Presseinformation-Barlach in Venedig 2015

Transcription

Presseinformation-Barlach in Venedig 2015
Ernst Barlach—Der Zweifler
Gestalten einer besseren Zukunft
Ausstellung zur Biennale Venedig 2015
in der Comunità Evangelica Luterana di Venezia
13. Juni bis 13. September 2015
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag, 16-20 Uhr
(Dienstag geschlossen)
Comunità Evangelica Luterana di Venezia
Campo Ss. Apostoli, Cannaregio
Tel: +39 0498668929
Email:venezia@chiesaluterana.it
www.kirche-venedig.de
www.chiesa-venezia.it
Lauftext:
Ernst Barlach
Ernst Barlach (1870-1938) ist einer der bedeutendsten deutschen Künstler des
20. Jahrhunderts. Seine plastischen Arbeiten, Zeichnungen und Graphiken befinden sich in
Sammlungen und Museen auf der ganzen Welt. Insbesondere das „Güstrower Ehrenmal“,
der schwebende Engel, wurde international zu einem der berühmtesten Mahnmale gegen
den Krieg. In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland (1933-1945) galt Barlachs
Werk als „entartet“ und über 400 seiner Werke wurden beschlagnahmt, abgebaut und teilweise zerstört. Die Nazis sprachen sogar von der „Barlach-Richtung“ in der deutschen Kunst,
von der „kraftlosen unmännlichen Lehre vom irdischen Jammertal“, von der man in
Deutschland nichts mehr wissen wollte.
Es ist der Mensch, den Ernst Barlach in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, der Mensch mit
seinen Ängsten, Sorgen und Zukunftsfragen, die bis heute aktuell sind. „Meine künstlerische
Muttersprache ist nun mal die menschliche Figur oder das Milieu, der Gegenstand, durch das
oder in dem der Mensch lebt, leidet, sich freut, fühlt, denkt“, schrieb Barlach 1911. Darüber
komme ich nicht hinaus. Was der Mensch gelitten hat und leiden kann, seine Größe, seine
Angelegenheiten, inklusive Mythos und Zukunftstraum.“
In der über zwei Meter großen „Bettlergestalt“ von 1930, die Ernst Barlach als Fassadenfigur in der Reihe „Gemeinschaft der Heiligen“ für die Lübecker Katharinenkirche
entworfen hatte, artikulierte der Künstler das Gegenbild eines zunehmend materiell orientierten Fortschrittsdenkens. Auch heute ist der Bettler, sind die Menschenbilder von
Ernst Barlach eine Herausforderung für jeden Betrachter: „So sind wir Menschen“,
schrieb Barlach, „alle Bettler und problematische Existenzen im Grunde. Darum mußte
ich gestalten, was ich sah, und natürlich wuchs in mir unter den Leidenden ein brüderliches Gefühl.“
Dieses Mitgefühl trägt alle Gestalten von Ernst Barlach, die Bauern und Bettler, die Musizierenden, Lesenden, Träumenden und Hoffenden ebenso wie die Verzweifelten, die
Kämpfer und Trauernden, die in Aufbruch und Ekstase, genau wie jene in tiefer Ruhe
und Konzentration. Es ist Empathie, es ist das sich Hinein– und Verantwortlichfühlen für
den Mitmenschen und den Zustand der Welt, wozu die Werke Ernst Barlachs auffordern,
heute wie gestern. Sie sind und bleiben losgelöst von Ort und Zeit Gestalten einer besseren Zukunft, kraftvoll, mahnend, tröstend und unausweichlich.
Historischer Beitrag zur Biennale
Die Ausstellung Ernst Barlach - Der Zweifler wird realisiert von der Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg in Kooperation mit der Evangelisch Lutherischen Gemeinde Venedig
als unabhängiger Beitrag zur 56. Biennale di Venezia, die unter dem Thema steht: All
the World‘s Futures.
Die Ausstellung ist konzipiert als Beitrag zur Biennale, weil sich im Werk Ernst Barlachs
Fragestellungen von Gegenwart und Zukunft im Rückblick auf die historischen Weichenstellungen zu Beginn der Moderne exemplarisch darstellen und diskutieren lassen.
Zugleich stehen seine Bildwerke für ein hohes Maß an Solidarität und Verantwortung.
Die Ausstellung bietet Raum zum Nachdenken, Innehalten und Gewahrwerden der historischen Dimensionen von All the World‘s Futures. Sie initiiert eine besondere Qualität
der Erinnerungsarbeit und interkulturellen Verständigung von historischen zu gegenwärtigen Fragestellungen.
Reformationskontext
Zugleich ist Ernst Barlach auch als Kunstbotschafter des Reformationsjubiläums in Venedig. Die große Errungenschaft, die mit Martin Luther vor 500 Jahren verbunden wird,
ist die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache und ihre Verbreitung in Wort und
Bild. Darin lag sein emanzipatorischer Beitrag im Übergang vom Spätmittelalter zur
Neuzeit, dass er die selbstständige Auseinandersetzung der Menschen mit Gott initiierte,
losgelöst von den kirchlichen Machtinstanzen. Indem er die Bibel in die deutsche Sprache transformierte, in eine Sprache, die „die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse,
der gemeine Mann auf dem Markt“ verstehen sollte, schaffte er ein neues Selbstverständnis im Menschen und forcierte den selbstständigen Dialog zwischen Mensch und
Gott.
Mit dem freien Denken aber entsteht nicht nur eine Auflehnung gegen die Obrigkeit und
gegen die ungerechten gesellschaftlichen Zustände, sondern auch der Zweifel an der
sinnvollen Schöpfung Gottes. Mit Luther „haben Glauben und Zweifel ihren festen Platz
in der Kirche gefunden. Denn eine Kirche der Reformation ist immer auch eine Kirche
der von Gott geliebten Zweifler“ (Karl-Heinrich Melzer).
Hier liegt die gedankliche Verbindung zwischen dem Kirchenreformator Martin Luther
und dem Kunstreformator Ernst Barlach: Angestoßen durch die materiellen Glücksversprechen der beginnenden Moderne, in der zukünftig alles schneller, besser, größer und
überragend werden sollte, sucht Ernst Barlach Anfang des 20. Jahrhunderts Gegenbilder,
Bilder von existenzieller Kraft, die in der Lage sind, die Sorgen und Nöte der Menschen,
aber auch ihre Hoffnungen und berechtigten Zukunftsvorstellungen auszudrücken.
Wie Martin Luther sieht auch Ernst Barlach die Kraft des Wandels in der Idee der
„geistigen Bruderschaft“ und wie Luther glaubt auch er nicht an die revolutionären Prozesse seiner Zeit. Die Kunst Ernst Barlachs ist getragen von der Hoffnung auf die Veränderbarkeit der Welt, „keine andere Welt, sondern diese Welt anders; kein Leben im Himmel, sondern den Himmel auf Erden; kein Ende der Zeit, sondern ein Ende des Leids in
einer Zeit ohne Ende.“ (Klaus Koenen)
Barlachs Gestalten sind und bleiben losgelöst von Ort und Zeit „Gestalten einer besseren Zukunft“, kraftvoll, mahnend, tröstend und unausweichlich. In seinem Drama „Der
Tote Tag“ heißt es: „Wenn ich nachts liege, und die Finsterniskissen mich drücken, dann
drängt sich zuweilen um mich klingendes Licht, sichtbar meinen Augen und meinen Ohren hörbar. Und da stehen dann die schönen Gestalten einer besseren Zukunft um mein
Lager. Noch starr, aber von herrlicher Schönheit, noch schlafend - aber wer sie erweckte, der schüfe der Welt ein besseres Gesicht.“
Die Comunità Evangelica Luterana di Venezia ist die älteste lutherische Gemeinde Italiens und eine der ältesten außerhalb Deutschlands. Schon vor den ersten Veröffentlichungen Martin Luthers findet reformatorisches Gedankengut Interesse in der Lagunenstadt. Im Kerngebiet der „Serenissima Repubblica“ empfindet die venezianische Bildungsschicht ein starkes Bedürfnis nach Erneuerung von Kirche und Gesellschaft. Als die
Inquisition 1542 einsetzt, schreibt Luther zwei Briefe der Ermutigung an die evangelisch Gesinnten vor Ort. Von nun an ist das neue Denken nicht mehr auszulöschen, auch
wenn seine Anhänger für fast 300 Jahre in den Untergrund gehen müssen.
Umfang der Ausstellung
Die Ausstellung zeigt 40 plastische Bildwerke aus allen Schaffensphasen Ernst Barlachs,
darunter den „Güstrower Engel“ und die Großplastik „Der Bettler“ und 70 zeichnerische
und graphische Werke. Sie wird begleitet von einer historischen Text-Bild-Chronologie,
die das Werk Ernst Barlachs im Kontext der Geschichte des 20. Jahrhunderts erklärt.
Partner und Förderer
Ernst Barlach – Der Zweifler ist eine Ausstellung der Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg
in Kooperation mit der Comunità Evangelica Luterana di Venezia. Hauptförderer sind der
VAH, Verein Ausstellungshaus christliche Kunst e.V. München und Luther 2017. Weiterhin
wird die Ausstellung unterstützt vom Deutschen Generalkonsulat Mailand und von der
Vereinigten ev.-luth. Kirche Deutschlands (VELKD).
Schirmherrschaft
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Frau Prof. Margot Käßmann,
Botschafterin für das Reformationsjubiläum der EKD, und Herrn Peter Dettmar,
Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Mailand.
Künstlerische Leitung
Heike Stockhaus und Jürgen Doppelstein
Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg e.V.
Weitere Informationen und Pressefotos:
Xenia Grafeneder/ Ole Stark
Tel: +49 (0)4103.918291
Email:kontakt@ernst-barlach.de
www.ernst-barlach.de