Über den Wolken ist die Zukunft weiblich

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Über den Wolken ist die Zukunft weiblich
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HAMBURG | HH 3
3. F E B RUA R 2 0 0 8
Über den Wolken ist die Zukunft weiblich
Noch ist die Arbeit
im Flugzeugcockpit
vor allem Männersache.
Doch immer mehr
junge Frauen lassen
sich bei der Deutschen
Lufthansa zu
Pilotinnen ausbilden.
Zu ihnen gehört
auch die 30-jährige
Hamburgerin
Julia Schacht
Traumberuf
im Cockpit
MEHR PILOTEN
A Die Deutsche Lufthansa hat
im Geschäftsjahr 2007 mehr als
55 Millionen Passagiere befördert. Das Unternehmen erwartet
einen Gewinn von 1,3 Milliarden
Euro. Das übertrifft das Ergebnis im Rekordjahr 2006 um
mehr als 50 Prozent. Wachstum
bedeutet neue Jobs – vor allem
auch im Cockpit: 344 Bewerber
und Bewerberinnen bestanden
2007 die umfangreichen Tests
im Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrttechnik in Hamburg. Sie schafften es zum
Lufthansa Flight Training, der
Verkehrsfliegerschule in Bremen. 2008 sollen 360 Nachwuchskräfte auf den Beruf des
Flugzeugführers vorbereitet
werden. Die Ausbildung dauert
zwei Jahre.
MEHR BEWERBER
A Pilot zu werden ist für viele
junge Menschen immer noch ein
Traumberuf: 2007 registrierte
die Lufthansa 6644 Bewerbungen für die Pilotenausbildung,
ein Rekordwert. Der Anteil von
Frauen liegt mittlerweile bei
20 Prozent. Das Abitur oder die
fachgebundene Hochschulreife
sind Voraussetzung, um zur
Grunduntersuchung eingeladen
zu werden. Wer sich bewirbt,
muss mindestens 17 Jahre alt
und unter 29 sein.
Von Lutz Peter Kaubisch
PIONIERINNEN
A Die erste Berufspilotin, die
die Kanzel eines LufthansaFlugzeuges eroberte, hieß Marga von Etzdorf. Als 20-Jährige
erhielt sie 1928 einen kurzfristigen Vertrag von der damali-
Copilotin Julia Schacht bespricht im Cockpit des Lufthansa-Airbus A340 mit Kapitän Andreas Hofmann den Ablauf des Fluges von München nach Shanghai
Seven Two Six: Push approved facing north-west.“ Die Vorfeldkontrolle weist Flug 726 an, die Nase
des Airbus auf der Rollbahn
nach Nordwesten auszurichten.
„Lufthansa Seven Two Six request
taxi“, bittet Julia Schacht um die
Rollfreigabe. „Lufthansa Seven
Two Six: Oscar Two Sierra Eight.“
Schacht quittiert den Funkspruch.
Sie hat ein Gespür dafür entwickelt,
aus dem Stimmengewirr, das
über den Kopfhörer hereinkommt,
die Anweisungen für diesen Flug
herauszuhören.
Letzte Halteposition vor der
Startbahn: Die Vorfeldkontrolle
übergibt zum Tower, zur Funkfrequenz 120.5. „One Two Zero decimal Five, tschüß“, bestätigt Julia
Schacht. „Cleared for take off “: Andreas Hofmann legt Hand an die
vier Schubhebel rechts neben sich
und drückt sie nach vorn. Die vier
Rolls-Royce-Triebwerke
leisten
ganze Arbeit. Sie beschleunigen
den 343 Tonnen schweren Airbus
auf 310 Stundenkilometer. Nach
2800 Metern zieht Julia Schacht
den Side-Stick vor der rechten
Armlehne sanft heran. Die Nase
der A340 hebt sich in den Abendhimmel von München.
Der Tower hat Flug LH 726 angewiesen, nach dem Start nach Os-
ten zu drehen, über Eggenfelden
auf Kurs Nordost einzuschwenken,
Richtung Prag. Julia Schacht fliegt
eine Linkskurve; das Flugzeug
gewinnt Höhe. Sie aktiviert den
Autopiloten. Er wird die Maschine
durch die Nacht fliegen, in 11 000
Meter über Lodz, Minsk, Moskau
und so weiter.
Jetzt ist Sandra Hille die wichtigste Person im Cockpit: Die Flugbegleiterin und Shanghai-Kennerin
bringt das Abendessen. Sie sagt
nach der Landung an, wo es langgeht auf der Sightseeingtour durch
Shanghai. Es bleiben zwei Tage bis
zum Rückflug. Julia Schacht bleiben fürs Erste zwei Stunden bis zur
vorgeschriebenen Ruhepause. Roland Wrensch verabschiedet sich in
die Kabine hinterm Cockpit.
Später in der Nacht erzählt die
30-Jährige von sich und dem Beruf.
Der Kapitän liegt in der Koje.
Wrensch hat übernommen. Geschwindigkeit über Grund: knapp
900 Stundenkilometer. Draußen
leuchten die Sterne. „Ich hatte als
Kind einen Sandkastenfreund. Der
spielte mit kleinen Modellflugzeugen aus Metall. Ich glaube, das war
der Auslöser. Nein, stopp, Bon Jovi
waren das: Von der SingleAuskopplung „Wanted: Dead or
Alive“ gibt es ein Video, da steigen
Vor dem Start
leuchtet Julia
Schacht mit der
Lampe über die
Außenhaut des
Flugzeugs, das
303 Passagiere
an diesem Abend
nach China
bringen soll
Die junge Lufthansa-Pilotin ruht
sich in einem Café
in Shanghai aus.
Zwischen Hin- und
Rückflug liegen
zwei Tage Aufenthalt in Hamburgs
Partnerstadt
sie aus ihrem Privatjet. Seitdem habe ich diesen Traum, eines Tages
deren Pilotin zu sein.“
Julia Schacht, der Bon-Jovi-Fan,
entschied sich für den realeren
Traum. Sie probierte es nach dem
Abitur mit der Bewerbung bei Lufthansa. Die Einladung zur Berufsgrunduntersuchung kam ein halbes
Jahr später. „Ich war aufgeregt, zugegeben. Eigentlich war klar, dass
ich studieren wollte. Ich wusste nur
nicht, was. Ich habe es dann einfach
versucht mit dem Traumberuf.“
Das sei der richtige Entschluss
gewesen, meint Michael Lamberty
vom Pressestab der Lufthansa:
„Die Wahrscheinlichkeit, durchs
Sieb zu fallen, ist zwar hoch. Aber
wer es nicht versucht, erfährt nie,
ob es geklappt hätte.“ Lufthansa
wirbt heute ausschließlich im Internet (www.lufthansa-pilot.de) um
Fliegernachwuchs. Dort ist alles
nachzulesen über Bewerbungskriterien, Ausbildung, Karriere. Der
Beruf ist der Plot für ein außergewöhnliches Leben, eines, das angesehen und gut bezahlt ist. Wer abheben will, muss vorher zeigen,
dass er das Zeug zum Piloten hat.
Schulische Überflieger hätten
keinen Vorteil, sagen die Nachwuchssucher. Die Fluggesellschaften brauchen junge Persönlichkeiten, die zur Firmenphilosophie passen und ihre Berufsmotivation
überzeugend vertreten.
Julia Schacht gelang, was sie sich
traute: Ihre Kenntnisse in Englisch,
Physik und Mathematik sowie die
Ergebnisse bei den Merkfähigkeitstests überzeugten die Prüfer. Sie bestand in Sachen Mehrfachbelastbarkeit, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, räumliches Sehen und Konzentrationsvermögen. Auch beim
Abschlussgespräch hinterließ sie
einen guten Eindruck. „Ein Flugkapitän fragte, warum ich Pilotin werden wolle. Ich sagte: ‚Ich will die
Frauenquote erhöhen.‘ Er lachte.“
Die junge Frau aus Hamburg bekam die Zusage, nachdem der Medizintest ebenfalls zufrieden stellend ausgefallen war. Sie lernte
Bremen kennen und täglich von
8.20 bis 14.15 Uhr alles übers Fliegen. Abends wurden die Hausaufgaben erledigt: in Flugzeug- und
Systemtechnik, Navigation, Luftrecht, Meteorologie, Funksprache.
Die Belohnung für die bestandenen
Theorieprüfungen: Phoenix im
US-Staat Arizona – die Steinwüste
+
hinter dem früheren Militärflughafen Goodyear Municipal Airport.
Von dort startete Julia Schacht auf
einer einmotorigen Piper-Archer zu
ihrem ersten Alleinflug. Sie flog
und flog und flog.
Die angehende Pilotin kam nach
Bremen zurück und flog weiter –
auf einer anderen Piper über Norddeutschland in Richtung „ATPL“,
der Airline Transport Pilot License.
Der Weg dorthin führt über jede
Menge Fleiß und „zentnerweise
Bücher“. Sie lernte den Instrumentenflug beherrschen, schaffte die
Theorieprüfung. Schacht war fast
am Ziel: Sie wurde im Simulator für
die Kurzstreckenzeit auf der A320
eingewiesen – „ein Riesensprung,
und nun sitze ich hier in diesem
Ding.“ Gut Ding will Weile haben.
„Lufthansa Seven Two Six: Descend 4200 Meter.“ In Russland und
China gilt das metrische System.
Die Stimme des Fluglotsen beendet
das Gespräch. LH 726 soll weiter
sinken. Der Airbus ist im Anflug
auf den Flughafen Pudong. Es ist
8.10 Uhr deutscher Zeit, Nachmittag in Shanghai. Keine Sicht bis 100
Meter Höhe. Kein Grund zur Unruhe: Kurz vor der Landebahn schaltet Julia Schacht den Autopiloten
ab, korrigiert mit dem Side-Stick
nach. Das war’s. „Vielen Dank,
meine Herren. Wo gehen wir hin
nachher?“ Kapitän Hofmann lässt
keine Diskussion zu: Zuerst ins
Crewhotel, dann ins „1221“; dem
besten Chinesen der Stadt – und abschließend in den Cotton-Club: Da
spielen sie Bon Jovi.
PA/DPA
Der Grossraumjet auf dem Vorfeld des Münchener Flughafens ist
nicht irgendein Flugzeug. Die Maschine, Typ A340-600, ist der längste Verkehrsflieger der Welt. Man
guckt länger hin beim Blick durchs
Panoramafenster vorm Einsteigen.
Die Männer unten auf dem Vorfeld,
die Kerosin, Koffer und Container
mit Verpflegung heranfahren, nützen dabei als Maßstab, um die
Dimension zu erfassen. Unter
den Vorfeldarbeitern steht Julia
Schacht. Die 30-Jährige hat die Sicherheitsweste über die Uniform
gestreift. Sie leuchtet mit der Lampe über die Außenhaut des Flugzeuges, überprüft Triebwerksschaufeln und Bremsbeläge.
Schacht ist erster Offizier auf
dem heutigen Lufthansa-Flug LH
726 nach Shanghai. Sie zeichnet die
Tankquittung ab. „Guten Flug“,
sagt der Fahrer. „Danke.“ Ein Händedruck. Früher reagierten manche
befremdet auf Frauen in Pilotenuniform. Die Zeiten haben sich geändert. „Ab und zu gibt es überraschte Gesichter, und manchmal
höre ich: ‚He, Du bist die erste Kollegin, mit der ich fliege.‘“
Die Verwunderung lässt sich an
Zahlen messen. Die Lufthansa beschäftigt in der „Passage“, dem Unternehmen im Konzern, das Reisenden die Welt vernetzt, 3600 Piloten. Die Zahl der Pilotinnen liegt
bei unter 300. Julia Schacht hat die
Ausbildung und die Lehrjahre als
Copilotin auf der Kurzstrecke hinter sich. Sie kennt die meisten Städte in Europa, die sie mit den kleineren Flugzeugen von Airbus anflog.
Der Passagierjet, unter dem sie
jetzt steht, ist ein Gigant mit mehr
als 75 Metern Länge und 63 Metern
Flügelspannweite. Es ist eine große
Herausforderung, ihn zu fliegen.
Julia Schacht hat das „Type-Rating“, also die Berechtigung, die
A340 zu fliegen, seit ein paar Wochen in der Tasche. „Andere wollen
auf den Jumbo. Ich bevorzuge dieses Bauwerk.“ Sie lacht. Es wird
Zeit, aus der Kälte rauszukommen,
rein in den Flieger. Die Maschine
soll um 21.10 Uhr starten, mit 303
Passagieren an Bord. Die Flugzeit
in die chinesische Hafenmetropole
beträgt elf Stunden.
Die Cockpitcrew hat sich vorhin
beim Briefing kennengelernt. Bei
jedem Einsatz hat man andere Kollegen: Das ist Berufsalltag. Der
Flugplan ist besprochen, Entfernung, Route und Kerosinverbrauch
sind berechnet; die Wetterdaten liegen vor. „Regen und fünf Grad in
Shanghai, wie in Hamburg“, kommentiert die Copilotin. „Wann regnet es nicht bei Euch?“, meint Andreas Hofmann. Der Kapitän lebt
in der Nähe von Tübingen.
Roland Wrensch, Senior First
Officer aus Augsburg, gefällt die
Stichelei. Die beiden Süddeutschen
sind wie Julia Schacht in München
stationiert. Sie schwärmen von Skigebieten und Sommeralmen. Die
Hamburgerin pendelt zum Dienst;
sie hält an der Hansestadt fest.
Hamburgern erzählt man nicht so
leicht etwas über einen Umzug
nach Bayern. Das Bordtelefon klingelt. Susanna Doemges, Purserette
auf dem Flug, Chefin der 16 Flugbegleiterinnen, meldet: „Boarding
completed“: Die Passagiere sind an
Bord. Es kann losgehen.
Der Schlepper hat das Flugzeug
aus der Parkposition gedrückt.
„Schönen guten Abend, Lufthansa
CHRISTIAN KOSAK (3)
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Eine Piper Cheyenne der Verkehrsfliegerschule Bremen
gen Deutschen Luft Hansa als
Copilotin und beflog in einer
Junkers F13 die Strecken Berlin–
Breslau sowie Berlin–Stuttgart–
Basel. Danach dauerte es genau
60 Jahre, bevor wieder Frauen
am Steuerknüppel eines Lufthansa-Flugzeugs Platz nahmen:
Im April 1988 hatten Nicola
Lunemann und Evi Lausmann
als erste Frauen ihre Ausbildung
als Berufspilotinnen bei der
Lufthansa beendet. Sie wurden
als zweite Offiziere im Cockpit
einer Boeing 737 eingesetzt.
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