Die Rehabilitierten

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Die Rehabilitierten
direkt
Unabhängige Schülerzeitung des BZM
Heft 2 / April 2009
Preis: 0,20 €
Die Rehabilitierten
Wie der Vatikan mit den Hardliner-Brüdern kuschelt
DAS BISTRO - GANZ PRIVAT
Hintergründe und Fakten zur Preisgestaltung der Kantine
»BUSHIDO ZEIGT’S ALLEN«
Der kurze Weg in den Mainstream
>> Editorial
Da sind wir aber immer noch
L
Papst, Hip-Hop und der Rest der Welt
iebe Leserschaft,
seit unserer letzten Ausgabe Ende Januar
2009 hat sich einiges in der Welt getan:
Der Winter verschwand langsam aus unserer
Wahrnehmung, die Hochsaison der Fasnet kam
und ging, das erste Schulhalbjahr ward überstanden. Doch viel gewichtiger in diesem Jahr
war für uns in der BRD die Debatte über die
Pius-Bruderschaft, welche mit der Aufhebung
der Exkommunikation vierer Bischöfe durch den
Papst entstand. Mit diesem Thema beschäftigt
sich deshalb auch die Titelstory. Das gerade
einem deutscher Papst solch ein Fehler nicht
unterlaufen darf, meint auch der Markdorfer
Gemeindepfarrer Ulrich Hundt, mit dem wir
diesbezüglich ein Interview führten.
Nach unserer ausgiebigen Reportage über
Barack Obama in der Erstausgabe, war es nun an
der Zeit, die Umsetzung seiner Wahlversprechen
kritisch zu analysieren. Unser Redakteur Maximilian Vorast befasste sich deshalb mit der
Geschichte und Zukunft des US-Straflagers
Guantanamo, welches als Symbol der Ära-Bush,
nun geschlossen werden soll.
Bei aller Wichtigkeit des Weltgeschehens, wollen
wir dabei allerdings auch nicht das Schulleben
außer Acht lassen: Nach dem Start des Schulradios vor einigen Monaten steht uns wahrscheinlich bald die nächste Sendung bevor. Über erste
Reaktionen und die organisatorischen Herausforderungen, sprach DIREKT mit Andrea
Wielath, der Managerin des Projekts.
Zum Schulleben gehörte dieses Jahr allerdings
auch die Preiserhöhungen am Bistro und die
damit einhergehende Umstrukturierung unserer
Schulkantine. Wir recherchierten über Ursachen
und Wirkungen der Privatisierung des Bistros
und sprachen mit Herrn Schatz über die aktuelle
Situation an der »Futterfront«.
Wegen des direkten Bezugs zum Schulalltag,
war es für uns ebenfalls höchste Zeit, das
DIREKT 04/2009
Phänomen »Bushido« genauer zu betrachten.
Wer ist dieser Rapper aus Bonn, und was
bewirkt er mit seiner Musik bei Jugendlichen?
Ein Rebell oder nur Handlanger der Kulturindustrie? Diesen Fragen widmeten wir uns
in Form einer ausgiebigen Reportage im Kulturteil. Doch neben einer Kino- und Musicalbesprechug sollte in unserer Zweiten Ausgabe auch
die Literatur nicht zu kurz kommen. Der allgemein kaum noch bekannten Strömung des
sozialistischen Realismus widmeten wir daher
eine Zweiseitige Chronologie.
Nun hat sich aber nicht nur in der Welt und am
BZM einiges getan, nein, auch die DIREKT hat
sich nach zahlreichen Rückmeldungen etwas
weiterentwickelt: So gibt es beispielsweise ab
dieser Ausgabe neben einem leicht modifizierten
Layout auch zahlreiche Lehrerzitate und
reichere Bebilderung. Dabei hat sich nicht nur
qualitativ, sondern auch quantitativ einiges
getan: Statt 20 Seiten wie in die Erstausgabe verfügt Ausgabe Zwei nun über 4 Seiten mehr an
Text und Bild. Es bleibt festzuhalten: Wir bleiben
also auch weiterhin am Ball, und in diesem
Sinne, wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre.
Marcel Kunzmann, Chefredakteur
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>> Impressum
Die DIREKT ist eine kritisch hinterfragende Schülerzeitung.
Gegründet im November 2008 ist unser Ziel eine solidarische Schülerzeitung für alle Schularten
des BZM zu entwickeln, welche mit enger Verbundenheit zu den Interessen der Schülerschaft
den Dialog sucht und zur Partizipation einlädt.
Mit kritischem Blick behalten wir sowohl den Schulalltag als auch die Weltpolitik im Auge und
wollen der vorherrschenden Beliebigkeit neue Kontraste verleihen.
DIREKT - wer liest, versteht.
A n sc h r i ft de r Re da k t i on:
Schülerzeitung “direkt”
Bildungszentrum Markdorf
Ensisheimerstraße 30
88677 Markdorf
eM a i l:
Hom e pa ge:
A u sg ab e:
A ufla ge:
D ru c k:
B er at e nde r Le hre r:
Pre is:
Lay out:
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Che f re da kteur:
L ei t e n de r R ed ak t e u r:
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2 (04/2009)
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E. Schulz
0,20 €
Marcel Kunzmann (In Anlehnung an Niki Bong, konkret)
Lena Nöh (10a)
Marcel Kunzmann (10a)
Maximilian Vorast (11b)
>> Inhalt
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DIREKT 04/2009
Da sind wir ab er imm er noc h
Papst, Hip-Hop und der Rest der Welt
Die Reha bilit ierte n
Wie der Vatikan mit den Hardliner-Brüdern kuschelt
»Ic h s e h’ d en Kurs k ritisc h«
Der Markdorfer Pfarrer Hundt über Papst und Rückschritt
Al l e Ja h r e wi e de r
Schwäbisch-allemannische Alltagsunterbrechung
Das Bistro - ga nz priva t
Hintergründe und Fakten zur Preisgestaltung der Kantine
»Unse r Zie l hab en wir erre icht«
Andrea Wielath über Schulradio und Herausforderungen
En d e d es Te r r or s ?
Obama macht Schluss mit Guantanamo
The I nterna tio nal
Mit der Knarre durch die Krise
»B ushid o ze igt’s alle n«
Der kurze Weg in den Mainstream
Sp uren d er Ste ine
Zeugnisse einer vergessenen Kultur
We will roc k yo u (Musical)
Mainstream mal anders
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Titel
Die Rehabilitierten
V
Wie der Vatikan mit den Hardliner-Brüdern kuschelt
ielleicht erinnern wir uns noch an jene
Tage im April 2005, als Springers Blatt
mit der Überschrift »Wir sind Papst«
verkündete, dass der neue Mann im Vatikan
jetzt ein Deutscher sei. Die ersten Reaktionen der
hiesigen Katholiken auf den neuen »Stellvertreter Gottes auf Erden« waren naturgemäß
mit Stolz, Freude und Hoffnung erfüllt. Doch
stellte sich bald heraus, dass dieser »nette Hardliner«, welcher eher mit politischen Skandalendenn mit fortschrittlichem Gedankengut zu
glänzen vermag, selbst für seine Anhänger, nicht
immer nachvollziehbar handelte.
So war es dann nicht weiter überraschend, als
jener Josef Ratzinger, auch unter dem Künstlernamen »Papst Benedikt XVI.« bekannt, im Januar
diesen Jahres mit der Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der erzkonservativen
»Pius-Bruderschaft« seine Kirche wieder einmal
erfolgreich ins prä-aufklärerische Zeitalter
zurückwarf. Denn diese, 1970 vom antisemitischen Erzbischof Lefebre gegründete Bruderschaft, welcher sich der »unfehlbare« Ratzinger
wieder annäherte, ist eine Ausgeburt des geistigen Mittelalters: So werden von ihr die Men-
Die Errichtung eines Gottesstaates bleibt eine grundsätzliche
Forderung der Pius-Brüder
schenrechte, aufgrund der Anerkennung des
Atheismus abgelehnt und die Errichtung eines
Gottesstaates bleibt eine grundsätzliche
Forderung der »Pius-Brüder«. Dazu erklärte der
jetzt wieder rehabilitierte Bischhof Bernard Fellay:
»Und indem sich die Kirche eines der fundamentalen Prinzipien des modernen Staates zu eigen
machte, nämlich die Neutralität, die
Unparteilichkeit allen Religionen gegenüber,
konnte die Kirche ihr (eigentliches) Erbe
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wiederfinden. […] Anders ausgedrückt erklärt
der Papst, 1700 Jahre der Kirchengeschichte sei
außerhalb der Lehre unseres Herrn abgelaufen;
die Kirche habe während 1700 Jahren ihr Erbe
verloren und jetzt wiederentdeckt, indem sie auf
den katholischen Staat verzichtet. Wenn das kein
Bruch sein soll, was ist es dann?«
Doch auch der Deutsche Distriktobere der »PiusBruderschaft« forderte eine »christliche
Gesellschaftsordnung«, die »Unauflöslichkeit der
Ehe« sowie das Verbot von Homosexualität und
»Gotteslästerung«. Folglich lehnen die PiusBrüder demokratische Grundprinzipien ab und
fordern stattdessen, dass »Die Gewalt in Staat
und Gesellschaft nicht vom Volke, [...] nicht von
der Basis ausgeht, sondern von Gott.«
All das störte bislang unsere bürgerlichen Medien recht wenig, denn erst als der Bischof Richard
Williamson abermals öffentlich den Holocaust
leugnete und den tief verwurzelten Antisemitismus seiner Bruderschaft zur Schau stellte,
wurden auch die etablierten Medien auf diesen
Skandal aufmerksam. Die Reaktion des Vatikan:
Nichts. Während der Zentralrat der Juden in
Deutschland gegen die katholische Kirche Sturm
lief, ließ der Vatikan tagelang auf eine Stellungnahme warten. Erst am 28. Januar bezeichnete
Ratzinger, ohne Williamson namentlich zu
erwähnen, die Vernichtung der Juden in der Zeit
des Hitlerfaschismus als »Mahnmal gegen jedes
Vergessen und Leugnen« und versicherte dem
jüdischen Volk seine »volle und unbestreitbare
Solidarität«. Nach einer kurzen, aber konfessionsübergreifenden Welle der Empörung legte sich
das mediale Strohfeuer wieder und die Debatte
verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Doch so leicht lässt sich diese Entscheidung des
Papstes nicht unter den Teppich kehren, denn
sie gliedert sich ein in eine Reihe von Handlungen, die die »Erneuerung der Kirche« um
Jahrzehnte zurückwarfen. Das Williamson nicht
erst seit 2009 ein bekennender Holocaust-Leugner war, ließ sich leicht überprüfen. So sagte er,
Kommt das vom vielen Frohlocken? Joseph Ratzinger, auch bekannt als »Papst Benedikt XVI.«
nach einem Zitat des Spiegel vom 3. Februar
diesen Jahres, bereits im April 1989 bei einer
Predigt im kanadischen Sherbrooke über Ausschwitz: »Dort wurden keine Juden in den
Gaskammern getötet! Das waren alles Lügen,
Lügen, Lügen! Die Juden erfanden den Holocaust, damit wir demütig auf Knien ihren neuen
»Dort wurden keine Juden in
Gaskammern getötet! Das waren
alles Lügen, Lügen, Lügen!«
Staat Israel genehmigen. […] Die Juden erfanden
den Holocaust, Protestanten bekommen ihre
Befehle vom Teufel, und der Vatikan hat seine
Seele an den Liberalismus verkauft.« Doch damit
nicht genug: Der Gründer der 1970 entstandenen Pius-Bruderschaft, Bischhof Marcel Lefebvre, bezeichnete 1985 bei einer Predikt die
faschistische chilenische Militärjunta unter
Augusto Pinochet als »vorbildliche Regierung«.
Die offene Nähe zum Rechtsextremismus zeigte
auch das Bruderschafts-Mitglied Philippe
Laguérie, welcher bis 2004 als Priester tätig war
und die rechtsextremistische, französische »Front
National« als eine Partei bezeichnete, die »am
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wenigsten weit von dem Naturrecht entfernt«
sei. Auch in der BRD sehen sich die Mitglieder
der Bruderschaft offensichtlich in dieser Tradition: So gaben mehrere Mitglieder der PiusBruderschaft (darunter der Priester Niklaus
Pfluger) mehrmals interviews in der rechtslastigen Tageszeitung »Junge Freiheit«.
Als aufgeklärter Geistlicher, würde man doch so
jemanden als erstes wieder in die Kirche aufnehmen, oder etwa nicht? War diese Entscheidung also eine grobe Fehleinschätzung in
Verbindung mit Unwissenheit oder ein Schritt
der gezielten Restauration reaktionärer Kräfte
innerhalb der katholischen Kirche?
Betrachten wir doch, was sich ansonsten innerhalb der katholischen Kirche seit dem Pontifikat
von Papst Benedikt XVI getan hat:
Nachdem er sich am 24. April 2005 am Petersplatz erstmalig als Kirchenoberhaupt zu Wort
meldete, verkündete er: »Die Kirche lebt, die
Kirche ist jung!«
Pustekuchen: Kurz danach postulierte Ratzinger
öffentlich, dass er bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber Abtreibung und Sterbehilfe
bleibe. Im Mai 2007 äußerte sich der Papst zur
Christianisierung Lateinamerikas, die keine
Oktroyierung einer fremden Kultur, sondern
von den Ureinwohnern unbewusst herbeige-
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sehnt worden sei. Diese Darstellung bezeichnete
der Historiker Hans-Jürgen Prien im »Kölner
Stadt-Anzeiger« vom 17. Mai 2007 als eine
»unglaubliche Geschichtsklitterung.«
Zugleich wurden im Laufe seiner Amtszeit die
Ausbildung von weiteren 3.000 Exorzisten ange-
»Zuerst war Ratzinger konservativ. Heute ist er von Grund auf
Reaktionär« (Leonardo Boff)
ordnet. Zur sexuellen Freiheit meinte der Papst
bereits im Juni 2005 bei einer Tagung in Rom:
»Die Auflösungstendenzen bezüglich der Ehe,
[…] bis hin zur Pseudo-Ehe zwischen Personen
des gleichen Geschlechts sind […] Ausdruck
einer anarchistischen Freiheit, die sich zu
Unrecht als wahre Befreiung des Menschen ausgibt.« Was ist also von diesen orthodoxen Haltungen und Tätigkeiten des Vatikan, welche seit
dem Pontifikat Bededikts XVI. deutlichen
aufwind bekam, zu halten?
Gar nichts. Die Politik der Restauration
rückschrittlicher Kräfte hat System. In den 4
Jahren seiner Amtszeit als Oberhaupt der
katholischen Kirche hat dieser »nette Hardliner«
mehr zerstört, als selbst die pessimistischsten
Vatikankenner für möglich hielten. So gesehen
ist dieser Papst ein wahrer Glücksfall für alle
Freidenker, wirkt er doch als Katalysator für die
Entchristianisierung Europas, welche er doch
eigentlich verhindern wollte. Doch dieKirche ist
weit mehr als der Papst. In der heterogenen
Organisationsstruktur der katholischen Kirche
finden sich durchaus auch fortschrittliche Strömungen, die sich nicht scheuen das Wort zu
ergreifen. So resümierte der brasilianische
Befreiungstheologe Leonardo Boff letzten Sommer treffend im »Stern«: »Zuerst war Ratzinger
konservativ, heute ist er von Grund auf reaktionär. Er verurteilt alles Moderne, will die
Kirche des 19. Jahrhunderts erhalten. Ratzinger
ist ein Professorenpapst, kein Hirte. Kein Charisma, keine Ausstrahlung.«
von Marcel Kunzmann
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TERMINE
24.04 KONSTANZ, Stadttheater
um 20 Uhr: »Die Räuber« nach
Friedrich Schiller
30.04 KONSTANZ, Stadttheater
um 20 Uhr 30: »Der letzte Kosmonaut«
nach einer Idee von Christoph Nix
01.05 FRIEDRICHSHAFEN, Ufer-Muschel
ab 10 Uhr: Gewerkschaftskundgebung
(Tag der Arbeit)
10.05 MARKDORF, Theaterstadel
»Die Klasse«, preisgekröntes Drama
über die Migrationsproblematik in
Frankreich
15.05 KONSTANZ, Stadttheater
um 20 Uhr: »Der Selbstmörder«
eine satirische Komödie von Nikolai
Erdmann
20.05 KARLSRUHE, Badisches Staatstheater, um 19 Uhr: »Maria Stuart« nach
Friedrich Schiller
15.05 KONSTANZ, Stadttheater
um 20 Uhr: »Der Selbstmörder«
eine satirische Komödie von Nikolai
Erdmann
15.05 RAVENSBURG, Theater
um 20 Uhr: »Romeo & Julia« nach
William Shakespeare
In dieser Rubrik werden kostenlos Veranstaltungshinweise veröffentlicht. Termine
können vorgeschlagen werden unter:
direkt.redaktion@gmail.com
Titel
D
»Ich seh’ den Kurs kritisch«
Der Markdorfer Pfarrer Hundt über Papst und Rückschritt
as nicht alle Katholiken so denken, wie
in Rom, ist nichts Neues. Wir stellten uns
dagegen: Und führten ein Interview mit
dem Markdorfer Gemeindepfarrer Ulrich Hundt.
direkt: Zu Ihrer Person. In Markdorf dürften Sie
ja recht bekannt sein, Sie sind hier Gemeindepfarrer?
Hundt: Das bin ich, aber nicht nur für Markdorf,
sondern auch für die gesamte Seelsorgeeinheit.
Zu dieser Seelsorgeeinheit gehören noch
Bermatingen, Ittendorf, Bergheim und Hepbach.
Dort bin ich Pfarrer seit 2005.
direkt: Neulich entflammte in den Medien wieder
eine Diskussion, als vier Bischhöfe der Priesterbruderschaft St. Pius X. vom Papst wieder in die
Kirche aufgenommen wurden. Wie waren hier
in der Gemeinde die Reaktionen auf diese Debatte?
Hundt: Einerseits haben Menschen reagiert und
gesagt, dass sie das Gespräch mit mir suchen,
andererseits gab es ein paar Kirchenaustritte.
Eine weitere Reaktion war, das wir innerhalb
unseres Teams der hauptamtlichen Seelsorgeeinheit darüber gesprochen haben, weil uns das
auch nicht unberührt ließ. Wir haben es nicht
verstanden, dass das geschehen ist.
direkt: Was geschehen?
Hundt: Die Rücknahme der Exkommunikation,
vor allem weil ich nie mitbekommen habe, dass
diese Bischöfe darum gebeten haben. Mein Eindruck war, dass die sehr selbstgerecht waren
und immer das Gefühl hatten »Wir sind diejenigen, die das Rechtgläubige vertreten.«
Dieser Schritt hat mich schon überrascht, weil es
überhaupt keine Not war, niemand hat darum
gebeten und natürlich der große Schaden, dass
bei den Aufgenommen jemand dabei ist, der den
Holocaust leugnet, was in der Öffentlichkeit
nochmals mehr Bestürzung hervorgerufen hat.
direkt: Wie ist Ihre persönliche Position im
Gespräch mit den Leuten zu dieser Entwicklung
in der Kirche und zu der Reaktion des Papstes?
DIREKT 04/2009
H u n d t : Ich stehe der Wiederaufnahme der
Exkommunizierten kritisch gegenüber. Die PiusBruderschaft vertritt Ansichten, die im 2.
Vatikanischen Konzil nicht weitergeführt worden sind. Ich habe nichts davon gehört, dass
diese Bruderschaft die Aussagen vom Konzil
übernommen hätte.
Meine persönliche Haltung ist: Erstens ärgert es
mich. Zweitens finde ich es unverantwortlich.
Drittens macht es mir eine gewisse Sorge, ob
rückschrittliche Tendenzen in der Kirche die
Überhand gewinnen. Wenn mich jemand darauf
anspricht, ist meine persönliche Reaktion, dass
ich sage, wie ich dazu stehe und was ich darüber
denke, dass ich nicht mittrage was da geschehen
ist.
direkt: Was glauben Sie, sind die Ziele, die der
Papst mit der Entscheidung, die Exkommunikation zurückzunehmen im Sinn hatte, wo doch
abzusehen war, dass der öffentliche Schaden ein
großer ist?
Hundt: Finde ich schwierig zu beantworten, ich
kann das schlecht einschätzen. Mir ist aufgefallen, dass der Papst schon zu der Zeit, als er noch
Präfekt der Glaubenskongregation war, der traditionalistischen Seite immer sehr entgegengekommen ist. In theologischen Auseinandersetzungen hat er dieser Seite immer die Hand
aufgehalten. In anderen Sachen, bei Theologen,
die jetzt nicht »auf Linie« waren, kam da relativ
rasch Lehrverbot oder eine Disziplarmaßnahme.
Ich hab eine gewisse Sorge, wie er selbst zu der
Entwicklung der Kirche seit den 1960er Jahren
steht.
direkt: Wie sehen Sie die Gesamtrichtung, in die
die Kirche derzeit tendiert, und wie wirkt sich
das auf die Entwicklung an der Basis in Markdorf aus?
H u n d t : Es gibt sicher Diskrepanzen. Es gibt
immer unterschiedliche Strömungen, eine totale
Identifikation mit der Kirche kann es gar nicht
geben. Es kommt auf die grundsätzliche Zustimmen an. Im Moment habe ich das Gefühl, dass
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die Zusammensetzung des Kardinalskollegiums
relativ konservativ ist. Das ergab sich durch die
Ernennungen schon seit Papst Johannes Paul II.
Das ist unter Papst Benedikt XIV. auch nicht
besser geworden.
Insofern glaube ich, dass es da im Moment etwas
rückwärtsgewandt geht.
Ich sehe, dass vieles an der Basis dennoch weitergeht. Hier vor Ort habe ich das Gefühl, dass
die Leute kein Verlangen nach einem rückwärtsgewandten Kurs haben. Ich erlebe Markdorf als
eine offene Gemeinde.
direkt: Die traditionelle und rückwärtsgewandte
Politik des Papstes in den letzten 4 Jahren, steht
ja in krassem Widerspruch zu den Bemühungen
fortschrittlicher Kräfte innerhalb der Kirche. Wie
bewerten Sie diese Politik, die der Papst praktiziert hat?
Hundt: Ich sehe den Kurs kritisch, mir gefällt das
nicht. Was mir hilft ist, dass ich vor Ort mehr
Freiheit habe, als es vielleicht aussieht. Was mir
auch hilft ist, dass ich in unserem Bistum so Pfarrer sein kann, wie ich es vor mir verantworten
kann und wie ich es auch gern bin.
direkt: Dem Vatikan wird oft vorgeworfen, dass
die Kommunikation innerhalb der Institution
nicht richtig funktioniert habe. Steckt etwas hinter diesen Aussagen?
H u n d t : Fakt ist, dass die Kirche gerade ein
schlechtes Bild abgibt. Wenn man irgendwas
sagt und muss dann gleich zurückrudern, dass
ist immer peinlich. Das hat den Anschein, man
hat den eigenen Laden nicht im Griff. Diese Situation hatten wir jetzt ein paar Mal, und man
muss dann immer beschwichtigen und erklären
»Haja, so hat er’s nicht gemeint« und versuchen
zu entschuldigen.
Das wirft gerade kein gutes Licht auf die Kirche.
Es kann durchaus sein, dass die Kommunikation
schlecht ist. Ich finde, man hätte den Weitblick
haben müssen.
Jetzt kommt der Papst aus Deutschland, und als
deutscher hat man zu wissen, dass das Verhältnis zu Israel ein ganz sensibles ist. Selbst wenn
etwas 20 Jahre zurückliegt und man weiß es dann darf man nicht so etwas machen, wie es
jetzt passiert ist. Das halte ich für komplett
daneben.
direkt: Was halten Sie von den vielen Streitpunkten in den Positionen der katholischen Kirche,
wie z.B. dem Verbot von Frauen zur Priesterweihe, der Homosexuellenfeindlichkeit, der Äch-
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tung von Kondomen oder auch dem Zölibat?
Hundt: Das sind natürlich ganz viele Themen.
Grundsätzlich halte ich es für ein Problem, wenn
nicht diskutiert werden darf.
Zum Thema Frauenordination gab es vom Papst
Johannes Paul II. einmal die Äußerung: »Ich sage
ein für alle mal: An diesem Thema wird nicht
mehr gerüttelt, es wird keine Frauenordination
geben.« Ich denke das darf man nicht machen,
das hat ja etwas von einem Denkverbot.
Ein Problem in der katholischen Kirche ist, dass
der klammheimliche Satz besteht: »Die Kirche
darf nicht irren, und wenn in den 30er Jahren
etwas gesagt worden ist, sagen wir jetzt nichts
anderes, sonst könnte man ja meinen wir
müssten uns korrigieren.«
Das halte ich für schwierig. Es ist grundsätzlich
nötig darüber zu diskutieren, Ämter für Frauen
zu öffnen.
Beim Thema Homosexualität, denke ich, hat man
sich vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen
verschlossen oder zieht einseitig Forscher zu
Rate, die auf Linie sind. Ich denke, das müsste
man ohne Berührungsängste anschauen und
sagen: Menschen empfinden so und finden sich
so vor.
Das ist weder Krankheit noch Sünde, es gibt
deshalb keinen Grund sie auszugrenzen oder zu
diskriminieren.
Zum Thema Kondomverbot: Wenn man sich
anschaut, wie viele sich an Aids infiziert haben in
Afrika, ob man das verantworten kann. Ich halte
es für problematisch am Kondomverbot
festzuhalten. Ich würde für eine Gewissensentscheidung plädieren.
direkt: Würden Sie es begrüßen, wenn man ab
sofort Frauen und Homosexuelle zum Priesteramt zulassen würde?
Hundt: Frauen würde ich sagen, muss man auf
alle Fälle sauber diskutieren, ob die Kirche
mitkann. Und Homosexuelle: Auf alle Fälle.
Warum sollten sie nicht geweiht werden können?
Ich bin überzeugt, es gibt ganz viele Homosexuelle Priester, mein Verdacht ist, dass die Kirche
sehr wohl weiß, dass das so ist, aber im Grunde
interessiert das keinen.
direkt: Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führten Marcel Kunzmann und
Maximilian Vorast.
Interna
A
Alle Jahre wieder
Schwäbisch-allemannische Alltagsunterbrechung
ls gegen 9 Uhr 30 so gut wie alle Schüler
»befreit« worden waren, die Schulleiter
ihre traditionelle Fasnetansprache im
Foyer gehalten und ihre »Bildungsgutscheine«
unter das Schülervolk gebracht hatten, konnte
die alljährliche Fasnetfeier in der Turnhalle
beginnen. Unter dem gleichnamigen Abimotto:
»kABItän Blaubär – 13 Jahre Lügengeschichten«
organisierte die Abschlussklasse die feucht fröhliche Piratenparty. Als sich alle Schüler in der
mottogetreu dekorierten Halle (»freiwillig«) einfanden , konnte die Feier unter der routinierten
Moderation von Lutz Biemann und der sanftklingenden Sarah von Keudell beginnen. Wie
immer füllte sich die Lehrerlounge rasch. Enttäuschend für manche jedoch, dass Herr Kauderer trotz einer Extraeinladung der Moderatoren
»kABItän Blaubär« lautete das
diesjährige Motto der Feier
nicht auf der Sitzgelegenheit Platz nahm. Einer
ließ sich diese Gelegenheit jedoch nicht nehmen:
Der ehemalige Schulleiter Barisch nutzte den
Anlass um der Schule einen Besuch abzustatten.
Nachdem »Käpt’n Blaubärs Schiffskapelle«
einige Partysongs gespielt hatte, wurde das erste
Lehrer vs. Schüler Spiel angekündigt. Den Hindernislauf mit zusammengebundenen Beinen
gewannen wie gewohnt die Schüler. Selbige
mussten sogleich jedoch einer herbe Niederlage
beim Balkenringen einstecken, das die Lehrer
mit 2:1 Siegen gewannen. Die beiden nächsten
Spiele mussten also entscheiden, welcher der
beiden Kontrahenten als »stolzer Sieger« die
Halle verlassen konnte. Das Pizzaspiel war eine
Neuerung, die zuvor noch nie Teil der Fasnetveranstaltung war. Jedem Schüler bzw.
Lehrer wurde eine Zutat für eine Pizza zugeteilt.
Die Spieler mussten sich nun in der Reihenfolge
auf die schon bereitgelegten Matten, die als Pizzateig fungierten, legen, wie es ihnen von den
Moderatoren aufgetragen wurde. Wer die
kreativste Art besaß sich hinzulegen, entschied
das Publikum sehr »demokratisch« mit der Lautstärke seines Applauses. Nach insgesamt drei
Durchgängen stand der Sieger fest: Die Schülermassen entschieden eindeutig zu Gunsten der
Schüler. Welch Überraschung!
Im letzten Spiel ging es darum, soviel Bonbons
wie möglich zu finden, der Clou: Die Bonbons
waren in Luftballons versteckt, die wiederum in
der ganzen Halle verstreut aufgehängt worden
waren. Dieses Spiel entschieden jedoch die
Lehrer für sich, sodass der Wettkampf dieses
Jahr unentschieden ausging. Dennoch ist es
immer wieder eine Bereicherung zu sehen, dass
sich auch die weltfremdesten Philologen in der
ein oder anderen Situation nicht zu ernst
nehmen.
Zwischen den Spielen präsentierten die 12. und
die 13. Klassen ihre extra einstudierten Gruppenchoreografien. Die 13.Klasse überzeugte mit
einem »Piratentanz« und die 12. zeigte uns mit
einem »Mülltanz« ihr Können.
Am Ende beeindruckten Herr Ausfelder, Herr
Bolken, Herr Siebert und Herr Ferguson noch
mit einem beachtlich angestimmten »What shall
we do with the drunken sailor?«
von Maximilian Vorast
Schüler (im Bus): Sie sitzen jetzt wirklich seit 2 Stunden hier und schauen
aus dem Fenster raus?
Ferguson: Das nennt man chillen. Das ist cool.
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Interna
Das Bistro - ganz privat
W
Hintergründe und Fakten zur Preisgestaltung der Kantine
elcher Schüler hat sich nicht schon
einmal über das aufwendige
Vorbestellen der Tagesessen und den
hohen Preis geärgert? Welche Eltern beschwerten sich nicht schon einmal über den viel zu
hohen Anteil an Süßwaren und Fastfood im
Angebot der Schulkantine „Bistrino“? Sie
„unsere“ zu nennen wäre eine groteske Verdrehung der Tatsachen, da sie sich nun schon
seit mehr als einem Jahrzehnt in privater Hand
und nicht, wie einst in staatlicher befindet. Nicht
nur damals spürte man die Veränderung, auch
heute wird, nicht nur beim Betrachten der Preise,
klar: Es handelt sich um ein privates
Unternehmen.
Wie alle privaten Unternehmen ist auch die
Schulkantine den Gesetzmäßigkeiten des „freien
Marktes“ unterworfen. So würde es von
Kurzsichtigkeit zeugen, Herrn Schatz genannte
Kritikpunkte vorzuwerfen. Die Preiserhöhung
des Tagesessens auf 3,50 € ist nicht etwa auf sein
Gewinnstreben zurückzuführen, sondern gründet sich auf mehreren Säulen.
Zum einem wurde 2007 der Zuschuss der Landesregierung von 34 Cent für jedes Schülermittagessen gestrichen, zum anderen stiegen die
Einkaufspreise für Grundnahrungsmittel wie
Weizen oder Milch 2008 rapide an. Der Weizenpreis jedoch stieg nicht etwa aufgrund einer real
höheren Nachfrage, sondern schlicht infolge
eines immensen Spekulationsanstiegs an den
Warenterminbörsen, auf denen Weizen wie
anderes spekulatives Kapital gehandelt wird. Auf
die Bedürfnisse der Menschen wird dort keinen
Wert gelegt, sondern lediglich auf den eigenen
Profit.
Da ein privates Unternehmen stets gezwungen
ist, auf seine Wirtschaftlichkeit zu achten, war es
unausweichlich, die Preise weiterzugeben. Insgesamt sind in der Schulkantine 7 Mitarbeiter auf
400 Euro Basis beschäftigt. Diese sind auf ihren
Lohn angewiesen und stehen somit ebenfalls
unter großem Druck. Doch Herr Schatz bleibt
12
engagiert: »Wir bemühen uns das Konzept der
Schule umzusetzen« lautet seine Devise.
Auch die Beschwerden, das breite Angebot sei zu
ungesund, sind zwar verständlich, aber mindestens genauso unbedarft. Mehr als ein Drittel
des Umsatzes der Schulkantine stammt aus dem
Verkauf von Süßigkeiten. Verringerte man das
Angebot an Süßigkeiten, würden sich die Schüler
diese im nahe gelegenen Supermarkt kaufen und
die Kantine somit in ernsthafte finanzielle
Schwierigkeiten bringen. Beim Tagesessen ist es
Mehr als ein Drittel des Umsatzes der Schulkantine stammt aus
dem Verkauf von Süßigkeiten
nicht anders: Die Nachfrage an dem Mittagsessen sinkt laut Herr Schatz merklich, wenn
beispielsweise Fisch angeboten wird. Auch hier
kann sich das „Bistrino“ keine Umsatzeinbrüche
erlauben. Bei der Anzahl der Tagesessen besteht
erst Recht kein finanzieller Spielraum. Da es
einen bedeutenden finanziellen Verlust darstellt,
wenn etwa 25 Tagesessen übrig bleiben, ist eine
Vorbestellung (und Bezahlung) unerlässlich.
Dass seit dem 3. März ein zweites, kleineres
Tagesessen für 2 € zu haben ist, scheint dabei ein
unbefriedigender Kompromiss, zumal damit
lediglich dem Konsum der ungesünderen Essen
wie Pommes oder Leberkäsewecken, die es ebenfalls ohne Vorbestellung gibt, entgegengewirkt
werden soll.
Ebenso bedeuten diese Marktzwänge nicht zuletzt einen enormen Schwund an gesellschaftlicher
Mitbestimmung und damit auch Verlust
demokratischer Partizipation.
Wieso liefern wir also eine solch wichtige
öffentliche Einrichtung wie die Schulkantine
(und damit teilweise uns selbst) der Willkür des
Marktes aus?
Die Losung der letzten Jahre hieß in so gut wie
Der politische
allen Bereichen
Wunsch nach
der öffentlichen
einer GanztagssDaseinsvorchule besteht in
sorge: »Weniger
fast jeder großen
ist
mehr«.
Partei. Doch einGemeint war
her mit dieser
damit der Staat,
Forderung geht
der als Hinderauch das Vernis auf dem
sorgungsprobWeg zu „mehr
lem der Schüler.
Freiheit und
Für viele Eltern,
Markt“, wie es
vor
allem
die neoliberalen
solchen
mit
„Vordenker“
mehr als zwei
gerne
forSchulkindern,
mulieren,
ist es schon jetzt
verspottet und
schwierig 3,50 €
abgelehnt
je Mittagessen
wurde. Tatsächzu finanzieren.
lich wurden die
Begünstigungen
Aufgaben des
für Hartz IV
Staates stetig
Empfänger sind
verringert und
nur ein Tropfen
seine „Einmisauf den heißen
chung“ in die
Stein, da die
Wirtschaft
Anzahl der Gerreduziert.
ingverdiener
Verkehrsbeinnerhalb der
triebe, Energievletzten 10 Jahre
ersorgung,
von 15 auf 22%
Gesundheitsvergestiegen
ist
sorgung, all dies
und die Tenwurde komplett
oder zu mindest Neuerungen im Bistro sind derzeit keine Seltenheit und werden denz steigend
bleibt.Eine
teilweise pri- meistens öffentlich angekündigt, hier in Form eines Plakats.
Lösung kann in
vatisiert. Die
Aufgaben des Staates zur öffentlichen der Bezuschussung des Mittagessens liegen. Die
Forderung liegt momentan bei einer Aufteilung
Kosten in drei Teile. Ein Teil sollen die Eltern
Für viele Eltern ist es schon jetzt der
übernehmen, einen weiteren der Schulträger
und den letzten das Land. Eine weitere Antwort
schwierig 3,50 € je Mittagessen
bestünde in der kompletten Verstaatlichung der
zu finanzieren.
Essensversorgung und den damit einhergehenden Sicherheiten für die Schüler.
Daseinsvorsorge wurden und werden immer Doch für diese Lösungen wäre ein
weiter vermindert. Die Blätter am Baum des Regierungswechsel von Nöten, denn von der
Staates werden entfernt ohne dabei zu Regierung Oettinger ist eine Lösung des Probbedenken, dass man ohne die Blätter im Regen lems zugunsten der Menschen wohl nicht zu
steht. Das Ergebnis der Hetze gegen den Staat erwarten.
kann man nun anhand seines Geldbeutels erkennen. Freier wurde niemand, ärmer dagegen
von Maximilian Vorast
viele.
DIREKT 04/2009
13
Interna
»Unser Ziel haben wir erreicht«
N
Andrea Wielath über Schulradio und Herausforderungen
achdem das Schulradio am 30.01.09 zum
ersten Mal auf Sendung ging sprach
DIREKT mit Andrea Wielath, Managerin und Organisatorin des Projekts.
direkt: Zu Deiner Person. Welche Aufgabe oder
welche Funktion nimmst du im Projekt Schulradio ein?
Wielath: Im Moment bin ich sozusagen die Managerin und Organisatorin. Ich habe das Projekt
nicht gegründet, das waren Elena Dietenberger
und Tobias Hans. Ich habe Anfang 2008 angefangen und habe mich mehr und mehr in vollem
Maße engagieren
direkt: Wie lang existiert das Projekt Schulradio
schon?
Wielath: Das Projekt existiert, denke ich, schon
seit März/April 2007. Der Tobias und die Elena
haben sich viel informiert, waren auf Seminaren
und besuchten andere Schulen. Das Problem ist,
dass das Projekt nicht so einfach an einer Schule
umgesetzt werden kann, da viel zu beachten ist
und es sich ziemlich in die Länge gezogen hat.
direkt: Wie sieht es momentan mit der Anzahl der
Teilnehmer aus?
Andrea: Jetzt sind es relativ viele. Etwa 12 Leute
aus der 9. Klasse und nochmal 8 aus der 8.
Klasse. Früher gab es da Probleme, dann hat der
Herr Glajcar mit einer 9. Klasse einen podcastig
Workshop gemacht und vielen gefiel es, sodass
einige dann beim Schulradio mitgemacht haben.
direkt: Welche Lehrer betreuen das Projekt?
Wielath: Im Moment nur Herr Glajcar, der auch
die Coporate Identity AG leitet.
direkt: Welche Herausforderungen gibt es bei
einem solchen Projekt?
Wi ela th: Es ist unbeschreiblich. Erstens fehlen
die Leute, dann fehlt das Know How, dann kommen noch technische Probleme dazu und die
ganze Schule ist skepisch bzw. glaubt nicht an
das Gelingen des Projekts. Eins der größten
Probleme ist die Schulanlage. Sie ist fast nie verfügbar, dann fehlen Dinge, dann laufen sie nicht,
14
dann sind die Boxen halb kaputt d.h wir müssen
wieder ein Anfrage stellen um Geld für neue
Boxen zu bekommen. Am Ende steht das Einholen endloser Genehmigungen.
direkt: Wie steht die Schulleitung zu dem Projekt?
Wielath: Sehr positiv. Herr Siebert steht uns sehr
aufgeschlossen gegenüber und unterstützt uns
auch. Er fand es gut, hat uns bei unserer ersten
Sendung auch zugesehen. Wir haben eigentlich
alle Genehmigungen bekommen und auch auf
der Gesamtkonferenz wurde das Projekt
begrüßt.
direkt: Wie waren die Reaktionen bei den
Lehrern auf die ersten Sendung?
Wielath: Sehr gut. Fast alle Lehrer haben positiv
darauf reagiert und das Projekt gelobt.
direkt: In welcher Beziehung steht das Projekt
zur Corporate Identity AG?
Wiela th: Das Schulradio ist ein Rahmenprojekt
der Corporate Identity AG. Es sind mehrere Projekte in der AG dabei, z.B der T-Shirt Verkauf.
Ein wesentlicher Aspekt war das Finanzielle. Für
ein solches Projekt braucht man Geld für Materialien, Stand usw.
direkt: Wie erfolgreich war die erste, noch etwas
holprige Sendung?
Wielath: Die Reaktionen bei den Schülern waren
durchweg sehr gut, wir müssen jedoch vom
Technischen her schauen, dass die redaktionellen Beiträge richtig herüber kommen. Das
hat noch nicht ganz so funktioniert, wie wir uns
das vorgestellt haben. Sonst waren alle recht positiv überrascht. Unser Ziel, eine abwechslungsreiche Pause zu bieten, haben wir erreicht.
direkt: Gibt es schon einen Termin für die nächste
Sendung?
W ie la t h: Die nächste Sendung wird nach den
Osterferien gesendet werden.
direkt: Vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führte Maximilian Vorast
Global
Z
Ende des Terrors?
Obama macht Schluss mit Guantanamo
wei Tage nach seinem Amtsantritt machte
Barack Obama sein Wahlkampfversprechen wahr und erließ per Dekret die
Schließung des legendären Gefangenlagers
Guantanamo innerhalb des Jahres 2009. Grund
genug auf die Bedeutung des wohl bekanntesten
Gefangenlagers der Welt einen Blick zu werfen.
Denn Guntananmo war mehr als nur ein
Internierungslager für Gefangene im »Krieg
gegen den Terrorismus«. Es war Symbol der Ära
Bush. Symbol des Unrechts, dass während dieser
Zeit vielen Menschen zuteil wurde. Nun soll es
geschlossen werden.
Gegründet kurz nach der US-Invasion in
Afghanistan im Jahr 2002, musste das Gefangenenlager, gelegen auf dem Militärstützpunkt
Guantanamo Bay in Kuba, schon ca. 3 Monate
später durch ein größeres ersetzt werden. Das
Lager diente als Sammelbecken für die meist arabisch stämmigen »Terrorverdächtigen«, welche
von amerikanischen Truppen festgenommen
oder von ihren Verbündeten ausgeliefert worden
waren. Guantanamo bot, fernab des amerikanischen Rechtsbereiches, die perfekte Kulisse für
ein Geheimgefängnis. Denn bezeichnenderweise
wurden die Gefangen von Anfang nicht als
Kriegsgefangene deklariert, was ihnen einige
Rechte zugesprochen hätte, sondern als sogenannte, ungesetzliche Kombattanten, die gegen
Kriegsrecht verstoßen haben. Damit war der
Weg frei, die Gefangenen so zu behandeln, wie
es für die US-amerikanischen Interessen am
zuträglichsten war. Psychische Folter wie
Schlafentzug oder lange Isolationshaft bei gleichzeitiger Abschottung aller Sinneswahrnehmungen stand genauso auf der Tagesordnung, wie aggressives Bedrohen und
Erniedrigung bis hin zu körperlichen Foltermethoden, wie dem Vortäuschen von Ertrinken,
dem sogenannten Waterboarding. Ende 2002
fasste das Lager die meisten Häftlinge in seiner
Geschichte. Insgesamt über 1000 Personen wurden während dieser Zeit interniert.
DIREKT 04/2009
Immer wieder wurde von Seiten vieler Menschenrechtsorganisationen auf die Missstände
aufmerksam gemacht. Selbst als die
UN–Menschenrechtskomission Anfang 2006 und
der Europarat Anfang 2007 die Schließung des
Lagers forderten, wollte Bush auf sein »wirksames Mittel im Kampf gegen den Terrorismus«
nicht verzichten und führte das Lager auch
gegen innenpolitische Widerstände weiter. So
gut wie alle Insassen wurden während ihrer Haft
weder angeklagt, geschweige denn verurteilt.
Zum Zeitpunkt des Dekrets zur Schließung des
Lagers befanden sich noch 245 Gefangenen in
Haft.
Die Entscheidung Barack Obamas Guantanamo
zu schließen war nicht überraschend. In der
Opposition brachten die Demokraten immer
wieder Anträge zur Abstimmung, das Lager zu
schließen, scheiterten jedoch stets an der republikanischen Mehrheit. Selbst als Anfang 2008 ein
Antrag bezüglich eines Verbotes von Waterboarding mit einer Mehrheit im Kongress verabschiedet wurde, legte Expräsident Bush sein
Veto ein.
Guantanamo selbst war ein zentralesWahlkampfthema, welches
Obama geschickt für seine
Kampagne einsetzte.
Guantanamo selbst war ein zentrales
Wahlkampfthema, welches Obama geschickt für
seine Kampagne einsetzte. Die Bedeutung Guantanamos überstieg indes weit die eines unrechtmäßigen Gefangenenlagers, in dem einige hundert Menschen interniert sind. Es zeichnet wie
kaum ein anderes Exempel die Politik und
Denkweise der Regierung Bush nach.
Immer wenn es darum ging, das abstrakte
Unrecht, das die Bush–administration so vielen,
15
Menschenrechte? Fehlanzeige. Szene aus dem Alltag im Folterlager Guantanamo.
jedoch nicht greifenbaren Menschen antat, konnte man mit hilfe Guantanamos die Situation
konkretisieren. Den ideologischen Dogmatismus
der neokonservativen Regierung ließ sich am
besten daran festmachen, dass sich Bush
weigerte, trotz des immensen außen- und innenpolitische Drucks das Lager nicht zu schließen.
Nicht nur der Fundamentalismus erhielt so eine
handfeste Form, sondern auch die zutiefst menschenverachtende Praxis und Skrupelllosigkeit
der Außenpolitik. Das Schicksal der Gefangenen
ist gleichzusetzen mit dem Schicksal der abermillionen Menschen im Nahen Osten und auf der
ganzen Welt. Unter einem Vorwand (in diesem
Fall des Terrorismus) wurden diese
Unschuldigen überfallen, ihrer Heimat beraubt
und entrechtet. All das zeigte Guantanamo und
war so von großer Bedeutung für die Kritiker
Bushs. Folglich, würde die Schließung Guantanamos auch ein Symbol der Veränderung, des
»Changes« sein und eine veränderte amerikanische Außenpolitik einläuten. So oder so ähnlich
stellte sich Obama die Wirkung auf die
Bevölkerung vor. Nicht umsonst wählte der
neue Präsident die medienwirksame Stillegung
des Lagers per Dekret als seine erste Amtshandlung. Ob die Schließung Guantanamos lediglich
16
eine Geste der Veränderung und wirklich der
Beginn des propagierten Neuanfangs ist wird
sich erst dann herausstellen, wenn sich eine klare
außenpolischen Linie der Obama – Regierung
herauskristallisiert.
Nur aufgrund der Beseitigung der Symbole einer
bestimmten Politik bedeutet das noch nicht, dass
die Politik, auf die es eigentlich ankommt, geändert wird. Zumal die Schließung Guantanamos
für die Gefangenen noch lange nicht die Freiheit
bedeutet, geschweige denn die Aussicht auf
einen fairen Prozess. Stärkeres militärisches
Engagement am Hindukusch und anderen
»strategisch wichtigen« Orten im »Krieg gegen
den Terrorismus« wird auch unter Obama auf
der Tagesordnung stehen.
Es muss sich also noch herausstellen, ob der
Beschluss Guantanamo zu schließen, nur eine
symbolische Tat war und sich die Außenpolitik
kaum ändern wird, oder ob es tatsächlich der
Anfang einer neuen Ära ist. Guantanamo wird
selbst jedoch für immer als Zeichen des Unrechts
der Bush-Regierung in den Köpfen der Menschen verbleiben.
von Maximilian Vorast
Cultus
N
icht wenige werden sich derzeit die
Frage stellen: »Was tun gegen die
Finanzkrise?« Der Thriller von Tom
Tykwer, welcher am 12. Februar in den
deutschen Kinos anlief, brachte eine Antwort:
Selbstjustiz. Doch wie kommt’s dazu? Der Interpol Agent (Clive Owen alias Louis Salinger) und
die US-amerikanische Staatsanwältin (Naomi
Watts alias Eleanor Whitman) folgen der Spur
des Verbrechens, die zu einer der mächtigsten
Banken der Welt führt: Die »International Bank
of Business and Credit«, kurz IBBC. Durch
mehrere Morde entdecken Salinger und Whitman im Laufe der Handlung immer weiter die
verbrecherischen Tätigkeiten jener Bank, die von
Geldwäsche über Waffenhandel bis hin zur Kontrolle der 3. Welt mittels Schulden reichen.
Dabei werden die Ermittler stets von ihren eigenen Behörden ausgebremst, es entsteht ganz klar
der Eindruck: Wirkliche Ermittlungen sollen verhindert werden, die Grenzen des engen Systems
des Finanzmarktkapitalismus werden angetastet.
So nimmt der eigensinnige Salinger selbst die
Fährte auf und dringt dabei immer tiefer in die
Gefilde der internationalen Herrschaft des Kapitals vor: Korruption ist dabei nur das geringste
Übel.In der zweiten Hälfte des bis dahin eher
harmlos gehaltenen Films, nimmt die Zahl der
flachen Actionszenen rapide zu, die Spannung
steigt weiter und die Jäger werden immer mehr
selbst zu den Gejagten. Die Aufmerksamkeit des
deutschen Zuschauers dürfte dabei erheblich
steigen, als plötzlich herauskommt, dass einer
der Berater der Bank ehemals Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR war.
Dieser bremst in einem packenden Dialog
Salingers naiven Idealismus von der
»Gerechtigkeit« und entgegnet ihm seine abgeklärte Sicht der Welt: Dieses System kann nicht
durch die Beseitigung einer einzigen Bank
gebrochen werden, Gerechtigkeit kann in einem
solchen System niemals erblühen, da das
gesamte globale Kapital eng miteinander und
DIREKT 04/2009
The International
Mit der Knarre durch die Krise
auch mit der Politik verbunden ist, so dass innerhalb des Systems der Handlungsspielraum stets
begrenzt bleibt. Der ehemalige Oberst hat sich
damit abgefunden und in diesem Gebilde alles
seinem persönlichem Wohlergehen untergeordnet. Doch Salinger lässt sich von dieser Wahrheit
nicht irritieren, er führt seine Ermittlungen weiter, stets in der Hoffnung doch noch die große
Gerechtigkeit zu erlangen. Als er schließlich am
Ende seines Zieles angelangt schien und in Istanbul den Hauptdrahtzieher der IBBC fassen kann,
entgegnet dieser ihm: »Wenn Sie mich jetzt
töten, läuft alles so weiter wie bisher. Nach mir
werden 100 weitere Banker folgen.«Hier wird
zum zweiten Mal im Film deutlich: Das Problem
sind nicht einzelne Banker, nicht einzelne
»Nach mir werden 100 weitere
Banker folgen.«
Banken, sondern das System selbst. Zwar wird
die herrschende Ordnung nicht so radikal in
Frage gestellt, wie es in diesen Zeiten eigentlich
notwendig wäre, doch zeigt das Ende des Films
eine knallharte, weil realistische Einschätzung:
Die Bank bekommt einen neuen Vorstand und
kann ihre menschenverachtenden Geschäfte
fortsetzen. Was bedeutet das also? Mit gelebter
Selbstjustiz à la Silvester Stallone ist dieses Problem (Namentlich: Der Kapitalismus) nicht zu
lösen. Hier bedarf es schon einer grundlegenden,
politischen und ökonomischen Neuausrichtung.
Der Film setzt sich dabei authentisch mit dieser
Realität auseinander und wirkt stets glaubwürdig. Der Feindbildwechsel vom KGB zur
Bank tut dem Genre dabei sicher gut und verleiht dem Film eine, wenn auch unaufdringliche,
politische Brisanz.
von Marcel Kunzmann
17
Cultus
»Bushido zeigt’s allen«
B
Der kurze Weg in den Mainstream
ushido« ist der schlichte Titel der Autobiografie des Anis Ferchichi, einer der meist
umstrittensten Mainstreamrapper der
BRD. Nicht nur unter den meist jungen Fans
wurde seine Biografie sehnlichst erwartet, sondern ebenso von deren Eltern, für die es ein
unerschlossenes Territorium war und ist,
weshalb ihre Kinder so vernarrt in das
Phänomen (wie er sich selbstgefällig einstuft)
Bushido, sind.
Die im Herbst 2008 erschienene Biografie war ein
kommerzieller Erfolg, führte trotz des liter-
Die Familie seiner Fans verliert
an Einfluss während Bushido an
Einfluss gewinnt
arischen Anspruchs eines Comicheftes wochenlang die Bestsellerlisten an und soll nun Gelegenheit geben, sich etwas genauer mit Bushido
auseinander zu setzen. Die Erwartungen waren
nicht minder umfangreich als der Profit, den er
erzielte. Fragen zu Bushidos Charakter, Erlebnissen und Erfahrungen, eben all solchen Aspekte,
die seine Wertevorstellung prägten, wurden
schon im Vorfeld kontrovers diskutiert. Und das
nicht nur in den üblichen Boulevardblättern,
sondern auch unter den »Politikwissenschaftlern
und Sozialpädagogen, die keine Ahnung haben
wie die Welt funktioniert«, wie es Bushido in
seiner Biografie oft genug erwähnt. Anlass zu
dieser Diskussion, die schichtenübergreifend
und deutschlandweit geführte wurde (und auch
in Österreich Anklang fand, als Bushido 2005 in
Linz verhaftet wurde) war eine »beängstigende«
Mischung aus Bushidos Einfluss auf die Jugend,
seinen Wertevorstellungen und seinem
Lebensstil.
Mit Worten wie »beängstigend« oder
»gefährlich« wird man Bushido selbst zwar nur
schmeicheln können, sie beschreiben jedoch gut
18
die Eindrücke der betroffenen Eltern.
Obwohl diese Befürchtungen nicht komplett
grundlos erscheinen, sollte man nicht zuletzt
auch aufgrund der einseitigen Berichterstattung
seitens der Medien, versuchen, Bushidos Einfluss
und Intention differenziert und unvoreingenommen zu betrachten, eben genau so, wie es Bushido meist nicht tut und deshalb nicht fähig ist,
bestimmte Sachverhalte zu verstehen.
Nicht nur die subversiven Elemente der »Bewegung«, die sich um Bushido formiert hat, und ihr
Wertesystem sollen Gegenstand der Betrachtung
sein, sondern auch die ethischen Fragen, deren
Betrachtung sich Bushido bisher verweigert hat.
Bushidos Anhängerschaft zeigt alle charakteristischen Merkmale einer gewöhnlichen Massenbewegung.
Die hier auftretenden Merkmale sind schon häufiger in der Geschichte der Jugendkultur aufgetaucht. Mit Bushido steht eine zentrale Autorität
im Mittelpunkt. Sie gibt den Ton bzw. die Richtung an und besitzt den größten Einfluss auf
seine Anhänger.
Diese wissen um das Ziel der Bewegung und die
Bedeutung der zentralen Autorität meist wenig,
sind für selbige jedoch in umfangreichem Maße
empfänglich. So ist das Auflehnen gegen das
Establishment ein genauso wichtiger Faktor wie
der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe und
die klare Abgrenzung von Freund und Feind. Es
liegt auf der Hand, dass das Auflehnen der meist
jüngeren Fans gegen das Establishment einher
geht mit der Emanzipation von den Eltern. Die
Familie verliert an Einfluss, während Bushido an
Einfluss gewinnt. Diesen Umstand fördernd
kommen noch Charakteristika wie das eigene
Aufwerten mit Hilfe des Abwertens anderer und
das Gefühl des Verstandenwerdens hinzu. Viele
halten Bushido aufgrund der Identifikationsfläche, welche er bietet, für den Anwalt ihrer persönlichen Sache. Wie subversiv eine solche
Bewegung ist, hängt von den Wertvorstellungen
ab, die sie vertritt, und den moralischen Grund-
Doch auch hier zeigt Bushido beeindruckendes
Talent, seine eigenen individuellen Erfahrungen
auf die Allgemeinheit zu beziehen, auch wenn
ein völliger Wechsel des Kontextes vonstatten
geht. So verachtet er beispielsweise Natascha
Er ist nicht an der Verbesserung
der allgemeinen sozialen Lage
interessiert, sondern lediglich an
der Verbesserung seiner persönlichen Situation.
Könnte ruhig öfter mal die Klappe halten:
»Bushido«, pseudo-cooler »Gangsta-Rapper.«
sätzen des Kleinbürgertums.
In einer Gesellschaft, in der Werte wie die
Emanzipation der Frau und (wenn auch repressiver) Toleranz etabliert werden, besitzen Werte,
die Toleranz ablehnen wenigstens ein Mindestmaß an Subversivität.
Bushidos Wertevorstellungen sind frauenfeindlich, sexistisch, gewalt- und drogenverherrlichend und wirken oftmals hetzerisch gegen
Homosexuelle. Zum Teil lässt sich sogar eine
Ablehnung solcher Werte feststellen, die für eine
aufgeklärte Gesellschaft von existenzieller
Bedeutung sind.
Den Ursprung dieser doch sehr befremdlichen
Einstellungen beschreibt Bushido in seiner
Biografie ausführlichst: Sein offenes Verhältnis
Die Erwartungen waren nicht
minder umfangreich
als der Profit den er erzielte.
zur Gewalt sowie der Umgang mit Drogen wurden ihm praktisch in die Wiege gelegt, sein
Rachefeldzug gegen das weibliche Geschlecht
basiert auf einer traumatischen Beziehung und
das Umfeld der Großstadt tat sein übriges. Der
einzige Wert, welcher Bushido konstant Vertritt
ist die Verantwortung der Familie gegenüber.
DIREKT 04/2009
Kampusch dafür, dass sie nach ihrer Gefangenschaft ihre Eltern nicht sehen wollte. Es ist zwar
wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen in
solchen Situationen Gefahr laufen durch eine
emotionale Überbelastung Schaden zu nehmen,
aber das interessiert den »super-krassen SexGangster«, wie er sich selbst nennt, offensichtlich
weniger.
Er setzt persönliche Erfahrungen und die daraus
geschlossenen Verallgemeinerungen über wissenschaftliche Fakten.
Es ist für Bushido ebenfalls kaum möglich, einen
Standpunkt konsequent zu vertreten. So ruft er
zwar dazu auf, sich gegen jede Regel
aufzulehnen, sobald er jedoch derjenige ist, der
die Gesetzmäßigkeiten festlegt heißt es: »Halte
dich an die Regeln und dir wird es immer gut
gehen. Das ist meine Devise«.
Es mag zwar sein, dass er sich mit Hilfe seiner
Songs ein Ventil schafft und persönliche
Erfahrungen verarbeiten kann, jedoch wirkt das
Ergebnis, auf weniger »erfahrene« Menschen
absonderlich und verstörend. Jugendliche, die
sich lediglich mit einigen von Bushidos Grundaussagen identifizieren können, laufen Gefahr
andere Aussagen ebenfalls für sich anzunehmen,
um in das Ideal zu passen. Dass es dabei einige
Diskrepanzen zwischen deren Erfahrungswelt
und Bushidos geben kann, wird von dem Rapper in Kauf genommen.
Ein weiteres, oberflächlich betrachtet, ebenfalls
subversives Element, scheint die Sozialkritik zu
sein. Bushido kritisiert, so argumentieren vor
allem eher Außenstehende, die sozialen Verhältnisse in den Großstädten der BRD.
Er setze sich für die Belange der Verlierer der
Gesellschaft ein. Diese Argumentation wird häu-
19
fig verwendet, wenn es darum geht, Bushido zu
verteidigen. Er selbst sieht sich hingegen in keiner dieser Rollen. Das harte Leben im Ghetto der
Großstadt ist für ihn vielmehr Lebensschule
anstatt eines politischen Problems, das es zu
lösen gilt. Eine prägende Zeit, die sich positiv auf
sein Leben ausgewirkt habe, ist sein Urteil.
Wieder pauschalisiert er eigene Erfahrungen.
Anhand dieser Haltung erkennt man sein ausgeprägt egozentrisches Weltbild. Er ist nicht an
der Verbesserung der allgemeinen sozialen Lage
interessiert, sondern lediglich an der
Verbesserung seiner persönlichen Situation.
Spätestens seit der Gründung der Girlband
»Bisou« (es ist keine Überraschung, dass Bushido
diesen wirtschaftlichen Fehlgriff in seiner
Biografie verschwieg, die ihn nach der Devise
»alles was ich anfasse wird zu Gold« zu einem
Gewinnertyp verherrlicht) ist es wohl überflüssig
zu erwähnen, dass Bushidos Hauptanliegen an
seinem Unternehmen das Geld ist.
Somit zeigt sich ein angeblicher Verächter unserer Gesellschaft in einem anderen Licht. Denn es
drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie subversiv ein Egoist im Kapitalismus überhaupt sein
kann. Abgedroschene Phrasen wie »du kannst
alles erreichen, wenn du dich nur genügend
anstrengst« wirken auch eher beschönigend auf
das vermeintlich verhasste System.
Gesellschaftliche Phänomene wie Bushido oder
der »Gangstarap« sind also nicht mehr als ein
Produkt der Kulturindustrie und zeigen ihre
gesellschaftliche Notwendigkeit darin, dass sie es
schaffen, Werte des Kapitalismus besser bzw.
einprägsamer zu vermitteln.
Während sich konservative Medien noch über
irrelevante, sekundäre Belanglosigkeiten wie
frauenfeindliche oder gewaltverherrlichende
Texte entrüsten und die Verrohung der
Gesellschaft vorhersehen, erkennen sie nicht,
dass Bushidos Denkweise weit bürgerlicher ist
als ihre eigene und er im Grunde nicht mehr ist,
als eine Errungenschaft des von ihnen
favorisierten Gesellschaftssystems.
von Maximilian Vorast
20
Info: Bushidos Karriere
Anis Mohamed Youssef Ferchichi alias
Bushido, geboren am 28. September 1978 in
Bonn, beendete seine Schullaufbahn nach dem
Abschluss der 11. Klasse. Nachdem er sich
schon früh für Hip Hop interessierte veröffentlichte er 2000 zusammen mit »King Orgasmus
One« sein erstes Tape. Kurz darauf wurde er
von »Aggro Berlin« unter Vertrag genommen
und veröffentlichte 2002 das für den »Ganstarap« wegweisende Album »Carlo Coxxx Nutten«. Im Sommer 2004 verließ Bushido sein
Label Aggro Berlin und wechselte zu Universal
Music. Nachdem er in Zusammenarbeit mit
einigen Freunden sein Label »ersguterjunge«
gegründet hatte, folgte Ende 2005 sein Album
»Staatsfeind Nr.1«. Kurz nach Gewinn seines
ersten Echos 2006 erschien sein bisher erfolgreichstes Album »Von der Skyline zum Bordstein zurück«, das sich bisher über 200.000 mal
verkaufte und Platin Status erlangte. 2007
wechselte Bushido erneut das Label und unterschrieb nun bei Sony BMG. Zuletzt verbuchte
Bushido Anfang 2008 seinen insgesamt vierten
Echo. Seine Autobiografie erschien im September 2008. Sein Name leitet sich von einem
alten, gleichnamigen Ehrenkodex der japanischen Samurai ab.
Brand: Tut mal so, als ob ihr
mich ernst nehmen würdet. Los!
Schüler: Sie können Französisch?
Hutter: Ja natürlich, was hast du
denn gedacht?
Schüler: Wusste ich nicht.
Hutter: Ja früher waren die Lehrer noch gebildet!
Kauderer: Mallig... wie Mollig,
nur mit »a«. Denkt einfach an
mich.
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Cultus
Spuren der Steine
S
Zeugnisse einer vergessenen Kultur
eit wenigen Wochen erst prangt an der
Stirnseite unserer Schulbücherei in leuchtend roten Lettern der Schriftzug »Bibliothek«. Dieses Schild, welches nachts und frühmorgens den Bereich des Osteingangs so klar
und deutlich begrenzt, vermittelt eine gewisse
Nostalgik. Es erinnert an Zeiten, in denen
Schilder noch so sein mussten: Klar und deutlich, leuchtend, rot.
Es symbolisiert die Erinnerung an eine längst
vergangene Zeit, die Zeit des »Kino Kosmos« in
der Berliner Karl-Marx-Allee oder des kleineren
»Kino Sojous« in Marzahn, welches in diesen
Tagen geschlossen, heruntergekommen und
geheimnisvoll mit seinem, heute nicht mehr
leuchtenden, aber immer noch roten Schriftzug
für eine längst vergessene Kultur steht. Eine Kultur, hinter dem »Eisernen Vorhang«, die vielen
Westdeutschen und uns Nachgeborenen oftmals
verschlossen blieb. Eine Kultur, die sich zu
Beginn des 20. Jahrhunderts in Russland, und
seit 1945 auch in vielen anderen Staaten des
Warschauer Vertrages zu entwickeln begann
und die 1989, mit der Selbstauflösung des sozialistischen Lagers ebenso schnell wieder verschwand, wie sie sich einst entwickelte. Im Folgenden wollen wir uns vor allem der Literatur
widmen:
Kinoplakat zur Verfilmung von »Aelita«, 1924
22
Dabei wäre es wohl gerade auf dem Gebiet der
Literatur eines der verhängnisvollsten
Fehlurteile, jedes Kulturgut, welches in dieser
Zeit und dort entstand, als »von oben« aufoktroyierte Staatspropaganda zu diffamieren.
Vielmehr hat sich neben solcher auch eine große
Zahl an Kulturschaffenden zusammengefunden,
die in ihren Schriften den werktätigen Mensch in
den Vordergrund stellten. Gemeint ist hierbei die
in den RGW-Staaten vorherrschende kulturelle
»Die Mutter« von Maxim Gorki
wurde wie viele andere Werke
jener Art zur Weltliteratur
Strömung des »sozialistischen Realismus.«
Trotz - oder gerade wegen dieser Eigenartigkeit
ihres kulturellen Wirkens, wurden die meisten
dieser Werke heute aus der Schulliteratur (man
betrachte nur einmal die Umstrukturierung der
Lehrpläne in den neuen Bundesländern 1990)
und dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt.
Nur wenige der Bücher sind auch heute noch
bekannt oder wurden gar zur Weltliteratur, wie
beispielsweise der 1906 erschienene Roman »Die
Mutter« von Maxim Gorki, welcher auch gleichzeitig als erster Vertreter dieser Kunstrichtung
gilt.Doch fangen wir einmal von vorne an: Eine
der ersten Geschichten des jungen Sowjetrussland ist wohl Alexei Tolstoi’s Triologie »Der Leidensweg«, welche am Beispiel einer Intellektuellenfamilie den russischen Alltag vor- und nach
der Oktoberrevolution zu schildern versucht.
1922 folgte mit »Aelita« der erste bekanntere
sowjetische Science-Fiction Roman, welcher mit
großem internationalen Erfolg bereits 1924 verfilmt wurde. 1932 folgte mit Nikolai Ostrowskis
»Wie der Stahl gehärtet wurde« eine autobiographische Erzählung über den jungen Pawel,
welcher auf der Seite der Roten Armee im russischen Bürgerkrieg kämpft. In den 30er und 40er
Jahren erschienen in der Sowjetunion eine Reihe
sogenannter Produktionsromane, welche über
die Fortschritte in der Industrialisierung und der
Kollektivierung der Landwirtschaft berichteten.
Der für seinen Bestseller »Der stille Don« bekannte Michail Scholochow, schrieb in dieser Zeit
auch den weniger prominenten Zweiteiler »Neuland unterm Pflug«, welcher von seinen
Erfahrungen beim Besuch einer Kolchose
berichtet. Während des Zweiten Weltkriegs kam
die Kultur naturgemäß in eine Phase der Stagnation. Die Geschichte der Produktionsromane war
vorüber, an ihre Stelle trat eine neue, authentische Literatur. Der Schriftsteller Alexander
Tschakowski versuchte in seinem dreibändigen
Roman »Der Sieg« die Verhandlungen der Potsdamer Konferenz aus Sicht eines sowjetischen
Reporters zu erzählen. Mit der Aufarbeitung des
Zweiten Weltkriegs befasst sich auch Leonid
Leonow, der für sein Erstlingswerk »Der russische Wald« 1957 den Leninpreis erhielt. Dort
Schildert Leonow ein Familiendrama, welches
sich im Moskau des Jahres 1941, zu Beginn des
deutschen Überfalls auf die Sowjetunion
abspielte. Seit 1949 war diese Literaturgattung
mit der Herausbildung des sozialistischen Weltsystems jedoch nicht mehr allein auf russische
Autoren beschränkt: 1960 bis 1963 versuchte sich
der DDR-Autor Dieter Noll mit seinem Zweiteiler »Die Abenteuer des Werner Holt« an einer
Aufarbeitung des Faschismus in Deutschland.
Mit Erfolg: Sein Roman wurde einige Jahre
darauf verfilmt und war später auch Schullektüre in der DDR. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Anna Seghers, die mit ihrem, bereits 1942
veröffentlichten Roman »Das siebte Kreuz« die
Flucht von sieben Häftlingen aus einem Konzentrationslager schildert. Mit »Spur der Steine«
Schuf der Schriftsteller Erik Neutsch dann 1964
eine authentische Erzählung des sozialistischen
Alltags in der DDR. Kurz zuvor begründete
Joachim Wohlgemuth mit »Egon und das achte
DIREKT 04/2009
Weltwunder« bereits 1962 die Grundlagen des
Jugendromans in der DDR.
Fortsetzung fand dieser Stil im Theater, als 1972
Ulrich Plenzdorfs sozialkritisches Theaterstück
»Die neuen Leiden des jungen W.« in Halle seine
Erstaufführung fand. Nahezu legendär wurde
Hermann Kants 1965 veröffentlichter Roman
»Die Aula«, welcher in unserer Bilbiothek nach
wie vor als Klassensatz verfügbar ist und die
Geschichte der Arbeiter- und Bauernfakultäten
in der DDR nachzeichnet.Doch auch in der Sowjetunion blieb man nicht untätig: Die 1958 von
Tschingis Aitmatow verfasste Novelle »Dshamilja« ist nach Ansicht des französischen Dichters
Louis Aragon »die schönste Liebesgeschichte der
Welt.«Auch die Werke von Konstantin Simonow
fanden erhebliche Anerkennung. Besonders hervorzuheben sind hier die Romane: »Die Lebenden und die Toten« (1959), »Man wird nicht als
Soldat geboren« (1964) sowie »Der letzte Sommer« (1972).
Nach dieser (unvollständigen) Aufzählung
einiger der bedeutendsten Werke der sozialistischen Literatur stellt sich natürlich die Frage: Was
nun? In unserer Bibliothek ist davon lediglich ein
kleiner Bruchteil verfügbar, was leider die Verdrängung dieser Kultur (beispielsweise aus dem
Schulsystem in den neuen Bundesländern)
zementiert. Allerdings sind fast alle der genannten Romane (dem Dietz- und Aufbau-Verlag sei
Dank) gebraucht zu sehr günstigen Preisen bei
eBay erhältlich. So stehen dem interessierten
Leser auch heute noch die Tore offen, einzutauchen in eine neue Welt der Literatur, die ihm
bis zum heutigen Tage vielleicht vollends
unbekannt blieb. Lohnen tut es sich allemal,
denn es wartet ein geballter literarischer Schatz
auf ihn, der nur noch entdeckt werden will.
von Marcel Kunzmann
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Cultus
We will rock you
W
Mainstream mal anders
ie das mit Stufenfahrten so ist, einigt
man sich irgendwie auf etwas mit
dem alle bedient sind, findet also
einen klassenübergreifenden Konsens, und letzten Endes gibt es dann oft ein mehr oder
weniger hochwertiges Kulturprogramm zu
genießen. Bei der diesjährigen Stufenfahrt der
Zehnten Klassenstufe fiel die Entscheidung
jedoch auf das Musical »We will rock you«,
welches seit November 2008 im Apollo-Theater
in Stuttgart aufgeführt wird.
Allein von der Entfernung und den Kosten
betrachtet war diese Wahl wohl nicht die naheliegendste, doch gibt uns dies die Gelegenheit,
ein bekanntes Musical etwas näher zu beleuchten.
Wer kennt nicht jenes Lied, eine Hymne auf den
Rock, welches doch selbst fast ohne Instrumente
auskommt. Die Rede ist natürlich von Queen’s
legendärem Hit »We will rock you«, der
Namensgeber für das im Mai 2002 uraufgeführte
Musical. Erst 2004 kam das von Brian May und
Roger Taylor produzierte Musical in die BRD.
Und erst seit 2008 ist es auch für uns Provinzbewohner mit Stuttgart als Aufführungsort,
einigermaßen erreichbar.
Nun, worum geht es in besagtem Stück?
Eigentlich hat der Inhalt dieser Musikveranstaltung rein gar nichts mit der Bandgeschichte von
Queen zu tun, höchstens im Entferntesten.
Statt dessen wird der Besucher mit einer kreativen und einfallsreichen, stellenweise überraschend gesellschaftskritischen Story unterhalten:
In irgendeiner Zukunft, lange nachdem die
Rockmusik im Jahre 2040 verboten wurde, wird
die Erde (welche inzwischen den einfallsreichen
Titel »Planet e.bay« trägt) von einem Konzern
regiert, der als totalitär agierender Staat, die
gesamte Bevölkerung versklavt hat und die
Jugend mit uninspirierter Mainstreammusik und
Markengläubigkeit indoktriniert.
Nur der Außenseiter »Galileo« und die Rebellin
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»Scaramouche« treten in dieser gleichgeschalteten Gesellschaft als stellenweise überzogenindividuelle Befreiungskämpfer auf. Im Laufe
der Handlung verlieben sich die Protagonisten,
streiten sich, versöhnen sich, und befreien letzten Endes noch die Erde von der Herrschaft des
»Gaga-Konzerns« (repräsentiert durch die Diktatorin »Killer-Queen« und ihren obersten Polizeichef »Kashoggi«).
Dabei wirken die das ganze Stück begleitenden
und hier aus Jugendschutzgründen nicht zitierbaren, zweideutigen Kommentare von »Scaramouche« manchmal etwas aufdringlich, sind
aber stets erheiternd und gut platziert.
Das Stück ist in zwei Akte unterteilt, die eine 20-
Erst im Jahr 2004 kam das von
Brian May und Roger Taylor
produzierte Musical in die BRD
minütige Pause trennt. Während der erste Akt
die Repressionen, die Ängste und Zwänge der
beiden Rebellen darstellt, wird im Laufe der Zeit
ihre Organisierung in einer Untergrundbewegung und der beginnende Widerstand immer
wichtiger. Die Handlung bekommt im Laufe des
Zweiten Aktes dabei einen immer klarer herausstechenden roten Faden, welcher dem Stück
recht gut tut.
Die lockeren Dialogzeilen gehen dabei stets in
ein passendes Stück von Queen über, welches
dann meist mit Licht- und Raucheffekten atemberaubend in Szene gesetzt wird. Beachtlich ist
dabei auch die Gesangsleistung der Schauspieler,
welche an Professionalität nichts zu wünschen
übrig lässt.
Doch inwiefern lässt dieses Stück nun etwas hintergründiges und kritisches durchblicken? An
und für sich würde die Story einiges an
Gesellschaftskritik hergeben, dabei werden
jedoch nur wenige Momente dafür wirklich aus-
Anzeige
karikatur
»Oh Herr, vergib ihm, denn er weiß nicht was er tut«
genutzt. Den Einzigen, aber beeindruckenden
Höhepunkt der Politisierung ist dabei der Ausfruf von Scaramouche nach ihrer Verhaftung:
»Ihr Imperialistenschweine!«
Allgemein lässt sich das Stück vor allem auch als
eine Satire auf die Hegemonie der Mainstreammusik sowie die Gefahren eines autoritären
Monopolkapitalismus interpretieren, was im
Laufe der Handlung klar heraussticht. Dabei
entkräftet sich die Story leider teilweise selbst, ist
doch der scheinbar einzige Zweck des GagaKonzerns, die Rockmusik zu vernichten (»Obi«
geht hier ja mit gutem Beispiel voran).
Doch gerade hier kommt der ursprüngliche,
befreiende Charakter der Rockmusik zutage, der
allerdings von »Queen« schon nicht mehr in dem
Maße getragen wurde wie noch von z.B. »The
Who.«
Allerdings, und das muss klar sein, war es
niemals die Intention der Produzenten, ein kritisches Musical zu produzieren, welches die
Leute zum Nachdenken bringen könnte. »We
will rock you« ist leicht verdaulich. Das muss es
auch, sonst wäre es nie zu einem solchen internationalen Erfolg gekommen. Doch fernab von
einer tiefgreifenden Analyse, war die phänomenale Inszenierung der Grund, welcher den
Funken überspringen ließ. Denn selbst ein
bekennender Queen-Hasser, wie der Verfasser
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dieses Artikels, kam bei dieser Veranstaltung voll
auf seine Kosten.
Gänzlich ohne philosophischen Anspruch, ist
»We will rock you« trotzdem ein Musical jener
Kategorie, die man, frei nach Ferguson, als
»Megageil« bezeichnen kann.
von Marcel Kunzmann
Die nächste direkt erscheint
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Juli 2009
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