie vor nicht. www.justizgeschichte-aktuell.de . Dies ist die Webseite von Helmut Kramer, Jurist und Historiker sowie Mitglied der verdikt-Redaktion. . Einer der Schwerpunkte der Webseite befasst sich mit der juristischen Zeitgeschichte, vor allem mit der NS-Justiz und einigen bis heute andauernden Defiziten bei der Aufarbeitung. Die Rubrik „Gedenkstätte Wolfenbüttel“ berichtet kritisch über diese bundesweit einzige Gedenkstätte zur NSJustiz und zu den besonders interessanten juristischen Schreibtischtätern. Dabei ersetzt Helmut Kramer deren von ihm als mangelhaft geschilderte Arbeit durch eigene Forschungsergebnisse mit teils ausführlichen Biographien, die an die Schicksale von Justizopfern und die Karriere der in der Bundesrepublik vor Strafe verschonten juristischen Schreibtischtäter erinnern. . Mit den Nachwirkungen der NS-Justiz und der Notwendigkeit einer auf die Gegenwart bezogenen Vergangenheitsbetrachtung beschäftigen sich Texte, wie sie u. a. in den Rubriken bzw. Unterrubriken „Juristen und Krieg“, „Kriegsverrat“ und „Bundeswehrjustiz durch die Hintertür“ nachzulesen sind. Unter dem Stichwort „Lernen aus der Geschichte?“ widmet sich ein Text dem Thema „Legalisierung und Verrechtlichung von Unrechtshandeln im Nationalsozialismus und von Menschenrechtsverletzungen heute“. . Eine Plattform für Rezensionen geschichtlicher Werke ist das Internetjournal sehepunkte www.sehepunkte.de. . In der Ausgabe 2/2013 finden sich u.a. Besprechungen zu Büchern über die Vernichtung der indigenen Völker Kaliforniens in den 1850er und 1860er Jahren, über den Aufbau freier Gewerkschaften in der DDR nach der Wende oder über Griechenland zwischen 1940 und 1950 – eine traumatische Epoche, die für das Verständnis der heutigen griechischen Probleme sicherlich von großem Wert ist. UB Redaktion Dr. Bernd Asbrock Martin Bender Hans-Ernst Böttcher Uwe Boysen Dr. Helmut Kramer Christian Oestmann Klaus Thommes Kontakt redaktion.verdikt@verdi.de http:// verdikt.verdi.de Art Direction/Layout block\m Büro für Gestaltung. Hannover Gestaltung/Druck Interdruck Berger + Herrmann GmbH, berger@interdruck.net Auflage 3.300 Stück Papier Recyclingpapier aus 100 Prozent wiederaufbereiteten und de-inkten Fasern SICHER IST SICHER Mit unserer Dienst- und Vermögensschadenhaftpflicht Darüber braucht man eigentlich nicht zu sprechen: Nur mit einer vernünftigen Privathaftpflichtversicherung geht der kluge Mensch auf Nummer Sicher. Darüber sollte man allerdings sprechen: Die Möglichkeit, die bestehende Privathaftpflichtversicherung mit einer leistungsstarken Dienst- und Vermögenshaftpflicht zu ergänzen, auf die kein/e Beschäftigte/r des öffentlichen Dienstes verzichten kann. Und das: ★ Mit 3 %-Nachlass zusätzlich zu allen Nachlässen für ver.di-Mitglieder und ihre Angehörigen Ausführliche Informationen. Persönliche Beratung ★ Ein Klick: www.verdi-Mitgliederservice.de/ver.dikt ★ Eine Mail: info@verdi-servicegmbh.de in Partnerschaft mit