Diplomarbeit downloaden

Transcription

Diplomarbeit downloaden
Sexueller Missbrauch –
Möglichkeiten schulischer
Prävention
„
-2-
Statt eines Vorworts...
Sexueller Missbrauch ist für die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen ein
außerhalb ihrer Alltagswelt existierender Begriff, allenfalls stehen klischeeartige
Vorstellungen davon im Raum. Eines der vielen Opfer sexuellen Missbrauchs soll darum
zu Beginn dieser Arbeit Gelegenheit bekommen, sich in eigenen Worten, also ‚unredigiert’,
über sein Schicksal zu äußern.
„Ich bin heute 26 Jahre alt und Vertriebsassistentin in einem internationalen Unternehmen.
Mein Beruf macht mir Spaß, mit meinen Kollegen versteh ich mich gut, und ich bin in einer
glücklichen Beziehung. Ich bin ein ganz normaler Mensch.
Dabei war ich nie geplant... die Frau, die mich zur Welt brachte, hatte an dem Tag meiner
Schöpfung einfach keine Lust zu verhüten. Ich kam in mehrere Pflegefamilien oder zu
Tagesmüttern. Im Alter von 1 1/2 bis 3 Jahren war ich durchgängig in ein und derselben
Pflegefamilie. Fast jedes Wochenende hat mich meine leibliche Mutter von dort abgeholt
und so hatte ich nie ein wirkliches Zuhause. Die Pflegefamilie berichtet außerdem, dass ich
jedes Mal verstört war, wenn ich von meiner leiblichen Mutter zurück gebracht wurde.
Sie lernte einen neuen Mann kennen, den sie auch heiratete. Mit dem hatte sie dann ihr
zweites Kind. Wir sind in eine andere Stadt gezogen und ich konnte wegen der Entfernung
nicht mehr zu meiner Pflegefamilie. Ich weiß noch, dass ihr Mann mal meinen Schnuller
und mein Kuscheltier ausm Fenster geworfen hat. Und ich weiß noch, dass wir eine
Schaukel in der Wohnung (im Türrahmen) hatten… aber ansonsten fehlt es mir an
Erinnerung. So weiß ich auch nur aus Erzählungen, dass ich nachts ans Bett gebunden
wurde... und wenn ich in die Hose gemacht habe, bin ich damit eben bis morgens liegen
geblieben. Ich hab im Alter von 4 Jahren nachts auf meine gerade geborene Schwester aufgepasst, weil die beiden Erwachsenen dann fast immer weg waren. Auch nur aus Erzählungen weiß ich, dass ich mit ca. 4 ½ Jahren für einen längeren Zeitraum aufgehört habe, zu
sprechen, dass „ich das Leben verweigert“ habe.
In ihrer Verzweiflung brachte mich meine leibliche Mutter dann zu meiner Oma, welche
mich wiederum nach einiger Zeit zu meiner Tante und meinem Onkel gab. Sie hatten
zwei Katzen und ein eigenes Haus… ich hatte ein eigenes Zimmer, viel Spielzeug, einen
großen Garten, eine Schaukel. Meine Tante hatte ich schnell als Mutter akzeptiert. Nur vor
Männern hatte ich Angst. Bald darauf wurde ich von Tante und Onkel adoptiert.
Ich war sechs. Meine „neue Mutter“ war nicht da. Aber mein „neuer Vater“. Ich überraschte
ihn… so wie man jemanden überraschen kann, der zufällig im gleichen Haus wohnt. Ich
kam ins Wohnzimmer, als er sich selbst befriedigte. Er fragte, ob ich mal anfassen wolle,
was ich verneinte... Er sagte, es sei nicht schlimm… ich solle es mal tun. So tat ich es.
Meine Mutter fuhr mit ihrem roten Fahrrad wieder am Haus vorbei… man sah es vom
Fenster aus... er wurde auf einmal hektisch - ich sollte nichts sagen – es sollte unser
Geheimnis sein. Ich schwieg.
Meiner Erinnerung nach war fast zwei Jahre Ruhe... dann sind wir in eine andere Stadt
gezogen. Meine neue Schulklasse hasste mich von Anfang an. Ich war zurückhaltend und
-3-
anders. Meine Mutter hatte wieder angefangen zu arbeiten. Ich war Schlüsselkind
geworden.
Eines Tages, ich war acht, kam ich von der Schule. Mein Vater saß da, halb nackt... den
Rest seines bulligen Körpers hatte er in Frauenunterwäsche gekleidet. Er guckte Pornos. Ich
war stumm. Er war erschrocken, dass ich ihn "überrascht" hatte. Er sagte so etwas wie: ‚Du
bist schon zurück?!’ Er befriedigte sich selbst. Der Porno lief im Hintergrund. Er tat so, als
sei alles normal. Er zwang mir ein normales "von der Schule zurück"-Gespräch auf.
Natürlich sollte ich Mutti nichts davon erzählen und ihn verraten. Sie fände das nicht so toll,
wegen der Unterwäsche.
Von nun an tat er das jeden Tag, an den ich mich erinnern kann. Jeden Tag, sobald meine
Mutter nicht da war. Er kam über seine Mittagspause nach Hause oder arbeitete gleich von
zu Hause aus. Die meiste Zeit meines Lebens sah ich ihn in Reizwäsche... es gab Pornos
während des Mittagessens, Pornos nach der Schule, er machte es sich dabei. Ich wusste
nicht, dass es nicht normal war. Ich dachte, es wäre in jeder Familie so. Ich wusste nicht,
wie Familie funktioniert. Vielleicht war ich einfach nur verklemmt, das hatte meine Mutter
schließlich schon ein paar Mal zu mir gesagt… ‚Warum gehst du nicht raus, mit den
anderen spielen. Warum sitzt du lieber im Zimmer, spielst allein und schreibst traurige
Gedichte und Lieder? Es muss wohl an deiner Vergangenheit liegen... die ersten vier
Lebensjahre. Aber jetzt ist doch alles gut... ich bin doch Deine Mutter.’
In meinen Schrank im Kinderzimmer hatte ich eingeritzt, dass ich meinen Vater hasse. Ein
Aufkleber war darüber, um es zu verstecken. Als ich mal in den Ferien weg war, haben
meine Eltern das ganze Zimmer umgeräumt. Ich sollte ein größeres Zimmer bekommen.
Meine Mutter hat das Eingeritzte gesehen, war sauer auf mich und enttäuscht von mir. Sie
verstand nicht, wie ich so etwas tun konnte, wo mein Vater doch immer alles für mich tun
würde und mich so sehr liebte... über alles... Sie wusste nicht, dass er mich so sehr liebte,
dass er mir sogar in die Ferien einen Brief mit einem Bild von seinem Geschlechtsteil in
Reizwäsche geschickt hatte... einen erotischen Liebesbrief... an seine Tochter.
Jeden Tag, überall: im Wohnzimmer, im Esszimmer, im Kinderzimmer, im Auto, wenn er
mich von irgendwo abholte (meine Mutter fuhr kein Auto), fing ich so mit ca.12 Jahren an,
mich zu ritzen... mit einer Schere oder Nadel... in die Haut, die Arme, manchmal bis es
blutete. Die Narben und Wunden bedeckte ich mit selbstgeknüpften Freundschaftsbändern.
Mit der Polaroid oder Videokamera sollte ich Aufnahmen von ihm machen. Ganz nah ran
an seinen Penis. Zeitgleich sah man das Aufgenommene auf dem Bildschirm des Fernsehers. Er sagte, das mache ihn an und ich sei gut. Je mehr Alkohol er getrunken hatte,
desto hemmungsloser wurde er und ich bekam immer mehr Angst, dass er weiter gehen
würde. Mutti darf nur nie davon erfahren, aber das wüsste ich ja - sie ist ohnehin schon
nicht gut drauf und würde krank werden, wenn ich es sagen würde. Ich schwieg.
Ich versank in meiner eigenen Welt, völlig isoliert vom realen Leben, mit meiner Musik
und meinen imaginären Freunden. Meine Mutter zog mit der Zeit den Schluss, dass ich in
Berlin unglücklich sei (womit sie Recht hatte). Ich war so dünn, dass mich Leute
ansprachen, ob ich nichts zu essen bekäme. Ich empfand mich als hässlich und hatte keinen
Bezug zu mir und meinem Körper. Ich war anders.
Ich war ein unscheinbares Kind, freundlich, zurückhaltend. Wie es mir erging, bemerkte
niemand. Es hatte auch niemand Augen dafür – nicht in meiner Schule, nicht im Orchester, wo
ich mitspielte, nicht im Reitstall. Ich isolierte mich selbst von der Außenwelt – nie hätte ich
jemandem davon von allein erzählt.
-4-
Als ich mit 14 wegen eines Umzugs in eine andere Stadt vorübergehend zu meiner Oma
zog, kam alles eher durch einen Zufall raus. Meine Oma konnte es kaum glauben – ich
zeigte ihr seine Briefe mit den Fotos, die mir später auch vor Gericht (das Jugendamt hatte
ihn angezeigt) als Beweis dienten. Mein Vater wurde zu einer Bewährungs- und Geldstrafe
verurteilt.
Während einer Londonreise wurde ich dann im Alter von 16 Jahren von einer Bekanntschaft anal vergewaltigt. Der Typ musste nichts weiter sagen – ich schwieg von allein, das
hatte ich ja gelernt.
Ich bin 26 Jahre alt. Mein Beruf macht mir Spaß, und ich lebe in einer glücklichen
Beziehung. Seit über einem Jahr mache ich Therapie. Ich habe Probleme mit meiner
Sexualität und leider unter einigen Spätfolgen. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Einer von
vielen, die in der Kindheit vernachlässigt und sexuell missbraucht wurden.“1
1
Mitteilung von ‚Sasita’ (Pseudonym), Opfer sexuellen Missbrauchs, Mitteilung in Form einer E-Mail
am 01.12.2004.
-5-
Inhaltsverzeichnis
1.0. Einleitung
2.0. Sexueller Missbrauch - Überblick zum Forschungsgegenstand
2.1. ALLGEMEINE GRUNDLAGEN
2.1.1. Definitionsansätze und Kriterien
2.1.2 Formen des Missbrauchs
2.1.3. Dauer des Missbrauchs
2.1.4. Das Ausmaß des Missbrauchs
2.2. DIE TÄTER
2.2.1. Männliche Täter
2.2.2. Frauen als Täterinnen
2.2.3. Jugendliche und Kinder als Täter
2.2.4. Bekanntheitsgrad zwischen Täter und Opfer
2.2.5. Strategien der Täterinnen und Täter
2.2.5.1. Die Auswahl der Opfer und die Kontaktaufnahme
2.2.5.2 Beziehungsaufbau und Desensibilisierung
2.2.5.3 Das Schweigen der Opfer
2.3. DIE OPFER
2.3.1. Geschlecht
2.3.2. Alter der Opfer
2.3.3. Überlebens- und Abwehrstrategien
2.4. DIE FOLGEN DES MISSBRAUCHS
2.4.1. Methodische Probleme bei der Folgenforschung
2.4.2. Traumatisierungsfaktoren
2.4.3. Folgen des Missbrauchs
2.5. URSACHEN SEXUELLEN MISSBRAUCHS
2.5.1. Das Modell der vier Voraussetzungen
2.5.2. Das „Drei Perspektiven Modell: ein feministisches Ursachenmodell“
2.6. ZWISCHENFAZIT
3.0. Präventionsmöglichkeiten in der Schule
3.1. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
3.1.1. Traditionelle Präventionsmaßnahmen
3.1.2. Moderne Ansätze der Präventionsarbeit
3.1.2.1. Die Verwendung von Präventionsprogrammen in der Schule
3.1.2.2. CAPP – Child Assault Prevention Project
3.1.2.3. Kritik am CAPP-Programm
3.2. PRÄVENTIONSARBEIT MIT KINDERN
3.2.1. Ziele der Prävention mit Kindern
3.2.2. Inhalte der Prävention
3.2.2.1. Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung
3.2.2.2. Das Recht auf die eigene Intuition
3.2.2.3. Berührungen
3.2.2.3. Das Recht auf Widerstand und Ungehorsam
3.2.2.4. Gute und Schlechte Geheimnisse
3.2.2.5. Das Recht auf Hilfe und Unterstützung
3.2.2.6. Erwachsene machen Fehler
3.2.2.7. Kein Erwachsener hat das Recht, Kindern Angst zu machen
3.2.2.8. Wer helfen kann
8
10
10
11
16
19
20
23
23
25
26
27
28
29
30
33
34
35
35
36
38
39
39
41
43
43
48
51
51
51
54
56
57
58
59
62
63
64
64
65
66
67
68
69
70
70
71
-6-
3.2.3. Strittige Inhalte
3.2.3.1. Aufklärung über Sexualität und sexuellen Missbrauch
3.2.4. Präventionsmaterialien
3.2.5. Wirkung der Prävention mit Kindern
3.2.5.1. Methodenkritik
3.2.5.2. Ergebnisse der Evaluation
3.2.5.3. Negative Effekte der Prävention
3.2.6. Kritik an der bisherigen Präventionsarbeit mit Kindern
3.2.7. Folgerungen
3.3. PRÄVENTION DURCH ELTERNBILDUNG
3.3.1. Die Situation der Eltern
3.3.2. Grundsätze der Elternbildung in der Prävention
3.3.3. Inhalte und Ziele der Elternbildung
3.4. PRÄVENTION DURCH LEHRKRÄFTE
3.4.1. LehrerInnen-Ausbildung
3.4.2. Fort- und Weiterbildung
3.4.2.1. SchiLF – eine landesweite Fortbildungsmaßnahme für LehrerInnen
3.4.2.2. Qualifikation der PädagogInnen am Beispiel von STROHHALM e.V.
3.5. MÖGLICHKEITEN DER ERGÄNZENDEN PRÄVENTIONSERZIEHUNG IN DER SCHULE
3.5.1. Sexualerziehung
3.5.2. Geschlechtsrollenerziehung
3.5.2.1. Forderungen an die Mädchenerziehung
3.5.2.2. Forderungen an die Jungenerziehung
3.5.3. Kulturelle Sensibilität
3.6. VORBEDINGUNG FÜR EINE INTERVENTION
3.6.1. Mögliche Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch
3.6.2. Sensibilität für Hinweise
3.6.3. Situation der LehrerInnen
3.7. DIE INTERVENTIONSSCHRITTE IM EINZELNEN
3.7.1. Ruhe bewahren
3.7.2. Sich selbst Hilfe holen
3.7.3. Kontaktaufnahme mit dem betroffenen Kind
3.7.4. Das soziale Umfeld
3.7.5. Zusammenarbeit mit den Institutionen
3.7.6. Fremdunterbringung
3.7.7. Strafanzeige
3.7.8. Sexuelle Übergriffe zwischen Kindern und Jugendlichen
3.8. MISSBRAUCH IN DER SCHULE
3.8.1. Reaktionsweisen bei vermutetem sexuellen Missbrauch
3.8.2. Reaktionsweisen bei erwiesenem Missbrauch
71
71
72
74
74
75
79
80
84
87
88
88
89
91
92
93
94
96
98
98
99
100
101
102
103
103
104
106
106
106
108
109
110
112
113
114
115
116
117
118
4.0. Schlussbetrachtung
119
5.0. Literatur- und Quellenverzeichnis
122
-7-
1.0. Einleitung
Diese Biographie spricht für sich. Es handelt sich hier um eine Geschichte, die jederzeit
überall geschehen kann und tatsächlich geschieht, ohne dass die Öffentlichkeit sie wahrnimmt.
Erst durch die Berichterstattung über schreckliche Kindermorde in Zusammenhang mit
sexuellem Missbrauch wird der Durchschnittsbürger aufmerksam und verurteilt voller
Abscheu die ‚bestialischen Täter’. In seiner Alltagswelt gibt es den Fremden, den ohnehin
psychisch gestörten, abartigen Kinderschänder nicht.
Die häufig sensationslüsterne und voyeuristische Darstellung spektakulärer Missbrauchsfälle, wie sie die Medien präsentieren, lassen Klischees entstehen, die eine Wahrnehmung der Missbrauchsrealität erschweren oder gänzlich unmöglich machen. Solcherart
vermittelte Vorstellungen sind nicht nur falsch, sondern vor allem gefährlich. Diesen
Zustand gilt es zu ändern.
Als Frauengruppen in den USA, später auch in der Bundesrepublik, Anfang der 80er Jahre
ihre Missbrauchserfahrungen publizierten, regten sie damit eine breite fachliche Auseinandersetzung unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zu dem Thema an. Die teilweise sehr kontrovers geführten Diskussionen dauern besonders in den Themenbereichen ‚
Ursachen und Ausmaß des Missbrauchs’ weiter an. Es besteht jedoch Konsens darüber,
dass realitätsnahes Wissen über den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs in der Öffentlichkeit faktisch kaum festzustellen ist. Ebenso steht fest, dass sexueller Missbrauch ein
alltägliches Phänomen ist. TäterInnen sind unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer
Position auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu finden, ebenso wie jedes Kind Opfer
sexuellen Missbrauchs werden kann.
Hieraus resultiert ein enormer präventiver Handlungsbedarf, der an der gesamtgesellschaftlichen Situation ansetzen und von Erwachsenen ausgehen sollte. Dem steht jedoch
entgegen, dass die Gesamtproblematik kaum in vollem Umfang erkannt wird. Erst beim
Vorliegen eines konkreten Falles kommt es zu Reaktionen, die aber eher als Versuch der
Schadensbegrenzung denn als wirksame Prävention gelten können. Zudem löst allein der
Begriff ‚sexueller Missbrauch’ eine Vielzahl an negativ befrachteten Gefühlen aus, die
einen adäquaten Umgang mit der Situation erschweren.
Daher richten sich die präventiven Bemühungen von Vereinen und Initiativen vorrangig an
die potentiellen Opfer, nämlich die Kinder. Man will sie befähigen, einem Missbrauch
möglichst von vornherein möglichst zu widerstehen oder ihn jedenfalls zu offenbaren.
-8-
Insgesamt wird die moderne Prävention mehrdimensional gesehen und schließt auch
präventive Arbeit mit Erwachsenen als Zielgruppe ein.
Der Schule als der wichtigsten gesellschaftlichen Institution und Sozialisationsinstanz
kommt hier die wesentlichste Bedeutung zu, da sie einerseits das Begegnungsfeld mit
Kindern und der präventiven Arbeit mit ihnen bietet und andererseits ein Bindeglied zur
den Eltern darstellt.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb das Thema dieser Arbeit, die Frage nach
den präventiven Aufklärungsmöglichkeiten in der Schule, von hoher Relevanz ist. Es ist
evident, dass weit über eine bloße Faktenvermittlung hinausgegangen werden muss.
Dennoch bilden eben diese Fakten die Grundlage jeglicher präventiven Arbeit mit Kindern
und Erwachsenen, da eine Prävention, die sich nicht konstant an den neugewonnenen
Ergebnissen der Forschung orientiert und sie auf die Praxis transferiert, ihren Bezug zur
Realität verliert und letztendlich inadäquat wird.
Dieser Forderung kommt der erste Teil der Arbeit mit einem intensiven Überblick über
Grundlagen und aktuellen Forschungsstand der Thematik nach, wobei als Schwerpunkt
eine detaillierte Betrachtung der TäterInnen und ihren Strategien sowie der Opfer und ihren
Hilfssignalen als unerlässlich erscheint. Nur so können alle in der Präventionsarbeit
Engagierten nachhaltig sensibilisiert und damit effektiv werden.
Die Darstellung der Folgen sexueller Gewalt verdeutlicht nochmals die Wichtigkeit
präventiver Bemühungen. Nur die genaue Kenntnis darüber ermöglicht es, im schulischen
Alltag Missbrauch erkennen und auf ihn hinweisen zu können.
Der erste Teil schließt mit einer Betrachtung gängiger Modelle des Ursachenverständnisses
ab und hält die gewonnenen Erkenntnisse in Form eines Zwischenfazits festgehalten.
Der zweite Teil der Arbeit bezieht sich direkt auf die präventiven, oft mehrdimensionalen
Aufklärungsmöglichkeiten in der Schule. Dabei wird präventive Aufklärung wird im
Kontext neuerer Präventionsforschung als Handlungswissen gesehen, das Kinder stark
machen soll; naturgemäß hat die Arbeit mit potentiellen Opfern hier Priorität. So werden
Inhalte der Prävention mit Kindern sowie die ihnen zugrundeliegenden vorhandenen
Materialien dargestellt und kritisch betrachtet. Ergänzend werden die Möglichkeiten
zusätzlicher präventiver Erziehung angesprochen.
Weiterhin werden die in die präventive Aufklärungs- und Interventionsarbeit der Schule
eingebundenen Lehrkräfte sowohl in Bezug auf ihre Aus-, Fort- und Weiterbildung als
auch auf ihre Qualifikation in diesem Bereich hin kritisch betrachtet und auch die
Einbeziehung des Elternhauses in die o.g. schulische Arbeit berücksichtigt. Zusätzlich
-9-
bietet die Betrachtung des Missbrauchs innerhalb der Schule noch einmal realitätsbezogene
Aspekte.
Eine Schlussbetrachtung stellt die Ergebnisse, Forderung und Ansatzmöglichkeiten für
thematische Vertiefungen zusammen.
2.0. Sexueller Missbrauch - Überblick zum Forschungsgegenstand
Die Erforschung des Phänomens ‚sexueller Missbrauchs’ hat in der Bundesrepublik keine
lange Tradition. Erst in den 80er Jahren wurde dem Thema von fachlicher Seite verstärkte
Aufmerksamkeit zuteil. Deshalb sind die Ergebnisse „entsprechend im Fluß“.2
In vielen Stadien war im Verlauf der Forschungsgeschichte eine Revision der als sicher
geglaubten Ergebnisse erforderlich, und in einigen Bereichen finden noch immer Auseinandersetzungen statt. Von daher soll dieser Teil lediglich als Ausschnitt des gegenwärtigen
Forschungsstandes verstanden werden.
Im Hinblick auf die Untersuchungsfrage dieser Arbeit, den präventiven Aufklärungsmöglichkeiten in der Schule, spielen diese Grundlagen eine bedeutende Rolle. Erstens, um
den komplexen Vorgängen sexuellen Missbrauchs Rechnung zu tragen, zweitens, um
Einblicke in die Strategien der TäterInnen zu geben, denn nur an ihnen kann Aufklärungsarbeit ansetzen. Drittens dürfen die Auswirkungen des Missbrauchs auf die Opfer nicht
vernachlässigt werden, da gerade sie den Pädagoginnen vielfach als Hinweis auf das
Erkennen eines eventuellen Missbrauchs dienen können.
Letztlich sollen die angeführten Ergebnisse und Betrachtungen dazu beitragen, irrige oder
gar konkret gefährliche Vorstellungen über das Missbrauchsgeschehen ausdrücklich zu
eliminieren und die Realität wahrzunehmen: Missbrauch kann überall geschehen. Jedes
Kind ist potentielles Opfer.
2.1. Allgemeine Grundlagen
Die allgemeinen Grundlagen befassen sich vornehmlich mit noch strittigen Fragen in der
Debatte über sexuellen Missbrauch. In diesem Kontext geht es zunächst darum, überhaupt
eine Definition sexuellen Missbrauchs zu ermitteln, die den weiteren Ausführungen
zugrunde gelegt werden kann.
2
Koch, Helmut/ Kruck, Marlene: „Ich wird’s trotzdem weitersagen!“ Prävention gegen sexuellen
Mißbrauch in der Schule (Klassen 1-10). Theorie, Praxisberichte, Literaturanalysen, Materialien.
(Münster: LIT, 2000), S. 1
- 10 -
Weiterhin werden Formen, Dauer und Ausmaß des Missbrauchs thematisiert, auf deren
Basis die detaillierte Darstellung der Täter, der Opfer und der Folgen erfolgt.
2.1.1. Definitionsansätze und Kriterien
Sowohl in der öffentlichen als auch in der fachlichen Debatte um den sexuellen Missbrauch
an Kindern werden diverse Definitionen und Begrifflichkeiten verwendet, die „bei den
Diskussionen zu Missverständnissen führen können, obwohl für Forschung, Diagnostik,
Behandlung und den öffentlichen Diskurs möglichst exakte und vergleichbare Definitionen
erforderlich wären“.3 Somit besteht in der Auseinandersetzung mit der Thematik des
sexuellen Kindesmissbrauchs das Problem, dass nicht nur unterschiedliche Begrifflichkeiten häufig parallel und synonym verwandt werden oder nicht deutlich gegeneinander
anzugrenzen sind (beispielsweise sexuelle Misshandlung, sexuelle Gewalt, realer Inzest
oder sexualisierte Gewalt), sondern auch, dass über den eigentlichen Missbrauch an sich
keine einheitliche und allgemein anerkannte Definition existiert. Insbesondere bei der
Erfassung des Ausmaßes des Missbrauchs sowie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema stehen sich unterschiedliche Definitionen im Wege und machen
eine Generalisierung ermittelter Ergebnisse nur schwer möglich. So sind Forschungsergebnisse über Ursachen, Umstände und Hintergründe sexueller Gewalt immer im
Kontext ihrer jeweils zu Grunde liegenden Definition zu bewerten.
Auch ist festzuhalten, dass trotz der häufig synonymen Verwendung der Begrifflichkeiten
jeweils ein Aspekt besonders Betonung findet. Somit ist die Definitionsform nicht automatisch an eine Begrifflichkeit gebunden.
An dieser Stelle sollen unterschiedliche Definitionsansätze dargestellt und betrachtet
werden, um somit eine Definitionsform zu ermitteln, der sich diese Arbeit anschließen
kann. Als grundsätzliche Beschreibung unterschiedlicher Definitionen dient die aktuelle der
bereits zitierten Wissenschaftler Wilhelm Körner und Albert Lenz. Als Ergänzung werden
zusätzlich Begriffsbestimmungen anderer Autoren dargestellt und erläutert.
Zunächst wird zwischen der sog. „weiten“ und „engen“ Definition unterschieden. Die
„weite“ Form der Erfassung bezieht alle für das Kind potentiell schädlichen Handlungen in
das Missbrauchsmoment mit ein, d. h. auch solche Handlungen ohne direkten Körperkontakt, wie beispielsweise Exhibitionismus oder „... jede geschlechtliche Handlung, wie
obszöne Anreden, Belästigung, [...], Anleitung zur Prostitution, die Herstellung von porno-
3
Bange, Dirk in: Körner, Wilhelm / Lenz Albert (Hrsg.): Sexueller Missbrauch. Band I: Grundlagen und
Konzepte. (Göttingen: Hogrefe, 2004), 29 S.
- 11 -
graphischem Material usw.“4. Die „enge“ Definition schließt nur solche Handlungen ein,
die „bereits als schädlich identifiziert bzw. nach einem sozialen Konsens normativ“ 5 als
solche bewertet werden, also Handlungen mit Körperkontakt wie beispielsweise anale,
orale oder vaginale Penetration oder Manipulation.
Neben diesen beiden grundsätzlichen Formen der Definition existieren noch weitere
Kategorisierungssysteme, namentlich normative, klinische und Forschungs-Definitionen.
Die normativen Definitionen beinhalten eine von vornherein vorgenommene Bewertung
von Handlungen oder Ergebnissen wie beispielsweise die feministische Definition, welche
besonders die männliche Dominanz sowie die patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen
betont, so dass sexuelle Gewalt demnach nur zwischen Mädchen und Männern stattfindet.6
Bereits in den 80er Jahren lieferten die Autorinnen Kavemann und Lohstöter diesen feministischen Definitionsansatz, zu dem „...all das, was einem Mädchen vermittelt, dass es
nicht als Mensch interessant und wichtig ist, sondern dass Männer frei über es verfügen
dürfen...“ gezählt wird.7 Diese Definitionsform ist allerdings zu einseitig auf Mädchen als
Opfer und Männer als Täter ausgerichtet, negiert somit die Existenz sowohl männlicher
Opfer als auch weiblicher Täter und entspricht damit dem Zeitgeist ihres Ursprungs in den
80er Jahren, während derer das Thema des Missbrauchs vor allem durch feministische
Selbsthilfegruppen in die Öffentlichkeit getragen wurde.8
Bei der klinischen Definition steht eindeutig im Vordergrund, ob sich eine Person
geschädigt oder beeinträchtigt fühlt.9 Somit entscheidet letztlich nicht die objektive
Gegebenheit, sondern das subjektive Erleben der Person über die Definition oder über eine
eventuelle klinische Intervention. Problematisch hierbei ist das subjektive Empfinden der
Person, die teilweise kaum in der Lage ist, die Folgen durch den Missbrauch sofort einzuschätzen oder sich gar nicht in der Rolle des Opfers erkennt. Insbesondere männlichen
Opfern fällt es schwer, Schädigungen zuzugeben, auch wenn sie als negativ erlebt werden.
Das Problem der Opferrolle bei männlichen Geschädigten hält Bange folgendermaßen fest:
„...vor allem Männer begeben sich nicht gerne in eine Opferrolle. Das paßt einfach nicht
4
Amann, Gabriele/ Wipplinger, Rudolf (Hrsg.): Sexueller Mißbrauch – Überblick zu Forschung,
Beratung und Therapie. (Tübingen: dgtv-Verl., 1997), S. 23
5
Bange, D.: 2004. In Körner/ Lenz: 2004, S. 30
6
Vgl.: Kavemann, Barbara/ Bundesverein zur Prävention von sexuellem Mißbrauch an Mädchen und
Jungen e.V. (Hrsg.): Prävention. Eine Investition in die Zukunft. (Ruhnmark: Donna Vita, 1997), S. 49
7
Kavemann, Barbara/ Lohstöter, Ingrid: Väter als Täter. Sexuelle Gewalt gegen Mädchen. (Reinbek:
Rowohlt, 1984), S. 23
8
Vgl.: Enders, Ursula (Hrsg.): Zart war ich, bitter war’s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. (Köln:
Kiepenheuer & Witsch, 2001), S. 15 f.
9
Vgl.: Bange, D.: 2004. In Körner/ Lenz: 2004, S. 30
- 12 -
zum herrschenden Männerbild.“10 Somit besteht also eine Diskrepanz zwischen dem
Gefühl und der Realität.
Die Forschungs-Definitionen schließlich stellen eine Sondergruppe innerhalb der
Definitionsformen dar. Als Beispiele für diese Form der Definition sind Julius und Böhme
oder Wetzels zu nennen, die ausführen, dass vor allem Erkenntnisinteresse und Fragestellung der Untersuchung die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes an sich
determinieren. Somit können sich Forschungs-Definitionen „...sowohl an klinischen
Erkenntnissen über die Schädlichkeit als auch an normativen Bewertungen...“11 orientieren.
Deutlich wird hierbei, dass die Wahl der Definition letztlich von dem Forschungsvorhaben
abhängig ist und dazu führt, eine „enge“ oder „weite“ Definition zu wählen.
Über die rein formale Wahl der Definitionsweise hinaus müssen zur Operationalisierung
der Definition gewisse Kriterien angelegt werden. Über die Kriterien an sich besteht keine
Einigkeit in der Forschungsdebatte, jedoch sind die WissenschaftlerInnen einhellig der
Meinung, dass alle sexuellen Handlungen, die durch Drohungen oder körperliche Gewalt
erzwungen werden, dem sexuellem Missbrauch zuzurechnen sind.12 Dagegen führt das
Kriterium, wonach die sexuellen Handlungen gegen den Willen des Kindes geschehen,
bereits zu Kontroversen, da Kinder in Einzelfällen die Schutzbehauptung aufstellen, dass
sie „es“ gewollt hätten.13 Als eine Lösung dieses Dilemmas beschreiben unter anderem
Bange und Lenz/Körner das Konzept des wissentlichen Einverständnisses.
„Es geht davon aus, dass Kinder gegenüber Erwachsenen keine gleichberechtigten
Partner sein können, weil sie ihnen körperlich, psychisch, kognitiv und sprachlich
unterlegen und Erwachsenen rechtlich unterstellt sind. Daher können sie sexuelle
Kontakte mit Erwachsenen nicht wissentlich ablehnen oder zustimmen. Aufgrund
dieses strukturellen Machtgefälles ist jeder sexuelle Kontakt zwischen einem Kind
und einem Erwachsenen sexueller Missbrauch.“14
10
Bange, Dirk: Die dunkle Seite der Kindheit. Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen. (Köln:
Volksblatt, 1992), S. 53
11
Bange, D.: 2004. In Körner/ Lenz (Hrsg.): 2004, S. 30
12
Vgl.: Julius, Henri/ Boehme, Ulfert: Sexuelle Gewalt gegen Jungen. Eine kritische Analyse des
Forschungstandes. (Göttingen: Verl. für Angewandte Psychologie, 2., überarb. und erw. Aufl., 1997).
13
Vgl.: Bange, D.: 2001. In Enders (Hrsg.): 2001, S. 21
14
Bange, D.: 2004. In Körner/ Lenz(Hrsg.): 2004, S. 30
- 13 -
Dieses Konzept, welches sich weitgehend durchgesetzt hat15, ist insbesondere für die Opfer
im Umgang und der Verarbeitung des Erlebten von hoher Bedeutung, da hier dem Täter die
alleinige Schuld zugesprochen wird. Da das Kind nicht wissentlich seine Zustimmung zu
sexuellen Kontakten geben kann, trägt die erwachsene Person die alleinige Verantwortung
für die Tat. Das Opfer trägt weder Mitschuld an noch Verantwortung für den Missbrauch.
Es ist an dem Geschehenen nicht Schuld.
Partiell erfährt dieses Konzept eine Modifikation, indem als Definitionskriterium ein
Altersunterschied zwischen dem Opfer und dem Täter festgemacht wird. So geht
beispielsweise der amerikanische Forscher Finkelhor bei seinen Untersuchungen von einem
Altersunterschied von mindestens 5 Jahren aus.16 Problematisch an dieser Aufweitung und
einer damit zusammenhängenden Untersuchung des Ausmaßes sexuellen Missbrauchs ist
die fehlende Berücksichtigung sexueller Gewalt sowohl unter Kindern und als auch unter
Jugendlichen, die durchaus zu einem gewissen Prozentsatz vorkommt. Bange ergänzt
hierzu, dass „...fünf Jahre Altersunterschied bei Kindern und Jugendlichen sehr große
Entwicklungsunterschiede ausmachen...“ 17 können,
weswegen WissenschaftlerInnen
aufgrund der Unwägbarkeit zunehmend auf diese Einschränkung verzichten.
Ein weiteres kontrovers diskutiertes Kriterium ist laut Bange das Argument der definitiv
feststellbaren Schädigung des Opfers durch den Missbrauch. Amann und Wipplinger
stellen dar, dass diese eine Schädigung als Kriterium für Missbrauch anzusehen einseitig
sei, da es Kindern, die über ausreichende Bewältigungsmöglichkeiten verfügen und darum
nicht unter negativen Folgen leiden, abspricht, einen Missbrauch erlebt zu haben. 18 Darüber
hinaus zeigen sich Folgen des Missbrauchs häufig nicht unmittelbar nach dem Missbrauch,
sondern erst im Laufe der Jahre.
Wie die Autoren Bange/Deegener und Brockhaus/Kohlshorn beschreiben19, ist es auch
problematisch, eine Altersgrenze festzulegen, um den sexuellen Kindesmissbrauch von der
Gewalt gegen Frauen abgrenzen zu können. „In den meisten Studien werden nur sexuelle
Missbrauchserlebnisse in den ersten 16 Lebensjahren berücksichtigt...“20, was dazu führt,
dass individuelle Unterschiede in der Entwicklung unberücksichtigt bleiben.
15
Anm.: Dieses Konzept wird von Befürwortern der Pädosexualität bestritten (Vgl.: Lautmann 1994).
Vgl.: Finkelhor (1979), zit. nach Brockhaus, Ulrike/ Kolshorn, Maren: Sexuelle Gewalt gegen
Mädchen und Jungen. Mythen, Fakten, Theorien. Frankfurt a. M.: Campus, 1993), S. 42
17
Bange, D.: 1992, S. 25
18
Vgl.: Amann, G./ Wipplinger, R.: 1997, S. 31
19
Bange, Dirk/ Deegener, G.: Sexueller Mißbrauch an Kindern. Ausmaß, Hintergründe, Folgen.
(Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1996 und Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993).
20
Bange, D.: 2001. In: Enders (Hrsg.): 2001, S. 22
16
- 14 -
Neben den hier aufgeführten Kriterien existiert noch eine Fülle an weiteren Faktoren, die ja
nach Standpunkt die Herangehensweise und Sicht auf das Thema determinieren.
Zu der Frage des Alters der Opfer und des Missbrauchsgeschehens als solchem vertritt der
Gesetzgeber eine klare Position, in dem er jeglichen Kontakt einer volljährigen Person mit
Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellt. Der § 176 StGB „Sexueller Missbrauch von
Kindern“ bezieht sich nicht nur auf Körperkontakt, sondern auch auf das Zeigen pornographischer Abbildungen sowie entsprechender verbaler Beeinflussung. Dieser Paragraph
ist am 01.04.2004 dahingehend erweitert worden, dass auch unter Strafe gestellt ist, mit
Schriften auf das Kind einzuwirken, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen.21
Der sexuelle Missbrauch Schutzbefohlener erweitert die Altersgrenze und wird von Bange
wie folgt zusammengefasst:
„Der § 174 „Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“ untersagt sexuelle
Handlungen an einer Person unter 16 Jahren, die einem Erwachsenen zur
Erziehung, Ausbildung oder Betreuung anvertraut ist. Handelt es sich bei dem
Opfer um ein eigenes oder Adoptivkind des Täters oder um ein Mädchen/ einen
Jungen, die/ der dem Erwachsenen zur Ausbildung oder Erziehung anvertraut
wurde, und nutzt der Missbraucher das durch das Obhutverhältnis bestehende
Abhängigkeitsverhältnis aus, so erhöht sich die Altersgrenze auf 18 Jahre.“22
Darüber hinaus werden auch exhibitionistische Handlungen durch den § 184 unter Strafe
gestellt.
Deutlich angesprochen wird hier das Abhängigkeitsverhältnis des Kindes dem Täter
gegenüber ebenso wie die „weite“ Form der Definition des Missbrauchs. Doch werden
zugleich diverse Aspekte nicht berücksichtigt, wie beispielsweise Jugendliche, die häufig
als Täter agieren und dem Gesetzestext entsprechend nicht Erwachsen sind.
Um eine Definition des sexuellen Missbrauchs zu ermitteln, der sich diese Arbeit
anschließen kann, wird weiterhin diejenige von Deegener wiedergegeben und analysiert:
„Zusammenfassend wird unter sexuellem Missbrauch von Kindern jede Handlung
verstanden, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes
vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund seiner körperlichen, seelischen,
geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Die
21
22
Vgl.: http://www.gegen-missbrauch.de/new.php?link=recht/ref_2.htm
Bange, D.: 2001. In: Enders (Hrsg.): 2001, S. 24
- 15 -
Missbraucher nutzen ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um ihre eigenen
Bedürfnisse auf Kosten der Kinder zu befriedigen, die Kinder werden zu Sexualobjekten herabgewürdigt.“23
Diese Zusammenfassung Deegeners berücksichtigt die den Großteil der angesprochenen
Faktoren und Kriterien. So wird unter anderem die „weite“ Form der Definition gewählt,
die auch sexuelle Handlungen vor Kindern mit einschließt. Allerdings wird nicht auf
verbale Belästigung eingegangen. Weiterhin ist das Konzept des wissentlichen Einverständnisses Bestandteil der Definition und unterstreicht die ungleiche Macht und
Autoritätsperson. Ebenso wird hier kein Altersunterschied zwischen Täter und Opfer
postuliert, so dass auch Fälle mit jugendlichen Tätern hinzu gezählt werden können.
Allerdings ist festzuhalten, dass Deegener durch die Verwendung des Wortes „Kind“ keine
Altersbeschränkung vorgibt, was jedoch in einer eher allgemein gehaltenen Definition
legitim ist, da hier keinerlei individuellen Entwicklungsunterschiede berücksichtigt werden
können. Insofern endet die Kindheit nicht zwangsläufig mit 14 Jahren, wie dieses in der
juristischen Annährung der Fall ist.
Auch das Geschlecht sowohl der Opfer als auch der Täter sind neutral gewählt, was also
Mädchen wie Jungen als Betroffene ebenso wie Frauen und Männer als Täter einschließt.
Besonderes Augenmerk soll auf den letzten Satz der Definition gelegt werden, da hier der
Macht- und Autoritätsaspekt Beachtung findet und bei der Wahl der Begrifflichkeit eine
zentrale Rolle spielt.
Auf der Basis einer „weiten“ Definition sexuellen Missbrauchs in Kombination mit den von
Deegener ergänzenden Kriterien wird sich diese Arbeit mit dem Thema des sexuellen
Kindesmissbrauchs auseinandersetzen.
2.1.2 Formen des Missbrauchs
Durch die Uneinigkeit in der (Fach-) Öffentlichkeit sowie die Vielzahl unterschiedlicher
Definitionen und Zugängen zum Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs besteht die
Gefahr, diejenigen Personen, die häufigen Kontakt mit Kindern haben (namentlich
Erzieher, Lehrer und Eltern), in ihrem Umgang zu verunsichern. Auch die Literatur belegt,
dass eine Grenzziehung zwischen Zärtlichkeit und sexuellem Missbrauch schwer zu ziehen
ist.24 Im Allgemeinen spielen die in der jeweiligen Familie geltenden Regeln und
23
Deegener, Günther: Kindesmißbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. (Weinheim: Beltz, 1998), S. 24
Vgl.: Besten, Beate: Sexueller Mißbrauch und wie man Kinder davor schützt. (München: Beck’sche
Verlagsbuchhandlung, 3., neubearb. Aufl., 1995), S. 18
24
- 16 -
Umgangsformen eine bedeutende Rolle, um einen beginnenden sexuellen Missbrauch als
solchen erkennen zu können.
„So kann man etwa bei einer ‚freien’ Familie, in der die Mitglieder es gewohnt
sind, sich nackt voreinander zu bewegen, oder in der die Kinder beispielsweise
zusammen mit ihren Eltern baden oder morgens in das elterliche Bett krabbeln
dürfen um zu schmusen oder zu toben, sicherlich nicht von beginnender sexueller
Ausbeutung reden; dagegen sind die gleichen oder ähnliche Verhaltensweisen in
einer anderen Familie, in der sonst sehr strenge und rigide Verbote und Regeln
herrschen, mögliche Hinweise auf den Beginn einer sexuellen Ausbeutung...“25
Die Schwierigkeit einer deutlichen und scharfen Abgrenzung des Tatbestandes wird noch
durch die Vielzahl an Definitionen verstärkt, da je nach „weiter“ oder „enger“ Definition
unterschiedliche Handlungen als sexueller Missbrauch einzustufen sind.
Im Folgenden sollen anhand der Autoren Enders, Besten und Suer dargestellt werden, was
im Einzelnen zu sexuellem Missbrauch an Kindern zu zählen ist. Diese Autoren verwenden
die „weite“ Definition sexuellen Missbrauchs, die auch Handlungen ohne Körperkontakt
mit einbeziehen.
Enders zufolge beginnt sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen bereits „... bei
heimlichen und vorsichtigen Berührungen, verletzenden Redensarten“26 und reicht hin bis
hin zu oralen, vaginalen oder analen Vergewaltigungen oder sexuellen Foltertechniken.
Dabei stellt sie klar, dass selbst „... Penetrationen von Säuglingen [...] keine Einzelfälle“27
sind. Zu den eindeutigen, letztgenannten Formen des Missbrauchs rechnet sie jedoch auch
abschätzige oder wohlwollende Qualitätsurteile und das betasten der Brust oder des Penis.
Auch Paul Suer identifiziert die Reichweite des sexuellen Missbrauchs von sexualisierter
Sprache über scheinbar harmlose Berührungen bis hin zu sadistischen Quälereien. Darüber
hinaus stellt er ein Kategorisierungssystem vor, welches an jenes der Autoren Bange und
Deegener28 angelehnt ist, und vier Abstufungen beinhaltet.
Zunächst wird der sexuelle Missbrauch ohne Körperkontakt genannt, zu dem alle
Handlungen zu rechnen sind, bei denen der Täter (die Täterin) keine direkten körperlichen
Übergriffe auf das Kind vornimmt. Dazu zählen unter anderem exhibitionistische
Handlungen sowie das zeigen von pornographischen Abbildungen oder Filmen.
25
Loc. cit.
Enders, U.: 2001, S. 29
27
Loc. cit.
28
Vgl.: Suer, Paul H.: Sexuelle Gewalt gegen Kinder. (Hamburg: Rasch und Röhring, 1998), S. 24
26
- 17 -
Zum weniger intensiven Missbrauch zählen laut Suer sowohl der Versuch des Täters (der
Täterin), das Kind an den Geschlechtsteilen zu berühren, sowie sexualisierte Küsse und
Zungenküsse. Als intensiven Missbrauch gilt, dass das Kind seine Geschlechtsteile zeigen
oder sich vor dem Täter (der Täterin) befriedigen muss oder der Täter (die Täterin) sich vor
dem Kind sexuell befriedigt. Zu dem wird auch noch die Manipulation an den Genitalien
des Kindes durch den Täter (die Täterin) oder Berührungen des Kindes an den
Geschlechtsteilen des Täters (der Täterin) zum intensiven Missbrauch gerechnet.
Als letzte Kategorie beschreibt Suer den „sehr intensiven Missbrauch“, namentlich die
versuchte oder vollendete anale, vaginale oder orale Vergewaltigung des Kindes und die
erzwungene Penetration des Täters durch das Opfer.29
Diese Klassifikation beschreibt einen Großteil der Missbrauchshandlungen, auch wenn
nicht alle möglichen Tatbestände erfasst werden, wie Beispiele aus der Praxis in Enders
Werk beschreiben.30 Dennoch dient sie dazu, den Missbrauch zu klassifizieren und somit
zu benennen. Festzuhalten ist hierbei, dass die unterschiedlichen Kategorien kaum
Auskunft über die Auswirkungen beim Opfer geben können.31
Um die Bandbreite sexuellen Missbrauchs zu verdeutlichen, werden in Enders’ Werk
Beispiele gegeben, von denen an dieser Stelle eine Auswahl dargestellt werden soll, um zu
zeigen, auf „welch grauenvolle und subtile Weise die Täter (Täterinnen) Kinder und
Jugendliche demütigen und verletzen“.32
„Auf einer Familienfeier zieht Frau G. ihrer 11-jährigen Tochter das trägerlose TShirt runter und berührt die Brustwarzen des Mädchens mit dem Kommentar:
‚Guckt mal, sie hat schon richtige Knöspchen!’
Der 16-jährige F. penetriert seine drei Monate alte Stiefschwester mit dem Finger.
Frau W. steckt ihren Finger in den Anus ihres 8-jährigen Sohnes und macht dabei
abfällige Bemerkungen über die sexuelle Attraktivität des Jungen.
Herr E. lädt die Jungen der Nachbarschaft regelmäßig ein und gibt ihnen Alkohol
zu trinken. Als Gegenwert überredet er die Jungen, ihm Modell für pornographische
Aufnahmen zu stehen.
29
Vgl.: Ebd., 1998, S. 24 f.
Enders, U.: 2001, S. 82
31
Vgl.: Brockhaus, U. / Kolshorn, M.: 1993, S. 120
32
Enders, U.: 2001, S. 30
30
- 18 -
Herr R. bietet seiner Stieftochter bei der ersten Menstruation an, ihr zu zeigen, wie
man die Bauchschmerzen wegmacht – er vergewaltigt sie.
Frau G. hält die 7 und 8 Jahre alten Töchter ihrer jüngeren Schwester fest, damit ihr
Mann sie vergewaltigen kann.“33
Anhand dieser Auswahl lässt sich erkennen, welche Bandbreite die Missbrauchshandlungen haben und wie schwer eine genaue Klassifizierung erfolgen kann. Die ausgewählten Beispiele lassen kaum einen Zweifel an dem Missbrauchscharakter der
Handlungen.
Dennoch gibt es eine Fülle von Handlungen, die sich nur schwer einordnen lassen und die
in der Fachöffentlichkeit für Kontroversen sorgen, da für Außenstehende die Motivation
des Erwachsenen schwer zu beurteilen ist.
2.1.3. Dauer des Missbrauchs
In unterschiedlichen Untersuchungen an der Allgemeinbevölkerung (vorwiegend durch die
amerikanischen Wissenschaftler Finkelohr und Wyatt, aber auch durch den deutschen
Forscher Bange) wird gezeigt, dass „... etwa 70% aller Ausbeutungsfälle von Mädchen und
Jungen inner- und außerhalb der Familie einmalige Übergriffe...“34 sind. Weiterhin stellen
Brockhaus und Kolshorn anhand von Studien der Wissenschaftler Russell und Draijer fest,
dass bei sexuellem Missbrauch innerhalb der Familie die befragten Mädchen die Handlungen zu 40% als mehrmalig angaben, womit die Dauer des Missbrauchs also ansteigt.
Bange zeigt bei Befragungen von StudentInnen von 1992 ein ähnliches Ergebnis; bei 66%
der betroffenen Frauen und 73% der Männer sind einmalige Übergriffe zu verzeichnen.35
Neben den Untersuchungen an der Allgemeinbevölkerung existieren klinische Studien, die
ein anderes Bild der Dauer zeichnen. 36 Hier wird der Zusammenhang von innerfamiliären
Handlungen und der Dauer des Missbrauchs aufgezeigt, wobei lediglich 17% einmaligen
sexuellen Missbrauch erlebten. „In klinischen Stichproben schienen sich demnach überproportional viele Opfer wiederholter Übergriffe zu finden.“37 Diese Aussage wird durch
33
Enders, U.: 2001, S. 30 ff.
Brockhaus, U. / Kolshorn, M.: 1993, S. 120
35
Bange, D.: 1992, S. 100
36
Vgl.: Gies, Heidi: Zur Prävention sexueller Gewalt. Strukturelle Grundlagen und pädagogische
Handlungsmöglichkeiten. (Berlin: VWB, 1995), S. 29 und Brockhaus, U. / Kolshorn, M.: 1993, S. 121
37
Brockhaus, U. / Kolshorn, M.: 1993, S. 121
34
- 19 -
Untersuchungen von Ritter und Koch bestätigt, die feststellen: „... je enger die Beziehung
zwischen Täter und Opfer war, desto länger dauerte der Mißbrauch an.“38 Somit wird
deutlich, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Bekanntheitsgrad des
Opfers und des Täters und der Dauer des Missbrauchs gibt. „So kann man sagen, dass
Mädchen und Jungen, die durch einen (oder mehrere) Täter aus dem familiären Bekanntenkreis sexuell ausgebeutet werden, am längsten sexuelle Gewalt erfahren.“39
Auf eine genau errechnete Durchschnittsdauer verweisen die Autoren Brockhaus und
Kolshorn, wobei sie Studien der Wissenschaftler Finkelhor und Draijer anführen. Demnach
beträgt der sexuelle Missbrauch – inklusive aller Einzelfälle - im Durchschnitt 31 Wochen,
also ca. 7 Monate. Draijer errechnete eine durchschnittliche Dauer der Mehrfachtaten von
3,8 Jahren.40 Damit wird deutlich, dass insbesondere bei Mehrfachtaten innerhalb des
familiären Nahbereichs der sexuelle Missbrauch sehr lange andauern kann, wohingegen der
Missbrauch durch Fremdtäter überwiegend einmalig ist.
2.1.4. Das Ausmaß des Missbrauchs
Das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in der Bundesrepublik ist aufgrund der hohen Dunkelziffer nur sehr schwer exakt zu benennen. Zur genauen Bestimmung müssen zwei Maße
betrachtet werden: Zum einen die sog. Inzidenz, welche die Zahl der neu aufgetretenen
,Fälle’ innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bei einer Population angibt, zum anderen die
Prävalenz, mit der die Anzahl der ,Fälle’ innerhalb einer bestimmten Periode (bspw. in der
Kindheit der Befragten) angegeben werden.41 Um also möglichst exakte Daten zu ermitteln,
empfiehlt es sich, beide Möglichkeiten zu nutzen.
Die Inzidenz ist von hoher Bedeutung, um ein angemessenes Hilfsangebot planen zu
können. Da es jedoch aufgrund der „speziellen Dynamik des sexuellen Missbrauchs“42
nicht möglich ist, Kinder oder deren Eltern direkt zu befragen, muss auf aktenkundige
Daten (z. B. polizeiliche Kriminalstatistik, Akten von Jugendämtern o. a.) zurückgegriffen
werden. Laut Bange wurde in der Bundesrepublik bisher lediglich die polizeiliche
Kriminalstatistik ausgewertet, die jedoch einige Einschränkungen mit sich bringt. Wie aus
der Prävalenz hervorgeht, werden längst nicht alle Fälle angezeigt und demnach auch nicht
38
Ritter, Sabine/ Koch, Frederike: Lebenswut – Lebensmut. Sexuelle Gewalt in der Kindheit.
Biographische Interviews. (Pfaffenheim: Centaurus-Verl.-Ges., 1995), S. 104
39
Gies, H. : 1995, S. 29
40
Brockhaus, U. / Kolshorn, M.: 1993, S. 121
41
Vgl.: Ernst, C.: In: Amann, G./ Wipplinger, R. (Hrsg.): 1997, S. 55 f.
42
Vgl.: Bange, Dirk/ Körner, Wilhelm (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen:
Hogrefe, 2002), S. 21
- 20 -
polizeilich erfasst. Darüber hinaus weist die PKS weitere Schwächen aus, die Katja Klehm
in ihrer „Evaluation eines Konzeptes der polizeilichen Kriminalprävention“ ausführlich
darlegt, wie beispielsweise die uneinheitliche Datenaufbereitung oder die Einordnung von
Delikten. 43 Somit ist bereits das sog. Hellfeld, welches die polizeilich erfassten Daten
bilden, verzerrt. Auch eine weitere Beschäftigung mit der PKS zeigt, dass deren absolute
Daten wenig aussagen, da sich durch demographische Verschiebungen die Zahl der
Jugendlichen ständig verändert.44 Festzuhalten ist jedenfalls, dass es „ auf Grund der
Unwägbarkeiten bezüglich der PKS und der Dunkelziffer [...] Ende der Achtzigerjahre in
Deutschland eine heftige Kontroverse um die Inzidenz gegeben“45 hat. Ursprung dieser
Kontroverse war eine Schätzung der Autorinnen Kavemann und Lohstöter, die auf Daten
der PKS sowie einer aufgrund verschiedener Untersuchungen des Kriminologen Baurmann
angenommenen Dunkelfeldschätzung von 1:18 bis 1:20 basierte. Daraus ergab sich, dass
etwa 300.000 Kinder jährlich in Deutschland sexuell missbraucht werden. 46 Diese Debatte
setzte sich bis in die 90er Jahre hinein fort, obwohl Baurmann selbst die Zahl 1991 als
wesentlich zu hoch einschätzte, da bestimmte Daten fälschlicherweise mitberechnet und
andere nicht berücksichtigt worden waren. Noch heute findet sich die Zahl in der Literatur
und wird teilweise von Vereinen und Initiativen verwendet.47
Um verlässlichere Aussagen über die tatsächliche Zahl der Missbrauchsopfer machen zu
können, sind daher Befragungen zur Prävalenz der zuverlässigere Weg. Einer solchen
Untersuchung liegen mehrere Voraussetzungen zugrunde (beispielsweise eine Falldefinition, eine Stichprobe und ein Befragungsinstrument), auf die im Rahmen dieser
Arbeit nicht näher eingegangen werden kann.48 Es muss jedoch betont werden, dass die
Definition des sexuellen Missbrauchs bei der Befragung eine entscheidende Rolle spielt.
Die weiter oben genannten Kriterien (z. B. ein Altersunterschied zwischen Täter und Opfer,
eine „enge“ oder „weite“ Definition) sind häufig von Untersuchung zu Untersuchung
unterschiedlich und die ermittelten Ergebnisse weichen somit teilweise stark voneinander
ab.
Die Situation, wonach bis Anfang der 90er Jahre „keine methodisch angemessene Untersuchung über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Kindern“49 in Deutschland vorlag,
43
Vgl.: Klehm, Katja: Sexualisierte Gewalt und ihre Prävention. Evaluation eines Konzepts der
Polizeilichen Kriminalprävention. Selbstbehauptungskurse für Mädchen. ( Frankfurt a. M./ Berlin/ Bern/
Bruxelles/ New York/ Oxford/ Wien: Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2003), S. 57
44
Vgl.: Bange, D.: In Körner, W./ Lenz, A.: 2004, S. 32
45
Bange, D.: In Bange/ Körner.: 2002, S. 21
46
Vgl.: Kavemann, B. / Lohstöter, I.: 1984, S. 28
47
Besten, B.: 1995, S. 2 oder http://www.gegen-missbrauch.de/new.php?link=start_new.php
48
zu näheren Ausführungen zum Thema siehe Körner W./ Lenz, A.: 2004
49
Bange, D.: In Bange/ Körner.: 2002, S. 23
- 21 -
hat sich gewandelt. Inzwischen liegen laut Bange50 sieben solcher Studien vor, die jedoch
nicht im Einzelnen detailliert vorstellt werden können.51 Zusammenfassend soll aber gesagt
werden, dass die Studien vorwiegend mit Studenten durchgeführt (siehe Bange 1992;
Richter-Appelt 1995) und häufig unterschiedliche Kriterien angelegt wurden. Die einzige
als repräsentativ geltende retrospektive Studie stammt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen aus dem Jahre 1992. Wegen ihrer Repräsentativität soll sie an dieser
Stelle kurz erläutert werden.
1661 Frauen und 1580 Männer wurden zu ihren sexuellen Erlebnissen in der Kindheit oder
Jugend befragt, wobei als Kriterium angelegt war, dass der Täter mindestens fünf Jahre
älter sein musste und die Betroffenen die Tat nicht wollten oder nicht verstanden. Zudem
sollte die sexuelle Erregung des Täters als Ziel der Handlungen identifiziert werden. „Ohne
definitorische Grenzen gaben 18,1 % der Frauen und 6,2 % der Männer an, sexuell missbraucht worden zu sein. Wurden beispielsweise Schutzaltersgrenzen festgelegt (z.B. das 14.
Lebensjahr), sank die Zahl bei den Frauen auf 10,7 % und bei den Männern auf 3,4 %.“52
Dies verdeutlicht den Einfluss der Definition auf das Untersuchungsergebnis.
Trotz der Uneinheitlichkeit der Definitionen der sieben großen in Deutschland durchgeführten Studien zeigt sich bei einer Angleichung der Ergebnisse ein eher einheitliches
Bild mit hohen Übereinstimmungen, auch im Vergleich zu „... methodisch anspruchsvolleren Untersuchungen aus Europa und den Vereinigten Staaten (Finkelhor 1997).“53
Laut Bange „ kann davon ausgegangen werden, dass 10 – 15 % der Frauen und 5-10 % der
Männer bis zum Alter von 14 bis 16 Jahren mindestens einmal einen sexuellen Kontakt
erlebt haben, der unerwünscht war und durch die ‚moralische’ Übermacht einer deutlich
älteren Person oder durch Gewalt erzwungen wurde.“54 Damit wird abermals deutlich, dass
sexueller Missbrauch keine Rand- oder Ausnahmeerscheinung, sondern ein sehr ernstzunehmendes und weit verbreitetes gesellschaftliches Problem darstellt. Anhand dieser
Angaben wird die Dringlichkeit einer flächendeckenden Präventionsarbeit an den Schulen
-und hier wiederum insbesondere den Grundschulen - unterstrichen.
50
Bange, D.: In Körner, W./ Lenz, A.: 2004, S. 34
Näheres dazu in Körner, W/ Lenz, A.: S. 34 f.
52
Vgl.: Bange, D.: In Bange/ Körner.: 2002, S. 24
53
Bange, D.: In Bange/ Körner.: 2002, S. 35
54
Ebd., 2002, S. 25
51
- 22 -
2.2. Die Täter
„Wissen ist Macht – realistisches Wissen über Täter (Täterinnen) erweitert die Handlungsspielräume in der parteilichen Arbeit für Opfer sexueller Gewalt.“55 Damit leitet Enders das
Kapitel „Die zwei Gesichter der Täter und Täterinnen“ ein. Diese Einleitung kann auf die
Prävention sexuellen Missbrauchs übertragen werden, da eine möglichst genaue Kenntnis
über die soziodemographischen Merkmale der TäterInnen und deren Strategien eine
wirksame Prävention erst ermöglicht. Vor diesem Hintergrund scheint es geboten, ein
möglichst genaues Bild der Menschen zu zeichnen, die zu sexuellem Missbrauch in der
Lage sind. Allerdings steht der benötigte Umfang, der erforderlich wäre, um dem Problem
adäquat zu begegnen, nicht zur Verfügung. So kann an dieser Stelle nur eine Zusammenfassung der derzeitigen Erkenntnisse über die Täter und Täterinnen erfolgen. Neben den
Erwachsenen sollen aufgrund der Zielsetzung dieser Arbeit hier auch Jugendliche und
Kinder als TäterInnen analysiert werden, ohne dass jedoch auf Therapiemöglichkeiten und
Rückfallwahrscheinlichkeiten der Sexualstraftäter eingegangen werden kann.56
2.2.1. Männliche Täter
Bei der Beschäftigung mit dem männlichen Täter ist festzustellen, dass sich seit Jahrzehnten bestimmte Mythen und Vorstellungen hartnäckig in der Bevölkerung halten.
Exemplarisch zu nennen ist hier der Gedanke, der Missbraucher sei, der fremde, böse
Mann“, der im Gebüsch auf Kinder lauere’, oder sexuelle Straftaten an Kindern würden
„nur durch abartige, triebhaft gestörte, asoziale Gewaltverbrecher“57 begangen.
Diese Vorstellungen gehen auf die Zeit zurück, in denen sexueller Kindes-missbrauch ein
absolutes gesellschaftliches Tabu war und es undenkbar schien, die Täter könnten aus dem
sozialen Nahbereich, ja sogar aus der Familie des Opfers stammen und ganz „normale“,
sozial unauffällige Menschen sein.
Obwohl sexueller Missbrauch auch durch Frauen verübt wird, stellen Männer den weitaus
überwiegenden Teil der Täter. Brockhaus und Kolshorn konstatieren anhand unterschiedlicher Studien, „daß bei Mädchen gut 98 % (Streubreite 94 – 100 %) und bei Jungen etwa
86 % (Streubreite 83 – 98 %) der TäterInnen männlichen Geschlechts sind.“58 Auch
Deegener kommt in seinen Darstellungen zu einem ähnlichen Ergebnis, beziffert jedoch
55
Enders, U.: 2001, S. 53
Näheres zum Umgang mit Sexualstraftätern in: Körner, W./ Lenz, A.: 2004, S. 487 ff.
57
Besten, B.: 1995, S. 34
58
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 68 f.
56
- 23 -
den Anteil der Täterinnen als höher.59 Fest steht aber, dass es weit überwiegend Männer
sind, die Kinder sexuell missbrauchen.
Diese Männer sind, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, sozial angepasst und
unauffällig. Besten schreibt dazu: „Die Täter sind ganz ‚normal’, es sind Lehrer, Schulbusfahrer, Therapeuten, Verkäufer, Ärzte, Pfarrer, Pädagogen, Köche, Hundezüchter, Eltern,
Onkel, Nachbarn, Brüder, Großväter...“60 Also ist die Annahme, Täter stammten
vorwiegend aus dem sozial schwächeren Milieu, nicht haltbar. Im Gegenteil „wird
sexueller Missbrauch heute allgemein als ein in allen sozialen Schichten gleichermaßen
vorkommendes Phänomen betrachtet.“61 Mit Sicherheit wird auch ausgeschlossen, dass die
Mehrzahl der Täter psychisch schwer gestört und/oder intellektuell minderbemittelt ist.
Insofern ist eine Typologisierung der Täter beinahe unmöglich, da sie sich durch keinerlei
eindeutigen Merkmale von der Gesellschaft, in der sie leben, abheben. Brockhaus und
Kolshorn bemerken dazu: „Der Täter ist kein kranker Mann, zumindest nicht ‚kranker’ als
die Gesellschaft, in der er lebt“62, und bestätigen damit die Unmöglichkeit der eindeutigen
Typologisierung. Im Gegenteil finden sich Täter sogar häufig als „ehrenamtliche
Mitarbeiter pädagogischer und psychosozialer Arbeitsfelder [und H.B.] gelten gemeinhin
als rechtschaffene Bürger, die im Sinne des Kindeswohls tätig sind.“63
Auch von der Altersstruktur her finden sich keinerlei besondere Merkmale der Täter,
womit auch der Mythos vom „dirty old man“64 oder dem „widerlichen, altersabgebauten
Mann“65 widerlegt wird. Deegener zeigt anhand seiner Studien, dass lediglich etwa 10 %
der Täter über 50 Jahre alt sind.66 Ebenso sprechen Brockhaus und Kolshorn von Tätern,
die im Wesentlichen unter 40 Jahren und meist Anfang bis Mitte 30 sind.67 Problematisch
bei der Erfassung des Alters sexueller Missbraucher ist, wie bereits beschrieben, die
jeweilige Definition sexuellen Missbrauchs. Werden Altersgrenzen als Kriterium
verwendet, so bleiben jene Taten unberücksichtigt, die von Gleichaltrigen begangen
werden. Wird das genannte Kriterium nicht hinzugezogen, so zeigt sich ein recht hoher
Prozentsatz, der zwischen 15 %68 und etwa 34 %69 liegt.
59
Vgl.: Deegener, G.: 1998, S. 39
Besten, B.: 1995, S. 35
61
Born, Monika: Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? Präventions und
Interventionsmöglichkeiten aus schulischer Perspektive. (Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1994), S.
25
62
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 81
63
Enders, U.: 2002, S.58
64
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 69
65
Deegener, G.: 1998, S. 39
66
Loc. cit.
67
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 35
68
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 70
69
Vgl.: Deegener, G.: 1998, S. 40
60
- 24 -
Festzuhalten bleibt die Schwierigkeit, Täter als solche zu identifizieren, da sie gewöhnlich
sozial völlig unauffällig sind und sogar teilweise pädagogischen Berufsgruppen angehören.
2.2.2. Frauen als Täterinnen
Frauen als aktive Täterinnen zu sehen, die aus eigenem Antrieb heraus Missbrauchshandlungen an Mädchen und Jungen vornehmen, scheint noch immer einem großen Tabu
zu unterliegen. So wird in Teilen der Fachliteratur, die Anfang der 90er Jahre publiziert
wurde, lediglich darauf hingewiesen, dass Missbrauch durch Frauen vorkomme und als
genauso schädlich anzusehen sei wie derjenige durch Männer. 70 Wie Brockhaus und
Kolshorn anführen, beläuft sich der Anteil der Täterinnen auf 4 %, was sie als realistisch
betrachten. 71 Deegener hingegen beziffert den Anteil der Täterinnen Studien zufolge bei
weiblichen Opfern als bis zu 10 %, bei männlichen Opfern sogar bis zu 25 %.72 Auch
Bange vermutet, dass sich der ermittelte Anteil der Täterinnen noch erhöhen könnte, wenn
in der Gesellschaft offen über Frauen als Täterinnen diskutiert würde.73 Es ist davon auszugehen, dass es beim sexuellen Missbrauch durch Frauen ein hohes Dunkelfeld gibt.
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe; beispielsweise verschweigen insbesondere Jungen
sexuelle Gewalterfahrungen, um ihr männliches Selbstverständnis zu wahren.
Zweifellos ist der Anteil der Männer bei der Täterschaft ungleich höher als jener der
Frauen. Vieles, was über die männlichen Täter gesagt wurde, gilt gleichermaßen für: die
weiblichen: unspezifische Schichtenzugehörigkeit, die soziale Unauffälligkeit und keine
abgrenzbare Altersgruppe. Dennoch soll hier explizit auf Frauen als Täterinnen eingegangen werden, da das tradierte gesellschaftliche Bild der Frau die Annahme, sie könne
eine Missbraucherin sein, eigentlich ausschließt. Wenn es gelingen soll, effektive
Prävention zu betreiben, muss diese Vorstellung aber korrigiert werden. Folglich sind bei
der Behandlung des Themas weit mehr Vorurteile aufzudecken und zu beseitigen als bei
Tätern männlichen Geschlechts. Kavemann und Braun setzen sich mit den diesbezüglichen
Mythen und Vorurteilen kritisch auseinander.74 Hier soll nur eine knappe Übersicht über
die am häufigsten vorkommenden falschen Annahmen gegeben werden: Zunächst halten
Kavemann und Braun fest, dass Frauen über wesentlich mehr und bessere Möglichkeiten
verfügen, den Missbrauch zu tarnen, da sie „ traditionell eher mit Kinderpflege und
70
Vgl.: Besten, B.: 1995; Suer, P.: 1998; Brockhaus, U./Kolshorn, M.: 1993
Brockhaus, U./Kolshorn, M.: 1993, S. 69
72
Deegener, G.: 1998, S. 38
73
Bange, D.: In: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 37
74
Ebd., 2002, S. 122
71
- 25 -
Versorgung betraut [sind H. B.], ja mehr noch, sie werden von ihnen erwartet“75. Darüber
hinaus wird, wie bereits angesprochen, die Möglichkeit, eine Mutter missbrauche ihr Kind,
fast gänzlich ausgeblendet „ und sogar offensichtliche, massive Grenzüberschreitungen
wahlweise als Überfürsorglichkeit, mütterliche Strenge oder offenherzige Sexualaufklärung
interpretiert.“76. Dies legt den Schluss nahe, dass der Missbrauch durch Frauen, sofern er in
der Gesellschaft als überhaupt möglich angesehen wird, dennoch als weniger schädlich gilt,
da Frauen der allgemeinen Annahme zufolge weniger zu körperlicher Gewalt greifen.
Jedoch unterscheidet sich das sexuelle Missbrauchsgeschehen nur unwesentlich von dem
männlicher Täter: der körperliche, psychische und emotionale Zwang ist ähnlich. 77, und die
Missbrauchsfolgen sind ebenso gravierend, teilweise sogar mit schlimmeren Folgen, da das
missbrauchte Vertrauensverhältnis zur Mutter von ganz eigener Wertigkeit ist.
Generell ist festzuhalten, dass sexueller Missbrauch durch Frauen genauso brutal, sadistisch
und folgenreich sein kann, wie der durch männliche Täter. Auch wenn das Bild der Gesellschaft eine Täterin kaum zulässt und sie eher als ,Verführerin’ verbrämt, muss klar sein,
dass ein Missbrauch stattfindet, der häufig nur durch die Fassade der Fürsorge verdeckt
wird.
2.2.3. Jugendliche und Kinder als Täter
Ebenso bedeutend für die Prävention sexuellen Missbrauchs ist die Frage nach Kindern und
Jugendlichen als Tätern, die zunächst befremdlich erscheint und laut Deegener nicht nur
national, sondern auch international sehr vernachlässigt wird.78 Doch zeigen Untersuchungen einen hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen als Missbraucher, wie
Werner Meyer-Deters im Kapitel: „Kindliche und jugendliche Täter – die Fakten“ in
Enders „Zart war ich, bitter war’s“ darstellt. Demnach werden „etwa ein Drittel aller
Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Jungen“ 79 von Kindern
und Jugendlichen verübt. Deegener unterstützt diese Aussage, und auch andere Wissenschaftler kommen zu diesem Ergebnis (bspw. Waschlawski 1999 oder Howard/ Marschall/
Hudson 1993).80 Zugleich ist festzuhalten, dass sexuelle Übergriffe Heranwachsender
keineswegs „harmlos“ sind und sie eben nicht bei „weitgehend ungestörter Persönlichkeit
75
Ebd., 2002, S. 123
Loc. cit.
77
Ebd.: 2002, S. 124
78
Vgl.: Deegener, G.: 1998, S. 59
79
Meyer-Deters, W.: In Enders, U. (Hrsg.): 2001, S. 371
80
Loc. cit.
76
- 26 -
fast ‚naturgegeben’ in der Pubertätsphase“81 sozusagen automatisch vorkommen. Dennoch
muss betont werden, dass „altersentsprechend normale sexuelle Verhaltensweisen von
Kindern“ keinesfalls vorschnell „dem Bereich besorgniserregender Pathologie zugeordnet
werden“82 dürfen. So sind sexuelle Neugier, „Doktorspiele“ oder ähnliches Verhalten von
sexuellem Missbrauchsverhalten klar abzugrenzen. Entsprechende Kenntnis der normalen
sexuellen Verhaltensweisen bei Heranwachsenden ist demnach zwingend erforderlich.
Klaus Peter David stellt jedoch deutlich dar, dass retrospektiven Studien an erwachsenen
Straftätern zufolge ein erheblicher Anteil dieser Straftäter bereits im Jugendalter deviante
Interessen und Handlungen aufwies, wobei die Angaben „ je nach Deliktmuster zwischen
30 % und 50 % (Deegener, 1999) bis hin zu 80 % (Grothetal., 1995)“83 schwanken.
Zum Abschluss dieses Themas und um eine weitere Bagatellisierung sexuellen Missbrauchs durch Kinder und Jugendliche zu verhindern, soll ein Zitat von Georg Romer
angeführt werden:
„Reale Handlungen sexuell aggressiver Kinder umfassen auch deutlich vor der
Pubertät die meisten bei erwachsenen Tätern bekannten Formen sexueller Gewalt,
einschließlich gewaltsam erzwungener penil-vaginaler, manuell-vaginaler und
penil-rektaler Penetration sowie dem Gefügigmachen zu Oralverkehr oder manuellgenitaler Stimulation durch Einsatz von Drohungen.“84
2.2.4. Bekanntheitsgrad zwischen Täter und Opfer
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten auf die Täter eingegangen wurde, soll nun
der Blick auf das Verhältnis zwischen Opfer und Täter gelenkt werden. Um eine möglichst
adäquate Prävention leisten zu können, bedarf es auch in diesem Bereich der Beschäftigung
mit althergebrachten Annahmen und Vorurteilen. Die üblichen Warnungen: ,Geh nie mit
Fremden mit’ oder ‚Nimm keine Schokolade von Fremden an’, sind „sicherlich gut
gemeint – aber sie reichen keinesfalls aus, die Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen.“ 85
Bereits in der Literatur der späten 80er Jahre finden sich, mit Hinweis auf die Studie
Baurmanns 1984, eindeutige Befunde, die verdeutlichen, dass der „böse fremde Mann“
lediglich einen geringen Prozentsatz ausmacht. So bezeichnet Monika Born in Anlehnung
81
Deegener, G.: 1999, S. 61
Romer, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 271
83
David, K-P.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 234
84
Romer, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 271
85
Besten, B.: 1995, S. 33
82
- 27 -
an Baurmann den Anteil der Fremdtäter mit 6 % als sehr gering. Im Vergleich dazu werden
37 % der Täter als verwandt oder aus verwandtschaftsähnlichen Verhältnissen stammend
angesehen, weitere 34 % seien nähere Bekannte und 23 % dem Opfer immerhin bekannt.86
Der geringe prozentuale Anteil, den Fremdtäter haben, wird in weiteren in Studien belegt.87
Bange differenziert in seinem Beitrag „Bekanntschaftsgrad zwischen Kindern und Tätern“
im „Handwörterbuch sexueller Missbrauch“ dahingehend, dass „... Mädchen [...] etwa zu
einem Viertel bis einem Drittel durch Familienangehörige sexuell missbraucht werden. Bei
Jungen kommen die Täter mit zehn bis zwanzig Prozent etwas seltener aus der Familie.“88
Bei diesem intrafamiliären Missbrauch treten keinesfalls lediglich Väter oder Stiefväter als
Täter auf, sondern ebenso Großväter, Onkel, Brüder, Cousins und Mütter. Doch sind Täter
auch nicht, entgegen einer oft geäußerten falschen Auffassung, überwiegend im familiären
Bereich zu suchen, wie Deegener verdeutlicht.89
Bei männlichen Opfern dominieren Täter aus dem sozialen Nahraum mit einem Anteil von
50 % -60 % das Täterbild, bei Mädchen stammt etwa die Hälfte der Täter aus diesem
Bereich, beispielsweise sind Täter: Nachbarn, Freunde der Familie, Lehrer, Erzieher,
Jugendgruppenleiter oder Babysitter. Auch Wetzels hält fest, dass weniger als ein Fünftel
der Täter völlig unbekannte Personen sind.90
Wie bereits angeführt, handelt es sich bei Missbrauch durch eine Person des sozialen Nahraums oder durch intrafamiliäre Täter häufig um mehrmaligen Missbrauch, wohingegen der
Missbrauch durch einen gänzlich Fremden meist eine einmalige Tat darstellt. Demzufolge
muss bei der Präventionsarbeit nicht nur auf den Fremdtäter, sondern auch auf die aus dem
Nahbereich des potentiellen Opfers stammenden Personen und die Familienangehörigen
eingegangen werden.
2.2.5. Strategien der Täterinnen und Täter
Abschließend zu dem Kapitel über die Täter sollen deren unterschiedlichen Strategien de in
den Blickpunkt gerückt werden, die zum Teil sehr subtil und schleichend und darum schwer
zu enttarnen sind. Um sich der komplexen Thematik zu nähern, müssen die Strategien in
mehrere Bereiche unterteilt und einzeln behandelt werden. Zunächst lässt sich sagen, dass
es sich bei der Tat des sexuellen Missbrauchs keineswegs um das bei stereotypen
„Vorstellungen von sexuellen Gewalttätern vermittelten Bild vom Mann als ‚Dampfkessel’,
86
Vgl.: Born, M.: 1994, S. 25
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 71, f.
88
Bange, D.: In: Handbuch, S. 679
89
Vgl.: Deegener, G.: 1998, S. 41
87
- 28 -
der durch zu starke Erhitzung – sexuell stimulierende Reize, fehlende sexuelle Befriedigung
oder mangelnde Impulskontrolle durch psychische Krankheit - unkontrollierbar wird und
explodiert (Triebmodell)“ 91 handelt. Ganz im Gegenteil geschehen sexuelle Taten extrem
selten im Affekt oder durch Zufall: meist werden sie vom Täter minutiös geplant.92 Je
genauer diese Strategien und Vorgehensweisen bekannt sind, desto eher lässt sich eine
Prävention vollziehen, die sich an der Realität orientiert und somit wirksam sein kann.
2.2.5.1. Die Auswahl der Opfer und die Kontaktaufnahme
Bereits die Aufnahme der Beziehungen zu einem potentiellen Opfer ist lange vor der Tat
sorgfältig und oft raffiniert geplant.93 Dabei unterscheiden sich männliche Missbraucher
von weiblichen im Wesentlichen dadurch, dass Frauen ohnehin eher Kontakt zu Kindern
haben und so ihre Opfer meist unter den Kindern suchen, die ihnen am nächsten sind.
Männliche Täter nehmen hingegen gezielt Kontakt zu potentiellen Opfern auf, erkunden
deren soziale Kontakte, Vorlieben, Gewohnheiten, Ängste und Wünsche und nutzen dieses
Wissen, um die Opfer in den Missbrauch zu verwickeln und sie zum Schweigen zu
zwingen. 94
Einer Studie von Michelle Elliot zufolge, die an 91 verurteilten Missbrauchern durchgeführt wurde, gaben 35 % derjenigen, die außerhalb von familiären Bezügen Kinder missbrauchten, an, sie suchten Orte auf, an denen Kinder sich oft aufhalten, beispielsweise
Schulen, Einkaufzentren, Freizeitparks etc. Als nächster Schritt folgte in 38 % der Fälle der
Versuch, mit der Familie des Opfers Kontakt aufzunehmen, um sich dann in irgendeiner
Form der Einzelbetreuung des Kindes zu widmen, etwa als Babysitter, Sporttrainer oder
Musiklehrer. 95 Enders verdeutlicht anhand der Beratungspraxis von „Zartbitter Köln“, dass
einige Täter „ gezielt (z.T. wiederholt) Partnerinnen wählen, die aufgrund geringen Selbstwertgefühls, eines sehr traditionellen Weiblichkeitsbildes oder einer Minderbegabung
wenig autonom ihre Interessen vertreten und/oder ihren Alltag gestalten“.96 Die Kontaktaufnahme zu den Opfern bzw. dann auch zu deren Familien kann generell in zahlreichen
Formen stattfinden und extrem facettenreich sein: So werden beispielsweise auch allgemein
zugängliche Medien benutzt, um mit Kindern in Kontakt zu kommen, unter anderem indem
90
Vgl.: Wetzels, P.: 1997, S. 122 f.
Brockhaus, U/ Kolshorn, M.: 1993, S. 127
92
Vgl.: ebd.: 1993, S. 128
93
Vgl.: Heiliger, A.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 657
94
Vgl.: Enders, U.: 2001, S. 57
95
Vgl.: Elliot, M.: 1995, S. 56
96
Enders, U.: 2001, S. 59 f.
91
- 29 -
sich die Täter auf Anzeigen melden, die Spielzeug, Kinderkleidung oder Fahrräder
anbieten.97
Brockhaus und Kolshorn weisen darauf hin, dass Täter bei der Kontaktaufnahme und der
Auswahl der Opfer vor allem solche Kinder in Betracht ziehen, „bei denen sie mit
geringstem Aufwand und Entdeckungsrisiko rechnen müssen“98. Vornehmlich sind dies
ihre eigenen Kinder oder solche aus ihrer Familie wie beispielsweise Nichten oder Enkelkinder. Bei den Taten extrafamiliärer Missbraucher werden „’passive, ruhige, verstörte,
einsame Kinder aus gestörten Familienverhältnissen’“99 bevorzugt als Opfer ausgewählt.
Heiliger merkt in diesem Zusammenhang an, dass ein Kind mit hohem Defizit in Bezug auf
Sicherheit, Zuwendung, Anerkennung, Liebe und Wärme einer höheren Gefahr ausgesetzt
ist, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden. Weiterhin wenden sich Täter denjenigen
Kindern zu, die einen offenen und freundlichen Eindruck machen und vertrauensvoll auf
Erwachsene zugehen, oder an diejenigen, die im Rahmen einer traditionellen Erziehung
gelernt haben, Erwachsenen nicht zu widersprechen.
Da Missbraucher ein sehr feines Gespür für sozial deprivierte Kinder haben,100 suchen sie
häufig gezielt Kontakt zu Mädchen und Jungen, die bereits zuvor Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind.
Schließlich bezeichnet Enders noch „Mädchen und Jungen, in deren Familien und Schulen
das Thema Sexualität tabuisiert und Selbstbefriedigung als verboten dargestellt werden,“ 101
als besonders gefährdet, denn diese Kinder haben kaum eine Chance, den schleichenden
Beginn des Missbrauchs zu erkennen und können sich demnach auch schlechter dagegen
zur Wehr setzen. Die Kinder mit den genannten Defiziten können den Missbrauchern
besonders wenig Widerstand entgegen stellen, was sie eher zu potentiellen Opfern macht.
2.2.5.2 Beziehungsaufbau und Desensibilisierung
Die weitere Strategie beruht in der Mehrzahl der Fälle auf einer zunehmenden
Sexualisierung der Beziehung zum Opfer und zielt auf dessen Desensibilisierung in Bezug
auf körperliche Berührungen ab. Enders spricht in diesem Zusammenhang von immer
wiederkehrenden Grenzüberschreitungen, um die potentielle Widerstandsfähigkeit der
Opfer zu prüfen. „Schritt für Schritt überschreiten sie [die Täter, H.B.] dessen Grenzen und
97
Vgl.: Paulus, 1998, S. 50
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 128
99
Budin / Johnson: 1989, S. 79: zit. nach Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 129
100
Enders, U.: 2001, S. 63
101
Loc. cit.
98
- 30 -
etikettieren diese Überschreitungen als normal.“102 Dabei hält sie fest, dass viele
widerstandsfähige Opfer nach den ersten Überschreitungen den Kontakt zum Täter
abbrechen und somit beispielsweise auf den Musikunterricht etc. verzichten. Besonders
erwähnenswert ist, dass ein eventueller Protest des Opfers es aus Tätersicht oft als
,ungeeignet’ disqualifiziert.
Oft wird eine Sexualisierung bzw. ein Übergriff in körperliche Aktivitäten integriert und
somit getarnt, unter anderem beim Schmusen oder Toben mit dem Kind. Bullens und
Mähne halten fest: „Eine genitale/vaginale Berührung, die dabei stattfindet, ist kein
Versehen mehr, auch wenn sie zunächst als solches hingestellt wird.“ 103
Die Frage nach der körperlichen Gewalt, welche die Täter häufigen Vorurteilen zufolge
ausüben, kann man in diesem Kontext nicht unbeantwortet lassen. So gehen Brockhaus und
Kolshorn davon aus, dass „die Anwendung körperlicher Gewalt in den meisten Fällen gar
nicht erforderlich ist“104. Lediglich bei einem Viertel der Fälle greifen Täter auf offene
körperliche Gewalt zurück.105
Viel eher versuchen sie, manipulative Strategien
einzusetzen, um die Opfer gefügig zu machen, was ihnen auch häufig gelingt. Die
erwachsenen Täter verfügen gegenüber dem Kind über eine Reihe von Ressourcen, wobei
der Vorsprung an Erfahrung und Wissen besonders häufig genutzt wird. Meist haben die
Missbraucher bereits gute Kenntnis von ihrem Opfer und dessen Alltag. Zudem sind sie oft
im Umgang mit Kindern erfahren und können so die sexuelle Ausbeutung ‚kindgerecht’
verpacken, sei es als „Spiel“ oder als „liebevoller Umgang“, um die Grenzen zwischen
zärtlicher Zuwendung und Missbrauch verschwimmen zu lassen.106 Sie „umwerben“ häufig
das Kind regelrecht, bedenken es mit Aufmerksamkeit und Zuwendung. Enders stellt
dagegen dar, dass „missbrauchende (Stief-) Väter und Mütter [...] in vielen Fällen keine
besonders aufwendigen Verführungstricks“107 anwenden müssen, da ihre Opfer ohnehin
existenziell von ihnen abhängig sind.
Besonders perfide ist die schleichende Sexualisierung der Beziehung zum Kind. Durch die
Erklärung der Täter, Spiele zu spielen, die Kinder aufzuklären oder den beginnenden Missbrauch zu behandeln, als sei es etwas völlig Normales, sind die Opfer kaum in der Lage zu
begreifen, was mit ihnen geschieht. Wenn sie jedoch erkennen, wodurch das „komische“
Gefühl hervorgerufen wird, fühlen sie sich oft mitschuldig am Geschehenen.108
102
Enders, U.: 2001, S. 68
Bullens/ Mähne, 1999, S. 187
104
Brockhaus, U./ Kolshorn. M.: 1993, S. 130
105
Vgl.: Bange, D.: 1992, S. 106
106
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn. M.: 1993, S. 131
107
Enders, U.: 2001, S. 77
108
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn. M.: 1993, S. 132
103
- 31 -
Eine weitere Methode besteht darin, das Opfer von seiner Umwelt zu isolieren, beispielsweise indem ein Vater seine Tochter deutlich den anderen Familienangehörigen (auch der
Mutter) vorzieht und damit entfremdet und die Abhängigkeit so erhöht.
Zusammengefasst intensivieren die Täter also gezielt und systematisch die Beziehung
durch materielle oder emotionale Zuwendungen, Anerkennung oder einfach dadurch, dass
sie ein Gefühl der Geborgenheit erzeugen und das Opfer zunächst sehr gerne mit ihnen
zusammen ist, sie also die Schwächen des Opfers ausnutzen. Nachdem eine gewisse
Abhängigkeit entstanden ist, beginnt die schleichende und für das Opfer zunächst nicht
wahrnehmbare Sexualisierung der Beziehung. Die Anzahl der Übergriffe und ihre
Intensität werden ganz allmählich gesteigert, die Grenzübertritte als Spiel oder Aufklärung
getarnt oder gar nicht erst erwähnt. Dabei ist häufig keine offene körperliche Gewalt
vonnöten, da sich die Abhängigkeitsbeziehung bereits weit entwickelt hat und der Täter die
Machtlosigkeit, die Unwissenheit und die Ohnmacht des Kindes ausnutzt.
Abschließend sollen in Anlehnung an Brockhaus und Kolshorn109 in einem kurzen Überblick die am häufigsten genutzten Methoden genannt und anhand kurzer Beispiele
verdeutlicht werden:
Er/ sie nutzt die Rechte als Vater/ Mutter.
Das Kind wird als Schuldigen für den Missbrauch hingestellt:
„’Du sollst ihn doch nicht immer provozieren!’
‚Wieso hörst du auch nicht auf!’
‚Du bist doch wieso nur für eins gut und das ist für das Bett!’“
Dem Opfer wird eingeredet, es handle sich um etwas Positives:
„Erzeuger: ‚Soll ich meiner Püppi zeigen, wie lieb ich sie habe?’“
Dem Opfer wird gedroht:
„Wenn ich nicht wollte hieß es: ‚Du bist hysterisch, du weißt was dir dann passiert?’ (ich
wurde dann von meinem Bruder ins Bad gezerrt und unter Wasser getaucht bis ich nicht
mehr schrie oder mich nicht mehr wehrte).“
109
Ebd.: 1993, S. 133 ff.
- 32 -
Das Opfer wird erpresst:
„Er sagte, mir würde eh keiner glauben, da er der jüngere ist, wenn ich was sagen
würde, würde er sagen ich habe ihn zu was gezwungen, was er nicht wollte.“
Kindliche Naivität und Unwissenheit wird ausgenutzt.
„Normalität“ und „Herunterspielen“ des Missbrauchs:
„’Stell dich nicht so an, es war doch nichts’, wurde zu einem oft gehörten Satz.
Mein Bruder sagte einfach das ich meine Schnauze halten solle und wie ein Mann da
durch müsse.“110
Diese Beispiele verdeutlichen die Perfidie und Subtilität der Täterstrategien. Ein Kind,
welches von einer Person, der es dazu noch vertraut, über lange Zeit solche Aussagen zu
hören bekommt, kann sich aus eigener Kraft kaum gegen den Missbrauch wehren. Daher
besteht fast immer die einzige Möglichkeit für ein Opfer darin, sich Dritten zu offenbaren
und Hilfe zu holen. Doch auch hier wenden die Täter erschreckend perfide Methoden an,
um das kindliche Schweigen sicherzustellen.
2.2.5.3 Das Schweigen der Opfer
Nachdem die Beziehung zum Opfer soweit sexualisiert und der erste deutliche Übergriff
erfolgt ist, erklären die Täter den Missbrauch fast immer zum „gemeinsamen
Geheimnis.“111 Ziel dessen ist es, das Kind nicht nur zum Schweigen zu bringen, sondern
ihm auch eine Mitschuld und eine aktive Beteiligung zu suggerieren. Häufig schweigen die
Opfer aus unterschiedlichen Gründen ohnehin, wie Bange ausführt:
„Kleinen Kindern fehlt oft einfach das Vokabular, um zu benennen, was mit ihnen
gemacht wird. [...] Ältere Kinder erzählen häufig nichts, weil sie Angst haben, daß
ihnen entweder nicht geglaubt wird oder daß ihnen die Schuld gegeben wird. [...]
110
111
Mitteilungen von Opfern sexuellen Missbrauchs, Verein Gegen-Missbrauch. e.V.
Vgl.: Enders, U.: 2001, S. 84
- 33 -
Schamgefühle, Schuldgefühle und die emotionale Abhängigkeit der Kinder tun ihr
übriges.“112
Dennoch wenden Täter auch hier diverse Formen von Druck an, um ihre Opfer zum
Schweigen zu bringen. So bestehen beispielsweise Strategien der Täter darin, an das Mitgefühl des Kindes zu appellieren oder „ sie drohen mit körperlicher Gewalt gegen das Kind
oder andere Personen, mit Heimeinweisung, Zusammenbruch der Familie, mit Gefängnis,
mit Schande und Lächerlichkeit für sie bzw. ihn [das Opfer, H.B.]. Sie drehen den Spieß
einfach um und deklarieren das Opfer zum Schuldigen“.113
Letzteres ist sehr typisch für die Täter. Dem Kind wird suggeriert, es sei nicht nur mitschuldig am Missbrauch, sondern vor allem an den Konsequenzen nach dessen
Aufdeckung, wie Enders erläutert114 So behaupten sie zum Beispiel, ein Auseinanderbrechen der Familie sei die Schuld des Opfers.
Diese Strategien der Täter verdeutlichen, wie viel kriminelle Energie hinter dem sexuellen
Missbrauch steckt und wie gezielt Täter vorgehen, um ihre Opfer in eine Beziehung zu
verwickeln, aus der sie ohne weiteres kaum wieder hinauskommen. So werden sie dazu
gebracht, die sexuellen Handlungen über sich ergehen zu lassen und zu schweigen.
In Einzelfällen sind die Strategien natürlich unterschiedlich, so zum Beispiel die Drohung,
bei einem „Verrat“ das vom Kind geliebte Haustier einschläfern zu lassen.115 Generell ist
noch einmal festzuhalten, dass die Täter ihre Opfer sehr genau kennen und ihre Schwächen
gezielt ausnutzen. Wirksame Prävention muss also auch dahin gehen, einem Kind die
Aufdeckung des Missbrauchs möglichst zu erleichtern.
2.3. Die Opfer
Nachdem in Grundzügen die Täter, vor allem aber deren Strategien beleuchtet worden sind,
sollen nun die Opfer in den Blickpunkt genommen werden. Auch dabei sind diverse
Mythen und Vorurteile zu klären, weswegen schwerpunktmäßig auf das Geschlecht der
Opfer, das Alter und nicht zuletzt auf Überlebensstrategien und Signale hingewiesen wird.
Grade letzteren kommt eine hohe Bedeutung für die schulische Prävention zu, da sie als
Indikatoren eines eventuellen Missbrauchs angesehen werden können. Darüber hinaus gilt
selbstverständlich, dass die Prävention und die schulische Aufklärung um so eher gelingen
112
Bange, D.: 1992, S. 109
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 135
114
Enders, U.: 2001, S. 91
115
Bange, D.: 1992, S. 109
113
- 34 -
kann, je mehr Informationen über diejenigen vorliegen, die sexuellen Missbrauch erleben
mussten. So kann möglicherweise werden, weitere Opfer zu verhindern.
2.3.1. Geschlecht
Wie bereits angesprochen, ist der überwiegende Teil der Opfer sexuellen Missbrauchs
weiblichen Geschlechts. Brockhaus und Kolshorn stellten 1993 anhand unterschiedlicher
Studien fest, dass der Anteil der missbrauchten Mädchen „etwa zwei- bis dreimal“ 116 so
hoch ist wie jener der Jungen. Auch die angeführten Zufallsstichproben aus der Allgemeinbevölkerung haben einen Durchschnitt von etwa 70 % missbrauchter Mädchen und 30 %
missbrauchter Jungen zum Ergebnis. Diese Daten werden durch Untersuchungen von
Bange und Deegener gestützt. Dennoch findet sich eine Diskrepanz zwischen Stichproben
aus der Allgemeinbevölkerung und klinischen Stichproben. Bei letzteren sind die Jungen zu
etwa 10 % unterrepräsentiert. 117 Die Schwankungen in der Prozentangabe bei Jungen als
Opfer sind vornehmlich darauf zurückzuführen, dass Jungen seltener professionelle Hilfe in
Anspruch nehmen, da die traditionelle Männerrolle vorschreibt, Jungen hätten ihre
Probleme selbst zu lösen. Auch das von den Opfern befürchtete Stigma der Homosexualität
(bei einem Missbrauch durch männliche Täter) lässt sie verstummen.118 Bei einer
verstärkten Beschäftigung der Öffentlichkeit mit dem sexuellen Missbrauch an Jungen
mögen diese Barrieren überwunden werden und der Anteil der männlichen Opfer könnte in
Untersuchungen weiter steigen.
Insgesamt besteht jedoch Konsens darüber, dass Mädchen in einem höheren Maße als
Jungen von sexuellem Missbrauch betroffen sind.
2.3.2. Alter der Opfer
Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass Kinder jeden Alters das Opfer
sexuellen Missbrauchs werden können, das heißt, es gibt keine Altersgrenze, die ein Kind
davor schützen könnte.119 Tatsächlich ist es so, dass es nicht etwa Mädchen im ,Lolita’Alter, sprich die am Anfang der Pubertät Stehenden sind, welche die häufigste Altersgruppe unter den Opfern stellen.120 Vielmehr ist ein Grossteil der Opfer (60 %) deutlich vor
der Pubertät. Brockhaus und Kolshorn stellen anhand von Untersuchungen dar, dass das
116
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 60
Loc. cit.
118
Vgl.: Born, M.: 1994, S. 38 f.
119
Kavemann, B.: In Walter, J.: 1989, S. 14
117
- 35 -
Durchschnittsalter der missbrauchten Mädchen und Jungen zwischen zehn und elf Jahren
liegt.121 Auch Wetzels kommt zu dem Ergebnis, das Durchschnittsalter liege bei 10-12
Jahren.122 Bange differenziert diese Angaben zusätzlich nach dem Bekanntschaftsgrad der
Opfer mit den Tätern und kommt zu dem Fazit, dass intrafamiliärer Missbrauch „im Durchschnitt signifikant früher als der durch bekannte und unbekannte [Täter H.B.] “123 beginnt,
allerdings macht er keinerlei nähere exakte Angaben.
Brockhaus und Kolshorn stellen zudem die Vermutung an, dass „sexuelle Ausbeutung von
Kleinkindern aufgrund fehlender Erinnerung der Betroffenen in Befragungen der
Allgemeinbevölkerung insgesamt eher unterrepräsentiert ist“.124 Dem schließt sich Bange
an, indem er dem bereits Ausgeführten hinzufügt, der für viele Opfer überlebensnotwendige Abwehrmachanimus der Verdrängung könne einen ähnlichen Effekt hervorrufen. 125 Deutlich wird, dass Kinder und Jugendliche jeden Alters Opfer sexuellen Missbrauchs werden können. „Das bedeutet, daß Personen, die Kontakte zu Kindern haben, bei
jedem Alter wachsam für derartige Übergriffe sein müssen. Entsprechend sollte auch eine
präventive Arbeit mit Kindern möglichst früh einsetzen“126.
2.3.3. Überlebens- und Abwehrstrategien
Die Überlebens- und Abwehrstrategien, mit denen Kinder und Jugendliche versuchen, den
Missbrauch zu beenden oder für sich in irgend einer Form ,überlebbar’ zu machen, sind für
die Prävention und die Intervention sexuellen Missbrauchs von enormer Bedeutung,
signalisieren sie doch zugleich der Außenwelt, dass das Opfer schwerwiegende Probleme
hat. Diese oft verschlüsselten Signale zu erkennen, ist für Erzieher, Eltern und alle anderen,
die mit Kindern umgehen, nicht immer leicht.127 Bei der Betrachtung der Strategien von
Tätern ist deutlich geworden, wie versteckt und perfide, aber auch wie offen und brutal die
Missbraucher vorgehen. Aufgrund des Schweigegebots kann sich ein Kind kaum offen über
den Missbrauch äußern, so dass die Wahrnehmung des Umfelds in Bezug auf die
versteckten Signale unbedingt geschult werden muss, um diese zu erkennen. Brockhaus
120
Vgl.: Deegener, G.: 1998, S. 39
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn. M.: 1993, S. 63
122
Wetzels, P.: 1997, S. 122
123
Bange, D.: In Handbuch, S. 680
124
Brockhaus, U./ Kolshorn. M.: 1993, S. 64
125
Vgl.: Bange, D.: 1992, S. 111
126
Brockhaus, U./ Kolshorn. M.: 1993, S. 64
127
Vgl.: Besten. B.: 1995, S. 40
121
- 36 -
und Kolshorn beschreiben, dass diese Signale zwar teilweise als Verhaltensauffälligkeiten
bemerkt, aber nur selten als Hilferuf verstanden werden.128
Enders leitet in diese Problematik mit folgender Feststellung ein:
„Es gibt kein Mädchen und keinen Jungen, der/ die sich nicht gegen sexuellen
Missbrauch wehrt. Doch die wenigsten können sich später noch an ihre eigenen
Widerstandsformen erinnern, denn ihre kindliche Gegenwehr war zwecklos: Der
Täter (die Täterin) setzte sich über sie hinweg.“129
Die Formen des kindlichen Widerstandes sind sehr vielfältig. So versuchen die Opfer,
möglichst Situationen zu vermeiden, in denen sie sich dem Täter allein gegenübersehen,
indem sie zum Beispiel nicht mehr zu einem bestimmten Zahnarzt gehen, sich von ihren
Lieblingssportarten zurückziehen oder sich in irgendeiner Form außerhäuslich engagieren,
um so ihre Abwesenheit von daheim zu legitimieren. Dennoch ist besonders bei dem
intrafamiliären Missbrauch festzuhalten, dass die Opfer dem Täter nicht dauerhaft entgehen
können. Auch hier entwickeln die Betroffenen ihrerseits Strategien, um den Missbrauch,
wenn möglich, zu vermeiden. Zum einen versuchen sie, den Missbrauch als solchen zu
verhindern, indem sie beispielsweise bekleidet schlafen; Geschwister werden mit ins Bett
genommen, Spielsachen und Möbel werden vor die Zimmertüre gestellt, um den Täter am
Eindringen zu hindern oder ihn wenigstens Lärm verursachen lassen, in der Hoffnung, so
werde jemand aus der Familie auf das Geschehen aufmerksam. 130
Zum anderen kommt es, je nach Alter des Kindes, vor, dass es sich sogar mit körperlichen
Mitteln gegen den Täter zur Wehr setzt.131 Können die Opfer den Missbrauch nicht verhindern, müssen sie eine Möglichkeit finden, die Situation als solche psychisch irgendwie zu
überleben. So geschieht es häufig, dass sie ihre Gefühle „abspalten“, um nicht unmittelbar
anwesend zu sein (Dissoziation).132 „Sie sind bemüht, das Geschehen auszublenden, sie
versuchen, sich aus der Realität wegzudenken und die Gefühle nicht wahrzunehmen.“133
Opfer, denen vermittelt wird, sie seien besonders attraktiv, versuchen häufig, diesen
vermeintlichen Grund für den Missbrauch zu beseitigen. „Sie nehmen z.B. eine krumme
Haltung an und bemühen sich, ihre Brüste zu verstecken [...], oder sie verweigern die
128
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 138
Enders, U.: 2001, S. 159
130
Vgl.: Besten, B.: 1995, S. 40
131
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 138
132
Vgl.: Braeker, S./ Wirtz-Weinrich, W.: 1994, S. 32
133
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 140
129
- 37 -
Nahrung und werden sogar magersüchtig. Manche versuchen auch im Gegenteil sich dick
und rund zu essen (Eßsucht)“134.
Solche und ähnliche Verhaltensauffälligkeiten stellen ein deutliches Signal an die Außenwelt dar, das jedoch nur sehr selten verstanden wird. Kinder erfahren sogar in nicht
unerheblichem Maße negative Reaktionen ihres Umfelds auf solche Hilferufe, beispielsweise werden sie aufgefordert, nicht so viel in sich hineinzustopfen.135 Selbst wenn Kinder
von dem Missbrauch erzählen, wird dies von Außenstehenden nicht geglaubt, da der Missbrauch kaum beweisbar ist und Täter oft als sympathische und vertrauenswürdige
Menschen erscheinen, denen eine solche Tat nicht zugetraut wird. Kinder senden auch oft
Hilferufe ab, beispielsweise in Form von Weglaufen, miserablen schulischen Leistungen,
sexualisiertem oder selbstverletzendem Verhalten oder Ähnlichem. Teilweise werden
solche Hilferufe auch als Folgen des Missbrauchs gesehen, die im nachfolgenden Kapitel
behandelt werden.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Opfer sich immer wehren, sie dies aber
sehr viel Kraft kostet. Die Abwehrstrategien sind so unterschiedlich wie die Kinder und die
Situation selbst. Da die Überlebens- und Abwehrstrategien häufig auch das „normale“
Leben tangieren (beispielsweise Esssucht), sind sie zugleich Hilferufe an die Umwelt. Eine
Aufgabe der Prävention ist nun, die Wahrnehmung des Umfeldes auf solche Signale hin zu
schärfen und Kinder in dem, was sie von sich geben, ernst zu nehmen.
2.4. Die Folgen des Missbrauchs
Die Folgen sexuellen Missbrauchs, die sich aus dem bisher Dargestellten ergeben, sind
Gegenstand unterschiedlicher Untersuchungen. Dabei zeigen sich diverse methodische
Probleme und Unzulänglichkeiten, so dass zunächst kurz auf diese eingegangen werden
soll. Die Herangehensweisen an die Missbrauchsfolgen und ihre Darstellung sind ebenso
zahlreich. Meist werden Kurz- und Langzeitfolgen dargestellt, wobei die Zuordnung nicht
immer einfach ist und sich Symptome finden, die in beiden Bereichen anzutreffen sind. So
wird in dieser Arbeit nicht nach Kurz- und Langzeitfolgen differenziert, sondern die Folgen
sollen in unterschiedlichen Bereichen aufgeführt werden, beispielsweise psychosomatische
Folgen, Folgen für das Sozialverhalten oder ähnliches. Darüber hinaus sollen die
Traumatisierungsfaktoren, die Bange in seiner Studie überprüft hat, erläutert werden. Auf
eine Differenzierung nach geschlechtstypischen Unterschieden in Bezug auf die Folgen
134
135
Ebd., 1993, S. 141
Vgl.: Enders, U.: 2001, S. 159
- 38 -
kann nicht eingegangen werden, da hierfür der Raum fehlt, ebenso wie nicht alle denkbar
auftretenden Folgen hier ausführlich dargestellt werden können.
2.4.1. Methodische Probleme bei der Folgenforschung
Die Ergebnisse der Studien über die Folgen sexuellen Missbrauchs sind, je nach zugrundeliegender Definition, sehr vielfältig und müssen an dieser Stelle kritisch betrachtet werden.
So unterscheiden sich Untersuchungen je nach ,enger’ oder ,weiter ’Definition und kommen
aufgrund dessen zu unterschiedlichen Ergebnissen, oder die Stichprobe ist so eingeschränkt,
dass Ergebnisse eindeutig als nicht repräsentativ gelten können136, oder es ist keine
Vergleichsgruppe zu den Gruppen der Untersuchten vorhanden.137 Insgesamt, so stellen
Brockhaus und Kolshorn fest „ist es schwierig, Eigenschaften, Erfahrungen oder auch
Störungen einer Person eindeutig auf bestimmte Ursachen zurückzuführen“138. Tatsächlich
werden in den hauptsächlich retrospektiven Studien von den Betroffenen häufig keine
Verbindungen zwischen dem Missbrauchsgeschehen und den Auswirkungen hergestellt,
oder die Ergebnisse sind etwa durch Verdrängung oder Verleugnung verzerrt. So findet sich
in allen Studien ein gewisser Prozentsatz der Befragten, die keine Symptome aufweisen.
Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass die Verdrängung sehr tief sitzt oder sich die
Folgen erst geraume Zeit später zeigen.139
2.4.2. Traumatisierungsfaktoren
Bange überprüft in seinen Untersuchungen aus dem Jahre 1992 unterschiedliche
Hypothesen über Traumatisierungsfaktoren anhand eigener und in anderen Studien
ermittelter Ergebnisse, wobei er zwischen primären und sekundären Traumatisierungsfaktoren unterschiedet. Erstere beziehen sich auf den Missbrauch als solchen, unter de
letzteren werden die Reaktionen des Umfeldes, also der Eltern, Verwandten, Freunde etc.
verstanden, die ebenfalls traumatisch wirken können.
Er stellt dar, dass die Beziehung der Täter zu den Opfern auch in diesem Zusammenhang
eine wichtige Rolle spielt: Nicht der Grad der Verwandtschaft ist hier ausschlaggebend,
sondern die Enge der Beziehung und der Vertrautheit. „Je mehr ein Kind einem
Erwachsenen vertraut und auf dessen emotionale Unterstützung angewiesen ist, desto
136
Vgl.: Julius, H./ Boehme, U.: 1997, S. 126 f.
Vgl.: Bange, D./ Deegener, G.: 1996, S. 62
138
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 146
139
Vgl.: Bange, D./ Deegener, G.: 1996, S. 76
137
- 39 -
größer ist der Vertrauensverlust, der Verrat, die Enttäuschung, die gefühlsmäßige
Zerrissenheit und die Verwirrung des Kindes über den sexuellen Missbrauch.“140
Weiterhin stellt er einen hohen Grad der Korrelation zwischen Anwendung von Zwang und
Gewalt und Grad der Traumatisierung fest. Dies soll jedoch keinesfalls zum Schluss
verleiten, sexueller Missbrauch ohne Anwendung von Zwang und Gewalt könne nicht
ebenso traumatisierend sein.
Die Frage nach der Intensität des Missbrauchs ist nicht eindeutig zu beantworten. Grundsätzlich wird eher davon ausgegangen, dass Frauen, die eine vaginale Vergewaltigung
ertragen mussten, in höherer Prozentzahl traumatisiert wurden als diejenigen, die zu
Küssen gezwungen oder an den Brüsten angefasst worden waren.
Es steht jedoch steht, dass ,perverse’ Formen der sexuellen Gewalt sich äußerst traumatisch
auswirken.
Zu den sekundären Traumatisierungsfaktoren ist zunächst zu sagen, dass eine oft
behauptete These lautet, der Missbrauch sei weniger traumatisierend, wenn sich das Opfer
jemandem anvertraue, also über den Missbrauch spräche. Studien zufolge kann diese
Einschätzung nicht bestätigt werden. Dafür mag es allerdings zahlreiche Gründe geben,
beispielsweise, dass das Sprechen über den Missbrauch an sich bereits eine große
Spannung erzeugt. So vermutet Bange, dass „ die Kinder, die über sexuellen Missbrauch
reden, negative Reaktionen erfahren. Ihnen wird nicht zugehört, ihnen wird nicht geglaubt,
sie werden beschuldigt, selbst schuld zu sein, mitgemacht zu haben, oder sie werden sogar
bestraft“141.
Ähnlich verhält es sich mit der Elternreaktion, die einen bedeutenden Einfluss auf das
Ausmaß der Traumatisierung hat. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Traumatisierung
bei einer Unterstützung durch die Eltern signifikant geringer ausfällt, wohingegen eine
Traumatisierung um so stärker ist, wenn das Kind negative Reaktionen auf die Aufdeckung
des Missbrauchs erfährt. Bange kommt zu folgendem Schluss: „Dieses Ergebnis rechtfertigt die Forderung nach vermehrter Elternarbeit, und zwar nicht nur mit Eltern, deren
Kinder bereits Opfer sind, sondern mit allen Eltern, um so vorbeugend zu wirken“ 142.Auf
die Forderung Banges wird bei der schulischen Präventionsarbeit einzugehen sein.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass diese Faktoren nicht losgelöst voneinander zu
betrachten sind, sondern im Zusammenspiel eine extreme Traumatisierung erwirken
können, wie die eigentlichen Folgen zeigen. Abermals muss hier die Bedeutung der
140
Bange, D.: 1992, S. 139
Ebd., 1992, S. 142
142
Ebd., 1992, S. 143
141
- 40 -
Reaktion seitens der Eltern betont werden, die den Untersuchungen zufolge den Grad der
Traumatisierung signifikant verringern kann.
2.4.3. Folgen des Missbrauchs
Die angesprochenen Verhaltens- und Überlebensstrategien, die sich die Opfer im Laufe des
Missbrauchs aneignen, werden oft so tief verinnerlicht, dass sie zu einem Teil des
Verhaltensrepertoires werden, obwohl sie als Schutz und Überlebenshilfe nicht länger
vonnöten sind.143
Viele Folgen stehen in engem Zusammenhang mit den Gefühlen, die das Opfer während
des Missbrauchs hatte. An dieser Stelle sollen nun diese Gefühle erläutert und mögliche
Folgen dargestellt werden, die sich nicht nur auf einen spezifischen Bereich beziehen.
Zunächst ist der Vertrauensverlust zu nennen, den die Kinder erleben. Dieser ist um so einschneidender, je enger und vertrauter der Kontakt zwischen dem Kind und dem Missbraucher ist. Beginnt der Missbrauch bereits in sehr frühem Alter, so hat das Kind nicht die
Möglichkeit, Urvertrauen zu entwickeln. Nicht nur ist es dann für die Opfer in ihrem
späteren Leben sehr schwer, vertrauensvolle Bindungen einzugehen, sondern sie haben
auch sehr geringes Vertrauen in sich selbst.144 Durch die Unwissenheit der Missbrauchten
und durch die Strategien der Täter erleben viele Kinder Scham- und Schuldgefühle. Sie
schämen sich für den Missbrauch und suchen die Schuld bei sich selbst. Dies kann dazu
führen, dass der Missbrauch lange verschwiegen oder verheimlicht wird und die Opfer
auch in späteren schwierigen Lebenssituationen und Konflikten die Schuld ausschließlich
bei sich suchen.145 Ebenso kann der Missbrauch zu generellen Unsicherheiten, Ohnmachtsund Hilflosigkeitsgefühlen führen, da Kinder konstant die Nichtbeachtung ihres Willens
erleben mussten. Sie sind auch in der Folge selten in der Lage, sich und ihre Wünsche
durchzusetzen. Weiterhin wird aufgrund der perfiden Strategien der Täter oft an der
Richtigkeit der eigenen Wahrnehmung gezweifelt.
Im Folgenden sollen nun mögliche Konsequenzen des Missbrauchs erörtert werden, die
auftreten können, aber nicht zwangsläufig müssen. Dabei kann im Rahmen der Arbeit
lediglich stichpunktartig auf die einzelnen Kategorien eingegangen werden. Als Quellen
sind unterschiedliche Autoren anzuführen.146
143
Ebd., 1992, S. 147
Vgl.: Bange, D.: In: Marquardt-Mau (Hrsg.), S. 39
145
Vgl.: Völkel, K.: In: Walter, J. (Hrsg.): 1989, S. 109 f.
146
Vgl.: Bange, D.: 1992, S. 147, ff.; Moggi, F.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 116 ff.; Enders, U.:
2001, S. 166 ff.; Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 151 ff.; Völkel, K.: In: Walter, J. (Hrsg.): 1989,
S. 102 ff.; Suer, P.: 1998, S. 47 ff.; Braeker, S./ Wirtz-Weinrich, W.: 1994, S. 42 f.
144
- 41 -
Psychosomatische Folgen:
Hierzu zählen unter anderem: Schlaf- und Essstörungen, körperliche Symptome ohne
organischen Befund wie bspw. Übelkeit, Bauchschmerzen, Brust- und Gliederschmerzen
oder Schmerzen im Genitalbereich, Hautausschläge, Alpträume etc.
Selbstschädigendes Verhalten:
Unter anderem sich selbst mit Zigaretten verbrennen, Suizidgedanken oder suizidale
Handlungen, sich selbst schneiden, sog. cutten etc.
Folgen für die Sexualität:
Sexuelle
Funktionsstörungen,
unbefriedigende
Sexualität,
Promiskuität,
sexuelle
Orientierungsstörungen, unangemessenes Sozialverhalten, sexuelle Aggressivität etc.
Emotionale und kognitive Störungen sowie Bewusstseinsstörungen:
Depressionen, Ängstlichkeit, Angst- und Zwangsstörungen, Schuld- und Schamgefühle,
Einsamkeitsgefühle, negative Selbstwahrnehmung, Unsicherheit, niedriges Selbstwertgefühl, Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühle, posttraumatische Belastungsstörungen
(bspw. Wiedererleben des Missbrauchs in Erinnerungen, sog. Flashbacks), dissoziative
Störungen wie Erinnerungslücken bis hin zur dissoziativen Identitätsstörung, BorderlinePersönlichkeitsstörung etc.
Folgen für das soziale Verhalten:
Furcht oder Feindseligkeit gegenüber Männern, Misstrauen, Tendenz, wieder Opfer zu
werden, Rückzug, Unfähigkeit, Distanz zu wahren, Verhaltensauffälligkeiten, Kontaktprobleme, Leistungsverweigerung oder Ähnliches.
Deutlich wird, wie schwerwiegend die Folgen sein können. Dabei ist festzuhalten, dass
durchaus nicht alle Opfer sexuellen Missbrauchs gravierende Folgen davontragen, je nach
Möglichkeiten der Bewältigung, Schwere der Traumatisierung oder Unterstützung aus dem
Elternhaus. Insgesamt unterstreichen die aufgeführten Folgen nochmals den präventiven
Handlungsbedarf, der erforderlich ist, um potentielle Opfer zu schützen.
- 42 -
2.5. Ursachen sexuellen Missbrauchs
Die Erklärungsansätze zu den Uraschen sexuellen Missbrauchs sind zahlreich und höchst
unterschiedlich, beispielsweise der familiendynamische Ansatz oder der gesellschaftlichfeministische Ansatz. Diese Modelle betonen oft nur einen Aspekt der Ursache, sei es die
dysfunktionale Familienstruktur147, die Triebhaftigkeit des Täters148, die männliche und
weibliche Sozialisation oder die patriarchalische Gesellschaftsstruktur. Alle diese Modelle
verdeutlichen jedoch, dass ,die’ Ursache für sexuellen Missbrauch nicht existiert und sich
die diversen Modelle vielmehr konkurrierend gegenüberstehen.
Im Folgenden sollen zwei Modelle vorgestellt werden, die anhand mehrerer Faktoren den
Missbrauch zu erklären suchen. Zunächst ist das sog. Modell der vier Voraussetzungen von
Finkelhor zu nennen, welches anschließend durch das Drei-Perspektiven-Modell von
Brockhaus und Kolshorn erweitert und ergänzt wird. Als Quelle dient hier hauptsächlich
das „Handwörterbuch Sexueller Missbrauch“, in dem beide Autorinnen die Modelle
vorstellen.
2.5.1. Das Modell der vier Voraussetzungen
David Finkelhor kam 1984 bei der Betrachtung der bis dahin herrschenden Ursachenmodelle zu dem Schluss, dass keines von ihnen geeignet sei, den sexuellen Missbrauch
zufriedenstellend zu erklären, da seiner Meinung nach soziale und kulturelle Faktoren nicht
genügend Berücksichtigung fänden. Zudem galt und gilt es noch immer, „ein sehr breites
Spektrum von Missbrauchsverhalten zu erklären: unterschiedliche Tätergruppen mit
verschiedenen Opfergruppen, und einer Vielgestaltigkeit von Tatmustern“149. Nach der
Erläuterung des Modells steht eine Tabelle, in der neben den Voraussetzungen an sich zwei
Ebenen der Erklärung angegeben werden, namentlich die individuelle und die soziokulturelle.
In seinem Modell stellt Finkelhor vier notwendige Voraussetzungen dar, die erfüllt sein
müssen, damit es zu einem sexuellen Missbrauch kommt:
147
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: 1993, S. 211
Vgl.: loc. cit.
149
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 362
148
- 43 -
Erste Voraussetzung: Motivation zu sexuellem Missbrauch
Die Motivation, ein Kind sexuell zu missbrauchen, muss zunächst gegeben sein. Finkelhor
unterscheidet dabei drei Motivationskomponenten:
1. Emotionale Kongruenz: eine sexuelle Beziehung zu einem Kind befriedigt ein
wichtiges emotionales Bedürfnis.
2. Sexuelle Erregung: ein Kind ist eine mögliche Quelle sexueller Erregung und
Befriedigung für die Person.
3. Blockierung: alternative Möglichkeiten zu sexueller Befriedigung sind nicht
verfügbar oder weniger befriedigend.
Damit es zu einem Missbrauch kommt, muss wenigstens eine dieser Motivationskomponenten zwingend erfüllt sein. So ist die sexuelle Erregung nicht zwingend, sondern
der Missbrauch kann auch aus dem Bedürfnis heraus entstehen, Macht oder Erniedrigung
auszuüben.
Zweite Voraussetzung: Überwindung innerer Hemmungen
Finkelhor geht davon aus, dass die meisten Menschen innere Hemmungen vor sexuellem
Kontakt mit einem Kind haben. Diese Hemmungen müssen vom Täter überwunden
werden, beispielsweise durch Alkohol, Impulsstörungen oder ähnliches.. Dabei ist festzuhalten, dass Enthemmung an sich keine Motivationsquelle ist.
Dritte Voraussetzung: Überwindung äußerer Hemmfaktoren
Während sich die ersten beiden Faktoren auf den Täter beziehen, betrifft diese Voraussetzung Aspekte außerhalb der Person des Täters. Dabei stehen für Finkelhor neben den
Möglichkeiten des Täters, mit einem Kind allein zu sein, vor allem die sozialen Bezüge des
Kindes im Vordergrund. Insgesamt wird dargestellt, dass Kinder, die kaum gute und stabile
Beziehungen zu anderen Menschen haben, vermehrt dem Risiko eines Missbrauchs unterliegen.
Vierte Voraussetzung: Überwindung des kindlichen Widerstandes
- 44 -
„In der Dynamik sexuellen Missbrauchs kommt auch dem Verhalten des Kindes selbst eine
bedeutsame Rolle zu.“150 Wie dargestellt, wehren sich alle Kinder gegen den sexuellen
Missbrauch auf unterschiedliche Weise. So kann der Täter mit eher passiven Widerstandsformen oder mit einem klaren „Nein“ bis hin zu körperlicher Gegenwehr konfrontiert sein.
Daneben gibt es jedoch Aspekte, die eine Gegenwehr des Kindes schwächen, beispielsweise emotionale Bedürftigkeit, mangelnde Aufklärung über Sexualität oder sexuellen
Missbrauch oder eine besonders vertrauensvolle und enge Beziehung zum Täter. Selbstverständlich gibt es auch häufig Situationen, in denen das Kind der Übermacht und der
Gewalt des Täters nichts entgegenzusetzen hat.151
150
151
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 364
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 362 f.
- 45 -
Ebene der Erklärung
Individuell
Soziokulturell
Voraussetzung 1:
Faktoren, die mit einer
Missbrauchsmotivation in
Zusammenhang stehen
Emotionale Kongruenz
Sexuelle Erregung
Blockierung
Voraussetzung 2:
Faktoren, die dazu
beitragen, interanale
Hemmungen zu
überwinden
• Stehensgebliebene
emotionale Entwicklung
• Bedürfnis, sich stark und
kontrollierend zu fühlen
• Reinszenierung eines
Kindheitstraumas, um die
Verletzung ungeschehen zu
machen
• Narzisstische Identifikation
mit dem Selbst als kleinem
Kind
• Traumatische oder stark
konditionierende sexuelle
Erfahrung in der Kindheit
• Jemand anderes lebt sexuelles
Interesse an Kindern vor
• Fehlattribution von
Erregungsreizen
• Biologische Abnormalität
• Ödipaler Konflikt
• Kastrationsangst
• Angst vor erwachsenen
Frauen
• Traumatische sexuelle
Erfahrung mit einer
erwachsenen Person
• Unzureichende soziale
Fähigkeiten
• Eheprobleme
• Anforderung an Männer, in
sexuellen Beziehungen
dominant und mächtig zu sein
• Kinderpornographie
• Erotische Darstellung von
Kindern in der Werbung
• Männliche Tendenz,
emotionale Bedürfnisse zu
sexualisieren
• Repressive Normen über
Masturbation und
außerehelichen Sex
• Alkohol
• Soziale Tolerierung von
• Psychose
sexuellem Interesse an Kindern
• Impulsstörung
• Schwache strafrechtliche
• Senilität
Sanktionierung der Täter
• Versagen von Inzest-Hemm• Ideologie patriarchaler
Mechanismen in der
Vorrechte von Vätern
Familiendynamik
• Soziale Toleranz gegenüber
Verbrechen, die im Rausch
begangen werden
• Kinderpornographie
- 46 -
• Männliche Unfähigkeit, sich
mit kindlichen Bedürfnissen zu
identifizieren
Voraussetzung 3:
Faktoren, die dazu
beitragen, externale
Hemmungen zu
überwinden
• Abwesende oder kranke
• Fehlende soziale
Mutter
Unterstützung für Mütter
• Mutter, die dem Kind nicht
• Faktoren, die der
nahe steht oder nicht
Gleichstellung von Frauen
beschützend ist
entgegenwirken
• Mutter, die vom Vater
• Zerfall sozialer Netzwerke
dominiert oder misshandelt
• Ideologie der heilen Familie
wird
• Soziale Isolation der Familie
• Ungewöhnliche
Möglichkeiten, mit dem Kind
allein zu sein
• fehlende Beaufsichtigung des
Kindes
• Ungewöhnliche Schlaf- oder
Wohnbedingungen
Voraussetzung 4:
• Kind ist emotional unsicher
Faktoren, die dazu
oder depriviert
beitragen, den Widerstand
• Dem Kind fehlt Wissen über
eines Kindes zu
sexuellen Missbrauch
überwinden
• Ungewöhnliche
Vertrauenssituation zwischen
Kind und Täter
• Zwang
• Mangelnde Sexualerziehung
für Kinder
• Soziale Machtlosigkeit von
Kindern
Quelle:
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: Modell der vier Voraussetzungen - David Finkelhors
Ursachenmodell. In: Bange, D. / Körner, W. (Hrsg.): 2002, S. 365 f.
Bezeichnend ist hier, dass Finkelhor die bestehenden Modelle nicht etwa abwertet, sondern
integriert. Einen Kritikpunkt an seinem Modell sehen Brockhaus und Kolshorn in der
Begrenzung des Erklärungswertes auf die Fokussierung der Person des Täters und seiner
psychischen Prozesse. „Das Opfer und Personen aus seinem Umfeld werden zwar
betrachtet, jedoch nur sehr begrenzt und ohne in entsprechender Weise auf ihre psychischen
- 47 -
Prozesse einzugehen.“152 Dementsprechend erweitern sie dieses Modell im Sinne ihrer
Kritik.
2.5.2. Das „Drei Perspektiven Modell: ein feministisches Ursachenmodell“
Dieses von Brockhaus und Kolshorn angelegte Modell stellt eine Weiterentwicklung des
Modells der vier Voraussetzungen dar und bezieht als solches die gesellschaftlichen
Ungleichheiten und Bedingungen mit ein. Es werden die Perspektiven sowohl des Täters,
des Opfers als auch des sozialen Umfeldes an vier Themen erläutert, wobei die Täterperspektive bereits in vorangegangenem Modell dargestellt wurde.
Handlungsmotivation:
Die Handlungsmotivation aus dem Blickwinkel des Täters ist in diesem Modell
feministischer geprägt und soll daher kurze Erwähnung finden. Brockhaus und Kolshorn
unterstellen dem Verhalten meist nicht-sexuelle Motive wie es etwa der Wunsch ist, die
eigene Männlichkeit zu bestätigen und Macht auszuüben. Sie sehen die Sexualisierung
solcher Motive zentral in der „... Kopplung von Männlichkeit mit Dominanz und Sexualität
in der traditionellen Geschlechterrolle begründet [...]“153.
Für die Handlungsmotivation aus der Opferperspektive ist zu sagen, dass sich missbrauchte
Kinder häufig in einer ambivalenten Situation befinden. Zum einen wird der Missbrauch an
sich als höchst unangenehm erlebt, doch die Beziehung zum Täter beinhaltet oft auch
positive Aspekte, was eine Abwehrhandlung erschwert oder gar blockiert.
Was Personen aus dem sozialen Umfeld anbelangt, so stellt sich die Frage nach der
Motivation erst dann, wenn sie den Missbrauch als solchen erkennen und ihn negativ
bewerten. Noch immer stehen falsche Vorstellungen und Mythen über sexuellen Missbrauch dem „Erkennen einer Interventionsnotwendigkeit und der Entwicklung einer
entsprechenden Handlungsmotivation entgegen“154.
Verhaltensfördernde und –hemmende Internalisierungen:
„Eine Motivation führt nur denn zu einem entsprechenden Verhalten, wenn die
zentralen Werte eines Individuums, seine Einstellungen und Vorstellungen von der
152
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 365
Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 57
154
Ebd., 2002, S. 58
153
- 48 -
Welt sowie die verinnerlichten und von außen an es herangetragenen Verhaltenserwartungen das Verhalten insgesamt eher begünstigen als ihm entgegenstehen.“155
Dies bedeutet aus Opfersicht, dass es gewisse internalisierte Werte und Verhaltensweisen
gibt, die ein ,Sich wehren’ eher begünstigen oder aber erschweren. Beispielsweise könnte
erschwerend sein, wenn das Kind gelernt hat, Erwachsenen immer Folge zu leisten oder es
den Missbrauch nicht einordnen und nicht erkennen kann, weil es keine Kenntnisse über
solche Geschehen hat.
Aus der Perspektive der Personen des sozialen Umfeldes ist Ähnliches zu sagen. So stehen
hier vor allem die traditionellen Geschlechterrollen und die Mythen über sexuelle Gewalt
einer Parteinahme für das Opfer und gegen den Täter im Weg, zum Beispiel durch Unterstellung einer Mitschuld oder Bagatellisierung. Dabei beeinflusst die Reaktion des Umfeldes auch die Reaktionsmöglichkeiten des Kindes: erlebt es eine negative Reaktion
gegenüber seiner Person bei dem Versuch, den Missbrauch mitzuteilen, sinken die Chancen
eines effektiven Widerstandes.
Handlungsmöglichkeiten:
Ist jemand zu einer bestimmten Handlung motiviert und wird das Verhalten durch die
innere Vorstellungswelt eher gefördert als gehemmt, so erfolgt die Handlung nur, wenn
auch entsprechende Handlungskompetenzen und Ressourcen zur Verfügung stehen. Dazu
zählen sowohl immaterielle Ressourcen, wie beispielsweise Autorität, Wissen und
Erfahrung, aber durchaus auch materielle Ressourcen wie Geld und Statussymbole.
So ermöglicht der Vorsprung an Wissen und Erfahrung dem Täter, einem Kind „weiszumachen, es sei etwas ganz Normales, was sie tun, oder es handle sich um ein
Spiel[...]“156. Dem Opfer hingegen fehlen in den meisten Fällen Ressourcen, wie das
Wissen über das, was mit ihm geschieht, Kenntnisse über Hilfsangebote oder es mangelt
ihm an realer sozialer Unterstützung.
155
156
Loc. cit.
Ebd., 2002, S. 59
- 49 -
Kosten-Nutzen Abwägung:
„Die Verhaltensalternativen, die Tätern, Opfern und dem sozialen Umfeld zur Verfügung
stehen, beinhalten nicht nur positive, sondern auch negative Aspekte.“157 Diese Aspekte
werden gegeneinander abgewogen, wobei versucht wird, das Verhalten so zu organisieren,
dass bei möglichst geringen Kosten ein maximaler Nutzen erzielt wird.
Nutzen der Ausübung sexueller Gewalt:
Bestätigung der Männlichkeit, Machterleben
und –konsolidierung, Kontakt zu einem Kind
etc.
Kosten der Ausübung sexueller Gewalt:
Aufwand (Herstellung der Situation etc.),
Widerstand des Opfers, soziale Ächtung,
Strafe u. Ä.
Nutzen von Gegenwehr:
Ende
des
sexuellen
Missbrauchs
oder
zumindest weniger massive Handlungen,
weniger Angst, Schmerz usw.
Kosten der Gegenwehr:
Verlust positiver Aspekte in der Beziehung
zum Täter, massive Gewaltanwendung durch
den Täter, Schuldzuschreibung vom anderen,
Auseinanderbrechen der Familie o. Ä.
Nutzen von Intervention:
Befriedigung zu
helfen,
Handeln
nach
eigenen Wertmaßstäben, Erleben, Macht und
Einfluss ausüben zu können, etc.
Kosten von Intervention:
Aufwand, gegebenenfalls hohe emotionale
Belastung, Anschuldigungen durch andere,
Zweifel und Unsicherheit, Rache des Täters
u. Ä.158
Dieses Modell verdeutlicht die Wechselwirkungen von Täter, Opfer und sozialem Umfeld.
Damit wird es in seiner Komplexität dem ebenfalls sehr komplexen Phänomen des
sexuellen Kindesmissbrauchs am ehesten gerecht. Zusätzlich wird nochmals die Gefahr der
Mythen über sexuelle Gewalt unterstrichen und aufgezeigt, wie sehr Unwissenheit des
Kindes und des Umfeldes den Widerstand bzw. eine Intervention erschweren können.
157
158
Loc. cit.
Vgl.: Ebd., 2002, S. 60
- 50 -
Prinzipiell kann eine Gesellschaft den Missbrauch verringern, indem sie die Kosten für den
Täter möglichst groß, für Opfer und Umfeld jedoch möglichst klein werden lässt.
Als Kritikpunkt an diesem Modell ist die Fokussierung auf den männlichen Täter und die
Schuldzuweisung an die patriarchalische Gesellschaft und damit ein ausschließlich
feministischer Blickwinkel zu nennen. Allerdings entkräften die Autorinnen dieses, da ihrer
Meinung nach noch nicht genügend empirisches Material zum Thema „Frauen als Täter“
vorliegt und das Modell somit bewusst feministischer Perspektive und feministischen
Erkenntnissen entspricht.159
2.6. Zwischenfazit
Im Hinblick auf die präventiven Aufklärungsmöglichkeiten in der Schule wurde vorausgehend großer Wert darauf gelegt, die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse eingehend
zu betrachten. Nur so kann das Spektrum der Präventivarbeit erfolgreich in allen denkbaren
Fällen angewandt werden. Je profunder die Kenntnisse aller Erscheinungsformen der Täteraktionen und Opferreaktionen im Bewusstsein der PädagogInnen verankert sind, desto
flexibler können sie hilfreich eingreifen.
3.0. Präventionsmöglichkeiten in der Schule
Der zweite Teil dieser Arbeit will/soll ? auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher
Forschungsergebnisse zur Thematik der Prävention sexuellen Missbrauchs gezielt dazu
beitragen, konkrete präventive Aufklärungsarbeit in der Schule, speziell in deren Primarbereich, leisten zu können. Dabei werden die diesem Anliegen entgegenstehenden Faktoren
ebenso konkret angesprochen wie alle diejenigen Initiativen, die beim Versuch, dem Missbrauch möglichst schon präventiv zu begegnen, hilfreich und Erfolg versprechend eingesetzt werden können, von der sinnvollen Einbeziehung des Elternhauses bis hin zu
praktischen Verhaltenshinweisen im Falle einer notwendigen Intervention durch die Schule.
3.1. Begriffsbestimmungen
Um die Möglichkeiten der präventiven Aufklärung in der Schule im Einzelnen zu
betrachten, erscheint zunächst eine inhaltliche Klärung der in der Folge verwendeten
Begriffe „Prävention“ bzw. „Prophylaxe“ sowie „Intervention“ erforderlich, da diese keiner
159
Vgl.: Brockhaus, U./ Kolshorn, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 55
- 51 -
einheitlichen Definition unterliegen, die Grenze zwischen den Termini im fachlichen
Diskurs fließend ist und sich deshalb eine eindeutige Abgrenzung nur schwer vollziehen
lässt.
Von der reinen Etymologie des Wortes „Prävention“ her ist festzuhalten, dass sich der
Begriff aus zwei Worten zusammensetzt, nämlich dem lateinischen ‚prae‘, welches
‚vorher‘ bedeutet und ‚venire‘, das für ‚kommen‘ steht. Somit bedeutet Prävention also
soviel wie „strategische Vorbeugung“ oder „Zuvorkommen“160.
„Prophylaxe“ setzt sich aus den griechischen Vokabeln ‚pro‘ für ‚vor‘ bzw. ‚voraus‘ und
‚phylax‘ für ‚Wächter, Beschützer‘ zusammen und meint „vorbeugende Maßnahme“ im
Sinne von „Verhütung“.161
Beide Begriffe stehen in Bezug auf das Thema für jegliche gesamtgesellschaftlich relevante
( Schul- )Arbeit mit Erwachsenen und Kindern, die den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs aufklärend und vorbeugend zu verhindern sucht.
„Intervention“ hingegen bezeichnet alle eingreifenden Maßnahmen, die bei bestehendem
oder vermutetem sexuellen Missbrauch angewandt werden, beispielsweise die Enttarnung
von Tätern, Opferberatung oder therapeutische Hilfe. Marquardt-Mau verdeutlicht die
fließenden Grenzen zwischen den Phasen der Prävention und der Intervention anhand der
Frage, ob eine Lehrkraft, die das Problem des sexuellen Missbrauchs in ihrer Klasse
thematisiere, „Prävention oder Intervention im Hinblick auf möglicherweise betroffene
Kinder in der Klasse“162 betreibe
Angela May ergänzt hierzu: „Für gleiche Kontexte werden unterschiedliche Termini
verwendet, wiederum werden für unterschiedliche Kontexte und Adressatengruppen
gleiche Begriffe verwendet.“163 Die Autorin versucht diesem Dilemma entgegenzuwirken,
indem sie eine Differenzierung der Begriffe „Prävention“ und „Prophylaxe“ anwendet.
Jedoch hat sich im Laufe der Präventionsarbeit in der Bundesrepublik überwiegend das
nachfolgend vorgestellte Modell der drei Präventionsbereiche eingebürgert, welches seinen
Ursprung in der Sozialpsychiatrie sieht, dort 1964 von Caplan ,entwickelt wurde164 und die
gängigste, zudem zeitbezogene Kategorisierung darstellt.
160
Vgl.: Hermann, U.: 1993, S. 390, zit. nach May, A.: 1997, S. 24
Vgl.: Hermann, U.: 1993, S. 394, zit. nach May, A.: 1997, S. 24
162
Marquardt-Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 438
163
May, A.: 1997, S. 25
164
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439
161
- 52 -
Dem Modell zufolge untergliedert sich die gesamte Präventionsarbeit in folgende Bereiche:
Primärprävention:
Die Primärprävention soll in einer möglichst frühen Lebensphase einsetzen und eine langfristig angelegte Erziehung zu vorbeugendem Handeln darstellen. Mit Hilfe von Aufklärung, Beratung und Anleitung ist es das Ziel der Primärprävention, das Auftreten
sexuellen Missbrauchs von vornherein zu verhindern. Damit wendet sich diese Form der
Prävention also an eine große Adressatengruppe.165
Wehnert-Franke u.a. zufolge wird sie hauptsächlich in Form von Programmen in Kindergärten und Grundschulen durchgeführt, wobei zu beachten ist, dass zu den präventiven
Maßnahmen erster Ordnung sowohl die sog. Elternarbeit als auch die LehrerInnen - Fortund Weiterbildung gezählt werden muss.
Insgesamt soll durch vorbeugende Strategien (Prävention) ebenso wie durch vorbeugende
Maßnahmen (Prophylaxe) der Missbrauch im Vorhinein generell verhindert werden.
Darum werden die Begriffe der Prävention und der Prophylaxe in dieser Arbeit synonym
verwandt, wobei nach wie vor zwischen den Präventionsbereichen zu unterscheiden ist.
Sekundärprävention:
Die Sekundärprävention konzentriert sich in erster Linie darauf, „die Wiederholung des
Missbrauchs [zu H.B.] verhindern,[...] und betrifft ausschließlich Risikogruppen“.166
Angela May erweitert dies mit der Aussage, die Sekundärprävention beziehe sich auf frühzeitiges Erkennen und Aufdeckung des Missbrauchs. „Mittels Fortbildungen sollen
Erwachsene sensibilisiert werden und Signale und Symptome bei betroffenen Kindern
erkennen und deuten können, um eine Frühintervention einzuleiten.“167 Auch hier hat die
Sekundärprävention den Charakter der Intervention, jedoch wird nicht nur die Risikogruppe betrachtet, sondern Strategien zur Intervention mit einbezogen.
Insofern fällt es mit in den Verantwortungsbereich der Schule, Sekundärprävention zu verwirklichen, wobei die Primärprävention das explizite Ziel, die Sekundärprävention nebst
potentieller Intervention hingegen das implizite Ziel schulischer Bemühungen darstellt. Es
ist allerdings fraglich, inwiefern Lehrerinnen und Lehrer zu einer adäquaten Intervention in
165
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439; Vgl.: May, A.: 1997, S. 25
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439
167
May, A.: 1997, S. 25
166
- 53 -
der Lage sind. Die Ausführungen zu dem Thema der Möglichkeiten und Grenzen
schulischer Präventionsarbeit beleuchten diese Aspekte näher.
Tertiärprävention:
Die Tertiärprävention schließlich „stellt eine angemessene Betreuung von Kindern, die
sexuelle Gewalt erfahren haben, dar“168; der Kreis der Adressanten ist demnach begrenzt.
Ihr Ziel ist die Minimierung von Spätzeitfolgen und die Verhinderung einer Reviktimisierung, zumeist durch therapeutische Maßnahmen.169 Hier ist der Anteil der Schule als
Institution sehr gering und muss sich
aus Kompetenzgründen darin erschöpfen,
Betroffenen den Kontakt zu einer entsprechenden Betreuungsstelle zu ermöglichen, denn
tertiäre Prävention als solche kann verständlicher Weise nicht geleistet werden.
Für die Schule ergibt sich hieraus ein Präventionsauftrag, der sowohl die Primär- als auch
die Sekundärprävention beinhaltet. Zum einen ist sie in der Lage, den Missbrauch
möglichst frühzeitig aufzudecken, indem LehrerInnen sowohl ihre Rolle im Helfersystem
als auch die Signale von betroffenen Kindern verstehen lernen. Zum anderen muss sie
durch „frühzeitige, langfristige und angemessene Erziehung – sowohl im Hinblick auf eine
mögliche Opfer- als auch Täterrolle – vorbeugen.“ 170
Die so umrissenen Ziele schulischer Prävention beinhalten die präventiven Aufklärungsmöglichkeiten, die mit Hilfe unterschiedlicher Strategien und Methoden ihren Eingang in
den schulischen Alltag, besonders den der Grundschule, finden müssen. Neben diesen
Programmen und Maßnahmen sollte eine curriculare Einbettung der Prävention ebenso
diskutiert werden wie eine grundlegend veränderte Erziehungshaltung und nicht zuletzt die
Einbeziehung der Eltern in die Präventionsarbeit.
3.1.1. Traditionelle Präventionsmaßnahmen
Wie bereits dargelegt wurde, existieren diverse Mythen und falsche Vorstellungen über
sexuellen Missbrauch. Diese spiegeln sich besonders deutlich in der Prävention früherer
Zeit wider, handelte es sich hierbei doch weitgehend um eher unspezifische Warnungen vor
dem bösen Fremden, die vor allem an Mädchen gerichtet waren. Heidi Gies bestätigt das
und führt weiter aus, dass präventive Bemühungen auch zum Teil heute noch lediglich
168
169
Gies, H.: 1995, S. 61
Vgl.: Sauder, 1994, S. 12
- 54 -
darin bestehen, „... Kinder durch Verbote und angstmachende Hinweise zu schützen. Diese
basieren auf der Vorstellung von einem einmaligen gewalttätigen Übergriff durch einen
fremden, abartig veranlagten Täter“.171 Diese Form der „Angstprävention“172 erschöpft sich
hauptsächlich darin, durch wohlgemeinte, aber ausweichende Ratschläge Erwachsener wie
beispielsweise: ‚Nimm keine Süßigkeiten von Fremden an’ oder ‚Bleib in der Nähe des
Hauses’ unkonkrete Furchtgefühle bei Kindern auszulösen. .Zusätzlich zu der Unklarheit
dessen, was dieser Fremde den Kindern denn wohl antun könne, bleibt ein möglicher Ausweg aus einer solchen Situation für das Kind ausgeklammert.173
Derartige Botschaften suggerieren, dass Kinder im „Schoße der Familie“ geborgen oder
beim Zusammensein mit Freunden oder Bekannten in Sicherheit seien. Aber wie bereits
ausgeführt, bilden Fremdtäter bei sexuellem Missbrauch einen lediglich sehr geringen Teil
der Gesamttäter.
Als Beispiele für diese Art der Prävention, die vornehmlich auf den Fremdtäter fokussiert
ist, nennt Gies Informationsmaterialien des Innenministeriums von Baden Württemberg,
nach denen Eltern als mögliche Täter explizit ausgeschlossen werden: „In der Empfehlung
aus den achtziger Jahren soll das Kind diesen ‚guten’ Menschen trauen, denn daß sie gut
sind, siehst Du daran, daß man sogar Tage nach ihnen benannt hat: Muttertag und Vatertag’.“174
Zusammengefasst beinhalten die Formen der traditionellen Prävention die Warnung vor
dem unheimlichen, abnormalen, fremden Triebtäter, wobei die Gefahr, die von diesem
ausgeht, kaum näher erläutert wird. Zudem basieren sie auf Abschreckung und schaffen
somit Verunsicherung und Verängstigung. Die Handlungsspielräume der Kinder, ihre
Selbstständigkeit und ihre Unabhängigkeit werden durch die Verbote stark eingeschränkt
und behindert. Sie werden angehalten, bestimmten Personen (bspw. den Eltern) unbedingt
zu gehorchen und anderen Personen von vornherein nie.175 Zudem richten sich die meisten
der traditionellen Warnungen an Mädchen, wohingegen bei der Jungenerziehung noch
immer das Klischee des ;Indianers, der keinen Schmerz kennt’,dominiert.
Die Versuche, durch Abschreckung Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, wirken
ihrer Intention genau entgegen: durch Angst werden Kinder gelähmt und handlungsunfähig. Es wird deutlich, dass die Strategien der Angstprävention nicht dazu geeignet sind,
Kinder mit Handlungskompetenzen auszustatten, die ihnen in konkreten Gefahren170
Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439
Gies, H.: 1995, S. 56
172
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439
173
Vgl.: Kastner, H.: 1998, S. 30
174
Enders, U. zit. nach Gies, H.: 1995, S. 56
175
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 57
171
- 55 -
situationen von Nutzen sein können. Darüber hinaus wird durch das Propagieren der
Familie als ,schützender Ort’ ein wesentlicher Täterkreis nicht berücksichtigt, ebenso
wenig wie das Täterbild des abartigen Fremden dazu geeignet erscheint, Täter im sozialen
Nahraum des Opfers zu vermuten.176 Insgesamt ist festzustellen, dass die traditionelle
Prävention es versäumt, Hilfe und Handlungsmöglichkeiten effektiv an Kinder heranzutragen. Enders betont sogar, dass die Abhängigkeit der Kinder gegenüber Erwachsenen,
ihre Rechtlosigkeit und Verletzbarkeit durch solche Maßnahmen noch gesteigert wird:
„Verängstigte und abhängige Kinder, die über die hauptsächlichen Gefahrenorte
nicht aufgeklärt wurden, haben weniger Chancen, sich gegen einen sexuellen Missbrauch zu wehren: sie werden zu Opfern erzogen.“ 177
Auch Gisela Braun schließt sich dem an, indem sie feststellt: Diese Form der Präventionsarbeit „... bereitet geradezu den Boden für Mißbrauch, denn fehlinformierte, unsichere,
angepaßte und abhängige Kinder sind ideale Opfer.“178
Somit ist die Strategie der Angstprävention nicht nur in höchstem Maße ineffektiv, sondern
sogar kontraproduktiv, da sie lediglich eine diffuse Furcht erzeugt und dadurch handlungsunfähig macht.
3.1.2. Moderne Ansätze der Präventionsarbeit
Die eben skizzierte Haltung stand in der ohnehin spärlichen Präventionsarbeit bis Anfang der
80er Jahre im Vordergrund. Erst im Rahmen der „fortschrittlichen Sexualerziehung“ wurde
begonnen,, den Blick nicht ausschließlich auf den „bösen Fremden“ , sondern auch auf
Bekannte, Nachbarn und Verwandte zu richten. 179
Die Distanzierung von der Abschreckungsprävention setzte zuerst in den USA ein, wurde
durch das Konzept der Aufklärung, Information und des „empowerment“ ersetzt und hatte
zum Ziel, die Kinder „safe, strong und free“ werden zu lassen.180
Im Zuge der beginnenden Enttabuisierung sexuellen Missbrauchs wurden nun auch in
Deutschland jene Programme angewandt, die potentielle Opfer stark machen und in die Lage
versetzen sollten, „sexuelle Übergriffe zu erkennen und einzuordnen“ 181. Die Psychologin
176
Vgl.: Fey, E.: 1991, S. 46
Enders, U.: zit. nach Gies, H.: 1995, S. 58
178
Braun, G.: 1989, S. 18
179
Vgl.: May, A.: 1997, S. 22
180
Vgl.: Marquardt-Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439
181
Vgl.: May, A.: 1997, S. 22
177
- 56 -
Elisabeth Fey fasst entsprechend zusammen, dass Prävention nur dann Sinn habe, wenn sie
aufklärend, stärkend und nicht angsterzeugend oder freiheitseinschränkend sei. Prävention
muss also informieren, Handlungsmöglichkeiten vermitteln und sich auf die gesamte
Erziehung auswirken, um die Entwicklung von Selbstbewusstsein und autonomem Verhalten
zu ermöglichen.182
Zunächst soll nun ein Programm aus den USA, dem „Mutterland der Prävention“ 183,
vorgestellt und an ihm exemplarisch die modernen Ansätze der Prävention verdeutlicht
werden.
Das bekannteste Programm der amerikanischen Prävention ist CAPP, das „Child Assault
Prevention Project“, welches nahezu unverändert ab Mitte der 80er Jahre Eingang in die
bundesrepublikanische Präventionsarbeit gefunden hat. Vorauszuschicken ist, dass es in
damals eine Art „Präventionseuphorie“184 auslöste und nahezu unverändert in seiner angloamerikanischen Form einschließlich ihrer kulturellen Inhalte auf die Verhältnisse der
Bundesrepublik projiziert wurde. Von daher soll neben der Konzeption des Projekts auch die
Kritik daran vorgestellt werden, beides basierend auf der Arbeit von
Gisela Braun über das CAPP-Programm, in der sie sich auf die wesentlichen Grundelemente
beschränkt.
3.1.2.1. Die Verwendung von Präventionsprogrammen in der Schule
Wie aus den Ausführungen deutlich wird, sind es vor allem Präventionsprogramme, die in
begrenztem Umfang Eingang in die Schule gefunden haben. Von daher soll nun beleuchtet
werden, inwiefern sie dort eine angemessene Verwendung finden können, wobei der
schulische Rahmen hier zunächst im Vordergrund steht, während die Inhalte der
Programme nachfolgend thematisiert werden. Die Autoren Berrik und Gilbert 185 gehen
dieser Frage anhand von US-amerikanischen Untersuchungen nach. Ihre Ergebnisse
können zwar nicht ohne Abstriche auf die Verhältnisse der Bundesrepublik übertragen
lassen, bieten aber doch in ihren Grundstrukturen Parallelen zu den Programmen, die hierzulande Verwendung finden, und werden aus diesem Grund angeführt.
Zunächst spricht für eine Verwendung der Programme in der (Grund -)Schule die intime
Atmosphäre des Klassenraums und der geringe Aufwand in gestalterischer Hinsicht.
Zudem können die Kinder in relativ kleinen Gruppen erreicht werden, und die Durchführung der Programme beeinträchtigt die Stundenplangestaltung nur unwesentlich.
182
Fey, E.: 1991, S. 47
Marquardt – Mau,B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 439
184
Vgl.: Ebd., S. 440
183
- 57 -
Bei der präventiven Arbeit mit Kindern spielt die Beziehung zwischen ihnen und den
Veranstaltern eine große Rolle, „da sie eng mit der Wirkung der Programme verknüpft
ist“.186 Meist treten externe Gruppierungen wie Vereine und Initiativen an die Schulen der
näheren Umgebung heran, womit dieser Präventionsansatz nur auf deren Mitglieder
zurückgreifen kann. Sie sind den Kindern jedoch fremd, stehen ihnen lediglich für eine
begrenzte Zeitspanne als Ansprechpartner zur Verfügung und können auftauchende Fragen
im Hinblick auf
eine eventuelle Aufdeckung des Missbrauchs nicht weiter begleiten.
Gleichwohl halten Berrick und Gilbert fest: „Dennoch bilden die [...] Programme die
Vorhut der Präventionsbewegung. Die MitarbeiterInnen glauben an ihre Arbeit und führen
die Programme mit sehr viel Enthusiasmus durch.“187
Von daher ist der Forderung, Lehrerinnen und Lehrer dahingehend zu qualifizieren, dass
sie schulinterne Präventionsmaßnahmen durchführen können, unbedingt Nachdruck zu
verleihen, und es wird im Rahmen dieser Arbeit weiter darauf einzugehen sein.
Berrick und Gilbert weisen jedoch darauf hin, dass schulinterne Maßnahmen dazu
tendieren, Präventionsthemen losgelöst vom übrigen Fächerkanon zu behandeln, was einer
grundlegenden Erziehungshaltung und einer fächerübergreifenden Einbettung der Thematik
entgegensteht. Um die inhaltliche Orientierung der Programme zu analysieren, soll
zunächst das angesprochene CAPP-Programm betrachtet werden.
3.1.2.2. CAPP – Child Assault Prevention Project
Das CAPP-Programm wurde in den USA Ende der 70er Jahre von MitarbeiterInnen eines
Zentrums für vergewaltigte Frauen entwickelt und bezieht sich in seinen Grundlagen auf
sexuelle Gewalt durch Vergewaltigung.188
Mittlerweile haben sich unterschiedliche Formen, Erweiterungen und Variationen dieses
Programms etabliert, so dass im Folgenden lediglich die Grundform dargestellt werden
kann.
Die Zielgruppe des Programms sind Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und
achtzehn Jahren Es besteht nicht nur aus der eigentlichen Arbeit mit Kindern, sondern
beinhaltet auch jeweils einen Workshop für LehrerInnen und für die Eltern der Kinder.
Der Workshop für das Schulpersonal sieht eine zweistündige Schulveranstaltung vor, die
grundlegende Kenntnisse über sexuellen Missbrauch, das Erkennen möglicher Signale und
Aspekte der Intervention vermittelt. Der Elternworkshop ist ähnlich aufgebaut, jedoch ist
185
Vgl.: Berrick, J./ Gilbert, N.: In.: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 76 f.
Ebd., S. 77
187
Loc. cit.
186
- 58 -
die Gewichtung der Themen eine andere. In erster Linie sollen die Eltern hier sensibilisiert
und ihre Ängste und Vorbehalte gegen den Kinderworkshop abgebaut werden.
Kernstück des Programms ist der Kinderworkshop, in dem die Trainerinnen die Schulklassen über die Rechte von Kinder und Jugendlichen informieren, „die in dem Slogan
‚safe, strong and free’ zusammengeführt sind: Mädchen und Jungen haben das Recht,
sicher, stark und frei zu sein“ 189. In Form von Rollenspielen werden diese Rechte nun
konkret umgesetzt. Zunächst wird ein Rollenspiel vorgeführt, in welchem ein jüngeres
Kind durch ein älteres erpresst wird. Hiernach erfolgt die Darstellung eines älteren Mannes,
der einen Jungen unter einem Vorwand zum Mitgehen auffordert. Den Abschluss bildet ein
Rollenspiel, indem ein Onkel seine Nichte zu küssen versucht und darüber Geheimhaltung
fordert.
Zunächst präsentiert man alle Szenen mit negativem Ausgang , sprich das Opfer unterliegt
dem Täter. Anschließend werden gemeinsam Handlungsstrategien entwickelt und mit den
Kindern erneut durchgespielt, diesmal jedoch mit positivem Ausgang. Zusätzlich wird eine
weitere Szene gespielt, in der eine Schülerin eine Lehrerin um Hilfe bittet, - dies „...um die
Mädchen und Jungen zu ermutigen, sich Unterstützung zu holen“190.
Weiterhin lernen die Kinder im Rahmen des Workshops Selbstverteidigungsstrategien wie
Treten und einen bestimmten lauten Hilfeschrei. Den Abschluss des Trainings bildet die
Verteilung von Adressen der Beratungs- und Hilfseinrichtungen der jeweiligen Region.191
Die Grundform dieses Programms spiegelt, wie bereits erwähnt, die gegen Mitte der 80er
Jahre erfolgte Wende in der Prävention wider und verdeutlicht die Kernpunkte moderner
Prävention, welche die Rechte des Kindes betont und auf dessen Stärkung abzielt.
3.1.2.3. Kritik am CAPP-Programm
Wurde das CAPP-Programm zunächst euphorisch aufgenommen, entstand in den folgenden
Jahren eine zunehmend kritische Haltung, die erstmals der Deutsche Kinderschutzbund
formulierte. 192 Zentrale Kritikpunkte beziehen sich sowohl auf Durchführung und
Effektivität als auch auf die Konzeption an sich.
Zunächst wird das Präventionsverständnis des CAPP-Programms kritisiert, da hier den
Kindern die Verantwortung für ihren eigenen Schutz übertragen wird. Dies entspricht
jedoch nicht der Realität, da anhand der im Programm beschriebenen
Missbrauchs-
188
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 59
Ebd., 2002, S. 41
190
Loc. cit.
191
Vgl.: Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 41
192
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 59
189
- 59 -
vorgänge ein Kind sich selbst durchaus nicht immer zu schützen vermag. Die Folge kann
sein, dass Kinder, die sich nicht wehren können oder konnten, sich aber in der
Verantwortung dafür sehen, enorme Schuldgefühle entwickeln, die zusätzlich zu
bestehenden Schuldgefühlen erschwerend auf eine Aufdeckung des Missbrauchs wirken.
Ein weiterer Kritikpunkt ist nach Gies die „ungeprüfte Übernahme impliziter USamerikanischer Moralvorstellungen und die Übernahme eines nicht unbedingt allgemeingültigen und akzeptierten Wertesystems“ 193. Was als normal oder deviant gilt, ist nur unter
Berücksichtigung des soziokulturellen Umfeldes festzustellen, wohingegen das CAPPProgramm es selbst übernommen hat, „... die normativen Grenzen von Intimität und
sozialen Beziehungen im Familienleben abzustecken“194.
Weiterhin ist zu sagen, dass die TrainerInnen weitgehend zu Vertrauenspersonen für die
Kinder werden, ihnen jedoch keine konkrete Hilfestellung anbieten, sondern auf
kommunale Hilfsangebote verweisen. Dabei muss beachtet werden, dass zwar in den USA
solche kommunale Hilfsangebote weit verbreitet sind, dies jedoch durchaus nicht in ebensolchem Ausmaß auf die Bundesrepublik zutrifft und also „eine unreflektierte Übernahme
geradezu fahrlässig“195 ist.
Auch die Definitionsgrundlage sexuellen Missbrauchs wird durch den Kinderschutzbund
kritisiert, da deren Schwerpunkt, bedingt durch den Entstehungshintergrund des
Programms, vornehmlich auf die Macht- und Gewaltstrukturen einer sexualisierten
Beziehung gelegt wird. Dementsprechend werden Missbrauchserfahrungen, die vor allem
auf ‚Verführung’ und Überredung basieren, nicht differenziert betrachtet. Zudem wird, wie
Gies ausführt, in diesem Kontext, trotz gegenteiliger Beteuerungen, ,, nach wie vor eher der
familienferne Täter thematisiert.196
Besondere Aufmerksamkeit soll hier abermals den betroffenen Kindern gewidmet werden,
die an einem solchen Workshop teilnehmen. Sie machen hier zwangsläufig die Erfahrung,
dass sie sich gegen den Missbrauch hätten zur Wehr setzen können und ‚safe, strong and
free’ sein sollten. Damit werden Kinder dazu gebracht, sich die Schuld für den Missbrauch
selbst aufzuladen. So bewirkt das CAPP-Programm womöglich das Gegenteil dessen, was
es sich als Ziel gesetzt hat. Außerdem sind „die Auswirkungen im Sinne einer Verhaltensänderung eines zweistündigen Kinderworkshops, dessen Inhalte häufig den eigenen
Lebenserfahrungen in der Familie widersprechen“ 197 als fragwürdig anzusehen.
193
Ebd., 1995, S. 60
Loc. cit.
195
Gies, H.: 1995, S. 60
196
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 60
197
Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 42
194
- 60 -
Die wesentlichsten Kritikpunkte an CAPP betreffen den Umgang mit der Sexualität, wie
Heidi Gies ausführt. Sie stellt fest, dass „Geschlechtsteile und sexuelle Handlungen [...]
nicht konkret beim Namen genannt“198 werden; stattdessen ist die Rede von ,Intimbereich’
und ,den Stellen des Körpers, die üblicherweise mit einem Badeanzug bedeckt sind.’ In
Bezug auf den sexuellen Missbrauch werden dabei ‚Berührungen im Intimbereich’ oder
‚überall berührt werden’ genannt. Diese Ausblendung entspricht zwar den Moralvorstellungen in den USA, wonach über Sexualität nicht explizit, insbesondere Kindern
gegenüber, gesprochen wird, hat aber zugleich fatale Auswirkungen: Es ist ein Rückschritt
zur traditionellen Prävention zu notieren, bei der sowohl sexuelle Handlungen wie auch
Sexualität per se nicht konkret benannt worden waren.. Dies hat zur Folge, dass sich Kinder
noch immer nicht genau vorstellen können, was mit ,sexuellem Missbrauch’ gemeint ist,
und so der Verunsicherung ausgesetzt sind. Die verletzende Realität des Missbrauchs, die
Hilflosigkeit, die Demütigungen und die Schamgefühle werden übergangen oder bestenfalls verharmlost und verschleiert. Diese Inhalte sind jedoch- das belegen die Strategien
der Täter, die Folgen für die Opfer und deren ‚Überlebensversuche’ ein wichtiger
Bestandteil der präventiven Aufklärung. „Durch die Vermeidung der konkreten Inhalte und
Namen wird eine doppelte Botschaft vermittelt, nämlich: Ich will dich vor sexueller Gewalt
warnen, aber ich sage dir nicht, was das ist.“199
Wie kindgerechte Darstellungen aussehen können, soll in den folgenden Kapiteln erörtert
werden; sie auszublenden oder zu verschleiern wirkt einer Aufklärung jedenfalls massiv
entgegen.
Weitere kritische Anmerkungen stehen in engem Zusammenhang mit der eben genannten
Doppeldeutigkeit. CAPP vermittelt kein angemessenes Vokabular, mit dem Kinder und
Jugendliche einen eventuellen Missbrauch benennen könnten, obwohl sie explizit dazu
aufgefordert werden. Anderson beschreibt die Doppeldeutigkeit folgendermaßen: „Du
kannst mit mir über sexuelle Mißbrauchserfahrungen sprechen, es ist nicht deine Schuld,
wenn dir so etwas passiert ist, du bist o.k. Aber dein Körper ist so schlecht, daß ich noch
nicht einmal aussprechen kann, was unter deinem Badeanzug ist.“200 Wie im Kapitel über
die Folgen des Missbrauchs beschrieben, wird der eigene Körper oft als negativ erlebt und
die ,Schuld’ am Missbrauch auf ihn projiziert. Durch die doppelte Botschaft des
Programms wird diese Einstellung verstärkt; es kann der Effekt eintreten, dass die Opfer
ihren Körper noch negativer wahrnehmen
198
Gies, H.: 1995, S. 61
Ebd., 1995, S. 61
200
Anderson, C.: zit. nach Gies, H.: 1995, S. 61
199
- 61 -
Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, gerade kleinen Kindern ein Vokabular zur
Verfügung zu stellen, welches ihnen erlaubt, das Erlebte in Worte zu fassen und so das
Schweigen zu brechen.
Andererseits ist der Mangel an Bezugnahme auf lustvolle Erfahrungen durch Sexualität zu
beklagen, „wie etwa positiv erlebte Doktorspiele oder Selbstbefriedigung“201. Damit
besteht die Gefahr, dass Sexualität im Allgemeinen negativ besetzt wird und Angst
verursacht. Auch diese Möglichkeit konterkariert die angestrebten Präventionsbemühungen.
des „empowerment Zwar verhinderte die angesprochene Kritik, dass das Programm in
seiner ursprünglichen Form in der BRD flächendeckend Anwendung fand, aber es bildet
doch noch immer mit seiner Konzeption“ als Ausbau vorhandener Stärken sowie einer
Steigerung der Autonomie die Grundlage der meisten gängigen Präventionsprogramme und
muss in diesem Kontext besondere Würdigung finden.202
Der Perspektivenwechsel auf Basis der US-amerikanischen Programme hat in der heutigen
Zeit zu einem veränderten Standort in der Präventionsarbeit geführt, der die „Blickrichtung
weg von dem, was verhindert werden soll, hin zu dem, was angeregt und gestärkt werden
soll...“203 lenkt. Zudem führte das CAPP-Programm erstmals eine Zusammenarbeit sowohl
mit dem Elternhaus als auch mit dem schulischen Lehrpersonal ein.
Von daher soll es als Basis der modernen Präventionsbemühungen gesehen und seine drei
Bestandteile, namentlich die Prävention mit Kindern, Eltern und LehrerInnen, im
Folgenden näher beleuchtet werden.
3.2. Präventionsarbeit mit Kindern
Die Arbeit mit Kindern ist der Schwerpunkt der präventiven Aufklärungsmöglichkeiten der
Schule, hier besonders der Grundschule, und sie bezieht sich sowohl auf die Primär- wie
Sekundärprävention. Die Programme, die meist durch externe TrainerInnen durchgeführt
werden, sind zahlreich und verfügen über eine Fülle von Materialien, Strategien und
Methoden, Kindern die komplexe Problematik des sexuellen Missbrauchs näher zu bringen,
wobei die Informationen und Methodik je nach Alter der eigentlichen Zielgruppe
differieren.
In Anbetracht dessen sollen also möglichst generell die Themen und Ziele, die Inhalte und
Methoden der Prävention einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
201
202
Gies, H.: 1995, S. 61
Vgl.: Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 42
- 62 -
3.2.1. Ziele der Prävention mit Kindern
Es wurde bereits dargestellt, dass die modernen Programme nicht mehr das Ziel haben,
durch pure Abschreckung den Missbrauch zu verhindern. Vielmehr steht die Prävention
nun unter dem bereits zitierten Motto: ,sicher, stark und frei’. Heidi Gies nennt in
Anlehnung an Zartbitter e.V. die folgenden Ziele:204
Als Basis der präventiven Bemühungen müssen Kinder gestärkt werden. Diese Stärkung
muss sich sowohl auf das Selbstbewusstsein sowie auf die Rechte der Kinder beziehen und
letztendlich dahin gehen, ihre Autonomie und ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht zu
steigern.
Weiterhin ist es zentrales Anliegen, den potentiellen Opfern das Wissen zu vermitteln, dass
sie sich wehren dürfen und können205, also Ohnmachtgefühle und Hilflosigkeit überwinden
lernen.
Anhand der bereits aufgeführten Kritik muss auch der Realismus in der Prävention stärkere
Berücksichtung finden, vor allem realitätsgerechte Informationen über das Missbrauchsgeschehen. Neben der reinen Informationsvermittlung sollen Widerstandsstrategien und
Formen erlernt werden, mit denen ein möglicher Missbrauch verhindert oder wenigstens
aufgedeckt werden kann. Dabei darf das Kind jedoch aus bereits angesprochenen Gründen
nicht die Verantwortung für die Beendigung des Missbrauchs zugesprochen bekommen.
Insgesamt hält Gies fest: „Kindern sollte durch die neuen Präventionsansätze Kraft und
Energie gegeben werden. Prävention sollte deshalb Lebensfreude ausdrücken und Kinder in
ihren Rechten und Kompetenzen bestärken.“206
Diese Grobziele sind richtungweisend für den Perspektivenwechsel in der Präventionsarbeit und finden ihren Niederschlag in Form vieler Programme und Initiativen207. Da an
dieser Stelle eine detaillierte Aufführung aller Programme nicht erfolgen kann, wird die
größte gemeinsame Schnittmenge der Prävention betrachtet.
203
Marder, P./ Mebes, M: 1993, S. 9
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 67
205
Vgl.: Braun, G.: 1989, S. 18
206
Gies, H.: 1995, S. 68
207
beispielsweise Zartbitter e.V.; Verein zur Prävention sexueller Gewalt an Jungen und Mädchen e.V.
204
- 63 -
3.2.2. Inhalte der Prävention
Den Zielen und der Präventionsphilosophie entsprechend, macht Bange acht Themenfelder
aus, die „zentral für eine präventive Erziehung“208 sind und nun im Einzelnen dargestellt
werden, um einen Einblick in konkrete Inhalte der Prävention zu ermöglichen. Da die
Inhalte den Kindern meist in Form von Rechten209 nahe gebracht werden, ist diese
Begrifflichkeit hier beibehalten worden, damit der Bezug zur Prävention deutlich wird. Es
muss vorausgeschickt werden, dass die Inhalte zwei Dimensionen haben: Zum einen sollen
die Kinder im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch ebenso wie im Hinblick auf ihre
Persönlichkeit „safe, strong and free“ gemacht werden, zum anderen muss sich jede
Präventionsbemühung auf die Realität des Missbrauchs hin prüfen lassen, um eine im
Ansatz wirkungslose oder gar kontraproduktive Prävention zu verhindern.
Deshalb wird zu Beginn eines jeden Themenbereichs, wenn möglich, noch einmal Bezug
auf die Grundlagen dieser Arbeit genommen, um darzustellen, inwiefern er jeweils auf das
Missbrauchsgeschehen an sich einwirken kann. Selbstverständlich unterscheiden sich die
potentiellen Opfer und die individuellen Umstände des Missbrauchs voneinander, so dass
eine Verallgemeinerung kaum zulässig erscheint. Jedoch ist es legitim, die erarbeiteten
Grundzüge insbesondere der Täterstrategien mit den vermittelten Rechten zu konfrontieren
und dabei abzuwägen, inwieweit sie rein theoretisch in der Lage sind, als hilfreiche Handreichungen für das Opfer dienlich zu sein.
3.2.2.1. Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung
Wie im Kapitel über die Strategien der Täter –sofern sie Elternteil(e) sein sollten angeführt, vermitteln diese den Opfern häufig, sie hätten das Recht, das Kind zu benutzen.
Auch Täter aus dem sozialen Nahfeld vermögen ihren Opfern einzuimpfen, sie hätten aus
irgendeinem Grunde das Recht, sich körperlich des Kindes zu ,bedienen’, sei es durch
vorangegangene Geschenke oder sonstige fadenscheinige Legitimationen. Dem soll
entgegengewirkt werden, indem Kinder lernen, dass auch sie Rechte haben.
Ein Slogan, welcher in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem vielleicht wichtigsten
Grundsatz steht, ist: „Mein Körper gehört mir!“. Elisabeth Fey schreibt in Anlehnung an
Gisela Braun, die selbst ein Präventionskonzept mit gleichem Titel erarbeitet hat: „Dein
208
209
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 447
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 69
- 64 -
Körper gehört Dir. Du bist einzigartig und liebenswert. [...] Und Du hast das Recht zu
bestimmen, was mit Deinem Körper geschieht.“210
Damit ist bereits deutlich ausgedrückt, was Kinder grundlegend lernen sollen: Niemand
außer ihnen selbst kann über ihren Körper verfügen! Dieses Konzept beinhaltet weit mehr
als das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und kann anhand unterschiedlicher Beispiele
den Kindern erläutert werden. So hat das Kind das Recht, die Umarmung oder den Kuss
eines Verwandten (auch der Eltern) abzulehnen und ihn dennoch zu mögen. Ebenso muss
zum Beispiel dem Verlangen des Kindes, allein im Badezimmer zu sein, Rechnung
getragen werden.
Es hat insgesamt ein Recht darauf, dass „seine Bedürfnisse respektiert werden“211, auch
wenn dies möglicherweise Unsicherheit oder Ärger bei den betroffenen Angehörigen
hervorrufen mag. In Bezug auf den eigenen Körper Grenzen setzen und wahren zu können,
ist elementarer Bestandteil eines jeden Programms und verhilft Kindern so zu einem
gesunden Selbstbewusstsein und außerdem noch zu dem Verständnis dafür, dass auch
andere Kinder sowie die Erwachsenen ihre Grenzen haben. Damit wirkt dieser Themenbereich in doppelter Hinsicht: Zum einen werden die Opfer gestärkt, zum anderen wird
Grenzübertritten der Kinder in ihrem späteren Leben vorgebeugt.
3.2.2.2. Das Recht auf die eigene Intuition
Auch hier muss auf die Strategien der Täter hingewiesen werden, bei der die Wahrnehmung des Opfers systematisch vernebelt wird und es überzeugt werden soll, dass es sich
das ,schlechte Gefühl’ nur einbilde oder in Wirklichkeit positive Gefühle erlebe. So
zweifeln Kinder oft an ihrer eigenen Intuition und Wahrnehmung, bis hin zu dem Grad,
dass ihnen eingeredet werden kann, sie hätten „es“ selbst gewollt.
Diesem Zustand soll hier vorgebeugt werden, indem vermittelt wird, dass sich das Kind ,
auf seine Gefühle verlassen und ihnen trauen kann.. „Vertraue deinem Gefühl. Wenn sich
etwas seltsam, blöd, komisch oder unangenehm anfühlt, hast du das Recht, so zu fühlen.“212
Damit werden Kinder ermutigt, ihre Gefühle wahrzunehmen und sie nicht umdeuten zu
lassen. Dennoch besteht die Gefahr, dass potentielle Opfer aufgrund der schleichenden
Sexualisierung einer Missbrauchsbeziehung Unsicherheiten in Bezug auf ihre Gefühle
verspüren können. Auch dieser Gefahr wird Rechnung getragen: „Manchmal werden
Gefühle, die zuerst schön sind, mit der Zeit komisch oder merkwürdig. Du kannst dich auf
210
Fey, E.: 1991, S. 56
Gies, H.: 1995, S. 69
212
Zartbitter e.V.: 1993, S.16, zit. nach Gies, H.: 1995, S. 70
211
- 65 -
deine Gefühle verlassen, auch wenn ein anderer noch so sehr das Gegenteil behauptet.“213
In Addition hierzu sollen Kinder ermutigt werden, ihren Gefühlen Ausdruck zu
verleihen.214
Insgesamt muss gesagt werden, dass Kinder, die ihren Gefühlen trauen und vertrauen,
wesentlich schwerer manipulierbar sind und ein eher ,ungeeignetes’ Opfer darstellen.
Wichtig ist es, den Kindern nahe zu bringen, dass es völlig berechtigt ist, anders zu fühlen
als andere und keine Angst vor ihren Gefühlen zu haben. Damit wird ebenfalls sowohl das
Selbstvertrauen als auch das Empathieempfinden gestärkt.
3.2.2.3. Berührungen
Eine weitere wichtige Bedeutung innerhalb der Prävention nimmt der Umgang mit
Berührungen ein. Häufig beginnt sexueller Missbrauch mit Berührungen, die das Kind
zunächst als angenehm empfindet, die sich aber graduell ins Unerträgliche steigern können.
Da viele Täter sozial deprivierte Kinder als Opfer wählen, die sowohl emotional als auch
körperlich vernachlässigt sind, ist die Gefahr besonders hoch, dass das Defizit an
Körperkontakt allgemein ein Kind dazu bringt, sich gegen Berührungen, die es eigentlich als
unangenehm empfindet, nicht zu wehren.
An dieser Stelle soll ein längeres Zitat von Elisabeth Fey die inhaltliche Konzeption der
Prävention verdeutlicht:
„Es gibt verschiedene Berührungen. Berührungen sind für jeden Menschen wichtig.
Liebevolle, angenehme und zärtliche Berührungen fühlen sich gut an. Wir alle
brauchen Umarmungen, wollen gestreichelt und gedrückt werden und sind glücklich,
wenn wir dies alles bekommen. Aber nicht alle Berührungen sind angenehm. Einige
verwirren uns, wie z.B. zu lange und zu feste Umarmungen. Einige sind einfach
komisch, und Du weißt gar nicht genau, warum. Gekitzelt zu werden kann am
Anfang lustig sein, aber es wird dann unangenehm, wenn die Person nicht mehr
aufhört, obwohl Du es willst.“215
Der hier ersichtliche exemplarische Umgang mit dem Thema der Berührung verdeutlicht,
dass die Realität des Missbrauchs durchaus erkannt wird. Häufig beginnen Berührungen mit
„Kitzelspielen“, um dann in Grenzverletzungen ausgeweitet zu werden.
213
Ebd., S. 70
Vgl.: Fey, E.: 1991, S. 57
215
Fey, E.: 1991, S. 57 f.
214
- 66 -
Es ist bemerkenswert, dass im Text nicht die negativen Berührungen im Vordergrund stehen,
sondern dass auch ein positives Bild von Berührungen gezeichnet und somit auf die unterschiedliche Qualität der Berührungen eingegangen wird. Dieser Punkt baut auf dem
Vertrauen in die eigenen Gefühle auf, denn Berührungen erzeugen Gefühle, die es zu deuten
gilt. In jedem Fall kann das Fazit gezogen werden: „Was für Dich [...] unangenehm ist, ist
nicht o.k., ganz einerlei, was der andere denkt oder will.“216
3.2.2.3. Das Recht auf Widerstand und Ungehorsam
Bei den Strategien der Täter, vor allem bei denjenigen, die aus dem sozialen Nahraum der
Kindes stammen, finden sog. ,Testrituale’ statt, mittels derer ergründet werden soll, wie
selbstsicher ein Kind ist und wie weit der Täter gehen kann. Aufbauend auf bereits
angesprochenen Inhalte findet das Recht, Widerstand und Ungehorsam zu leisten, seinen
Ausdruck in einem klaren ‚NEIN’ von Seiten des Kindes. Häufig verlangen die Täter von
ihm Gehorsam, sie nutzen ihre überlegene Stellung als Erwachsene und bauen auf die in
der traditionellen Erziehung des Kindes begründete Unterordnung und Anerkennung von
Autorität.
Genau hier setzt das Recht auf Ungehorsam an und vermittelt Kindern, dass sie das Recht
haben, ‚Nein’ zu sagen: „Es ist ganz wichtig für Kinder, ‚NEIN’ sagen zu dürfen und das
auch zu lernen. Mädchen und Jungen können sexuellen Missbrauch manchmal unterbinden,
indem sie ‚NEIN’ sagen und sich selbstbewusst abgrenzen.“217
Die Realisierung dieses Anspruchs in der alltäglichen Erziehungswirklichkeit stellt für
Eltern oder LehrerInnen häufig eine Herausforderung dar.218 Dennoch darf bei allen
möglichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung nicht aus den Augen verloren werden, dass
es gilt, selbstbewusste Kinder heranzubilden, die Grenzen abstecken und sich durchsetzen
können und „erfahren, daß sie keine Angst zu haben brauchen, daß ein ‚Nein’ Ärger,
Trennung oder Ablehnung bedeutet“219.
Hier kann die am CAPP-Programm geübte Kritik einfließen, die besagt, dass parallel zu
diesen Bemühungen auch deutlich werden muss, dass das Kind nicht die Verantwortung für
den Missbrauch trägt und es auch und grade dann, wenn das ‚Nein’ übergangen wurde,
nicht schuld am Geschehen ist. Ebenso soll aber der Eindruck dringend vermieden werden,
dass ein ‚Nein’ zwangsläufig das Ende des Missbrauchs zur Folge haben wird. Insofern ist
216
Gies, H.: 1995, S. 71
Fey, E.: 1991, S. 58
218
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 71
219
Gies, H.: 1995, S. 72
217
- 67 -
besonders in diesem Punkt ein hohes Maß an Sensibilität nötig, um keine Erwartungen zu
wecken, die einer Konfrontation mit der Realität nicht standhalten können.
3.2.2.4. Gute und Schlechte Geheimnisse
Die zentrale Bedeutung im Missbrauchsgeschehen liegt in dem Schweigegebot, welches
hauptsächlich durch Drohungen von Seiten der Täter und durch die Scham- und
Ohnmachtsgefühle der Opfer manifestiert wird. Nach den ersten Grenzverletzungen erklärt
der Täter den Missbrauch zum ,gemeinsamen Geheimnis’ und nutzt das kindliche
Verständnis der Geheimnisbewahrung und den negativ besetzten Begriff des ;Petzens’ für
seine Zwecke aus.
Dieser Themenbereich der Prävention hat zum Ziel, Kindern den Unterschied zwischen
sog. ,guten’ und ,schlechten’ Geheimnissen zu verdeutlichen. So sind Geheimnisse, die
positive Gefühle auslösen, wie beispielsweise eine Überraschung für jemanden oder ein
Geschenk ,gute’ Geheimnisse, die man für sich behalten darf. Sobald jedoch Drohungen
und negative Gefühle im Spiel sind, die Geheimnisse also ,Bauchschmerzen’ verursachen,
gehören sie zu den ,schlechten’ Geheimnissen, die man weitererzählen darf und soll.220
„Wenn jemand zu Dir sagt: ‚Erzähle niemand davon!’ oder Dir Angst machen will,
damit Du niemand davon erzählst, dann möchte ich, daß Du es erzählst. Du musst
dem anderen nicht gehorchen, selbst wenn Du es versprochen hast. Das ist auch
kein Petzen, denn Du erzählst es ja nicht, weil Du den anderen hereinlegen
möchtest, sondern weil Du Dich unwohl fühlst.“221
Diesen Ausführungen liegt der Gedanke zugrunde, Kinder von ihrem eventuell gegebenen
Versprechen zu entbinden und ihnen die Offenbarung des Missbrauchs zu ermöglichen. Sie
sollen lernen, dass jedes Geheimnis, das auf ihnen lastet, sie also im Wortsinne belastet,
kein Geheimnis ist, welches sie zu hüten haben. Wieder wird der Sinn für den eigenen
Blickwinkel und die mit dem Geheimnis assoziierten Gefühle geschärft. Zugleich bezieht
sich dieser Themenbereich nicht ausschließlich auf Situationen des Missbrauchs, sondern
kann auf viele Situationen übertragen werden. Zudem ist der Anspruch klar, Kindern ihre
Geheimnisse zu lassen und sie nicht zu zwingen, sich in jedem Fall unmittelbar zu
offenbaren. Dennoch wird der kindlichen Entwicklung Rechnung getragen, indem ein
schlechtes Geheimnis direkt mit schlechten Gefühlen gekoppelt wird.
220
221
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 72
Fey, E.: 1991, S: 57
- 68 -
Fey bringt es auf den Punkt: „Du hast das Recht, so etwas zu erzählen, damit es Dir dann
besser geht.“222
3.2.2.5. Das Recht auf Hilfe und Unterstützung
Ein Kind, das in der Situation des Missbrauchs den Mut findet, sich einem Erwachsenen
oder seinem Umfeld gegenüber zu offenbaren, erfährt häufig negative Reaktionen, zum
Teil in Form von Schuldzuweisungen, vor allem aber in Form von Unglauben.
Deshalb ist es besonders wichtig, Kinder auf diese Tatsache aufmerksam zu machen und
ihnen nicht das Gefühl zu geben, sie brauchten sich nur einem Erwachsenen anzuvertrauen
und schon würde der Missbrauch aufhören. Vor diesem Hintergrund stellt beispielsweise
Zartbitter e.V. dar:
„Wenn du ein Problem hast, wenn dich ein blödes Geheimnis bedrückt oder du
nicht mehr weiter weißt, sprich mit jemandem und hol’ dir Hilfe. Es kann sein, daß
der Mensch, dem du dich anvertraust, dir nicht glaubt oder sogar böse wird. Gib’
nicht auf und suche dir einen anderen, der dir zuhört und hilft. Du hast ein Recht
auf Hilfe und Unterstützung.“223
Die Darstellung, dass ein Kind möglicherweise mehrere Erwachsene um Hilfe bitten muss,
bevor ihm geglaubt wird, spiegelt in der Tat die Realität dessen wider, was die Opfer
sexuellen Missbrauchs häufig erleben. Von daher ist es von hoher Bedeutung, in der
Präventionsarbeit mit Kindern darauf explizit hinzuweisen.
Selbstverständlich ist es von mindestens ebenso großer Bedeutung, den Kindern überhaupt
das Recht auf Hilfe und Unterstützung nahe zu bringen, also die Gefühle der Hilflosigkeit
und Ohnmacht wahrzunehmen und zugleich deutlich zu machen, dass das Kind nicht allein
ist und sich Hilfe holen kann, darf und soll.
In diesem Zusammenhang hat auch die Präventionsarbeit mit Erwachsenen, insbesondere
den Eltern und den LehrerInnen, ein besonderes Gewicht, wie in den entsprechenden
Kapiteln erörtert wird.
222
223
Ebd., 1991, S. 57
Zartbitter e.V.: 1993, zit. nach Gies, H.: 1995, S. 73
- 69 -
3.2.2.6. Erwachsene machen Fehler
Dieser Themenkomplex dient dazu, Kindern zu vermitteln, dass auch Erwachsene Fehler
machen und durchaus nicht immer korrekt handeln. Hier wird einer Erziehung entgegengewirkt, die Kinder dazu anleitet, grundsätzlich in Erwachsenen Autoritätspersonen zu
sehen, welche stets richtig handeln und deren Anweisungen unbedingt Folge zu leisten ist –
denn autoritätsgläubige Kinder sind willfährige Opfer.
Zudem wird deutlich, dass auch Erwachsene gewissen Geboten und Regelungen
unterliegen und eben nicht ,alles dürfen’.
„Sie machen Dinge, die Dir wehtun, und das dürfen sie nicht. Sie haben nicht das Recht
dazu.“ 224 Zusätzlich bietet es sich hier an, abermals darzustellen, dass sich Kinder gegen
,Fehler’ der Erwachsenen zur Wehr setzen dürfen, dass sie sich und ihre Gefühle ernst
nehmen und dass sie sich jederzeit Hilfe und Unterstützung holen können, auch wenn es
sein kann, dass Erwachsene den ,Fehler’ begehen, nicht auf die Kinder zu hören und sie
nicht ernst zu nehmen.
3.2.2.7. Kein Erwachsener hat das Recht, Kindern Angst zu machen
Neben den Rechten, die Kindern zugestanden werden, muss zugleich thematisiert werden,
dass die Rechte der Erwachsenen nicht unbeschränkt sind. Dieser Themenbereich schließt
sich unmittelbar an den vorhergehenden an und ist als Ergänzung zu sehen. Hier werden
die Methoden angesprochen, die ein Täter häufig verwendet, um ein Kind unter Druck zu
setzen, es zum Missbrauchsobjekt zu machen und es anschließend zum Schweigen darüber
zu bringen. Es gibt viele, sehr unterschiedliche Formen, mittels derer Täter die Angst der
Opfer schüren, um ihr Schweigen zu sichern. Da darauf nicht einzeln eingegangen werden
kann, orientiert sich dieser Themenbereich daran, dass Erwachsene nicht das Recht haben,
Kindern Angst zu machen. Im Gegenteil werden Kinder ermutigt, sich Hilfe zu holen,
wenn ihnen gedroht wird: „Gerade wenn jemand zu Dir sagt, daß etwas Schreckliches
passiert, falls Du einem anderen Menschen von den unangenehmen Berührungen oder
Gefühlen erzählst, darfst Du andere um Hilfe bitten.“225
Die Vermittlung dieses Wissens ist für die Kinder von hoher Bedeutung und kann zu dem
Ziel, sie zu selbstsicheren und selbstbewussten Menschen zu erziehen, einen Beitrag
leisten, indem ihnen eingeprägt wird, dass auch Erwachsene an Regeln gebunden sind.
224
225
Fey, E.: 1991, S. 54
Fey, E.: 1991, S. 17
- 70 -
3.2.2.8. Wer helfen kann
Dieser Punkt behandelt abschließend noch einmal die Thematik des ,Sich-Hilfe-holens’, da
ein Kind „ohne Hilfe sexuelle Gewalt kaum abwehren oder aufdecken“ 226 kann. Von daher
ist auch diesem Aspekt eine hohe Bedeutung beizumessen. Gemeinsam wird überlegt, an
wen sich Kinder bei ihrer Suche nach Hilfe wenden können. Die Ergebnisse sind je nach
Region unterschiedlich, sollten aber die Eltern (sofern möglich) und/oder die LehrerInnen
einbeziehen.
3.2.3. Strittige Inhalte
Die oben beschriebenen Inhalte der Prävention mit Kindern bilden die Grundlage, auf der
potentielle Opfer durch „empowerment“ gestärkt werden sollen. In beinahe allen
Präventionsprogrammen sind sie als zentrale Themen vorhanden, zwar mit unterschiedlicher Gewichtung und Intensität, doch besteht im Wesentlichen Konsens darüber.
Anders verhält es sich mit der Thematisierung von ,Sexualität’ und ,sexuellem
Missbrauch’, die, direkt angesprochen, eher nicht dazu geeignet scheint, sie mit Kindern zu
erörtern. Da sie in Programmen und Präventionskonzepten in recht unterschiedlicher Weise
abgehandelt wird, soll sie im Folgenden beleuchtet werden.
3.2.3.1. Aufklärung über Sexualität und sexuellen Missbrauch
Bei der Betrachtung dieses Thematik stellt Bange fest: „Die wenigsten Präventionsprogramme sprechen Fragen der Sexualität offen an. Auch wird den Kindern selten eine
klare Definition sexuellen Missbrauchs vermittelt.“ 227
Selbstverständlich spielt hier das Alter der Zielgruppe, für die das jeweilige Programm
konzipiert wurde, eine große Rolle. Da eine frühe Prävention am wirkungsvollsten ist, sind
hier hauptsächlich Kinder im Grundschulalter angesprochen. Der genannte Themenbereich
wird häufig nur am Rande gestreift und nicht in der Form behandelt, die nötig wäre, um
aufklärende Arbeit zu leisten. Begründet wird dieser Mangel damit, dass die Kinder „nicht
mit dem Gefühl aufwachsen sollen, Gewalt und Sexualität seien eins“228. Zudem wird
häufig angeführt, jüngere Kinder hätten ein nur unzureichendes Verständnis von Sexualität.
226
Gies, H.: 1995, S. 73
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 448
228
Loc. cit.
227
- 71 -
Bei derartiger Sichtweise der Sexualität sowie fehlender klarer Definition sexuellen
Missbrauchs können die bereits angesprochenen ,Double-bind-Situationen’ entstehen, da
die Kinder durch widersprüchliche Botschaften verwirrt werden“229. Hier ist wieder jene
Ausblendung konkreter Informationen zu beobachten, die an das traditionelle Präventionsverständnis erinnert. Grundsätzlich gilt jedoch, dass es den Kindern um so leichter fällt,
Missbrauchsituationen zu erkennen, je mehr sie über die Thematik wissen.
Das Argument, es bestehe die Gefahr, dass Sexualität und Gewalt in der frühkindlichen
Vorstellung miteinander verknüpft würden und so ein negatives Bild der Sexualität
entstehe, kann gleichfalls entkräftet werden, sobald Prävention in eine umfassende Sexualerziehung eingebettet wird. 230 Die ,Bausteine’, die als Ergänzung der Präventionsarbeit
oder sogar als ihre Voraussetzung zu sehen sind, werden nachfolgend näher betrachtet, da
die präventiven Aspekte nicht nur punktuell angesetzt werden können.
Wie Bange schreibt, ist ein solcher Rahmen notwendig, „weil Kinder ihr Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und ihre Sexualität nur ausüben können, wenn sie
ihren Körper kennen und ein positives Gefühl zu ihm entwickelt haben. Erst eine bejahende
und lustvolle Einstellung zur Sexualität ermöglicht es, ‚Nein’ zu sagen, wenn die Grenzen
überschritten werden.“231
Grundsätzlich ist zu dieser strittigen Thematik zu sagen, dass erst durch sie eine wirkungsvolle Prävention ermöglicht wird. Dennoch ist die Akzeptanz bei Erwachsenen und Lehrkräften höher, wenn nicht explizit auf sexuelle Inhalte eingegangen wird, 232 was häufig
dazu animiert, auf diese Inhalte lieber ganz zu verzichten Damit wird eine beträchtlich
ineffektivere Prävention in Kauf genommen, die aber wohl kaum im Sinne des angestrebten Zieles sein dürfte.
3.2.4. Präventionsmaterialien
Nachdem die Inhalte der Prävention thematisiert worden sind, sollen nun die Materialien
kurz dargestellt werden. Vorauszuschicken ist, dass es eine Fülle an Materialien gibt, die
sich mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs in sehr unterschiedlichen Formen
beschäftigt. Welche Materialien zum Einsatz kommen, hängt von Faktoren wie der Zielgruppe, dem jeweiligen Programm oder der durchführenden Institution ab.
229
Gies, H.: 1995, S. 68
Vgl.: Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 448
231
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 448
232
Vgl.: Lohaus, A./ Schorsch, S.: 1997, S. 668 f.
230
- 72 -
Nach Marquardt-Mau liegen in der Bundesrepublik „Präventionsmaterialien für unterschiedliche Adressatengruppen vor: Handbücher, Unterrichtsvorschläge, Unterrichtseinheiten für Lehrkräfte und Dokumentationen über Unterrichtsversuche“ 233. Seligmann
führt weiterhin aus, dass geeignete Materialien in der Prävention nicht die Angst, sondern
vielmehr das Selbstbewusstsein der Kinder schüren.234 Die Geschichten, Bücher, Bilderbücher, Theaterstücke, Spiele und Lieder, die in denen Prävention verwendet werden kann,
dienen dazu, „mit Spiel und Spaß, Lust und Laune Erfahrungen [zu, H.B.] machen, das ist
kindgerecht und wirkungsvoll“235.
Weiterhin führt Seligmann als positiv an, dass sexuelle Gewalt so angesprochen werden
könne, ohne direkt gewaltsame Übergriffe benennen zu müssen.236 Wie oben erwähnt, ist
dieser Punkt besonders kritisch zu betrachten, da es hier zu einer verzerrten Darstellung der
Missbrauchsrealität kommen kann.
Insgesamt sind bei der Auswahl des Materials folgende Aspekte besonders zu berücksichtigen:
-
Text und Bilder sollen nicht verängstigen, sondern durch Vorbildfunktion der
handelnden Charaktere die Kinder in ihrem Selbstbewusstsein stärken.
-
Darstellungen von geschlechtsstereotypischen Rollen, bei denen beispielsweise
Mädchen als sehr passiv gelten, sollten vermieden werden.
-
Generell sollten die Inhalte der Materialien den Inhalten der Prävention
entsprechen.
-
Gängige Vorurteile, wonach Kindern eine Mitschuld zugesprochen wird, sind auf
jeden Fall zu vermeiden.
-
Materialien, welche zur Vermeidung von Situationen raten, entsprechen nicht mehr
den Anforderungen einer modernen Prävention.
-
Es sind in jedem Falle altersangemessene Materialien zu wählen.237
Insgesamt muss gesagt werden, dass zwar ein großes Angebot an Unterlagen zur
Verfügung steht, jedoch nicht immer eine Evaluation dieser Materialien stattgefunden hat
und sich so Eltern, Lehrkräfte und Kinder in falscher Sicherheit wiegen könnten.
233
Marquardt-Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 440
Vgl.: Seligmann, S.: 1996, S. 68
235
Braun, G.: zit. nach Seligmann, S.: 1996, S. 68
236
Loc. cit.
237
Vgl.: Seligmann, S.: 1996, S. 69
234
- 73 -
3.2.5. Wirkung der Prävention mit Kindern
Wie ausgeführt, ist die Zielsetzung der Prävention unter anderem, das Auftreten neuer
Missbrauchsfälle zu reduzieren. Dieser Bereich ist besonders schwer zu evaluieren, 238 da
eine Überprüfung des Erlernten zwar möglich ist, doch nach wie vor unklar bleibt, ob
Kinder tatsächlich in der Lage sind, die vermittelten Strategien und ihr Wissen in einer
Missbrauchssituation effektiv anzubringen. Zudem muss bei der Entwicklung neuer
Projekte, Programme und Materialien eine Evaluation stattfinden, um die Tauglichkeit
solcher Maßnahmen festzustellen.
Besonders in den USA liegen aufgrund der wesentlich längeren Präventionstradition
diverse Studien vor, die sich mit der Wirksamkeit der Präventionsprogramme befassen. In
der BRD hingegen, „klafft hier eine große Forschungslücke. Es liegen bisher nur wenige
Evaluationsstudien vor (Eck & Lohaus 1993; Knappe & Selg 1993; Leppich 2000)“239. Da
eine Evaluation präventiver Bemühungen zentral ist, um Helfern, Kindern, Eltern und
Pädagogen keine falschen und unrealistischen Hoffnungen zu machen, sollen an dieser
Stelle auch die US-amerikanischen Studien zur Verdeutlichung der sich bisher abzeichnenden Ergebnisse herangezogen werden. Basis der Ausführungen bildet die zusammenfassende Übersicht von Amann und Wipplinger.240
Bevor die Leitfragen und die ermittelten Ergebnisse dargestellt werden, muss eine knappe
Methodenkritik vorausgeschickt werden, um die auftretenden Schwierigkeiten zu
beleuchten.
3.2.5.1. Methodenkritik
Wie bereits angeführt, ist der Bereich der Prävention nicht einfach zu evaluieren. Die
Messungen können sich natürlich nicht an einer konkreten Missbrauchssituation
orientieren. Von daher liegt die Konzentration „vielmehr auf indirekten Messungen“ der
Effektivität „und ist an der Frage orientiert, ob durch Präventionsprogramme Faktoren
beeinflusst werden, von welchen man glaubt, daß sie die Fähigkeit der Kinder beeinflussen,
sich vor einem sexuellen Mißbrauch schützen zu können“ 241. Die grundsätzlichen
Schwierigkeiten liegen also bereits darin, keine direkten Messungen durchführen zu
können.
238
Vgl.: Amann & Wipplinger, S. 663
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 449
240
Amann, G./ Wipplinger, R.: 1997, S. 663. ff.
241
Ebd., 1997, S. 663
239
- 74 -
Hinzu kommt, dass laut Bange nur ein geringer Teil der Studien in ihren Ergebnissen
tatsächlich aussagekräftig ist. Auch hier, wie bereits bei dem Problem der Erfassung des
Ausmaßes des Missbrauchs, sind die verwendeten Stichproben zum Teil zu gering, um
Ergebnisse generalisieren zu können. In Addition hierzu kommt es vor, dass entweder
keine Kontrollgruppe vorliegt oder die Ergebnisse nicht altersspezifisch differenziert
werden.242
Hauptproblem bleibt jedoch, konkrete Messinstrumente zu entwickeln, die dem
Evaluationsvorhaben angemessen sind. Bisher wurden in erster Linie Fragen gestellt, wie
beispielsweise: „Würdest du es einem Erwachsenen erzählen, wenn dich einer an den
Genitalen anfasst?“, um daran zu überprüfen, ob Kinder den Inhalt der Programme
verstanden und behalten haben. Kritisch daran ist, dass damit keinesfalls gewährleistet
wird, dass ein Kind das erworbene Wissen in einer konkreten Missbrauchssituation auch in
Handeln umzusetzen weiß. Zudem, so führt Bange aus, seien die Fragen und Situationsbeschreibungen zum Teil bereits beim Vortest so ‚kinderleicht’, dass fast alle Kinder sie
bestünden und also ein möglicher Effekt des Programms nicht mehr zu messen se.243.
Als weitere Schwierigkeit ist festzustellen, dass sich die Programme in diverser Hinsicht
unterscheiden, beispielsweise in Länge, Wahl der Begrifflichkeiten, dem Ort der Durchführung, der durchführenden Person, den verwendeten Materialien und den Methoden oder
auch darin, ob die Eltern mit einbezogen werden oder nicht. All diese Umstände machen
eine Evaluation, vor allem die Vergleichbarkeit der ermittelten Ergebnisse, äußerst
schwierig. Dennoch ist die Evaluation der präventiven Bemühungen von zentraler
Bedeutung und darf nicht an äußeren Bedingungen scheitern.
3.2.5.2. Ergebnisse der Evaluation
Amann und Wipplinger stellen eine Zusammenfassung diverser Studien, sowohl USamerikanischer wie auch deutscher, anhand von vier Leitfragen dar, die im folgenden die
Basis dieser Ausführungen bilden:
-
Nimmt das Wissen über den Missbrauch zu?
-
Nehmen die Fähigkeiten zu, angemessen in Missbrauchssituationen reagieren zu
können?
-
Können Kinder dieses Wissen bzw. ihre Fähigkeiten in realen, alltäglichen
Situationen adäquat einsetzen?
242
243
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 449
Vgl.: Bande, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 449
- 75 -
-
Nimmt die Rate zu, in der Kinder Erlebnisse eines sexuellen Missbrauchs
aufdecken?
Neben diesen Fragen sollen auch eventuelle unerwünschte negative Effekte Berücksichtigung finden.
Die reine Wissensvermittlung durch den Einsatz von Präventionsprogrammen wird in zahlreichen Studien empirisch belegt, sei es im sog. Prä-post-Vergleich244 oder im Vergleich
mit einer unbehandelten Kontrollgruppe245. Die Untersuchung von Leppich (2000) an einer
relativ kleinen Stichprobe stellt einen Wissenszuwachs in sechs der acht Themenfeldern
fest.
Bemerkenswert hierbei ist, dass besonders ältere Kinder ein größeres Wissen zeigen als
jüngere. Doch obwohl deutliche Lerneffekt verzeichnet werden, sind manche Programminhalte von Kindern leichter zu replizieren als andere. Leppichs Untersuchung zufolge
betreffen die Inhalte, die Kindern besondere Schwierigkeiten bereiten, das Recht auf Hilfe
und das Recht, ‚Nein’ zu sagen. Eck und Lohaus stellten den Bereich der Berührungen als
problematisch dar. Diese Befunde decken sich weitgehend mit denen US-amerikanischer
Forscher. Besonders jüngere Kinder hatten mit dem Konzept der Berührungen große
Schwierigkeiten. Allerdings wird dargestellt, dass Kinder aller Altersstufen den geringsten
Lernerfolg im Bezug auf Missbrauch durch Erwachsene, die sie gut kennen, hatten. Ebenso
hält Bange fest, dass nicht alle Kinder gleichermaßen von den Programmen profitieren und
bei einigen Untersuchungen sogar weniger als die Hälfte der Kinder einen Wissenszuwachs
zu verzeichnen hatte.
Während der Wissenszuwachs direkt nach dem Training deutlich messbar war, verblasste
er in Follow-up-Messungen246 langsam. Besonders betroffen waren jene Themenbereiche,
„die ihren Einstellungen und Erwartungen am stärksten Widersprachen“247. Finkelhor und
Dziuba-Leatherman fassen zusammen: „Mit der Zeit tritt ein gewisser ‚Schwund’ ein.“248
Insgesamt legen diese Befunde die Frage nahe, ob das Wissen bei späteren Follow-upMessungen noch einen befriedigenden Stand erreichen würde. Von daher fordern Amann
und Wipplinger die Abhaltung von sog. Booster-Sitzungen, bei denen „die Inhalte des
Trainings zu einem späteren Zeitpunkt erneut vertieft werden und so einen dauerhaften
244
Vgl.: Kraizer, Witte, Fryer 1989
Vgl.: Tutty, 1992
246
Nach 2 bzw. 8 Monaten
247
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 664
248
Finkelhor, D./ Dziuba-Leatherman, J.: In: Marquardt-Mau, B.: 1995, S. 88
245
- 76 -
Erfolg garantieren“ 249. Belege hierfür finden sich in der Studie von Hazzard et al. aus dem
Jahre 1991, wo die Kinder nach einer Booster-Sitzung bei einer Follow-up-Messung auch
nach einem Jahr keinerlei Wissenseinbußen, sondern sogar leichte Wissensverbesserungen
aufweisen konnten. Festzustellen ist nun, dass der Wissensstand verbessert worden ist,
wenn es auch einige Problemfelder gibt, die Kindern schwerer zu vermitteln sind. Das
Wissen geht mit der Zeit jedoch wieder verloren, wenn es nicht in regelmäßigen Abständen
aufgefrischt wird.
Die Prävention darf nicht bei der reinen Wissensvermittlung stehen bleiben, obwohl
adäquates Wissen über die Verhinderung von Missbrauch als zentrale Grundvoraussetzung
anzusehen ist. Doch neben dem reinen Wissen muss das Kind in der Lage sein, dieses
Wissen in entsprechende Handlungen und Verhalten umzusetzen. Amann und Wipplinger
verwenden hierfür den Begriff „Skills“250.
Das Erarbeiten adäquater Verhaltensweisen nimmt daher in vielen Programmen eine
besondere Bedeutung ein, wobei die Methoden hier sehr differieren. Die Ergebnisse der
Evaluationsbemühungen in diesem Bereich können als Indikatoren für die Verwendung der
Methoden im Zusammenhang mit dem gemessenen Erfolg gelten. So sind jene Projekte am
effektivsten, die handlungsorientiert sind und die Kinder zur aktiven Teilnahme auffordern.
Diejenigen Programme, die auf Rollenspielen basieren oder diese integriert haben, sind
solchen Projekten überlegen, in denen den Kindern das richtige Verhalten lediglich
vorgespielt wird. 251 Auch Amann und Wipplinger bestätigen diese Auffassung und stellen
dar, dass Modelllernen und Rollenspiele effektiver sind als jene Programme, „die sich auf
Einzellernen, wie dem Lesen von Büchern, oder passives Lernen wie Theateraufführungen
und Filme mit anschließender Diskussion, stützen“252.
Die Evaluation dieser Handlungsstrategien erfolgt häufig, indem Kinder befragt werden,
wie sie in einer Missbrauchssituation reagieren würden, wobei hauptsächlich verbale Daten
erhoben werden. Daneben gibt es auch Versuche, das konkrete Verhalten zu messen, wie
beispielsweise die Forschungsgruppe um Fryer und Kraizer.
Nach Beendigung eines acht Einheiten à 20 Minuten umfassenden Projekts wurde eine
Situation simuliert, in der ein unbekannter Mann „das jeweilige Kind im Treppenhaus der
Schule bat, mit ihm zum Auto zu kommen, da er Puppen für ein in der Schule
stattfindendes Puppenspiel holen müsse. Wenn das Kind zustimmte, sagte der Fremde, er
249
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 665
Ebd., S. 665
251
Bange, D.: HB, S. 450
252
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 666
250
- 77 -
würde später auf das Angebot des Kindes zurückkommen“253. Somit sollte verhindert
werden, dass die Kinder Angst bekämen. Dennoch gibt es Zweifel daran, ob solche Studien
ethisch vertretbar sind254.
Festzustellen ist jedoch, dass sich 78 % der Kinder der Experimentalgruppe im Gegensatz
zu 52 % der Kinder der Kontrollgruppe weigerten, dem Fremden zu folgen. Nach einem
halben Jahr wurde auch die Kontrollgruppe mit Hilfe des Programms geschult und die
Situation erneut simuliert. Dieses Mal lehnten es alle Kinder der vormaligen Kontrollgruppe ab, mitzugehen, ebenso leisteten die Kinder der ersten Experimentalgruppe, mit
zwei Ausnahmen, der Aufforderung nicht Folge.
Es wurde festgestellt, dass die Kinder „mit einem hohen Selbstwertgefühl erfolgreicher
waren als jene mit einem niedrigen und dass alle Kinder durch das Programm selbstbewusster wurden“ 255. Zudem stuft es Bange als bedenklich ein, dass zwei Kinder auch
nach zweimaliger Teilnehme an dem Programm noch immer der Aufforderung des
Fremden gefolgt wären.
Insgesamt muss hier gesagt werden, dass es besonders schwer ist, konkretes Verhalten zu
überprüfen. Wie der Versuch von Fryer und Kraizer zeigt, ist ein gewisser Erfolg in Bezug
auf die erlernten Handlungsstrategien zu verzeichnen, jedoch ist nicht zu belegen, ob
derselbe Effekt zu erzielen gewesen wäre, wenn es sich um den Kindern bekannte Personen
gehandelt hätte. Zudem stehen ethische Bedenken solchen ,gestellten’Überprüfungen
entgegen.
Die Frage nach der Umsetzung im Alltag korrespondiert mit dem eben beschriebenen
Versuch von Fryer und Kraizer. Doch ist festzuhalten, dass ein Großteil der Studien nicht
überprüft, ob Kinder das in den Programmen Gelernte auch tatsächlich in ihrem
alltäglichen Leben umsetzen.256 Hier ist ein Defizit festzustellen, das hauptsächlich seine
Wurzeln in der äußerst schweren Überprüfbarkeit der Anwendung hat. Dennoch ist es von
hoher Bedeutung, diesem Bereich der Evaluation besondere Aufmerksamkeit zu widmen,
wie die Ergebnisse von Downer zeigen. In seiner Studie „konnten 94 % der Kinder zwar
sagen, was selbstsicheres Verhalten wäre, aber nur 47 % konnten auf eine Mißbrauchssituation adäquat reagieren“257.
Die Erfolge der Sekundärprävention, wonach die Präventionsprogramme eine aufklärende
Wirkung haben sollen, konnte ebenfalls in Studien bestätigt werden. Anhand der Studien
von Kolko et al. (1987, 1989) und Hazzard et al. (1991) stellen Anmann und Wipplinger
253
Bange, D.: HB, S. 451
Vgl.: Koch, H./ Kruck, M.: 2000, S. 49
255
Vgl.: Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 451
256
Vgl.: Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 665
254
- 78 -
dar, dass Kinder, die an einem Präventionsprogramm teilgenommen haben, im Anschluss
häufiger über einen sexuellen Missbrauch berichten. Einer Studie von Beland (1986)
zufolge konnte sogar eine Verdopplung der Aufdeckungen sexuellen Missbrauchs an
denjenigen Schulen festgestellt werden, in denen Präventionsprogramme durchgeführt
wurden.258 Somit kann den Präventionsprogrammen eindeutig eine aufdeckende Wirkung
zugesprochen werden, obwohl „dieser wichtige Effekt [...] in der Literatur häufig nur am
Rande erwähnt“259 wird.
Zudem ist festzustellen, dass Kinder nach Abschluss des Trainings häufiger mit ihren
Eltern über das Thema sprechen.
Einen weiteren beachtenswerten Punkt bei der Evaluation bilden die bereits kurz
angesprochenen altersspezifischen Unterschiede in der Effektivität des Trainings. Nach
Amann und Wipplinger wird dargestellt, dass bei dreijährigen Kindern bereits eine Woche
nach Durchführung des Programms nichts mehr von den vermittelten Inhalten festgestellt
werden konnte. Auch bei den 4-5jährigen „waren es mehr als 55 %, die keine der
vermittelten Skills reproduzieren konnten“260. Jüngere Kinder scheinen besonders mit
komplexer und abstrakter Thematik, wie beispielsweise der Konzeption der ,Berührungen’,
Schwierigkeiten zu haben.
3.2.5.3. Negative Effekte der Prävention
In unterschiedlichen Studien wurden die weiter oben angeführten befürchteten negativen
Effekte, wie beispielsweise das Auslösen von Ängsten, beleuchtet. Die meisten der Studien
erbrachten keinerlei Hinweise auf negative Effekte, eher im Gegenteil weisen manche auf
„eine Verminderung von Ängsten oder eine Abnahme von Verhaltensproblemen hin“ 261.
Lediglich in vereinzelten Studien lassen sich negative Reaktionen auf Programme finden262,
jedoch werden diese Befunde von Haugaard und Reppucci dahingehend als positiv
gewertet, dass ein längerandauernder Effekt dann eintritt, wenn eine emotionale Berührung
hervorgerufen wird.
Zudem gibt der überwiegende Teil der Kinder an, dass sie die Präventionsprogramme als
hilfreich empfunden und Spaß daran gehabt hätten263.Bange stellt zusammenfassend fest:
257
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 665
Vgl.: Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 666
259
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 451
260
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 667
261
Ebd., 1997, S. 666
262
Beispielsweise 5% in der Studie von Swan et al. (1985).
263
Vgl.: Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 450
258
- 79 -
„Die Prävention wirkt sich offenbar nicht negativ auf die Einstellung der Kinder zur
Sexualität aus. Im Gegenteil zeigen mehrere Studien, dass die Kinder im Anschluss
an ein Projekt Berührungen positiver werten, ihren Körper besser kennen und
offener mit Sexualität umgehen.“264
Somit können die Bedenken gegenüber einer negativen Auswirkung der Prävention nach
derzeitigem Forschungsstand weitgehend ausgeräumt werden, doch muss nochmals auf die
Wichtigkeit der Einbettung in eine allgemeine Sexualkunde hingewiesen werden, um
mögliche negative Effekte so weit wie möglich ausschließen zu können.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass es bisher durch keine Studie nachgewiesen werden
konnte, dass „Programme zur Prävention von sexuellem Mißbrauch tatsächlich die
Häufigkeit von sexuellem Mißbrauch reduziert haben“265. Dennoch weisen die Ergebnisse
der Evaluation darauf hin, dass die Programme durch eine Verbesserung des Wissens und
die Vermittlung von Handlungsstrategien und Fertigkeiten geeignet sind, Kinder darin zu
unterstützen, sich vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Allerdings bieten sie, wie
angesprochen, keine Garantie.
Darüber hinaus bleibt unklar, ob es Kindern gelingt, die erlernten Fähigkeiten in alltägliche
Situationen umzusetzen, ebenso wie es unklar bleibt, „ob die in den Programmen
enthaltenen Bausteine zur Prävention von sexuellen Mißbrauch notwendig oder
hinreichend sind, auch wenn es aufgrund von theoretischen Überlegungen so scheint“266.
Was die Sekundärprävention anbelangt, bietet sich ein deutlicheres Bild: Präventionsprogramme sind durchaus dazu geeignet, Kinder zu befähigen und ermutigen, über einen
Missbrauch zu sprechen und diesen sogar ggf. aufzudecken. Bereits damit erfüllen sie eine
Funktion von enormer Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die teilweise jahrelang
andauernden Missbrauchssituationen.
3.2.6. Kritik an der bisherigen Präventionsarbeit mit Kindern
Anhand der aufgezeigten Inhalte, den Methoden und Materialien, vor allem aber aufgrund
der Ergebnisse sind zahlreiche Bedenken gegenüber der Prävention mit Kindern bzw. den
Präventionsprogrammen laut geworden.267 Im Folgenden soll diese Kritik, die teilweise an
264
Loc. cit.
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 668
266
Loc. cit.
267
Vgl.: Koch und Kruck 2000, Amann und Wipplinger 1997, Lohaus und Schorsch 1997, WehnertFranke, Richter-Appelt, Gaenslen-Jordan 1992.
265
- 80 -
anderer Stelle bereits angeklungen ist, dargestellt und in einer abschießenden
Schlussbetrachtung zusammengefasst werden.
Amann und Wipplinger führen als grundlegende Kritik an den Präventionsprogrammen aus,
dass „sie beim schwächsten Glied in der Kette des sexuellen Mißbrauchs - bei den Opfern –
ansetzen und damit eigentlich diesen Opfern die Verantwortung für die Beendigung des
sexuellen Mißbrauchs aufbürden“268. Kinder, die trotz der erlernten Präventionsregeln den
Missbrauch weder beenden noch aufdecken können, laufen leicht Gefahr, sich noch
schuldiger zu fühlen und werden so noch weiter in die Isolation getrieben. Doch bietet diese
Gruppe den Vorteil der leichten Verfügbarkeit und kann leichter „zu pädagogisieren“ 269
sein.
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich vor allem auf die Durchführung der Programme, mit
der meist externe Personen betraut sind. Diese entstammen meist nicht dem direkten
Umfeld bzw. dem persönlichen Bereich der Kinder und haben daher keinen Einblick in den
allgemeinen Erzeigungsstil, dem die Kinder üblicherweise ausgesetzt sind. Hierbei ist
besonders problematisch, dass die vermittelten Handlungsweisen nicht denen des
Elternhauses oder der ErzieherInnen bzw. LehrerInnen entsprechen oder ihnen gar
entgegenstehen können. Entsprechend kann ein verändertes Verhalten des Kindes von
seiner Umwelt negativ bewertet werden, was sich zum Teil durch mangelndes Verständnis
und Unterstützung ausdrückt, ganz im Gegensatz zu dem im Programm gelernten. Dies
kann die Hilflosigkeit der Kinder weiter verstärken.
Eine von Amann und Wipplinger zitierten Studie von Briggs (1991) zufolge erleben Kinder
sehr häufig, dass sie selbst dann keine Unterstützung erfahren, wenn sie Eltern oder
LehrerInnen von „beunruhigenden Geheimnissen“270 berichten. Vielmehr machen Kinder
die Erfahrung, dass Erwachsene ihren Widerstand amüsant finden. Diesen Ergebnissen
zufolge ist es kontraproduktiv, Kindern zu vermitteln, dass sie sich Hilfe holen und sich
gegen unangenehme Berührungen zur Wehr setzen dürfen, wenn nicht auch Eltern und
LehrerInnen lernen, Kinder mit ihren Problemen ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und ihre
Rechte wahrzunehmen.
Wie bereits angesprochen, besteht ein wesentlicher Kritikpunkt darin, dass die meisten
Programme einen Bezug auf Sexualität möglichst zu vermeiden suchen. Zum einen wird
dadurch zwar die Akzeptanz der Programme bei LeherInnen und Eltern erhöht und der
Eingang in die Unterrichtscurricula erleichtert, zum anderen wird aber die Atmosphäre der
Heimlichkeit und des Unaussprechlichen verstärkt, was eine Aufdeckung des Missbrauchs
268
269
270
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 668
Loc. cit.
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 669
- 81 -
erschwert. So entsteht die bereits erwähnte Double-bind-Situation, bei denen das Kind
einerseits ermutigt wird, über einen eventuellen Missbrauch zu sprechen, aber andererseits
wird impliziert, Sexualität sei etwas, worüber man nicht spreche.
Sehr häufig werden vor diesem Hintergrund weder Geschlechtsteile noch sexuelle
Handlungen klar benannt, sondern im Sinne „Der Bereich, der durch die Badehose bedeckt
wird“, umschrieben. An die Stelle klarer Worte treten abstrakte Konzepte, wie das der guten
und der schlechten Berührungen. Dadurch werden Kinder jedoch eher verwirrt und „können
nicht begreifen, um was es dabei geht – was die Ängste verstärkt“271.
Da den Kindern somit kein geeignetes Vokabular zu Thema Sexualität an die Hand gegeben
wird, ist es für sie schwieriger, über sexuellen Missbrauch zu sprechen, was in Anbetracht
der grundsätzlichen seelischen Überwindung ein zusätzliches Problem darstellt. Kinder sind
hingegen eher in der Lage, einen sexuellen Missbrauch aufzudecken, wenn sie über ein
adäquates
Vokabular
verfügen,
was
demzufolge
ein
zentrales
Anliegen
der
Präventionsprogramme sein sollte. Stattdessen wird implizit ein „diffuses, geheimnisvolles
und überwiegend negatives Bild von Sexualität gezeichnet“272. So scheinen die Programme
eher den Bedürfnissen der Erwachsenen als denen der Kinder zu entsprechen und
verurteilen Programme, die Kinder als asexuelle Wesen begreifen, zum scheitern.
Auch die in den Programmen dargestellten Situationen sind nicht als repräsentativ für das
tatsächliche Missbrauchsgeschehen anzusehen, da sie wesentliche Aspekte ausblenden. Hier
ist wieder auf die Definition von sexuellem Missbrauch zu verweisen, die auch Handlungen
ohne Körperkontakt mit einschließen. So werden in beinahe allen Programmen „sexuelle
Nicht-Körperhandlungen, wie Exhibitionismus, das Betrachten des nackten Körpers des
Kindes oder das Anfertigen von pornographischem Material“ 273 nicht beachtet.
Eng mit dieser Problematik zusammenhängend ist die Frage, inwieweit die subtilen
Strategien der Täter und ihr tatsächliches Vorgehen explizit thematisiert werden. So bauen
die Täter eine Beziehung zum Kind häufig sehr langsam und mit Bedacht auf, nutzen die
emotionalen Bedürfnisse der Opfer aus und versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Dementsprechend sind die Gefühle des Opfers nicht selten ambivalent und die Beziehung
wird häufig als positiv beschrieben. Die sexuellen Annährungen finden schleichend statt, so
dass die Kinder diesen erst sehr spät wahrnehmen und dann bereits soweit darin verstrickt
sind, dass die Anwendung der erlernten Strategien fraglich erscheint. Dabei ist die
Konzentration besonders der älteren Programme auf den Fremdtäter hinderlich, jedoch noch
immer Hauptgegenstand vieler Präventionsprogramme.
271
272
273
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 669
Loc. cit.
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 670
- 82 -
Den Kindern werden in den meisten Programmen Strategien vermittelt, wie sie sich gegen
einen möglichen Missbrauch zur Wehr setzen können. Doch bleibt fraglich, ob sie diese
Strategien im Falle eines tatsächlichen Übergriffs erfolgreich einsetzen können, sprich ob
sie sich überhaupt erfolgreich wehren können. „Kinder werden der Autorität und der
körperlichen, kognitiven und materiellen Übermacht der Erwachsenen immer unterlegen
sein.“274
Zudem muss bezweifelt werden, dass Kinder in der Lage sind, die häufig emotional sehr
berührenden Missbrauchssituationen, insbesondere wenn der Täter aus dem persönlichen
Nahbereich des Opfers stammt, mit Hilfe der erlernten Strategien zu beenden. Denn der
„empowerment“-Ansatz negiert zumeist, dass der Missbrauch meist vor dem Hintergrund
des Vertrauens, der Nähe und der Abhängigkeit geschieht, was es dem Kind besonders
schwer macht, sich dem Missbrauch zu widersetzen. Insgesamt werden die Nöte der Kinder,
ihre Schuldgefühle, Verleugnungen und ihre Sprachlosigkeit in den vorliegenden
Programmen zu wenig thematisiert.
Ein
weiterer
Kritikpunkt
von
großer
Bedeutung
ist
die
kaum
vorhandene
entwicklungspsychologische und lerntheoretische Konzeption der Programme. Tharinger et
al. (1998) bemerken in ihren Studien, dass lediglich 2 % der Programme diese Aspekte in
ihren Konzeptionen berücksichtigen, was sich heute wenig geändert hat. Dementsprechend
weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Programme bei jüngeren Kindern einen eher
geringen Effekt haben. Nach Piaget sind Kinder im Alter von 2 - 6 Jahren nicht in der Lage,
unklare abstrakte Konzepte wie Geheimnisse, Kinderrechte oder Intuition zu verstehen
Ebenso ist es ihnen unmöglich, mehrdimensionale Konzepte, wie beispielsweise das der
Berührungen, zu erfassen. Damit ist fraglich, ob Programme in ihrer jetzigen Form geeignet
sind, auch kleinen Kindern zu nutzen. Dennoch propagieren einige Autoren diese
Durchführung bei jüngeren Kindern, wobei sie auf einen sog. „Sleeper“-Effekt hoffen, der
die Kinder befähigt, trotz fehlenden Verständnisses die Inhalte zu verarbeiten und die
Effektivität eines späteren Trainings zu erhöhen.275
Auch die Erwartung der Programme, Kinder könnten angeben, wie sie in bestimmten
Situationen handeln würden, ist unrealistisch, da Kinder unter sechs Jahren noch nicht das
Denken auf dieser Metaebene erlernt haben.
An diesen Ausführungen wird deutlich, wie zentral die möglichst genaue Abstimmung der
Programme auf die Zielgruppe ist.
274
275
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 670 f.
Vgl.: Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 671
- 83 -
Neben der kognitiven Entwicklung ist auch der moralische Entwicklungsstand von großer
Bedeutung, wie Amann und Wipplinger ausführen:
„Da es nach der Entwicklungstheorie von Piaget (1983, 1992) für Vorschulkinder
unmöglich ist, zwischen intern und extern zu unterscheiden, fühlen sich Kinder für alles,
was mit ihnen bzw. um sie herum geschieht, verantwortlich, auch wenn dies nicht real der
Fall ist. Entsprechend wird sich ein Kind bei einem sexuellen Mißbrauch immer schuldig
fühlen.“ 276
Ähnliches gilt auch für den Schwerpunkt der Programme, die dem Kind vermitteln sollen,
sich gegen den Täter zur Wehr zu setzen. Diese Forderung kollidiert mit der moralischen
Entwicklung jüngerer Kinder, deren Handlungsmöglichkeiten vor allem durch Belohnung,
Gehorsam und Bestrafung geprägt sind. Daher werden sich Kinder in erster Linie gehorsam
verhalten, und kaum in der Lage sein, ein vom Täter ausgehendes Schweigegebot zu
brechen.
Insgesamt entsteht bei der Betrachtung der Programme eher der Eindruck, die Konzeption
der Programme und die Inhaltsvermittlung folgt den Ansprüchen der Erwachsenen als
denen der Kinder, für die sie ja eigentlich konzipiert sein sollten. Um dies zu illustrieren,
werden von Amann und Wipplinger erneut die Studie von Briggs (1991) angeführt, die
diese Ansicht sehr anschaulich illustriert. Hier wird die Betrachtungsweise des Konzepts
des Fremden bei 5-jährigen Kindern näher betrachtet, wobei die zumeist kaum
befriedigenden Ergebnisse der Verhaltenstests ihre Erklärung finden. Demnach sind für
Kinder Fremde sofort erkennbar, „sie sehen böse aus, sind haarig und gleichen den
Monstern, vor welchen sie sich fürchten. Diese Fremden brechen in Häuser ein und
entführen Kinder. Es ist nicht überraschend, daß alle Kinder angeben, noch nie einen
Fremden gesehen zu haben.“277
Der Bedarf, die Programme in vielerlei Hinsicht neu und nach entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten wenigstens zu überarbeiten, wird hier offensichtlich.
3.2.7. Folgerungen
Die angeführte Kritik gegenüber der gängigen Präventionspraxis legt nahe, gewisse
Aspekte grundlegend zu überdenken. Ebenso muss im Bezug auf die Sekundärprävention
vor dem Durchführen der Programme klar sein, wie im Falle einer Aufdeckung von
sexuellem Missbrauch zu verfahren ist.
276
277
Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 672
Ebd., S. 673
- 84 -
Zu der Verbesserung der Programme und den Materialien ist in erster Linie anzuführen,
dass diese in entwicklungspsychologischer Hinsicht zu überprüfen sind, da sie sich oft eher
an den Bedürfnissen der Erwachsenen statt an denen der Kinder orientieren. Vor allem
müssen „abstrakte, diffuse und mehrdimensionale Konzepte vermieden“278 werden, die vor
allem jüngere Kinder überfordern. Es erscheint im Hinblick auf diese Zielgruppe
sinnvoller, eher einfache und konkrete Regeln vorzugeben, wie etwa, welche Berührungen
,o.k.’ sind und welche nicht. Grundsätzlich sollten alle Programme und Materialien vor
ihrem Erscheinen ausgiebig getestet werden, um zum einen keine falschen Erwartungen zu
wecken und zum anderen ihre Wirksamkeit in Bezug auf die Zielgruppe festzustellen.
Dabei ist ebenso die Sichtweise der Kinder in der Bearbeitung der Themen zu beachten.279
Bange führt zudem an, dass vor allem ältere Kinder in stärkerem Maße auf das subtile und
raffinierte Vorgehen der Täter vorzubereiten280 sind, um ihnen so einen möglichst
realistischen Einblick in das Missbrauchsgeschehen vermitteln zu können. Je genauer ein
Kind weiß, worin die Strategien der Täter bestehen, desto eher kann es in die Lage versetzt
werden, diese zu durchschauen und wahrzunehmen.
Auch im Bereich der Methodenauswahl sind einige Verbesserungen erstrebenswert. So
sollten unterschiedliche Methoden bei der Vermittlung der Präventionsinhalte eingesetzt
werden, wobei die Kinder grundsätzlich mehr erinnern, wenn sie sich aktiv an der
Gestaltung und Erarbeitung beteiligen können. Am besten sollten die Kinder in Form von
Rollenspielen ihr erworbenes Wissen in Handlungen umsetzen können. Ebenso muss
genügend
Zeit
für
Gespräche
eingerechnet
werden,
da,
wie
festgestellt,
Präventionsprogramme eine hohe aufdeckende Wirkung haben. Der Zeitrahmen, der bei
vielen Programmen etwa zwei Stunden beträgt, ist also viel zu eng. Auch sollte Prävention
in gewissen Zeitabständen wiederholt und fortgeführt werden, wenn eine curriculare
Einbindung
schon nicht möglich ist. Zudem bilden die Eltern einen unverzichtbaren
Bestandteil der Prävention, da sie wesentlichen Anteil an der Erziehung des Kindes haben
und ihre Teilnahme die Wirkung des Programms erhöht.
Weiterhin sieht Bange als zentrale Forderung, dass „einer kindgerechten Prävention [...]
Sexualerziehung vorausgehen“ müsse. „Denn Mädchen und Jungen können sich besser
schützen, wenn sie einen positiven Zusammenhang von Sexualität, Freude, Zuneigung und
Lust
erleben.“281
Diese
Aufgabe
fällt
klar
in
den
Bereich
der
schulischen
278
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 453
Vgl.: Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 673
280
Vgl.: Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 453
281
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 453
279
- 85 -
Präventionsmöglichkeiten. Darum muss das Gespräch über die eigene Sexualität und das
eigene Zärtlichkeitsbedürfnis einen mindestens ebenso großen Raum einnehmen wie er für
die Prävention an sich aufgewendet wird. Auch sollte im Rahmen der Sexualerziehung eine
gemeinsame Sprache für die Sexualität erarbeitet werden, was den Kindern ein
angemessenes Vokabular ermöglicht, um einen Missbrauch aufzudecken. 282 Zudem darf
Sexualität nicht als etwas ,Schmutziges, Heimliches’ dargestellt werden, damit die
angesprochenen Double-bind-Situationen verhindert werden kann. Vor diesem Hintergrund
muss es Aufgabe eines jeden Präventionsprogramms sein, eine kindgerechte Definition
sexuellen Missbrauchs zu liefern.
Die
Feststellung,
dass
einige
Kinder
trotz
mehrmaliger
Schulung
durch
Präventionsprogramme kaum von ihnen profitieren, muss größere Berücksichtigung finden,
daher sind die Angebote stärker zu differenzieren. Da vor allem unsichere Kinder zu dieser
Gruppe gehören, ist es besonders wichtig, deren Selbstbewusstsein zu fördern.
Insbesondere fällt auf, dass es für Kinder in sonderpädagogischen Einrichtungen kein
entsprechendes Material zur Prävention gibt, allerdings widmet sich Seligmann der
Problematik der Prävention mit behinderten Kindern283.
Auch für Kinder
mit Migrantenhintergrund wurde bisher kein entsprechendes
Präventionsmaterial vorgelegt.
Generell fasst Bange zusammen:
„Hinsichtlich der Prävention mit Kindern ist abschließend festzustellen, dass
Kinder sich letztlich gegen einen überlegenen Menschen nicht wehren können,
wenn der Täter das Kind wirklich missbrauchen will. [...] Doch viele Kinder
werden durch die Prävention in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und lernen es
auch, gefährliche Situationen besser zu erkennen und eventuell zu vermeiden. Da
selbstbewusste und informierte Kinder Täter abschrecken, ist dies eine wichtige und
lohnende Aufgabe der Prävention!“284
Dennoch darf nicht die Illusion aufkommen, sexueller Missbrauch ließe sich durch
Prävention, insbesondere durch den Schwerpunkt der Prävention mit Kindern, völlig aus
der Welt schaffen. Für die Lösung dieses gesellschaftlichen Problems, denn anhand der
Ausmaße muss es als solches gesehen werden, sind allein und ausschließlich Erwachsene
verantwortlich, was sich in der Aussage von Koch und Kruck widerspiegelt:
282
283
Vgl.: Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 673
Vgl.: Seligmann, S.: 1996, S. 71 ff.
- 86 -
„Die Prävention mit Kindern sollte in Zukunft nicht als Hauptaspekt der gesamten
Prävention, sondern als ein Teil von dieser gesehen werden – als ein
Präventionselement, das wichtig ist, da es helfen kann, die Not der Kinder zu
mindern, das jedoch alleine nicht ausreicht, um gegen sexuellen Missbrauch
wirksam zu werden.“285
Amann und Wipplinger verweisen zudem auf Finkelhor, der die Aufgabe der
Präventionsprogramme dahingehend erweiternd definiert, dass sie auch gesellschaftliche
Maßnahmen, wie beispielsweise eine Veränderung des männlichen Rollenverständnisses,
umfassen sollten, um so den Bedingungen und Ursachen von sexuellem Missbrauch
entgegenzuwirken. 286 Anzumerken ist hierbei, dass es eine Fülle unterschiedlicher
Ursachenverständnisse gibt
und aller Voraussicht nach kaum
eine allgemeine
Übereinstimmung zwischen den diversen Programmen an sich auftreten wird.
Insgesamt ist festzuhalten, dass es nach wie vor einer großen Anstrengung bedarf, um
allein die Prävention mit Kindern wirksamer zu gestalten. Die aufgezeigten Kritikpunkte
werden im Folgenden in Form einzelner „Präventionsbausteine“ betrachtet und in den
Präventionskontext
vor
dem
Hintergrund
schulischer
Aufklärungsmöglichkeiten
eingeordnet.
Da deutlich geworden ist, dass sowohl Eltern als auch LehrerInnen eine bedeutende
Funktion in der Präventionsarbeit übernehmen können, soll zunächst ihre Rolle genauer
betrachtet werden um anschließend die erarbeiteten Präventionsbemühungen vor dem
Hintergrund der schulischen Rahmenbedingungen zu betrachten.
3.3. Prävention durch Elternbildung
,Kinder an sich auch eine „Elternbildung“ stattfinden, um eine eventuelle Skepsis den
Programmen gegenüber gar nicht erst aufkommen zu lassen. Durch die Einbeziehung wird
es Müttern und Vätern ermöglicht, an der Prävention teilzunehmen, sie zu verstehen und zu
unterstützen und auf diese Weise einen Bezugspunkt zu haben, wenn ihre Kinder nach
Absolvierung eines Workshops Veränderungen zeigen. Den Eltern kommt also bei allen
Präventionsmaßnahmen eine enorme Bedeutung zu, denn sie als Repräsentanten des
engsten Umfeldes sind auch die ersten Adressaten dieser Veränderungen und können sie
284
285
Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 454
Koch, H./ Kruck, M.: 2000, S. 34
- 87 -
entsprechend fördern. Unterstrichen wird dies durch die Tatsache, dass die Familie ein
potentiell gewaltträchtiges Umfeld für die Kinder darstellen kann.
Vor diesem Hintergrund soll nun, nachdem die Präventionsarbeit mit Kindern betrachtet
wurde, auch eine mögliche Prävention mit den Eltern erörtert werden, wobei die Situation
der Eltern betrachtet und darauf aufbauend gewisse Grundsätze der Elternbildung mit ihren
Inhalten und Zielen verdeutlicht werden.
3.3.1. Die Situation der Eltern
Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Eltern eher verunsichert sind, wenn es um den Bereich
des sexuellen Missbrauchs geht. Wie Kirchhoff ausführt, tragen vor allem die Medien
durch ein Überangebot an Informationen und häufig skandalisierende Präsentation des
Themas eher zur Desinformation bei.287und heizen die ohnehin emotionsgeladene Situation
noch weiter an. Die Gefühlsbreite umfasst Wut, Trauer, Rache, Angst, Zorn, Verleumdung
und Neugier, Bedrohung, sexuelle Erregung, Faszination oder Abwehr.288 Vor allem aber
haben die Eltern Angst um ihre Kinder und wollen sie schützen. Dazu fehlt es ihnen aber
an Vorbildern und Kenntnissen präventiver Erziehung; ebenso herrscht ein Mangel an
seriösen Informationen.289
Die Elternbildung spricht die Eltern daher in ihrer jeweiligen Situation von Problemen,
Kompetenzen und Defiziten an, „d.h. sie mischt sich in die Privatsphäre von (unbekannten)
Menschen ein“290. Von daher sind belehrende oder vorwurfsvolle Untertöne ebenso zu
vermeiden
wie
Forderungen
und
Überforderungen.
„Dagegen
sollte
sie
eine
Entlastungsfunktion haben, unterstützen und Mut machen. Kooperation, Dialog und
Austausch sind zentrale Stichworte.“291
3.3.2. Grundsätze der Elternbildung in der Prävention
Die Bildung der Eltern ist ein sehr diffiziles Thema, ausgehend von der eben dargestellten
Situation, in der sie sich befinden. Von daher liegen ihr gewisse Prämissen zugrunde, die
im Folgenden erläutert werden sollen.
286
Vgl.: Amann, G./Wipplinger, R.: 1997, S. 674
Vgl.: Kirchhoff in Enders
288
Vgl.: Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 420
289
Vgl.: Knappe, A.: S. 243 ff.
290
Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 420
291
Ebd., 2001, S. 421
287
- 88 -
„Eltern“ sind Frauen und Männer und agieren als solche. Es ist erwiesen, dass besonders
Väter bei der Elternbildung unterrepräsentiert sind. Braun führt hierzu aus: „Wenn der
Elternabend unbeabsichtigt mit einem Fußballspiel zusammenfällt, kommt es schon mal zu
‚Mütterbildung’.“292 Daher ist ein solcher Abend unter geschlechtsspezifischen Aspekten
zu planen, wobei es auch sinnvoll sein kann, reine Väter- bzw. Mütterabende zu
veranstalten. Lercher, Derler und Höbel führen jedoch an, es sei bei Väterabenden zu
berücksichtigen, dass es kaum versierte Fachleute gebe, Väter schwer zur Teilnahme zu
motivieren seien und letztlich keine Konzepte für solche Abende vorlägen.293
Weiterhin muss die hohe Heterogenität berücksichtigt werden, was beispielsweise
Bildungsgrad, Interesse, Vorwissen oder auch Geschlecht angeht. Von daher sollte sich die
Veranstaltung in einem Rahmen bewegen, dessen Niveau möglichst viele Teilnehmer
anzusprechen vermag. Zudem könnte überlegt werden, die Zielgruppe „Eltern“ um weitere
Bezugspersonen wie Großeltern, Onkel, Tanten, Mitbewohner, Nachbarn etc. zu erweitern,
da auch sie einen großen Anteil an der Erziehung der Kinder haben.
Zusätzlich ist zu bedenken, dass möglicherweise unter den Anwesenden sowohl von
sexueller Gewalt Betroffene (entweder in eigener Person oder als Eltern eines solchen
Kindes) als auch Ausübende sexuellen Missbrauchs befinden könnten.
Diese Voraussetzungen und Überlegungen machen die Schwierigkeiten der Elternbildung
als solche deutlich und erfordern Inhalte, die dieser Erkenntnis Rechnung tragen.
3.3.3. Inhalte und Ziele der Elternbildung
Nach wie vor bilden Informationen über Hintergründe und Fakten sexuellen Missbrauchs
die Grundlage jeglicher Präventionsarbeit. So steht hier auch zunächst die Vermittlung von
Wissen im Vordergrund, um eventuell bestehende extreme Auffassungen zu relativieren
und falsche Vorstellungen und Klischees zu eliminieren.
Braun stellt in ihrem Beitrag die Themen dar, die erörtert werden sollten294:
292
293
-
Was ist sexueller Missbrauch?
-
Wie verbreitet ist er?
-
Wer ist betroffen oder gefährdet?
-
Wie erleben betroffene Kinder die sexuelle Gewalt?
-
Was sind die Ursachen?
Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 421
Vgl.: Lercher, L./ Derler, B./ Höbel, U.: 1995, S. 146 f.
- 89 -
-
Was wissen wir über die Täter und Täterinnen?
Darüber hinaus muss ein Basiswissen über Prävention und die Umsetzung einer
präventiven Erziehungshaltung vermittelt werden. Insbesondere dem Erziehungsverhalten
kommt besondere Aufmerksamkeit zu , um zu vermeiden, dass die elterlichen
Erziehungskonzepte den in der Prävention mit Kindern erarbeiteten nicht zuwider laufen.
Vielmehr sollen neue „Sichtweisen von kindlicher Entwicklung, kindlichem Verhalten und
vom
Umgang
zwischen
Erwachsenen
und
Kindern“ 295
entwickelt
und
so
Erziehungskompetenzen gestärkt oder ggf. modifiziert werden.
Bei der Konfrontation mit dem Konzept des ,empowerment’ ist es möglich, dass Eltern
durch das gewonnene Selbstvertrauen ihrer Kinder in der weiteren Erziehung verunsichert
werden. Diese Verunsicherung gilt es abzubauen, indem vermittelt wird, dass selbstsichere
Kinder durchaus nicht anstrengender und schwieriger sind, sondern eher entlastend wirken
können.296
Ganz allgemein geht es darum, Reflexion über das eigene Erziehungsverhalten anzuregen,
wobei nicht nur Einzelfragen wie etwa ,Nein-sagen’ erörtert werden, sondern das
Erziehungsverhalten in seiner Gesamtheit zur Debatte steht.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt bezieht sich nach Lohaus und Schorsch auf die
Sekundärprävention und vermittelt Wissen über
mögliche Anzeichen sexuellen
Missbrauchs sowie über den Umgang mit einer eventuellen Aufdeckung. Hierbei ist jedoch
mit besonderem Bedacht vorzugehen, um einerseits übertriebene Reaktionen und
fälschliche Anschuldigungen zu vermeiden; andererseits gilt es jedoch, die Möglichkeit des
Übersehens einer tatsächlichen Missbrauchssituation zu minimieren.297 Da beide
Verhaltensweisen zum Teil schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben können,
müssen unter anderem Handlungsanweisungen für einen solchen Fall gegeben werden.
Generell darf die Elternbildung keinesfalls belehrend, überheblich oder „entsetzlich“ und
energieraubend sein, sondern sie soll viel eher „Energie für eine präventive Erziehung
schaffen, sie soll Kraft geben und nicht Verzweiflung erzeugen“.298
294
Vgl.: Braun, G.: In: Kavemann, B.: 1997, S. 162
Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 422
296
Loc. cit.
297
Vgl.: Lohaus, A./ Schorsch, S.: In: Amann, G./ Wipplinger, R.: 1997, S. 684
298
Braun, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 423
295
- 90 -
3.4. Prävention durch Lehrkräfte
Im Rahmen der Präventionsarbeit nehmen die Pädagoginnen und Pädagogen eine
Schlüsselrolle ein. Wie die Studie des Niederländers Hoefnagels zeigt299, haben vor allem
Grundschulkinder zu dem Vertrauenslehrer oder der Vertrauenslehrerin eine besonders
intensive und persönliche Beziehung und bringen ihnen sehr viel Vertrauen entgegen.
Neben dieser besonderen Vertrauensstellung, welche die Lehrkräfte genießen, ermöglicht
ihnen vor allem der tägliche Kontakt mit den Kindern, deren kurz- und langfristige
Verhaltensänderungen zu erkennen, sei es im Umgang mit anderen Kindern oder
Erwachsenen, den Leistungen oder im allgemeinen Verhalten. Damit sind die Pädagogen
förmlich dazu prädestiniert, „daß ein sexuell mißhandeltes Kind frühzeitig Hilfe erfährt“300.
Doch hier treten massive Defizite auf, und zwar nicht nur im Bereich des Erkennens von
sexuellem Missbrauch, sondern sogar mit der Thematik im allgemeinen, wie Schele
ausführt: „Lehrkräfte, die sich zur Zeit in der Schulpraxis befinden, haben in aller Regel im
Laufe von Studium und Referendariat keinerlei Wissen über sexuelle Gewalt und ihre
Prävention
vermittelt
bekommen.“301
Zudem
ist
selbst
der
Basisbereich
der
Sexualpädagogik entweder gar nicht oder lediglich als fakultativer Bestandteil der
Ausbildung absolviert worden. Die Lehrkräfte sind zwar kompetent in der fachlichen
Qualifikation, häufig fehlt ihnen aber das Wissen um psychologisch–pädagogische
Themenfelder.
Die Schule als bildende und selektierende Institution, in der Benotung und Leistung die
Basis des Schulsystems bilden, verdrängt zunehmend die Wahrnehmung psychosozialer
Auffälligkeiten und Befindlichkeiten der SchülerInnen. 302
Tatsächlich gehen LehrerInnen gemeinhin davon aus, dass sexueller Missbrauch in ihrer
Klasse oder Schule nicht vorkommt, „beziehungsweise daß sie es merken würden, wenn
ein Kind sexuell mißbraucht würde“ 303. Aufgrund der hohen Dunkelziffer ist jedoch davon
auszugehen, dass jeder Lehrer und jede Lehrerin im Laufe der schulischen Tätigkeit mit
Betroffenen zu tun haben wird. Von daher ist es dringend erforderlich, sowohl in der
Primär- als auch in der Sekundärprävention den LehrerInnen die Möglichkeit zur
Qualifikation zu geben, wenn nicht gar sie obligatorisch in Aus- und Weiterbildung zu
verankern.
299
Hoefnagels, C.: In: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 151
Johns, I/ Marquardt – Mau, B.: In: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 265
301
Schele, U.: In.: Petze, 1996, S. 93 f.
302
Ebd., 1996, S. 95
303
Seligmann, S.: 1996, S. 57
300
- 91 -
Im folgenden wird es daher um die Aus- und Weiterbildung sowie die externen
Qualifikationsmöglichkeiten
von Lehrkräften gehen Zudem werden einige Punkte
beleuchtet, die es ihnen ermöglichen, präventive Erziehung in „ihrer“ Schule zu
verwirklichen.
3.4.1. LehrerInnen-Ausbildung
In der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer sind, wie angemerkt, gravierende Defizite
zu konstatieren. Gies stellt fest, dass es erst in jüngster Zeit an einigen Hochschulen,
insbesondere im Bereich der Frauenforschung, Seminarangebote zum Thema ‚Prävention
von sexueller Gewalt an Kindern’ gab. 304 Lappe ergänzt: „Die Regel ist dies nicht.“305 Es
bleibt nach wie vor der Eigeninitiative der zukünftigen PädagogInnen überlassen, das
nötige Fachwissen und die entsprechende Handlungskompetenz zu erwerben.
Ein zweites ernsthaftes Manko der LehrerInnen-Ausbildung sieht Lappe in Bezug auf die
Präventionsarbeit darin, dass eine verantwortungsvolle und sinnvolle Arbeit nur langfristig
möglich ist. „StudentInnen können nicht im Rahmen eines zwei- bis sechswöchigen
Schulpraktikums ein ‚bißchen Prävention machen’ und danach wieder aus der Klasse
verschwinden.“306 Solange die Kompetenz in diesem Themenbereich bei den Lehrenden
noch
gering
ist,
sollten
verstärkt
MitarbeiterInnen
aus
Beratungsstellen
und
Präventionsvereinen entweder in die Lehrveranstaltungen als Gastreferenten eingeladen
werden oder einen eigenen Lehrauftrag erhalten.307
Der Forderung von Koch und Kruck, bereits während des Studiums auf die Problematik
sexuellen Missbrauchs hinzuweisen und sie zum integralen Bestandteil der LehrerInnenAusbildung zu machen, kann nur unterstrichen werden.
Sie fordern weiterhin, dass
PädagogInnen „... für diese [Problematik H.B.] sensibilisiert werden, und daß sie ein
fundiertes Grundlagenwissen erlangen, Möglichkeiten der präventiven Arbeit im
schulischen Bereich kennen lernen und Qualifikationen für eine Präventionsarbeit
erwerben“.308
Natürlich darf kein Lehrer und keine Lehrerin zur Prävention gezwungen werden, doch
müssen ihnen Hilfe, Unterstützung und, so weit wie irgend möglich, entsprechende
Rahmenbedingungen für eine präventive Arbeit zuteil werden.
304
Vgl.: Gies, H. : 1995, S. 79
Lappe, K.: 1993, S. 34
306
Ebd., 1993, S. 35
307
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 79
308
Koch, H./ Kruck, M.: 2000, S. 67
305
- 92 -
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, aus welchen Gründen die wenigsten Lehrkräfte sich
dazu in der Lage fühlen, von sich aus präventive Arbeit in den Unterricht zu integrieren. Im
Hinblick auf eine derart mangelhafte Ausbildung im Bereich der Thematik „Prävention
sexuellen Missbrauchs“ stehen einer wirksamen Präventionsarbeit massive Unsicherheiten
im Hinblick auf diverse Tatbestände im Wege. Auf dieses Thema wird noch gesondert
eingegangen.
3.4.2. Fort- und Weiterbildung
Eine differenzierte und berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung sollte nicht nur die
Aufgabe des Sozialstaates sondern auch die der Schulträger sein.
309
Obwohl einige
Angebote zur Fort- und Weiterbildung im Bereich der Prävention sexuellen Missbrauchs
existieren, sind auch hier Defizite anzumerken.310
Wie in der Vergangenheit wird der Hauptteil der Fort- und Weiterbildung von Vereinen,
Initiativen, Arbeitskreisen oder örtlichen Berufsgruppen getragen, die bereits seit Jahren
Seminare und Tagungen zu diesem Themenbereich anbieten.311
Insgesamt ist festzuhalten, dass nach wie vor die Eigeninitiative der LehrerInnen gefordert
ist, sich in diesem Themenkomplex fortzubilden. Darüber hinaus stehen der Einzelperson,
die ja nicht losgelöst von der Institution Schule agieren kann, diverse Hemmnisse entgegen.
Neben dem hohen Maß interner Bereitschaft, dem Zeitaufwand und eventuellen
Widerständen und Unsicherheiten im Kollegium schränken auch die „Komplexität der
Anforderungen, mit denen LehrerInnen im Schulalltag ohnehin konfrontiert sind“,312 die
Handlungskompetenz ein. Hieraus ergeben sich unterschiedliche, durchaus nicht
unproblematische Voraussetzungen, mit denen sich die Lehrkraft befassen muss, um die
vielgeforderte „präventive Erziehungshaltung“ einnehmen zu können.
Anhand zweier Beispiele werden nun sowohl schulinterne als auch -externe Formen der
Fort- und Weiterbildung dargestellt.
309
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 79
Vgl.: Koch, H./ Kruck, M.: 2000, S. 66
311
Anm.: Angesichts fehlender öffentlicher Zuschüsse musste bspw. Zartbitter e.V. in Köln Seminare
zum Thema einstellen.
312
Schele, U.: In.: Petze, 1996, S. 96
310
- 93 -
3.4.2.1. SchiLF – eine landesweite Fortbildungsmaßnahme für LehrerInnen
Die folgenden Ausführungen über Schulinterne Lehrerfortbildungen (SchiLF) beziehen
sich auf die ausführlichen Darstellungen von Wanzeck-Sielert und werden hier in den
Grundzügen wiedergegeben.313
Bereits seit Ende 1993 bietet das Land Nordrhein-Westfalen für ganze Lehrerkollegien
schulinterne Orientierungsveranstaltungen sowie
schulexterne
Erweiterungs-
bzw.
Vertiefungsseminare für einzelne Lehrerinnen und Lehrer an.
Demnach ist SchiLF in zwei Teile untergliedert: es offeriert Orientierung für ein gesamtes
Kollegium einerseits und Vertiefung für einzelne Lehrkräfte andererseits.
Zunächst wird eine eineinhalbtägige schulinterne Lehrerfortbildung durchgeführt; dies mit
dem Ziel, „einführendes Orientierungswissen über sexuelle Gewalt und sexuellen
Mißbrauch an Mädchen und Jungen zu erlangen, sowie für auffällige Kinder und deren
Schwierigkeiten sensibler zu werden im Hinblick auf Wahrnehmung und pädagogisches
Verhalten“.314
Dazu werden
Konzepte
der
Persönlichkeitsbildung erarbeitet
und
ein
eigenes
Kooperationsnetz erschlossen, um die Möglichkeit zu gewährleisten, im Falle einer
Intervention kompetente Fachleute zur Verfügung zu haben.
Die Maßnahmen an sich finden in enger Abstimmung mit den Kollegien statt und werden
durch externe Moderatorinnen und Moderatoren unterstützt und begleitet.
Das Projekt gliedert sich in fünf Phasen:
Vorlaufphase:
Zunächst nimmt die Schule Kontakt zum Aus- und Fortbildungsdezernat der
Bezirksregierung auf. Daraufhin wird ein externes Moderatorenteam beauftragt, das Projekt
zu begleiten.
Einstiegsphase:
Das externe Moderatorenteam kontaktiert seinerseits die Schule und vereinbart ein
Vorgespräch. Kollegium und Moderatorenteam lernen sich kennen und konkretisieren
313
314
Wanzeck-Sielert, C.: In.: Marquardt-Mau, B.: 1995, S. 290 ff.
Ebd., 1995, S. 290 f.
- 94 -
Wünsche und Interessen für die Fortbildung. In diese Phase fällt auch die Klärung der
Rolle der ModeratorInnen, der Schulleitung und des Kollegiums.
Planungsphase:
Auf den jeweiligen Vorgesprächsergebnissen basierend, plant das Moderatorenteam die
Fortbildungsmaßnahme in Bezug auf Arbeitswege, inhaltliche Schwerpunkte, Materialien
und Methoden.
Durchführungsphase:
Das Team regt Prozesse für die Erarbeitung des Themas im Kollegium an, wobei es in der
Regel inhaltliche und methodische Unterstützung gibt. Weiterhin werden erste
Informationen zur Thematik gegeben und wichtige Arbeitsstrukturen für die Arbeit im
Kollegium festgesetzt.
Die ModeratorInnen verstehen sich eher als Prozessbegleiter, „leisten aber auch inhaltliche
und methodische Anregungen für die Formulierung von Handlungsplänen wie
Kooperationsideen oder konkrete Unterrichtsvorhaben“.315
Abschlussphase:
Hier werden die erarbeiteten Ideen konkretisiert, Vereinbarungen zur selbstständigen
Weiterarbeit im Kollegium getroffen und ein Feedback zur stattgefundenen Fortbildung
gegeben.
Neben dieser für gesamte Kollegien konzipierten Fortbildung besteht auch die Möglichkeit
für einzelne Lehrkräfte, ein vertiefendes Fortbildungsangebot wahrzunehmen. Dieses
erstreckt sich über ein halbes Jahr, mit neun eintägigen und einer zweieinhalbtägigen
Veranstaltung, wobei maximal 20 Personen teilnehmen können. Ziel ist es, die Möglichkeit
einer Spezialisierung, Konkretisierung und Differenzierung im Hinblick auf die besonderen
Aufgabenfelder der Lehrkräfte zu eröffnen.
Für diese erweiterte Fortbildung ist das Aus- und Fortbildungsdezernat der jeweiligen
Bezirksregierung des Landes verantwortlich. Die Durchführung obliegt gleichfalls einem
Moderatorenteam und „sollte nach Möglichkeit außerhalb der Schule stattfinden“.316
315
316
Ebd., 1995, S. 293
Loc. cit.
- 95 -
Auch hier wird deutlich, dass die Schule sich in der Verantwortung sieht, aktiv zu werden
und sich um Fortbildungsangebote zu bemühen. Positiv ist zu werten, dass bei der
erstgenannten Maßnahme das gesamte Kollegium einbezogen und so eine eventuelle
Stigmatisierung einer einzelnen Lehrkraft verhindert wird.
Die erweiterte Fortbildung ist in ihrem Ansatz als sinnvoll zu bewerten, aber der zeitliche
Abstand
der
einzelnen
Veranstaltungen
kann
den
Lernerfolg
doch
erheblich
beeinträchtigen. Zudem stellt sich die Frage, inwiefern der Wissenstransfer der
außerschulischen Veranstaltungsstätte in das gewohnte Klassenzimmer gelingt.
3.4.2.2. Qualifikation der PädagogInnen am Beispiel von STROHHALM e.V.
Eine weitere Möglichkeit, LehrerInnen in der Prävention sexuellen Missbrauchs zu
schulen, besteht in der Anwendung von vorliegenden Präventionsprogrammen.
Absatz Exemplarisch soll hier die Qualifikationsvermittlung für Pädagogen anhand des
Präventionsprogramms
von
STROHHALM
e.V.
dargestellt
werden,
deren
Präventionsarbeit sich „in erster Linie an professionelle PädagogInnen“ 317 richtet. Das
Programm sieht sechs Phasen vor, von denen sich vier direkt auf die Arbeit mit den
Pädagogen beziehen. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass sich immer mindestens ,zwei
Personen
an dem Programm beteiligen, um die
eventuelle Isolation einer einzelnen
Lehrkraft innerhalb des Kollegiums zu verhindern.
Ausgangsbasis ist hierbei das erste Vorbereitungstreffen. Zunächst geht es um eine
grundsätzliche Einführung in die Thematik des sexuellen Missbrauchs, wobei die
Unverzichtbarkeit vertiefender Lektüre unterstrichen wird. Besonders nachdrücklich betont
STROHHALM e.V., „dass der geplante Workshop mit den Jungen und Mädchen nur ein
emotionaler und klarer Einstieg für eine längerfristige Arbeit der LehrerInnen zur
Präventionsarbeit sein kann“318. Insofern hat der Workshop die vorrangige Funktion, die
Erziehungshaltung der PädagogInnen um Aspekte der Prävention zu erweitern und diese in
verschiedene Bereiche des Schulalltags einfließen zu lassen. Die Themen beziehen sich
nicht nur auf konkrete Präventionsaspekte, die im Kinderworkshop vermittelt werden
sollen, sondern gehen weit darüber hinaus. So werden unter anderem die Sexualerziehung,
geschlechtsbewusste Erziehung, die Rechte der Kinder sowie eine Auswahl an
Präventionsmaterialien angesprochen. Zur Ergänzung wird Grundlagenliteratur zum Thema
des sexuellen Missbrauchs empfohlen.
317
318
STROHHALM e.V.: 2001, S. 54
Ebd., S. 55
- 96 -
Dem Vorbereitungstreffen schließt sich die Phase der Eigenarbeit an, in der die
PädagogInnen Gelegenheit haben, sich mit der Literatur sowie den angesprochenen
Themen in vertiefenden Gesprächen auseinander zu setzen.
Im zweiten Vorbereitungstermin findet zunächst ein Austausch über die Eindrücke statt,
welche die Lektüre bei den LehrerInnen hinterlassen hat. „Gefühle wie Fassungslosigkeit,
Unglaube, Wut, Angst, und Überforderung angesichts von Fakten, Ausmaß und Folgen von
sexuellem
Missbrauch
finden
einen
angemessenen
Raum.“ 319
Erst
diese
Auseinandersetzung ermöglicht es den PädagogInnen , das eigene Verhältnis zu der
Thematik zu klären und sowohl eine persönliche als auch eine fachliche Haltung zu
entwickeln. Damit sind die Lehrkräfte auf die folgenden Phasen, den Elternabend und den
Workshop, hinreichend vorbereitet. Bei diesen Phasen agieren sie nun eher als Beobachter
und stellen das Bindeglied zwischen Eltern und STROHHALM e.V. dar.
Elternarbeit und Workshop entsprechen, mit geringfügigen Abweichungen, den bereits
dargestellten Komplexen.
Am Ende der Präventionsarbeit steht das Nachbereitungstreffen. Dieser Termin ist etwa
zwei Wochen nach dem eigentlichen Workshop angesetzt, um den TeilnehmerInnen die
Chance zu geben, die Inhalte des Workshops mit der Klasse nachzubereiten und zu
vertiefen. Da Prävention auch immer eine aufdeckende Wirkung hat und die TrainerInnen
von Strohhalm im Anschluss an den Workshop Einzelgesprächstermine mit dem Kindern
anbieten, steht besonders ein Thema im Vordergrund: Wie ist bei einem möglicherweise
bekannt werdenden Missbrauchsfall eine Intervention aus Sicht der PädagogInnen zu
gestalten? ,
Da diese Frage in allen Bereichen präventiven Wirkens von höchster Bedeutung ist , wird
dieses Thema im weiteren Verlauf der Arbeit gesondert behandelt.
Insgesamt ist hier abermals anzumerken, dass die Initiative für eine Prävention von der
einzelnen Schule, respektive der einzelnen Lehrkraft ,ausgehen muss... Koch und Kruck
fassen zusammen:
„Eine gewisse Zahl von LehrerInnen ist wohl interessiert, reagiert aber aus persönlicher
Unsicherheit sehr zögerlich. Es gibt auch Schulen, an denen gezielt abgeblockt wird: ‚Bei
uns gibt es keinen sexuellen Mißbrauch!’“320
319
320
Ebd., 57
Koch, H./ Kruck, M.: 2000, S. 66
- 97 -
3.5. Möglichkeiten der ergänzenden Präventionserziehung in der Schule
Wie mehrfach festgestellt wurde, bilden die von externen Fachleuten an die Schule heran
getragenen Präventionsprogramme bereits den Weg für eine langfristige präventive
Erziehungshaltung. Um eine solche zu erlangen, muss das Thema „sexueller Missbrauch“
nicht immer direkt angesprochen werden. Es geht vielmehr um die Vermittlung einer
präventiven gesamtgesellschaftlichen Grundhaltung, und darum sollte Prävention bereits
bei der Persönlichkeitsbildung des Kindes ansetzen.
Nachfolgend werden Bausteine vorgestellt, die elementar zur Prävention in diesem Rahmen
beitragen können und sich in den schulischen Alltag integrieren lassen.
3.5.1. Sexualerziehung
Natürlich muss in der Schule die Sexualerziehung der Thematisierung sexuellen
Missbrauchs vorausgehen. Dabei soll die emanzipatorische Sexualpädagogik, bei der
Selbstbestimmung von Mädchen und Jungen ansetzend, zur Lebenskompetenzförderung
beitragen und die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Ihr Ziel ist die
Stärkung der Kinder, wobei sowohl „Körperlichkeit, positive Körpergefühle, Bedürfnisse
und Gefühle für eigene Grenzen, die positiven, lebensbejahenden Aspekte als auch die
unterschiedlichen Schattierungen von Aggression und Gewalt“321 angesprochen werden
müssen. Grundlegende Aufgaben der Sexualerziehung als Primärprävention sind
Thematisierung der psychosexuellen Entwicklungsphasen des Kindes und Aufklärung über
kindliche Sexualität in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen.
„Dies bedeutet Stärke, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Autonomie zu gewinnen.“322
Darauf aufbauend wird der Zugang zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen erschlossen.
Das Wissen um die eigene Körperlichkeit macht Jungen und Mädchen stark, sich bei
sexuellen Grenzverletzungen nicht alles gefallen zu lassen und sich eher zur Wehr zu
setzen.
Weiteres Ziel der Sexualpädagogik muss im Kontext der Prävention die Vermittlung
angemessenen Vokabulars sein, um den Kindern ein Sprechen über Sexualität und damit
eine Aufdeckung sexuellen Missbrauchs zu ermöglichen.
321
322
Wanzek-Sielert, C.: In: Handbuch, S. 541
Loc. cit.
- 98 -
Grundsätzlich gilt es, das Thema Sexualität so wenig wie möglich zu tabuisieren oder gar
als etwas „Heimliches, Negatives und Gefährliches“323 erscheinen zu lassen.
3.5.2. Geschlechtsrollenerziehung
Der Geschlechtsrollenerziehung kommt in der Schule, was die Prävention sexuellen
Missbrauchs angeht, eine zentrale Bedeutung zu, denn die geschlechtsstereotype
Sozialisation wird vornehmlich durch die Schule vermittelt und trägt so dazu bei, das
strukturelle Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft zu
bewahren.. Diese Struktur wird als ein wesentlicher Faktor für die Entstehung sexueller
Gewalt angesehen. 324 Männer tendieren durch Sozialisation zu Dominanz und Aggression,
Frauen zu Fürsorge und Unterordnung. Gies führt aus: „In einer patriarchalischen
Gesellschaft werden Mädchen und Jungen im Sozialisationsprozeß immer wieder
schmerzhaft sanktioniert, wenn sie Eigenschaften und Empfindungen des anderen
Geschlechts aufweisen und äußern.“325
In Bezug auf sexuellen Missbrauch ist festzustellen, dass die Täter häufig die Rollenmuster
der Opfer in den Missbrauch einbinden und ausnutzen, beispielsweise indem sie an die
internalisierte Hilfsbereitschaft und Fürsorge der Mädchen appellieren.
Auch der Umgang mit dem Missbrauch wird häufig geschlechtsstereotyp ausgelebt, wie
Marquardt – Mau darstellt:
„Anders als mißhandelte Mädchen, die ihre Ohnmachtgefühle und ihren Selbsthaß
häufig mit selbstschädigendem Verhalten unter Kontrolle bekommen möchten,
reagieren die Jungen oft mit Aggressionen insbesondere anderen Kindern
gegenüber, die auch in sexueller Gewalt ihren Ausdruck finden können.“326
Die
Schule
muss
also
schon
im
Primarbereich
als
dem
Vorfeld
der
Geschlechtsstereotypisierung ansetzen, um die Bildung von klassischen Rollenmustern und
deren Übernahme zu verhindern. Damit wirkt sie in zwei Dimensionen präventiv:
Allgemein lernen die Kinder, sich von vorgegebenen Rollenmustern zu lösen; Mädchen
erlangen ein verstärktes Selbstbewusstsein, Jungen hingegen Empathievermögen und die
323
Marquardt – Mau, B.: In: HB, S. 439
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 99 f.
325
Gies, H.: 1995, S. 90
326
Marquardt – Mau, B.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 99
324
- 99 -
Fähigkeit, Schwäche zu zeigen, wodurch es ihnen leichter fällt, einem Missbrauch
adäquater zu begegnen oder darüber zu sprechen.
Zum anderen beugt sie der Gefahr vor, dass Mädchen die Opfer und „Jungen die Täter von
heute und morgen“327 werden könnten.
Wegen der großen Relevanz dieses Punktes werden im Folgenden die Forderungen an die
Mädchen- und Jungenerziehung thematisiert.
3.5.2.1. Forderungen an die Mädchenerziehung
In der traditionellen Erziehung zur späteren Frauenrolle werden den Mädchen vor allem
Verhaltensweisen wie Zurückhaltung, Anpassung, Mitgefühl und Verantwortung für ihre
Mitmenschen vermittelt.328 Darüber hinaus sollen sie lieb, höflich und fürsorglich sein.
Zeigen sie diese Verhaltensweisen, erhalten sie Lob, Anerkennung und Zuwendung von
Erwachsenen
und
entfernen
sich
dadurch
von
Selbstständigkeit
und
Durchsetzungsvermögen. Sie lernen schnell, dass die Erfüllung der klassischen Frauenrolle
eine positive gesellschaftliche Verstärkung erfährt.
Bei Jungen sind es hingegen die „typisch männlichen Eigenschaften“329, welche durch die
Sozialisation
positiv
verstärkt
werden:
Macht,
Unerschütterlichkeit,
Durchsetzungsvermögen etc.
Im Schulalltag wird dies besonders deutlich. Überlegenheitsgebaren der Jungen gegenüber
Mädchen findet Toleranz, und nur selten schreiten Erwachsene ein, „wenn Jungen
physische Übergriffe auf Mädchen tätigen, wenn sie Röcke hochheben, an langen Haaren
ziehen, in den Po kneifen oder Mädchen an die Brust fassen“.330 Dieses Verhalten fördert
bei
den
Mädchen
Minderwertigkeitsgefühle
und
bestärkt
ein
Opfer-
und
nicht
und
Duldungsverhalten.
Es
wird
deutlich,
dass
die
Schule
hier
eingreifen
muss
länger
geschlechtsstereotype Rollenmuster vermitteln darf. Diese veränderte Erziehungshaltung
soll mit Inhalten der Präventionsarbeit gekoppelt werden, um Mädchen zu stärken, wenn
sie
Grenzen
ziehen,
‚Nein’
sagen
und
sich
wehren.
Der
Aufbau
von
Durchsetzungsvermögen und Unabhängigkeit muss ebenso wie Kritikfähigkeit und
Selbstwertgefühl gefördert und unterstützt werden.
Eine besondere Anforderung an die LehrerInnen stellt hier die Präsentation von Vorbildern
dar, die, losgelöst vom gängigen Rollenverhalten, ein positives und starkes Selbstbild sowie
327
Gies, H.: 1995, S. 89
Vgl.: Gies, H.: 1995, S. 90
329
Loc. cit.
328
- 100 -
Engagement und Solidarität unter Frauen vermitteln.331 Ebenso sind männliche Vorbilder
vonnöten, die nicht nach tradierten Rollenmustern leben und Übergriffe auf Mädchen nicht
als bloßes Kavaliersdelikt werten.
3.5.2.2. Forderungen an die Jungenerziehung
Im Gegensatz zu Mädchen erleben Jungen schon von frühester Kindheit an „die Position
eines überlegenen Eroberers [...], der Macht und Kontrolle (insbesondere gegen Mädchen
und Frauen), aber auch gegenüber seinen eigenen Ängsten und Gefühlen hat“.332 Dadurch
internalisieren sie, dass die weibliche Rolle, bei der Gefühle eine hohe Bedeutung haben,
weniger wertvoll ist und lehnen entsprechende Gefühlsempfindungen bei sich selbst ab.
In der Schule kommt es häufig zu herablassenden oder aggressiven Verhaltensweisen
gegenüber Mädchen, die sich nicht selten zu Grenzverletzungen oder –übertretungen
auswachsen. Um diesem Prozess entgegenzuwirken, kommt dem positiven Vorbild eine
hohe Bedeutung zu. Ein männliches Vorbild muss vorleben, dass auch Männer „die
gesamte Bandbreite an Gefühlen zeigen, daß sie hilfsbereit, einfühlsam und fürsorglich
sind, daß auch sie Hilfe suchen, annehmen können und fähig sind, Konflikte ohne
Überlegenheitsanspruch und körperliche Gewalt zu lösen“.333 Dennoch bleibt das Vorbild
ein „ganzer Mann“ im tradierten Sinne.
Dies fordert von der Schule, für die Jungen eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie nicht
befürchten müssen, als unmännlich zu gelten, wenn sie Gefühle und Empfindungen
zulassen.
Marquardt – Mau führt in Ergänzung dazu aus, dass in der Schule durchaus auch „Lernen
und Zusammensein in (phasenweise) geschlechtshomogenen Gruppen“ 334 denkbar ist, um
sowohl für Jungen als auch Mädchen die angesprochene Atmosphäre zu schaffen, in denen
sie alternative Rollenmuster anwenden dürfen, ohne „ihr Gesicht zu verlieren“.335
Insgesamt geht es bei der Geschlechtsrollenerziehung darum, „Einblicke in die jeweils
weiblich oder männlich bestimmte Lebenswelt zu ermöglichen, wie auch Alternativen zu
den
herkömmlichen
‚Geschlechtsrollenmustern’
vorzustellen“336
und
diese
auch
vorzuleben.
330
Gies, H.: 1995, S. 91
Vgl.: Ebd., S. 91
332
Gies, H.: 1995, S. 91
333
Ebd., 1995, S. 92
334
Marquardt – Mau, B.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 100
335
Ebd., 1998, S. 100
336
Gies. H.: 1995, S. 100
331
- 101 -
3.5.3. Kulturelle Sensibilität
Einleitend ist zu betonen, dass es in der Schule um multikulturell heterogen
zusammengesetzte Klassen geht. Von daher ist der kulturellen Sensibilität im Hinblick auf
die Präventionselemente besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Nach Marquardt–Mau
liegen zwar unterschiedliche Befunde über die kulturelle Angemessenheit von
Präventionsmaterialien vor337, doch wird die eigentliche Vermittlung der Inhalte für dieses
Umfeld kaum thematisiert.
Lediglich bei der Übertragung US-amerikanischer Programme auf bundesdeutsche
Verhältnisse ist Kritik geübt worden, jedoch nicht an der uneingeschränkten Anwendung
bereits modifizierter Programme auf die heterogene Situation an den Schulen.
Zudem moniert Finkel „Forschungsdefizite zur Problematik sexueller Gewalt bei
Migrantinnen und Migranten“338 und weist auf die Gefahr einer verkürzten Zuschreibung
auf den insgesamt fremdkulturellen Hintergrund hin. In diesem Bereich ist also eine
differenzierte Forschungsarbeit unbedingt erforderlich.
Die an US-amerikanischen Kindern und Jugendlichen durchgeführte Studie von Finkelhor
und Dziuba–Leatherman weist insgesamt darauf hin, dass Präventionsprogramme für
Kinder aus Minderheiten und statusbenachteiligten Gruppen offenbar besonders attraktiv
sind.339 Als Begründung hierfür vermuten die Autoren, dass „die praxis- und
medienorientierten Präventionsprogramme auch den oftmals in den übrigen Schulfächern
weniger erfolgreichen Kindern einen positiven Gegenpol böten“.340
Eine bundesdeutsche Untersuchung zu diesem Thema liegt jedoch bisher nicht vor; die
Evaluation der Präventionsinhalte im Hinblick auf die bundesdeutsche Situation ist also
dringend zu fordern.
Bis zur Ermittlung solcher Ergebnisse ist, generell gesehen, eine erhöhte Sensibilität für die
Traditionen und kulturellen Eigenheiten der Kinder aller Gesellschaftsgruppen von hoher
Bedeutung,
da
in
den
Programmen
häufig
„...
allgemeine
Vorschriften
für
Familienbeziehungen aufgestellt werden“ 341, die teilweise den Wertevorstellungen
unterschiedlicher kultureller Gruppen widersprechen und Kinder so in einen schweren
Konflikt stürzen können.
337
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 101
Finkel, M.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 346
339
Vgl.: Finkelhor, D./ Dziuba-Leatherman, J.: In: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 98 ff.
340
Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 443
341
Ahn, H./ Gilbert, N.: In: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 173
338
- 102 -
Insgesamt ist festzuhalten, dass die bisher in Deutschland vorgelegten Materialien die
Anforderungen interkulturellen Lernens bisher weitgehend außer Acht lassen. 342 Ahn und
Gilbert halten ergänzend fest: „Angesichts der Vielfalt von Normen der Eltern-KindBeziehung in den verschiedenen Kulturen erweist sich jedes Präventionsprogramm für
Kinder,
speziell
aber
hinsichtlich
der
kulturellen
Feinfühligkeit,
als
verbesserungsbedürftig.“343
3.6. Vorbedingung für eine Intervention
Das enorme Ausmaß sexuellen Missbrauchs belegt, dass es sich hier um ein
gesellschaftliches Phänomen handelt. Von daher ist es sehr wahrscheinlich, dass Lehrkräfte
im Laufe ihrer Tätigkeit mit Opfern und/oder Tätern konfrontiert werden. Diese
Wahrscheinlichkeit steigert sich, wenn in der jeweiligen Schule präventive Arbeit, in
welcher Form auch immer, stattfindet. Grundsätzlich gilt: Prävention hat eine aufdeckende
Wirkung!344
Während der Umgang mit dem Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs an sich bereits
Unsicherheiten und Ängste verursacht, ist eine mögliche Intervention für die Lehrkräfte
von enormer Problematik und führt deshalb oft zum Ignorieren der kindlichen Notlage.
In den folgenden Abschnitten werden Richtlinien für einen solchen Fall dargestellt, um
eine angemessene Intervention im Sinne des Opfers zu gewährleisten und sich selbst nicht
emotional zu überfordern.
3.6.1. Mögliche Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch
Wirtz-Weinrich macht grundsätzlich fünf Möglichkeiten aus, wie Lehrkräfte von einem
Missbrauch direkt oder indirekt erfahren können:
1. Mitteilungen von anderen Institutionen (beispielsweise dem Jugendamt oder einer
Beratungsstelle), dass ein Kind sexuell missbraucht wird,
2. Informationen der Eltern oder anderer Angehöriger des sozialen Umfeldes,
3. eine Schülerin oder ein Schüler erzählt davon, dass er oder sie sexuell missbraucht
wird,
4. sexuelle Übergriffe zwischen SchülerInnen,
342
343
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 443
Ahn, H./ Gilbert, N.: In: Marquardt – Mau, B.: 1995, S. 173
- 103 -
5. die Lehrkraft beobachtet Verhaltensauffälligkeiten bei einem bestimmten Schüler/
einer bestimmten Schülerin, die dazu führen, dass sexueller Missbrauch vermutet
wird.345
Durch die beginnende Enttabuisierung des Themas ist es heutzutage wahrscheinlicher
geworden, von Institutionen oder Bezugspersonen konkrete Informationen über den
Verdacht sexuellen Missbrauchs an einem Kind zu erhalten.
Werden Präventionsmaßnahmen an der Schule durchgeführt, kann es durchaus sein, dass
sich ein Kind offenbart, auch wenn dies aus den angesprochenen Gründen eher selten
geschieht.
Sexuelle Übergriffe oder Grenzverletzungen treten zwischen SchülerInnen häufiger auf,
werden von Lehrkräften jedoch selten als solche wahrgenommen oder als ,vorpubertäre
Spiele’ abgetan.346
In der Praxis ist es wahrscheinlicher, dass die fünfte der obengenannten Möglichkeiten zum
Tragen kommt: Verhaltensauffälligkeiten einzelner Kinder lassen die Vermutung des
sexuellen Missbrauchs aufkommen. Allerdings müssen Lehrkräfte für die Anzeichen eines
potentiellen sexuellen Missbrauchs sensibilisiert werden, um nicht falsche Vermutungen
anzustellen oder ein eventuelles Missbrauchsgeschehen zu übersehen. Gleiches gilt auch
für sexuelle Grenzverletzungen zwischen SchülerInnen, denn auch diese Übergriffe haben
häufig schwerwiegende Folgen. Von daher widmet sich der folgende Abschnitt der
Sensibilisierung der PädagogInnen für die Hinweise, die im Schulalltag auftreten können.
3.6.2. Sensibilität für Hinweise
Neben den in Kapitel 2.4.3. thematisierten Folgen des Missbrauchs, die als Indikator dienen
können (beispielsweise selbstverletzendes oder sexualisiertes Verhalten) gibt es weitere
Auffälligkeiten, die zum Teil schwer zu erkennen sind. Daher soll exemplarisch auf sie
eingegangen werden.
Eine plötzlich auftretende Veränderung der Schulleistungen, egal ob positiv oder negativ,
ist in jedem Fall Anlass zur Aufmerksamkeit. Born hält fest, LehrerInnen bemerkten häufig
im Nachhinein, „daß SchülerInnen, die sexuell mißbraucht wurden, sogar mit
Leistungsverbesserungen auf die einsetzenden Übergriffe reagierten“.347 Es kann gut sein,
344
Vgl.: Marquardt – Mau, B.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 442
Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 113
346
Vgl.: Ebd., 1998, S. 113
347
Born, M.: 1994, S. 55
345
- 104 -
dass ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch aus diesem Grunde wieder aufgegeben wird,
da das Bild des Opfers nicht mit einer Leistungssteigerung einhergeht. Doch für manche
Betroffenen kann dies eine Überlebensstrategie sein, „um sich selbst aus der ‚Nur-OpferRolle’ zu befreien“.348
Auch spielen Zeitpunkt und Zusammenhang von gezeigtem auffälligem Verhalten eine
bedeutende Rolle. Ist beispielsweise eine Schülerin oder ein Schüler nach dem
Wochenende besonders unkonzentriert oder übermüdet und erklärt auf Nachfrage, „am
Wochenende sei häufig der geschiedene Vater zu Besuch und man schaue dann immer ‚so
komische Filme’ an“349, muss dies natürlich kein Indiz für einen sexuellen Missbrauch sein,
doch sollte es zur Wachsamkeit aufrufen. Hinter der vagen Andeutung des Kindes könnte
ein versteckter Hilferuf stehen.
Weiterhin muss die Lehrkraft hellhörig werden, wenn ein Kind nach dem Unterricht nicht
nach Hause möchte oder sich strikt weigert, am Schwimm- und Sportunterricht
teilzunehmen, denn dieses Verhalten gehört zu den häufigen Auffälligkeiten sexuell
missbrauchter Kinder.350
Ebenso ist es ungewöhnlich, wenn ein Vater unter dem Vorwand besonderer Besorgnis
dem Kind die Teilnahme an außerschulischen Veranstaltungen wie beispielsweise
Klassenfahrten untersagt sowie Freundschaften mit KlassenkameradInnen verbietet. Hier
kann es sich möglicherweise um den Versuch eines Täters handeln, das Opfer aus Angst
vor dem Entdecktwerden gezielt zu isolieren.351
Anhand dieser exemplarischen Beispiele aus dem Schulalltag wird die besondere Stellung
deutlich, die Lehrkräfte im Gegensatz zu anderen Berufsgruppenangehörigen innehaben.
Durch die Kontinuität der LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung könnte es möglich sein,
Verhaltensänderungen schnell zu bemerken und angemessen zu reagieren.
Grundsätzlich steht fest, dass es keine „Checkliste“ gibt, anhand derer eindeutig
festzumachen ist, ob sexueller Missbrauch vorliegt. Eine vorschnelle, offen an den Täter
gerichtete Verdachtsäußerung ist in keinem Fall dienlich, in manchen Fällen sogar
verheerend. Darum gilt die Regel, wachsam im Hinblick auf Verhaltensänderungen oder
-auffälligkeiten der SchülerInnen zu sein und mit Bedacht zu reagieren, wie im Folgenden
erörtert wird.
348
Ebd., 1994, S. 55
Loc. cit.
350
Fegert, J.: 1990, S, 127 ff.
351
Vgl.: Born, M.: 1994, S. 56
349
- 105 -
3.6.3. Situation der LehrerInnen
Werden LehrerInnen mit der Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs in ihrem schulischen
Umfeld konfrontiert, „löst dies zunächst als spontane Reaktion eine Mischung aus
Bestürzung und Unglaube aus“.352 Trotz eventuell erfolgter Fortbildung und Beschäftigung
mit dem Thema erscheint alles in einem konkreten Fall doch häufig unvorstellbar. Oft
haben die Täter eine gesellschaftlich angesehene Stellung inne und wirken auf
Außenstehende sehr sympathisch.
Hinzu kommen Ängste bezüglich rechtlicher Konsequenzen: Ist das Jugendamt
einzuschalten? Muss eine Anzeige erstattet werden?
Auch ist die persönliche Betroffenheit, die dieses Thema auslöst, vielleicht überfordernd
und lähmend, so dass keine Intervention zustande kommt.
Aus diesen Gründen werden im Folgenden die einzelnen Interventionsschritte vorgestellt.
3.7. Die Interventionsschritte im Einzelnen
Die Intervention ist dem Bereich der Sekundärprävention zuzuordnen und fällt damit auch
in den Verantwortungsbereich der Schule. Professionelle HelferInnen sollen in ein
bestehendes Missbrauchsverhältnis eingreifen.353 Ihr primäres Ziel ist der Schutz des
betroffenen Kindes vor weiteren sexuellen Übergriffen und damit die Aufdeckung des
Missbrauchs.
Bereits hier wird deutlich, dass dies die Fähigkeiten und Kompetenzen der LehrerInnen
ohne fachliche Hilfe bei weitem übersteigt. Erhärtet sich ein Verdacht sexuellen
Missbrauchs, gilt zunächst: Keine voreiligen Entscheidungen treffen!
3.7.1. Ruhe bewahren
Wird eine Lehrkraft mit dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch konfrontiert, muss sie sich
zunächst Zeit und Ruhe nehmen, um zu entscheiden, ob sie sich grundsätzlich dazu in der
Lage fühlt, eine Schülerin oder einen Schüler in dieser Situation zu begleiten und zu
unterstützen. 354
Fürniss bemerkt hierzu:
352
353
Born, M.: 1994, S. 57
Ebd., 1994, S. 58
- 106 -
„Bei der Planung der Krisenintervention müssen wir zwischen zwei verschiedenen
Krisen unterscheiden. Die erste Krise ist die Krise der mit sexueller
Kindesmißhandlung konfrontierten Professionellen. Eine unbewältigte Krise der
beteiligten Professionellen trägt vielfach dazu bei, überhastet einzugreifen oder
wegen ‚Fehlens von Beweisen’ die Intervention zu unterlassen.“355
Eng mit diesen Überlegungen verbunden ist die Frage nach der „eigenen Informiertheit
über das Thema“ 356 und inwiefern die notwendige Handlungskompetenz für den Umgang
mit dieser Problematik gegeben ist.
Besonderen Stellenwert nimmt eine realistische Einschätzung der eigenen Zeit- und
Kraftressourcen ein, da eine Begleitung des Opfers teilweise extrem fordernd sein kann.
Zieht sich die Lehrkraft nach beginnender Unterstützung des Opfers wieder zurück, wird
dies äußerst belastend für das Kind sein. Zudem muss das Verhältnis zwischen LehrerIn
und Kind ehrlich reflektiert werden, da fehlende Sympathie einen wirkungsvollen
Begleitungsprozess unmöglich macht.
Der Titel dieses ersten Interventionsschrittes, ‚Ruhe bewahren’, ist womöglich sehr schwer
zu realisieren.357 Hat sich ein Verdacht erst einmal erhärtet, so fällt es aufgrund der hohen
emotionalen Beteiligung und Anteilnahme schwer, nicht überstürzt zu reagieren und das
Kind ,retten’ zu wollen. Born stellt dar: „Man möchte so schnell wie möglich helfen, weil
man die Vorstellung unerträglich findet, zu wissen (oder zu ahnen), was mit der
Betroffenen passiert, ohne sofortige Abhilfe schaffen zu können.“358
Dies ist verständlich, doch können übereilte, unbedachte Verhaltensweisen - womöglich
noch ohne vorherige Absprache mit dem Opfer- dazu führen, dass sich der Missbrauch
intensiviert oder sich Sekundärschädigungen ergeben.359 In diesem Zusammenhang zitiert
Born Ursula Enders, die im Falle eines intrafamiliären Missbrauchs davon spricht, dass
eine gut geplante Interventionsarbeit durchschnittlich sieben Monate dauert.360
Entscheidet sich die Lehrkraft nach gründlicher Reflexion der genannten Phasen dazu, das
Opfer zu begleiten und zu unterstützen, besteht der folgende Schritt darin, sich selbst Hilfe
und Unterstützung zu holen.
354
Ebd., 1994, S. 59
Fürniss, T: 1989, S. 83
356
Born, M.: 1994, S. 59
357
Besten, B.: 1995, S. 83
358
Born, M.: 1994, S. 59
359
Vgl.: Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 116
360
Vgl.: Born, M.: 1995, S. 60
355
- 107 -
3.7.2. Sich selbst Hilfe holen
Da der Begleitungsprozess äußerst kräftezehrend ist und meist weiterhin Unsicherheiten
bestehen, ist es unerlässlich, Hilfe für sich selbst zu suchen. In jedem Fall empfiehlt es sich,
mit einer der Beratungsstellen oder entsprechenden Berufsgruppen Kontakt aufzunehmen,
welche
die
Lehrkraft
„beraten
und
zusätzlich
bei
weiteren
notwendigen
Interventionsschritten unterstützen können“.361 Hiermit ist auch sichergestellt, dass der
Verdacht ernst genommen und mit Besonnenheit und Erfahrung reagiert wird.
Beratungsstellen existieren in beinahe allen größeren Städten. Sollte aber keine solche
Stelle zur Verfügung stehen, kann sich die Lehrkraft beispielsweise an ProFamilia, den
Kinderschutzbund oder auch das Jugendamt wenden. Dabei ist jedoch teilweise Vorsicht
geboten, „da es u.U. eine amtsinterne Abmachung des betreffenden Amtes geben kann, bei
sexuellem Mißrauch Anzeige zu erstatten“.362 Da die Erstattung einer Anzeige aber
reiflicher Überlegung bedarf, sollte der Fall des betroffenen Kindes anfänglich anonym
behandelt werden.
Mit der Beratungsstelle sollte zunächst ein ausführliches Beratungsgespräch stattfinden, um
alle Informationen, die bis dato vorliegen, zu sammeln und zu einem Gesamtbild
zusammenzufügen. Es ist hilfreich, wenn die Lehrkraft Verhaltensauffälligkeiten oder
Aussagen des Opfers schriftlich dokumentiert, da sie gegebenenfalls vor Gericht eine Rolle
spielen können.363
Neben dieser eher formalen Unterstützung sollte sich die Lehrperson, wenn möglich, den
Kontakt zu weiteren Vertrauenspersonen im Kollegium oder im Bekanntenkreis zu suchen,
um in emotionaler Hinsicht nicht allein dazustehen. Born empfiehlt hier, auch einen
Schulpsychologen /eine Schulpsychologin hinzuzuziehen. 364
In jedem Fall ist darauf zu achten, nicht auf sich allein gestellt einen Interventionsversuch
zu unternehmen, da dieser fast immer scheitert und eher Schaden anrichtet als dem Opfer
zu nutzen.
Von daher ist hier nochmals dringend die Kooperation mit einer oder mehreren
Beratungsstellen anzuraten. Bange ergänzt, dass die beste Vorgehensweise in Form von
Teamarbeit erfolgen kann.365 Da dies nicht immer zu verwirklichen ist, wird im Verlauf der
Betrachtung weiter von einer einzelnen Lehrkraft als Hauptakteur ausgegangen.
361
Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 115
Born, M.: 1994, S. 61
363
Loc. cit.
364
Born, M.: 1994, S. 61 f.
365
Vgl.: Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 218
362
- 108 -
Wirtz-Weinrich hält dazu fest: „Letztendlich müssen Sie [die Lehrkraft H.B.] jedoch für
sich selbst entscheiden, welche Ratschläge, Informationen und Interventionsschritte für Sie
und ihre Situation und die des Kindes sinnvoll und akzeptabel sind.“366 Hier wird die
Verantwortung und die besondere Stellung der Lehrkraft deutlich, da sie den besten
Einblick in die Situation des Kindes hat und die Verantwortung für den weiteren
Interventionsweg trägt. „Alle Schritte, zu denen Sie [die Lehrkraft H.B.] sich entscheiden,
[...], sollten in vollem Umfang von Ihnen getragen werden können.“367
3.7.3. Kontaktaufnahme mit dem betroffenen Kind
Nachdem die entscheidenden Vorbedingungen zu einer aktiven Intervention der Lehrkraft
erfüllt sind, muss der Kontakt zu dem Kind hergestellt werden. Grundlage jeder
Intervention ist, „den Kontakt zum Kind zu halten und es wertzuschätzen. Nur das Kind
kann Auskunft über den sexuellen Mißbrauch geben.“368
Vor diesem Hintergrund sollte das Vertrauensverhältnis intensiviert und ausgebaut werden.
Hierfür gilt nach Born, dass die „Frage nicht lauten darf, inwieweit die Lehrperson es
schafft, an die betroffene Schülerin [den betroffenen Schüler H.B.] heranzukommen,
sondern inwieweit die Lehrperson sich für die Betroffene [den Betroffenen H.B.]
zugänglich machen kann“.369
Der Satz ist zentral und spielt beim weiteren Vorgehen eine große Rolle. Auf dieser Basis
kann ein Rahmen geschaffen werden, in dem das Kind von dem sexuellen Missbrauch zu
berichten wagt.370
Wenn das Kind in den Gesprächen genügend Vertrauen entwickelt, sich der Lehrkraft
gegenüber mitzuteilen, kann es unter Umständen geschehen, dass diese von Dingen erfährt,
die „sie lieber nicht wahrhaben würde“.371 Es ist möglich, dass bestimmte Äußerungen des
Kindes
Abwehrmechanismen
bei
der
Lehrperson
auslösen,
die
von
einem
Nichtwahrnehmen bestimmter Äußerungen bis hin zu Unglauben reichen können. Von
daher führt Born „Botschaften“ auf, die den Betroffenen bei der Kontaktaufnahme
vermittelt werden sollen:
366
Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 115
Ebd., 1998, S. 116
368
Ebd., 1998, S. 118
369
Born, M.: 1994, S. 63
370
Besten, B.: 1995, S. 85
371
Born, M.: 1994, S. 62
367
- 109 -
-
Du darfst darüber reden,
-
ich kenne das Problem,
-
ich kann dieses Problem benennen,
-
ich glaube Dir, was Du mir erzählst,
-
ich kann es ertragen zu hören, was Du erfahren hast,
-
du hast keine Schuld, die Verantwortung für das, was passiert ist, liegt allein beim
Täter und
-
wir werden zusammen eine Lösung finden. 372
In Addition hierzu muss die Lehrkraft dem Kind verdeutlichen, dass keine
Interventionsschritte ohne sein Wissen vollzogen werden.373
Nach Abschluss des Gesprächs, in dem das Opfer den Missbrauch offenbart hat, sollte die
Lehrkraft es in jedem Fall ausdrücklich darin bestärkten, dass „es richtig war, sich ihr
anzuvertrauen, daß sie froh darüber ist, daß die Betreffende [der Betreffende H.B.] soviel
Mut aufgebracht hat, mit ihr so offen darüber zu sprechen“. 374 Vor dem Hintergrund des
Geheimhaltungsdrucks haben die Opfer nach einem solchen Gespräch häufig Zweifel, ob
sie tatsächlich das Richtige getan haben. Von daher ist die positive Bestätigung von hoher
Relevanz.
In der Folgezeit darf der Kontakt zu dem Kind nicht vernachlässigt werden, da sonst leicht
das Gefühl aufkommen kann, die Lehrkraft meide aus Unsicherheit oder Ekel den Umgang
mit dem Opfer. Born führt zudem an, dass eine weitere positive Bestätigung auch im
Unterricht durch eine behutsame Thematisierung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts
von Kindern möglich ist, um so nochmals zu unterstreichen, dass der Missbrauch Unrecht
und das Aussprechen des Geheimnisses richtig ist.375
3.7.4. Das soziale Umfeld
Bei einer Intervention und der Bewältigung des erlebten Missbrauchs kann das soziale
Umfeld eine entscheidende Rolle spielen. Die meisten Kinder wünschen, dass der
Missbrauch beendet wird, sie aber in ihrer sozialen Umgebung verbleiben.376
372
Ebd., 1994, S. 63
Vgl.: Besten, B.: 1995, S. 84
374
Born, M.: 1994, S. 68
375
Bron, M.: 1994, S. 68
376
Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 119
373
- 110 -
Im Gespräch mit dem Kind gilt es daher zu klären, zu welcher Person es ein besonderes
Vertrauensverhältnis entwickelt hat und von wem es Wertschätzung und Unterstützung
erfährt. Diese Person ist, wenn möglich, in die Intervention einzubinden. So hat das Kind
zusätzlich Rückhalt aus dem ihm vertrauten sozialen Umfeld.
Die konkreten „Interventionsschritte stehen immer in Abhängigkeit zu der Person und der
sozialen Stellung des Täters auf der einen Seite sowie der sozialen Integration des Kindes
im unmittelbaren sozialen Umfeld auf der anderen Seite“.377 Von daher ist ein genaues
Abwägen der Sachlage wichtig. Keinesfalls ist voreilig die Mutter oder der Vater auf den
Missbrauch anzusprechen. Entstammt der Täter (wie in den überwiegenden Fällen) dem
sozialen Umfeld, wird eine frühe Offenbarung des Missbrauchs den Druck auf das Kind
wesentlich verstärken. 378
Zudem ist die wünschenswerte Solidarisierung der Eltern mit dem Kind häufig nicht der
Fall. Die Unterstützung des Kindes durch die Mutter kann „nicht nur dann fehlen oder
unzureichend sein, wenn der Vater/ Stiefvater der Täter ist, sondern auch, wenn es ein
anderes Mitglied der Familie, ein Nachbar oder eine andere Person mit sozial hohem Rang
ist“.379
Von einer frühen Offenbarung des Missbrauchs ist also eher abzuraten, es sei denn, die
besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem Kind und einem Erwachsenen gewährleistet
dessen sinnvolle Integration in die Interventionsbemühungen.
Dennoch kann ein Gespräch mit den Eltern sinnvoll sein, allerdings ohne den Missbrauch
als
solchen zu
erwähnen.
Über
das
Thematisieren
von Lernschwächen
oder
Verhaltensauffälligkeiten kann auch eine „faktische Unterstützung durch die Eltern“380
erlangt werden. So sind sie aufgrund der angesprochenen Auffälligkeiten möglicherweise
davon zu überzeugen, einer beraterischen oder therapeutischen Betreuung des Kindes
zuzustimmen.
Wirtz-Weinrich führt an, dass auch aus rechtlicher Sicht ein Eltergespräch sinnvoll sein
kann, da über Verhaltensauffälligkeiten informiert und Hilfseinrichtungen benannt werden
müssen, ehe eventuell weitere Interventionsschritte eingeleitet werden können. 381
Im günstigsten Fall findet sich im sozialen Nahbereich des Opfers eine Person, welche die
weiteren Interventionsschritte übernimmt und für den Schutz des Kindes einsteht. In
diesem Fall sollte sie über die bestehenden Hilfsangebote vor Ort informiert und an eine
entsprechende
Beratungsstelle
verwiesen
werden,
die
über
weitere
377
Loc. cit.
Vgl.: Bange, D, In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 220
379
Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 119
380
Ebd., 1998, S. 120
378
- 111 -
Handlungsmöglichkeiten und Konsequenzen für das Kind aufklärt. Selbstverständlich
sollte die Lehrkraft weiterhin als Ansprechpartner sowohl für das Kind als auch für die
Eltern bzw. die Vertrauensperson zur Verfügung stehen und den Prozess weiter begleiten.
3.7.5. Zusammenarbeit mit den Institutionen
Der ungünstige aber häufige Fall ist der, dass keine Unterstützung aus dem sozialen
Umfeld des Kindes zu erwarten ist. Hier muss die Lehrkraft alle weiteren
Interventionsschritte in Absprache mit dem Kind und in enger Kooperation mit der
Beratungsstelle sowie anderen Institutionen aus dem psychosozialen Bereich einleiten.
Wirtz-Weinrich gibt die Empfehlung, den „Namen des Kindes bei den verschiedenen
Einrichtungen zunächst nicht zu nennen und sich anonym Hilfe und Rat“382 zu suchen,
damit das weitere Vorgehen der Kontrolle der Lehrkraft unterliegt. „Nur so ist es möglich,
das Kind vor inadäquaten Interventionsschritten zu schützen, sich selber keinen sozialen
Sanktionen auszuliefern (z.B. Schulleitung) und/ oder einer Verleumdungsklage
auszusetzen.“383
Hier wird abermals deutlich, welch hohen Grad an Sensibilität dieses Thema erfordert und
wie viel Vertrauen zwischen den Beteiligten herrschen muss, um eine angemessene
Intervention leisten zu können. Besonders hinzuweisen ist hier auf die enorme
Verantwortung, die auf der Lehrkraft lastet. Zwar erfährt sie vor allem durch
Beratungsstellen Rat und Hilfe, dennoch ist die emotionale Belastung extrem hoch. Vor
diesem Hintergrund sollte auch die Arbeit mit den Institutionen immer mit Blick auf das
Kindeswohl gestaltet werden.
Grundsätzlich stehen folgende Institutionen zur Verfügung:
-
spezialisierte Beratungsstellen
-
Kinderschutzbund
-
Erziehungsberatungsstellen
-
Schulpsychologischer Dienst
-
Jugendamt
381
Ebd., 1998, S. 120
Ebd., 1998, S. 121
383
Loc. cit.
382
- 112 -
Beim Erstkontakt ist zunächst zu erfragen, ob die jeweilige Institution Erfahrung im
Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauchs hat und sie einer freiwilligen oder gesetzlichen
Schweigepflicht unterliegt. Erst wenn der Eindruck besteht, dem Kind könne adäquat
geholfen werden, ist ein Termin zu vereinbaren.384
Ein Kontakt zum Jugendamt kann in Kooperation mit der Beratungsstelle erfolgen, da diese
ohnehin meist mit der Behörde zusammenarbeitet. Mit dem Jugendamt wird dann erörtert,
ob eventuell gegen die Familie bereits Hinweise auf eine Missbrauchsvermutung vorliegen.
Dennoch ist auch der Behörde gegenüber Vorsicht geboten385, da sie „nicht nur eine
Beratungseinrichtung ist, sondern auch eine Eingriffsinstitution, die bei mangelnder
Erfahrung und Kenntnis auch verfrüht bzw. falsche Interventionsmaßnahmen einleiten
könnte“.386
Grundsätzlich macht das Jugendamt folgende Angebote387:
-
informell, indem der/die zuständige Sozialarbeiter(in) die Familie unterstützen bzw.
die Unterstützung durch andere Institutionen und Organisationen vermitteln und
koordinieren kann,
-
formell, indem eine allgemeine Erziehungsbeistandsschaft zugeordnet werden
kann,
-
durch Herausnahme des Kindes aus der Familie und Unterbringung im Heim bzw.
bei Pflegeeltern.
In extremen Fällen kann auch eine Kinder- oder Jugendpsychiatrie kontaktiert werden.
Dabei gilt immer, das Kind über die Schritte altersgerecht zu informieren, seine Bedenken
ernstzunehmen und die getroffenen Entscheidungen zu begründen.
3.7.6. Fremdunterbringung
Die Frage nach einer Fremdunterbringung des Kindes stellt sich laut Wirtz-Weinrich erst,
sobald sich das Kind konkret über einen intrafamiliären Missbrauch geäußert hat oder
andere massive Gründe eine Herausnahme aus der Familie erforderlich machen.388 Diese
Maßnahme sollte jedoch erst dann erfolgen, wenn einer der beiden Gründe zutrifft und es
384
Vgl.: Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 121
Vgl.: Bange, D.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 219
386
Ebd., 1998, S. 122
387
Loc. cit.
385
- 113 -
für den weiteren Lebensweg des Kindes unverantwortlich wäre, es in der Familie zu
belassen.
Zudem
müssen
mit
Jugendamt
und
Beratungsstellen
die
formalen
Voraussetzungen für eine Fremdunterbringung geklärt sein.
Für das Kind stellt ein solches Vorgehen meist eine Situation dar, mit der es kaum
umgehen kann. Die Gründe für die Entscheidung sind dem Kind darzulegen und genau zu
erklären. Zusätzlich bedarf es der Betreuung durch gut ausgebildetes Fachpersonal. Die
Herausnahme aus der Familie kann auch temporär begrenzt erfolgen, um das Kind zu
schützen und/oder therapeutische Maßnahmen zu ermöglichen. Familientherapeutische
Hilfsangebote werden jedoch kaum realisiert, „da die wenigsten Täter/ Täterinnen bereit
sind, diese anzunehmen“.389
Es ist am günstigsten, wenn bereits im Vorfeld eine Vertrauensperson des Kindes aus dem
unmittelbaren sozialen Umfeld (bspw. die Tante, Großmutter) in die Intervention
einbezogen werden kann und die Möglichkeit einer Unterbringung eröffnet. Hier muss
jedoch der Schutz vor dem Täter sichergestellt sein.390
3.7.7. Strafanzeige
Grundsätzlich gilt, dass sexueller Missbrauch ein Offizialdelikt ist und nicht der
Anzeigepflicht unterliegt. Dennoch kann eine einmal erstattete Anzeige nicht mehr
zurückgezogen werden. Von daher sollte eine Anzeige nur dann erfolgen, wenn gesichert
ist, dass dies im Interesse des Kindes liegt.
Um zu klären, inwiefern die Beweislage ausreicht, um den Täter eindeutig zu überführen,
ist die vorhergehende Absprache mit einer erfahrenen Rechtsanwältin/ einem erfahrenen
Rechtsanwalt unabdingbar.391 „Ein Verfahren, das wegen Mangels an Beweisen eingestellt
wird, ist nicht nur für das Kind belastend, sondern bietet evtl. auch dem Täter die Chance,
das Kind weiter ungehindert zu mißbrauchen.“392
Insgesamt sollte das Opfer bei entsprechendem Reifegrad selbst über eine Anzeige
entscheiden können. Wenn dies nicht der Fall ist, muss dringend bedacht werden, dass eine
Zeugenaussage vor Gericht, wie sie noch immer gang und gäbe ist, eine extrem hohe
Belastung für das Opfer darstellt und zu schweren Sekundärschädigungen führen kann.
388
Vgl.: Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 121
Ebd., 1998, S. 123
390
Loc. cit.
391
Vgl.: Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 123
392
Ebd., 1998, S. 124
389
- 114 -
3.7.8. Sexuelle Übergriffe zwischen Kindern und Jugendlichen
In den Grundlagen dieser Arbeit wurde in Kapitel 2.2.3. ausgeführt, dass auch sexuelle
Gewalt unter Kindern und Jugendlichen vorkommt, und dies sogar in einem sehr
ernstzunehmenden Ausmaß. Daher ist es gut möglich, dass sich im Schulalltag Situationen
ergeben, in denen ein solcher Missbrauch deutlich wird. Zum einen kann dies, wie bereits
ausgeführt, durch Übergriffe in der ,Schulöffentlichkeit’ geschehen, zum anderen eher
versteckt und heimlich.
Zum ersten Fall zählen typische Überlegenheitsdemonstrationen der Jungen, wie
beispielsweise eine vulgarisierte Sprache oder „Mädchenfangen“. Diese Verhaltensweisen
werden von den Lehrkräften häufig nicht wahr- oder ernstgenommen, auch wenn sie sich
für „Mädchen als Übergriffe“393 darstellen können. Von daher ist es wichtig, genau
hinzusehen, da die Grenzen zwischen „Spiel“ und Übergriff fließend sind und je nach
Persönlichkeitsstruktur anders erlebt werden. Wie in Kapitel 3.5.2. angesprochen, kann
dem eine adäquate Geschlechtsrollenerziehung entgegenwirken.
Anders verhält es sich mit der zweiten Form sexualisierter Gewalt, die heimlich geschieht.
Diese gleicht in ihrer Dynamik häufig der des Missbrauchs durch Erwachsene und die
Folgen stehen dem in nichts nach. Auch die Strategien sind oft vom Prinzip her gleich.394
Die Intervention ist hier allerdings eine gänzlich andere. Wirtz-Weinrich geht davon aus,
dass es sich bei Missbrauchshandlungen unter Kindern und Jugendlichen nicht um Täter
und Opfer, sondern um zwei Opfer handelt.395
Das Kind, das missbraucht wird, erlebt diesen Missbrauch ähnlich dem durch eine
erwachsene Person. Ihm sollte in jedem Fall größtmögliche Unterstützung zuteil werden.
Der vermeintliche Täter bzw. die Täterin ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst
Opfer einer Missbrauchshandlung oder hat Traumata während der Primärsozialisation
erlebt. Wenn der Verdacht besteht, dass die Eltern ihr (Täter-)Kind missbrauchen, gilt auch
hier, dass sie keinesfalls mit dem Verdacht konfrontiert werden sollten.
Ein solches Kind braucht statt einer Strafe viel eher die Hilfe einer spezialisierten
Beratungsstelle.396
393
Loc. cit
Vgl.: Romer, G.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 271
395
Vgl.: Wirtz-Weinrich, W.: In: Ulonska, H./ Koch, H.: 1998, S. 125
396
Loc. cit.
394
- 115 -
3.8. Missbrauch in der Schule
Die Betrachtungen zum Verhalten der TäterInnen in Kapitel 2.2.5. verdeutlichen, dass eine
ihrer Strategien beispielsweise darin bestehen kann, sich gezielt in sozialen und
pädagogischen Arbeitsfeldern zu betätigen, um an Kinder ,heranzukommen’.
Vor diesem Hintergrund wäre die bisherige Thematisierung des sexuellen Missbrauchs, der
präventiven Inhalte, der Erziehungshaltungen und der Interventionsschritte unvollständig,
würde die Schule als Ort, an dem sexueller Missbrauch stattfinden kann, ausgeklammert.
Um sich diesem sensiblen Bereich zu nähern, werden die Ausführungen von Enders
zugrunde gelegt, die sich allgemein auf den Missbrauch in Institutionen beziehen. 397 Die
Autorin legt dar, dass die sexuelle Ausbeutung in Institutionen kein ,zufälliges’ Geschehen,
sondern das Resultat eines strategischen Vorgehens ist. Um leichter mit potentiellen Opfern
in Kontakt zu kommen, engagieren sich die TäterInnen häufig haupt- oder nebenberuflich
in pädagogischen Handlungsfeldern, so beispielsweise auch als LehrerInnen.
Dabei nutzen sie gezielt die institutionellen Strukturen, um sich ein Umfeld zu schaffen,
das den Missbrauch denkbar gut verdeckt. Dazu eignen sich besonders jene Institutionen,
„deren institutionelle Identitäten sich stark von denen vergleichbarer Einrichtungen
abgrenzen, und die sich im besonderen Maße um ihren guten Ruf sorgen“.398 Ebenso
eignen sich aus Sicht der TäterInnen jene Institutionen, in denen besonders autoritäre
Strukturen
herrschen
und
starke
persönliche
Abhängigkeiten
bestehen.
Solche
Abhängigkeitsstrukturen wissen TäterInnen für sich zu nutzen.
Andererseits führen gerade auch diffuse Strukturen mit einer unzureichenden Trennung
zwischen fachlichem und persönlichem Kontakt zu einer erschwerte Aufdeckung des
verübten Missbrauchs. Je klarer und transparenter die Strukturen sind, desto eher wird ein
sexueller Übergriff aufgedeckt.
Bei ihrem Vorgehen verfügen die TäterInnen über ein breites Repertoire an Möglichkeiten,
die Wahrnehmung ihrer Umwelt zu vernebeln. Diese decken sich im Wesentlichen mit den
in Kapitel 2.5.5.1 genannten, doch sollen einige hier exemplarisch angeführt werden:
-
Nicht selten stellen sich MissbraucherInnen als Kinderschützer dar und empören
sich in Gesprächen und Fachdiskussionen über sexuellen Missbrauch an Kindern.
-
Missbrauchshandlungen
werden
in
alltägliche
Abläufe
integriert
(bspw.
Hilfestellung beim Sportunterricht).
397
398
Vgl.: Enders, U.: In: Bange, D./ Körner, W.: 2002, S. 202
Ebd., 2002, S. 203
- 116 -
-
Sie bieten nichtsahnenden Eltern, Kolleginnen und Kollegen eine besondere
Förderung der Kinder an.
-
Es werden persönliche Abhängigkeiten geschaffen, zum Beispiel, indem fachliche
Fehler der KollegInnen gedeckt werden oder den Eltern Sonderrechte eingeräumt
werden.
Dies sind nur einige der Möglichkeiten, mittels derer Verdachtsmomente des Umfeldes
minimiert werden. In jedem Fall sind sie häufig von enormer Wirkung und lassen den Täter
als sozial engagierten Menschen erscheinen. Schafft ein Kind es tatsächlich, das Schweigen
zu brechen und den Missbrauch auszusprechen, so bietet die „vernebelte“ Wahrnehmung
des Umfeldes den TäterInnen einen guten Schutz, denn dem Opfer wird in den meisten
Fällen nicht geglaubt.
Die Auswahl und die Kontaktaufnahme mit den potentiellen Opfern verläuft generell wie
im Kapiteln 2.2.5.1. beschrieben, allerdings sind auch hier Auffälligkeiten und
Besonderheiten hervorzuheben.
Zunächst sind TäterInnen in aller Regel über den genauen Tagesablauf der potentiellen
Opfer informiert, und es kostet sie nur geringe Mühe, Situationen zu schaffen, in denen sie
mit dem jeweiligen Kind allein sein können. „Sie bieten z.B. Kolleginnen und Kollegen an,
entgegen den Dienstvorschriften Dienst alleine zu übernehmen (‚Du kannst doch schon
früher Feierabend machen.’).“399 Zudem werden PädagogInnen im Rahmen ihrer
Ausbildung darin geschult, Kinder zur Durchführung bestimmter Tätigkeiten zu
motivieren. Täter nutzen diese Handlungskompetenz systematisch zur Durchsetzung ihrer
Interessen aus.
Vor diesem Hintergrund sollen nun die Reaktionsweisen der Institution bei einem
vermuteten Missbrauch und bei einem erwiesenen Missbrauch beleuchtet werden.
3.8.1. Reaktionsweisen bei vermutetem sexuellen Missbrauch
In der Reaktionsweise der Institutionsmitglieder auf einen Verdacht des sexuellen
Missbrauchs durch KollegInnen spiegeln sich häufig falsche Vorstellungen über die Fakten
des Tatbestandes wider. So erscheint es abwegig, einen engagierten und kinderlieben
Pädagogen zu verdächtigen, ebenso wie das Täterbild „Frau“ noch immer kaum
wahrgenommen wird.
399
Ebd., 2002, S. 205
- 117 -
Den Mitgliedern fällt es „ungleich schwerer, sexuelle Gewalt im eigenen Rahmen
wahrzunehmen als außerhalb der eigenen unmittelbaren Lebenswelt“.400 TäterInnen
verstärken dies noch durch strategisch gestreute Alternativerklärungen für missbräuchliche
Situationen oder Auffälligkeiten der betroffenen Kinder.
Insgesamt haben Institutionen nur eine geringe Chance, einen Missbrauchsfall in den
eigenen Reihen ohne professionelle Hilfe von außen aufzuklären.
Wird dennoch ein Verdacht geäußert, ist unter Kolleginnen und Kollegen oftmals eine
Spaltung zu beobachten:
„Einige nehmen die Vermutung ernst und fordern eine Abklärung der
Verdachtsmomente, andere bewerten die Vermutung von vorn herein als den
Versuch einer ‚Rufmordkampagne’ und versuchen diese sofort ‚im Keime zu
ersticken’. Sie legen für die verdächtige Person ‚die Hand ins Feuer’ und sind um
den Ruf der Institution besorgt und erleben die Vorstellung, selbst einmal des
Missbrauchs beschuldigt zu werden, als sehr beängstigend.“401
Nicht selten wird der Person, die den Verdacht geäußert hat, versuchte Verleumdung
vorgeworfen und nicht nur sie, sondern auch das Kind gemobbt. Häufig verlassen diese in
den Focus geratenen Personen die Institution. So ist es nicht verwunderlich, dass
institutionsinterner Missbrauch, wenn überhaupt, so von denjenigen aufgedeckt wird, die
entweder nicht mehr oder noch nicht fest in die Strukturen eingebunden sind.
3.8.2. Reaktionsweisen bei erwiesenem Missbrauch
Bisher war festzustellen, dass sich Institutionen bei erwiesenem Missbrauch meist eher
ihrem Ruf als dem Kindeswohl verpflichtet fühlen. „Nach dem Motto ‚Das darf doch nicht
wahr sein!’ versuchen sie, ‚die Angelegenheit diskret zu lösen’, - z.B. durch ‚ein klärendes
Gespräch’ zwischen Täter und Opfer.“402 Bestenfalls werden die TäterInnen aus
krankheitsbedingten Gründen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Häufig findet jedoch
nur eine Versetzung an einen anderen Standort statt.
In konkreten Einzelfällen bemühen sich die Institutionen zunehmend um eine offensive
Aufdeckung des Geschehens, doch werden dabei schwerwiegende Auswirkungen der
Aufklärungsversuche auf die Teamdynamik deutlich.
400
401
Ebd., 2002, S. 206
Ebd., S. 206 f.
- 118 -
Charakteristisch für diese Dynamik sind beispielsweise nach Enders:
-
eine Spaltung des Teams, da einige Mitglieder den Missbrauch glauben, andere ihn
sich jedoch nicht vorstellen können,
-
die Resignation einiger KollegInnen im Hinblick auf den Umgang mit dem Thema
sexuellen Missbrauchs, da es ihre persönlichen Grenzen übersteigt,
-
der Verlust des Vertrauens in die eigene professionelle Kompetenz und in die
Institution,
-
das Bemühen, die Krise begrenzt und möglichst institutionsintern zu behandeln,
-
die Vernachlässigung der Hilfe für das Opfer, die Kindergruppe, die Eltern etc.
Insgesamt wird hier offenbar, wie diffizil der Umgang mit sexuellem Missbrauch in
Institutionen ist und wie sehr ein solches Ereignis das Selbst- und Weltbild zu zerstören
vermag.
Dies gilt auch und besonders für die in jüngster Zeit bekannt gewordenen Fälle sexuellen
Missbrauchs an Kindern in Kirchenkreisen und karitativen Einrichtungen, auf die hier aber
nicht näher eingegangen werden kann.
In jedem Falle ist professionelle, institutionsferne Hilfe im Umgang mit Verdacht und
eventueller Aufdeckung zu fordern. Zudem haben besonders die Eltern einen hohen Bedarf
an Information. Geschieht dies nicht, kann es leicht zu einer öffentlichen Skandalisierung
kommen, da Eltern immer wieder versuchen, ‚durch die Einschaltung von Presse Druck zu
machen, damit endlich mal was passiert’.
4.0. Schlussbetrachtung
Grundsätzlich muss konstatiert werden, dass es bei allem Bemühen um eine
erfolgreiche präventive Aufklärungsarbeit in der Schule nie gelingen wird, den
Tatbestand sexuellen Missbrauchs völlig zu eliminieren. Zum einen sind die Strategien
der MissbraucherInnen sind zu komplex, als dass Kinder sie durchschauen und aktiv
dagegen vorgehen könnten, zum anderen ist die emotionale - bei intrafamiliärem
Missbrauch auch die materielle - Abhängigkeit oft so groß, dass ein Kind kaum die Chance
hat, seine Opfersituation von sich aus zu beenden.
Hinzu kommt die gesellschaftliche Situation, die durch Ignoranz gegenüber der Thematik
sexuellen Missbrauchs dazu beiträgt, TäterInnen eher zu decken als zu ächten. Zudem
402
Ebd., 2002, S. 207
- 119 -
bildet die Sozialisation in der Schule und in der Gesellschaft leider noch immer den
Nährboden einer geschlechtsstereotypen Entwicklung des Kindes.
Allerdings wecken die Präventionsbemühungen auch begründete Hoffnungen, sofern sie
kontinuierlich und unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten angewandt
werden.
Bei Kindern bewirkt die präventive Aufklärung in der Schule eine Wissenssteigerung
präventionsrelevantenrelevanter Inhalte und kann das Selbstbewusstsein stärken. Ob
Präventionsprogramme tatsächlich je einen Missbrauch verhindert haben, kann nicht
ermessen werden. Dennoch ist ein selbstsicheres Kind, das sich nicht bedingungslos
Anweisungen Erwachsener fügt, ein weiniger geeignetes Opfer.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis präventiver Aufklärung ist die aufdeckende Wirkung, die
sie erzielt.
Dennoch sind viele Anforderungen und Voraussetzungen größtenteils noch nicht erfüllt. So
ist vor allem die Aus-, Fort- und Weiterbildung von PädagogInnen zu nennen, die noch
immer nicht auf das tatsächliche Ausmaß des Missbrauchs und die Verantwortung der
Schule abgestimmt ist.
Eine feste Verankerung präventiver Inhalte ist bislang leider kaum auszumachen. Noch
immer liegt es in der Eigeninitiative einzelner Lehrkräfte als Helfer aktiv zu werden. Hier
ist die Sozial- und Bildungspolitik gefordert, um eine flächendeckende Auseinandersetzung
mit diesem Thema zu ermöglichen und es in die Curricula der Schulen einzubinden.
Ein weiterer Punkt, der unbedingt erwähnt werden muss, ist die Tatsache, dass Missbrauch
durchaus in pädagogischen Arbeitsfeldern, also auch der Schule geschieht. Durch
möglichst transparente Strukturen und Aufklärung über dieses Thema kann der Umgang
mit dieser Gefahr erleichtert werden.
Grundsätzlich gilt für jeden sexuellen Missbrauchsfall: Je genauer die Fakten und
Forschungsergebnisse über den Tatbestand der Gesellschaft bekannt sind, desto eher kann
eine wirkungsvolle Prävention gelingen.
- 120 -
Zum Schluss aller Ausführungen soll hier noch einmal das Opfer, das eingangs zu Worte
kam, zitiert werden:
„Als ich mich mit 14 Jahren in meiner Notlage meiner Oma anvertraute, hat sie mich zu
einer Beratungsstelle gebracht und damit wohl instinktiv richtig gehandelt, da die Helfer
dort sehr behutsam und geschult mit mir umgegangen sind. In meiner Schule hätte keiner so
recht gewusst, wie er mit der Thematik umgehen soll. Ich hätte da auch nie mit jemandem
gesprochen.
In meinem Fall hätte Prävention wohl schon sehr früh stattfinden müssen – und unter den
Umständen meiner ersten Lebensjahre bezweifle ich, dass sie den Missbrauch verhindert
hätte. Ich weiß nicht, ob ich mein Schweigen gebrochen hätte, wenn ich überhaupt z. B. im
schulischen Rahmen über sexuellen Missbrauch aufgeklärt worden wäre, gewusst hätte,
dass ich nicht die Einzige bin, gewusst hätte, dass es Hilfe gibt.
Aber ich weiß, dass es mir sehr geholfen hätte, wenn zumindest die Lehrer Wissen im
Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauchs gehabt hätten.
Das alles ist jetzt über 10 Jahre her – und daher ist es für mich absolut unverständlich, dass
sich die Situation an unseren Schulen nicht im Geringsten verändert hat.“403
403
Mitteilung von ‚Sasita’ (Pseudonym), Opfer sexuellen Missbrauchs, Mitteilung in Form einer E-Mail
am 01.12.2004.
- 121 -
5.0. Literatur- und Quellenverzeichnis
Ahn, Helen/ Gilbert, Neil: Kulturelle und ethnische Faktoren bei der Prävention sexueller
Kindesmißhandlung. In: Marquardt-Mau, Brunhilde (Hrsg.): Schulische Prävention gegen
sexuelle Kindesmisshandlung. Grundlagen, Rahmenbedingungen, Bausteine und Modelle.
(München: Juventa, 1995).
Amann, Gabriele/ Wipplinger, Rudolf (Hrsg.): Sexueller Mißbrauch – Überblick zu
Forschung, Beratung und Therapie. (Tübingen: dgtv-Verl., 1997).
Bange, Dirk/ Körner, Wilhelm (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen:
Hogrefe, 2002).
Bange, Dirk: Prävention mit Kindern. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch
Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Bange, Dirk/ Enders, Ursula: Auch Indianer kennen Schmerz. Sexuelle Gewalt gegen
Jungen. (Köln: 3. Aufl., Kiepenheuer & Witsch, 1995).
Bange, Dirk: Die dunkle Seite der Kindheit. Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen.
(Köln: Volksblatt, 1992).
Bange, Dirk: Definitionen und Begriffe. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.):
Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Bange, Dirk: Intervention – die „Regeln der Kunst“. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.):
Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Bange, Dirk/ Deegener, G.: Sexueller Mißbrauch an Kindern. Ausmaß, Hintergründe,
Folgen. (Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1996).
Bass, Ellen / Davis, Laura: Trotz allem. Wege zur Selbstheilung für sexuell mißbrauchte
Frauen. 11te Aufl. (Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1990).
- 122 -
Baurmann, Michael C.: Sexualität, Gewalt und psychische Folgen. (Neu- Isenburg: 2.,
unveränd. Aufl., Bundesdruckerei, 1996).
Berrick, Jill Deurr/ Gilbert, Neil: Prävention gegen sexuelle Kindesmißhandlung in
amerikanischen Grunschulen.
In: Marquardt-Mau, Brunhilde (Hrsg.): Schulische
Prävention gegen sexuelle Kindesmisshandlung. Grundlagen, Rahmenbedingungen,
Bausteine und Modelle. (München: Juventa, 1995).
Besten, Beate: Sexueller Mißbrauch
und wie man Kinder davor schützt. (München:
Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 3. neubearb. Aufl., 1995).
Boehme, Ulfert: Jungen als Opfer. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch
Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Born, Monika: Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? Präventions und
Interventionsmöglichkeiten aus schulischer Perspektive. (Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.Ges., 1994).
Braeker, Solveig/ Wirtz-Weinrich, Wilma: Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen.
Handbuch für Interventions- und Präventionsmöglichkeiten. (Weinheim: 4., überarb. Aufl.,
Beltz, 1994).
Braun, Gisela: Prävention in der Elternbildung. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.):
Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Braun, Gisela.: CAPP – Child Assualt Prevention Project. In: Bange, D./ Körner, W.
(Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Braun, Gisela: Ich sag NEIN! Arbeitsmaterialien gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. (Mühlheim: Ver. a. d. Ruhr, 1989).
Brockhaus, Ulrike/ Kolshorn, Maren: Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen.
Mythen, Fakten, Theorien. Frankfurt a. M.: Campus, 1993).
- 123 -
Bullens, Ruud: Der Grooming Prozeß – oder das Planen des Mißbrauchs. In: MarquardtMau, Brunhilde (Hrsg.): Schulische Prävention gegen sexuelle Kindesmisshandlung.
Grundlagen, Rahmenbedingungen, Bausteine und Modelle. (München: Juventa, 1995).
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Modellprojekt
Beratungsstelle
und
Zufluchtswohnung
für
sexuell
mißbrauchte
Mädchen
von
„Wildwasser“ – Arbeitsgemeinschaft gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen e.V.,
Berlin. Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung. (Stuttgart/ Berlin/ Köln:
Kohlhammer, 1997).
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Sexueller Mißbrauch
von Kindern und Jugendlichen. Intervention und Prävention. (Stuttgart/ Berlin/ Köln:
Kohlhammer, 1997).
Büscher, Ulrich/ Gegenfurtner, Margit/ Keukens, Wilfried/ Heid, Hans: Sexueller
Mißbruach von Kindern und Jugendlichen. Beiträge zu Ursachen und Prävention.
Dokumentation einer Ringvorlesung. (Essen: Westarp Wiss., 1991).
Davis, Laura: Verbündete. Ein Handbuch für Partnerinnen und Partner sexuell
Mißbrauchter Frauen und Männer. (Berlin: Orlanda Frauenverlag, 2. Aufl., 1995).
Däubler-Gmelin, Herta / Speck, Dieter: Sexueller Mißbrauch. Die Einsamkeit der Opfer.
Die Hilflosigkeit der Justiz. (München: Droemersche Verlagsanstalt, 1997).
Deegener, Günther (Hrsg.): Sexuelle und körperliche Gewalt. Therapie jugendlicher und
Erwachsener Täter. (Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1999).
Deegener, Günther: Kindesmißbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. (Weinheim: Beltz,
1998).
Egle, Ulrich Tiber / Hoffmann, Sven Olaf / Joraschky, Peter (Hrsg.): Sexueller Mißbrauch,
Misshandlung,
Vernachlässigung:
Erkennung
und
Behandlung
psychischer
und
psychosomatischer Folgen früher Traumatisierung. (Stuttgart: Schatthauer, 1997).
- 124 -
Elliot, Michele: So schütze ich mein Kind vor Sexuellem Mißbrauch, Gewalt und Drogen.
(Stuttgart: Kreuz Verl., 1991).
Enders, Ursula (Hrsg.): Zart war ich, bitter war’s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch.
(Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2001).
Enders,
Ursula:
Institutionen
und
sexueller
Missbrauch:
Täterstrategien
und
Reaktionsweisen. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller
Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Ernst, C.: Zu den Problemen der epidemiologischen Erforschung sex sexuellen
Mißbruachs. In: Amann, G./ Wipplinger, R. (Hrsg.): Sexueller Misssbruach – Überblick zu
Forschung, Beratung und Therapie. (Tübingen: dgtv-Verl., 1997).
Fegert, Jörg Michael: Sexueller Missbrauch an Jungen - Sexueller Missbrauch an Mädchen:
Zwei Grundsätzlich Unterschiedliche Probleme? In: Enders, U. (Hrsg.): Zart was ich, bitter
war's. (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1990).
Finkel, Margarete: Migrantinnen und Migranten. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.):
Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Finkelhor, David/ Dziubiza-Leatherman, Jennifer: Präventionsprogramme in den USA.
Evaluationsstudie zu den Erfahrungen und Reaktionen von Kindern. In: Marquardt-Mau,
Brunhilde
(Hrsg.):
Schulische
Prävention
gegen
sexuelle
Kindesmisshandlung.
Grundlagen, Rahmenbedingungen, Bausteine und Modelle. (München: Juventa, 1995).
Finkelhor, D.: Zur internationalen Epidemiologie von sexuellem Mißbruach an Kindern. In:
Amann, G./ Wipplinger, R. (Hrsg.): Sexueller Misssbruach – Überblick zu Forschung,
Beratung und Therapie. (Tübingen: dgtv-Verl., 1997).
Friedebach, Wolfgang / Klees, Katharina (Hrsg.): Hilfen für missbrauchte Kinder.
Interventionsansätze im Überblick. (Weinheim: Beltz, 1997).
Gallwitz, Adolf/ Paulus, Manfred: Die Kinder-Sex-Mafia in Deutschland : Täterprofile,
Pädophilenszene, Rechtslage. (Hilden: Verl. Deutsche Polizeiliteratur, 2. Aufl., 1999).
- 125 -
Gies, Heidi: Zur Prävention sexueller Gewalt. Strukturelle Grundlagen und pädagogische
Handlungsmöglichkeiten. (Berlin: VWB, 1995).
Glück, Gerhard (Hrsg.) / Scholten, Andrea / Strötges, Gisela: Heisse Eisen in der
Sexualerziehung : wo sie stecken und wie man sie anfasst. (Weinheim: Deutscher Studien
Verl., 1990).
Godenzi, Alberto: Gewalt im sozialen Nahraum. (Basel: Helbig & Lichtenhahn, 1996).
Härtl, Sibylle / Unterstaller, Adelheid (Hrsg.): Raus aus der Nische! Prävention von
sexuellem Missbrauch als fester Bestandteil pädagogischen Handelns. (München: Amyna,
2003).
Hahne, Willy: Sexueller Missbrauch von Kindern. Diagnose und Prävention.(Bobingen:
WEKA Media, 2003).
Hanhne, Willy: Ich bin ich und du bist du. Mein Körper gehört mir und dein Körper gehört
dir! (Bobingen: WEKA Media, 2003).
Hans-Seidel-Stiftung
(Hrsg.):
Politische
Studien.
Prävention
des
sexuellen
Kindesmissbrauchs – Gesellschaftliche Implikationen und Reaktionen. (München:
Antwerb, 1997).
Heiliger, Anita: Männergewalt gegen Frauen beenden. Strategien und Handlungsansätze
am Beispiel der Münchner Kampagne gegen Männergewalt an Frauen und Mädchen/
Jungen. (Opladen: Leske + Budrich, 2000).
Heusohn, Lothar/ Klemm, Ullrich: Sexuelle Gewalt gegen Kinder. (Ulm: Klemm &
Oelschläger, 1998).
Hirsch, Mathias: Realer Inzest. Psychodynamik des sexuellen Mißbrauchs in der Familie.
(Heidelberg: Springer, 1987).
- 126 -
Hoefnagels, Cees: „Der Riese, der dabei ist, aufzuwachen!“ Prävention in den
Niederlanden. In: Marquardt-Mau, Brunhilde (Hrsg.): Schulische Prävention gegen
sexuelle Kindesmisshandlung. Grundlagen, Rahmenbedingungen, Bausteine und Modelle.
(München: Juventa, 1995).
Johns, Irene/ Marquardt – Mau, Brunhilde: Sensibel sein für Kinder. Ausbildung von
Lehrerinnen und Lehrern zum Thema sexuelle Kindesmißhandlung. In: Marquardt-Mau,
Brunhilde
(Hrsg.):
Schulische
Prävention
gegen
sexuelle
Kindesmisshandlung.
Grundlagen, Rahmenbedingungen, Bausteine und Modelle. (München: Juventa, 1995).
Julius, Henri/ Boehme, Ulfert: Sexuelle Gewalt gegen Jungen. Eine kritische Analyse des
Forschungstandes. (Göttingen: Verl. für Angewandte Psychologie, 2., überarb. und erw.
Aufl., 1997).
Kavemann, Barbara/ Bundesverein zur Prävention von sexuellem Mißbrauch an Mädchen
und Jungen e.V. (Hrsg.): Prävention. Eine Investition in die Zukunft. (Ruhnmark: Donna
Vita, 1997).
Kavemann, Barbara/ Braun, Gisela: Frauen als Täterinnen. In: Bange, D./ Körner, W.
(Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Kavemann, Barbara/ Löhstöter, Ingrid: Väter als Täter. Sexuelle Gewalt gegen gegen
Mädchen. ‚Erinnerungen sind wie eine Zeitbombe’. (Reinbek: Rowohlt, 1984).
Klehm, Katja: Sexualisierte Gewalt und ihre Prävention. Evaluation eines Konzepts der
Polizeilichen Kriminalprävention. Selbstbehauptungskurse für Mädchen. ( Frankfurt a. M./
Berlin/ Bern/ Bruxelles/ New York/ Oxford/ Wien: Europäischer Verlag der
Wissenschaften, 2003).
Koch, Helmut/ Kruck, Marlene: „Ich wird’s trotzdem weitersagen!“ Prävention gegen
sexuellen
Mißbrauch
in
der
Schule
(Klassen
1-10).
Theorie,
Praxisberichte,
Literaturanalysen, Materialien. (Münster: LIT, 2000).
- 127 -
Kolshorn, Maren/ Brockhaus, Ulrike: Drei-Perspektiven-Modell: Ein feministisches
Ursachenmodell. In.: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller
Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Kolshorn, M./ Brockhaus, U.: Modell der vier Voraussetzungen – David Finkelhors
Ursachenmodell. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller
Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Kolshorn, M./ Brockhaus, U.: Feministisches Ursachenverständnis. In: Bange, D./ Körner,
W. (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Körner, Wilhelm / Lenz Albert (Hrsg.): Sexueller Missbrauch. Band I: Grundlagen und
Konzepte. (Göttingen: Hogrefe, 2004).
Lappe, Konrad/ Schaffrin, Irmgard, Timmermann, Evelyn u. a.: Prävention von sexuellem
Mißbrauch. Handbuch für die pädagogische Praxis. (Ruhnmark: Donna Vita, 1993).
Lercher, Lisa (Hrsg.): Missbrauch Verhindern. Handbuch zum präventiven Handeln in der
Schule. (Wien: Wiener Frauenverl., 1995).
Lohaus, Arnold/ Schorsch, Sabine: Kritische Reflexionen zu Präventionsansätzen zum
sexuellen Missbrauch. In: Amann, G./ Wipplinger, R. (Hrsg.): Sexueller Misssbruach –
Überblick zu Forschung, Beratung und Therapie. (Tübingen: dgtv-Verl., 1997).
Marquardt – Mau, Brunhilde: Prävention in der Schule. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.):
Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Marquardt-Mau,
Brunhilde
Kindesmisshandlung.
(Hrsg.):
Grundlagen,
Schulische
Prävention
Rahmenbedingungen,
Bausteine
gegen
sexuelle
und
Modelle.
(München: Juventa, 1995).
May, Angela: Nein ist nicht genug – Prävention und Prophylaxe. Inhalte, Methoden und
Materialien zum Fachgebiet Sexueller Missbrauch. (Ruhnmark: Donna Vita, 1997).
- 128 -
Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein
(Hrsg.): Bericht. Sexuelle Mißhandlung und sexuelle Vermarktung von Kindern und
Jugendlichen sowie
Beratungsangebote im Bereich des sexuellen Kindesmißbrauchs.
(Kiel: Schmidt & Klaunig, 1999).
Moggi, Franz: Folgen. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch Sexueller
Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Petze, Schulische Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Jungen
(Hrsg.): Nur keine Panik! Schulische Prävention von sexualisierter Gewalt an Mädchen und
Jungen. Beiträge zur LehrerInnenfortbildung. (Hansadruck, 1996).
Reatzlaff, Ingeborg (Hrsg.): Gewalt gegen Kinder – Mißhandlung und sexueller Mißbrauch
Minderjähriger. (München: Jungjohann, 1989).
Rensen, Ben: Fürs Leben geschädigt. Sexueller Mißbrauch und seelische Verwahrlosung
von Kindern. (Stuttgart: TRIAS,1992).
Richter-Appelt, Herta: Verführung, Trauma, Mißbrauch. (1896 – 1996). (Gießen:
Psychosozial-Verl., 1997).
Rijnaarts, Josephine: Lots Töchter. Über den Vater- Tochter- Inzest. (Düsseldorf: Claassen,
1988).
Risa, Petra/ Kruck, Marlene/ Bender, Kathrin (Hrsg.): Sexualisierte Gewalt in der Alltagsund Medienwelt von Kindern. Wahrnehmen – benennen – präventiv handeln. (Bad
Heilbrunn: Klinkhardt, 2001).
Ritter, Sabine/ Koch, Frederike: Lebenswut – Lebensmut. Sexuelle Gewalt in der Kindheit.
Biographische Interviews. (Pfaffenheim: Centaurus-Verl.-Ges., 1995).
Romer, Georg: Kinder als „Täter“. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.): Handwörterbuch
Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
- 129 -
Rutschky, Katharina: Erregte Aufklärung. Kindesmißbrauch: Fakten & Fiktionen.
(Hamburg: Klein, 1992).
Seligmann, Sylvia: Sexueller Mißbrauch von Kindern. Ansätze einer Prävention für die
Sonderschulpädagogik. (Hamburg: Kovac, 1996).
Suer, Paul H.: Sexuelle Gewalt gegen Kinder. (Hamburg: Rasch und Röhring, 1998).
Smith, Margaret: Gewalt und sexueller Mißbrauch in Sekten. Wo es geschieht, wie es
geschieht und wie man den Opfer helfen kann. (Zürich: Kreuz, 1994).
Staudinger, Ursula: Ich gehör mir. Sexuelle Übergriffe erkennen und abwehren lernen. Ein
Praxishandbuch für Kindergarten und Primarschule. (Linz: Veritas, 1999).
STROHALM e.V. (Hrsg.): Auf dem Weg zur Prävention. Praxishandbuch zum
Präventionsprogramm. Projekt zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und
jungen. (Berlin: 2001).
Trube-Becker, Elisabeth: Gewalt gegen das Kind: Vernachlässigung, Mißhandlung,
sexueller Mißbrauch und Tötung von Kindern. 2. Auflage. (Heidelberg: KriminalistikVerl., 1987).
Ulonska, Herbert / Koch, Helmut H. (Hrsg.): Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen:
ein Thema der Grundschule. (Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1997).
Völker, Rita: Sexuelle Traumatisierung und ihre Folgen. Die emotionale Dimension des
sexuellen Missbrauchs. (Opladen: Leske + Budrich, 2002).
Volker Linneweber, Kultusministerium Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Sexualisierte Gewalt an
Kindern und Jugendlichen. Ansätze präventiver Arbeit. (Magdeburg: Kultusministerium
des Landes Sachsen-Anhalt, 1998).
Walter, Joachim (Hrsg.): Sexueller Mißbrauch im Kinderalter. (Heidelberg: Schindele,
1989).
- 130 -
Wanzek-Sielert, Christa: Sexualpädagogik. In: Bange, D./ Körner, W. (Hrsg.):
Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. (Göttingen: Hogrefe, 2002).
Wanzek-Sielert, Christa: SchiLF – Ein Modell zur LehrerInnenfortbildung für die
Prävention con sexuellem Mißbrauch. In: Marquardt-Mau, Brunhilde (Hrsg.): Schulische
Prävention gegen sexuelle Kindesmisshandlung. Grundlagen, Rahmenbedingungen,
Bausteine und Modelle. (München: Juventa, 1995).
Natascha Wehnert-Franke/ Hertha Richter-Appelt/ Christine Gaenslen-Jordan: Wie
präventiv sind Präventionsprogramme zum sexuellen Mißbrauch von Kindern? Kritische
Überlegungen zu schulischen Präventionsmodellen in den USA. (Zeitschrift für
Sexualforschung 5, Nr. 1 1992).
Wetzels, Peter.: Gewalterfahrungen in der Kindheit. Sexueller Mißbruach, körperliche
Mißhandlungen
und
deren
langfristigen
Konsequenzen.
(Baden-Baden:
Nomos
Verlagsgesellschaft, 1997).
Weber, Monika/ Kibben, Stephan: Was stimmt da nicht? Sexuelle Gewalt: Wahrnehmen
und Handeln. Informationen und Anregungen für Kindergarten, Schule und Jugendarbeit.
(Bremerhaven: Boehl & Oppermann, 1997).
Wirtz-Weinrich, Wilma: Interventionsmöglichkeiten bei Verdacht auf sexuellen Mißbruach
an Kindern in der Grundschule. In: Ulonska, Herbert / Koch, Helmut H. (Hrsg.): Sexuelle
Gewalt gegen Mädchen und Jungen: ein Thema der Grundschule. (Bad Heilbrunn:
Klinkhardt, 1997).
Quellenverzeichnis:
http://www.gegen-missbrauch.de
- 131 -