ballett dortmund im hcc eine erkundung von xin peng wang
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ballett dortmund im hcc raum X eine erkundung von xin peng wang ballett dortmund raum X eine erkundung von xin peng wang impressum Programmheftkonzeption: Bodo Harenberg Texte: Alle Programmheftbeiträge stammen von Christian Baier Das Interview mit Xin Peng Wang führte Christian Baier Fotos: Björn Hickmann / stage picture Gestaltung: Carsten Janusch, advertising squad GmbH, Dortmund Redaktion: Brigitte Siegmund, HCC Management GmbH, Dortmund Copyright © für diese Ausgabe: HCC Management GmbH und Theater Dortmund Dortmund 2007 Alle Rechte vorbehalten Druck: Hitzegrad Print, Medien & Service GmbH, Dortmund Printed in Germany Choreographie Konzeption Musik Text Kostüme Dramaturgie Xin Peng Wang Xin Peng Wang, Christian Baier, Tobias Ehinger David Morrow Christian Baier Marie Pons Verena Harzer Das Ballett Dortmund Arsen Azatyan Dino Baksa Roberta Borges Vieira Rosa Ana Chanza Hernandez Eugeniu Cilenco Monica Fotescu-Uta Phillippe Kratz Marta Lastowska Masanobu Negishi Alister Noblet Ivica Novakovic Murielle Pierron Yuri Polkovodtsev Andrea Pumar Mark Radjapov Adrian Robos Frederic Schoetschel Risa Tateishi Svetlana Tolstopiatova Vittoria Valerio Philip Woodman Darstellerin Katja Quinkler Ballettmeister und choreographische Assistenz Beleuchtung Ton Zoltán Ravasz Stefan Schmidt, Ralph Jürgens Lutz Essfeld raum X Wir brauchen Platz. Die Metropolen dieser Erde platzen aus allen Nähten. Die Enge schafft Schranken, die – einmal verinnerlicht – unüberwindbar zu werden drohen. Die Wirtschaft sprengt nationale wie kontinentale Grenzen. Unsere Gedanken und Ideen, unsere Träume und Visionen fordern Raum für ihre Entfaltung. Unsere Emotionen erobern sich Sphären, um in der Enge nicht zu verkümmern. „raum X“ nennt das Ballett Dortmund seine neue Produktion, kreiert für das Harenberg City-Center. Ballettchef Xin Peng Wang: „Das Harenberg CityCenter ist einer der wichtigsten Orte unserer Stadt, ein Zentrum in mehrfacher Hinsicht, kulturell und geistig ebenso wie wirtschaftlich. Es ist eine Schnittstelle zwischen verschiedenen Terrains unseres Lebens, eine Synapse im urbanen Nervensystem Dortmunds. In der Architektur des Gebäudes, aber auch in seiner Funktion ist es ein idealer Platz, um über eines der großen Themen unserer Zeit und unseres sozialen Lebens nachzudenken – Raum ...“ Lebensräume sind kostbar und werden mit Lebenszeit und Herzblut erkauft. Unsere Träume gelten anderen Dimensionen. Unsere Gefühle sind Nomaden und fallen in unbekanntes Gelände ein, dringen in Landstriche vor, die nie zuvor jemand betreten hat. Wir machen uns klein, tauschen Zuhause gegen Hotels, Räume gegen Zimmer, Hallen gegen Kojen, Betten gegen Schlafstellen. Der Airport ist kein Flugplatz mehr. Wir heben nur noch ab, um an einem Ort zu landen, der dem, den wir verlassen haben, täuschend ähnlich sieht. Wir sichern unsere Reviere durch Zäune und Maschendraht, Verträge und Abkommen. Wir sind bereit, auf unseren individuellen Platz auf dieser Welt zugunsten eines Arbeitsplatzes zu verzichten. Zäh umkämpfte und mühsam eroberte Terrains erweisen sich jedoch bald schon als Terrarien, in denen wir – wie in einer fremdbestimmten Versuchsanordnung – unsere Verhaltensmuster reproduzieren. Oft erreichen wir die Orte nicht mehr, sondern sie holen uns ein. Wir halten uns nirgendwo mehr auf, sondern werden aufgehalten. Wo bleibt unser Refugium? Wir sind keine Pilger mehr. Wir leben im ewigen Foyer. Flaneure im Niemandsland. Und doch – da sind die Räume, leer, geschichtslos, die Orte, prall gefüllt mit einem Leben voll Erwartungen, eine Existenz, die sich fordert, weil sie sich erfordert, ohne sich selbst nicht denk-, nicht lebbar wäre. Wir treten ein, wir sehen uns um, unsere Augen schlagen Wurzeln in den Orten, jeder Schritt eignet sie uns an. Wir fragen uns: Wo sind wir? Und wir wissen: Wir sind hier, wo immer das ist. „Unser Projekt ist eine vielschichtige Umkreisung des Themas Raum“, meint Xin Peng Wang. „Das Harenberg City-Center ist für diesen sinnlichen Exkurs der ideale Ort. Unser Anliegen ist es, die Wechselwirkung zwischen Räumen und Körper, zwischen Plätzen und Bewegungen aufzuzeigen. Ein Raum verändert sich, sobald wir in ihn eintreten. Doch gleichzeitig verändern auch wir uns, wenn wir einen Ort betreten.“ Der Raum nimmt Einfluss auf uns, greift uns auf, greift auf uns zu, wir passen uns an, das Zimmer kleidet uns, die enge Nische gibt uns Halt, der weite Platz ist eine atmende Pore, und so entsteht ein fortwährender innerer Dialog zwischen uns und dem momentanen Platz, an dem wir uns befinden. „Bei unserem Projekt werden wir zahlreiche Räumlichkeiten des Harenberg City-Centers bespielen“, erläutert der Dortmunder Ballettdirektor seine Konzeption. „Für das Publikum wird der Abend ebenso wie für uns eine verwegene Reise durch Hallen, Zimmer, Säle und Flure, von Stockwerk zu Stockwerk, von Ort zu Ort. Wir wollen diesen Weg gemeinsam gehen, denn es ist ein Weg zu uns selbst. Am Ende werden wir durch ein verändertes Raumgefühl auch eine Veränderung unseres Selbstgefühls bemerken.“ Räume sind das Echo der ruhelosen Seele, der es – wie Hölderlin diagnostiziert – nicht vergönnt ist, auf einer Stätte zu ruhen. In ihnen liegt Hoffnung auf Rückkehr. 10 11 12 13 14 15 „Ich möchte mich verirren ...“ Ein Gespräch mit Xin Peng Wang über den Tanz und sein Projekt „raum X“ Xin Peng Wang, Sie sind seit 2003 Ballettdirektor des Theaters Dortmund und haben neben dem Handlungsballett konsequent den zeitgenössischen und zeitgemäßen Tanzformen ein Forum eröffnet... Dortmund ist eine widersprüchliche Stadt. Das Stadtbild besitzt kein einheitliches Profil. Das macht diesen Ort besonders interessant. Aus welchem Blickwinkel man die Stadt betrachtet, immer wieder zeigt sich eine neue urbane Facette. Man kann zusehen, wie sich die Stadt fortwährend verändert. Dortmund ist ein stetes Experiment und lädt ein, an den Veränderungen teilzuhaben und teilzunehmen. jeden Tag neu entscheiden, in welche Richtung ich mich weiterentwickeln will. Dabei darf ich nie vergessen, was hinter mir liegt. Ich meine damit meine persönlichen Entwicklungen, aber auch, aus welcher kulturellen Vergangenheit ich komme. Kein Mensch ist ohne Geschichte. Wir haben alle tiefe Prägungen erfahren. Manche tragen diese Prägungen wie Wunden mit sich, andere wiederum begreifen die Narbe als Orientierungspunkt und Wegweiser. Unsere Kreativität darf sich aber nicht darin erschöpfen, nur die Vergangenheit zu beschwören. Dies würde zu einer Lähmung der Schaffenskraft führen. Ich möchte kulturelle Vergangenheit weiterentwickeln, sie in Neues überführen. Wie sehen Sie die Zukunft des Tanzes? Durch die großen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg hat es eine klar definierte „Stunde Null“ gegeben, einen Neuanfang. Neuanfänge sind immer große Chancen. Die Möglichkeiten, künstlerisch etwas zu bewegen, neue Richtungen einzuschlagen, sind hier wesentlich leichter als in den großen und oftmals erstarrten Metropolen. Gleichzeitig sind in Dortmund starke Traditionen spürbar, die dem Ort Rückgrat und Halt geben. Kultur muss in Dortmund rascher auf soziale und urbane Metamorphosen reagieren als anderswo. Dieser Umstand fordert ein flexibles, ein wandlungsfähiges, ein vielfältiges Denken, wie es eigentlich nur der Tanz haben kann. Der Tanz ist eine sehr archaische Ausdrucksform des Menschen. Seit Urzeiten bewegen sich Menschen zu Rhythmen. Selbst wenn wir nicht tanzen, bewegen wir uns unbewusst zu den Schlägen unserer Herzen. Die Zukunft beginnt immer in der Gegenwart. Wir müssen offen bleiben für Eindrücke, für Veränderungen. Hinter jeder Hausecke lauert Neues, Unbekanntes. Wir dürfen uns die Augen nicht verkleben mit Bildern, unsere Herzen nicht hart machen mit Dogmen, Doktrinen und Stilen. Ihre Arbeitsweise stellt eine Fusion der kreativen Ansätze in der „Freien Szene“ mit den Strukturen der Institution Theater dar. Sie negieren die vom Feuilleton postulierte Divergenz zwischen Ballett und Tanztheater ... Das Harenberg City-Center ist für mich durch seine Architektur, durch sein Image in der Stadt, aber auch durch die Geisteshaltung, mit der dieses Haus geführt wird, eine Institution, eine sichtbar gewordene KunstFORM und ein KunstFORUM zugleich. Ich sehe das Harenberg City-Center weniger als einen Schauplatz, eine Bühne, als vielmehr als eine Herausforderung. Ich möchte seine Räume erkunden. Ich möchte mich in diesem Gebäude verirren, mit den Räumen kommunizieren, die Zimmer nach dem Ausgang fragen und ihn – wenn ich ihn schließlich gefunden habe – nicht benützen, sondern noch länger hier verweilen. Ich sehe diesen Unterschied schon lange nicht mehr. „Ballett“ wird häufig als die traditionalistische, museale Form des Tanzes angesehen, das „Tanztheater“ dagegen als eine avantgardistische Ausdrucksform. Meiner Meinung nach endet ein solches Denken in stilistischen und ästhetischen Schubladen, die der Kunstform Tanz schaden. Als Künstler muss ich 16 Sie haben für Ihr Projekt „raum X“ das Harenberg CityCenter in Dortmund als Schauplatz gewählt ... Welche Verbindungen sehen Sie zwischen Architektur und Tanz? Architektur und Tanz haben gemeinsame Wurzeln. Beide Kunstformen schaffen Räume, gleichermaßen konkrete wie abstrakte. Wo ein Körper ist, ist auch ein Raum; kein Raum existiert für sich selbst. Das Harenberg City-Center fordert mich als Künstler heraus, eine Sprache zu finden, die dem Ort angemessen ist, eine Sprache, die vielleicht nur hier verstanden werden kann. Sie sind in China geboren, haben auch dort als Künstler gearbeitet und leben nun in Deutschland ... Ich spüre in mir stets die polaren Gegensätze zwischen der deutschen und der chinesischen Kultur und bin – wie viele Menschen mit Migrationshintergrund – permanent gezwungen, meinen persönlichen wie künstlerischen Standort neu zu bestimmen. Ich kann mich nie für eine Heimat eindeutig entscheiden, denn dazu müsste ich einen Teil meiner Persönlichkeit vergessen. Jede Entscheidung zerstört den natürlichen Fluss von Möglichkeiten. Sie beschneidet die Freiheit, engt den Menschen ein. Daher suche ich für mich – künstlerisch und persönlich – nie den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Es lebt sich besser in der Weite... 17 Biographien 18 Xin Peng Wang, seit 2003 Ballettdirektor am Theater Dortmund, wurde in Dalian (Volksrepublik China) geboren. An der dortigen Kunsthochschule erhielt er in den Jahren 1970 bis 1974 seine Ballettausbildung, der von 1985 bis 1989 ein Choreographiestudium an der Peking Dance Academy und von 1989 bis 1990 ein Zusatzstudium für Modernen Tanz an der Essener Folkwang Hochschule folgten. Als Tänzer war Xin Peng Wang über viele Jahre Solistin der Peking Central Dance Company und in der Peking Ballet Company engagiert. In der Zeit von 1991 bis 1996 war er Mitglied des Aalto Ballett Theater in Essen, für das er auch zahlreiche Choreographien geschaffen hat. Seit 1996 ist Xin Peng Wang weltweit als freier Choreograph tätig. So schuf er Choreographien für das Hong Kong Ballett, das National Ballet of China Beijing, das Contemporary Dance Festival in New York, das Ballett der Semperoper Dresden, für das Het Nationale Ballet Amsterdam, das Royal Ballet van Vlaanderen Antwerpen, das National Ballet Lithunia und das Finnische Nationalballett Helsinki. 2000 kam es zur Zusammenarbeit mit dem bekannten Regisseur Yimou Zhang. 2001 hatten die BallettAbende Die rote Laterne am Pekinger National Ballet of China und Death and Fire am Royal Ballet van Vlaanderen Antwerpen Premiere. Die rote Laterne gelangte im Herbst 2003 mit großem Erfolg in London und Paris zur europäischen Erstaufführung. Von 2001 bis 2003 war Xin Peng Wang Ballettdirektor am Südthüringischen Staatstheater in Meiningen. Dort kam im Februar 2002 seine Choreographie Vier Jahreszeiten zur Musik von Antonio Vivaldi und Astor Piazolla zur Aufführung, die später erfolgreich vom Opernhaus Dortmund übernommen wurde. In Meiningen entstanden außerdem Petruschka/ Feuervogel, Image, Aschenbrödel, Carmina burana und Sheherezade. Für das Theater Dortmund gestaltete Xin Peng Wang unter anderem die erfolgreichen Produktionen Schwanensee und Nussknacker, Mozart, die erste choreographische Auseinandersetzung mit dem Leben eines Genies, sowie das vielbeachtete Lied vom Meer. Zuletzt feierte er mit dem Ballettabend Hommage an Bach und mit Manon Lescaut (nach Puccini) große Erfolge. David Morrow, geboren 1952 in Rhode Island (USA), studierte 1972 – 1976 Klavier und Komposition am New England Conservatory of Music in Boston. Bis 1987 arbeitete er freiberuflich in Boston und New York City als Ballettrepetitor und Pianist. 1988 übersiedelte er nach Deutschland. Ein Jahr später fing seine Zusammenarbeit mit William Forsythe an. Seit 1987 sind mehrere seiner Kompositionen in Verbindung mit verschiedenen Choreographen in Europa und den USA aufgeführt worden. 1998 hat er seine zweistündige Komposition Where the mountain crosses ... mit dem Violinist Ian van Rensburg, Bildhauer Bruno Feger und Choreographin Stéphane Fléchet in Bad Nauheim uraufgeführt. 2006 entwickelte sich diese Musik weiter zu dem Stück Bergwelten, das 2006 in Luzern in Zusammenarbeit mit der Choreographin Verena Weiss zur Uraufführung kam. Seit 2001 sind folgende Werke entstanden: Phrase II, Decreation, Ricercar, 3 Atmospheric Studies und Fivefold für den Choreographen William Forsythe. Andere Künstler, mit denen er zusammengearbeitet hat, sind Stephen Galloway, Richard Move, Kevin Oakes, Suse Wächter und der Filmregisseur Mike Figgis. Mit Xin Peng Wang arbeitete David Morrow bereits für die Dortmunder Ballettproduktionen Lied vom Meer und Mein Bach zusammen. Katja Quinkler, geboren 1979 in Hünfeld, Studium des Modedesigns in Bremen, Gestaltung von Modeperformances in Bremen und Berlin, Gründungsmitglied der „Anziehgruppe“, Teilnahme an der „Profile Intermedia“ und am „Festival der Künste“ in Bremen, Ausstattungsassistenzen am Bremer Theater und am Theater Dortmund sowie beim ZDF. 19 Zoltán Ravasz, Ballettmeister des Theater Dortmund, in Rumänien geboren. 1964–1973 Tanzausbildung an der Balletthochschule Klausenburg (Rumänien). 1973–1979 Solotänzer am Opernhaus Klausenburg, 1979–1981 Solotänzer, Trainingsleiter und choreographischer Assistent am Rumänischen Staatsballett, 1982–1988 Solotänzer am Stadttheater Würzburg, 1988–1991 Solotänzer, Trainingsleiter und Assistent des Ballettdirektors am Theater Hagen, seit 1991 Ballettmeister und Trainingsleiter am Theater Dortmund. Zusammenarbeit u.a. mit Yuri Vámos, Rudi van Dantzig, Ralf Rossa, Amanda Miller, Jurek Makarowski, Nils Christe, Birgit Scherzer, Mario und Silvana Schröder, Peter Breuer und Xin Peng Wang. Marie Pons, 1976 in Kaiserslautern geboren, Studium Architektur TU Berlin und Ecole d’architecture Paris-Belleville, Hospitanz an der Staatsoper Hamburg sowie bei diversen Architekturbüros, Licht und Raumdesign Höhrohr, Veranstaltung an der Staatsbank Berlin, Rauminstallation Pension Stundenglück, Berlin, Szenenbildassistentin Film u.a. Antikörper, Solo, Knallhart, Free Rainer, Alles auf Zucker, Der rote Kakadu sowie diverse Werbefilme. Eigene Ausstattung: Santa Berlin. Verena Harzer, geboren 1976 in Stuttgart. Schauspiel- und Musiktheaterdramaturgin (Stuttgarter Staatstheater, Forum TheaterHamburg, Brotbühnefabrik Berlin, Schaubühne Berlin, Musiktheater Dortmund), Produktionsleiterin des Festivals „Rohkunstbau“ in Berlin. Hörspielautorin und Journalistin. 2005 Nominierung für den PeterKonwitschny-NachwuchsregiePreis. Seit 2006 Musikdramaturgin am Theater Dortmund. 20 Tobias Ehinger, 1979 in Tübingen geboren, Studium an der „John Cranko“-Schule Stuttgart und an der Kunsthochschule Mannheim. Praktika an der „Académie de la danse classique“ (Monte Carlo) und am Tanzkonservatorium Prag. Produktionen mit dem Stuttgarter Ballet: Romeo und Julia, Der Widerspenstigen Zähmung. 2000–2004 Engagement am Aalto Ballett Theater Essen (Choreographien von Heinz Spoerli, J. C. Maillot, Mario Schröder, Birgit Scherzer, Christian Spuck u. a.). Seit 2004 Assistent von Ballettdirektor Xin Peng Wang am Theater Dortmund. 21 Ensemble Ballet Dortmund Christian Baier, in Wien geboren, Musiktheaterdramaturg (Wiener Festwochen, Wuppertaler Bühnen, Deutsche Oper Berlin), seit 2006 Chefdramaturg des Musiktheaters Dortmund. Zusammenarbeit u.a. mit Hans Neuenfels, Achim Freyer, Michael Simon, Luc Bondy, Roland Schwab, Sebastian Hirn, Jakob Peters-Messer und Jürgen Tamchina. Gründete 1996 das erste deutschsprachige MigrantInnen-Theater Österreichs, „Die Menschenbühne“. Schriftsteller (zuletzt erschien der Roman Romantiker, Wien 2006), Dramatiker und Librettist (Zusammenarbeit mit dem international renommierten Jazzkomponisten Franz Koglmann für die Musiktheaterwerke O Moon My Pin-Up, Fear Death by Water und Let’s Make Love). Enge Zusammenarbeit mit Xin Peng Wang für Mein Bach, Manon Lescaut und Romeo und Julia – Die Geburt der Sehnsucht. Javor Simeonov, in Bulgarien geboren. Musik- und Kompositionsstudium in Sofia. Neben Konzerten im bulgarischen Fernsehen und Rundfunk machte er sich als Komponist verschiedener Kinderballette (u.a. „Der Froschkönig“, „Peter Pan“) sowie dem Ballett „BaROCK“ (Salzburger Landestheater) einen Namen. Nach Engagements in Bulgarien, Salzburg und Wien ist er seit 2004 Ballettrepetitor am Theater Dortmund. 22 Arsen Azatyan, in Armenien geboren, studierte an der Staatlichen Ballettakademie München und schloss dort mit Ehrenauszeichnung ab. Engagement als Gast im Bayerischen Staatsballett München. Seit 2006 / 07 Mitglied des Ballett Dortmund. Dino Baksa, 1972 in Zagreb (Kroatien) geboren, Tanzstudium an der Ballett- Akademie in Zagreb und an der Heinz-Bosl-Stiftung in München. Engagements u. a. in Salzburg, Bonn, am Northern Ballet Theatre (England) und am Kroatischen National Ballett. Seit 2000 am Theater Dortmund. Hier eigene Choreographie mit Sehnsucht. 23 Roberta Borges Vieira, in Brasilien geboren, Ausbildung bei Ballet Dalal Achcar und Ballet Eliana Karin in Rio de Janeiro, dort auch Ensemblemitglied bei De Anima Ballet Contemporaneo und Ballet Ópera Brasil. Zusammenarbeit mit Richard Cragun, Roberto de Oliveira, Eliana Karin und Antonio Gaspar. Seit 2006/07 Mitglied des Ballett Dortmund. Rosa Ana Chanza Hernandez, in Valencia (Spanien) geboren, Studium (klassisches Ballett) am Conservatorio de Danza sowie modernen Tanz an der Rotterdamse Dansacademie. Engagements als Solotänzerin bei Ballet de Valencia und Rotterdamse Danscompanie. Arbeiten u. a. mit Ton Simons, Merce Cunningham, Nils Christe und Jacopo Godani. Seit 1999 Mitglied des Ballett Dortmund. 24 Eugeniu Cilenco, in Moldawien geboren, Ausbildung an der Staatlichen Ballettakademie München. Gastengagement im Bayerischen Staatsballett München, Finalist beim Prix Lausanne und beim Internationalen Ballettwettbewerb Wien. Seit 2006/07 Mitglied des Ballett Dortmund. Monica Fotescu-Uta, in Bukarest geboren, Ausbildung an der dortigen Staatlichen Ballettschule und an der Académie de Dance Classique in Monte Carlo. Engagements in Bukarest, Nancy, Düsseldorf und als 1. Solistin in Meiningen. Seit Herbst 2003 Solotänzerin und choreographische Assistentin am Theater Dortmund. Eigene Choreographien: Dreispitz (Theater Dortmund), Casanova (Nationalballett Bukarest). 25 Philippe Kratz, in Leverkusen geboren, Studium an der École nationale de ballet contemporain in Montréal und der Staatlichen Ballettschule in Berlin, Zusammenarbeit mit Marguerite Donlon und Gregor Seyffert. Seit 2006/07 Mitglied des Ballett Dortmund. Masanobu Negishi, 1971 in Tokyo (Japan) geboren, Ausbildung in seiner Heimatstadt und in Moskau. Engagements: Asami Maki Ballet Company, National Theater Tokyo, zuletzt als Solotänzer an der Komischen Oper in Berlin. Seit 2004 am Theater Dortmund. Marta Lastowska, 1979 in Gdansk (Polen) geboren, Studium an der National Ballet School Gdansk und an der „John-Cranko“-Ballettakademie in Stuttgart. Engagements: Ballett Heidelberg, Ballett Magdeburg, Theater Hagen, Anhaltisches Theater Dessau. Seit 2004 am Theater Dortmund. Produktionen mit „Compania Transit“ in Barcelona, Gastengagements in Südafrika. Alister Noblet, in Frankreich geboren, Studium in Paris und Hamburg. Engagements in Zürich, Dessau, Nancy und Monaco. 26 27 Ivica Novakovic, 1973 in Bielefeld geboren, Ausbildung in Bielefeld, Frankfurt am Main sowie an der „John Cranko“-Ballettakademie in Stuttgart. Engagements am Staatstheater Saarbrücken, seit 1999 am Theater Dortmund. Engagement bei Marco-SantiDanse-Ensemble. Murielle Pierron, geboren in Frankreich, Ausbildung am Conservatoire Supérieur de Lyon und an der École Atelier Rudra Béjart Lausanne. Engagements beim Ballet de Toulouse, CCN de Caen, Company Karine Saporta und an der Komischen Oper in Berlin (Solotänzerin), seit 2004 am Theater Dortmund. 28 Yuri Polkovodtsev, in Russland geboren, Studium an der „John Cranko“-Ballettakademie Stuttgart, Solist im Städtebundtheater Hof, Zusammenarbeit mit Petr Pestov und Stefano Giannetti. Seit 2006/07 Ensemblemitglied am Theater Dortmund. Andrea Pumar, in Argentinien geboren, Studium an der Ballettakademie des Teatro Colon, Engagements im „Carolina Ballet“/USA und beim Argentinischen Nationalballett. Solistin beim Ballet Concierto und beim Ballet Oficial des Theatro del Libertador in Cordoba. Seit der Spielzeit 2006/07 Mitglied des Ballett Dortmund. 29 Mark Radjapov, 1977 in Tashkent (Usbekistan) geboren, Studium an der dortigen Ballettakademie. 1994–2001 Solotänzer am Opernhaus Cairo (Ägypten), 2001 Engagement am Theater Trier, seit 2003 am Theater Dortmund (1. Solist u. a. in Symphonie Classique, Schwanensee, Nussknacker und Mozart). Adrian Robos, 1979 in Tirgoviste (Rumänien) geboren, Studium an der Ballettschule Bukarest und in Cluj-Napoca (Rumänien) sowie an der John-Neumeier-Akademie Hamburg. Engagements: Aalto Ballett Essen, Stuttgarter Ballett, Staatsoper Berlin (Solotänzer). Seit 2004 am Theater Dortmund. 30 Frederic Schoetschel, 1978 in Münster geboren, Studium an der Tanz-Akademie Köln und an der Ballettakademie „Heinz Bosl“ in München. Engagements: Aalto Ballett Essen, National Ballet of Greece. Seit 2004 am Theater Dortmund. Risa Tateishi, in Osaka (Japan) geboren, Ausbildung in ihrer Heimatstadt und an der Central School of Ballet in London. Seit 2001 am Theater Dortmund (Mitwirkung u. a. als Marla in Fight Club und Schwanensee). 31 Svetlana Tolstopiatova, 1973 in Kiew (Ukraine) geboren, Studium in Moskau. Engagements: National Opera of Ukraine, Aalto Ballett Essen, Ballett Hannover, Stuttgarter Ballett, Staatsoper Berlin (Solotänzerin). 2. Preis beim Tanzwettbewerb „Serge Lifar“ (1993). Philip Woodman, Ausbildung an der Ballet Rambert School in London, 1991 Solist beim Ballet Royal de Wallonie in Belgien und internationale Gastengagements, Solist am London Ballet Theatre. Engagements in Nürnberg und am Theater Dortmund. Vittoria Valerio, in Italien geboren, Studium an der Staatlichen Ballettakademie München, Engagements an Staats- und Volksoper in Wien sowie als Gast im Bayerischen Staatsballett München. Jeweils 1. Preis beim Internationalen Ballettwettbewerb von Rom und Spoleto. Seit 2006/07 Mitglied des Ballett Dortmund. 32 33 Das einsame Auge Jeder Vergleich mit Wie hinkt. Da ging ich ins Museum und sah den Besuchern zu beim Sehen. Es war witzig zu sehen, wie andere sehen. An einem Tag las ich dreimal das Wort Streuselkuchen, und es war tatsächlich Streuselkuchen damit gemeint. Ich sah den Leuten auf den Mund. Ich las von ihren Lippen. Irgendwann sagten sie alle: Streuselkuchen. Und ich hörte jemanden Streuselkuchen sagen. Es bestand kein Blickkontakt. Aber er sagte nicht wirklich Streuselkuchen. Es klang nur so ähnlich. Jeder Vergleich mit Wie hinkt. Ich beobachtete ein Paar, das von Trennung sprach. Von Zeit zu Zeit verfielen sie in Schweigen und schwiegen solange, bis es einer von ihnen nicht aushielt und zu sprechen anfing, obwohl schon alles gesagt war zwischen ihnen, und jedes Wort alles noch schlimmer machte. Meistens war er es, der zu reden anfing. Sie war besser im Schweigen. Ich hörte in einem dunklen Park einen Menschen brüllen wie ein Tier, und als ich ihn fragte, warum er so schrie, sagte er: Nichts, und schlug sich in die Nacht. Ich saß in Cafés und starrte auf Punkte an der Wand, bis ich das Gefühl hatte, mich auf diesen Punkt zu reduzieren. Ab einem gewissen Zeitpunkt bildete ich mir ein, ich hätte mir die Punkte schon lange vorher ausgesucht, ich sei genau deswegen hierher gekommen. Ich ging durch Straßen und studierte Zufälle. Am Nachmittag nahm ich wahr, was sich nicht ereignete, und wie sich nichts ereignete. Alles, was ich sah, vermehrte eine Traurigkeit in mir, mit der ich nichts anzufangen wusste, ich hatte keine Ahnung, woher sie kam, welche Ursachen sie hatte, es war auch gar nicht unangenehm, sie zu spüren, sie war einfach da, von sich aus, wie selbstverständlich. In der Bibliothek borgte sich eine Frau einen Kugelschreiber von mir und fragte mich, als sie ihn zurückgab, ob es mir schlecht ginge. Ich sagte nein, in der Absicht, dass sie es nicht glaubte. Wenn sie nicht gegangen wäre, hätte ich ihr wahrscheinlich erzählt, dass ich morgen ins Krankenhaus ginge, wo mir der Kehlkopf herausoperiert würde, und dass ich dann nie mehr sprechen könnte außer mit so einem Gerät, 34 das man am Hals ansetzt und das die Stimme ganz verzerrt und metallisch hörbar mache. Das hätte alles erklärt. Wenn es etwas zu erklären gegeben hätte. Dann fiel es mir schwer, traurig zu sein, weil ich das Gefühl hatte, dass alle es für Schauspiel hielten, und die Vorstellung, dass man meine Traurigkeit nur für gespielt halten könnte, half mir, sie in den Würgegriff eines billigen Stolzes zu bekommen. Ich spürte, wie Zeit verging, oder das, was sich für Zeit hielt. Aber die Zeiger der Uhren kamen nicht nach. Etwas war schneller als sie. Ich stand am Fenster und presste mein Knie zwischen die Rippen des Heizkörpers. Momente. Bilder. Augenblicke jener Bilder. Die Zeiteinheit, da etwas wahrnehmbar wird, der Himmel mit freiem Auge als ein ins Unendliche vergrößertes Detail. Immer wieder hatte es etwas Beruhigendes, dass Zeit verging, Zeit beim Sehen und mit Sehen, während des Sehens, auch wenn das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Die Zeit war durchsetzt von Bildern, die sich scharf gegen die Vergänglichkeit abgrenzten und flüchtig blieben. Sie wehrten sich dagegen, miteinander verglichen zu werden. Das fand ich schön von ihnen. Auf einmal machte ich Entscheidungen von Zufällen abhängig, wie viele Zigaretten sich noch in einem Päckchen befanden, ob die Anzahl der Bäume auf der rechten Seite der Allee durch drei oder sieben teilbar war, wie viele Buchstaben eine Schlagzeile hatte, ob in den nächsten fünf Minuten jemand mit rotem Haar die Straßenseite wechselte. Ich rannte in die Kinos und sah Filme. Wahllos sah ich die Bilderfolgen in mich hinein, und nachher sah ich die Menschen im Foyer stehen, unschlüssig. Sie waren, was sie sahen. Ein Kind benannte alles, was es sah, wahrnahm, überlebte, lachte. Es gab da nichts, wofür kein Wort existierte. Die Blätter fielen, weil sie nichts Besseres zu tun hatten. Gegen Abend kam ein schlaksiger Kerl in Jeans auf die Wiese und sammelte die leeren Getränkeflaschen ein. Ich fragte ihn, warum, und er sah mich verwundert an und sagte: Na, das Pfand ... Mir fehlt der Vergleich, dachte ich. Du siehst alles, dachte ich mir. Aber Alles ist ein Wort, mit dem nichts gesagt ist. Alles, das bin nicht ich. Und immer wieder Menschen, die kommen, allein, zu zweit, in Gruppen, kommen herein, setzen sich hin, kommen heraus, setzen sich in Bewegung, suchen Deckungsgleiche, überlassen sich den Bodenunebenheiten, folgen den Rissen im Asphalt. Die Wirklichkeit ist der Splitter im Auge ihres Betrachters. Ich erinnerte mich an Gesehenes, an den Augenblick, als ich es sah, an den Moment des Sehens, an den Blick, unerwidert. Jeder Vergleich tötet, sagte jemand. Wie meinst du das, fragte ich. Was soll das heißen – jeder Vergleich tötet? Immer wieder die Ahnung, dass nichts zusammenpasst, nicht die obere auf die untere Zahnreihe. Und dennoch dieses entsetzliche Gleichgewicht, das Zusammenspiel der Gliedmaßen, die Mechanik der Fortbewegung. Ich dachte an die Tage, die Tage von früher, da ich durch die Straßen geschlendert war, nicht anders als jetzt, und mir wurde der Abstand zwischen meinem Kopf und dem Boden bewusst, dieser Abgrund ... Während ich daran dachte, versuchte ich, mir das Gefühl von damals zu vergegenwärtigen, bis da nichts mehr war als das Verlangen nach diesem Gefühl, das sich nicht einstellen konnte, solange das Verlangen nach ihm dar war. Und ich rief: Warum hilft mir denn niemand? Und musste lachen, weil ich ganz genau wusste, dass ich der Hilfe nicht bedurfte, und weil es auch ziemlich peinlich gewesen wäre, hätte mich jetzt jemand gehört. Und ich sah mich um und sah, dass ich nichts sah, nur den Schein, der sich wahrte. Dass da Zirren waren am Himmel wie ehedem, dass Frost nistete im Kies auf den Wegen, dass die Menschen, die diese Wege gehen, nicht glücklich sind und nicht unglücklich, sondern einfach da sind, so wie die Bänke da sind, auf denen sie sitzen und warten. Der junge Körper, der sich streckt, das Sommerende, Strauchwerk der Zeit, die Zeichen als Blick über Wiesen, das Fallen, das Zufall bleibt, das Kommen von etwas auf etwas zu, und einer steht auf, ohne zu gehen, und alles, das sich auflöst in Bilder, und das Bild, das bleibt als Teil der Bewegung. Am Morgen findet man die Sehenden in seltsamen Verrenkungen dort, wo der Schlaf sie überrascht, gepackt und fallengelassen hat. Sie haben nicht geträumt, dennoch sind ihre Augen verklebt von diesen Bildern und ihr Kopf voll von Geheimem. Die Sprache fügt sich nicht in die Grammatik des Sehens. Das Sichtbare ist das Sagbare nicht. Komm, lass uns fliehen, einer durch das Auge des anderen, ins Freie. 35 36