Rundbrief Nr. 9 - Heinrich Jacoby - Elsa Gindler
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Rundbrief Nr. 9 - Heinrich Jacoby - Elsa Gindler
Rundbrief Nr. 9 | September 2007 Rundbrief Nr. 9 | September 2007 In Beziehung sein, das heißt bewegbar, bereit auch zum Austausch sein – so wie es dieses Titelphoto auf eindrückli- che Weise veranschaulicht. Wir hoffen, dass dieser Rundbrief anregt, wieder neu in Beziehung zu kommen mit Themen und Fragen aus der Arbeit Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys. Er enthält vielfältige Beiträge: Einige erinnern an den zehnten Todestag Sophie Ludwigs, der Gründerin der Stiftung. Andere berichten von Erfahrungen, die Auseinandersetzung mit der Arbeit Gindlers und Jacobys heute fruchtbar werden zu lassen - in der Zusammenarbeit mit Kindern mit Behinderungen, in Unternehmen, in der Schule, im Leben. Die Frage „Stiftung – quo vadis?“ bewegt inzwischen viele Menschen in den Gremien und im Umkreis der Stiftung. Zu diesem Thema hat es im Jahr 2007 erste Gesprächsabende gegeben, und Vorstand und Beirat der Stiftung laden herzlich zu einem weiteren Treffen am 13. Oktober 2007 ein (vgl. S.24 ff). Es ist der ausdrückliche Wunsch der Stiftungsgremien, mehr Menschen aktiv in die Stiftungsarbeit einzubeziehen. Nicht zuletzt spiegelt auch die diesjährige Ausgabe des Rundbriefs die Veränderungen, die sich in der Stiftungsarbeit vollziehen sowie die Suche nach Wegen, die Arbeit Gindlers und Jacobys lebendig zu erhalten und in ansprechender, anregender Form nach außen zu tragen. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre! Wolfgang von Arps-Aubert, Marianne Haag, Beate Lock, Inken Neubauer Inhalt Erinnerungen an Sophie Ludwig S. 3 „Wenn man anfängt Prozesse mitzuerleben, wird es interessant“ (Marianne Haag) S. 5 Was war der Anlass, dass ich zu Sophie Ludwig kam? (Helga Franke) S. 6 Spüren ist Leben (Rosemarie Augustin) S. 7 „Was ist weitergegangen?“ Arbeiten bei Sophie Ludwig – (Wolfgang von Arps-Aubert) Erfahrungen S. 10 Pause? Pause! (Beate Lock) S. 12 Schmerzen fordern heraus! Wie antworte ich? (Birgit Rohloff) Aus heutiger Sicht: Die Arbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby S. 13 Elsa Gindler als Begründerin einer somatischen Psychotherapie (Norbert Klinkenberg) S. 15 „Ich hoffe, dass Sie bei mir nichts lernen werden...“ - Lernen und Erfahrung in der Arbeit Heinrich Jacobys (Inken Neubauer) Jenseits von `Behindert´ und `Nichtbehindert´ S. 21 Hearing Essay (Evelyn Glennie) S. 23 Ein besonderer Augenblick (Katharina Voigt) Stiftung - quo vadis? S. 24 Stiftung - quo vadis? - Gesprächsabend am 8.Juni (Inken Neubauer und Birgit Rohloff) S. 27 Brief an die Stiftung S. 28 Rezensionen und Buchvorstellungen S. 31 Nachrichten und Hinweise Impressum: Rundbrief (Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung) ISSN 1861-8139 | Herausgegeben vom Vorstand der Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung | ViSdP: Dr. H.P. Wüst, Nassauische Straße 64, 10717 Berlin | Redaktion: W. von Arps-Aubert, Marianne Haag, Beate Lock, Inken Neubauer | Gestaltung: steffel: marketing&pr, Ulrike Steffel, Hamburg | Mit vollem Namen gezeichnete Beiträge decken sich nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion. | Auflage 650 | Redaktionsschluss für den Rundbrief Nr. 10 / 2008: 31.5.2008 Photonachweise: Titelphoto: Édouard Boubat „Rémi“ | Seiten 3, 5, 8, 9, 15: Archiv der H. Jacoby/E. Gindler-Stiftung | Seite 11: http://www.flickr.com | Seite 22: © Werner Bischof / Magnum Photos. Mit freundlicher Genehmigung von: Werner Bischof Estate | Seiten 19, 28: Silvia Hoffmann, Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus dem Buch: Klinkenberg, N.: Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie. Stuttgart 2007. | Seite 26: Marianne Wüst | Seite 30: http://www.flickr.com/photos/lioness08/435666670/ | Seite 32: Martin Hoppe Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung Gemmeinnützige Stiftung des privaten Rechts | Teplitzer Straße 9 | 14193 Berlin-Grunewald | Tel. 030-89 72 96 05 | Fax 030-89 72 96 04 info@jgstiftung.de | www.jgstiftung.de | Bankverbindung: Konto-Nr. 720009057 bei der Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00 2 | Rundbief Nr. 9 | September 2007 Erinnerungen an Sophie Ludwig Aus Anlass des zehnten Todestages von Sophie Ludwig (21.09.1901-7.8.1997) eröffnen wir den Rundbrief mit Erinnerungen an sie und ihre Arbeit. Langjährige Schülerinnen und Schüler berichten, wie sie die Arbeit bei Sophie Ludwig erlebt haben und welche Erfahrungen ihnen dadurch möglich wurden. Die Beiträge zeichnen sicher kein vollständiges Bild, richten aber unterschiedliche Blicke auf Sophie Ludwig und ihre Arbeit. „Wenn man anfängt, die Prozesse mitzuerleben, wird‘s interessant“ Im August 1997 ist Sophie Ludwig im Alter von 96 Jahre gestorben. Es war 1921, als sie bei Elsa Gindler die Ausbildung zur Gymnastiklehrerin abschloss. Sie erlebte mit, wie sich durch die beginnende Zusammenarbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby deren Arbeit in ihren Fragestellungen weiter präzisierte. 1926 ermög lichte sie Heinrich Jacoby, der zu dieser Zeit noch in Dresden wohnte, nach Berlin umzusiedeln, indem sie eine große Wohnung zum Wohnen und Arbeiten am Schöneberger Ufer mietete, mit Jacoby als Untermieter. Einmal wöchentlich arbeitete eine Gruppe, an der Heinrich Jacoby teilnahm und zu der auch Sophie Ludwig gehörte, morgens unter Leitung von Elsa Gindler in deren Atelier an der Kurfürstenstrasse. Anschließend traf sich dieselbe Gruppe, an der jetzt auch Elsa Gindler teilnahm, in Jacobys Arbeitsraum am Schöneberger Ufer und arbeitete unter dessen Leitung dort weiter. Sophie Ludwig war bei gemeinsamen Ferienkursen von Gindler und Jacoby dabei, so auch 1933 in Ermatingen (Schweiz), als Heinrich Jacoby danach nicht mehr nach Berlin zurückkehren konnte. Aus dieser und der folgenden Zeit ist eine reiche, bisher noch unerschlossene Korrespondenz zwischen Jacoby, Gindler und Ludwig erhalten, welche ihre Auseinandersetzung über Arbeitsfragen in der Zeit des Nationalsozialismus enthält. Nach dem Krieg konnte sich die Zusammenarbeit mit Heinrich Jacoby auch wieder in unmittelbarer Begegnung fortsetzen. Elsa Gindler und Sophie Ludwig wohnten und arbeiteten nun gemeinsam in Berlin-Dahlem. Die Lebensumstände haben es so gefügt, dass Sophie Ludwig wie niemand anderes Elsa Gindler und Heinrich Jacoby über Jahrzehnte begleitet hat und sich selbst engagiert auseinandersetzte mit deren Arbeits- fragen. Niemand war so vorbereitet wie sie, verantwortlich zu werden für das Weiterwirken von deren Arbeit. Diese ihr nach dem Tod von Gindler und Jacoby gestellte Aufgabe, die sie oft auch als große Bürde empfand, erfüllte Sophie Ludwigs Leben. Elsa Gindler und Heinrich Jacoby ließen die Menschen ihre ihnen von der Natur gegebenen Möglichkeiten bewusst erfahren und regten an zu selbständigem Erkunden und Probieren. In Versuchen mit unterschiedlichen Stoffen (etwa Bewegung, Sprechen, Musik, Hell-Dunkel) wurden Voraussetzungen geschaffen, dass sich Lebensmöglichkeiten entfalten konnten. Solches Arbeiten wurde Sophie Ludwig zum eigenen Anliegen. Was sie durch Gindler und Jacoby erfahren hatte, leitete S. Ludwig im Arbeitsraum am Schöneberger Ufer, 1942 Erinnerungen an Sophie Ludwig | 3 Aber das ist eine Grundfrage: Fürs Hören strengen wir uns an. Fürs Sehen strengen wir uns an, denn wir wollen ja sehen. Und wenn Sie merken, ich bin so (demonstriert: mit hochgezogenen Schultern), halten Sie‘s ein bisschen fest, freuen sie sich ‚Ich merk es‘. Und dann merken Sie: Verlangt diese Arbeit eigentlich, dass ich mich so dafür anstrenge? Und dann können Sie merken, vielleicht können Sie aufatmen. (Sophie Ludwig, Einführungskurs am 8.2.1991) sie. Sie erkannte die Dringlichkeit, deren Fragen zu vermitteln und erfahrbar werden zu lassen, denn nur diese konnten Grundlage werden für die notwendige selbständige und bewusste Auseinandersetzung. Wie der Beitrag zu `Elsa Gindler als Begründerin einer somatischen Psychotherapie´ auf Seite XX zeigt, berufen sich heute zahlreiche Therapierichtungen auf Elsa Gindler. Die Erfahrungen bei Elsa Gindler wirkten im Leben vieler Menschen fort. So sind manche Aspekte von Gindlers Arbeiten zum Tragen gekommen. Sophie Ludwig hat durch ihre Vermittlung der von Jacoby und Gindler erforschten Fragen in Kursen und durch die Herausgabe von Dokumenten entscheidend dazu beigetragen, dass auch heute die Möglichkeit besteht, der Fülle des Arbeitens von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby zu begegnen. Sie hat Kursdokumente Jacobys („Jenseits von `Begabt´ und `Unbegabt´“) veröffentlicht, Zeitschriftenartikel Jacobys neu herausgebracht und ein Buch über Elsa Gindler („Elsa Gindler – Wahrnehmen, was wir empfinden“) vorbereitet. Dadurch hat sie die Arbeit Gindlers und Jacobys über den engen Kreis direkter Schülerinnen und Schüler einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es war eine große Aufgabe für Sophie Ludwig, sich in den Dienst an der Arbeit ihrer beiden Lehrer zu stellen, die herausragende, berührende Persönlichkeiten waren, und dennoch ihre eigene Sprache zu finden. Sie hat immer wieder probiert, was Elsa Gindler und Heinrich Jacoby zentral bewegt hat, zum Kern auch 4 | Erinnerungen an Sophie Ludwig ihrer eigenen Arbeit werden zu lassen. Sophie Ludwig hat die Arbeit dieser beiden Menschen in einer Weise zusammengebracht, wie nur sie es konnte, die mit beiden Jahrzehnte verbunden war und der die Arbeit von beiden zum Teil ihres Lebens wurde. 1985 hat Sophie Ludwig die Heinrich-Jacoby/Elsa-GindlerStiftung ins Leben gerufen und damit auch organisatorische Voraussetzungen geschaffen für das weitere Wirken der Arbeit Gindlers und Jacobys. „Wenn man anfängt die Prozesse mitzuerleben, wird‘s interessant“, entgegnete Sophie Ludwig oft, wenn Kursteilnehmer stöhnten über die ihnen spürbar werdende, noch zu leistende Arbeit mit sich. Manche empfanden sie als „strenge Lehrerin“. Ihr aber ging es nicht um etwas, das sie forderte. Sie versuchte deutlich werden zu lassen, dass die Gesetzmäßigkeiten im Spiel unseres Organismus nicht zu umgehen oder „auszutricksen“ sind. Es steht noch aus, Sophie Ludwigs Arbeiten zu dokumentieren. Hier und auf anderen Seiten des Rundbriefs finden sich einige Zitate aus der Tonbandabschrift eines ihrer Kurse zur „Einführung in Fragen und Aufgabenstellungen aus der Arbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby“. Sie sind unter anderem auch Beispiele für den ihr eigenen Humor. Marianne Haag Erinnerungen an Sophie Ludwig Was war der Anlass, dass ich zu Sophie Ludwig kam? Als mein Sohn Christoph vier Jahre alt war, 1957, stellte der behandelnde Kinderarzt fest, dass er XBeine hätte und dass er orthopädisches Turnen machen sollte. Ich konnte das zwar nicht sehen, aber ich ging der Sache nach und erzählte es unserer Freundin Marie-Luise von Kleist, meiner ehemaligen Geigenlehrerin. Sie bat mich inständig, nicht zum orthopädischen Turnen zu gehen, sondern zu Sophie Ludwig. Das taten wir auch, und er nahm an einer Kindergruppe teil. Wir begleitenden Eltern saßen im geräumigen Flur und hörten gespannt durch die geschlossene Tür zu, was da drinnen geschah. Bälle sprangen, es wurde laut gelacht, alles hopste herum. Später sahen wir eine sehr hohe Leiter. Ich machte mir viele Gedanken und beschloss, selbst an einer Abendgruppe teilzunehmen. Damals lebte Elsa Gindler noch, und einmal übernahm sie unseren Kurs. Wir haben auch Heinrich Jacoby bei einem Vortrag in der Ehrenbergstraße kennen gelernt. Jahrelang war ich bei Sophie Ludwig. Sie half mir, meinen eigenen Körper neu kennen zu lernen. Ich konnte diese neuen Erfahrungen auch an meine Geigenschüler weitergeben. Später haben auch meine Tochter Cornelia als zwölfjährige und die Mitschüler Matthias und Martin Fischer-Dieskau bei Sophie Ludwig gearbeitet. Diese Arbeit hat mich mein Leben lang begleitet, und als ich 1988 aus Berlin fortzog in ein Kloster der Klosterkammer Hannover, hat dort Eva Gaul einen Kurs abgehalten. Einmal fuhr ich nach Israel zu Miriam Goldberg, die ich bei einem ihrer Berliner Kurse kennen gelernt hatte. Sie war Schülerin von Lotte Kristeller in Tel Aviv. Dort nahm ich an einem internationalen Kurs teil. Mein Sohn hat die Verbindung zu Sophie Ludwig jahrelang gepflegt. Als junger Musiker hat er immer wieder die Wiedergabegeräte gewartet und überprüft. Sie waren sehr vertraut miteinander. Die ihm gewidmeten Buchgeschenke hat er mit nach Los Angeles genommen, wo er heute lebt. Ich bin heute 84 Jahre alt und denke viel an Sophie Ludwig. Ich freue mich, dass in Berlin eine Stiftung entstanden ist, die die Arbeiten von Elsa Gindler, Heinrich Jacoby und Sophie Ludwig weiterpflegt, und ich gedenke des 10. Todestages von Sophie Ludwig, der ich so viel zu verdanken habe. Helga Franke geb. Poelchen Erinnerungen an Sophie Ludwig | 5 Die Bereitschaft des Organismus zu reagieren auf zweckmäßige Ansprache ist phantastisch. Man muss sie bloß merken. (Sophie Ludwig, Einführungskurs am 8.2.1991) Spüren ist Leben Rosemarie Augustin war fast 25 Jahre in Kursen von Sophie Ludwig. In einem Brief an die Stiftung betont sie, dass die Arbeit bei Sophie Ludwig ihr Leben verändert habe: “Ich hatte bis dahin ja auch gelebt, aber nun begann ich, bewusst zu erleben und wahrzunehmen. Was ich bis dahin mehr oder weniger routiniert `erledigt´ hatte, wurde immer mehr zu einem Prozess des Wahrnehmens oder manchmal sogar zu einem Vorgang des `Geschehenlassens´. Durch das Probieren an diesen Möglichkeiten wurde ich erfahrbereiter auf allen Ebenen meines Daseins. Sophie Ludwig hat uns mit ihrer großen Disziplin und unerschütterlichen Überzeugungskraft die Erkenntnisse von Heinrich Jacoby und Elsa Gindler für eine mögliche bessere Qualität unseres Daseins nahe gebracht.“ Rosemarie Augustin ist im Mai diesen Jahres 94 Jahre alt geworden. Eine Auswahl ihrer während der Teilnahme an Kursen bei Sophie Ludwig in den Jahren 1955 bis 1979 geschriebenen Resümees hat sie unter dem Titel „Spüren ist Leben. Erinnerungen an Sophie Ludwig“ veröffentlicht (vgl. Buchhinweise S. 30): „`Hier hört ja jeder das Gras wachsen´, das war die komisch verzweifelte Äußerung einer neu hinzugekommenen Kursteilnehmerin. Vollständig lautetet sie: `Ich glaube, ich gehöre nicht in diesen erlauchten Kreis. Hier hört ja jeder das Gras wachsen´. Nein, wir waren kein erlauchter Kreis – wir waren eine Gruppe von etwa 10 Personen unterschiedlichster Herkunft, Alters und Geschlechts, die in gemeinsamen Versuchen unter der Leitung von Sophie Ludwig ihre biologischen Möglichkeiten erforschen wollten. [...] Diesen Kursen von Sophie Ludwig lag die wissenschaftliche Forschungsarbeit von Heinrich Jacoby zu Grunde. [...] Die zweite Quelle für ihre Arbeit war ihre Freundschaft mit Elsa Gindler. [...] Ich bin 1955 zu Sophie Ludwig gekommen und zwar durch Frau Dr. Kaltenhäuser. [...] Diese Frau erkannte bald, dass meine Beschwerden nicht nur körperliche Ursachen hatten und erklärte mir, welcher Art die `Gymnastik´ bei Sophie Ludwig wäre. Wenn ich auch nicht alles verstand, so verstand ich doch soviel, dass ich dort etwas kennenlernen würde, was mir in mancher Weise weiterhelfen könnte. [...] Mit dem Wort `Gymnastik´ ist 6 | Erinnerungen an Sophie Ludwig das, was wir bei Sophie Ludwig lernten, keineswegs richtig gekennzeichnet. Sie selbst bezeichnete unser dauerndes Probieren als `Arbeit´. Wir fanden dieses Wort nüchtern und auch zu sehr mit dem Begriff Mühsal verknüpft. Wir hätten gerne einen so schönen Namen wir etwa Autogenes Training oder Yoga oder ähnliches dafür gehabt. Aber Sophie Ludwig, Heinrich Jacoby und Elsa Gindler lehnten alles ab, was einschränkte oder festlegte. Alles sollte in Bewegung bleiben und immer neu erfahren werden. [...]“ Resümee vom 27.11.1957 „Heute haben wir am Tauchen probiert, d.h. wir haben jeder eine kleine Schüssel mit Wasser vor uns gehabt und, auf dem Bauch liegend, das Gesicht in die Schüssel getaucht. Bei der allerersten Berührung, wenn der äußerste Punkt meines Gesichts (Nase, Wange oder Kinn) das Wasser berührt, kann ich noch nicht spüren, dass es Wasser ist – spüre nur eine stecknadelgroße Berührung von etwas. Im nächsten Moment ist es, als ob das Wasser mich anspringt. [...] Ich fühle, wie es eilig in alle Vertiefungen und Rillen fließt, bis das ganze Gesicht von Wasser umschlossen ist. Dann habe ich versucht, nur die Oberfläche des Wassers mit Wange oder Kinn zu berühren. Das ist wie ein schönes, kühles Streicheln, alle Spannung im Gesicht löst sich.“ Rosemarie Augustin: Spüren ist Leben - Erinnerungen an Sophie Ludwig. Berlin 2007. S. 7-9 und 18f. R. Augusin erinnert sich an Sophies Humor: Wir hatten ein Ferienhäuschen im Spöktal gemietet. Als Sophie mich vom Bahnhof abholte, klagte sie: „Die Räume sind da so winzig, ich weiß gar nicht, wie wir da arbeiten wollen. Einer muss wohl immer auf der Bettkante sitzen!“ Natürlich war genau das Gegenteil der Fall. Wir hatten jede Menge Platz dort. Beim Postkarten-Schreiben zusammen mit anderen Feriengästen fragte einer, ob jemand eine 10-Pfennig-Marke übrig hätte. Sophie: „Ich habe eine, aber sie ist etwas beschädigt. Ich lasse sie Ihnen billiger.“ Erinnerungen an Sophie Ludwig „Was ist weitergegangen?“ - Arbeiten bei Sophie Ludwig Der nachstehend zitierte Text ist die leicht gekürzte Wiedergabe eines Resümees, das ich seinerzeit zum Kursabend vom 5. 5. 1980 geschrieben habe. Es war verabredet, dass aus dem Teilnehmerkreis über jeden Abend der „Arbeit“ resümiert werde, auch deshalb, um Abwesende nachträglich teilhaben zu lassen, wobei das Resümieren reihum übernommen wurde. Ich füge das Resümee hier ein, weil sein Inhalt als für die Arbeitsweise Sophie Ludwigs, wie ich sie erlebt habe, charakteristisch gelten kann. Beginn mit der Wahrnehmungsthematik im Anschluss an den letzten Abend. Mitteilung von Probierergebnissen, -möglichkeiten und -schwierigkeiten. Erinnerung an die Hilfestellung, die die Erfahrung der Kleidung für die Wahrnehmung der umschlossenen Körperteile geben kann, wird ergänzt durch den Hinweis, dass auch der Druck, der von der Schwere der beim Gehen bewegten Schuhe auf die Füße ausgeht, diesen Wahrnehmungskontakt erleichtern kann. [...] Bericht (M. B.), dass es beim häuslichen Probieren nicht gelungen sei, den rechtsseitig erreichten Kontakt auch in der linken Körperhälfte entstehen zu lassen. Was könnte helfen? Sandsäckchen, Handauflegen, Umlagern auf die (linke) Seite, Klopfen. Im Anschluss hieran im selben Zusammenhang Gruppenversuch mit dem zunächst linken, dann rechten Oberschenkel: Auflegen der Hand, schließlich Hochziehen von Hautpartien mit erfahrbereiter Hand - unbeschadet dessen, dass Wahrnehmungsobjekt nicht die Hand ist. („Man kann auch mit den Händen glotzen.“) Prüfstein zweckmäßigen Vorgehens ist der – ggf. unausbleibliche – Atemreiz (Gähnen). Das Versuchsergebnis wiederum überaus deutlich ablesbar (I. C., M. B.). - Die Wahrnehmungsversuche bleiben Thema, wobei zwei Varianten zu unterscheiden sind: Die spontanen Signale/Veränderungen im Organismus, wenn ich mich frage, was ich von ihm empfinde (1) und die (systematische) Erarbeitung des Zuganges zu einzelnen Körperpartien oder der Ganzheit des Organismus (2). Anschließend Sprechversuch (I. C.) mit „Gefunden“ von Goethe. Problematik der Überschrift, die sich zunächst als „Gefunden von Goethe“ mitteilte. Bemerkenswert die Äußerung I. C‘s, dass ihr diese „Ge- fahr“ bewusst gewesen sei und sie sie zu vermeiden gesucht habe. Zufall? Oder bewirkt Vermeidenwollen notwendig die Annäherung an das, was vermieden werden soll? Mehrfache Wiederholung des Textes und einzelner Teile in unterschiedlicher Qualität, aber durchgehend aus dem Versuch, Beziehung zum Gehalt entstehen und sich äußern zu lassen. Das Abhören erweist die Lücken: Überzogene Pausen, übersprungene Satzanfänge, realitätslose Vergleiche („wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön“) und Zusammenziehungen („Sagt es fein“ mit dem Ton auf „sagt“), nicht eindeutige (zwischen den beiden ersten Strophen nicht kontrastierende) Stimmungswerte. Der Besorgnis I. C‘s., sie könne mit nochmaliger Wiederholung langweilen, wird einhellig widersprochen: erneute Erfahrung, dass der Probierende als solcher nicht langweilt. Erneute Erfahrung auch, wie ein (gutes) Gedicht, in dieser Weise und Qualität erarbeitet, seinen Reichtum des lebendigen Geschehens aufschließt. Die Folge der Versuche erweist aber auch wieder: Es gibt kein „Rezept“, keinen „Besitzstand“ des Könnens - die Folge stellte sich keineswegs als kontinuierliche Qualitätssteigerung dar. Was es allein gibt, ist Veränderung, „Steigerung“ im Verhalten gegenüber dieser (oder irgendeiner) Aufgabe, aus dem heraus unter Einsatz der ganzen Person und mit vollem Risiko die Re-Produktion - als WiederHervorbringung - verwirklicht sein will. Nochmalige Erinnerung an die Versuche des Auftauchenlassens von (heiteren) Erlebnissen und ihre Beziehung zu den Sprechversuchen. [...] „Was ist weitergegangen?“ war Sophie Ludwigs stereotype Frage zu Beginn jedes Kursabends, die auf Ergebnisse weiteren Probierens, aber auch darauf zielte, ob und wie sich Themen oder Erfahrungen aus der „Arbeit“ in Alltagssituationen ausgewirkt hatten. Wie Elsa Gindler und Heinrich Jacoby lag auch Sophie Ludwig daran, die „Arbeit“ sich nicht in einem Regenerationseffekt am Kursabend erschöpfen zu lassen, sondern die Teilnehmenden tauglich zu machen für einen zweckmäßigeren Umgang mit den Forderungen und Schwierigkeiten des Alltags. Das Resümee lässt darüber hinaus aber auch den Ernst, die Tiefe und die Genauigkeit erkennen, die die Arbeit Sophie Ludwigs Erinnerungen an Sophie Ludwig | 7 bestimmt haben. Ihr Arbeitsprinzip war strenge Sachlichkeit, die sie bis zur Schonungslosigkeit durchhalten konnte. Das hat ihr auch Kritik eingetragen, den Vorwurf allzu großer Kühle gegenüber persönlichen Problemen der Teilnehmenden zugezogen. Es folgte aber daraus, dass sie die „Arbeit“ nicht als Therapie verstand - diese Einschätzung hat sie ausdrücklich zurückgewiesen -, sondern als Aufweis der Zustandsund Verhaltensabhängigkeit eines die „biologische Ausrüstung“ zur Entfaltung bringenden Lebens; in dieser Perspektive konnten persönliche Schwierigkeiten immer nur als Stoff für die Erkundung funktionaler Zusammenhänge von Bedeutung sein. Gleichwohl habe ich Sophie Ludwig außerhalb der Kursarbeit sehr wohl auch als teilnehmend und interessiert an persönlichem Ergehen erlebt. Ich hatte sie 1956 als ganz junger Mann kennen gelernt, hatte also, wie ich später nach Auseinandersetzungen mit älteren „Einsteigern“ erkannte, den Vorzug, in mei- ner Sicht auf den Menschen noch nicht festgelegt zu sein und also auch nichts verlieren zu können, was mir die Offenheit gegenüber dem, was sie zu sagen hatte, erleichterte. Ich bin Sophie Ludwig - auch in den Zeiten, in denen ich an den Kursen nicht teilnahm - bis zu ihrem Tode, also über mehr als 40 Jahre persönlich verbunden geblieben, seit 1985 auch über das gemeinsame Wirken in der im selben Jahr von ihr gegründeten Stiftung. Was verdanke ich der Mitarbeit bei Sophie Ludwig, was hat sie in meinem Leben bewirkt? Ich danke ihr die Vermittlung der Arbeit Jacobys und Gindlers, und zwar als eine Vermittlung, die - in der Verbindung von immer neuer und vielfältiger praktischer Überprüfung innerhalb eines weitgespannten Themenspektrums und präziser Sprache - meinem Naturell entgegenkam und sie mir in ihrer Bedeutung und Tragweite erschlossen hat. Freilich habe (auch) ich für meine Person hier die Kluft zwischen Wissen und Sein einzuräumen, einen weiten Vorsprung des besseren Wissens gegenüber dem eigenen Sein und Tun. Ich bin gleichwohl weit davon entfernt, den Ertrag der Arbeit bei Sophie Ludwig für mein Leben als eher gering einzuschätzen. Diese Arbeit hat die Maßstäbe meiner Wahrnehmung des Lebendigen bestimmt, bei mir selbst wie bei anderen - des Lebendigen in der Abgrenzung zum ja ebenso möglichen Leben aus und in Routine, „auf Vorrat“, „aus zweiter Hand“, wie es - konkret demonstriert an obigem Sprechversuch - etwa in Phänomenen des Ausdrucks begegnet. Die auf Erfahrung gegründete Einsicht in die Möglichkeiten und Gefährdungen menschlicher Entfaltung zu eben diesem Lebendigen ist zudem ein Wissen, das schon deshalb nicht ein nur theoretisches ist und sein kann, weil es im „Alltag“ vielfältig herausgefordert wird – nicht zuletzt von den vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und Gewissheiten (weithin) üblichen Denkens und Argumentierens. Aber auch im unmittelbaren Handlungsbereich ist es praktisch geworden, wenn es etwa galt, die - gut gemeinte Einmischung Erwachsener in das Vorhaben und Tun Aus S. Ludwigs Arbeit mit Kindern: Balancierend sein als vertrauensvoller, gelassener Zustand… 8 | Erinnerungen an Sophie Ludwig Können Sie sich nicht darüber freuen, dass es Ihnen jetzt besser geht? Das ist auch eine Art Umgang mit uns als einem Stück Natur. Das eines Kleinkindes (aktuell: meiner Enkelin) mit einem „Nicht helfen!“ abzuwenden. Gleichwohl hat mich immer beschäftigt, dass ich Sophie Ludwigs Frage „Was ist weitergegangen?“ als solche nach der Auswirkung ihrer Arbeit in meinem Handeln und Sein vor mir selbst nur wenig befriedigend habe beantworten können. Was hat gehindert, das Wissen um die Bedingungen und die Entfaltung des Lebendigen so praktisch, so „wirklich“ werden zu lassen, dass die bezeichnete Kluft zwischen Wissen und Sein geschlossen und im beruflichen und persönlichen Alltag jener Qualitätssprung erreicht und vollzogen wurde, zu dem diese Arbeit einlädt und den sie mir an Abenden geglückten Probierens eindrücklich erlebbar gemacht hat? Gerade Erfahrungen solcher Art schließen es aus, den Grund dafür allein in bloßen Beharrungskräften, in dem Wissen, dass es doch „auch so“ geht, zu finden. Woher aber rührt dann die Schwierigkeit, im Umgang mit sich und der Außenwelt das Verhaltensprinzip „Routine“ preiszugeben und sich der Führung zu überlassen, die in „zweckmäßiger Fragestellung“ angelegt ist („Ding/Aufgabe - was willst du von mir?“)? Bei dieser Formulierung liegt die - meiner Selbstwahrnehmung auch entsprechende - Antwort nahe: Das hier vorausgesetzte Vertrauen in die Verlässlichkeit der eigenen Funktionsfähigkeit und -bereitschaft wächst nicht parallel mit der Erfahrung zweckmäßigen Verhaltens zu, die „Routine“ scheint - vor allem im Blick auf die stets aktuellen, auf den Leistungserfolg gerichteten Forderungen oder Erwartungen in der Gesellschaft - für das eigene Bewusstsein als Mittel der Absicherung und Effektivität unentbehrlich zu bleiben. Ist dies ein prinzipieller Einwand gegen die Wirklichkeitsnähe der „Arbeit“ als solcher, stößt sie hier an (uneingestandene) Grenzen? Ich lasse das dahingestellt - selbst aber, wenn man die Frage bejahen wollte, bliebe ihr Wert für das Leben, so meine Überzeugung nach denn doch vielfältiger „Anwendung“ ihrer Befunde und Einsichten, unbestreitbar und auch unschätzbar. ist doch eine wunderbare Sache, dass sich das so verändern kann, dass man wieder freier werden kann, dass man atmen kann. Und ich möchte sagen: Durch solche blöden Versuche. (Sophie Ludwig, Einführungskurs am 8.2.1991) Wolfgang von Arps-Aubert ...er könnte alltäglich sein, nicht nur für Schornsteinfeger. Erinnerungen an Sophie Ludwig | 9 Erfahrungen Es geht bei der Auseinandersetzung mit der Arbeit Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys darum, die jeweiligen Erfahrungen, die Menschen in diesem Zusammenhang machen, in unterschiedlichste Lebensbereiche einfließen zu lassen. Als Beispiel berichtet im Folgenden Beate Lock, wie ihre berufliche Tätigkeit als Trainerin und Coach auch von ihren Erfahrungen mit der Arbeit Gindlers und Jacobys beeinflusst ist. Schmerzen können im Leben immer wieder eine schwierige Herausforderung sein, manchmal werden sie gerade auch in der Auseinandersetzung mit der Arbeit Gindlers und Jacobys akut. Birgit Rohloff fragt in ihrem Beitrag nach dem Umgang mit Schmerzen. Pause? Pause! Seit knapp 20 Jahren arbeite ich als Personal- und Organisationsentwicklerin in und für Unternehmen. Seit einigen Jahren als selbstständige Trainerin und Coach. 1994 kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit der Arbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby. Ich nahm in Hamburg an einem Wochenendkurs von Ruth Veselko teil und war beeindruckt von der Wirkung dieser doch so einfachen und nach „nichts“ aussehenden „Übungen“ auf mich. Einige Zeit später nahm ich den Faden wieder auf und traf – dank Internet – auf viele interessante Informationen zu Elsa Gindler und Heinrich Jacoby. Seitdem nehme ich regelmäßig an Kursen, die Marianne Haag in der Stiftung anbietet, teil und freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, in Hamburg mit Interessierten eine Probiergruppe ins Leben zu rufen und lebendig zu halten. Mein Wunsch ist es, die Erfahrungen, die ich in Kursen und beim eigenen Probieren mache, nicht nur eine Woche im Oktober (wenn der Kurs in der Stiftung stattfindet) oder einmal im Monat für 3 Stunden (wenn wir uns in Hamburg zum Probieren treffen) zu erleben, sondern dies auch in meiner beruflichen Tätigkeit, die zur Zeit einen großen Teil meiner Lebenszeit ausmacht, einfließen und wirken lassen zu können. Unter anderem geht es mir um die Erfahrung, » dass sich durch Aufmerksamkeit und Wahrnehmung dessen, was ist Veränderungen einstellen können, » dass , wenn ich bereit werde, eine Aufgabe zu lösen, die Zeit des Lösens oft dicht und intensiv ist, » dass ich mir bewusst werde, wenn ich mich anstrenge, wie ich mit Druck, Ärger, Angst und Ag- 10 | Erfahrungen gression umgehe und wie sich dies auf mein Dasein und das Lösen einer Aufgabe auswirkt. Nun bin ich in meiner Tätigkeit nicht auf Stressbewältigung und Selbstmanagement spezialisiert, wo sich diese Punkte eventuell leichter platzieren ließen, sondern arbeite schwerpunktmäßig mit Führungskräften und deren Teams zu den Themen Führen, Zusammenarbeiten, Kommunizieren, Konflikte lösen. Die Rahmenbedingungen hierbei haben sich in den letzten 10 Jahren deutlich verändert. Wurden beispielsweise Führungstrainings und Seminare früher häufig mit 5 Tagen angesetzt, wird heute möglichst der gleiche Inhalt in 2 Tagen oder in 2 bis 3 Coachingsitzungen zu 1 bis 2 Stunden bearbeitet. Das Tempo und der Druck haben sich deutlich erhöht. Das Ziel ist es, in kurzer Zeit spürbare Veränderungen und Ergebnisse zu erreichen. Ich erlebe als Dienstleisterin die gleichen Erwartungen und den damit einhergehenden Druck, dem sich Führungskräfte stellen müssen. Ich mag Herausforderungen und schaffe gern etwas. Gleichzeitig erlebe ich die Diskrepanz zwischen meinen beruflichen Anforderungen, den nachvollziehbaren Erwartungen meiner Kunden („Können wir das nicht mal in einem halben Tag am Sonnabend vormittag machen, wir kommen hier einfach schlecht raus aus dem laufenden Betrieb.“) und der von mir als wohltuend und nützlich erlebten Arbeit mit Aufgaben und Fragen nach Gindler/Jacoby. Anfänglich war ich damit beschäftigt, wie ich in meinen Veranstaltungen Achtsamkeit und Wahrnehmung als Thema mit einfließen lassen konnte, ohne dabei in Widerspruch zu den beauftragten Zielen und Inhalten zu gelangen. Schließlich werde ich für die Erreichung eines bestimmten Zieles oder Vermittlung Ruhen und Bearbeitung eines bestimmten Themas engagiert und nicht dafür, Ideen von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby zu vermitteln. Mir wurde phasenweise immer unwohler. Ich erlebte mich selbst als erfolgreich und gleichzeitig als „ständig unter Strom“, hochkonzentriert und „immer dabei“. Meine Augen gaben mir dann einen wichtigen Hinweis und Impuls. Mir fiel auf, dass ich nach kurzer Zeit in der Arbeit mit Teilnehmern dazu neigte gerötete Augen zu bekommen. Dann begann ich zu beobachten, wie es im Laufe eines Trainingstages meinen Augen erging. Wie ich sie wahrnahm. Im Zuge dessen wurde mir (sehr bekannt aus den Kursen in der Stiftung) wieder bewusst, wie wenig Pausen ich im Laufe eines Tages machte. Wie schwer es mir fiel, überhaupt eine Pause zu machen und nicht doch die zur Verfügung stehende Zeit für etwas zu nutzen, das ich noch erledigen wollte. So eilte ich sehr geschäftig durch den Tag und fragte mich: „Was ist eigentlich eine Pause? Wie fühlt sich eine Pause an? Was passiert in einer Pause? Wie muss ich werden, um eine Pause einlegen zu können? Wie lange muss eine Pause dauern, bevor es weitergehen kann?“ Eine spannende Auseinandersetzung, in der ich mich nach wie vor befinde. Einige Befürchtungen tauchten auf: Schaffe ich alle Arbeiten und Herausforderungen, wenn ich eine Pause mache? Kann ich den Faden anschließend wieder aufnehmen und beispielsweise in einem Training oder einer Beratung den Spannungsbogen halten? Jetzt in der Sommerzeit ist das Geschäft insgesamt ruhiger und ich nutze die Zeit zum Mit-Pausen-Pro- bieren. Und einige fruchtbare Entdeckungen tauchen auf. Mit Pausen und einem Bereitwerden für eine neue oder das Fortführen der bisherigen Aufgabe erlebe ich meine Tage in der Nachschau als voller, zufriedenstellender. Ich erlebe es so, als wenn ich Dinge und Aufgaben erschöpfend erledigen konnte und ganz dabei war. Statt wie sonst der Versuch des „Multitasking“, bei nichts wirklich ganz dabei sein und am Ende des Tages eher nur erschöpft sein. Ich erlebe es so, als hätte ich mehr geschafft als sonst. Und bin zufriedener. Sehr erstaunlich und überraschend für mich! Die Aufgaben gehen mir leichter von der Hand. Auch das Niederschreiben meiner Erfahrungen für diesen Rundbrief, eine Aufgabe, die mich Monate begleitete und von der ich mich zwischenzeitlich schon verabschiedet hatte, war irgendwann bereit getan zu werden. Mit einer größeren Leichtigkeit und auch Freude, als ich das vorher angenommen hatte! Und eine weitere Erfahrung wurde mir noch einmal nachdrücklich bewusst. Meine Arbeit profitierte davon, dass ich mich entschied, nicht danach zu suchen, wie ich mit anderen, mit Teilnehmern oder Coachees, besser arbeiten könnte, sondern als ich begann, mich auf mich zu besinnen und bei mir zu schauen. In Veranstaltungen tauchten nach einer Pause interessanterweise unerwartete und produktive Wendungen auf. So haben mit Sicherheit auch meine Kunden einen Nutzen von meiner Beschäftigung mit Fragen und Aufgabenstellungen nach Elsa Gindler und Heinrich Jacoby. Beate Lock Erfahrungen | 11 Erfahrungen Schmerzen fordern heraus! Wie antworte ich? Schmerzen sind häufig sehr aufdringlich. Sie schieben sich in den Vordergrund der Empfindungen und werden viel beachtet. Wenn ich als Krankengymnastin frage, was z.B. gerade vom Arm spürbar ist, bekomme ich nicht selten von Patienten die Antwort: “Nichts.“ Damit ist gemeint, dass der Arm schmerzfrei ist. Wenn wir unseren Körper hauptsächlich als Schmerzort empfinden, verändert es unser Verhalten: Wir nehmen uns weniger im Gesamten wahr, sondern sind auf eine bestimmte Region fixiert. Dadurch spüren wir die schmerzfreien Gegenden allenfalls als nebensächlich, teilen in wichtig und unwichtig ein, was wir empfinden. Wir suchen Schonbewegungen und Schonhaltungen, die so zur Gewohnheit werden können, dass wir sie nicht mehr als folgenreiche Abwege erkennen. Dies führt nicht selten an anderen Orten zu Schmerzen. Wir kommen nicht zur Ruhe. Wir sind auf der Flucht vor Situationen, die Schmerzen auslösen oder verstärken könnten. Wir belauern wie wir uns bewegen, statt uns in einer Situation nur zu erleben. Sind wir einmal schmerzfrei, erwarten wir die Rückkehr der Schmerzen. Auch dies verändert unser Verhalten. Wir sind also nicht frei von Schmerzen, auch wenn sie nicht akut sind, weil wir weiterhin Angst vor ihnen haben. Wir fühlen uns vielleicht sogar schuldig, wenn sie wieder spürbar werden, denn dann haben wir uns „nicht richtig verhalten“, haben eine „falsche Bewegung“ gemacht. Weil wir uns Schmerzen gegenüber hilflos fühlen, wollen wir sie nur weg bekommen. Das ist verständlich, führt aber nicht weiter. Ein anderer Umgang mit Schmerzen könnte der Versuch sein, uns bewusster werden zu lassen, wie wir auf sie reagieren, wie wir uns verhalten, wenn wir Schmerzen spüren. Können uns Veränderungen deutlich werden? Bleiben die Schmerzen gleich oder verändert sich ihre Qualität? Erleben wir sie im Zusammenhang unserer gesamten Situation? Wenn wir uns einsetzen, wenn wir uns „um uns kümmern“, erwarten wir oft „sofortige Belohnung“, also weniger oder keine Schmerzen. Aber: Was jetzt Schmerzen verursacht, ist meistens schon lange in Unordnung, gereizt oder empfindlich. Nur ist uns dies bislang nicht bewusst geworden, oder wir haben entsprechende Empfindungen ignoriert, so lange es eben ging. Jetzt 12 | Erfahrungen wird es wichtig, sich klarer zu werden über unsere Struktur und Organisation, um zu erfahren, wie unser Einsatz zweckmäßiger ist, wo er notwendig ist und wo übertrieben. Dann können wir auch spüren, wann weitere Forderungen den Organismus unterstützen, sich in Richtung von Ordnen zu verändern. Dazu gehört es, sich Gelegenheiten einzuräumen, in denen wir mehr zur Ruhe kommen können. Wir brauchen Zeit und Raum, um Zustandsempfindungen bewusst bei uns ankommen zu lassen. Das kann für uns schwierig sein, weil der stärkere Impuls meistens der ist, die Schmerzen wegdrängen zu wollen. Auf diese Weise werden aber keine Veränderungen eingeleitet, sondern der gegenwärtige Zustand verfestigt sich. Dies kann uns erst deutlich werden, wenn wir uns der Lage nicht zu entziehen versuchen. Können wir vertrauter werden mit der Schmerzsituation? Können wir den Ängsten, die mit Schmerzempfindungen verbunden sind, begegnen? Können wir uns einen Moment sein lassen, wie wir uns vorfinden? Das könnte ein Weg sein, uns zunehmend für unser Verhalten interessiert werden zu lassen, und wäre ein erster Schritt, unsere Hilflosigkeit gegenüber Schmerzen aufzulösen. Vielleicht wird es damit auch eher möglich, Schmerzen zu akzeptieren. Sie können spürbar werden als konkrete Aufforderung, in unserem Alltag häufiger der jeweiligen Situation entsprechend zu reagieren. Es braucht wachen Einsatz, um unüberprüft routiniertes Verhalten zu überwinden. Ignorieren wir unseren Zustand, erfahren wir nichts von unseren Möglichkeiten, uns zweckmäßiger zu verhalten. Eigentlich sind Schmerzen ein Signal, das wir als Zeichen von Unordnung oder Störung im Organismus erkennen könnten. Wenn wir dies ernster nehmen würden, wenn wir unseren Zustand erkennen und an erkennen würden, benötigten unsere Pläne für den Tag sicher häufig Veränderungen. Lassen wir uns auch nur für einen Moment Platz für die Frage, ob wir schon bereit sind für die nächste Aufgabe? Oder was es jetzt bräuchte, um anwesender weiterarbeiten zu können? Wird uns unser Zustand bewusst? Werden uns die Auswirkungen unseres Verhaltens spürbar? Und wie antworten wir darauf? Birgit Rohloff Aus heutiger Sicht: Die Arbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby Wie lässt sich die Arbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby einordnen und welchen Bereichen ist sie zuzuordnen? Die folgenden beiden Beiträge skizzieren, wie man die Arbeit von Elsa Gindler als grundlegenden Beitrag zu einer somatischen Psychotherapie verstehen und in der Arbeit Heinrich Jacobys Aspekte für eine erfahrungsorientierte Pädagogik ausmachen kann. Damit sind zwei Betrachtungsweisen - unter vielen möglichen anderen - auf die Arbeit Gindlers und Jacobys umrissen. Elsa Gindler als Begründerin einer somatischen Psychotherapie Das von G. Marlock und H. Weiss herausgegebene und im Jahr 2006 erschienene Handbuch der Körperpsychotherapie liefert mit 100 Beiträgen von 84 Fachautoren aus aller Welt einen Überblick über Körperpsychotherapie „als eine weit verbreitete Strömung der Psychotherapie,“ die, wie die Herausgeber zu Beginn formulieren, „trotz aller Skepsis, der sie in der Vergangenheit ausgesetzt war, inzwischen aus dem psychotherapeutischen Feld nicht mehr wegzudenken“ ist. In der Tat ist das Interesse am Körper in den unterschiedlichen Psychotherapie-Schulen unübersehbar und hat in jüngster Zeit sogar die sog. „Richtlinienpsychotherapien“, d.h. die in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlten Psychotherapieformen (Psychoanalyse und Verhaltens therapie) erreicht. Die Wurzeln der Körperpsychotherapie liegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert und vor allem in Deutschland. Gerade im deutschsprachigen Raum entwickelten sich vor 1933 zahlreiche Ansätze einer sogenannten Körperkulturbewegung und von Körperpsychotherapie. Zahlreiche ihrer Vertreter mussten jedoch infolge des deutschen Faschismus und Rassismus emigrieren. Dies förderte zwar die Verbreitung ihrer Ideen in der ganzen Welt, bedeutete für den deutschsprachigen Raum aber einen weitgehenden Entwicklungsstillstand, der erst in jüngster Zeit bewusst wird und aufgearbeitet werden kann. In diesem Zusammenhang wartet das Handbuch nun für die deutsche Leserschaft und die TeilnehmerInnen an den Jacoby/Gindler-Arbeitsgemeinschaften mit einer gewissen Überraschung auf: In dem umfangreichen Handbuch finden sich lediglich zwei biographische Kapitel. Das eine berichtet – wen wundert’s – über Wilhelm Reich (1897-1957), mit dessen Name eine wichtige und wirkmächtige Entwicklungslinie der tiefenpsychologischen Körperpsychotherapie ver bunden ist. Das andere, Reich vorgeordnete biographische Kapitel indes ist Elsa Gindler (1885-1961) gewidmet. Hatte Elsa Gindler für Psychotherapie eine Bedeutung? Verstanden Elsa Gindler und Heinrich Jacoby ihre Arbeit nicht als eine selbstverständliche persönliche Entwicklungsarbeit ohne primäre pädagogische oder therapeutische Zielsetzung? Ja, so verstanden sie ihre Arbeit. Aber deren therapeutischer Nutzen war und ist unübersehbar. Und ihre Wirkung auf die Entwicklung einer Körperpsychotherapie war in der Tat, wie das Handbuch jetzt ans Licht bringt, enorm. Da wird Elsa Gindler als „Großmutter der somatischen Psychotherapie“ bezeichnet und nicht weniger behauptet, als dass „die einfache und grundlegende Arbeit, die von Elsa Gindler begründet wurde, eine der wichtigsten Grundlagen der somatischen bzw. körperorientierten Psychotherapie“ gewesen ist (Handbuch S. 33, 39 (J.O. Weaver)). Dieses außerordentliche Urteil wird im Handbuch durch zahlreiche Hinweise auf Entwicklungen, die mit Elsa Gindlers Arbeit verbunden waren, begründet. Auf viele Ärzte und Psychotherapeuten übten Elsa Gindler und Heinrich Jacoby direkt oder indirekt über die Teilnehmenden an ihrer Arbeit Einfluss aus, oft auf verschlungenen Wegen. So heiratete eine Schülerin Elsa Gindlers, Cläre Nathansohn, den Psychoanalytiker Otto Fenichel (1897-1946), einen unmittelbaren Schüler Freuds. Fenichel, der durch seine Frau dazu angeregt wurde, an Elsa Gindlers Arbeitsgemeinschaften teilzunehmen, war wiederum eng mit Wilhelm Reich befreundet, der sich, wie mehrere Quellen Aus heutiger Sicht | 13 Unsere Beziehung zu unserem Zustand erschöpft sich damit, dass wir konstatieren: ‚Ich bin müde‘, ‚Ich dass wir, in einem Instrument existieren, was auch so seine Bedürfnisse hat, auf die wir nicht reagieren, belegen, intensiv für die Arbeit Elsa Gindlers interessierte. Reichs erste Frau, Annie Pink, studierte bei Cläre Fenichel; und Reichs spätere große Liebe und langjährige Gefährtin, Elsa Lindenberg, arbeitete vor und nach dem zweiten Weltkrieg bei Elsa Gindler. Andere Vertreter körperpsychotherapeutischer Ansätze, die durch die Arbeit Elsa Gindlers beeinflusst wurden, sind beispielsweise Erich Fromm (1900-1980), Fritz Perls (1893-1970), Moshé Feldenkrais (1904-1984), Helmuth Stolze (1917-2004), Charlotte Selver (19012003), Hilarion Petzold (geb. 1944), George Downing (geb. 1940) oder Ruth Cohn (geb. 1912). Dass diese Einflüsse erst im historischen Abstand bewusster werden, liegt nicht zuletzt an der besonderen Auffassung Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys, dass sich ihre Arbeit gegen jede Methodisierung, Schulenbildung, Verzweckung, ja sogar gegen eine Namensgebung zu sperren habe. Die Körperkultur- oder Lebensreformbewegung in Deutschland vor 1933 war ein Schmelztiegel von Ideen und Anregungen auch für die gerade aufkommende Psychoanalyse und ihre Vertreter. So finden sich parallele Wurzeln der Körperpsychotherapie im Tanz- und Theaterbereich (z.B. J. Dalcroze, R. Laban, M. Wigman usw.), der beispielsweise den Hintergrund der Therapiemethoden von F.M. Alexander (1869-1955), A. Pesso (geb. 1929) oder J.L. Moreno (1889-1974) bildet. Elsa Gindler stand zunächst in der Tradition der mit der Lebensreformidee verbundenen deutschen Gymnastikbewegung, ging dann aber überraschend früh wesentlich andere, eigene Wege als die auf „Schönheit durch Gymnastik“ ausgerichteten Gymnastik- und Atemschulen ihrer Zeit. Sie stieß auf die Beziehungen zwischen physischen und psychischen Zuständen und entwickelte ihre Arbeit weg von gymnastischen Übungen zu einer experimentellen Forschungsarbeit psychosomatischer Zusammenhänge und eigener Entwicklungsmöglichkeiten. Diese Entwicklungen wurden wesentlich durch die Zusammenarbeit mit Heinrich Jacoby (1889-1964) gefördert. Beide, Elsa Gindler und Heinrich Jacoby, interessierten sich für die noch in den Anfängen steckende Psychoanalyse und regten ihrerseits ihre Schüler an, sich für die Fragen der Psychoanalyse zu interessieren: „Mit den Grundeinsichten von Freud sollte sich jeder Mensch auseinander setzen!“ (Jacoby 2004, S. 110). Zum Verständnis der besonderen Leistung Elsa Gind- 14 | Aus heutiger Sicht lers und Heinrich Jacobys muss man sich vor Augen halten, dass die Psychoanalyse Freuds das Körperliche durch Betonung des Psychischen und der Sprache als Mittel der Aufdeckung des Unbewussten ausklammerte. Wie einer der beiden Herausgeber des Handbuchs thematisiert, hatte „die Entkörperlichung der Psychoanalyse und damit des tiefenpsychologischen Mainstreams auch mit Freuds Orientierung am Ideal bürgerlicher Aufklärung zu tun“ (Marlock ebd. S. 71). In der auf Freuds Annahmen fußenden Psychotherapie spielte – pointiert formuliert – der Körper allenfalls nur so lange eine Rolle, bis er Zugang zu unbewusstem Erleben eröffnete. Es war also nicht so, dass Elsa Gindlers Arbeit gleichsam aus einer Addition von Körpergymnastik und psychoanalytischem Gedankengut entstand, sondern eher als eine Synthese von in dieser Zeit noch als gegensätzlich und antithetisch empfundenen Aspekten. Während Psychosomatiker heute die psychobiologische Einheit des Menschen, die Untrennbarkeit von Bewegung, Emotionen und Kognitionen nicht zuletzt aufgrund der jüngsten neurobiologischen Erkenntnisse als selbstverständlich annehmen, war eine solche Annahme in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch postuliertes Neuland. So formulierte die bereits erwähnte Cläre Nathansohn über Elsa Gindlers Arbeit in dieser Zeit: „Ihr Wissen über die Menschen wurde immer umfassender. Das Entscheidende jedoch ist, dass sie sich immer stärker nicht nur für den Körper, sondern für das ganze Sein interessierte“ (zit. nach Handbuch S. 34). Es lohnt sich, im Bewusstsein der genannten antipodischen Strömungen noch einmal den Vortrag Elsa Gindlers von 1926 zu lesen, in dem sie sich deutlich sowohl gegen die Gymnastikbewegung („Es ist für mich schwer, über Gymnastik zu sprechen, weil das Ziel meiner Arbeit nicht in der Erlernung bestimmter Bewegungen liegt, sondern in der Erreichung von Konzentration“), als auch gegen die Psychoanalyse abgrenzte: „Ich unterlasse es absichtlich, dieses Bewusstsein als Seele, Psyche, Geist, Gefühl, Unterbewusstsein, Individualität oder gar Körperseele zu definieren. Für mich fasst das kleine Wort ‚ich’ dies alles zusammen, und ich rate meinen Schülern immer, ihr eigenes Wort, mit dem sie sich anreden, an die Stelle meines Wortes zu setzen, damit sie nicht erst einen Knoten in die Psyche bekommen und stundenlang darüber philosophieren, wie es und was nun gemeint ist, denn in derselben Zeit kann man immer habe keine Lust zu arbeiten‘, ‚Mir tut der Kopf weh‘. Stimmt‘s? Wenn sich das meldet, dann merken wir, weil wir gar nicht wissen, was wir eigentlich an Misshandlungen vollbringen. (Sophie Ludwig, Einführungskurs am 8.2.1991) etwas Nützliches tun“ (Ludwig S.84). Auch Jacoby formulierte gegenüber den Psychoanalytikern 1945 kritisch: „Man kann vieles wissen und klug denken und reden über Individualpsychologie und Psychoanalyse, man kann auch psychologisch Bescheid wissen über die Hintergründe seiner eigenen Schwierigkeiten und wird trotzdem nichts an seiner Situation ändern können, wenn sich nicht in der gesamten Verhaltensweise etwas wesentlich ändert. Das Erkennen der Zusammenhänge – z.B. in einer Analyse – kann einem vielleicht Mut geben und einen veranlassen, an sich zu arbeiten, statt die Schwierigkeiten als ‚Schicksal’ hinzunehmen. Aber Erkennen und Denken bleibt ein Nichts, wenn sie nicht auch zu einer wirklichen Verwandlung im Grundverhalten dem Leben gegenüber führen, wenn nicht eine konsequente Arbeit der Selbst-Erfahrung und Selbst-Nacherziehung einsetzt“ (Jacoby 2004, S.110). Ein Beitrag des Handbuches von G. Marlock beschreibt Körperpsychotherapie als erfahrungsorientiertes Vorgehen oder genauer noch als einen „Prozess sinnlicher Selbstreflexivität“. Dieses Grundprinzip geht wissenschaftsgeschichtlich auf die Arbeit Elsa Gindlers zurück, die – wie Marlock betont - bereits „sieben Jahrzehnte, bevor der zen-buddhistische Mönch Tich Nath Hanh im Westen mit seiner langsamen Gehmeditation berühmt wurde, ... in Berlin eine Form der Leibpädagogik entwickelt(e), bei welcher das Gewahrwerden über bewusste und verlangsamte Bewegung und die sinnliche Erfahrung im Mittelpunkt standen“ (Handbuch S.397). Es ist erfreulich, wenn das gewichtige Handbuch der Arbeit Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys durch solche Hinweise den ihnen gebührenden Stellenwert für die Entwicklung einer verhaltensbezogenen Körperpsychotherapie zuerkennt. Die vielen unterschiedlichen Schulen und Verfahren der Körperpsychotherapie lassen sich mithilfe dieses Handbuches darauf hin befragen, wieweit sie dem hohen Anspruch Elsa Gindlers gerecht werden. Elsa Gindler definierte als Ziel ihrer Erziehungsarbeit, „den Menschen für eine Verhaltensweise zu interessieren, durch die seine Bewegungen und sein Organismus möglichst störungsfrei reagieren und funktionieren. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die Arbeit sich nicht in isolierten Turn- oder Gymnastikstunden vollzieht, sondern unaufhörlich in all unseren täglichen Betätigungen versucht wird“ (Gindler 1931 in Ludwig 2002, S.120). Norbert Klinkenberg Elsa Gindler, Isola Superiore 1929 Ruhe und Stille erleben, um tatbereiter und wacher zu werden Marlock, Gustl & Weiss, Halko (Hrsg.): Handbuch der Körperpsychotherapie. Mit Geleitworten von Dirk Revenstorf und Bessel van der Kolk. 972 Seiten. Stuttgart/New York 2006. Schattauer Verlag: 99,- Euro Jacoby, Heinrich: Jenseits von ‘Begabt’ und ‘Unbegabt’. Hamburg 6. Aufl. 2004. Ludwig, Sophie: Elsa Gindler – von ihrem Leben und Wirken. Hamburg 2002. Aus heutiger Sicht | 15 Aus heutiger Sicht: Die Arbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby „Ich hoffe, dass Sie bei mir nichts lernen werden!“ Lernen und Erfahrung in der Arbeit Heinrich Jacobys Am 11. Februar 2007 berichtete Inken Neubauer in den Räumen der Stiftung über ihr Dissertationsprojekt zur Arbeit Heinrich Jacobys: Lange bevor ich an meinem Dissertationsprojekt zu arbeiten begann, stieß ich während meines Studiums in einer Buchhandlung „zufällig“ auf das Buch „Jenseits von `Musikalisch´ und `Unmusikalisch´“. Den Autor, Heinrich Jacoby, kannte ich damals nicht. Aber die in dem Buch enthaltenen musikpädagogischen Positionen empfand ich als ausgesprochen aktuell. Sie betrafen viele Aspekte, die ich in meiner Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater weitgehend vermisst hatte und die ich in weiten Teilen der Musikpädagogik unberücksichtigt fand, von denen ich aber ahnte, dass sie entscheidend die (musikalischen) Ausdrucksmöglichkeiten von Menschen beeinflussen. Nachdem ich mich mit den vorhandenen Publikationen Jacobys auseinandergesetzt hatte, suchte ich nach Möglichkeiten, diese primär praxis- und erfahrungsorientierte Arbeit selbst kennenzulernen. Ich habe seitdem an vielen Kursen zur Arbeit von Heinrich Jacoby und Elsa Gindler teilgenommen und einige verwandte Verfahren, wie z.B. Sensory Awareness und Konzentrative Bewegungstherapie kennengelernt. Dabei konnte ich erleben, wie sehr ich mich in der Auseinandersetzung veränderte und sich mir neue Möglichkeiten und andere Voraussetzungen nicht nur zum Musizieren erschlossen. Ich habe erlebt, wie diese Erfahrungen allmählich meine eigene (musik-)pädagogische Arbeit veränderten und immer noch verändern. Da ich die Arbeit in sehr unterschiedlichen Ausprägungen von verschiedenen Schülerinnen der zweiten und dritten Nachfolgegeneration kennengelernt hatte, begann mich damals zunehmend zu interessieren, wie die ursprüngliche Arbeit Jacobys aussah und wie sie wissenschaftlich zu beschreiben ist. Einige Jahre und Anstrengungen später ist nun mein Dissertationsprojekt zur Arbeit Heinrich Jacobys abgeschlossen. Im Mittelpunkt meiner Untersuchung steht die pädagogisch-praktische Arbeit Jacobys in seinen Ar- 16 | Aus heutiger Sicht beitsgemeinschaften. Heinrich Jacoby und auch Elsa Gindler haben ja eine primär praxis- und erfahrungsorientierte Vermittlung ihrer Positionen und Erkenntnisse einer theoretischen Vermittlung, systematischen Darstellung und publizistischen Verbreitung vorgezogen und arbeiteten von 1924 bis zu ihrem Tod in sogenannten Arbeitsgemeinschaften mit erwachsenen Teilnehmenden. Sie haben sich gegenüber einer Methodisierung und Institutionalisierung ihrer Arbeit vehement verwehrt, weshalb ihre pädagogisch-praktische Tätigkeit eine besonders hohe Bedeutung hat. Auf der Grundlage umfangreicher Quellen aus dem Archiv der H.Jacoby/E.Gindler-Stiftung habe ich die Praxis der Arbeitsgemeinschaft Heinrich Jacobys erforscht. Dabei haben mich drei Fragen geleitet: Auf der Basis von Briefdokumenten habe ich untersucht, in welchem Kontext die Arbeit Jacobys entstanden ist: wie waren die Bezüge Jacobys zu zeitgenössischen Pädagoginnen / Pädagogen, zu Psychologen und zu Vertretern des Bauhauses. Ist die vielfach unterstellte Nähe zur Reformpädagogik nachzuweisen? Und wie hat sich Jacoby im zeitgenössischen Kontext selbst verortet? Am Beispiel einer Arbeitsgemeinschaft aus dem Jahr 1950/51 habe ich auf der Grundlage von Kursabschriften ausschnittartige Einblicke in den Prozessverlauf der Arbeitsgemeinschaft genommen und mit Methoden der qualitativen Sozialforschung thematische Schwerpunkte, vor allem aber Intentionen und Aspekte des praktischen Vorgehens Jacobys in seinen Arbeitsgemeinschaften herausgearbeitet. Dies habe ich mit den Materialen von vier Teilnehmenden derselben Arbeitsgemeinschaft, aus denen man die individuellen Reflexions- und Erfahrungsprozessen rekonstruieren kann, ergänzt und kontrastiert. Bei meinem Vortrag im Februar 2007 in den Räumen der Stiftung habe ich ausgewählte Untersuchungsergebnisse vorgestellt und anschließend den Aspekt „Lernen und Erfahrung“ beleuchtet. Die Bedeutung erfahrungsorientierter Lehr- / Lernprozesse ist in der aktuellen Pädagogik wie in der Erziehungswissenschaft fast unumstritten. Dies ist also ein möglicher Bezugspunkt, um Impulse der Arbeit Jacobys für heu- tige pädagogische Praxis aufzuzeigen. Ich werde zunächst auf die Begriffe Lernen und Erarbeiten eingehen, dann den Erfahrungsbegriff Jacobys beleuchten und abschließend versuchen, Besonderheiten des Erfahrungsbegriffes Jacobys auszumachen und nach Bedeutungen für die Lehrerbildung zu fragen. Lernen versus Erarbeiten Wer die veröffentlichten Kursdokumente Jacobys kennt, dem ist Jacobys Gegenüberstellung von „Lernen“ versus „Erarbeiten“ vertraut. Was ist mit diesen Begriffen jedoch genau gemeint und wie lassen sie sich verallgemeinernd definieren? In der von mir untersuchten Arbeitsgemeinschaft 1950/51 (wie auch 1945) stellt „Lernen“ den negativen Gegenhorizont für das intendierte Vorgehen in der Arbeitsgemeinschaft dar: „[...] ich hoffe, dass Sie hier bei mir nichts lernen werden, wobei ich natürlich mit dem `Lernen´ jenes Lernen meine, an das wir von klein an gewöhnt worden sind, mit Belohnungen und Drohungen, mit Versprechungen und Strafen, wo es tausend Dinge zu behalten gab, die uns nicht interessierten, die uns nichts angingen, sondern die eben zu lernen und zu behalten waren, weil sie im Lehrplan verlangt und bei den Prüfungen vorgewiesen werden mussten...“ (AG 1950/51, 1. Kursabend). Der von Jacoby explizierte negative Gegenhorizont „`Lernen´“ ist also durch äußere Restriktionen und Maßregelungen sowie durch Anforderungen gekennzeichnet, die das Curriculum oder die Institution Schule setzen. Dabei sind die zu vermittelnden Wissensbestände von einem subjektiv empfundenen Sinn, individuellen Erfahrungen und eigenem Interesse abgekoppelt. Jacoby fokussiert in der Arbeitsgemeinschaft 1950/51 jedoch nicht nur die Konsequenzen eines so verstandenen Lernens für den Wissens- und Kompetenzaufbau von Menschen, sondern er betont auch die Konsequenzen eines solchen Vorgehens für grundlegende Dimensionen des Person-Seins, beispielsweise hin- sichtlich der Entstehung von Beunruhigung, Unsicherheit, Angst: „Unter Lernen verstehe ich - beispielsweise und unter anderem - auch das, was wir alle von klein auf haben tun müssen, um schließlich so geworden zu sein, dass wir beunruhigt und unsicher und ängstlich werden, sobald an uns – und dazu noch vor anderen – eine Frage gerichtet wird. Das ist e i n Aspekt einer wenig zweckmässigen Art des Vorgehens“ (AG 1950/51, 1. Kursabend) Hier deutet sich der Aspekt des zweckmäßigen bzw. unzweckmäßigen Verhaltens an, also eine Verhaltensqualität, die u.a. durch Vertrauen, Stille, Gelassenheit, Reagierbereitschaft im Unterschied zu Angst, Panik und Starre gekennzeichnet ist - ein Aspekt der im Zusammenhang mit Lehr-Lernprozessen selten fokussiert wird. Dem negativ konnotierten „Lernen“ stellt Jacoby bekanntermaßen den Begriff des „Erarbeitens“ gegenüber. Er bezeichnet damit einen selbsttätigen, erforschenden, an der individuellen Erfahrung orientierten und intrinsisch motivierten Prozess. Jacoby betont besonders die Prozessstruktur des Erarbeitens, den allmählichen Verlauf vom Nicht-Stimmenden zum Stimmenden und die Tatsache, dass Fehler notwendige und produktive Bestandteile dieses Prozesses sind. Eine Vorgehensweise des Erarbeitens fordert Jacoby sowohl allgemein für die Gestaltung von Lehr-/ Lernprozessen und beansprucht zugleich, sie in seiner Arbeitsgemeinschaft zu realisieren. Erfahrung Für den von Jacoby intendierten Prozess des Erarbeitens ist also die Orientierung an der individuellen Erfahrung zentral. Von welchem Erfahrungsbegriff geht nun Jacoby aus? Wie die meisten der von Jacoby verwendeten Begriffe wird auch „Erfahrung“ nicht eindeutig definiert. Jacoby lehnt sich aus meiner Sicht an einen Erfahrungsbegriff an, der im neuzeitlichen wissenschaftlichen Denken das mit der Sinneswahrnehmung Erkundete - im Unterschied zum Erdachten (Rationalismus) oder zum von Autoritäten Angenommenen (Dogma) oder zum geschichtlich Überlieferten Aus heutiger Sicht | 17 (Tradition) - sowohl den Weg als auch das Ergebnis des auf Wahrnehmung, Beobachtung, Experiment beruhenden Forschens und Erkennens bezeichnet. Neben einer Nähe zu phänomenologischen Perspektiven weist der Erfahrungsbegriff Jacobys Berührungspunkte mit verschiedenen Philosophen und Pädagogen auf, beispielsweise mit dem des amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey (1859-1952). Dewey versteht Lernprozesse ebenfalls als Erfahrungsprozesse und betont besonders die Prozessstruktur von Erfahrung sowie die Bedeutung sogenannter negativer Erfahrung. Er beschreibt, dass der Prozess negativer Erfahrung mit Irritationen, Verwirrung, Zweifel, Schwierigkeiten, Frustrationen etc. beginnt. Erst dadurch wird aus seiner Sicht das Spannungsfeld zwischen Nicht-Können und Können, zwischen Nicht-Wissen und Wissen erzeugt, das Lern energie auslöst (Combe 2005, S. 3). Damit ergeben sich deutliche Bezüge zum Erfahrungsverständnis Jacobys: Jacoby verdeutlicht den Teilnehmenden seiner Arbeitsgemeinschaften immer wieder bestimmte Momente des Erfahrungsprozesses, z.B. das von ihm sogenannte Stolpern (als plötzliche Bewusstwerdung eines Nichtkönnen, als bewusstes Erleben von etwas Änderungsbedürfigem) als erste Etappe in einem Erarbeitungsprozess. So verweist Jacoby z.B. im Verlauf des 10. Kursabend der AG 1950/51 im Gespräch mit Teilnehmenden darauf, „[...], dass, bevor ich darüber gestolpert bin, dass da irgend etwas nicht so funktioniert, wie ich spüre, dass es funktionieren könnte, ich nicht anfangen kann, auf eine sinnvolle Weise daran zu arbeiten, dass ich das nächste Mal schon nicht mehr bei ähnlichen Anlässen zu stolpern brauche..... Aber ohne, dass ich bewusst bemerkt habe, dass da etwas nicht stimmt, kann ich nicht darauf kommen, etwas ändern zu wollen...“ Jacoby antwortet hier auf einen Teilnehmer, der sich zuvor beklagt hatte, beim Setzen auf den Hocker „schon wieder“ den Kontakt zur eigenen Last verloren zu haben, ja dass ihm die Last erst nach dem Versuch wieder bewusst geworden sei. Wenn ich solche Abschnitte in den Kursabschriften las, musste ich häufig schmunzeln, denn sie erinnerten mich - jenseits meiner wissenschaftlichen Arbeit - an meine eigenen 18 | Aus heutiger Sicht Erfahrungen beim Probieren, meine Schwierigkeiten und meinen gelegentlichen Ärger, etwas „schon wieder“ nicht realisiert oder gekonnt zu haben. Wie folgenschwer ist aber ein solcher Gedanke. Anstelle in Ärger, womöglich sogar Vorwürfen oder einem Gefühl von Ungenügen zu verfallen, wäre es ebenso möglich, ein solches Bewusstwerden von einem Nicht-Können als produktiven und notwendigen Teil des Prozesses zu verstehen und die daraus entstehende Lernenergie zu nutzen. Wenn man Lernprozesse konsequent als erfahrungsorientierte Prozesse versteht und sich die oben angedeutete Struktur von Erfahrungsprozessen, die mit Fehlern, Irritationen und Erleben von Nicht-Können beginnt, vergegenwärtigt, so wird deutlich, warum die beispielsweise in der Schule auch heute noch weitgehend verbreitete Sanktionierung von Fehlern und der daraus resultierende Versuch der Fehlervermeidung auf Seiten der Lernenden so folgenschwer ist. Nicht umsonst wird deshalb in der Schulpädagogik „theoretisch“ schon lange für die Entkoppelung von Lernprozess und Leistungsbewertung plädiert. Diese ist inzwischen sogar in einigen Rahmenrichtlinien und Lehrplänen verankert. Trotzdem wird sie immer noch nur vereinzelt praktiziert. Zwei Aspekte scheinen mir im Zusammenhang mit dem Erfahrungsverständnis Jacobys besonders erwähnenswert: » Jacoby spricht im Zusammenhang mit der Gestaltung von Lehr-/Lernsituationen konsequent von der Notwendigkeit, Erfahrgelegenheiten zu schaffen. Er verweist mit diesem Begriff auf die Problematik des Anfangs erfahrungsorientierter Lehr-/Lernprozesse und damit auf eine in der Pädagogik und Erziehungswissenschaft zentrale Frage, nämlich ob und wie sich (erfahrungsorientierte) Lehr-/Lernprozesse initiieren lassen. Dabei kann es sich nach dem Verständnis Jacobys wie nach dem Verständnis neuerer Wissenschaftler nur um eine Gelegenheitsstruktur handeln, die eben nicht garantieren kann, ob eine Situation, Aufgabe oder ein Versuch tatsächlich in einen individuellen Erfahrungsprozess münden. Käte MeyerDrawe schreibt zu dieser Problematik: „Ebenso wenig wie mein Wille den Anfang des eigentlichen Lernens erzwingen kann, ist ein Lehren möglich, das diesen Beginn setzt. Es kann stets mit ihm rechnen und die Lernen durch Erfahrung: Wirkliche Fragen und echtes Interessiertsein ergreifen den ganzen Menschen und nicht nur den Kopf Bedingungen günstig gestalten, ihn aber nicht garantieren. Einer Theorie des Lernens fällt die Aufgabe zu, diese Problematik so adäquat wie möglich zu formulieren.“ (Käte Meyer-Drawe 2005, S. 509) » Erfahrbereitschaft Mit diesem Begriff verweist Jacoby auf bestimmte Voraussetzungen beim Erfahrungssubjekt, nämlich die Bereitschaft, sich Erfahrungen zuwachsen zu lassen. Die Aufforderung Elsa Gindlers „Werden Sie wieder erfahrbereit ...“, die Jacoby in seinen Arbeitsgemeinschaften immer wieder aufgreift, zielt besonders auch auf eine leibliche Wahrnehmungsoffenheit. In neuerer Zeit betont beispielsweise Arno Combe, dass der Einzelne in einer Erfahrungskrise „nicht als rationaler Akteur, sondern als körperlich engagiertes Individuum reagiert und dass das anfängliche affektiv-leibliche Resonanzgeschehen die späteren Handlungsentwürfe entscheidend mitbestimmt (Combe 2005, S. 11). Ein besonderer Erfahrungsbegriff? Während der Arbeit an meinem Dissertationsprojekt wurde ich oft von Kommilitonen oder Professoren danach gefragt, worin denn das Besondere des Erfahrungsbegriffes Jacobys liege. In wissenschaftlichen Arbeiten ist es üblich, nach Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen mit anderen Begriffen zu schauen und das jeweils Spezifische eines Begriffes herauszuarbeiten. Ich habe bereits angedeutet, dass sich viele Überschneidungen mit dem Erfahrungsbegriff anderer Pädagogen und Philosophen ausmachen lassen. Die Besonderheit scheint mir aber weniger in der Erweiterung oder (theoretischen) Ausdifferenzierung des Erfahrungsbegriffs zu liegen, sondern vielmehr in der pädagogisch praktischen Arbeit selbst. Jacoby versucht unter anderem, den Teilnehmenden seiner Arbeitsgemeinschaft individuelle Zugänge zu Erfahrungsoffenheit und Erfahrbereitschaft wieder zu ermöglichen. Es ist letztlich der Versuch, die durch Erziehung und Schule sowie durch gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse weit fortgeschrittene Abtrennung von der eigenen Erfahrung und das Misstrauen ihr gegenüber zu überwinden. Jacoby initiiert in seinen Arbeitsgemeinschaften Versuche, anhand derer sich die Teilnehmenden erfahrungsorientierten Lernprozessen neu annähern können. In den Versuchen geht es immer um zweierlei: es geht um die Annäherung an zweckmäßiges Verhalten anhand eines Beispiels (Setzen auf den Hocker im Kontakt zur eigenen Last), zugleich stellen die Versuche eine Gelegenheit dar, eigene Vorstellungen und Gewohnheiten von Lernprozessen zu erleben, sich ihrer bewusst zu werden und allmählich neue Zugänge auszuprobieren. Es geht also neben der Annäherung an zweckmäßiges Verhalten um einen Erfahrungs- und Reflexionsanlass für (erfahrungsorientierte) Lernprozesse. Wenn eine Teilnehmerin der Arbeitsgemeinschaft 1950/51 beispielsweise im Kontext der praktischen Versuche mehrfach ihre Erwartung äußert, Jacoby solle erklären, wie richtiges Sitzen auszusehen habe, so zeigt sich hier ein Lernverständnis, das von einem selbsttätigen, explorierenden, erlebens- und erfahrungsorientierten Vorgehen weit entfernt ist. Über viele Kursabende der Arbeitsgemeinschaft hinweg äußert die Teilnehmerin ihr Unverständnis, formuliert Widerstand und reibt sich an den Aufgabenstellungen. Allmählich kann sie aber ihre Zugangsweise verändern und sich zunehmend einem erlebens- und erfahrungsorientierten Vorgehen annähern: „Das war eben meine Schwierigkeit! Ich merkte gar nicht, `wo´ beim menschlichen Körper dieser Zug ist! Ich habe früher viele Säcke getragen. Ich weiß daher ungefähr, wie schwer mein Körper ist, d.h. wie schwer er sein müsste, wenn ich ihn tragen müsste. Aber ich habe dieses Gewicht nie gespürt, wenn ich versuchte, abzusitzen oder aufzustehen!“ Aus heutiger Sicht | 19 Das ist bei jedem Bewegungsprozess so: Es sind drei Fakten, die erfüllt werden müssen. Nicht von mir aus, das sind Gesetzmäßigkeiten, unter denen wir existieren. Das ist Kontakt zur Schwerkraft, Kontakt zur Richtung und Kontakt zur Distanz. Das sind die Grundprobleme von Bewegung, wenn sie zweckmäßig ablaufen soll. Ob das erfüllt ist, ist z.B. am Atemprozess ablesbar. Das gilt für Bewegen der eigenen Masse und gilt für Bewegen fremder Masse. (Sophie Ludwig, Einführungskurs am 18.1.1991) In dem Bestreben, den Teilnehmenden seiner Arbeitsgemeinschaften wieder Zugänge zu erfahrungsorientierten Prozessen zu ermöglichen, scheint mir das eigentlich Besondere und auch Faszinierende der Arbeit Jacobys zu liegen. Dies hat nicht nur für den / die Einzelne(n) Bedeutung, sondern ist auch im Hinblick auf professionelles pädagogisches Handeln bedeutsam: Es ist immer wieder die Frage, wie erfahrungsorientierte Lernprozesse initiiert werden können und in welcher Weise das Handeln der Lehrenden auch von eigenen Lernerfahrungen und -prägungen abhängig ist. Lange Jahre und Jahrzehnte galt es für Lehrende, im Unterricht „didaktische Reduktion“ zu betreiben, also Probleme, die sich in Zusammenhang mit Themen oder Aufgaben stellen, kleinzuspalten. Eine wichtige Aufgabe der Lehrenden wurde darin gesehen, mögliche Schwierigkeiten vorab aus dem Weg zu räumen und in gut zu bewältigende Teilaufgaben zu zerlegen. Versteht man Lernprozesse jedoch konsequent als Erfahrungsprozesse und berücksichtigt deren oben angedeutete Struktur, so wird deutlich, warum ein solches Vorgehen so fatal ist und Lernen geradezu verhindert. Auch der Diskurstyp im schulischen Unterricht müsste sehr viel risikobereiter werden, wenn man erfahrungsorientierte Lernprozesse initiieren will. Lehrende dürften Probleme, Widersprüche im Zusammenhang mit Themen nicht entschärfen, sondern müssten sie im Gegenteil zuspitzen, verdichten und Lernende ermutigen und unterstützen, Lösungswege selbst zu finden. Diese Zusammenhänge sind alle einerseits nicht besonders innovativ, Heinrich Jacoby hatte sie seinerzeit erkannt genauso wie viele andere Pädagoginnen und Pädagogen zu verschiedenen Zeiten. Aber noch heute ist zu beobachten, dass trotz der theoretisch erkannten Bedeutung erfahrungsorientierter Lehr-/ Lernprozesse die Praxis leider oft anders, nicht selten sogar vollkommen widersprüchlich aussieht. Wodurch kann gewährleistet werden, dass z.B. in der Schule zunehmend erfahrungsorientierte Lehr/Lernprozesse im oben beschriebenen Sinn realisiert 20 | Aus heutiger Sicht werden? Ein wichtiger Impuls, der sich meines Erachtens aus der Arbeit Jacobys ableiten lässt, liegt in dem Hinweis auf die Notwendigkeit, auf der Basis eigenen Erlebens und eigener Erfahrungen eine Auseinandersetzung auch auf persönlicher Ebene anzuregen. Jacoby war überzeugt, dass methodische, didaktische und curriculare Reformbemühungen nur zu oberflächlichen Veränderungen im Bildungswesen führen, solange Pädagoginnen und Pädagogen sich ihrer (lern-) biographisch bedingten und handlungsleitenden Orientierungen nicht bewusst werden und diese allmählich zu verändern bereit sind. Er grenzte sich damit gegenüber einem überwiegend fachlich und theoretisch orientierten Ausbildungsverständnis ab und fokussierte die Bedeutung persönlicher Entfaltung und Auseinandersetzungsbereitschaft. Beispielsweise braucht es gerade für die Initiierung erfahrungsorientierter Lehr-/Lernprozesse den eigenen Zugang zu Erfahrungsoffenheit und das erlebte Vertrauen, dass erfahrungsorientierte Lernprozesse zum Erfolg führen. Jacoby ging es darum, nicht an der Oberfläche methodischer, curricularer, konzeptioneller Veränderungen stehen zu bleiben, weil die Konsequenzen daraus aus seiner Sicht allzu gering und wirkungslos bleiben, solange Erwachsene sich nicht selbst verändern. Dies ist auch heute noch gültig. Inken Neubauer Combe, Arno: Erfahrung und schulisches Lernen. (Unveröffentlichtes Manuskript). Hamburg 2005. Meyer-Drawe: Lernen als Erfahrung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (6) 2003, Heft 4. S. 505-514. Die Dissertation von Inken Neubauer „Interessieren durch das, wie wir sind...“ – Eine Untersuchung zur Praxis der Arbeitsgemeinschaft Heinrich Jacobys erscheint Anfang 2008 und ist über die Stiftung erhältlich. Jenseits von ‚behindert‘ und ‚nicht behindert‘ Heinrich Jacoby und Elsa Gindler verwiesen in ihren Arbeitsgemeinschaften immer wieder auf die Biographien von Menschen mit besonderen Beeinträchtigungen, beispielsweise erwähnen sie die ohne Arme geborenen Herman Unthan und Aimee Rapin. Sie interessierten sich für die Lebensgeschichten dieser Menschen, ihre besonderen Fähigkeiten und die Bedingungen ihrer Entfaltung. Die erfolgreiche britische Percussionistin Evelyn Glennie, die über kein auditives Hörvermögen verfügt, verweist in dem nachfolgend auszugsweise zitierten Essay auf die Unzweckmäßigkeit von Kategorisierungen wie `behindert´ oder `nicht behindert´ und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Entfaltung eigener Fähigkeiten. Katharina Voigt berichtet anschließend, welch entscheidende Folgen ein veränderter Blick auf ein blindes Mädchen und deren Entwicklung haben kann. HEARING ESSAY [...] Eine Kategorie, die oft mit mir in Verbindung gebracht wird, ist die Kategorie »taub«, die selbst wiederum eine Unterkategorie von »behindert« darstellt. In der Kategorie »taub« hat schon eine große Entwicklung stattgefunden. [...] In der Tat stehe ich heute hier und wurde eingeladen, zu Ihnen zu sprechen, weil ich nicht in die Kategorie passe, in die mich die meisten Menschen einordnen würden. Die Definition der Kategorie »taub«, d.h. nicht fähig, Töne zu hören, und die Kategorie der Musik, die aus Tönen besteht, schließen einander aus. Im Grunde ist meine Karriere wie die Beethovens und anderer ein Ding der Unmöglichkeit. Dafür gibt es nur drei denkbare Erklärungen: Ich bin keine Musikerin. Ich bin nicht taub. Oder das allgemeine Verständnis der Kategorien »taub« oder »Musik« ist nicht korrekt. Neben der Kategorie »taub« möchte ich auch die Kategorie »behindert« in Frage stellen. Behindert sein bedeutet per definitionem, dass ich daran gehindert werde, etwas zu tun. Dennoch bin ich, von einigen kleinen Unbequemlichkeiten abgesehen, nicht daran gehindert, etwas in meiner Karriere oder meinem Privatleben zu erreichen. Wie sollten dann die Begriffe »behindert« oder »taub« auf mich zutreffen? Kurzum, sie tun es nicht, ja, nicht einmal das Etikett »hörgeschädigt« funktioniert, weil mein Gehör dem eines durchschnittlichen, nicht geschädigten Menschen in mancher Hinsicht überlegen ist. Ich höre einfach anders als die meisten. Andere Menschen verwenden die Kategorien, doch mir und denjenigen, die so sind wie ich, erscheinen diese speziellen Kategorien bedeutungslos. [...] Wie alle anderen Mitglieder der Gesellschaft bin ich ungeachtet meines rechtlichen Status körperlich behindert. Beispielsweise kann ich, so gern ich es auch möchte, niemals ein professioneller Schwergewichtsboxer, ein Supermodel oder ein berühmter Tenor werden … jedenfalls nicht ohne eine wirksame Hormontherapie und eine drastische Erhöhung meiner Kalorienzufuhr! Abgesehen von so genannten »Behinderungen« kann ich - wie viele andere Menschen auch - aufgrund meiner körperlichen Eigenschaften bestimmte Berufe einfach nicht ausüben. Ich kann in zahllosen Berufen nicht erfolgreich sein, weil ich es entweder nicht will oder mich für zu wenig begabt halte. Die Art und Weise, in der wir uns selbst kategorisieren und in unseren eigenen Verständnisrahmen einordnen, führt dazu, dass der Großteil der Menschen sich als unfähig erachtet, in seinem selbst gewählten Tätigkeitsbereich Höchstleistungen zu erzielen. Dies ist eine weitaus größere Behinderung als jedes körperliche Problem, das ich mir vorstellen kann, vom Tod einmal abgesehen!! In der Politik, der theoretischen Physik und zahlreichen anderen Bereichen gibt es Menschen, deren Laufbahn beweist, dass das größte Handikap der Verständnisrahmen ist, in den sich die Menschen selbst einordnen, und dass selbst die schwersten körperlichen Schwierigkeiten im Vergleich dazu völlig sekundär erscheinen. [...] Meine Gabe, wenn man es denn so nennen möchte, liegt nicht in meiner körperlichen Fähigkeit, Perkussionsinstrumente zu spielen, sondern in meinem Verständnisrahmen, der sich durch bewussten Input meinerseits entwickelt hat und mir nur wenige Entschuldigungen zugesteht. Ich habe niemals wirklich Jenseits von ‚behindert‘ und ‚nicht behindert‘ | 21 © Werner Bischof / Magnum Photos In der Schule für Gehörlose von Mimi Scheiblauer, Zürich 1944 geglaubt, dass die Probleme, die ich mit meinen Ohren habe, meine Fähigkeiten als Musikerin grundlegend beeinträchtigen könnten. Auch habe ich nicht geglaubt, ich könnte keine Karriere als klassische Solo-Perkussionistin machen, nur weil es niemandem sonst gelungen ist. Ich bin nicht trotz oder wegen meiner Taubheit erfolgreich. Taubheit ist schlicht und einfach kein entscheidender Faktor in dieser Gleichung. Bei meiner Tätigkeit würde mir manches leichter fallen, wenn ich längere Arme und größere Hände hätte, und ich könnte dies somit als körperliches Handikap betrachten. Verglichen mit der allgemein herrschenden Vorstellung von Armen und Händen sind meine jedoch nicht weiter ungewöhnlich, so dass ich lieber einen anderen Weg suche, als über meine körperlichen Unzulänglichkeiten nachzudenken. Für andere ist mein Gehör sicherlich außergewöhnlich, für mich jedoch nicht. Ich bin an mein Gehör ebenso gewöhnt wie an die Größe meiner Hände. [...] ten, beziehen sich ständig auf »taub/hörgeschädigt« oder »traditionelle Rollen/Berufe für Hörende«. Für mich existieren derartige Dinge nicht, es gibt nur Berufe die mit Menschen zu tun haben und einfach nur Berufe. Es liegt an Ihnen, ob Ihre künftigen Studenten »Studenten mit besonderen Bedürfnissen«, »hörgeschädigte Studenten«, »behinderte Studenten« oder einfach nur Studenten sein werden. [...] Viele Ihrer Studenten werden sich schon bei Ihrer Ankunft als behindert, taub, blind oder sonst wie geschädigt betrachten. Es liegt in der menschlichen Natur, nach einem einfachen Ausweg zu suchen, und ein »Handikap« zu haben, ist eine Entschuldigung, nach der sie gar nicht selber suchen müssen. Doch ist es gewiss die Aufgabe eines jeden Erziehers, den Verstand und die Weltsicht der Studenten zu erweitern und sie darin zu bestärken, die gegenwärtigen Grenzen zu überwinden, statt die Entschuldigungen zu verfestigen. Sie [als Pädagoginnen und Pädagogen, Anm. der Redaktion] sind als Individuen so wichtig, weil Sie in der Lage sind, bei Kindern die Entwicklung des Verständnisrahmens und die Positionierung darin unmittelbar zu beeinflussen. Am Ende Ihrer Laufbahn werden Sie die Verantwortung für die Ausbildung vieler hundert, wenn nicht tausend Kinder und Studenten tragen. Die Fragen, die mir Interviewer stellen, die aus der »Taubengemeinschaft« stammen oder für sie auftre- Evelyn Glennie 22 | Jenseits von ‚behindert‘ und ‚nicht behindert‘ Zitiert nach: http://www.evelyn.co.uk/live/hearing_ essay_german.htm [Ausdruck vom 1. August 2007] Jenseits von ‚behindert‘ und ‚nicht behindert‘ Ein besonderer Augenblick In Marianne Haags Kurs lasen wir aus dem Buch „Das wiedergefundene Licht“ von Jacques Lusseyran. Die Lebensgeschichte eines blinden jungen Mannes im französischen Widerstand. Welch ein Zufall, in einer meiner Gruppen zur musikalischen Früherziehung befand sich seit kurzem ein blindes Mädchen. Bis dato hatte ich noch nie mit einem blinden Kind gearbeitet. Überhaupt hatte ich mit Blindheit keine wirkliche Erfahrung. Meine Einstellung dazu war eher landläufig. Diese Menschen taten mir leid, ich sah ihre Hilfsbedürftigkeit. Mein Blick war nur auf den Mangel gerichtet. Doch nun las ich von einem Menschen, dessen Glück es war, Eltern zu haben, die seine Blindheit voll bejahten und ihm die Möglichkeit gaben, seine - von Natur aus gegebenen - Fähigkeiten wahrzunehmen und zur Entfaltung zu bringen. Mir wurde eine Welt offenbar, von der ich nichts geahnt, geschweige denn gewusst hatte. Plötzlich erschien mir das kleine blinde Mädchen in einem ganz anderen Licht, als Quell ungeahnter Möglichkeiten. In mir öffnete sich etwas. Raum war nun spürbar für Entwicklung mit diesem Kind. 15 Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren umfasst die Gruppe dieses Mädchens. Es ist eine Kinderladengruppe mit sehr engagierten Erziehern. Einmal in der Woche kommen die Kinder für eine Stunde zu mir nach Hause. Ich habe das Glück, in einer Wohnung mit einem sehr schönen und großem Berliner Zimmer (ca.35-4o qm) zu wohnen, unserem Musikraum. Am Ende einer jeden Stunde gibt es etwas zu essen und zu trinken. Manchmal nehme ich mir diese Zeit für Öslem, das kleine blinde Mädchen, widme mich ihr voll und ganz. Mit zweieinhalb Jahren kam sie zu mir. Ihr Entwicklungsstand glich dem eines Säuglings von sechs bis acht Monaten. Ihr Körper war groß, wie von einer vierjährigen, aber mindestens doppelt so schwer. Sie lag nur auf dem Bauch, hielt sich die Ohren zu und wackelte etwas mit dem Po. Von ihrer Familie schwer vernachlässigt, zeigte sie autistische Züge. So oft und so lange ich konnte, trug ich sie während der Stunde in afrikanischer Art im Tuch auf dem Rücken. Nichts musste sie tun. In engem Körperkontakt mit mir konnte sie ihr gesamtes Gewicht abgeben und war trotzdem geschützt, das Tuch hielt sie. Ich tanzte, sang, machte alles, was mir kräftemäßig möglich war, mit ihr auf dem Rücken. Sie liebte es und begann sich zu öffnen. Wenn wir tanzten, jauchzte sie vor Freude. Und dann, an jenem Tag nun, geschah folgendes: Während die anderen Kinder ihren Imbiss aßen, setzte ich Öslem auf meinen runden, drehbaren Hocker ans Klavier. Dabei sollten Sie bedenken, sie konnte noch nicht sitzen, kannte kein Klavier, hatte noch nie ein Klavier berührt und in meinen Stunden bis dato auch keines klingen gehört. Ich setzte sie also auf den Hocker, stellte mich ganz dicht dahinter, als eine Art Lehne und legte ihre Hände behutsam auf die Tasten. Diese Situation war für Öslem völlig fremd, neu. Ihr Körper spannte sich vor Angst und Aufregung. Dabei machte sie ihre Arme so steif, dass eine Taste heruntergedrückt wurde. Das Erklingen des Tones nahm sie in den Bann. Sofort hielt sie inne, lauschte, ihr ganzes Wesen war bereit, auf die Dinge, die kommen, zu reagieren, wie vielleicht eine Katze in Lauerstellung. Sie saß auf dem Hocker und ihre Finger bewegten sich behutsam, abtastend, fragend. Jeden Ton ließ sie klingen und lauschte ihm nach. Ich spürte die völlig andere Spannung in ihrem Körper und löste mich sachte, so dass Öslem ganz alleine saß. Ein kleines Zucken ging durch ihren Körper, Schreck oder Angst, doch als ich ihr meine Hände an die Schulterblätter legte, war sie ganz ruhig. Sie lauschte den Tönen in einer Weise hinterher, wie ich es bisher noch nie erlebt habe. Aufnahmebereit, wissen wollend, was da vor sich geht. Zutiefst gerührt, lief ich in die Küche, holte Erzieher und die Mutter des Mädchens, die dort warteten, in unseren Musikraum. Da saß nun Öslem, das kleine blinde Mädchen, allein am Klavier, wiegte ihren Kopf und Körper hin und her und spielte so wunderbar, dass wir alle zu Tränen gerührt waren. Auch die anderen Kinder hielten inne. Der gesamte Raum war von einer bewegenden Atmosphäre erfüllt Alle fühlten wir, es ist ein besonderer Augenblick. Katharina Voigt Jaques Lusseyran: Das wiedergefundene Licht. Stuttgart 1971. Jenseits von ‚behindert‘ und ‚nicht behindert‘ | 23 Stiftung – quo vadis? Seit inzwischen gut zwei Jahren gibt es verstärkt Initiativen, die Stiftungsarbeit zu unterstützen und zu verändern. So gab es unterschiedliche Treffen im erweiterten Beirat, einen ersten Stiftungsaktionstag im März 2007 und den Gesprächsabend „Stiftung - quo vadis?“ im Juni 2007. Im Folgenden findet sich ein Bericht über dieses Treffen und ein Brief als Reaktion auf eine Veranstaltung der Stiftung. Stifung – quo vadis? Gesprächsabend am 8. Juni Zum Informations- und Gesprächsabend „Stiftung - quo vadis?“ am 8.6.07 hatten die Mitglieder von Vorstand und Beirat eingeladen, weil sie stärker mit den Interessent(inn)en an der Arbeit Gindlers und Jacobys, den Teilnehmenden von Veranstaltungen und den Nutzer(inne)n der Stiftungsräume ins Gespräch kommen möchten. In den Gremien der Stiftung wird seit längerer Zeit u.a. diskutiert, » wie „die Stiftung“ zunehmend zu einem gemeinsam gestalteten Anliegen werden kann, » wie „die Stiftung“ sich verändern muss, damit sich mehr Menschen aktiv in die Stiftungsarbeit einbringen, » welche Bedeutung „die Stiftung“ für (ehemalige) Teilnehmende von Kursen hat. Zum Gesprächsabend am 8. Juni kamen Menschen, die zum Teil seit mehreren Jahren oder Jahrzehnten, zum Teil auch erst über einen kurzen Zeitraum mit der Arbeit Gindlers und Jacobys Kontakt haben. Auch die Nähe zur Stiftung und Stiftungsarbeit war sehr unterschiedlich. Einige Teilnehmerinnen kamen mit konkreten Anliegen und Themen, andere kamen, um jenseits der Kursangebote erste Eindrücke von der Stiftungsarbeit zu sammeln. An dem Abend wechselten Gesprächsrunden im Plenum und in Kleingruppen, es gab Gelegenheit für informelle Gespräche am Rande, für Austausch und Kennenlernen und nicht zuletzt ein köstliches (!) Buffet. Der Abend hatte für uns eine angenehme, leichte Atmosphäre, es gab viele interessante Begegnungen. Vielen Dank an alle, die zum Zustandekommen und Gelingen des Abends beigetragen haben! Im Folgenden soll ein kleiner Einblick in die Themen des Abends gegeben werden: Zur besseren Transparenz der Stiftungsarbeit wurde zunächst über bisherige Schwerpunkte der Stiftungsarbeit, die finanzielle Situation und zukünftige Vorhaben berichtet. 24 | Stiftung – quo vadis? Bericht über die bisherige Stiftungsarbeit Seit 7 Jahren hat die Stiftung eigene Räume in der Teplitzer Straße. Der Umzug und der Generationenwechsel nach dem Tod von Sophie Ludwig waren bedeutsame Einschnitte in der Stiftungsgeschichte. Mit dem Bezug eigener Räume scheint die Stiftung verstärkt wahrgenommen zu werden, was sich beispielsweise durch vermehrte Anfragen an die Stiftung zeigt. Schwerpunkte der bisherigen Arbeit waren: » Veranstaltung von Kursen und Probierwochenenden » Veranstaltung von Vorträgen, Ausstellungen, Lesungen in den Stiftungsräumen und außerhalb der Stiftung z.B. Martin Gropius Bau » Rundbrief » Vorbereitung und Herausgabe von Publikationen (z.B. „Wahrnehmen, was wir empfinden“, überarbeitete Neuausgaben von „Jenseits von Begabt...“, „Musik Gespräche Versuche“) » Schriftenreihe » Archivierung » Unterstützung von Dissertationsprojekten zur Arbeit Gindlers und Jacobys » Erstellen von Flyer, Homepage etc. » Laufender Stiftungsbetrieb, Verwaltung etc. Bericht über die finanzielle Situation Die finanzielle Situation der Stiftung wurde umfassend dargestellt: Die finanziellen Möglichkeiten der Stiftung sind durch den Kauf der Räume in der Teplitzer Strasse und andere laufende feste Kosten sehr begrenzt. Viele Ideen lassen sich auf Grund des geringen finanziellen Spielraums nicht umsetzen. Es fehlen Spendengelder und Zustiftungen. Bericht über künftige Vorhaben In den Gremien wird intensiv diskutiert, welche Schwerpunkte die Stiftungsarbeit zukünftig haben soll, welche Projekte wünschenswert wären. Dabei spielt immer auch die Frage nach Möglichkeiten, die Arbeit Gindlers und Jacobys einem breiteren Kreis bekannt zu machen und die Außenwirkung der Stiftung eine Rolle. Zur Zeit gibt es deutlich mehr Pläne und Wünsche für zukünftige Vorhaben als finanzierbar und arbeitsmäßig zu bewältigen sind, einige Beispiele seien hier genannt: » Herausgabe einer veränderten Ausgabe des derzeit vergriffenen „Jenseits von Musikalisch und Unmusikalisch“ » Gemeinsames Arbeitswochenende von Marianne Haag und der Zen-Meisterin Gundula Meyer ZuiUn-An (Ohof) mit dem Ziel einer Begegnung der beiden Praxen » Fortführung der Veranstaltungen außerhalb der Stiftungsräume, wie beispielsweise die Veranstaltung im Martin Gropius Bau, die Fortbildung an der Musikschule Schwäbisch Gmünd etc. Die Erfahrungen mit der Veranstaltung im Gropius Bau und einigen Zeitschriftenpublikationen haben gezeigt, dass hierdurch ganz neue Menschen für die Arbeit interessiert werden können. So haben sich nach der Veranstaltung im Martin Gropius Bau und auf einen Artikel in der Zeitschrift Jüdisches Berlin Menschen aus Berliner Forschungsstellen mit verschiedenen Anfragen an die Stiftung gewandt. » Suche nach neuen Möglichkeiten, die Arbeit Gindlers und Jacobys und die heutigen praktischen Angebote einer breiteren Öffentlichkeit vermittelbar zu machen, z.B. Wunsch einer Filmdokumentation, Idee der Veranstaltung einer Tagung etc. » Überarbeitung von Flyer und Homepage, Veränderung der Außendarstellung der Stiftung » Öffentlichkeitsarbeit Themensammlung und -findung Ein wichtiges Ziel dieses Abends war es, Gelegenheit zum Gespräch, zu Äußerung von Kritik, Wünschen, offenen Fragen und Themen zu geben. Aus diesem Grund wurde großes Gewicht auf die gemeinschaftliche Themensammlung und -findung gelegt. Folgende Themen wurden von dem Teilnehmenden unter anderem als diskussionsbedürftig genannt: » Aktivierung weiterer Interessenten / Darstel- lung der Arbeit Wie kann die Arbeit verständlich und motivierend dargestellt werden, damit sich neue Interessenten finden? Wie können neue Interessentinnen gewonnen werden? » Wirksamkeit/Wirkung der Stiftung Wie wirkt die Stiftung, wie wird die Atmosphäre bei Veranstaltungen wahrgenommen? Gründe für geringe Rückmeldungen? Rückmeldungen auf den Rundbrief? Gründe für Spendenzurückhaltung. Welche Wirkung entfaltet die Arbeit der Stiftung? » Ausbildung/Zertifizierung Ist es möglich /sinnvoll eine Ausbildung anzubieten, bzw. Zertifikate auszustellen – auch wegen der Veränderungen im Gesundheitswesen? » Vernetzung und Austausch Wie kann mehr Vernetzung und Austausch gewährleistet werden? » Sophie Ludwig Die Leistung Sophie Ludwigs scheint neben der Gindlers und Jacobys als zu wenig beachtet und gewürdigt. Diskussion: Vernetzung und Kontakt: Es wurde gemeinsam entschieden, nach der Pause als erstes über das Thema Vernetzung und Kontakt zu sprechen. Von vielen Seiten wurde der Wunsch nach stärkerer Vernetzung nach außen und Intensivierung des Kontakts mit verwandten Verfahren geäußert. Dabei geht es insbesondere um eine Verstärkung des Austauschs sowie um die Klärung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden mit verwandten Verfahren. Aus dem Beirat wurde berichtet, dass solche Kontakte und Vernetzungen bestehen und im Rahmen der vorhandenen finanziellen und personellen Möglichkeiten vertieft werden. Der geplante Vortrag von Verena Rauschnabel im November 2007 (u.a. zur Methode Schlaffhorst/Andersen) und das gemeinsame Arbeitswochenende mit der Zen-Meisterin Gundula Meyer in 2008 sind Veranstaltungen, die unter anderem solche Klärungsmöglichkeiten von Gemeinsamem und Trennendem beinhalten. Weitere Veranstaltungen sind wünschenswert. Um den Kontakt und Austausch auszuweiten, wur- Stiftung – quo vadis? | 25 de angeregt, die Stiftungsräume für Veranstaltungen von Menschen aus dem Kontext Sensory Awareness und aus dem arbeitskreis jacoby gindler (Schweiz) zur Verfügung zu stellen. Fazit Insgesamt wurde an dem Abend ein großes Spektrum zur Frage „Stiftung - quo vadis?“ deutlich. Zugleich konnte leider nur ein kleiner Teil der angesprochenen Fragen und Themen in den Gesprächen vertieft werden. Zur Klärung der vielen offenen Themen sind weitere Treffen, etwa im vierteljährlichen Rhythmus, geplant. Neue Interessenten sind herzlich willkommen. Ein Ergebnis des Abend war die Gründung einer Arbeitsgruppe, die sich mit schriftlichen Darstellungsmöglichkeiten der praktischen Kursarbeit (auch zur Werbung neuer Interessenten) beschäftigt und Textentwürfe erarbeitet (Kontakt: Katharina Voigt). So gab es an dem Abend einige ermutigende Ideen und Ansätze, die Stiftungsarbeit zu unterstützen. Auch wenn die Klärung der vielen offenen Themen sicher Zeit und Kraft kosten wird, so erscheint sie uns nicht nur notwendig, sondern auch fruchtbar. Der Gesprächsabend am 8. Juni spiegelt die in der Stiftung stattfindenden Veränderungen. Nur durch weitere Klärung und Auseinandersetzung können neue Impulse aufgenommen werden. Die Mitglieder von Vorstand und Beirat wünschen ausdrücklich, mehr Menschen aktiv in die Stiftungsarbeit einzubinden. So könnte die Stiftung immer mehr zu einem gemeinsam gestalteten Anliegen werden. Es wäre schön, wenn möglichst viele daran mitwirken würden! Inken Neubauer und Birgit Rohloff Engagieren Sie sich in der Stiftung! Ohne die Stiftung gäbe es „lediglich“ einzelne Personen, die die Arbeit Gindlers und Jacobys in Kursen weitergeben. Durch die Stiftung gibt es nicht nur ein räumliches Zentrum, sondern eine Organisation, die der Verbreitung der Arbeit, ihrer Erforschung und Veröffentlichung dient. Sie können die Arbeit der Stiftung unterstützen durch » Mitarbeit bei den Stiftungsaktionstagen » Mitarbeit in unterschiedlichen Arbeitskreisen » durch Spenden und Zustiftungen » Betreuung von Veranstaltungen » Weitergabe von Ideen, Anregungen, Kritik » und vieles mehr... Sprechen Sie uns an! » Inken Neubauer, Tel. 040/43 27 21 26 » Birgit Rohloff, Tel. 030/342 37 73 » Büro der Stiftung, Tel. 030/89 72 96 05 Das nächste Treffen Stiftung –quo vadis? findet statt am Samstag, 13. Oktober 2007, 17-22 Uhr in den Räumen der Stiftung. Neue Interessenten sind herzlich willkommen. Ausführliche Protokolle und weitere Informationen zu den Treffen sind per Post über das Büro der Stiftung oder über eine mailing-Liste (Kontakt: Inken.Neubauer@t-online.de) erhältlich. 26 | Stiftung – quo vadis? Die Stiftung versucht seit einiger Zeit neue Wege zu gehen und hat im letzten Jahr beispielsweise einige Veranstaltungen auch außerhalb der Stiftungsräume angeboten. Das Ziel ist, hierdurch zu einer vermehrten öffentlichen Wahrnehmung der Arbeit Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys beizutragen. Die Reaktionen auf die Veranstaltungen sind ermutigend. Sie verdeutlichen, dass sich durch sie auch Menschen angesprochen fühlen, die bisher keinen Kontakt zur Stiftung und zur Arbeit Jacobys und Gindlers hatten, wie der folgende Brief zeigt. Brief an die Stiftung Sehr geehrte Damen und Herren, mein erster Kontakt mit Ihrer Stiftung war durch den Besuch der Fotographieausstellung von Martin Munkácsi und durch das Anhören des Vortrags zu dieser Ausstellung „Lebendigkeit im Moment – Die Fotographien von Martin Munkácsi aus der Sicht der Arbeit von Heinrich Jacoby und Elsa Gindler“ am 14.10.2006 in Martin-Gropius-Bau in Berlin. Ich möchte mich bei Ihnen in Form einiger meiner Gedanken zu dem Vortrag für diese Veranstaltung bedanken. Gedanken einer Zuhörerin zum Vortrag „Lebendigkeit im Moment – Die Fotographien von Martin Munkácsi aus der Sicht der Arbeit von Heinrich Jacoby und Elsa Gindler“ Kann ein Nichts/Stille einen beeindrucken? Ja, lautet meine Antwort. Inken Neubauer hat mich durch ihr Schweigen beeindruckt und beeinflusst. Wie ist es dazu gekommen? Nach einem Gang durch die Ausstellung freute ich mich auf den Vortrag, um mehr über die Kunst der Fotographie, über die Verbindung zu Heinrich Jacoby und Elsa Gindler zu erfahren und all das zu hören, was ich in der Ausstellung übersah oder missachtete. Ich war innerlich darauf eingestellt, eine Expertise von einer Expertin zu bekommen. Die Referentin fängt mit einer Begrüßung an, es folgt keine strukturelle Übersicht, keine Skizze ihres Vortrags. Sie sagt ein paar Sätze zu Martin Munkácsi, zu seiner Lebenszeit, zu Heinrich Jacoby und Elsa Gindler und projiziert das erste Bild an die Leinwand. Nichts passiert, sekundenlang. Dann ein paar Worte zum Bild. Das nächste Bild. Das Thema der Aufnahme wird kurz genannt, mehr nicht. Wieder diese Stille, dann das nächste Bild, gefolgt von einer Schweigepause. Plötzlich habe ich Zeit, mir die Bilder anzuschauen. Ich sehe einige Bilder, die ich schon aus der Ausstellung kenne, aber doch nicht richtig gesehen habe. Macht vielleicht die Leinwand so einen Unterschied? Ich werde nicht gehetzt. Die Referentin gibt mir genug Zeit, ihren Worten zu folgen und den Inhalt der Fotographien auf der Leinwand aufzunehmen. Sie setzt die Pausen, die Stille bewusst ein und schenkt den Zuhörern Zeit. Dann fordert sie ihr Publikum auf, die Bilder auf sich wirken zu lassen. Wieso? Ich soll hier nachdenken? Wozu bin ich doch zu einem Vortrag gekommen? Ich möchte aber bedient werden, mir sollten doch fertige Ansichten serviert werden. Ich bin zum Belehren gekommen. Inken Neubauer fordert noch mehr. Sie setzt ihre Zuhörer den Fotographien gegenüber. Ich kann nicht anders, ich muss ihnen begegnen. Jetzt. Nicht, wenn ich mir dafür Zeit nehmen will, wie ich das mit vielen Dingen mache. Bloß später, wenn ich richtig nachdenken kann. Das sind meine inneren Ausreden in den meisten Fällen und ich weiß sehr wohl: Dazu komme ich nie. Die Rednerin äußert ein paar Stichworte, anschließend folgt die Stille. Ich warte auf diese Pause. Ich möchte jetzt überlegen. Ich brauche die von der Rednerin uns eingeräumte Stille, um das Gesagte mit dem Bild zusammenzubringen. Sie stellt eine Frage. Diese beantworte ich für mich und spüre, dass ich ganz dabei bin. Ich lausche nicht einem Vortrag, ich will mich beteiligen, ich erlebe eine neue Denkweise. Diese Fotographien bewegen mich, sie inspirieren mich, etwas zu denken, zu fühlen, eine Körperhaltung anzunehmen. Ich bin dabei, ich betrachte nicht nur, ich reagiere auf die Bilder. Vorhin, in der Ausstellung, dachte ich distanziert, wie geschickt es Martin Munkácsi anstellte, seinen Fotos die Funktion der Zeitzeugen zu verleihen, wie lebendig sie von Orten und Menschen verschiedener Länder berichteten. Ich kam mir wissend, erkennend, wichtig vor. Aber jetzt, in dem Vortrag, spüre ich, dass eine Betrachtungsweise nicht passiv sein darf. Ich bin nicht nur die Empfängerin, ich bin die tatkräftige Geberin. Die Rednerin führte mich mit stillen Pausen durch ihren Vortrag, ohne mich mit Fakten oder Meinungen zu füttern. So entnahm ich dem Vortrag eine aktive Betrachtungsweise. Für diesen schönen Abend möchte ich mich bei den Veranstaltern bedanken. Olga Weber Stiftung – quo vadis? | 27 Rezensionen und Buchvorstellungen Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie Auszüge aus dem 1. Kapitel (Neurobiologie und Funktionsweisen achtsamen Verhaltens) In diesem Frühjahr ist das Buch „Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie - Ein Arbeitsbuch mit 20 Probiersituationen aus der Jacoby/Gindler-Arbeit“ erschienen. Norbert Klinkenberg, der Autor, setzt sich selbst schon seit mehreren Jahren praktisch und theoretisch mit Fragen und Aufgaben aus dem Arbeiten von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby auseinander. Wie sich das, was ihm hier Erfahrung und Erkenntnis geworden ist, auch in seiner Arbeit im Sinne einer Weiterentwicklung unterstützend auswirken kann, davon erzählt dieses Buch. In der Psychosomatischen Klinik in Bad Bergzabern, in der er als leitender Arzt tätig ist, gibt es eine „Achtsamkeitsgruppe“, in der er mit Patienten „probiert“. Sie kommen in diesem Buch mit Auszügen aus eigenen Berichten zu Wort. Dem Buch ist eine CD beigegeben, die einen Eindruck gibt vom Arbeiten. Zahlreiche Fotos bereichern das Geschriebene und lassen Wesentliches davon spürbar werden. In einem theoretischen Teil wird erläutert, was „achtsames Verhalten“ ist, und dessen Bedeutung in den aktuellen Forschungen der Neurobiologie aufgezeigt. Es ist ein lesenswertes Buch, in dem beispielhaft deutlich wird, wie die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen aus der Arbeit von Gindler und Jacoby auch in einem therapeutischen Zusammenhang fruchtbar werden kann. Martin Hoppe Norbert Klinkenberg: Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie. Ein Arbeitsbuch mit 20 Probiersituationen aus der Jacoby/Gindler-Arbeit. Stuttgart (2007): Klett Cotta, 26,- Euro, ISBN 978-3-608-89040-2. 28 | Rezensionen und Buchvorstellungen Achtsamkeit als Verhaltenszustand: „Häufig verwechseln Patienten Achtsamkeit mit etwas, wofür man etwas Bestimmtes tun müsse. Achtsamkeit hat für sie etwas mit Konzentration oder „sich zusammenreißen“ zu tun oder erinnert sie - schlimmer noch - an das Aufpassenmüssen ihrer Schulzeit. Sie strengen sich bewusst oder unbewusst auf geradezu reflektorische Weise geistig und physisch an, schieben den Kopf vor und legen die Stirn in Falten, um achtsam zu sein. Auch der von Psychotherapeuten benutzte Begriff einer „Aufmerksamkeitsumlenkung“ suggeriert ein bestimmtes Tun. Derlei Missverständnisse führen leicht in die gleiche vergebliche Situation, die Edmund Jacobson (18851976), der Schöpfer der Progressiven Muskelrelaxation, erlebte, wenn er seine Patienten aufforderte zu entspannen: sie spannten nämlich voll guten Willens an. Bekanntlich forderte Jacobson seine Patienten deshalb (!) auf, bewusst anzuspannen, „to show him what not to do“. Ebenso können wir selbst sicher sein, dass es sich nicht um Achtsamkeit handelt, die eintritt, wenn wir uns um sie „bemühen“. Was ist nun Achtsamkeit? Wen würden wir als achtsam bezeichnen? Vielleicht, wenn wir jemanden beobachten, der ganz bei der Sache ist, die ihn gerade beschäftigt: ein Musiker, der lauscht, wenn er spielt; ein Tänzer, der sich mit Leib und Seele anmutig bewegt; ein in sein Spiel vertieftes Kind. [...] Es erscheint uns dabei eine besondere Qualität des Körperlichen: Die Person wirkt ganz, ungeteilt, hingegeben, in der Sache aufgehend, ganz dabei, eher still, in sich geschlossen und dennoch wach, nicht schläfrig, nicht aufgeregt, eher spielerisch, zufällig und reagibel und vor allem nicht krampfhaft wollend. Auf interessante Weise stellen sich beim achtsamen Menschen Ruhe, Stille und Wachheit zugleich ein. Wie können wir bewusst achtsam werden?“ [...] Wenn achtsam sein kein bestimmtes Tun, kein bestimmtes Verhalten ist, sondern eine Verhaltenswei- se, eine mit einem bestimmten Zustand verbundene Funktionsmöglichkeit, dann heißt das zugleich, dass jede Handlung in Achtsamkeit erfolgen kann. Jede Tätigkeit können wir achtsam tun oder nicht, ob wir nun unseren Tag in einem Büro verbringen oder draußen, ob wir lesen, schreiben, reden oder einfach nur auf etwas warten. Die Tätigkeit an sich ist nur „der Stoff“, wie Heinrich Jacoby und Elsa Gindler es nannten, die Aufgabe, durch die wir achtsamer, gesammelter werden, mehr bei uns selbst ankommen, uns genauer orientieren und mehr wir selbst werden können. [...]“ Rezension: Arbeiten bei Elsa Gindler Die Arbeit Elsa Gindlers (1885-1961) hat viele Menschen tief bewegt, denn sie erfuhren in den Arbeitsgemeinschaften immer wieder Möglichkeiten, zu selbstständiger Auseinandersetzung mit den Forderungen des Lebens zu kommen. [...] Die meisten Dokumente der Arbeit von Elsa Gindler sind im zweiten Weltkrieg vernichtet worden. Zu den erhaltenen Quellen ihrer Arbeit in der Nachkriegszeit gehören die jetzt veröffentlichten Notizen von sechs Ferienarbeitsgemeinschaften aus den Jahren 1953 bis 1959. Diese sind in dem hier angezeigten Buch Berichten und Briefen einer Kursteilnehmerin zugeordnet. Durch die Verbindung von Kursnotizen und Berichten wird die Arbeit Elsa Gindlers konkret und lebendig. Es wird immer wieder neu erfahrbar, dass es nicht um ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ geht, sondern um Forschen und Erleben. Dazu können ganz alltägliche Handlungen dienen, wie z.B. Kämmen, Türe öffnen, Strumpf anziehen ... Selbst ‚Gehen‘ wird nicht als Übung studiert, sondern ist konkretes praktisches Beispiel für die Möglichkeit, das eigene Verhalten innerhalb der oft selbstverständlich scheinenden Lebensforderung ‚Gehen‘ zu studieren. Die Aufgabenstellungen Elsa Gindlers sind anspruchsvoll und fordern ständig ein waches Fragen und Ausprobieren der Teilnehmenden heraus. Es wird deutlich, wie vieler Erlebnisse es bedarf, bis den Teilnehmenden erste Antworten möglich werden können. Elsa Gindlers Notizen sind entsprechend ihrer Arbeitsweise sehr dicht. Was auch immer in den Kurssituationen, die sie auch Laborsituationen nannte, experimentiert wird, es geht nicht darum, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Es geht um Veränderung unseres Zustands nicht nur als verändertes Lebensgefühl, sondern als Voraussetzung für mögliche organische Leistung ohne unzweckmäßige Anstrengung und Zwang. Die Berichte der Kursteilnehmerin sind sehr lebensnah. Sie schreibt ehrlich und offen von ihren Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit der Arbeit. Indem sie nicht beschönigt, was ihr schwer fällt, zeigt sie durch ihre Ernsthaftigkeit, wie man im Laufe der Zeit immer konsequenter werden kann, mit eigenen Schwierigkeiten umzugehen, ohne über Unklarheiten hinwegzugehen. Sie erlebt ihr Arbeiten als Spielen und lässt die LeserInnen erfahren, wie essentiell und notwendig die Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten für einen Entwicklungsprozess ist. Durch den Wechsel von Arbeitsnotizen und Berichten werden gegenseitige Offenheit und Vertrauen in der Arbeitsbeziehung spürbar. Der vorliegende Band wendet sich nicht nur an LeserInnen, die mit den Grundzügen der Arbeit Elsa Gindlers vertraut sind. Die Dokumente laden ein, eigene Arbeitsfragen zu formulieren und die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit nicht nur in bezug auf Bewegung zu vertiefen. Um die Bedeutung und Tragweite der Arbeit Elsa Gindlers zu begreifen, ist die schrittweise eigene praktische Erfahrung unerlässlich. Am 16.7.1959 schrieb Elsa Gindler: „Mir liegt daran, dass sie in diesem Kurs soviel begreifen, dass sie selbständig arbeiten können. Sich also für die Grundbedingungen des Funktionierens interessieren und sie sich erarbeiten, wenn sie sich davon überzeugt haben, dass es so ist!“ Silvia Hoffmann Arbeiten bei Elsa Gindler, Notizen Elsa Gindler und Berichte einer Teilnehmerin. Hrsg. von Marianne Haag/Birgit Rohloff, Schriftenreihe der Heinrich-Jacoby / Elsa-Gindler-Stiftung, Band 2/3, Berlin 2006. Die hier gekürzte Rezension erscheint im November 2007 in: Feldenkrais-Forum Rezensionen und Buchvorstellungen | 29 Weitere neue Bücher Rosemarie Augustin (2007): Spüren ist Leben. Erinnerungen an Sophie Ludwig. Berlin: Brünne-Verlag. 155 S., 14,80 Euro. ISBN 978-3-9809848-7-4 Rosemarie Augustin war fast 25 Jahre Schülerin von Sophie Ludwig. In diesem Buch hat sie eine Auswahl ihrer zwischen 1955-1979 in der Arbeit bei Sophie Ludwig entstandenen Resümees veröffentlicht. Vgl. S. 6 Charles V. W. Brooks und Charlotte Selver (2007): Reclaiming vitality and presence – Sensory Awarness as a practice for life The Teachings of Charlotte Selver and Charles V.W. Brooks; Hrsg. von Richard Lowe und Stefan LaengGilliatt: North Atlantic Books, $ 19.95 ISBN:1556436416 Dieses Buch verbindet Texte von Charles Brooks aus dem Buch “Sensory Awareness - The Rediscovery of Experiencing” mit Zitaten und Auszügen aus den Workshops von Charlotte Selver. Es enthält über 100 Photos, welche die Arbeit illustrieren. Wilfried Gruhn (2003): Kinder brauchen Musik. Musikalität bei kleinen Kindern entfalten und fördern. Weinheim, Basel, Berlin 2003: Beltz. 141 S., 12,90 Euro. ISBN 13 978-3-407-22867-3 Prof. Dr. Wilfried Gruhn war Leiter des Studiengangs Schulmusik an der Hochschule für Musik und Theater in Freiburg/Breisgau und gründete 2003 das „Gordon-Institut für frühkindliches Musiklernen“, in dem er sich mit seinen Mitarbeitern der Lernforschung und frühen Musikerziehung von Kleinkindern widmet. Auf Grundlage insbesondere der neurobiologischen Forschungen des amerikanischen Wissenschaftlers Edwin E. Gordon werden die Phasen frühkindlicher musikalischer Entwicklung fundiert und gut verständlich dargestellt. Gruhn plädiert dafür, durch musikalische Erziehung „Kindern Musik als elementares Ausdrucksmittel nahe zu bringen, dessen rhythmische und melodische Grundlagen vitalen menschlichen Grundbedürfnissen entspringen“ (S.100), ohne dieses Ziel durch die immer wieder neu angestoßene Debatte um die kognitiven Effekte musikalischer Erziehung zu verdecken. Genau dieses Anliegen macht das Buch so wertvoll. Gruhn betont, „dass jedes Kind in einem ihm eigentümlichen Maße musikalisch ist, d.h. fähig, Musik als Musik wahrzunehmen, sie zu genießen und sich musikalisch auszudrücken“ (S. 17 f.), wenn nur die entsprechenden Lernanregungen in der Umwelt vorhanden sind. Von dieser Prämisse ausgehend, enthält das Buch eine Fülle von Informationen und Hinweisen für eine anregende, musikalische Lern umgebung. Als heuristisches Modell fungiert dabei - ähnlich wie bei Heinrich Jacoby - das Erlernen der Muttersprache: „Kinder lernen sprechen, weil sie in einer Sprachumgebung aufwachsen, in der sie sich mit Sprache verständigen können. Sie hören und sprechen und eignen sich so aktiv die Sprache ihrer Umgebung an. Nicht anders sollte es mit Musik und ihren Ausdrucksmöglichkeiten sein“ (S.8). Wem die musikpädagogischen Positionen Heinrich Jacobys vertraut sind, kann in dem Buch Gruhns viele Bezüge und interessante Erkenntnisse auf Grund neuerer Forschungen entdecken. Wie könnte musikalisches Lehren und Lernen aussehen, das musikalische Entfaltungsmöglichkeiten bietet? Für Fragen dieser Art liefert das Buch von Wilfried Gruhn wichtige Anregungen. Inken Neubauer Der Boden als Partner 30 | Rezensionen und Buchvorstellungen Nachrichten und Hinweise » Das Photoarchiv der Stiftung soll erweitert und aktualisiert werden. Wir suchen Photos, die Themen der Arbeit Gindlers und Jacobys verdeutlichen, z.B. zweckmäßiges und unzweckmäßiges Verhalten. Wer eigene Photos oder Bilder aus Zeitschriften hat, die sich dafür eignen, kann diese gerne an das Büro der Stiftung schicken. Ansprechpartnerin ist Birgit Rohloff. Wir freuen uns über viele und vielfältige Zusendungen. » Neue Vorsitzende des Beirats der Stiftung ist seit Frühjahr 2007 Birgit Rohloff. Sie löst Marianne Haag ab, die dieses Amt die letzten zehn Jahre mit großem Engagement ausgefüllt und nun aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat. Stellvertretender Vorsitzender bleibt Prof. Dr. Rudolf Weber. » Brigitte Zinn nutzt seit Frühjahr 2007 die Räume der Stiftung, um mit Müttern von drogenabhängigen Kindern zu arbeiten und Erfahrungen aus ihrer Auseinandersetzung mit der Arbeit Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys weiterzugeben. » Auf dem 3. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Körperpsychotherapie zum Thema „Selbstregulation - Körper - Gefühl - Denken“, der vom 20.23.9.2007 in der FU Berlin stattfindet wird Gabriele M. Franzen am 23.9. über Voraussetzungen zur Auslösung von Selbstregulation in der Tradition der Gindler/Goralewski-Arbeit und Moveri-“Körper“arbeit sprechen: „Lebendiger werden in Disziplin und Freiheit, Forschungs- und Übungswege mit Erfahrung von Selbstregulation als Bewegtwerden“ » Auf dem Bundeskongress des Arbeitskreises für Schulmusik, der unter dem Motto `Sperrige Musik le- bendig unterrichten´ vom 28.9. bis 1.10.2007 in Kassel stattfindet, wird Inken Neubauer einen Vortrag zu musikpädagogischen Positionen Heinrich Jacobys halten. » Am 10. Mai 2007 hielt Dr. Reinhart Radebold in den Räumen der Stiftung einen Vortrag zum Thema „Die Arbeit von Elsa Gindler aus Sicht eines Naturwissenschaftlers“. Reinhart Radebold ist Physiker und hat als junger Mann in Arbeitsgemeinschaften von Elsa Gindler, später dann in Kursen von Sophie Ludwig mitgearbeitet. Er erläuterte die Arbeit Elsa Gindlers unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Modelle. Das Manuskript des Vortrags wird in Kürze auf der webpage der Stiftung veröffentlicht. » Am 30. März 2007 hielt Ute Strub in den Räumen der Stiftung einen Vortrag zur Kleinkindpädagogik Emmi Piklers. Die bei dieser Veranstaltung gesammelten Spenden kamen dem Emmi-Pikler-Haus zugute, einer Einrichtung für Kinder aus familiären Krisensituationen, die im Mai 2007 im Spreewald in der Nähe von Berlin eröffnet wurde. Nähere Informationen zum Emmi-Pikler-Haus: www.emmi-pikler-haus.de » Am 3./4 November 2006 fand an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig ein zweitägiges Seminar zu musikpädagogischen Positionen Heinrich Jacobys und zu Fragen und Aufgaben aus der Arbeit Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys statt. Das Seminar richtete sich an Studierende der Schulmusik und Musikpädagogik und wurde von Inken Neubauer und Udo Petersen geleitet. Es wurde als Kooperationsveranstaltung der Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung mit der Hochschule für Musik und Theater Leipzig durchgeführt. Übersicht über die von der Stiftung herausgegebenen und lieferbaren Titel Marianne Haag / Birgit Rohloff (Hrsg.): Arbeiten bei Elsa Gindler. Notizen Elsa Gindler und Berichte einer Teilnehmerin. Schriftenreihe der HeinrichJacoby / Elsa-Gindler-Stiftung Band 2/3. Berlin 2006. 30,- Euro Norbert Klinkenberg: Moshé Feldenkrais und Heinrich Jacoby – Eine Begegnung. Schriftenreihe der Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung, Band 1, 2.Aufl. Berlin 2005. 14,- Euro Jenseits von `Begabt´ und `Unbegabt´ Zweckmäßige Fragestellung und zweckmäßiges Verhalten – Schlüssel für die Entfaltung des Menschen. Dokumentation des Einführungskurses von Heinrich Jacoby 1945 in Zürich. 6. durchgesehene Auflage. Hamburg 2004. 25,- Euro Musik: Gespräche – Versuche 1953-1954. Dokumentation des Musikkurses von Heinrich Jacoby. Überarbeitete Neuauflage von Rudolf Weber mit Hörbeispielen auf einer CD. Hamburg 2003. 25 25,- Euro Elsa Gindler- von ihrem Leben und Wirken. Textauswahl und Darstellung von S. Ludwig, bearbeitet von Marianne Haag. Hamburg 2002. 18,- Euro Sämtliche Titel sind sowohl über den Buchhandel als auch direkt über die Stiftung zu beziehen. Nachrichten und Hinweise | 31 Autorinnen und Autoren Wolfgang von Arps-Aubert, bis 1999 Richter am Kammergericht in Berlin, ist Mitglied des Vorstandes der Stiftung; lebt in Berlin. Rosemarie Augustin war Modezeichnerin; lebt in Berlin. Dr. Dr. Norbert Klinkenberg ist Ärztlicher Direktor der Parkklinik Bad Bergzabern, Rehabilitationszentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin; lebt in Bad Bergzabern und Freiburg/Br. Helga Franke war Geigenlehrerin; lebt in Hannover. Beate Lock ist Beraterin, Trainerin und Coach; lebt in Hamburg. Marianne Haag, Mitglied des Beirates der Stiftung, ist Leiterin von Kursveranstaltungen der Stiftung; lebt in Hasliberg/CH. Dr. Inken Neubauer, Mitglied des Beirates der Stiftung, ist freiberufliche Musik- und Bewegungspädago gin; lebt in Hamburg. I Silvia Hoffmann ist Physiotherapeutin, Musikerin und Feldenkrais-Lehrerin; lebt in Freiburg/Br. Birgit Rohloff, Mitglied des Beirates der Stiftung, ist Physiotherapeutin und Leiterin von Kursveranstaltungen der Stiftung; lebt in Berlin. Martin Hoppe, Schauspieler, ist betreuend tätig; lebt in Hasliberg/CH. Katharina Voigt ist Sozialpädagogin und Musikpädagogin; lebt in Berlin. Fragen Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein. Auszüge aus einem Brief von Rainer Maria Rilke an Franz Xaver Kappus Worpswede, 16.7.1903