Spinnenseide – was Spiderman wissen sollte

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Proteinfasern
Spinnenseide – was Spiderman
wissen sollte
THOMAS SCHEIBEL
LEHRSTUHL FÜR BIOMATERIALIEN, FAKULTÄT FÜR ANGEWANDTE NATURWISSENSCHAFTEN, UNIVERSITÄT BAYREUTH
Spinnenseide besteht aus sehr stabilen und gleichzeitig extrem dehnbaren Proteinfasern – eine Kombination die es in anderen Polymerfasern
nicht gibt. Man kann Spinnenseidenproteine rekombinant herstellen, ihre
Struktur-Funktionsbeziehung analysieren und sogar in biomimetischen
Prozessen Seidenfasern nach dem Vorbild der Natur herstellen.
Spider silk is a biopolymer with extraordinary properties. It is extremely
tough and at the same time highly elastic – a combination not found in
other polymer fibers.
ó Spinnen bevölkern schon seit Millionen
Jahren die Erde. Zum Beutefang entwickelten sie unterschiedlichste Methoden, meistens unter Einsatz von Seidenfäden. Das verbreiteteste Beutefangprinzip ist das des Seidennetzes, das von etwa der Hälfte der weltweit ca. 40.000 bekannten Spinnenarten zum
Beutefang genutzt wird.
Spinnen stellen unterschiedliche
Seiden her
Viele Spinnen bauen sogenannte Radnetze,
die im Wesentlichen aus fünf Seidenarten,
benannt nach den jeweiligen Drüsen, aufgebaut sind. Die stabile Rahmenkonstruktion
und die Speichen eines Radnetzes werden
aus einer sehr reißfesten Seide aus der großen
ampullaten Drüse gebaut. Die Fangspirale
besteht aus einem Hilfsfaden (Seide der kleinen ampullaten Drüse) und dem eigentlichen
Fangfaden, der flagelliformen Seide. Die flagelliforme Seide ist extrem dehnbar und kann
ausgezeichnet mechanische Energie dissipieren. Der Klebstoff auf der flagelliforme Seide besteht auch aus einer Seidenart, die von
der Spinne zusätzlich aufgebracht wird.
Außerdem werden die Knotenpunkte zwischen den einzelnen Seidenfäden mit Seiden
aus der piriformen Drüse „zementiert“.
die Kombination aus Stabilität und Dehnbarkeit erreicht die Spinnenseide in ihrer Belastbarkeit Maximalwerte im Vergleich zu anderen
Fasermaterialien: Sie kann, bevor sie reißt, 3mal mehr Energie aufnehmen als z. B. Kevlar,
eine der reißfestesten synthetischen Fasern.
Rekombinante Herstellung
Anders als Seide von Raupen des Maulbeerspinners Bombyx mori kann Spinnenseide
nicht auf Spinnenfarmen produziert werden.
Spinnen sind meist Kannibalen und produzieren zudem in Gefangenschaft eine Seide
von minderer Qualität. Daher wurden Methoden zur biotechnologischen Herstellung von
Spinnenseiden getestet. Allerdings sind Spinnenseidengene hoch repetitiv, was Sequenzierung und PCR-Methoden erheblich
erschwert[2]. Neben der unzureichenden
Sequenzinformation wird die rekombinante
Produktion von Spinnenseidenproteinen
durch die ungewöhnliche codon usage der
Spinne erschwert[2]. Eine Möglichkeit ist, die
Erbinformation der Spinne unter Verwendung
der bakteriellen codon usage in synthetischen
Genen zu verändern. Die angepassten Gene
können in geeigneten Bakterienstämmen
exprimiert werden[2].
Seidenstruktur
Mechanische Eigenschaften
Spinnenseidenfasern weisen außergewöhnliche mechanische Eigenschaften auf[1]. Durch
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Die Sekundärstruktur der sekretierten Proteine der großen ampullaten Drüse (major
ampullate spidroins, MAS) entspricht der
eines nativ entfalteten Proteins, mit vornehmlich Random-Coil und Polyprolin-II
helix-ähnlichen Strukturen[3]. Die PolyprolinII Helix-ähnlichen Regionen erhöhen die Löslichkeit der MAS, da sie bevorzugt H-H-Brücken zwischen den Seitenketten und dem
Lösungsmittel begünstigen[4]. Außerdem können sie thermodynamisch einfach in eine βFaltblattstruktur (wie im fertigen Seidenfaden) umgewandelt werden.
Die eindrucksvollen mechanischen Eigenschaften von Spinnenseidenfasern basieren
auf der Bildung einer elastische Matrix mit
anisotropen Einschlüssen (= gestapelte β-Faltblattstrukturen). Die β-Faltblätter bilden kristalline Strukturen, die entlang der Faserachse ausgerichtet sind. Diese gibt es in zwei
Größen: kleinere Kristalle mit Durchmessern
von 2–3 nm bestehen aus dicht gepackten βFaltblättern, die vornehmlich aus Poly-Alaninen bestehen[5]. Größere Kristalle (ca. 70–
500 nm) zeigen variable intersheet-Abstände,
die durch den Einbau von Aminosäuren mit
unterschiedlichen Seitenketten zustande kommen[6]. Beide kristallinen Strukturen sind in
eine partiell ausgerichtete Zwischenphase
umgeben von einer ungeordneten amorphen
Matrix eingebettet[3].
Seidenassemblierung
Eine Spinne besitzt im Hinterleib für jede
unterschiedliche Seidenart jeweils eine eigene Spinndrüse. Zu Beginn des Spinnprozesses wird die Proteinlösung durch einen Spinnkanal geleitet. Durch Zuführen von Kaliumund Phosphationen wird dort bei gleichzeitiger Regulation des pH-Wertes die Trennung
von Protein und Wasser induziert, welches
durch Epithelzellen entfernt wird (Abb. 1).
Dabei zeigt die Proteinphase strukturierte Kolloide. An der Spinnwarze wird ein Faden mit
den Hinterbeinen der Spinne (oder durch
Schwerkraft im Falle des Abseilens) herausgezogen. Der Zugmechanismus führt im
Spinnkanal zu einer Dehnströmung, die die
Seidenproteine ausrichtet (Abb. 2)[7]. Die Molekülausrichtung ist von großer Wichtigkeit für die finalen Eigenschaften des Fadens,
denn nur dadurch wird eine ideale Interaktion
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Spinndrüse
2
Spinnkanal
Proteinsezernierung
Na+
Cl-
PO43-
Spinnlösung
3
H2O
Spinnwarze
mechanischer Zug
H+
Biomimetisches Spinnen: was Spiderman nicht kann
4
Seidenfaden
Umwelt
Spinne
˚ Abb. 1: Schematische Darstellung des natürlichen Spinnprozesses. Die Seidenproteine werden
in der Spinndrüse im Hinterleib der Spinne produziert (1). Bei Bedarf wird die Spinnlösung durch
einen Spinnkanal geleitet, in dem durch Ionenaustausch die Proteine ausgesalzt werden (2).
Durch eine pH-Änderung erfolgt eine Strukturänderung, die zusammen mit einer Dehnströmung
zur Assemblierung der Seidenproteine in einen Seidenfaden (4) an der Spinnwarze (3) führen.
1
3 Flüssig-Fest
2 Flüssig-Flüssig
lösliches Protein
10 µm
Mizellenbildung
4
Seidenfaden
Phasenübergang
Phasentrennung
Dimerisierung Ausbildung eines
Amphiphils
Ansäuerung beeinflusst eine Dehnströmung
den strukturellen Zustand der verwendeten
Seidenproteine nicht. Alleiniges „Aussalzen“
führte mangels Dehnströmung zur Bildung
von strukturierten Kolloiden (Abb. 2). Fasern
konnten nur nach Zugabe von Phosphat und
Einstellung einer Dehnströmung mit gleichzeitiger pH-Reduzierung von pH 8 auf 6
geformt werden (Abb. 2)[9].
koaleszierendes Wachstum
Kolloide durch mechanischer Zug
physikalische
Kräfte in Kontakt
gezwungen und
gestreckt
2 µm
˚ Abb. 2: Modell der möglichen molekularen Abläufe während des Spinnprozesses basierend auf
in vitro-Analysen. Biotechnologische Produktion der Proteine (1). Analog zum natürlichen Prozess
werden die rekombinanten Proteine „ausgesalzt“ (2). Gleichzeitig zu einer pH-Änderung wird eine
Dehnströmung ausgeübt (3), wobei ein Seidenfaden assembliert (4).
1
Biotechnologie
hochkonzentrierte
Proteinlösung
2
techn. Spinnkanal
3
Spinndüse
mechanischer Zug
Ionenaustausch
Pumpe
pH-Änderung
4
Walze
W
Seidenfaden
Klassische Spinnprozesse sind für Spinnenseide ungeeignet, da technische Fasern häufig aus einer Schmelze entstehen oder durch
eine Düse extrudiert (gedrückt) werden. Dieses Prinzip ist auch Comic-Freunden bekannt,
denn Spiderman sprüht (extrudiert) seine Seidenfasern. Extrusion erlaubt aber nur eine
unzureichende Ausrichtung der Seidenproteine, und es kann daher keine mechanisch
stabile Faser entstehen. Ein bionisches Spinnverfahren versucht die Natur gezielt nachzuempfinden und nutzt spezielle Ionenaustauschkanäle, die in ihrer Funktion den
Spinnkanal der Spinne nachahmen. Gekoppelt mit einem Zugmechanismus entstehen
in einem bionischen Spinnprozess Natur-ähnliche Seidenfasern (Abb. 3)[10].
Spinnenseidenproteine als „Zukunftswerkstoff“
Schon vor Jahrtausenden wurde Spinnenseide für unterschiedlichste Anwendungen eingesetzt. Eine technische Nutzung scheiterte
aber bisher vor allem an der geringen verfügbaren Menge. Durch die inzwischen etablierte rekombinante Produktion und kontrollierbare Formgebung von Seidenproteinen lassen sich in naher Zukunft erste Seidenprodukte für den Einsatz in Industrie und
Technik herstellen. Durch das große Potenzial und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten könnten Spinnenseidenproteine zu
einem wichtigen biopolymeren Werkstoff der
Zukunft avancieren.
Danksagung
˚ Abb. 3: Schematischer Überblick zum bionischen Spinnprozess. Das biotechnologisch hergestellte Seidenrohmaterial (1) wird mit einer Pumpe in einen technischen Spinnkanal (2) eingeleitet. Hier finden Ionenaustausch und Ansäuerung der Seidenproteinlösung statt. An der Spinndüse
(3) wird der entstehende Faden (4) mechanisch herausgezogen.
zwischen den einzelnen Seidenproteinen
erreicht.
Rekombinante Seidenproteine, die auf den
MAS-Sequenzen der Gartenkreuzspinne Araneus diadematus beruhen, zeigen in Abwe-
senheit chaotroper Ionen und bei unterkritischen Proteinkonzentrationen (die Proteine
sind vollständig in Lösung) eine Flüssig-Flüssig-Phasentrennung (Abb. 2)[8, 9]. In Abwesenheit von aussalzenden Bedingungen und
Ich bedanke mich bei Dr. Lin Römer für Unterstützung bei der Erstellung der Abbildungen.
Unsere Arbeiten werden finanziell unterstützt
von DFG (SCHE 603/4-3) und BMBF
(13N9736).
ó
Literatur
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Zehren, D. (Hrsg.) Bionik: Patente aus der Natur.
Gesellschaft für Technische Biologie und Bionik,
Saarbrücken. 130–139.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Thomas Scheibel
Lehrstuhl für Biomaterialien
Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften
Universität Bayreuth
Universitätsstraße 30
D-95440 Bayreuth
Tel.: 0921-557361
Fax: 0921-557346
thomas.scheibel@uni-bayreuth.de
AUTOR
Thomas Scheibel
Studium der Biochemie in Regensburg.
1998 Promotion bei
Prof. Dr. Buchner,
Universität Regensburg. 1998–2001
Postdoc an der University of Chicago,
USA bei Prof. Dr.
Susan Lindquist. 2002–2007 Habilitation an der Technischen Universität
München. Seit 2007 Professor (W3)
am Lehrstuhl Biomaterialien der Universität Bayreuth. Initiator und Gesellschafter der 2008 gegründeten
AMSilk GmbH.
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