Benigne Tumoren der Bewegungsorgane
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Benigne Tumoren der Bewegungsorgane
Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Benigne Tumoren der Bewegungsorgane T. Prietzel, C. Schmidt, G. von Salis−Soglio Orthopädische Klinik und Poliklinik der Universität Leipzig Die benignen Tumorerkrankungen der Bewegungsorgane schließen die gutartigen Knochen− und Weichgewebe− tumoren sowie die gutartigen peripheren neuroektoder− malen Tumoren ein. Die benignen Knochentumoren gehen überwiegend vom Knochen− und Knorpelgewebe aus. Viele Befunde sind asymptomatisch und werden zufällig diagnostiziert. An− dere verursachen Schmerzen, Instabilität, pathologische Frakturen, Deformierungen und neurologische Ausfaller− scheinungen. Bei einigen Läsionen existieren fließende Übergänge zu malignen Formen (z. B. bei ausgedehnten Enchondromen). Zum Teil besteht die Gefahr der malignen Transformation. Die benignen Weichgewebetumoren sind ebenfalls mes− enchymaler (mesodermaler) Abstammung und finden sich in der Muskulatur, im Bindegewebe sowie im Bereich der Blutgefäße. Sie werden gemäß der aktuellen WHO−Klassi− fikation in 10 Gruppen unterteilt. Bei 9 Gruppen orientiert sich diese Einteilung am Ursprungsgewebe, während die Läsionen unklarer Differenzierung in der 10. Gruppe zu− sammengefasst werden. Die benignen peripheren neuroektodermalen Tumoren unterscheiden sich durch ihre ektodermale Abstammung von den Weichgewebetumoren, weshalb sie in der aktuel− len WHO−Klassifikation der Weichteiltumoren (2002) keine Berücksichtigung finden. Aus diagnostischer und therapeutischer Sicht sind diese Läsionen den benignen Weichgewebetumoren gleichwertig und werden deshalb in dieser Übersicht zusätzlich besprochen. Sowohl am Knochen als auch an den Weichgeweben gibt es semimaligne bzw. intermediäre Tumoren, welche zwi− schen den benignen und den malignen Tumoren einzu− ordnen sind. Diese Läsionen werden in der vorliegenden Arbeit nur differenzialdiagnostisch einbezogen. Die benignen Tumoren der Bewegungsorgane repräsen− tieren eine relativ große Zahl seltener Tumorarten, die durch die verschiedenen Ursprungsgewebe und Lokalisa− tionen eine große Variabilität zeigen. Diese Läsionen müssen in erster Linie gegen die gleichfalls große Zahl intermediärer (semimaligner) und maligner Tumorerkran− kungen der Bewegungsorgane abgegrenzt werden. Zu− sätzlich sind u. a. tumorsimulierende Läsionen, entzünd− liche Erkrankungen und Fehlbildungen differenzialdiag− nostisch zu berücksichtigen. Zur Abklärung steht ein brei− tes Spektrum von Diagnostikverfahren zur Verfügung. Ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen sollte einerseits bei sicher benignen Tumoren effizient und an den thera− peutischen Konsequenzen orientiert sein. Andererseits muss bei Tumoren mit unklarer Dignität der diagnostische Algorithmus zur Anwendung kommen, der bei malignen Tumoren etabliert ist. An dessen Ende steht die histologi− sche Sicherung der Diagnose durch eine Probeentnahme. Eine definitive Diagnose, klinisch−radiologisch gestellt oder histologisch gesichert, ist Voraussetzung für die Festlegung des weiteren Vorgehens. Bei einigen Tumorarten ist eine klinisch−radiologische Ver− laufskontrolle ausreichend. Andere sind in angemessener Form zu behandeln, wobei die operative Therapie im Vor− dergrund steht. Ob ein minimalinvasives Vorgehen, eine intraläsionale Ausräumung, eine marginale oder aus− nahmsweise eine weite Resektion indiziert sind, hängt vom Tumortyp und den lokalen Gegebenheiten ab. Auch hier ist ein standardisiertes Vorgehen notwendig. Die häu− figsten gutartigen Tumoren der Bewegungsorgane wer− den in dieser Arbeit dargestellt. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 êDOI 10.1055/s−2008−1077529 247 Systemerkrankungen Einleitung Epidemiologie und Ätiologie Gutartige Tumoren der Bewegungsorgane sind wesent− lich häufiger als bösartige. Eine genaue Aussage zur In− zidenz ist jedoch nicht möglich, da viele Tumoren kli− nisch stumm bleiben und somit nie oder nur zufällig diagnostiziert werden. Innerhalb der Gruppe der gut− artigen Knochentumoren sind das Osteochondrom (40 %), das Chondrom (19 %) und das Osteoidosteom (8 %) die häufigsten Vertreter. Von den Weichteiltumo− ren entfallen ein Drittel auf die Lipome, ein weiteres Drittel auf die fibrohistiozytären Tumoren, 10 % auf die vaskulären Tumoren und 5 % auf die Nervenscheiden− tumoren (Breitenseher et al. 2008). Die Entstehung der meisten gutartigen Tumoren ist nach wie vor ungeklärt. Wenige sind genetisch bedingt. So wird zum Beispiel das Krankheitsbild der multiplen kartilaginären Exostosen autosomal dominant vererbt. Chondrogene Tumoren können im Rahmen generali− sierter dysplastischer Erkrankungen (Morbus Ollier, Maffucci−Syndrom) auftreten. Multiple Neurofibrome treten ebenfalls im Rahmen einer Grunderkrankung, dem Morbus Recklinghausen, auf. Klassifikation Die gutartigen Knochentumoren werden nach den Kri− terien der WHO entsprechend ihres Ursprungsgewebes in osteogene, chondrogene, vasogene und sonstige Tumoren klassifiziert (Tab. 1). WHO−Klassifikation der benignen Weichgewebe− tumoren (Breitenseher et al. 2008): n adipozytische Tumoren: u. a. Lipom (s. Abb. 22) 8850/0*, Lipoblastom/Lipoblastomatose 8881/0, Angiolipom 8861/0, Myolipom 8890/0, chondroides Lipom (Abb. 8) n fibroblastische und myofibroblastische Tumoren: u. a. noduläre Fasziitis, proliferative Fasziitis, Myosi− tis ossificans, Myofibrom/Myofibromatose 8824/0 n sog. fibrohistiozytäre Tumoren: u. a. Riesenzelltumor der Sehnenscheide 9252/0, tiefes benignes fibröses Histiozytom 8830/0 n glatt−muskulär differenzierte Tumoren: Angioleio− myom 8894/0, tiefes Leiomyom, genitales Leiomyom n perizytische/perivaskuläre Tumoren: Glomustumor 8711/0, Myoperizytom 8713/1 n Skelettmuskeltumoren: u. a. Rhabdomyom des Erwachsenen 8900/0 n vaskuläre Tumoren: u. a. Hämangiom der Subkutis und der tiefen Weichgewebe 9120/0, kapilläres Hä− mangiom, kavernöses Hämangiom, intramuskuläres Hämangiom 9132/0 (Abb. 10), synoviales Häman− giom 9120/0 n chondroossäre Tumoren: Weichteilchondrome n Tumoren unklarer Differenzierung: intramuskuläres Myxom 8840/0, juxtaartikuläres Myxom, tiefes (¹aggressives“) Angiomyxom 8841/0, pleomorpher hyalinisierender angiektatischer Tumor, ektopes hamartomatöses Thymom Periphere neuroektodermale Tumoren im Weichgewebe (aus Breitenseher et al. 2008): u. a. Neurilemmom (Abb. 9) (Synonyme: Neurinom, benignes Schwannom), solitäres Neurofibrom (s. Abb. 23), diffuses Neuro− fibrom, plexiformes Neurofibrom, Perineuriom. Definition n Benigne Tumoren der Bewegungsorgane n Gutartige Knochentumoren sind spontan n Gutartige Weichgewebetumoren sind sind Formationen aus ortsständigem, im oder am Knochen entstehende Forma− benigne, mesenchymale Neubildungen der differenziertem Knochen− und Weich− tionen aus ortsständigem Gewebe mit Extremitäten oder des Körperstammes. Sie gewebe, die ein autonomes, langsames, autonomem, langsamem, teilweise expan− werden entsprechend ihres Ursprungsge− teilweise expansives Wachstum zeigen. sivem Wachstum und mit einem dem Ur− webes in 9 verschiedene Gruppen sowie Sie sind in der Regel gut abgegrenzt. sprungsgewebe entsprechenden Zell− und in die Tumoren unsicherer Differenzierung Merkmale maligner Tumoren wie lokal infil− Matrixbild ohne Metastasierungstendenz. unterschieden und müssen u. a. von den tratives bzw. diskontinuierliches Wachstum Sie sind abzugrenzen von tumorartigen jeweiligen intermediären und malignen und Metastasierungstendenz fehlen. Aller− Knochenläsionen (z. B. juvenile und aneu− dings zeichnen sich einige Läsionen durch rysmatische Knochenzyste), semimalignen eine erhöhte lokale Rezidivneigung aus, was (Riesenzelltumor) und malignen Knochen− Tumoren im Weichgewebe sind im Gegen− bei der Therapieplanung beachtet werden tumoren. satz zu den Weichgewebetumoren ektoder− muss. Tumoren abgegrenzt werden. n Gutartige periphere neuroektodermale maler Abstammung. Am häufigsten sind die sog. peripheren Nervenscheidentumoren. 248 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Tabelle 1 WHO−Klassifikation der benignen Knochentumoren osteogen n n n n n chondrogen n Osteom multiple Osteome (Gardner−Syndrom) Osteoidosteom (Abb. 1) Osteoblastom (Synonyme: benignes Osteoblastom, Riesenosteoidosteom, genuines Osteoblastom, Zementoblastom) ossifizierendes Fibrom Chondrom n n n n n n Chondroblastom (Synonym: Codman−Tumor) Chondromyxoidfibrom (Synonym: chondromyxoides Fibrom) Osteochondrom (Synonym: Ekchondrom) n n n n zentrales Chondrom (Synonyme: Enchondrom, inneres Chondrom) (Abb. 2, 3, 17, 18, 20) juxtakortikales Chondrom (Synonyme: periostales, subperiostales, epiexostotisches Chondrom) n Enchondromatose systemisch auftretende Chondrome n Ollier−Syndrom n Maffucci−Syndrom n Enchondromatose mit spondyloakraler Dysplasie n Metachondromatose benignes Chondroblastom epiphysäres Chondroblastom fibromyxoides Chondrom kartilaginäre Exostose (Abb. 4± 7, 19) n n n vasogen n Hämangiom (Synonym: Angiom) n n n n n anderer Ursprung n n n n n n Lipom benignes fibröses Histiozytom nichtossifizierendes Osteofibrom (s. Abb. 11) fibröser Kortikalisdefekt osteofibröse Dysplasie n Neurofibrom Neurilemmom (Synonym: Schwannom) n n tumorähnliche Knochenläsionen n n n n n semimaligne Knochentumoren n n kapilläres Hämangiom kavernöses Hämangiom benignes Hämangioendotheliom Lymphangiom Glomustumor (Synonym: Glomangiom) n n solitär multipel hereditär Metachondromatose solitär multipel: Albright−Syndrom Neurinom benigner Nervenscheidentumor juvenile Knochenzyste solitäre Knochenzyste (s. Abb. 12) aneurysmatische Knochenzyste intraossäres Ganglion eosinophiles Granulom (Langerhanszell−Histiozytose) Desmoid Riesenzelltumor (s. Abb. 13) Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 249 Systemerkrankungen Abb. 1 n Osteoidosteom der rechten Tibia. Abb. 3 physe. n Ausgedehntes Enchondrom der rechten Humerusdia− 250 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 Abb. 2 n Enchondrom im distalen Anteil des Os metacarpale V rechts. Abb. 4 n Gestieltes Osteochondrom am rechten pro− ximalen Femur bei multiplen kartilaginären Exostosen. ê2008 ê247 ± 276 Abb. 5 n Multiple kartilaginäre Exo− stosen mit resultierender Deformie− rung der distalen Femurmetaphyse. Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Abb. 6 n Monströses Osteochondrom, ausgehend von der Innenseite der linken Skapula mit erheblicher Thoraxdeformierung, bei multiplen kartilaginären Exostosen. Abb. 7 n Multiple kartilaginäre Exostosen mit gestieltem Osteo− chondrom am linken Schambein. Der ausgedehnte, vom rechten Schambein ausgehende Tumor entsprach histologisch bereits einem hoch differenzierten Chondrosarkom. Abb. 9 n Neurilemmom (benignes Schwannom) im Verlauf des N. tibialis. Abb. 8 n Präoperativer klinischer Befund bei Osteochondrolipom des rechten distalen Oberschenkels (a). Röntgenaufnahmen vor (b) und nach (c) marginaler operativer Resektion. Präoperativer MRT−Befund, koronare (d) und transversale (e) Schnittebene. " Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 251 Systemerkrankungen Abb. 10 n Ausgedehntes intramuskuläres Angiom in der linksseitigen pelvitrochanteren Muskulatur. MRT transversal in T1−Wichtung (a) und in T2−Wichtung (b). Abb. 11 n Nichtossifizierendes Fibrom des linken distalen Femur ohne Operationsindikation. Abb. 12 n Knochenzyste des rechten proximalen Femurs mit Gefähr− dung der Stabilität. Präoperativ (a) und nach ¹prophylaktischer“ Osteo− synthese mit PFN sowie intraläsionaler Ausräumung und Spongiosa− plastik (b). Diagnostik Diagnostisches Vorgehen Abb. 13 n Epimetaphysärer Riesenzelltumor der linken proximalen Tibia lateral. Ausgangsbefund (a) und nach intraläsionaler Ausräumung und Auffüllung mit Knochenzement (b). 252 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Aus der Vielzahl der Tumorentitäten an den Bewe− gungsorganen, der großen Zahl möglicher Differenzial− diagnosen und dem Spektrum diagnostischer Metho− den ergibt sich die Notwendigkeit eines diagnostischen Algorithmus (Abb. 14). Dieser Algorithmus hat zu be− rücksichtigen, dass eine sichere Diagnose in der Mehr− zahl der Fälle erst nach entsprechender Diagnostik ge− stellt werden kann. Er darf deshalb nicht speziell auf die benignen Tumoren der Bewegungsorgane zugeschnit− ten sein, sondern muss auch den intermediären und malignen Tumoren Rechnung tragen. Die Feststellung der Dignität einer betrachteten Läsion ist aufgrund der Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Abb. 14 n Standardisierte Stufendiagnos− tik bei benignen und malignen Tumorerkran− kungen der Be− wegungsorgane. Sym pt o m at ische Läsio n Asym pt o m at ische Läsio n (Zufallsb e fund ) Basisd iag nost ik: 1. Anam ne se 2. klinische Unt ersuchung 3. Rö nt g enunt ersuchung , g g f. So no 4. Lab o rd iag nost ik unklarer Tum o r – Malig nit ät nicht sicher ausg e schlossen b enig ner Tum o r – sicher d iag nost iziert Be o b acht ung Sp e zielle Tum o rd iag nost ik: 3. lokal: MRT, CT, Ang io., DSA, (PET) 4. lokoregional (lokale LK): klinisch, So no g rafie, e vent uell CT/ MRT 5. extraregional: Unt ersuchung t yp ischer Prim ärt um o r- und Me t ast asierungso rgane (Lung e, Leber, Nebenniere, Schilddrüse, Mam m a, Abdom en, Prost at a) – verschie d ene Me t ho d en (z.B. CT, So no g rafie, Mam m o g rafie, 6. systemisch: Skele t t szint ig rafie, sp e zielle Lab o rt e chnik, (PET) Therap ie unklarer Tum o r – Malig nit ät nicht sicher ausg e schlossen b enig ner Tum o r – sicher d iag nost iziert Bio psie m alig ner Tum or – sicher diag nost iziert kurat ive o d er palliat ive Tum o rt herapie therapeutischen Konsequenzen und der resultierenden Prognose der wichtigste Aspekt. Dieser muss durch an− gemessene Diagnostik geklärt werden, wobei der Aus− schluss von Malignität mit hinreichender Wahrschein− lichkeit, ggf. durch Biopsie, zu fordern ist. Darüber hinaus bedeutsam ist die Beantwortung der Fragen, n ob überhaupt eine Tumorerkrankung vorliegt, n von welchem Ursprungsgewebe diese ausgeht, n in welcher Beziehung die Läsion zu anatomisch be− nachbarten Strukturen (insbesondere zu den Lei− tungsbahnen) steht, n ob es im Gesamtorganismus weitere Manifestatio− nen gibt. Die Diagnostik muss medizinisch sinnvoll, aber bezüg− lich der eingesetzten Methoden auch ökonomisch ver− tretbar und somit effizient sein. Deshalb sollte sie stets von einfachen zu speziellen, aufwendigen oder ressour− cenintensiven Untersuchungen voranschreiten. Die nichtinvasive Diagnostik sollte möglichst vor invasiven Untersuchungen (Biopsie) erfolgen. Der diagnostische Algorithmus darf immer dann abgekürzt oder unter− brochen werden, wenn Malignität sicher ausgeschlos− sen ist. Diese Voraussetzung ist bei den Läsionen erfüllt, die klinisch und radiologisch sicher diagnostiziert wer− den können, wie beispielsweise beim Osteoidosteom, Osteochondrom, Enchondrom und beim nichtossifizie− renden Fibrom. Bei der Mehrzahl der tumorverdäch− tigen Läsionen ist dies nicht möglich. In diesen Fällen folgt der vollständigen speziellen nichtinvasiven Tumordiagnostik gegebenenfalls die Biopsie. Der Algorithmus kommt immer dann zur An− wendung, wenn anamnestisch, klinisch oder radiolo− gisch der Verdacht auf eine Tumorerkrankung an den Bewegungsorganen besteht. Er gliedert sich in 3 Stufen: n nichtinvasive Basisdiagnostik n nichtinvasive spezielle Tumordiagnostik n Biopsie (invasive Diagnostik) Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 253 Systemerkrankungen Die Durchführung der Biopsie nach Abschluss der nichtinvasiven Diagnostik ist dringend zu empfehlen, da letztere den weiteren diagnostischen und thera− peutischen Ablauf entscheidend beeinflussen kann. Richtungweisend für die gesamte Diagnostik und darüber hinaus auch für die Therapie ist die Frage, ob die betrachtete Läsion ursächlich für die diagnostikaus− lösende Symptomatik war oder ob es sich um einen Zu− fallsbefund handelt. Letzteres ist aufgrund der steigen− den Frequenz bildgebender Untersuchungen (Röntgen und MRT) häufig der Fall. Verursacht ein Tumor Be− schwerden, so spricht dies für Wachstum, für eine In− stabilität oder Nervenkompression. Aus jedem dieser Aspekte ist die Indikation zur Therapie abzuleiten. Im Umkehrschluss sprechen fehlende Belastungs− und Ru− heschmerzen für eine ruhende stabile Läsion, welche in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle lediglich kon− trolliert werden muss. Die zufällige Entdeckung einer asymptomatischen Läsion, bei der dennoch eine Thera− pie indiziert ist, stellt eine Rarität dar. Nachweis oder Ausschluss eines kausalen Zusammenhanges zwischen Tumorbefund und Symptomatik können schwierig sein. Im Zweifelsfall ist von einer Kausalität auszugehen und die entsprechende Diagnostik durchzuführen. Basisdiagnostik Die Basisdiagnostik umfasst die Anamnese, eine klini− sche, röntgenologische und ggf. sonografische Unter− suchung sowie eine begrenzte, orientierende Labor− diagnostik. n Anamnese Besteht eine tumorverdächtige sicht− oder tastbare Schwellung, ist der zeitliche Ablauf deren Entstehung zu erfragen. Weiterhin muss geklärt werden, ob der Patient in der tumorverdächtigen Region Beschwerden angibt, wann diese im Tagesverlauf auftreten, ob es Hinweise auf Entzündung (Rötung, Überwärmung) gibt oder ob ein Zusammenhang von Schmerzen und Belas− tung besteht (asymptomatischer Zufallsbefund oder symptomatische Läsion). Sowohl benigne als auch ma− ligne Tumoren sind häufig gelenknah lokalisiert (z. B. Kniegelenk, Schultergelenk) und erfordern eine sorg− fältige Schmerzanamnese. Nach früheren Tumorer− krankungen ist ebenso zu fragen wie nach Strahlen− exposition, Immunsuppression oder vorangegangenen Unfallereignissen, wobei das Kausalitätsbedürfnis der Patienten zu beachten ist. Keinesfalls darf daraus eine Bagatellisierung und somit Verzögerung der weiteren Diagnostik resultieren. Nach Allgemeinempfinden, Dynamik von Leistungsvermögen und Körpergewicht, Fieber oder Nachtschweiß ist gezielt zu fragen. Bei ent− sprechendem Verdacht sollte auch die Familienanam− 254 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 nese erhoben werden, da einige Erkrankungen (bei− spielsweise multiple kartilaginäre Exostosen, Neuro− fibromatose, Enchondromatose, Morbus Ollier) vererbt werden. Nachtschmerzen mit gutem Ansprechen auf Azetylsalizylsäure oder die schmerzhafte Manifestation einer skoliotischen Fehlhaltung weisen in vielen Fällen auf ein Osteoidosteom hin. Bei bekannten multilokulä− ren Erkrankungen wie beispielsweise multiplen kartila− ginären Exostosen, multiplen Enchondromen oder Neu− rofibromatose muss anamnestisch geklärt werden, ob einzelne Befunde eine Größen− oder Beschwerdepro− gredienz aufweisen, welche auf maligne Transforma− tion hinweisen könnten. Klinik Symptomatik. Expansiv wachsende gutartige Knochen− tumoren sowie Osteochondrome sind häufig bereits klinisch als derbe unverschiebliche Schwellung zu di− agnostizieren. Ein weiteres wichtiges Symptom ist der Schmerz, welcher als Ruhe− und Nachtschmerz durch die wachsende Läsion selbst (Osteoidosteom) oder als Belastungsschmerz sekundär durch die verursachte Osteodestruktion und Instabilität (Enchondrom) be− dingt sein kann. Pathologische Frakturen sind neben dem Schmerz durch die resultierende Fehlstellung und Functio laesa gekennzeichnet. Einige Tumoren können durch Kompression von peripheren Nerven oder der intraspinalen Strukturen neurologische Ausfallerschei− nungen verursachen (z. B. Osteochondrome). Benigne Weichgewebetumoren wachsen langsam und verursachen in der Regel nur geringe Symptome. Sie werden oft über lange Zeit toleriert und erreichen deshalb zum Teil erhebliche Ausmaße. Gutartige periphere neuroektodermale Tumoren der Weichgewebe sind überwiegend in unmittelbarer Nachbarschaft zu Nerven lokalisiert, weshalb sie nicht nur als Schwellung, sondern häufig auch durch die ver− ursachte Nervenkompression symptomatisch werden. Klinische Untersuchung. Die Untersuchung erfolgt am weitgehend entkleideten Patienten und schließt den Seitenvergleich ein. Bei der Inspektion wird auf Schwellungen, Hautreak− tionen wie Retraktionsphänomene und Rötung sowie auf eine Hypotrophie der Muskulatur geachtet. Die Palpation beinhaltet die Beurteilung des Lokal− befundes bezüglich Konsistenz, Ausdehnung, Ver− schieblichkeit der Haut über dem Tumor sowie in Rela− tion zur Umgebung und die Lage des Tumors zu Nachbarstrukturen ± insbesondere zu Leitungsbahnen. Die Funktion der betroffenen Extremität wird nach der Neutral−Null−Methode gemessen. Überprüfung von Sensomotorik und Durchblutung. Zur Objektivierung einer Schwellung ist eine Umfangsmessung im Seiten− vergleich erforderlich. Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Bei entsprechendem Verdacht werden die lokalen sowie die wichtigsten überregionalen Lymphknotengruppen (submandibulär, supraklavikulär, axillär, inguinal, popliteal) untersucht. Die Palpation der Mammae, der Schilddrüse, des Abdomens einschließlich der Nieren− lager, der Genitalien sowie eine rektal−digitale Untersu− chung und die Perkussion und Auskultation der Lunge sind Bestandteil einer sorgfältigen Untersuchung. Bildgebende Verfahren Röntgen. Die konventionelle Röntgenuntersuchung in 2 senkrecht aufeinander stehenden Ebenen besitzt eine herausragende Bedeutung sowohl für die Artdiagnostik und Dignitätsbeurteilung als auch für die Bewertung der Stabilität. Wichtige röntgenologische Kriterien sind der epi−, meta− oder diaphysäre Sitz einer Läsion, das osteolytische, osteosklerotische oder gemischte Wachstum, die Abgrenzbarkeit eines Tumors von der gesunden Umgebung und die Induktion von Periost− phänomenen (Periostabhebung, Zwiebelschalenphäno− men, Spiculae oder Sunburst−Zeichen, Codman−Sporn) (Abb. 15). Auf der Grundlage konventioneller Röntgenaufnah− men erfolgt die Klassifikation der Osteodestruktion nach Lodwick (Abb. 16), wobei 3 Grade unterschieden werden: Abb. 15 n Periostreaktionen bei benignen (rechts) und malignen (links) Knochen− tumoren (aus: Niethard FU. Kinderorthopädie. Stuttgart: Thieme; 1997). n Grad I: geografische Osteolyse bei langsamem Tumorwachstum ± IA: Begrenzung regulär, lobuliert, immer scharf, keine Kompaktapenetration, immer Sklerosesaum, Kompaktavorwölbung < 1 cm (spricht für benigne Läsion) ± IB: Begrenzung regulär, lobuliert, unscharf, keine Kompaktapenetration, Sklerosesaum möglich, Kompaktavorwölbung > 1 cm ± IC: Begrenzung regulär, lobuliert, unscharf/zerfetzt, immer unvollständige Kompaktapenetration, Sklerosesaum und Kompaktavorwölbung möglich Abb. 16 n Lodwick−Klassi− fikation der tumorbedingten Osteodestruk− tion (nach Drynen B, Freyschmidt J. Standardisiertes Vorgehen bei Knochentumor− verdacht. Chirurg 2002; 12 : 1156). IA III im spongiösen Knochen IB Mottenfraß IC III im kompakten Knochen II III perm eativ Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 255 Systemerkrankungen n n Grad II: geografische mottenfraßartige und/oder permeative Osteolyse bei beschleunigtem Tumor− wachstum Grad III: mottenfraßartige und/oder permeative Osteolyse ohne geografische Komponente bei sehr schnellem Tumorwachstum, unscharfe Begrenzung, totale Kompaktapenetration (dringender Verdacht auf Malignität) Einige Läsionen sind aufgrund ihrer charakteristischen Röntgenmorphologie sicher zu diagnostizieren, wie beispielsweise das Osteoidosteom (s. Abb. 1), das Osteochondrom (s. Abb. 4, 5, 19), das Enchondrom (s. Abb. 2, 3, 17), der fibröse metaphysäre Kortikalis− defekt und das nichtossifizierende Fibrom (s. Abb. 11). Sonografie. Bei Weichgewebetumoren kann eine Sono− grafie wertvolle Erkenntnisse erbringen. Dabei gelingen insbesondere die Abgrenzung von Zysten (z. B. Baker− Zyste) sowie die Darstellung der Tumorlokalisation zu Blutgefäßen. Eine hoch auflösende Sonografie bietet bei Trägern eines Herzschrittmachers oder Klaustrophobie eine Alternative zur Kernspintomografie. Laboruntersuchungen Die orientierende Labordiagnostik dient vor allem der Abgrenzung von Entzündungen und beinhaltet insbe− sondere folgende Untersuchungen: n Blutbild (Leukozytose?) n BSR n CRP Spezielle nichtinvasive Tumordiagnostik n Lokale Diagnostik Magnetresonanztomografie. Die Magnetresonanz− tomografie (Kernspintomografie) ist die überragende Methode zur lokalen Diagnostik von Tumoren der Bewegungsorgane (s. Abb. 8 d u. e, 9, 10, 18 c u. d, 22 b, 23 a u. b). Sie gibt Aufschluss über den Aufbau eines Tumors (Homogenität, Gewebetyp ± z. B. bei lipomatö− sen Läsionen, Flüssigkeitsansammlungen wie z. B. Zys− ten oder Einblutungen), dessen Lage im Kompartment oder außerhalb davon, dessen Lagebeziehung zu be− nachbarten anatomischen Strukturen (z. B. zu Nerven, Blutgefäßen, Muskeln, Faszien, Periost und Knochen) und zu seinem Wachstumsverhalten (verdrängend oder infiltrativ). Letzteres, die Ausdehnung eines Tumors so− wie das Anreicherungsverhalten bei Untersuchung mit Kontrastmittel dienen der Beurteilung der Dignität einer Läsion. Eine Größe von mehr als 3 cm Durchmes− ser, eine kräftige, inhomogene Kontrastmittelaufnahme und eine Infiltration von Leitungsbahnen weisen auf 256 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 einen malignen Tumor hin. Eine sichere Aussage über Tumortyp oder Dignität ist allerdings in vielen Fällen nicht möglich, weshalb die Kernspintomografie die his− tologische Untersuchung einer Gewebeprobe nicht er− setzen kann. Bei Verdacht auf einen Knochentumor ist stets die Untersuchung des gesamten tumortragenden Knochens zum Ausschluss von Skip−Metastasen not− wendig. Limitierend für die Kernspintomografie sind unvermeidliche Bewegungen im Untersuchungsgebiet wie beispielsweise Atemexkursionen. Bei der Beurtei− lung kortikaler Läsionen oder der Stabilität besitzen die Computertomografie und das konventionelle Röntgen Vorteile gegenüber der Kernspintomografie. Computertomografie. Die Computertomografie besitzt Vorteile bei der Beurteilung flacher Knochen (Becken, Skapula ± s. Abb. 6), bei der Darstellung kortikaler Kno− chenstrukturen und beim Osteoidosteom. Außerdem ermöglicht sie die Beurteilung der Stabilität einer Lä− sion und kommt bei Kontraindikationen zur Kernspin− tomografie (z. B. bei Schrittmacherträgern oder Klau− strophobie) zum Einsatz. 3−Phasen−Skelettszintigrafie. Die Skelettszintigrafie gibt Aufschluss über die Aktivität und somit das Wachs− tumsverhalten einer Läsion. Dies ist hilfreich, um die therapeutische Relevanz von Zufallsbefunden (z. B. bei mittelgroßen Enchondromen ohne Instabilität) zu überprüfen. Allerdings kann die szintigrafische Mehr− anreicherung bei ausschließlich osteolytischen Läsio− nen wie z. B. beim multiplen Myelom fehlen. Positronen−Emissions−Tomografie (PET) und PET−CT. Diese relativ kostenintensiven Untersuchungsverfahren er− möglichen die dreidimensionale Abbildung von Kno− chen− und Weichgewebetumoren. Bei Darstellbarkeit des Tumors handelt es sich um hervorragende Metho− den zur Nachsorge (Rezidivausschluss), insbesondere dann, wenn implantatbedingte Artefakte die Aussage− kraft der Kernspintomografie stark herabsetzen. Bei be− nignen Tumoren der Bewegungsorgane ist die PET nur selten indiziert, beispielsweise zur Biopsieplanung bei ausgedehnten Tumoren. n Lokoregionale, extraregionale oder systemische Diagnostik Besteht der Verdacht auf Malignität oder kann letztere nicht ausgeschlossen werden, muss ein vollständiges Tumorstaging erfolgen, das die Untersuchung der Lymphknotenstationen im Abstromgebiet des Tumors (lokoregionale Diagnostik), der typischen Manifesta− tionsorgane von Primärtumoren und Metastasen (ex− traregionale Diagnostik: Lunge, Niere, Leber) sowie eine systemische Diagnostik (Ganzkörper−Skelettszintigra− Benigne Tumoren der Bewegungsorgane fie, PET, spezielle Labordiagnostik) beinhaltet. Meist erfolgen n ein Thorax−CT zum Ausschluss von Lungenmetasta− sen sowie eines Lungenkarzinoms, n eine Abdomen− und Schilddrüsensonografie (alter− nativ CT) zum Ausschluss eines Schilddrüsen− und Nierenkarzinoms sowie von abdominalen/retroperi− tonealen Metastasen (Leber, Nebennieren), n eine Ganzkörper−Skelettszintigrafie zum Ausschluss weiterer Läsionen am Skelettsystem, n eine erweiterte Labordiagnostik (u. a. mit erweiterter Eiweißdiagnostik zum Nachweis bzw. Ausschluss eines multiplem Myeloms, Prüfung der Schilddrü− senparameter und ggf. Bestimmung von Tumormar− kern). Da die vorliegende Arbeit auf benigne Tumoren ausge− richtet ist, wird auf eine vollständige Darstellung der Diagnostik maligner Tumoren verzichtet (siehe Leitlinie ¹Diagnostik muskuloskeletaler Malignome“). Hintergrund Grundregeln der Biopsietechnik n n n n n n Entnahme der Probe bei Tumoren im Extremitätenbereich soweit distal wie möglich Wahl des Zuganges in der Schnitt− führung der wahrscheinlichen Definitiv−OP direkten Zugang zum Tumor (kürzester Weg) bevorzugen, wobei die später notwendige Entfernung des Biopsie− kanales in toto mit dem Tumorresektat berücksichtigt werden muss keine Ausdehnung auf subtotale Tumorexstirpation (Ausnahme: Exzisionsbiopsie kleiner oberflächlich lokalisierter Tumoren) keine Eröffnung zusätzlicher Komparti− mente oder Gelenke keine Kontamination von Gefäß− Nerven−Strängen n n n n n Drainageausleitung aus der Wunde oder in unmittelbarer Nähe des Wund− winkels atraumatische Operationstechnik (z. B. Intrakutannaht) und subtile Blut− stillung ausreichende Gewebemenge (mindestens 1 cm3) Meidung von Quetschung oder sonstiger Zerstörung des Gewebe− verbandes die entnommene Gewebeprobe muss repräsentativ sein (vitales Gewebe aus der Tumorrandzone), im Zweifelsfall Schnellschnittuntersuchung zur Prü− fung, ob Biopsiematerial vitale Tumor− anteile enthält Biopsie Die histologische Sicherung der Diagnose durch Unter− suchung einer Gewebeprobe ist obligat, wenn ein Tu− mor nachgewiesen ist und Malignität nicht sicher aus− geschlossen werden kann. Bei ausgedehnten und/oder tief lokalisierten Tumoren besteht das Ziel der Biopsie darin, eine qualitativ und quantitativ ausreichende Menge Tumorgewebes zu gewinnen, ohne die nachfol− gende Therapie negativ zu beeinflussen. Bei kleinen, gut abgrenzbaren, oberflächlich lokalisierten Weichteil− tumoren von maximal 1 ± 2 cm Durchmesser ist aus− nahmsweise die Entfernung und histologische Unter− suchung des gesamten Befundes (Exzisionsbiopsie) zulässig. Bei chondroiden Tumoren ohne Hinweise auf Entdifferenzierung oder ein High−Grade−Sarkom ist die Aussagekraft der Biopsie stark reduziert, sodass in die− sen Fällen ausnahmsweise die intraläsionale Ausräu− mung und histologische Untersuchung der gesamten Läsion zu empfehlen ist. Dies ist auch deshalb zulässig, weil die intraläsionale Ausräumung beim hoch diffe− renzierten, niedrig malignen Chondrosarkom eine zu− lässige operative Behandlung darstellt (Sonderfall). Dieses Vorgehen darf nicht auf andere Tumorarten übertragen werden. Empfehlenswert ist die Durchfüh− rung der Biopsie in der definitiv behandelnden Klinik. Die Biopsie kann auch durch eine sonografische, computertomografische oder kernspintomografische Nadel− bzw. Stanzbiopsie realisiert werden. Dabei kom− men spezielle Biopsienadeln zum Einsatz. Problema− tisch sind die geringe Gewebemenge, welche gewonnen werden kann, und die Kennzeichnung des Zugangswe− ges entsprechend den onkochirurgischen Grundregeln (eine Entfernung des Biopsiekanales in toto mit dem Tumorresektat muss möglich sein). Den Goldstandard stellt deshalb nach wie vor die offene Inzisionsbiopsie dar, welche den Zugangsweg der Definitivoperation berücksichtigt und die Entnahme einer ausreichenden Gewebemenge ermöglicht. Die Exzisionsbiopsie kleiner oberflächlicher Weichteiltumoren erfolgt nach den gleichen Regeln. Bei histologischem Nachweis von Malignität erfolgt hier in gleicher Weise die weite Resektion en bloc mit dem Biopsiekanal, nur dass im Resektat zentral der Hauptbefund fehlt. Bei der Einsendung der Präparate ist Folgendes zu beachten: n korrekte Beschriftung der Präparate, n Mitteilung wichtiger klinischer Angaben, n Übersendung bildgebender Befunde (Röntgen−, MRT− und/oder CT−Filme), n Fixierung der Präparate in 4 %igem Formaldehyd und/oder unverzügliche Einsendung unfixierter Präparate. Die histologische Beurteilung setzt spezielle Erfahrung auf dem Gebiet der relativ seltenen und gleichzeitig morphologisch stark differierenden Knochen− und Weichteiltumoren voraus. Eine Zweitbegutachtung durch einen Referenzpathologen ist häufig empfehlens− wert. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 257 Systemerkrankungen Therapie Therapieziele Therapeutisches Vorgehen, Indikationen und Kontraindikationen Vollständige Entfernung eines Tumors n um eine Progredienz zu verhindern n um drohende Komplikationen (Frakturen, Defor− mitäten, Lähmungen) zu vermeiden n zur Prophylaxe einer sekundären Malignisierung n zum sicheren Ausschluss von Malignität durch voll− ständige histologischen Untersuchung Die Therapieentscheidung ist davon abhängig, ob eine Läsion symptomatisch ist und ob Progression, Instabili− tät, pathologische Frakturen, Deformitäten sowie neu− rologische Komplikationen drohen oder gar die Gefahr der malignen Entartung besteht. Somit ist aus den im Folgenden genannten Therapiestufen das individuell geeignete Vorgehen auszuwählen. n Klinische und radiologische Verlaufskontrolle ± keine Therapie (Anwendung bei sog. ¹leave me alone lesions“) Asymptomatische und größenkonstante Läsionen, wel− che röntgenologisch oder durch andere radiologische Untersuchungen sicher als benigne zu diagnostizieren sind und kein Risiko für Komplikationen oder eine ma− ligne Transformation aufweisen, bedürfen keiner The− rapie. Es empfiehlt sich eine klinische und ggf. röntge− nologische Verlaufskontrolle nach 6 ± 12 Monaten. Hierzu zählen nichtossifizierende Fibrome (s. Abb. 11) bzw. fibröse Kortikalisdefekte ohne Fraktur− gefahr sowie kleine inaktive Enchondrome. Die Verur− sachung von Beschwerden ist richtungsweisend für die Therapieentscheidung. Deshalb spielt die Klärung des kausalen Zusammenhanges zwischen einer röntgeno− logisch auffälligen Läsion und den vom Patienten ge− klagten Beschwerden eine wichtige Rolle. Häufig wer− den beispielsweise Schulter− und Kniebeschwerden irrtümlich auf röntgenologisch sichtbare kleine intra− medulläre Läsionen im proximalen Humerus oder dis− talen Femur zurückgeführt. n Minimalinvasive intraläsionale Therapie (Thermoablation beim Osteoidosteom) Eine thermische Zerstörung der Tumorzellen in situ setzt einen kleinen Tumor und eine sichere radiologi− sche Diagnosestellung voraus. Diese Voraussetzungen sind beim Osteoidosteom erfüllt, welches aus einem sehr kleinen Nidus besteht, der eingebettet in reaktivem kortikalem Knochen liegt (s. Abb. 1). Geführt durch bildgebende Verfahren (CT, MRT oder Röntgen in 2 Ebenen) oder Szintillationslokalisation wird der Elek− trokauter platziert und der Nidus zerstört. Dieses Vor− gehen schont den umgebenden kortikalen Knochen, gestattet jedoch keine histologische Diagnosesicherung. 258 Defektauffüllung und Stabilisierung um das Risiko eines Rezidives zu verringern (z. B. durch Hitzewirkung bei Auffüllung mit Knochenzement) n um langfristig die Stabilität zu gewährleisten n Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 n Intraläsionale Ausräumung (Kürettage) und Defektauffüllung bei intramedullären Läsionen Symptomatische und progrediente Läsionen sind zu therapieren, um die Beschwerden zu beseitigen und Komplikationen zu vermeiden. Außerdem dient die komplette histologische Beurteilung dem sicheren Aus− schluss einer malignen Transformation, die bei einer aktiven Läsion stets in Betracht gezogen werden muss. Das operative Vorgehen beinhaltet die Eröffnung des Tumors, ggf. über eine Fensterung der Kortikalis, die sorgfältige Kürettage und Ausfräsung der Tumoranteile und die anschließende Defektauffüllung. Letztere wird durch eine autogene oder homogene Spongiosaplastik sowie durch Knochenersatzmaterialien realisiert. Bei hochgradiger Instabilität und Frakturgefahr ist zusätz− lich eine defektüberbrückende Plattenosteosynthese indiziert. Das beschriebene Vorgehen wird besonders häufig bei Enchondromen der proximalen Extremitä− tenabschnitte, aber auch im Bereich von Hand und Fuß praktiziert (Abb. 17 u. 18). n Marginale Abtragung Symptomatische oder wachsende Osteochondrome bzw. kartilaginäre Exostosen sind basisnah mithilfe von Meißel oder Oszillationssäge abzutragen. Es empfiehlt sich eine lokale Nachkürettage der Spongiosa im Be− reich der Basis (Abb. 19). Benigne Tumoren der Bewegungsorgane OP−Schritte und Tricks Exkochleation eines Enchondroms und Spongiosaplastik (Kasuistik Abb. 17 und 18) n Vor Beginn der Operation muss mithilfe des beim Bohren als auch beim Sägen ist auf ne Risiken sowie Beschwerden. Eventuell ist Röntgenbildverstärkers die Läsion genau leichte Konvergenz zu achten. Keinesfalls die Einbringung einer geeigneten Mark− geortet werden, da eine Palpation selten darf tangential in der Kortikalis gesägt raumblockade notwendig, um eine Disloka− möglich ist. Diese Lokalisierung schließt die werden. Der Knochendeckel ist getrennt tion der eingebrachten Spongiosa in ent− Ausdehnung der Läsion nach proximal und distal sowie die Markierung des angestreb− n n Sorgfältige Kürettage der Läsion mit geeig− n Nach Verdichtung der Spongiosa ist die ten Knochenfensters ein und erfolgt zu− neten Löffeln, welche in unterschiedlicher nächst auf der Haut. Während bei mark− Größe, Länge und Biegung, sowohl in schar− raumfüllenden Läsionen eine Darstellungs− fer als auch gezahnter Ausführung, vorge− ebene ausreichend ist, kann bei exzentrisch halten werden müssen. Das gesamte ge− wird er innenseitig von anhängigen Anteilen sitzenden oder am Becken lokalisierten wonnene Gewebe wird zur histologischen der Läsion befreit und abschließend mit Läsionen auf die 2. Ebene nicht verzichtet Untersuchung eingesandt. In Zweifelsfällen dem Stößel eingebracht. Eine Cerclage kann werden. ist zusätzlich ein mikrobiologischer Abstrich die Dislokation des Deckels verhindern. Oft Nach längsgerichteter Hautinzision, subku− zu entnehmen. Eventuell sind zusätzliches genügt aber die Auflage von blutstillendem taner Präparation und längsgestellter Fas− Fräsen (mechanische und thermische Wir− Vlies und angrenzender Muskulatur. Vollständigkeit der Auffüllung mit dem Röntgenbildverstärker zu überprüfen. n Ist der Knochendeckel qualitativ geeignet, zieninzision wird der tumortragende Kno− kung) oder adjuvante Maßnahmen (Kryo− chenabschnitt anatomiegerecht durch therapie) empfehlenswert. Auf Vollständig− Muskellücken oder stumpf in Faserrichtung keit der Ausräumung ist besonders bei der Ausdehnung und Lokalisation des Fens− durch die Muskulatur freigelegt. Das typi− gekammerten Läsionen zu achten. ters sowie der Compliance des Patienten sche Vorgehen bei einem Enchondrom der n fernte Diaphysenabschnitte zu verhindern. vom späteren Präparat aufzubewahren. n n In Abhängigkeit von der verbliebenen Stabi− lität des betroffenen Knochenabschnittes, Nach sorgfältiger Spülung von Knochen− besteht immer eine mehr oder weniger er− Diaphyse langer Röhrenknochen beinhaltet höhle und Zugangsweg mit der Jet−Lavage höhte Frakturgefahr (Sollbruchstelle), wes− die nochmalige Lagekontrolle mithilfe eines erfolgt die Auffüllung des Knochendefektes halb die Notwendigkeit einer defektüber− Kirschner−Drahtes unter dem Röntgenbild− mit Spongiosa. Eigene Erfahrungen haben brückenden Osteosynthese (s. Abb. 12) zu n verstärker. gezeigt, dass allogene Spongiosa hierfür prüfen ist. Bei geringfügiger Stabilitätsmin− Nach Inzision und Abschiebung des Periosts ausreichend ist. Deren Anwendung verkürzt derung kommen alternativ eine postopera− werden 4 Eckbohrungen zur Begrenzung die Operationszeit. Dies garantiert eine aus− tive Entlastung bis zur röntgenologisch des Knochenfensters angebracht und mit reichende Defektauffüllung ohne operative nachgewiesenen Konsolidierung oder eine der oszillierenden Säge verbunden. Sowohl Entnahme und somit ohne damit verbunde− externe Schienung in Betracht. Extraläsionale (En−bloc−) oder weite Resektion eines Knochentumors Tumoren mit bekannter Rezidivneigung (z. B. aggressi− ves Osteoblastom), manifeste Tumorrezidive und Tu− moren mit dem Risiko der malignen Entartung müssen extraläsional oder weit (mit Sicherheitsabstand im ge− sunden Gewebe) reseziert werden (Abb. 20). In Abhän− gigkeit von der Lokalisation wird der tumortragende Knochenanteil entfernt. Mit wenigen Ausnahmen (z. B. Tumoren der Darmbeinschaufel, der Fibula) ist an− schließend eine Defektrekonstruktion erforderlich, welche bei jungen Patienten bevorzugt mit biologischen Techniken (z. B. durch autogene Fibulatransplantation, Abb. 20) erfolgen sollte. Eine endoprothetische Defekt− rekonstruktion ist an den Extremitäten fast immer möglich, sollte jedoch Einzelfällen vorbehalten bleiben, da langfristig mit einer höheren Komplikationsrate (z. B. aseptische und septische Lockerung) sowie mit Revi− sionsoperationen gerechnet werden muss. n Extraläsionale oder weite Resektion eines Weichgewebetumors bzw. eines peripheren Nervenscheidentumors Beispiele zu diesem Operationsverfahren sind den OP− Schritte−und−Tricks−Boxen ¹Extraläsionale Resektion eines intramuskulären Lipoms“ bzw. ¹Weite Resektion eines ausgedehnten intramuskulären Lipoms“ zu ent− nehmen. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 259 Systemerkrankungen Abb. 17 n Expansives Enchondrom der Daumenendphalanx. Klinischer Befund vor (a) und 2 Jahre nach (b) intraläsionaler Ausräumung sowie Auf− füllung mit Spongiosa. Röntgenologischer Befund vor (c) und 2 Jahre nach (d) intraläsionaler Ausräumung und Auffüllung mit allogener Spongiosa. 260 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Abb. 18 n Chondroider Tumor des rechten distalen Femur. Ausgangs− befund (a) und Befund 3 Monate nach intraläsionaler Ausräumung mit anschließender allogener Spongiosaplastik über ein laterales Knochen− fenster (b). Vorübergehende Ruhigstellung im Cast−Tutor. MRT−Befund (T1−Wichtung), sagittale (c) und transversale (d) Schnittebene. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 261 Systemerkrankungen Aufklärung OP−Schritte und Tricks Abtragung eines Osteochondroms n n Eine exakte Lokalisation des Osteotomieplanung ist die oft zu− Osteochondroms durch Palpation sätzlich bestehende Deformierung und Röntgenbildverstärker dient der betreffenden Metaphyse zu der unmittelbaren Operations− beachten. Eine Fehlinterpretation vorbereitung. der Osteochondrombasis kann zu Bei gestieltem Tumor genügt eine unnötigen knöchernen Defekten Schnittführung an der Basis des mit resultierender Instabilität und Osteochondroms. Sind dagegen Frakturgefahr führen. Eine prophy− in unmittelbarer Beziehung zum laktische Osteosynthese sollte die Tumor Nerven oder Gefäße zu er− absolute Ausnahme sein. warten, ist eine erweiterte Exposi− n n Die Aufklärung beinhaltet einerseits den Spontanver− lauf mit möglichen Komplikationen der Tumorerkran− kung, wie z. B.: n pathologische Frakturen und resultierende Deformitäten, n neurologische Ausfallerscheinungen infolge Nerven− oder Myelonkompression, n maligne Transformation. Andererseits müssen typische Komplikationsmöglich− keiten der operativen Behandlung angesprochen wer− den. Die Resektionsfläche wird nach− tion mit Darstellung der Leitungs− kürettiert und zur Blutstillung evtl. bahnen notwendig. mit Knochenwachs versiegelt. Auf Komplikationen Nach befundadaptierter längsge− die vollständige Entfernung aller richteter Hautinzision, subkutaner Osteochondromanteile einschließ− Präparation und Faszieninzision lich der Knorpelkappe wird sorg− n erfolgt die Darstellung des Osteo− fältig geachtet. n Blutstillung und schichtweiser n chondroms, das an der Basis tan− gential mit Meißel oder oszillieren− n Frühkomplikationen Wundverschluss. der Säge abgetragen wird. Bei der n Wundheilungsstörung und Infektion Thrombose und Lungenembolie Fraktur (z. B. nach Enchondromausräumung über ein Knochenfenster) Verletzung von Nerven und Blutgefäßen sowie deren Folgen Spätkomplikationen n n Abb. 19 n Osteochondrom der Grundphalanx der 3. Zehe mit resultierender Fraktur− gefahr der 2. Zehe und Vorfußdeformität. Befund vor (a) und nach (b) der marginalen operativen Abtragung. 262 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Versagen der Osteosynthese Tumorrezidiv Benigne Tumoren der Bewegungsorgane OP−Schritte und Tricks En−bloc−Resektion eines Knochentumors (extraläsionale Resektion) n Genaue Lokalisation des Tumors mithilfe zusätzlich die geplante Defektrekonstruk− des Röntgenbildverstärkers. Proximale und tion, welche biologisch (Knochentransplan− distale Begrenzung werden zur optimalen tation, augmentierende Osteosynthese, Gestaltung des Zuganges auf der Haut mar− Segmenttransport) oder ausnahmsweise kiert. Angestrebt wird eine Resektion knapp mithilfe von Endoprothesen bzw. diaphysä− außerhalb der Läsion. Zu berücksichtigen ist ren Spacern realisiert werden kann. n Nach längsgerichteter Hautinzision, sub− kutaner Präparation und längsgestellter Faszieninzision wird der tumortragende Knochenabschnitt zwischen den Muskel− septen oder transmuskulär dargestellt (glei− ches Vorgehen wie bei Exkochleation eines Enchondroms und Spongiosaplastik, s. o.). n Nach nochmaliger Kontrolle der Tumoraus− dehnung mit Markierungsdrähten und Röntgenbildverstärker erfolgt die extra− läsionale Resektion. Wird ein Diaphysen− abschnitt entfernt, so ist nach Rotations− markierung zunächst eine der beiden Osteotomien auszuführen. Die zirkuläre Auslösung des zu resezierenden Abschnittes wird durch die Abwinklung des distalen Fragmentes erleichtert. Es folgt die zweite Osteotomie. Aus dem proximalen und dis− talen Markraum werden jeweils zusätzliche Biopsien entnommen, um die extraläsionale Resektion zu dokumentieren. Bei metaphy− särem Tumorsitz und notwendiger Resekti− on eines epimetaphysären bzw. partiell diaphysären Abschnittes kann die Rekons− truktion mit Tumorendoprothesen erforder− lich sein. Das operative Vorgehen richtet sich dann nach Lokalisation und Art der endoprothetischen Versorgung. Bei allen Formen der ossären Kontinuitäts− unterbrechungen ist neben der Wiederher− stellung von Länge und Achse in besonde− rem Maße auf die Rotationseinstellung zu achten. Abb. 20 n Chondrom der linken distalen Ulna. Klinischer Befund (a), röntgenologischer Verlauf (b) mit Ausgangsbefund (links), und Ausheilungszustand nach weiter Resektion, Überbrückung mit autogener Fibula und Osteosynthesematerialentfernung (rechts). Intraoperativer Befund (c). Resektat von außen betrachtet (d), Schnittfläche nach dem Zu− schneiden (e). Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 263 Systemerkrankungen Nachbehandlung OP−Schritte und Tricks Weite Resektion eines Knochentumors Im Gegensatz zur En−bloc−Resektion bei perforierenden Tumoren zusätz− wird der Biopsiekanal mit dem lich aufliegende Muskelanteile von tumortragenden Knochenabschnitt 2 ± 3 cm Schichtdicke reseziert wer− reseziert, wobei aufliegende Weich− den. Die ossären Resektionsgrenzen gewebe (Periost, Bindegewebe, ggf. werden ebenfalls großzügig bemes− Anteile der Muskulatur) am Tumor− sen, um dem Anspruch einer weiten präparat verbleiben. Während bei Resektion nach Enneking gerecht zu Tumoren, welche die Kortikalis res− werden (Abb. 21). Im Markraum pektieren, das aufliegende Periost in muss ein Abstand von 5 cm zum der Regel ausreichend ist, müssen Tumor gewährleistet sein. intraläsional marginal weit Die Weiterbehandlung orientiert sich am gewählten Operationsverfahren und beinhaltet in der Regel eine krankengymnastische Übungsbehandlung und bei Läsionen im Bereich der unteren Extremitäten eine Gangschulung. Besteht eine befund− oder operations− bedingte Stabilitätsminderung, sind adäquate Entlas− tungsmaßnahmen sowie eine röntgenologische Be− fundkontrolle begleitend zur Belastungssteigerung angezeigt. Nach chirurgischer Therapie sind Rezidive gutartiger Knochen− und Weichgewebetumoren selten. Dennoch ist eine klinische und radiologische Nachbeobachtung zum Rezidivausschluss zu empfehlen. Diese sollte nach Behandlung von Weichteil− oder intramedullären Tu− moren kernspintomografisch 6 ± 12 Monate postopera− tiv erfolgen. Bei Osteochondromen ist eine röntgenolo− gische Kontrolle ausreichend. radikal Abb. 21 n Klassifikation der Qualität onkochirurgischer Eingriffe nach Enneking: intraläsionale, marginale, weite und radikale Resektion. OP−Schritte und Tricks Weite Resektion eines ausgedehnten intramuskulären Lipoms (bei welchem unabhängig vom Biopsiebefund stets die Differenzialdiagnose eines hoch differenzierten Liposarkoms zu diskutieren ist) n Das Vorgehen entspricht der Resektion sektionsgrenzen erfordert eine Resektion vor aufwendigen, plastischen Rekonstruk− eines Sarkoms. Hautspindel mit Biopsie− von umgebender Muskulatur und Binde− tionen mit Einbeziehung extraregionaler narbe und der Biopsiekanal werden en bloc gewebe, wobei der Tumor zu keinem Zeit− Bereiche, wie z. B. bei freien Lappenplas− mit dem Tumor reseziert. Entsprechend des punkt eröffnet werden darf. tiken. Eine Markierung der ehemaligen Nach Entfernung des Tumors sollten die Re− Tumorlokalisation mit Titanclips kann eine ¹no touch“ wird in der Unterhaut zunächst 264 n divergierend präpariert. Faszieninzision in sektionsränder durch Schnellschnittunter− adjuvante Strahlentherapie erleichtern, er− mindestens 2 ± 3 cm Entfernung zur Biop− suchungen überprüft werden. Dies betrifft schwert allerdings auch in geringem Maße sienarbe. Eine korrekte Gestaltung der Re− besonders kritische Bereiche und ist obligat die Nachkontrollen mittels MRT. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane OP−Schritte und Tricks Extraläsionale Resektion eines intramuskulären Lipoms Der Tumor wird präoperativ sonografisch, kernspintomogra− zieninzision folgt in der Regel die stumpfe Präparation durch fisch oder zu Beginn der Operation palpatorisch lokalisiert. die Muskulatur und schließlich die Darstellung des Tumors. Hautmarkierungen bezüglich des Tumors und zur Planung Intramuskuläre Lipome ohne Malignitätsverdacht werden der Schnittführung sind hilfreich. Die Inzision über der Läsion stumpf mobilisiert und nach Unterbindung des Gefäßstieles wird längsgerichtet. Nach subkutaner Präparation und Fas− entfernt. Abb. 22 n Intramuskuläres Lipom des rechten Oberarmes. Klinischer Befund (a), Kernspintomografie (b), intraoperativer Befund mit präpa− rierten Nerven und Gefäßen (c), Resektat (d). Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 265 Systemerkrankungen Hintergrund Extraläsionale Resektion eines peripheren Nervenscheidentumors Das Vorgehen entspricht zunächst dem bei benignen mesenchyma− len Tumoren. Periphere Nervenscheidentumoren liegen regelmäßig in der Nähe eines Nervs, von welchem sie ihren Ausgang nehmen. Sie werden vorsichtig stumpf präpariert und ausgelöst, wobei ggf. das Perineurium eröffnet werden muss. Zur Schonung der Faszikel ist der Einsatz von Lupenbrille oder Operationsmikroskop zu empfehlen. In der Mehrzahl der Fälle gelingt die Resektion ohne gravierende neu− rologische Defizite. Abb. 23 n Neurofibrom des linken N. tibialis distal der Kniekehle. MRT in T1−Wichtung sagittal (a) und in T2−Wichtung transversal (b). Nach operativer Darstellung (c), Tumorresektat mit Maßstab (d). 266 Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Prognose Literatur Die Prognose gutartiger Knochentumoren ist abhängig von Lokalisation und Ausdehnung und der daraus re− sultierenden Frakturgefahr. Die Mehrzahl der Läsionen bleibt asymptomatisch, heilt spontan aus oder zeigt nach Abschluss des Skelettwachstums keine weitere Progredienz, sodass die Prognose günstig zu beurteilen ist. Eine ungünstige Prognose besitzen multilokulär auftretende Knochentumoren wie beispielsweise mul− tiple Chondrome bei Morbus Ollier oder Maffucci−Syn− drom, da sie einerseits ausgeprägte Extremitätenfehl− bildungen bewirken können und andererseits ein erhebliches Risiko der malignen Transformation auf− weisen. Die Prognose gutartiger Weichgewebetumoren ist ebenfalls von ihrer Lokalisation und Ausdehnung ab− hängig. Bei großen Läsionen ist eine maligne Transfor− mation möglich oder bereits eingetreten. Bei adäquater chirurgischer Therapie ist die Prognose günstig und Re− zidive sind selten. Breitenseher M, Dominkus M, Amann G. Bildgebende Diagnostik und Therapie der Weichteiltumoren ± mit pathologischer Klassifikation, Nuklearmedizin, interventioneller Therapie. Stuttgart: Thieme, 2008 Campanacci M. Bone and Soft Tissue Tumors. New York: Springer, 1986 Enneking WF. Musculoskeletal Tumor Surgery. New York: Churchill Livingstone, 1983 Freyschmidt J, Ostertag H, Jundt G. Knochentumoren. 2. Aufl. Berlin: Springer, 2003 Lodwick GS, Wilson AJ, Farrell C et al. Determining growth rates of focal lesions of bone from radiographs. Radiology 1980; 134: 577 ± 583 von Salis−Soglio G, Prietzel T. Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf maligne Knochen− und Weichteiltumoren. Orthopäde 2002; 31: 595 ± 607 Schajowicz F. Tumors and Tumorlike Lesions of Bone. New York: Sprin− ger, 1994 Themenheft zu benignen Knochentumoren und tumorartigen Läsionen. Orthopäde, 1995; 24 Winkelmann W (Hrsg). Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Tumoren, tumorähnliche Erkrankungen. Stuttgart: Thieme, 2005 Korrespondenzadresse Begutachtung Funktionelle Bedeutung und somit Relevanz für die sozialmedizinische Begutachtung besitzen: n ausgedehnte benigne Tumorbefunde, aus denen eine Funktionseinschränkung resultiert, n benigne Tumoren, welche durch ihre Lokalisation Lähmungen verursachen, n benigne Knochentumoren, aus denen pathologische Frakturen resultieren, n multiple benigne Knochentumoren, die zu Defor− mierungen führen. Dr. med. Torsten Prietzel Orthopädische Klinik und Poliklinik der Universität Leipzig Liebigstraße 20 04103 Leipzig Telefon: 0341/9723000 Telefax: 0341/9723009 E−Mail: Torsten.Prietzel@medizin.uni−leipzig.de Perspektiven n n n neue Diagnostikverfahren (z. B. neue MRT−Sequen− zen, PET bzw. PET−CT zur Verlaufskontrolle bei mul− tiplen Tumoren oder Verdacht auf maligne Transfor− mation) neue minimalinvasive Therapieverfahren (z. B. Thermoablation beim Osteoidosteom) Markraumendoskopie Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 267 Systemerkrankungen Ausgewählte benigne Tumoren der Bewegungsorgane im Überblick 1 Osteoidosteom Beschreibung kleiner, benigner, gut vaskularisierter Tumor von maximal 1 ± 2 cm Durchmesser, welcher Nervenfasern enthält, die für den charakteristischen Schmerz verantwortlich gemacht werden Inzidenz 12 % der benignen Knochentumoren Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung 60 % manifestieren sich im 1. und 2. Lebensjahrzehnt, leichte Häufung bei männlichen Patienten Vorzugslokalisation Diaphysen der langen Röhrenknochen (Femur und Tibia), Wirbelsäule (dorsale Fortsätze, Konkavseite der Skoliose) und Humerus Symptomatik/Klinik Schmerz, der bei 1/3 der Patienten in zweiter Nachthälfte auftritt, aber auch Belastungsschmerz; die schmerzstillende Wirkung von Salizylaten kommt nur bei 30 % der Fälle vor, eine schmerzbedingte skoliotische Fehlhaltung kann auf ein Osteoidosteom der Wirbelsäule hindeuten radiologische Befunde Röntgen: Nachweis eines kleinen Nidus mit ausgeprägter Perifokalsklerose CT: analoger Befund, z. B. im Bereich der Wirbelsäule Differenzialdiagnose Ermüdungs− bzw. Stressfraktur, Kompaktainseln, Osteoblastom, entzündliche Prozesse: Brodie−Abszess, chronisch sklerosierende Osteomyelitis; periostales Osteosarkom, Osteosarkom (osteoblastische Metastasen) Therapie operativ: Entfernung des Nidus durch Thermoablation, sparsame Resektion, Exkochleation, Zylinderbohrung ± entscheidend ist die exakte Lokalisation des Nidus, Führung durch CT oder Szintillationslokalisation, ggf. Kontrolle durch Röntgenuntersuchung des Knochenzylinders bzw. Resektates Prognose günstig, keine maligne Transformation 1 Osteoblastom 268 Beschreibung gutartiger, aggressiv wachsender Tumor, histologisch ähnlich dem Osteoidosteom, aber mit 2±10 cm Ausdehnung deutlich größer (¹giant osteoid osteoma“), osteoblastisch, sich in Spongiosa entwickelnd, gefäßreiches Stroma, geringe Perifokalsklerose, Sonderform: aggressives Osteoblastom Inzidenz 5−mal seltener als Osteoidosteom, weniger als 1 % der benignen Knochentumoren Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung 1. und 2. Lebensdekade, männliche Patienten 3−mal so häufig betroffen wie weibliche Vorzugslokalisation meist an der Wirbelsäule, weiterhin Metadiaphyse langer Röhrenknochen, auch im Bereich der kleinen Knochen an Hand und Fuß Symptomatik/Klinik leichte wechselnde Beschwerden, kein typischer Nachtschmerz, bei Lokalisation an der Wirbelsäule sind Lähmungen bis zur Querschnittslähmung möglich radiologische Befunde Röntgen: fleckförmige gemischt osteoblastisch−osteolytische Knochenstrukturstörung von 2 ± 10 cm Ausdehnung Differenzialdiagnose aneurysmatische Knochenzyste, aggressives Osteoblastom oder malignes Osteoblastom, Osteosarkom Therapie Biopsie notwendig, Kürettage (intraläsionale Resektion) bei kleinen Tumoren mit Lokalisation an den Meta− physen der Röhrenknochen (unter Beachtung der Wachstumsfugen) oder der Wirbelsäule, ggf. En−bloc−Resektion (immer beim aggressiven Osteoblastom) Prognose bei adäquater Therapie sind Rezidive selten Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane 3 Osteochondrom, multiple kartilaginäre Exostosen (Synonyme: kartilaginäre Exostose, Ekchondrom, Exostosenkrankheit, Ekchondromatose) Beschreibung benigner Knochentumor mit wachstumsadaptierter Progredienz, der wahrscheinlich auf versprengte Anteile der Epiphysenfuge zurückzuführen ist; tritt solitär, multipel und im Rahmen einer Erbkrankheit auf Inzidenz überwiegender Anteil der benignen Knochentumoren, multiple Exostosen selten ± solitäre kartilaginäre Exostosen häufiger, ca. 1 : 1000 Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung männliches Geschlecht doppelt so häufig betroffen wie weibliches Vorzugslokalisation Metaphysen langer Röhrenknochen: Femur distal, Tibia, Humerus, Fibula, Hand, Skapula, Becken Symptomatik/Klinik sicht− und tastbare knöcherne Resistenzen in Gelenknähe (besonders in der Knieregion), bei Ekchondromatose oft zusätzlich Radiusköpfchenluxation, Ulnardeviation der Hand bei eingeschränkter Radialduktion, Tibia valga, Pes valgus, Beugekontraktur Ellenbogen, milder dysproportionaler Minderwuchs (vermindertes Längenwachstum der langen Röhrenknochen) radiologische Befunde Röntgen: breitbasige sessile Exostosen und schmalbasige kurz− oder langgestielte Exostosen, diaphysenwärts gerichtet, direkter Übergang von Spongiosa und Kortikalis des angrenzenden Knochens in die Exostose, während des Wachstums ¹Wanderung“ diaphysenwärts, dadurch verbreiterte flaschenartig bzw. kolbig deformierte Meta− physen, Projektionsphänomene (Pseudozysten). MRT: typische gestielte Tumoren mit metaphysärem Sitz und Ausrichtung zur Diaphyse, Knorpelkappe, breiter Übergang der Spongiosa der Metaphyse in die Läsion Differenzialdiagnose keine, da typische Befunde Spontanverlauf mit Wachstumsabschluss in der Regel keine weitere Befundprogredienz Therapie Abtragung symptomatischer Exostosen (marginale Resektion), bei multiplen kartilaginären Exostosen zusätzlich Umstellungsosteotomien Prognose günstig, maligne Entartung selten 4 Chondrom (Enchondrom, juxtakortikales und periostales Chondrom) Beschreibung gekennzeichnet durch Bildung reifen Knorpels; Auftreten solitär, multipel oder im Rahmen von Systemerkrankun− gen (Morbus Ollier, Maffucci−Syndrom); nach Lokalisation unterscheidet man zentrale (Enchondrome) und exzent− rische (juxtakortikale und periostale) Chondrome; fließende Übergänge zum hoch differenzierten Chondrosarkom Inzidenz 10 ± 15 % der benignen Knochentumoren Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung keine Geschlechtsbevorzugung, treten im 10. ± 50. Lebensjahr auf Vorzugslokalisation kurze und lange Röhrenknochen Symptomatik/Klinik Beschwerden bei Befundprogredienz, Instabilität und pathologischer Fraktur radiologische Befunde Röntgen: zystische, oft lobuläre und scharf begrenzte zentrale Osteolyse in mehr oder weniger aufgetriebenem Knochen, keine Periostreaktion, irreguläre kalkspritzerartige Kalzifikationen (popcornartig) MRT: Nachweis einer chondroiden Matrix Differenzialdiagnose Chondrosarkom, Knocheninfarkte, fibröse Dysplasie, Desmoidtumoren, Fibrosarkome, Metastasen Therapie Biopsie bei hoch differenzierten chondroiden Tumoren nicht sinnvoll, deshalb primär intraläsionale Ausräumung und histologische Untersuchung der gesamten Läsion (Exkochleation und Spongiosaplastik) ± bei multiplen Chondromen Therapie der symptomatischen und größenprogredienten Tumoren Prognose gut, oft handelt es sich um Zufallsbefunde, bei multiplen Enchondromen ist eine Entartung in 30 ± 50 % der Fälle zu erwarten Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 269 Systemerkrankungen 5 Chondroblastom Beschreibung seltener knorpelzellhaltiger Tumor Inzidenz selten, 1 % der primären Knochentumoren Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung bevorzugt 2. Lebensdekade und männliches Geschlecht Vorzugslokalisation Epiphysen langer Röhrenknochen (Humerus, Femur, Tibia), seltener epimetaphysär Symptomatik/Klinik Bewegungs− und Belastungsschmerzen infolge gelenknaher Lokalisation, evtl. Gelenkerguss radiologische Befunde Röntgen: epiphysäre Läsion ± rundlich oval bis zystisch, mit deutlichem, scharf begrenztem Sklerosesaum, Beziehung zur Epiphysenfuge ± bis in die Metadiaphyse, Kortikalisreaktionen in ca. 40 % der Fälle Skelettszintigrafie: deutliche Mehranreicherung Differenzialdiagnose Chondrom, Chondrosarkom Therapie Kürettage und Spongiosaplastik, durch Nähe zu Gelenken und Epiphysenfugen erschwert, bei fortgeschrittenen Befunden ggf. weite Resektion Prognose erhöhte Rezidivneigung 6 Chondromyxoidfibrom 270 Beschreibung gekennzeichnet durch chondroide, myxoide und fibrotische Anteile Inzidenz selten Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung gehäuft 2. u. 3. Lebensdekade, keine Geschlechtsbevorzugung Vorzugslokalisation Metaphyse und metaphysennahe Diaphyse langer Röhrenknochen, besonders häufig im Bereich der proximalen Tibiametaphyse Symptomatik/Klinik Schwellung, Schmerzen, selten pathologische Frakturen radiologische Befunde Röntgen: exzentrische längsovale Osteolyse mit perifokaler Sklerose, Kortikalis ggf. infolge endostaler Resorption ausgedünnt, bei Kindern evtl. Kontinuität bis zur Wachstumsfuge ± bei Erwachsenen von Epiphysen− fuge abgesetzt Differenzialdiagnose Chondrome, Chondroblastome, Riesenzelltumor, solitäre Knochenzyste, desmoplastische Fibrome, Chondrosarkome Therapie intraläsionale Resektion (cave Rezidive!) oder marginale Resektion (cave Wachstumsfugen!), Defektauffüllung mit Spongiosa oder Knochenzement, in ausgewählten Fällen weite Resektion Prognose Neigung zum Rezidiv bei intraläsionaler Ausräumung, Rezidive nach marginaler oder weiter Resektion sind dagegen selten, Metastasen wurden beschrieben, maligne Transformation soll vorkommen Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane 7 Intermuskuläres/intramuskuläres Lipom (Synonym: Myolipom) Beschreibung gehört zu den tief liegenden gutartigen Fettgewebetumoren. Reifes inter− bzw. intramuskulärem Fettgewebe mit Aufsplittung bzw. Einschluss von Muskelfasern. Durchmesser im Gegensatz zu den oberflächigen Lipomen häufig größer als 5 cm Inzidenz seltene Form des Lipoms, Anteil der Lipome an den Weichteiltumoren insgesamt ca. 50 %, Anteil der tiefen Lipome 3 ± 8 % Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung bevorzugt bei Frauen in allen Altersklassen, bei Kindern multiple Muskelbeteiligung, sog. Lipomatose Vorzugslokalisation vorwiegend im Bereich der Oberschenkel− und Schultermuskulatur, beim männlichen Geschlecht häufig muskelinvasives Wachstum Symptomatik/Klinik meist schmerzlos, bei Größenprogredienz sekundär hervorgerufene schmerzhafte Nervenkompression und Bewegungseinschränkungen mit Deformierungen bei Muskelkontraktion radiologische Befunde MRT: Fettgewebe isointens zu subkutanem Fettgewebe in der T1− und T2−Wichtung (sehr signalreich), in der Fettunterdrückung T2−gewichtet signallos schwarz, gleichmäßige Septierungen bis 2 mm Breite ohne KM Anreicherung im Vergleich zur Muskulatur, ggf. Involutionszeichen Differenzialdiagnose hoch differenziertes Liposarkom Therapie extraläsionale oder weite Resektion (letzteres, wenn bei ausgedehnten Befunden hoch differenziertes Liposarkom nicht sicher ausgeschlossen ist) Prognose sehr gute Prognose bei vollständiger Entfernung, Rezidivrate bis zu 15 % 8 Benignes Schwannom (Synonym: Neurilemmom, Neurinom) Beschreibung gutartiger, meist rundlich abgekapselter, langsam wachsender Tumor des Nervenscheidengewebes mit fleckig hellbrauner Schnittfläche, Durchmesser bis zu mehreren Zentimetern (selten > 5 cm), mikroskopisch spindelzellige Proliferation, herdförmig palisadenartige angeordnete Kerne mit geringer Mitoserate, häufig regressive Verän− derungen, immunhistochemisch charakteristische S100−Positivität, enthält keine Nerven, nervale Strukturen gelegentlich inner− oder außerhalb der Kapsel zu finden Inzidenz selten, ca. 5 % Anteil an gutartigen Weichteiltumoren Prädilektionsalter und Geschlechtsverteilung keine Geschlechterbevorzugung, kommt in jedem Lebensalter vor, Gipfel in der 4.±6. Lebensdekade, selten bei Kindern Vorzugslokalisation meist subkutan solitär, selten in tiefen Weichgewebsschichten, Prädilektionsstellen sind Beugeseiten der unteren Extremitäten, Kopf− und Halsbereich, bevorzugter Befall von sensorischen Nerven, selten auch motorische und autonome Nerven Symptomatik/Klinik Erstsymptom häufig schmerzlose Schwellung, später Schmerzen und Lähmungserscheinungen bis zur seltenen Querschnittslähmung bei Lokalisation an der Wirbelsäule radiologische Befunde Röntgen: Knochenarrosion bei Knocheninfiltration Sonografie: inhomogene durch die Kapsel gut abgrenzbare Strukturen im Nervenverlauf MRT (golden standard): glatt begrenzte spindelförmige Raumforderung mit Bezug Nerven, in T2 hyperintense, teils zystisch und heterogen anreichernde Masse, T1−Wichtung hypodens oder weichteilsointens mit Anreiche− rung nach KM−Gabe Differenzialdiagnose Neurofibrom, Leiomyom, fibröse Läsionen, Neurom Therapie Biopsie, En−bloc−Resektion, ggf. Bestrahlung Prognose bei adäquater Therapie keine Neigung zu Rezidiven, keine Metastasierung, selten umschriebene maligne Zellveränderungen Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 271 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane CME−Fragen Die folgenden Fragen beziehen sich auf den vorangehenden Beitrag. Sie können uns die entsprechenden Antworten entweder online unter http://cme.thieme.de oder durch das CME−Teilnahmeheft hinten in dieser Zeitschrift zukommen lassen. Jeweils eine Antwort ist richtig. Die Vergabe von CME−Punkten ist an die korrekte Beantwortung der Multiple−Choice−Fragen gebunden. Welche der folgenden Aussagen ist richtig? Welche der folgenden Aussagen ist falsch? Welche der folgenden Aussagen ist richtig? 1 A Das Osteoidosteom ist der häufigste gutartige Knochentumor. B Das Enchondrom wird durch häufige Röntgenuntersuchungen verursacht und neigt zur malignen Transformation. C Der Nervenscheidentumor gehört zu den Weichteiltumoren und ist somit mesodermaler Abstammung. D Osteochondrome und Chondrome sind die häufigsten benignen Knochentumoren, Lipome und fibrohistiozytäre Tumoren stellen die häufigsten benignen Weichteiltumoren dar. E Typisch für die Neurofibromatose ist die Kombination von Pigmentstörungen der Haut und zahlreichen subkutanen Lipomen. 2 A Kann Malignität durch nichtinvasive Diagnostik nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, ist eine Biopsie indiziert. B Bei verschieblichen Tumoren sollte sofort eine Exzisionsbiopsie erfolgen, um die Diagnostik abzukürzen. C Die Diagnostik sollte einem Algorithmus folgen, welcher zunächst einfache und danach ggf. aufwendige oder gar invasive Untersuchungen vorsieht. D Die Diagnostik kann beendet werden, wenn ein Tumor ausgeschlossen und/oder die Beschwerden des Patienten auf eine andere Ursache zurückgeführt werden konnten. E Die Zunahme radiologischer Untersuchungen (beispielsweise MRT−Untersuchungen) hat dazu geführt, dass häufig asymptomatische Knochen− und Weichgewebetumoren diagnostiziert werden. 3 A Ein Ekchondrom wächst während der Pubertät und verursacht typischerweise Nacht− schmerzen. B Das Osteoidosteom verursacht Belastungsschmerzen und führt zum vermehrten Längenwachstum der betroffenen Extremität. C Das Krankheitsbild der multiplen kartilaginären Exostosen führt nur selten zu Skelettdeformierungen und resultierenden Funktionsstörungen. D Nachtschmerzen mit gutem Ansprechen auf Azetylsalizylsäure weisen in vielen Fällen auf ein Osteoidosteom hin. E Das Enchondrom wird in der Mehrzahl der Fälle erst durch eine pathologische Fraktur diagnostiziert. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 273 Systemerkrankungen Welche der folgenden Aussagen ist falsch? Welche der folgenden Aussagen ist falsch? Welche der folgenden Aussagen ist richtig? 274 4 A Eine Röntgenuntersuchung der tumorverdächtigen Region hat nach Anamnese und klinischer Untersuchung, jedoch vor einer geplanten Kernspintomografie zu erfolgen. B Die Einführung moderner Diagnostikverfahren wie beispielsweise Kernspintomografie oder Positronenemissionstomografie hat die konventionelle Röntgendiagnostik zurück− gedrängt und wird sie in naher Zukunft vollständig ersetzen. C Die Szintigrafie gibt Aufschluss über die Knochenstoffwechselaktivität und somit das Wachstumsverhalten eines Tumors. Dies ist hilfreich, um therapierelevante Läsionen von Zufallsbefunden zu unterscheiden. D Mithilfe der Labordiagnostik können bestimmte Erkrankungen wie beispielsweise Ent− zündungen oder ein multiples Myelom ausgeschlossen werden. Es existieren jedoch keine speziellen Marker für benigne Tumoren der Bewegungsorgane. E Eine Biopsie sollte nach Abschluss der nichtinvasiven Diagnostik erfolgen, da deren Untersuchungsbefunde sonst durch Artefakte beeinträchtigt werden. 5 A Eine perifokale Sklerose im Nativröntgen spricht für einen benignen Charakter der betrachteten Läsion. B Eine Tumorinfiltration der Kortikalis, ein sog. mottenfraßartiges oder permeatives Wachstum, ist ein Indiz für Malignität. C Periostphänomene (u.a. Spiculae) sind Hinweis auf einen Tumor, der zum Beispiel aus dem Markraum kommend unter dem Periost wächst, in dem er dieses abhebt, aber nicht überwinden kann. Dies ist ein typisches Zeichen für primär maligne Knochentumoren. D Eine Kortikalisarrosion und die damit einhergehende Instabilität weisen immer auf einen rasch progredienten und somit malignen Prozess hin. E Die Röntgenuntersuchung erfolgt in 2 senkrecht aufeinander stehenden Ebenen. Sie gestattet gleichfalls die Beurteilung der Stabilität einer Läsion. 6 A Die Kernspintomografie ist die überragende Methode zur lokalen Diagnostik von Tumoren der Bewegungsorgane. Dennoch kann sie die histologische Untersuchung einer Gewebe− probe nicht ersetzen. B Die Kernspintomografie zeigt das Wachstumsverhalten eines Tumors. In Kombination mit dem Kontrastmittelanreicherungsverhalten ist so eine sichere Aussage zur Dignität in fast allen Fällen möglich. C Die Kernspintomografie ist bei Knochentumoren ungeeignet, da die Kortikalis nur indirekt durch die Signalauslöschung abgebildet werden kann. D Mithilfe der Kernspintomografie kann das Ursprungsgewebe eines Tumors mit großer Zuverlässigkeit festgestellt werden, sodass eine Biopsie nur selten erforderlich ist. E Aufgrund der fehlenden Röntgenstrahlenbelastung kann die Kernspintomografie aus− nahmslos bei allen Patienten zur Anwendung kommen. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 Benigne Tumoren der Bewegungsorgane Welche der folgenden Aussagen ist richtig? Welche der folgenden Aussagen ist falsch? Welche der folgenden Aussagen ist richtig? 7 A Eine Biopsie ist eine kleine Operation, welche ohne weitere Vorbereitung durchgeführt werden kann, da andere Untersuchungen im Bedarfsfall problemlos nachgeholt werden können. B Aufgrund der Überlastung tumorspezialisierter Kliniken sollten Biopsien vorwiegend in heimatnahen Kliniken oder ambulant erfolgen. C Die Technik der Biopsie ist zweitrangig, da in vielen Fällen ohnehin nochmals operiert werden muss. D Im Rahmen von Biopsien sollte immer auf Wunddrainagen verzichtet werden, um den Blutverlust so gering wie möglich zu halten. E Im Rahmen von Biopsien sollte schonend, aber direkt präpariert werden, um keinesfalls unnötig wichtige anatomische Strukturen wie Nerven, Blutgefäße oder Gelenke zu kontaminieren. Muskeln werden, wenn möglich, stumpf in Faserrichtung durchtrennt und nicht weiträumig anatomisch separiert oder verlagert. 8 A Asymptomatische Knochenläsionen sind auf jeden Fall operativ zu behandeln, auch wenn sie röntgenologisch benigne erscheinen. B Gutartige Knochentumoren und Läsionen, die sicher radiologisch diagnostiziert werden können wie z. B. das nichtossifizierende Fibrom (NOF), erfordern nur dann eine Behand− lung, wenn sie ausnahmsweise relevante Beschwerden verursachen. C Kleine, asymptomatische, chondroide Tumoren in peripherer Lokalisation müssen nicht operativ behandelt werden. Eine Verlaufsbeobachtung ist in der Mehrzahl der Fälle aus− reichend. D Fehlende Beschwerden, Größenkonstanz und geringe bis fehlende Mehranreicherung in der Szintigrafie weisen darauf hin, dass eine Läsion weiterhin und im größeren Zeit− abstand beobachtet werden darf bzw. gegenwärtig keiner operativen Behandlung bedarf. E Zunehmende und belastungsassoziierte Beschwerden, Größenprogredienz oder eine massive szintigrafische Mehranreicherung sprechen für ein voranschreitendes Tumor− wachstum, sodass meist die Indikation zur operativen Behandlung besteht. 9 A Das Knochenfenster sollte bei Ausräumung eines Enchondroms immer so klein wie möglich gehalten werden, um die Stabilität nicht zu gefährden. B Die postoperative Stabilität nach Ausräumung eines Enchondroms ist fast immer unproblematisch, da sich in Umgebung des Tumors eine reaktive Hypersklerose ausgebildet hat. C Auf den Einsatz des Röntgenbildverstärkers kann bei Enchondromausräumung meist verzichtet werden, da die Mehrzahl der Fälle durch Palpation gut lokalisiert werden kann. D Bei Ausräumung eines chondroiden Tumors reicht es völlig aus, einige repräsentative Gewebeanteile zur histologischen Untersuchung einzusenden. Der Rest kann verworfen werden. E Bei Enchondromausräumung muss das Knochenfenster mithilfe des Röntgenbild− verstärkers so platziert bzw. bemessen werden, dass einerseits die Stabilität so gering wie möglich beeinträchtig wird und andererseits eine zuverlässige vollständige Ausräumung nach proximal sowie distal gewährleistet ist. Letzteres sollte mit dem Röntgenbildverstärker dokumentiert werden. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276 275 Systemerkrankungen Welche der folgenden Aussagen ist falsch? 276 10 A Die weite Resektion eines benignen Knochentumors ist die sicherste Therapie und deshalb anzustreben, zumal mithilfe von modularen Endoprothesen fast jeder Defekt problemlos rekonstruiert werden kann. B Ausgedehnte intramuskuläre lipomatöse Tumoren sollten weit, also mit aufliegender Muskulatur oder Faszie, reseziert werden, da die vollständige histologische Untersuchung oft ein hoch differenziertes Liposarkom ergibt. C Die extraläsionale oder weite Resektion eines benignen Knochentumors ist dann indiziert, wenn bereits ein Rezidiv vorliegt oder wenn das Risiko der malignen Transformation besteht. D ¹Weite Resektion“ bedeutet im Markraum einen Sicherheitsabstand von 5 cm zum Tumor einzuhalten, während im Bereich der Muskulatur 2 ± 3 cm ausreichend sind. E Eine weite Resektion beinhaltet die Entfernung von Biopsienarbe und −kanal en bloc mit dem Tumor. Letzterer wird intraoperativ nirgendwo eröffnet, sondern bleibt allseits von tumorfreien Resektionsrändern bedeckt (no touch). Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3 ê2008 ê247 ± 276