Spinnenseide – was Spiderman wissen sollte
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Spinnenseide – was Spiderman wissen sollte
001_041_BIOsp_0109.qxd 30.01.2009 12:12 Uhr Seite 23 23 Proteinfasern Spinnenseide – was Spiderman wissen sollte THOMAS SCHEIBEL LEHRSTUHL FÜR BIOMATERIALIEN, FAKULTÄT FÜR ANGEWANDTE NATURWISSENSCHAFTEN, UNIVERSITÄT BAYREUTH Spinnenseide besteht aus sehr stabilen und gleichzeitig extrem dehnbaren Proteinfasern – eine Kombination die es in anderen Polymerfasern nicht gibt. Man kann Spinnenseidenproteine rekombinant herstellen, ihre Struktur-Funktionsbeziehung analysieren und sogar in biomimetischen Prozessen Seidenfasern nach dem Vorbild der Natur herstellen. Spider silk is a biopolymer with extraordinary properties. It is extremely tough and at the same time highly elastic – a combination not found in other polymer fibers. ó Spinnen bevölkern schon seit Millionen Jahren die Erde. Zum Beutefang entwickelten sie unterschiedlichste Methoden, meistens unter Einsatz von Seidenfäden. Das verbreiteteste Beutefangprinzip ist das des Seidennetzes, das von etwa der Hälfte der weltweit ca. 40.000 bekannten Spinnenarten zum Beutefang genutzt wird. Spinnen stellen unterschiedliche Seiden her Viele Spinnen bauen sogenannte Radnetze, die im Wesentlichen aus fünf Seidenarten, benannt nach den jeweiligen Drüsen, aufgebaut sind. Die stabile Rahmenkonstruktion und die Speichen eines Radnetzes werden aus einer sehr reißfesten Seide aus der großen ampullaten Drüse gebaut. Die Fangspirale besteht aus einem Hilfsfaden (Seide der kleinen ampullaten Drüse) und dem eigentlichen Fangfaden, der flagelliformen Seide. Die flagelliforme Seide ist extrem dehnbar und kann ausgezeichnet mechanische Energie dissipieren. Der Klebstoff auf der flagelliforme Seide besteht auch aus einer Seidenart, die von der Spinne zusätzlich aufgebracht wird. Außerdem werden die Knotenpunkte zwischen den einzelnen Seidenfäden mit Seiden aus der piriformen Drüse „zementiert“. die Kombination aus Stabilität und Dehnbarkeit erreicht die Spinnenseide in ihrer Belastbarkeit Maximalwerte im Vergleich zu anderen Fasermaterialien: Sie kann, bevor sie reißt, 3mal mehr Energie aufnehmen als z. B. Kevlar, eine der reißfestesten synthetischen Fasern. Rekombinante Herstellung Anders als Seide von Raupen des Maulbeerspinners Bombyx mori kann Spinnenseide nicht auf Spinnenfarmen produziert werden. Spinnen sind meist Kannibalen und produzieren zudem in Gefangenschaft eine Seide von minderer Qualität. Daher wurden Methoden zur biotechnologischen Herstellung von Spinnenseiden getestet. Allerdings sind Spinnenseidengene hoch repetitiv, was Sequenzierung und PCR-Methoden erheblich erschwert[2]. Neben der unzureichenden Sequenzinformation wird die rekombinante Produktion von Spinnenseidenproteinen durch die ungewöhnliche codon usage der Spinne erschwert[2]. Eine Möglichkeit ist, die Erbinformation der Spinne unter Verwendung der bakteriellen codon usage in synthetischen Genen zu verändern. Die angepassten Gene können in geeigneten Bakterienstämmen exprimiert werden[2]. Seidenstruktur Mechanische Eigenschaften Spinnenseidenfasern weisen außergewöhnliche mechanische Eigenschaften auf[1]. Durch BIOspektrum | 01.09 | 15. Jahrgang Die Sekundärstruktur der sekretierten Proteine der großen ampullaten Drüse (major ampullate spidroins, MAS) entspricht der eines nativ entfalteten Proteins, mit vornehmlich Random-Coil und Polyprolin-II helix-ähnlichen Strukturen[3]. Die PolyprolinII Helix-ähnlichen Regionen erhöhen die Löslichkeit der MAS, da sie bevorzugt H-H-Brücken zwischen den Seitenketten und dem Lösungsmittel begünstigen[4]. Außerdem können sie thermodynamisch einfach in eine βFaltblattstruktur (wie im fertigen Seidenfaden) umgewandelt werden. Die eindrucksvollen mechanischen Eigenschaften von Spinnenseidenfasern basieren auf der Bildung einer elastische Matrix mit anisotropen Einschlüssen (= gestapelte β-Faltblattstrukturen). Die β-Faltblätter bilden kristalline Strukturen, die entlang der Faserachse ausgerichtet sind. Diese gibt es in zwei Größen: kleinere Kristalle mit Durchmessern von 2–3 nm bestehen aus dicht gepackten βFaltblättern, die vornehmlich aus Poly-Alaninen bestehen[5]. Größere Kristalle (ca. 70– 500 nm) zeigen variable intersheet-Abstände, die durch den Einbau von Aminosäuren mit unterschiedlichen Seitenketten zustande kommen[6]. Beide kristallinen Strukturen sind in eine partiell ausgerichtete Zwischenphase umgeben von einer ungeordneten amorphen Matrix eingebettet[3]. Seidenassemblierung Eine Spinne besitzt im Hinterleib für jede unterschiedliche Seidenart jeweils eine eigene Spinndrüse. Zu Beginn des Spinnprozesses wird die Proteinlösung durch einen Spinnkanal geleitet. Durch Zuführen von Kaliumund Phosphationen wird dort bei gleichzeitiger Regulation des pH-Wertes die Trennung von Protein und Wasser induziert, welches durch Epithelzellen entfernt wird (Abb. 1). Dabei zeigt die Proteinphase strukturierte Kolloide. An der Spinnwarze wird ein Faden mit den Hinterbeinen der Spinne (oder durch Schwerkraft im Falle des Abseilens) herausgezogen. Der Zugmechanismus führt im Spinnkanal zu einer Dehnströmung, die die Seidenproteine ausrichtet (Abb. 2)[7]. Die Molekülausrichtung ist von großer Wichtigkeit für die finalen Eigenschaften des Fadens, denn nur dadurch wird eine ideale Interaktion 001_041_BIOsp_0109.qxd 12:12 Uhr Seite 24 WISSENSCHAFT 24 1 30.01.2009 Spinndrüse 2 Spinnkanal Proteinsezernierung Na+ Cl- PO43- Spinnlösung 3 H2O Spinnwarze mechanischer Zug H+ Biomimetisches Spinnen: was Spiderman nicht kann 4 Seidenfaden Umwelt Spinne ˚ Abb. 1: Schematische Darstellung des natürlichen Spinnprozesses. Die Seidenproteine werden in der Spinndrüse im Hinterleib der Spinne produziert (1). Bei Bedarf wird die Spinnlösung durch einen Spinnkanal geleitet, in dem durch Ionenaustausch die Proteine ausgesalzt werden (2). Durch eine pH-Änderung erfolgt eine Strukturänderung, die zusammen mit einer Dehnströmung zur Assemblierung der Seidenproteine in einen Seidenfaden (4) an der Spinnwarze (3) führen. 1 3 Flüssig-Fest 2 Flüssig-Flüssig lösliches Protein 10 µm Mizellenbildung 4 Seidenfaden Phasenübergang Phasentrennung Dimerisierung Ausbildung eines Amphiphils Ansäuerung beeinflusst eine Dehnströmung den strukturellen Zustand der verwendeten Seidenproteine nicht. Alleiniges „Aussalzen“ führte mangels Dehnströmung zur Bildung von strukturierten Kolloiden (Abb. 2). Fasern konnten nur nach Zugabe von Phosphat und Einstellung einer Dehnströmung mit gleichzeitiger pH-Reduzierung von pH 8 auf 6 geformt werden (Abb. 2)[9]. koaleszierendes Wachstum Kolloide durch mechanischer Zug physikalische Kräfte in Kontakt gezwungen und gestreckt 2 µm ˚ Abb. 2: Modell der möglichen molekularen Abläufe während des Spinnprozesses basierend auf in vitro-Analysen. Biotechnologische Produktion der Proteine (1). Analog zum natürlichen Prozess werden die rekombinanten Proteine „ausgesalzt“ (2). Gleichzeitig zu einer pH-Änderung wird eine Dehnströmung ausgeübt (3), wobei ein Seidenfaden assembliert (4). 1 Biotechnologie hochkonzentrierte Proteinlösung 2 techn. Spinnkanal 3 Spinndüse mechanischer Zug Ionenaustausch Pumpe pH-Änderung 4 Walze W Seidenfaden Klassische Spinnprozesse sind für Spinnenseide ungeeignet, da technische Fasern häufig aus einer Schmelze entstehen oder durch eine Düse extrudiert (gedrückt) werden. Dieses Prinzip ist auch Comic-Freunden bekannt, denn Spiderman sprüht (extrudiert) seine Seidenfasern. Extrusion erlaubt aber nur eine unzureichende Ausrichtung der Seidenproteine, und es kann daher keine mechanisch stabile Faser entstehen. Ein bionisches Spinnverfahren versucht die Natur gezielt nachzuempfinden und nutzt spezielle Ionenaustauschkanäle, die in ihrer Funktion den Spinnkanal der Spinne nachahmen. Gekoppelt mit einem Zugmechanismus entstehen in einem bionischen Spinnprozess Natur-ähnliche Seidenfasern (Abb. 3)[10]. Spinnenseidenproteine als „Zukunftswerkstoff“ Schon vor Jahrtausenden wurde Spinnenseide für unterschiedlichste Anwendungen eingesetzt. Eine technische Nutzung scheiterte aber bisher vor allem an der geringen verfügbaren Menge. Durch die inzwischen etablierte rekombinante Produktion und kontrollierbare Formgebung von Seidenproteinen lassen sich in naher Zukunft erste Seidenprodukte für den Einsatz in Industrie und Technik herstellen. Durch das große Potenzial und die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten könnten Spinnenseidenproteine zu einem wichtigen biopolymeren Werkstoff der Zukunft avancieren. Danksagung ˚ Abb. 3: Schematischer Überblick zum bionischen Spinnprozess. Das biotechnologisch hergestellte Seidenrohmaterial (1) wird mit einer Pumpe in einen technischen Spinnkanal (2) eingeleitet. Hier finden Ionenaustausch und Ansäuerung der Seidenproteinlösung statt. An der Spinndüse (3) wird der entstehende Faden (4) mechanisch herausgezogen. zwischen den einzelnen Seidenproteinen erreicht. Rekombinante Seidenproteine, die auf den MAS-Sequenzen der Gartenkreuzspinne Araneus diadematus beruhen, zeigen in Abwe- senheit chaotroper Ionen und bei unterkritischen Proteinkonzentrationen (die Proteine sind vollständig in Lösung) eine Flüssig-Flüssig-Phasentrennung (Abb. 2)[8, 9]. In Abwesenheit von aussalzenden Bedingungen und Ich bedanke mich bei Dr. Lin Römer für Unterstützung bei der Erstellung der Abbildungen. Unsere Arbeiten werden finanziell unterstützt von DFG (SCHE 603/4-3) und BMBF (13N9736). ó Literatur [1] Gosline, J. M., Guerette, P. A., Ortlepp, C. S., Savage, K. N. (1999): The mechanical design of spider silks: from fibroin sequence to mechanical function. J. Exp. Biol. 202: 3295– 3303. BIOspektrum | 01.09 | 15. Jahrgang 001_041_BIOsp_0109.qxd 30.01.2009 12:12 Uhr [2] Vendrely, C., Scheibel, T. (2007): Biotechnological production of spider silk proteins enables new applications. Macromol. Biosci. 7: 401–409. [3] Heim, M., Keerl, D., Scheibel, T. (2009): Spider Silk: From Soluble Protein to Extraordinary Fibers. Angew. Chem. Int. Ed. (im Druck). [4] Hijirida, D. H., Do, K. G., Michal, C., Wong, S., Zax, D., Jelinski, L. W. (1996): 13C NMR of Nephila clavipes major ampullate silk gland. Biophys. J. 71: 3442–3447. [5] Perez-Rigueiro, J., Elices, M., Plaza, G. R., Guinea, G. V. (2007): The supramolecular organization of silkworm and spider silk. Macromolecules 40: 5360–5365. 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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Thomas Scheibel Lehrstuhl für Biomaterialien Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften Universität Bayreuth Universitätsstraße 30 D-95440 Bayreuth Tel.: 0921-557361 Fax: 0921-557346 thomas.scheibel@uni-bayreuth.de AUTOR Thomas Scheibel Studium der Biochemie in Regensburg. 1998 Promotion bei Prof. Dr. Buchner, Universität Regensburg. 1998–2001 Postdoc an der University of Chicago, USA bei Prof. Dr. Susan Lindquist. 2002–2007 Habilitation an der Technischen Universität München. Seit 2007 Professor (W3) am Lehrstuhl Biomaterialien der Universität Bayreuth. Initiator und Gesellschafter der 2008 gegründeten AMSilk GmbH. BIOspektrum | 01.09 | 15. Jahrgang Seite 25