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© JPG
WERKSTATTGESPRÄCHE
Zu Besuch in Ateliers und Galerien
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Kunstgeschichte
WiSe 2015/16
Jessica Petraccaro-Goertsches M.A.
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NÄHE ZUM WERK
In einer Welt der digitalen (Handlungs-)Nöte
tet. Diese/r 'Moderator/in' lenkte vor Ort das
bleibt der Ruf nach lebendigem Sehen wei-
Gespräch in einen offenen Austausch zwi-
terhin (beziehungsweise umso mehr) beste-
schen
hen. So sind sich auffallend viele Künstler
und Vertretern der Kunstszene. Die durch die
einig, den ästhetischen Vorsprung durch die
Künstler gewährten intimen Einblicke hielten
eigene bewusst gelenkte Freiheit des (ge-
die Haupt- und Nebenfach-Studierenden in
nauen) Sehens genutzt zu haben. Der Appell:
Form von Interview-Notizen, Ergebnisproto-
auch im Alltag Ästhetisches unterbewusst-
kollen, Kurzberichten und Kunstkritiken fest,
bewusst zu verarbeiten!
die in dieser Loseblattsammlung von der
Wie sieht ein Künstler (was genau)? Welchen
studentischen Redaktion chronologisch ge-
Prozess löst dies aus? Welche Perspektiven
ordnet zusammengefasst wurden.
jungen
Nachwuchs-Kunsthistorikern
gibt es für zeitgenössische Kunst (in München)?
Allen
Im Wintersemester 2015/16 besuchten die
Galeristen, Kunsthistorikern und Studieren-
Teilnehmer
Zu
den – gilt ein herzliches Dankeschön für die
Gast in Ateliers und Galerien' (Ludwig-
fruchtbare Gesprächskultur sowie für die
Maximilians-Universität München, Institut für
freundliche Bereitschaft, Atelier-, Studio- und
Kunstgeschichte) Münchner Künstler in ihrem
Ausstellungstüre auch zu ungewöhnlichen
beruflichen Lebensraum - auf Couchhöhe im
Zeiten zu öffnen und einen neugierig-
gemütlichen Studio zuhause, in den geräu-
intensiven Blick auf zum Teil noch im Werden
migen hübschen Hallen des Ateliers oder im
begriffene Arbeiten zu gewähren.
der
'Werkstattgespräche.
Gesprächsteilnehmern
–
Künstlern,
öffentlich-ausstellendem Kontext des Stiftungs- und Galeriewesens.
München, Anfang Februar 2016
Bis auf die Vernissage- und Finissage-
Jessica Petraccaro-Goertsches
Besuche wurde der Großteil der Sitzungen
© CB
von einer/m Studierenden inhaltlich vorberei-
Amelie von Wulffens 'tote Hasen',
2013
2
INHALT
VORWORT
S. 2
IMPRESSIONEN
S. 4
KARTENANSICHT
S. 5
ATELIERBESUCH BEI INGRID FLOSS
S. 6
BESUCH DES MAXIMILIANSFORUMS
S. 8
ESSAY ÜBER DIE LOKALE KULTURFÖRDERUNG
S. 12
BESUCH DER GALERIE VAN DE LOO PROJEKTE
S. 15
MARTINA HAMRICK ZU BESUCH
S. 18
STUDIOBESUCH BEI FRANZISKA AGRAWAL
S. 23
BESUCH DER ERES STIFTUNG
S. 24
INTERVIEW WITH STEFANIE ZOCHE
S. 24
KUNSTKRITIK
S. 26
BERICHT ÜBER DIE LANTENHAMMER-VERNISSAGE IN DER GEDOK
S. 29
BESUCH DER GALERIE FOE 156
S. 33
AUSSTELLUNGSBESUCH 'AMELIE VON WULFFEN. BILDER 2000-2015’
S. 34
ERÖFFNUNGSREDE FÜR DIE ’WERKSTATTGESPRÄCHE’
S. 34
FÜHRUNG DURCH DIE AUSSTELLUNG
S. 38
WERKBEISPIELE DER KÜNSTLERIN
S. 43
PRESSESPIEGEL (EINE AUSWAHL)
S. 44
BESUCH DES BOTANIKUMS
S. 45
ATELIERBESUCH BEI JULIA ZIEGELMAIER
S. 46
IMPRESSUM
S. 51
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IMPRESSIONEN
4
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© GEDOK
KARTENANSICHT
1. Atelierbesuch bei Ingrid Floss
80339 München
7. Besuch der Elvira-Lantenhammer-Vernissage
der GEDOK München (e.V.)
Schleißheimer Str. 61, 80797 München
2. Besuch des MaximiliansForums
Maximilianstraße 38, 80539 München
8. Besuch der Galerie FOE 156
Oberföhringer Str. 156, 81925 München
3. Besuch der Galerie van de Loo
Projekte
Gabelsbergerstraße 19, 80333 München
9. Ausstellungsbesuch ’Amelie von Wulffen.
BILDER 2000–2015’
Pinakothek der Moderne
4. Martina Hamrik zu Gast
Institut für Kunstgeschichte, Zentnerstraße 31,
80798 München
10. Besuch im Botanikum (GmbH & Co KG,
Heinrich Bunzel)
Feldmochinger Str. 75-79, 80993 München
5. Studiobesuch bei Franziska Agrawal
81667 München
11. Atelierbesuch bei Julia Ziegelmaier
80799 München
6. Besuch der ERES Stiftung München
(Stefanie Zoche)
Römerstrasse 15, 80801 München
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ATELIERBESUCH BEI INGRID FLOSS
Die Künstlerin im Gespräch mit Luca Daberto
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DAS VIBRIEREN DER FARBEN
Der Betrachter entdeckt diese Farbenwelt
zwischen zwei Polen und wandert über das
Farben liegen nebeneinander, überlagern
Bild, sucht, erkennt, nimmt auf und wird be-
sich, scheinen durch, vermischen sich, drän-
rührt.
gen nach vorne, drängen zurück, kämpfen,
Der Faktor Zeit spielt sowohl beim Malen als
klingen, vibrieren und hinterlassen Spuren.
auch beim Betrachten eine Rolle und ist als
Die abstrakten Ölbilder von Ingrid Floss sind
Gegenposition zu unserer schnellen, visuel-
eine Entdeckungsreise. Zum einen für die
len Zeit zu sehen. Dabei soll das Auge nicht
Künstlerin und zum anderen für den Betrach-
festhängen, sondern über das Bild wandern
ter.
und entdecken. Der Betrachter soll das Vib-
Ingrid Floss nimmt durch ihre Augen alles
rieren der Farben spüren.
auf: Museen, Städte, Natur, Menschen, Ge-
Ingrid Floss gibt ihren Farben Kraft, die Kraft
sichter, Spuren. Spuren hinterlässt sie dann
der Farben geben den Bildern Präsenz und
auf der Leinwand. In einem Prozess ohne
Tiefe, die Präsenz und Tiefe der Bilder geben
feste Regeln und Routen, einem Wechsel-
Beständigkeit,
spiel aus Kontrolle und Zulassen, entstehen
zeichnet Ingrid Floss aus.
und
diese
Beständigkeit
die Bilder teilweise über Monate und Jahre.
Auf ihrer Reise ist die Künstlerin auf der Su-
Franziska Adams
che nach Ruhe und Dynamik, nach Harmonie
und Spannung.
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© FA
‘Ein wiederkehrendes simples Rechteck’ (Seminarteilnehmer)
‘Ich male gerne frühmorgens, manchmal schon um 5 Uhr’ (Ingrid Floss)
‘Orte mit Patina’ (Seminardiskurs)
‘Bilder reifen oft sehr langsam’ (Ingrid Floss)
7
BESUCH DES MAXIMILIANSFORUMS
Ausstellung der collaboration_project Künstler
Ein schneller Blick zwischen zwei Ausstellungen
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Am 28.10.2015 besuchten die Teilnehmer
MaximiliansForum als Ort der Kunstvermitt-
der ‘Werkstattgespräche’ das Münchner Ma-
lung so besonders macht und in der Form
ximiliansForum und die dortige Jahresaus-
vermutlich einzigartig in München ist. Stark
stellung
im Vordergrund steht hier der urbane Cha-
‘C9’
der
collaboration_project
Künstler.
rakter. Das Forum ist keinesfalls mit einem
Museum oder einer Galerie zu vergleichen.
Das MaximilansForum befindet sich in einem
Vielmehr ist es ein Stück echtes, städtisches
ehemaligen U-Bahn-Sperrengeschoss unter-
Leben mit allem, was dazu gehört: die Hektik
halb
Münchner
vorbeihetzender Passantinnen in Stöckel-
Prunkstraße, der Maximilianstraße. Gleich
schuhen, der Lärm darüber fahrender Tram-
beim Betreten des Forums, das durch die
bahnen und die Obdachlosen, die im Maxi-
auffallend leuchtende Beschilderung an der
miliansForum, vor allem im Winter, einen
Oberfläche kaum zu übersehen ist, erkennt
einigermaßen geschützten und wärmenden
der Besucher einen starken Kontrast. Steigt
Unterschlupf für die Nacht finden.
man eine der vier Treppen hinunter, fallen
In Bezug auf letzteres kam die Gruppe in ein
sofort die Rolltreppen auf, die außer Betrieb
interessantes Gespräch mit Tanja, einer Pas-
und verwildert, gar von Pflanzen überwuchert
santin, die dort augenscheinlich mit gefüllten
sind. Die Räumlichkeit ist es auch, die das
Einkaufstüten auf einen Obdachlosen warte-
der
sehr
bekannten
8
te. Tanja berichtete, dass sie obdachlose
hüter versucht wird, den Angreifer abzuhal-
Menschen unterstütze und eben einer ihrer
ten, was teilweise kurzzeitig gelingt. Das
Schützlinge die kalten Nächte im Maximi-
ganze spielt sich im Regen ab.
lansForum verbringe, da es ‘ein sicherer Ort
zu sein scheint’. Sie selbst sei positiv beein-
Trotzdem wirkt das Gesamtbild nahezu har-
druckt von der Örtlichkeit und der festen
monisch. Das Video wirkt zunächst wie die
Überzeugung, dass die Besucher der Kunst-
Aufzeichnung einer Überwachungskamera.
ausstellung keineswegs von den Menschen,
Bei näherer Betrachtung findet man jedoch
die dort leben, abgeschreckt werden wür-
im Hochformat, in dem die Sequenz präsen-
den. Gleichzeitig meinte sie aber, sie hätte
tiert wird, Parallelen zur Videofunktion eines
noch nicht viele Passanten erlebt, die tat-
Smartphones. Beim aufmerksamen Betrach-
sächlich stehen blieben, um die hinter einer
ten fällt auf, dass es in dem Film einen
schaufensterartigen Glaswand präsentierten
Schnitt gibt, weshalb fraglich ist, ob die prä-
Kunstwerke genauer zu betrachten. Beson-
sentierte Szene real oder inszeniert ist. Die
ders ansprechend fand Tanja die Cafélokali-
Tonspur, die im Hintergrund des Videos
tät, die zu Beginn einer Ausstellung in einem
läuft, berichtet auf Englisch über den Um-
Glaskubus eingerichtet war, und Platz für den
gang der Regierung mit regierungskritischen
Austausch im Dialog mit den Künstlern bot.
Demonstranten. Es kommt die Frage auf, ob
Sie persönlich wünsche sich etwas Derartiges
es sich hierbei um einen asiatischen oder
als dauerhafte Lösung für das MaximiliansFo-
europäischen Künstler handelt, da es keine
rum, um mehr Menschen dorthin zu locken,
Beschreibung zum Video gibt, welche die
was sich jedoch aufgrund von städtischen
Identität des Künstlers verrät.
Auflagen
und
Hygieneschutzbedingungen
als problematisch erweisen könnte.
Das MaximiliansForum, mit seinem unverwechselbaren Alltagscharme, ist die perfekte
Bühne für die Werke der C9-Künstler, die
zum Zeitpunkt des Besuchs der Seminarteilnehmer dort ausstellten. Überaus präsent,
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gleich beim Betreten des ehemaligen UBahn-Geschosses, ist eine Videoinstallation
mit Tonspur zum Thema Gewalt im öffentlichen Raum, die auf den ersten Blick eine
Neben der Videoinstallation mit Tonspur ist
alltägliche Straßenszene einer südkoreani-
ein großflächiger Hahn auf einer Kunststoff-
schen Stadt darstellt.
plane dargestellt, stark vergößert und in
Man blickt aus einiger Distanz aus der Vo-
anderer Technik handelt es sich um eine
gelperspektive auf eine Straße vor einer Art
Anleihe eines Werkes Roy Lichtensteins. Der
Tempel, in dem vermutlich gerade ein Tref-
Hahn wirkt zunächst aggressiv. Er hat einen
fen wichtiger Persönlichkeiten stattfindet.
geöffneten Schnabel und weint. Zudem er-
Plötzlich kommt eine Person angelaufen und
kennt man asiatische Schriftzeichen. Ein Teil-
es kommt zu einem Gerangel, bei dem im-
nehmer des Seminars, der Grundkenntnisse
mer wieder durch vermeintliche Ordnungs-
der koreanischen Sprache besitzt, erklärt der
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Gruppe, dass die Schriftzeichen den Laut des
sollte. Gerade zeitgenössischen Künstlern,
krähenden Hahns darstellen. Der Vogel hat
wie denen des collaboration_project, bietet
Eier in seinem Nest, was vielleicht eher da-
das Forum eine in München einzigartige
rauf schließen lässt, dass es sich um eine
Plattform, ihre Kunst zu präsentieren. Die
Henne handelt. Man kann davon ausgehen,
Themen, die die Künstlergruppe in dieser
dass die Henne entweder angegriffen wurde,
Ausstellung aufgreift, sind politische Alltags-
oder einem Angriff bevor steht, was durch
themen. Sie drücken Konflikte und Kritik aus
die Aggressivität, die das Werk ausstrahlt,
und bedrücken ebenso sehr, wie es der
vernommen werden kann. Es lässt sich nicht
dunkle, verlassene U-Bahnhof schafft. Die
erkennen, ob ihre Eier noch intakt sind, oder
Kunst möchte aufrütteln,
vielleicht doch schon Risse zeigen. Ein Stu-
bewegen, stehen zu bleiben und sich mit ihr
dent interpretiert die Henne als Verbildli-
auseinanderzusetzen, oder über Themen
chung der Kunst und die Eier als junge
nachzudenken, die den einzelnen persönlich
Künstler, die aufgrund der Unterdrückung
zwar nicht betreffen, aber durchaus brisant
asiatischer Regime nicht die Möglichkeit
sind. Dieser Ort ist ein ganz besonderes Me-
haben, sich zu entfalten, was Parallelen zu
dium der Kunstvermittlung für die Münchner
der Videoinstallation schaffen würde. Bei
und muss auf jeden Fall konserviert werden.
weiterer Betrachtung fällt auf, dass das Werk
Vielmehr sollte es mehr solcher Plätze ge-
noch eine ausgestaltete Rückseite besitzt.
ben, die so die Integration von Kunst in die
Diese kann bei frontaler Sicht zunächst durch
Lebenswelt eines Jeden erreichen.
Passanten dazu
einen Spiegelkubus entdeckt werden, der
sich hinter dem Kunstwerk befindet.
Laura Böttger
Passend dazu fand am 16.11.2015 um 19 Uhr im Maximilians-
Das MaximiliansForum bietet eine unfassbar
Forum die Veranstaltung ‚between two spaces?‘ statt, die sich
alltägliche, vielleicht sogar sehr banale Büh-
mit der Frage beschäftigte, welche Chancen sich aus der
ne der Kunstpräsentation, die eine unver-
besonderen Lage des MaximiliansForums im städtischen
wechselbare Nähe zum Betrachter schafft.
ben. Zu diesem Thema gab es Expertenvorträge und ein
Raum für die Themen ‚Öffentlichkeit‘ und ‚Vermittlung‘ erge-
Der U-Bahnhof als Raum, der im Alltag ei-
offenes Gespräch für alle Interessenten.
gentlich keineswegs zum Aufenthalt, ge-
Zur ‚what remains gallery‘ und den künstlerischern Weiterver-
schweige denn zur bewussten Auseinander-
arbeitungen der collaboration9-Künstler siehe ergänzend:
setzung mit Kunst gedacht ist, hat das Po-
http://www.collaboration9.de/layer_peripherer-blick-undkollektiver-koerper-iv/
tenzial, eine partizipative Kunstvermittlung zu
schaffen, wie sie in keinem gewöhnlichen
Museum möglich wäre. Die gewohnte Alltagssituation kann so eine ganz neue Bereitschaft zur offenen Auseinandersetzung und
Verbalisierung mit und von Kunst beim Laien
hervorrufen.
Die Seminargruppe ist sich am Ende der
Sitzung weitestgehend einig, dass das MaximiliansForum als Kunstraum mit besonderem Charakter keinesfalls renoviert werden
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ESSAY ÜBER DIE LOKALE KULTURFÖRDERUNG
‘Kultur ist ein öffentliches Gut, das öffentli-
Der Bund übernimmt mit ca. 1,2 Milliarden
che Förderung verdient und benötigt.’, so
Euro rund dreizehn Prozent der Gesamtaus-
das Goethe Institut in einer Stellungnahme
gaben. Dabei gibt es die direkte Finanzie-
zum transatlantischen Freihandelsabkommen
rung öffentlicher Institutionen oder Kulturbe-
TTIP.
triebe und die von privaten Kulturschaffenden und Unternehmen, wie Stiftungen oder
Die aktuelle Diskussion über die Sanierung
Kunstvereinen, denen heute eine immer
des Münchner Gasteigs und den Verbleib
wichtigere Rolle zukommt. Kunstförderung
des Konzertsaals, bringen allerdings ein der
umfasst unter anderem Zuschüsse und Pro-
Kulturförderung immanentes Dilemma zum
jektförderung, Kunstpreise, Stipendien, Ar-
Vorschein. Die Entscheidung, das Gasteig
tist-in-Residence-
solle ab 2020 generalsaniert werden, löst
gramme, Ankäufe von Kunstwerken, Aus-
einen Streit über den Verbleib des Münche-
schreibungen
ner Orchesters aus. Ein Ort für ca. 2000 Zu-
Raum, Spenden, Sponsoring oder Kulturmo-
schauer ist in dieser Stadt nicht leicht zu fin-
deration. Es gibt einige Münchner Institutio-
den und die Mieten sind hoch. Horst
nen, die sich an der Kulturförderung beteili-
Seehofer präsentierte daraufhin den Plan,
ge, so zum Beispiel das Kulturreferat der
Millionen zu sparen und keinen Neubau zu
Landeshauptstadt München, der Ausländer-
finanzieren, sondern den alten Saal zu sanie-
beirat München, das Bayerische Staatsminis-
ren,
BR-
terium für Bildungs- und Kulturaustausch
Symphonieorchester teilen sollen. Dieses
oder Stiftungen wie die Prinzregent-Luitpold-
Vorhaben entfachte einen Proteststurm; mitt-
Stiftung zur Förderung der Kunst, der Deut-
lerweile ist ein Konzertsaal im Werksviertel
schen Bank AG, der Stadtsparkasse München
geplant und die Sanierung des Gasteigs, ein
oder die Ernst von Siemens Stiftung.
den
sich
Philharmoniker
und
für
und
Kunst
Atelierförderproim
öffentlichen
Gebäude, das erst 30 Jahre alt ist, soll bis zu
550 Millionen Euro kosten. Dieses aktuelle
Dem Kulturreferat unterstehen alle kommu-
Beispiel verdeutlicht, wie zentral in Politik
nalen Kultureinrichtungen Münchens – städ-
und Gesellschaft stets die Frage ist, wie viel
tische Bildungseinrichtungen, Museen und
Geld für Kultur zur Verfügung stehen soll
Sammlungen, wie das Münchner Stadtmuse-
und wie wie divers die Meinungen darüber
um, das Lenbachhaus, das Museum Villa
in der Kulturpolitik sind. Kultur muss sich
Stuck, das Jüdische Museum München, das
meist lohnen und wird nicht als ökonomische
NS-Dokumentationszentrum sowie Galerien
Notwendigkeit gesehen. Und das, obwohl in
und Kunsträume, wie etwa die Städtische
München mit einem Kulturhaushalt, der nur
Galerie Lothringer13, das MaximiliansForum
3,1 Prozent des Stadthaushaltes ausmacht,
oder die Münchner Artothek, darüber hinaus
kein Gesamtetat ausbalanciert werden kann.
städtische Theater, Orchester und das Künstlerhaus Villa Waldberta für internationale
Die
Kunst-
und
Kulturförderung
ist
in
Stipendiaten.
Deutschland nach dem Grundgesetz vor
Über 70 Kulturvereine und -einrichtungen
allem Aufgabe der Länder und Gemeinden.
erhalten eine institutionelle Förderung. Das
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Kulturreferat ist zuständig für die städtische
Nachwuchs, Begegnung oder Bildung und
Kulturförderung
Bereitstellung
qualitative Aspekte wie etwa Nachhaltigkeit,
kultureller Infrastruktur, Beratung und Unter-
Chancengleichheit, Relevanz oder Originali-
stützung bei kulturellen Veranstaltungen,
tät. Das Kulturreferat fördert Kunst und Kul-
Auszeichnungen für Kulturschaffende, wie
tur durch Zuschüsse oder durch eine Beteili-
auch Sach- und Geldleistungen für Projekte
gung als Kooperationspartner. Über Zu-
und Institutionen, also etwa die Vergabe von
schüsse bis 10.000 Euro entscheidet das
Ateliers, Preisverleihungen und Stipendien.
Kulturreferat, darüber hinausgehende Beträ-
Das Kulturreferat verfügt über ein Gesamt-
ge müssen vom Stadtrat beschlossen wer-
budget von etwa 160.500.000 Euro, wovon
den. Die Landeshauptstadt München vergibt
etwa 20 Prozent an die Münchner Kammer-
jährlich vier mit jeweils 6.000 Euro dotierte
spiele und etwa 19 Prozent an die Münchner
Stipendien im Bereich Bildende Kunst. Dar-
Stadtbibliothek gehen. Dieser Betrag wird
über hinaus wird der Leonhard und Ida Wolf-
verwendet für den Betrieb der städtischen
Gedächtnispreis mit maximal 3.000 Euro
Kultureinrichtungen und für die kommunale
vergeben. Dabei bereitet eine vom Stadtrat
Kulturförderung.
berufene Jury einen Vorschlag, den der
Jedes Jahr werden etwa 1800 Veranstaltun-
Stadtrat bei seiner Entscheidung berücksich-
gen und Projekte gefördert, ca. 11.000 Bera-
tigt. 2015 erhalten Felix Leon Westner, Ag-
tungs- und Betreuungsgespräche geführt,
nes Jänsch, Stefanie Hofer, Carsten Nolte
Preise zwischen 274.000 Euro und 380.000
und Judith Neunhaeuserer den Preis.
durch
die
Euro für Stipendien und Auszeichnungen zur
Verfügung gestellt, und etwa 300 Künstlerin-
Finanzierung bedeutet für Künstler Kompro-
nen und Künstler mit einer Atelierförderung
missfindung. Wenn sich nicht die Mittel zur
unterstützt. 2015 beträgt der Jahresetat des
Produktion finden, der Galerie das Aus droht
Kulturreferats 190 Millionen Euro; eine Bud-
oder die Atelierräume gekündigt werden,
geterhöhung für die verstärkte Förderung
sind Kulturschaffende oft auf Förderung an-
der freien Szenen und der Stadtteilkultur
gewiesen. Aber diese Förderung schafft
wird erwirkt, sowie ein künftig festes Budget
nicht nur Freiräume, sondern auch Bedin-
für
NS-Dokumenta-
gungen und Abhängigkeiten, die sich inhalt-
tionszentrums und eine Anhebung des Etats
lich auswirken und die Gefahr eines Konsens
des Lenbachhauses.
beinhalten. Förderung ist mit klarer Zielbe-
den
Betrieb
des
schreibung und Evaluierung verbunden, und
Der klassische Weg zu einer Förderung führt
damit leider oft auch mit strategischen Im-
in der Regel über die Antragstellung, den
pulsen, welche von kulturpolitischen, geopo-
Vertrag und die Abrechnung. Die Förderkri-
litischen
terien des Kulturreferats umfassen formale
geprägt sind.
Voraussetzungen,
wie
beispielsweise
Interessen
Mira Pirchtner
Projektbeschreibung und nachvollziehbare
Kalkulation, inhaltliche Aspekte wie bürgerliEngagement,
pädagogischen
die
Verortung in München, öffentlichen Zugang,
ches
oder
Grenzüberschreitung,
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Lesetipps und Quellen
- Goethe Institut: Stellungnahme der Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) (Oktober 2014), http://www.goethe.de/ins/us/lp/kul/mag/ges/de13440944.htm (letzter Zugriff: 19.12.2015)
- Hutter, Dominik: Gasteig-Kulturzentrum. Die teuerste Baustelle der Stadt (1.7. 2015), in: Süddeutsche Zeitung,
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/gasteig-kulturzentrum-die-teuerste-baustelle-der-stadt-1.2546252 (letzter Zugriff:
19.12.2015)
- Krügel, Christian: Neuer Konzertsaal in München. Seehofers Radikallösung für den Gasteig (4.2.2015), in: Süddeutsche Zeitung,
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/neuer-konzertsaal-in-muenchen-seehofers-radikalloesung-fuer-den-gasteig-1.2328568
(letzter Zugriff: 19.12.2015)
- Krupp, Kerstin/Riesbeck, Peter: Freihandelsabkommen TTIP: Die Kulturszene hat Angst vor der Amerikanisierung (17.08.2014),
in: Berliner Zeitung, http://www.berliner-zeitung.de/kultur/freihandelsabkommen-ttip-die-kulturszene-hat-angst-vor-deramerikanisierung,10809150,28145392.html#plx1914760735 (letzter Zugriff: 19.12.2015)
- Oberender, Thomas: Kultur vergeht, Kunst besteht (10.12.2015), in: nachtkritik,
http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=11882:zehn-thesen-zur-entwicklung-von-kultur-undkulturfoerderung-von-berliner-festspiele-intendant-thomas-oberender&catid=101:debatte&Itemid=84 (letzter Zugriff: 19.12.2015)
- Poschardt, Ulf: Fack ju Subvention! (24.4. 2015), in: Die Welt, http://www.welt.de/kultur/article140065519/Fack-juSubvention.html (letzter Zugriff: 19.12.2015)
- Prosinger, Wolfgang: Kulturförderung. Kunst ist mehr als Garnitur (4.3.2015), in: Der Tagesspiegel,
http://www.tagesspiegel.de/kultur/kulturfoerderung-kunst-ist-mehr-als-garnitur/11457180.html (letzter Zugriff: 19.12.2015)
- http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerKulturundMedien/kultur/kunstKulturfoerd erung/_node.html
- http://www.kulturfoerderung.org/de/dizk_content/Foerderersuche/index.html
- http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kulturreferat.html
- http://www.muenchen.de/rathaus/dms/Home/Stadtverwaltung/Kulturreferat/wir/budget2015/Budget-2015-dt.pdf
- http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kulturreferat/Kulturfoerderung/Foerderkriterien.html
- http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kulturreferat/Wir-ueber-uns/Jahresberichte/Vorschau_2015.html
- https://www.muenchen-transparent.de/antraege/1226399
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GALERIE VAN DE LOO PROJEKTE
Marie José van de Loo und Selima Niggl im Gespräch mit Olga Rontogianni-Günther
© VDLP
Eine Besucherbemerkung ist in die Geschich-
Fragen an Marie-José van de Loo
te des Hauses eingegangen:
o
Die Anfänge der Galerie reichen
bis ins Jahr 1957 zurück, als Ihr Vater seine erste Ausstellung organi-
Ein bedeutender und passionierter Kunst-
sierte. Wie war die Situation da-
sammler erklärte ein Jahr nach der Öffnung
mals in München und wie waren
meiner Galerie mir gegenüber: ‘Das, was sie
die Anfänge der Galerie?
ausstellen ist vielleicht des Lobes würdig,
aber es braucht Namen, um einen Sammler
Im Jahr 1957, als mein Vater seine Gale-
wie mich anzutreiben, die sechs Etagen Ihrer
rie in der Münchner Maximilianstraße er-
Galerie zu erklimmen’. Heute verpasst er
öffnete, war die ‘Trümmerzeit’ der Stadt
nicht eine meiner Ausstellungen und das
bereits weitgehend Vergangenheit, wenn
letzte Mal bemerkte er: ‘Ihre Bilder sind be-
auch noch längst nicht alle Gebäude
wundernswert, aber zu teuer’, woraufhin ich
wiedererrichtet, oder durch Nebenbau-
entgegnete: ‘Sie sind teuer geworden’.
ten ersetzt worden waren.
Die ersten Räumlichkeiten der Galerie
Otto van de Loo, 1963
befanden sich damals im 6. Stock. Es gab
damals nur wenige Galerien in München
und Otto van de Loo war einer der ersten
unter ihnen. Mit einer Ausstellung von K.
R. H. Sonderborg eröffnete er 1957 sein
Programm. Die Künstler, die er seinem
15
Galeriepublikum
präsentierte,
waren
statt und die Nähe zu den anderen war
meist noch nicht bekannt und ihre Werke
von großer Bedeutung für die gegensei-
oft fremd und irritierend. Der finanzielle
tige Inspiration. Viele Künstler brachten
Erfolg der Galeriearbeit ließ anfangs
auch andere Künstler in die Galerie. Na-
noch auf sich warten.
Aber gerade in
türlich war das Ausstellungswesen nicht
den ersten Jahren wurden die Wegmar-
immer einfach, da Meinungen ja auch
ken für das spätere Galerieprogramm ge-
verschieden sein können.
setzt, deren Auswirkungen teils heute
Fragen an Selima Niggl
noch in den Ausstellungen der Galerie zu
o
spüren sind.
o
Lausen. Wieso gerade Lausen?
Ihre Galerie gehört zu den ältesten
Der erste Kontakt zu seinem Werk ent-
in München. Was zeichnete Ihren
stand in einem Archiv, in dem ich zuvor
Vater als Galeristen aus und wie
gearbeitet hatte. Sein Werk hat mich fas-
konnte er die Kunstszene beein-
ziniert. Zu Lebzeiten wurde er nicht von
flussen?
der Galerie van de Loo vertreten, heute
Er machte etwas Neues, indem er mit
hingegen schon.
seiner Galerie auf den Rückgriff der gesi-
o
cherten und bereits anerkannten Vor-
Wie sieht Ihr Alltag in der Galerie
kriegsmoderne verzichtete. Er hat als ers-
aus?
ter Galerist in der Nachkriegszeit Mün-
Diverse Arbeiten im Archiv sowie Recher-
chens die zeitgenössische Kunst in sei-
che und Erbringung von Nachweisen
nem Programm eingeführt. Er etablierte
über die Herkunft der Bilder. Ich bin we-
neue Namen, agierte in einem internati-
niger für die Angelegenheiten des Han-
onalen Netzwerk des Kunstbetriebs und
dels zuständig. Weiter veröffentliche ich
zeigte sich offen für avantgardistische
Publikationen rund um die Galerie und
Strömungen. Einige der heute sehr nam-
die von ihr vertretenen Künstler. Zudem
haften Künstler, die er bereits in den ers-
bin ich auch eine der Kuratorinnen unse-
ten Jahren zeigte, sind: Alechinsky, Galli-
rer Ausstellungen.
zio, Jorn, Matta, Saura, Constant, Rainer,
o
Franke, Platschek, Zimmer, und Mitglie-
Nimmt Ihre Galerie auch neue
Künstler auf?
der der Künstlervereinigungen COBRA,
Nein, wir haben einen festen Kreis von
SPUR und andere. Otto van de Loo hatte
Künstlern, mit denen wir kooperieren.
auch freundschaftliche Beziehungen zu
vielen Künstlern, die er ausstellte. Er un-
o
terstützte sie vielseitig und trat ihnen ge-
Ist Ihre Galerie im ZADIK vertreten?
genüber als Mäzen auf, indem er ihnen
Ja, mit einer breiten Fülle an Material,
viele Bilder abkaufte.
o
Ihre Dissertation handelt von Uwe
welches die Chronik der Galerie auf-
Wie haben sich der Galerist und
zeichnet, sowie auch die von uns ausge-
seine Künstler verstanden?
stellten Künstler im Einzelnen.
Die Treffen zwischen dem Galeristen und
seinen Künstlern waren sehr wichtig. Es
Olga Rontogianni-Günther
fand ein wichtiger Meinungsaustausch
16
© JG
‘Farben unter den Fingernägeln waren verpönt’ (Selima Niggl)
‘Wer die Treppen in die ehemaligen Galerieräume nicht hinaufzusteigen bereit war, dem hätte es am nötigen Interesse an der Kunst bedarft’ (erinnert sich Galeristin Marie-José van de Loo an eine Aussage
ihres Vaters)
17
MARTINA HAMRICK ZU BESUCH
Die Künstlerin im Gespräch mit Julia Bergmann
© VZ
Frau Hamrik hat die Bilder nicht das erste
Galeristen und verkaufe auch teilweise
Mal zusammengestellt, mit erfahrender Ges-
selber.
te hat sie vier Bilder ausgepackt: Ballerina,
o
Junge mit dem Ball, Zwei Schwimmerinnen –
Ich war ja Krankenschwester, wahrschein-
alle vier aus Serien.
o
lich wäre ich bei diesem Beruf bleiben,
Wann, wie und warum kam das Be-
weil ich es auch gerne tat und irgendwie
dürfnis zu malen?
muss man ja die Familie versorgen.
Ich habe schon immer als Kind gerne und
o
viel gemalt. Irgendwann hat es sich im-
Gibt es Länder, Städte oder O rte,
wo
mer mehr angeboten, künstlerisch mehr
Sie
besondere
Inspirationen
finden? Arbeiten Sie lieber alleine
zu machen.
o
Wenn nicht Künstlerin, was dann?
oder doch mit dem einen oder an-
Seit wann sehen Sie sich selbst als
deren
Künstlerin?
mit einer Katze?
Die letzten zehn Jahre mache ich nichts
Meine Ideen bekomme ich in meiner
anderes. Es kam alles selbst zu mir. Ir-
Umgebung am Starnberger See. Die Tie-
gendwie hat es sich so entwickelt. Ich
re und Menschen, die sich um mich her-
habe auch keinen Exklusivvertrag mit ei-
um bewegen, sprechen mich an. Ich ha-
nem Galeristen, der das alles arrangiert
be immer mein Handy dabei und mache
für mich. Ich habe Verträge mit mehreren
Fotos von allem was mir gefällt. Fremde
18
Künstler,
netten
Freund...
Städte und Länder brauche ich nicht für
Material und Perspektive. Mir fehlt da
meine Inspiration. Ich arbeite wirklich
aber was. Das bin nicht ich.
gerne alleine. Wenn ich eine Idee habe,
o
dann soll es sofort raus. Ich male gerne in
format?
meinem Atelier. Während der Arbeit darf
Ja. Ich mag das Kleine gar nicht. Auch
keiner rein. Danach gerne.
o
Malen Sie schon immer im Groß-
ohne Schlaufentechnik habe ich große
Was mögen Sie besonders bei der
Formate gerne. Der Raum unterstützt
Arbeit: das Ziel, von dem Sie wis-
den Hauptakteur, das Bild.
sen, hier kommt was ich mir vorgestellt habe oder stellen Sie sich
nichts vor? Ist es ein Weg ins Unbekannte? Die Ruhe?
Malen an sich ist Handwerk. Die Motivsuche ist spannend, Komposition oder die
Überlegung, sollen bei einer Schwimmerin die Hände abgeschnitten sein oder
wirkt es langweilig? Besonders wichtig
finde ich das Bewegungsmoment zu dokumentieren, die Dreidimensionale, die
o
© VZ
Malerei aufbricht.
Wenn man arbeitet, macht man das
oft alleine... Gefällt Ihnen diese
o
Form der Einsamkeit? Fühlen Sie
das gut?
sich überhaupt einsam?
Ich muss mit dem Auftraggeber erstmal
Nein, das Leben außenherum ist sehr in-
alles besprechen. Wenn ich dann weiß,
tensiv bei mir.
o
was er sich vorstellt, gehört es mir und
Wann arbeiten Sie gerne?
ich fange zu spielen an. Ich brauche be-
Am Vormittag zwischen 8.00 und 14.00
stimmte Freiheiten dabei, keinen Zeitdruck. Zum Beispiel, Porträts male ich
Uhr. Manchmal mit Musik.
o
Worte
wie
Dynamik,
prinzipiell nicht. Von meiner Familie habe
Bewegung,
ich welche gemacht, viele wollen es
Relief, Körperspannung, Perspekti-
auch. Aber da fühle ich mich nicht da-
ve sind Schlag- wörter für Sie. Trei-
nach. In meinen Bildern sind die Gesich-
ben Sie viel Sport?
ter nicht wichtig.
Ja. Sport ist wichtig für mich. Früher habe
o
ich Leistungssport gemacht. Ich gehe
Verlieren Sie sich während Ihres
Schaffens oder arbeiten Sie eher
auch gerne joggen mit meinem Hund.
o
Sie haben Aufträge. Funktioniert
nach einem Plan?
Ich plane schon vor dem Malen. Ich gehe
Haben Sie jemals probiert, abs-
gezielt mit meinem Smartphone raus und
trakt zu malen?
recherchiere nach neuen Motiven. Ich
Ja. Immer wieder. Ich spiele gerne mit
19
wähle einen spannenden Ausschnitt aus
ders je nachdem welche Jahreszeit gera-
meiner Fotografie.
de ist.
Wenn ich diesen gefunden habe, überle-
o
ge ich, welches Format ich nehmen soll,
Sie waren im O ktober auf der Exhibition ArtNow London und ferner
welche Farben ich kombiniere und be-
im November in der Galerie com-
spanne meine Leinwand selbst. Dann
beck ltd. Homburg. Wie war es
mache ich eine genaue Vorzeichnung mit
dort? Ist es immer noch spannend,
Bleistift. Die Farben sind in meinen Bil-
bei der eigenen Ausstellung dabei
dern zweitrangig. Ich wähle sie eher natu-
zu sein?
ralistisch, so wie sie mir gefallen. Ich fo-
Das ist immer schön. Ich gehe oft zu
tografiere viel, suche mir die Motive aus
Artmessen so wie ArtMUC. Morgen fahre
und übertrage diese ins Bild. Schlaufen
ich nach Bonn um meine Bilder im Frau-
muss ich nicht planen. Das mache ich ei-
enmuseum zu präsentieren. Ich bin gerne
ne Stunde, zwei, dann ist es gut. Am
dabei. Oft wird genau gefragt, wie ich
nächsten Tag mache ich es weiter. An-
das mache, weil es doch neu ist.
fangs habe ich die Schlaufen aus zwei
Meter langen Leinwandstreifen gemacht.
o
Inzwischen zeichne ich mir die Schwünge,
Können Sie ihre Technik beschreiben? Wie kamen Sie dazu?
die die Schlaufen machen sollen, in mei-
Mich interessiert immer das Motiv, zum
ner Entwurfsskizze mit an und variiere die
Beispiel der sich bewegende Mensch.
Breite der Schlaufen innerhalb einer
Der Hintergrund ist immer ein Problem.
Bahn. Die Schlaufen grundiere ich vorab
Vor zwei Jahren habe ich alte Leinwände
mit der gewünschten Hintergrundfarbe.
zerrissen und dachte, ich kann sie ir-
Ganz am Schluss gehe ich auch noch mal
gendwie noch nutzen. Und dann kam die
mit der Farbe drauf, wenn es passt.
Idee, mit einem möglichen Perspektivwechsel zu arbeiten. Um meine Idee auszuprobieren, habe ich die Streifenstücke
aus zerrissener Leinwand
in Schlaufen
nebeneinander gelegt und auf einem
Brett fest getackert. Auf meinen Bildern
klebe ich die Schlaufen jetzt mit Heißkleber nebeneinander. ‘Das Mädchen mit
dem Kleid’ war das erste Bild mit dieser
© VZ
Technik... genau da dachte ich, dass es
o
schön wird, wenn ihr Kleid aus dem Bild
heraus schwingt.
Mir ist wichtig, Dynamik umzusetzen. Zu-
Sie haben auch eine Drahtkuh ge-
erst mache ich die Vorzeichnung mit Blei,
macht...
dann kommt der Farbauftrag mit Acryl,
Ja. Eine steht bei mir im Garten, die an-
alles mit einer alten Kreditkarte und fei-
dere habe ich verkauft. Die, die im Gar-
nere Stellen mit dem Spachtel. Pinsel
ten steht, ist drei Jahre alt und ist le-
verwende ich nicht. Wenn ich die Farbe
bensgroß. Ich finde, sie wirkt immer an-
so auftrage, unterstützt das die Dynamik
20
meiner Motive.
o
Der Hintergrund ist erstmal unwichtig.
zusammen malen wollen oder so. Ich fah-
tentieren lassen? Wie kamen Sie
re schon mal nach Augsburg in die Aka-
auf diese Idee?
demie und schaue mir alles an. Es ist oft
habe
ein
Patent
auf
das
nett aber ich habe meine Art und meine
Ge-
Technik...
er (250,-).
o
Eine Bekannte hat mir die Idee gegeben.
Arbeiten Sie mit einem Skizzenbuch?
Weil es eben etwas Besonderes ist. Das
Früher schon, seit es Smartphones gibt
habe ich dann auch gemacht. Deutsch-
nicht mehr.
landweit, Europaweit. Zum Glück war
o
meine Technik noch keine sechs Monate
Wie sind Sie zu ihrem Atelier im
alt, sonst darf man das nicht mehr paten-
Kerschlacher Forst gekommen?
tieren lassen. Ich möchte nicht, dass ei-
Anfangs habe ich in unserem Gästezim-
ner die Schlaufentechnik genau so nach-
mer gemalt. Das wurde dann irgendwann
macht wie ich es mache und dann am
zu klein. Eigentlich war dieser Bunker im
Ende behauptet, es wäre seine Idee ge-
Wald ewig leer. Ich wohne ca. fünf Minu-
wesen.
ten davon entfernt. Vor acht Jahren woll-
Kann man diese Technik noch er-
te die Besitzerin an Künstler vermieten.
weitern?
Denken
Sie
Da habe ich mich beworben gleich am
manchmal
Anfang. Jetzt sind es mittlerweile 30
darüber nach?
Künstler. Man kann ihn zwei Mal im Jahr
Mit der Zeit wird sich zeigen, ob ich es
auch anschauen. Ansonsten mit Anmel-
noch erweitere...
dung.
Wie muss das Werk auf Sie wirken,
damit Sie
wissen,
es
ist fertig.
Volha Zwingmann (bald
Mehr kommt da gar nicht hin: keine
Farbe
mehr,
keine
Karankevich-Koch)
Sekunde
mehr etwas zu verbessern oder zu
entwickeln.
Es hängt ein Paar Tage bei mir zu Hause
und ich lasse es erst einmal auf mich wirken. Dann weiß ich es.
o
der Aus-
Schon sehr wichtig, aber ich würde nie
schmacksmuster. Das ist gar nicht so teu-
o
ist Ihnen
Warum haben Sie Ihre Technik pa-
Ich
o
wichtig
tausch mit anderen Künstlern?
Den mache ich mit den Schlaufen.
o
Wie
Gibt es ein Lieblingswerk?
Immer das neueste Bild. Man will sich
nicht so schnell trennen. Manchmal passiert es und da ist man schon ein bisschen traurig.
21
22
© VZ
© VZ
STUDIOBESUCH BEI FRANZISKA AGRAWAL
© VZ
‘Vergänglichkeit ist nicht das Thema [der Eisskulpturen],
diese Kunstwerke sollen bewusst nach einer Woche
wieder ganz anders aussehen oder sogar
verschwunden sein’
(erinnert sich eine Seminarteilnehmerin)
Agrawal im Gespräch mit Konstantin
Pfannmüller
23
BESUCH DER ERES STIFTUNG MÜNCHEN
Stephanie Zoche im Gespräch mit Sandra Olivieri
© JPG
Stefanie Zoche is a German artist and activist
Denmark to mention only a few) and she
especially concerned about water issues.
always follows her heart when it comes to
She has always been passionate about envi-
choosing the destination. However, she feels
ronmental protection, even before she start-
that India had the major impact on her,
ed making art. As ecology is getting a politi-
where she stayed one year and was im-
cally interesting topic, the artist underlines
pressed by its mixture of religions and peo-
that her work has a bigger impact now.
ple, its spiritual side and different time per-
Water later became a leitmotiv in her and
ception.
her partner’s art (Sabine Haubitz's – now
deceased). Before they had met each other,
The stolen sand
they were both already interested in this
element, perceived by the artist as filled with
Her latest exhibition, ‘Wie Sand am Meer’
metaphorical qualities.
has a very particular and relatively unknown
theme: ‘the stolen sand’. The artist first came
Zoche's main themes and travels
in contact with the subject while taking pictures on the river Yamuna in India. On the
Besides water, Zoche's main themes are
confluence with the river Ganges, she no-
ecology and architecture, which she de-
ticed people taking incredible quantities of
scribes as ‘observing what's going on in the
sand, so she became curious and started
streets’. In order to do that, she also claims
filming them. After a while, they told her to
that it is important for an artist to travel with
stop (they were doing illegal sand mining).
open eyes. As a matter of fact she always
took lots of pictures and decided to organize
While doing research, she discovered even
exhibitions. Zoche's travels are various and
more about this issue. Zoche pointed out
exotic (India, Iceland, Israel, China, Dubai,
that a huge quantity of sand (every year a 20
24
meter wide ring around the equator could be
Moreover, she also tries to compensate her
built with it) is taken illegally to be used in
ecological wastes, investing money from her
construction business, mostly by developing
countries such as China; or Dubai, where
they cannot use desert sand, since it's not
suitable for building purposes.
There is very little awareness in Europe
about this problem, although the sand mafia
is the second biggest Mafia, while in India it
© JPG
is even the major one. They mine the material illegally due to increasing sand prices.
They take it from almost all kinds of ecological environments (rivers, the bottom of the
art projects in solar panels and through a
oceans, beaches), damaging all of those. As
plane company program which uses part of
a matter of fact, 70% of the worlds' beaches
plane tickets gains to protect the environ-
are in high danger and will soon disappear
ment.
and climate refugees (it is estimated that
there will be more than 1 billion) are going
The exhibition’s tetrapod
to be a problem (even more than today’s
Syrian refugees). Moreover, the majority of
At the entrance of the exhibition is a giant
stolen sand-made buildings are useless and
sand-made statue called ‘tetrapod’, which is
inhabited, only built for speculation purpos-
a real scale replica of those dropped in the
es. Spain is one of the countries with the
sea so that they wedge on each other and
worst speculation problem, since in one year
immobilize the sand. Unfortunately, their use
they constructed as much as the UK, France
is limited. Furthermore, they could also be a
and Germany together. Besides, there are
damage since sand is full of microorganisms,
actually alternate technologies to illegal sand
which are always moving, while the tetra-
mining in the construction business, for in-
pods alter the balance of sand movements.
stance a fabric of steel and bamboo.
Moreover, they are made of sand them-
For the artist, ecology is the most important
selves, which Zoche underlines as being very
issue. She has been working with scientists
ironic. Zoche admits that it is a little contra-
for many years and she describes how des-
dictory to make a sculpture out of sand to
perate and powerless they feel, since for
raise awareness towards sand stealing, how-
them it is very difficult to reach and inform
ever she claims that it wouldn't have made
people about the seriousness of the situa-
sense if it had been built out of any other
tion. Zoche, who sees art as a means of
material.
communication, tries her best to convey an
unpopular and otherwise ‘boring’ message.
Sandra Olivieri (Erasmusstudentin)
25
KUNSTKRITIK
DIE WAHRHEIT MIT DEM SAND
bild aus Beton gegossen, sondern aus einzelnen Stücken mit Sand verkleidetem Sty-
Einer Statistik zufolge hat China in den
ropor gefertigt, die scheinbar lose aufei-
Jahren seit 2012 mehr Zement hergestellt
nander gesteckt wurden. Durch überste-
als die USA seit 1900. Das Bindemittel wird
hende Kanten wirkt der Tetrapode instabil,
in relativ geringen Mengen für die Produk-
als ob er bei der kleinsten Berührung zu-
tion von Beton benötig, welcher hingegen
sammenfallen könnte – eine Metapher für
zu zwei Dritteln aus Sand besteht. Sand
das ökologische Gleichgewicht?
erfährt heutzutage besonders durch das
Zumindest sensibilisiert er den Besucher
Baugewerbe in den Schwellenländern eine
gleich zu Beginn für die menschenver-
Nachfrage, die mit großflächigem, illega-
schuldete Problematik: so wiegt die zum
lem Sandabbau beantwortet wird.
Küstenschutz eingesetzte Ausführung sechs
Diese Thematik wurde in der der Ausstel-
Tonnen, was dem jährlichen Pro-Kopf-
lung ’WIE SAND AM MEER – Über den
Verbrauch von Sand eines jeden Bundes-
Raubbau an einem schwindenden Rohstoff
bürgers entspricht.
im Anthropozän’ gezeigt, die vom 11. September bis 28. November 2015 von der
Die anfängliche Irritation begleitet weiter
ERES Stiftung München ausgerichtet wur-
durch die Ausstellung und regt zu immer
de. Sie war als Teil einer Veranstaltungsrei-
neuem Nachdenken an. In der Zweikanal-
he konzipiert, die sich mit den Auswirkun-
Videoprojektion ’Fortuna Hill’ wird der ille-
gen menschlicher Aktivitäten auf die Um-
gale Sandabbau an Marokkos Küsten do-
welt auseinandersetzt. Dabei wurde die
kumentiert. Die aus der Distanz gefilmten
ökologische Thematik wirkungsvoll in die
Ströme von Menschen und Lasteseln wech-
Sprache der Kunst übersetzt und durch
seln sich sequentiell mit Aufnahmen des
naturwissenschaftliche Beiträge bereichert.
daraus entstandenen Produktes ab. Gezeigt werden Reihen von halbfertigen, ver-
Es wurden ältere und neuere Arbeiten der
lassenen Rohbauten – Investmentruinen
Künstlerin Stefanie Zoche gezeigt, die ne-
aus Spanien. Der Kontrast zwischen der
ben der Ressource Sand den Schwerpunkt
Menschenleere und dem bunten Treiben
auf Klimawandel und den damit verbunde-
ist durch die schnelle Abfolge besonders
nen Anstieg vom Meeresspiegel setzte. Die
effektiv. Verstärkt wird er durch eingespiel-
Ausstellung bestand bis auf ein Werk aus
te Stimmen und Gelächter von Menschen,
Auftragsarbeiten für die ERES Stiftung, die
oder dem Platschen von Wasser beim Blick
bereits 2006 mit Stefanie Zoche zusam-
auf einen leeren Pool. Fast ironisch kom-
mengearbeitet hatte.
mentieren sie das karge Bild und können
es nicht mit Leben füllen. Die grotesk an-
Ein gewaltiger Tetrapode empfängt den
mutenden,
Besucher und versperrt ihm gleichzeitig
wirken wie ein Mahnmal, das unseren ver-
den Weg. Vor allem aber sorgt das lebens-
schwenderischen Umgang mit den be-
große Objekt durch seine Zusammenset-
grenzten Ressourcen anprangert.
zung für Irritation. Es ist nicht wie sein Vor26
zurückgelassenen
Bauwerke
Gerade bei den Videoarbeiten wird das
len sonst verborgen geblieben.
besondere
Künstlerin
Die Zweikanal-Videoprojektion ’High Tide’
deutlich, die sich im Zusammenhang mit
zeigt die monotone Wellenbewegung an
der Illegalität stets selbst in Gefahr ge-
einer Hafenstadt wie New York oder Mum-
bracht hat. So war das Filmen vom Raub-
bai in einer Endlosschleife in einem abge-
bau in Marokko oder von den eingezäun-
dunkelten Raum am Ende der Ausstellung.
ten Bauruinen auf der iberischen Halbinsel
Diese Aufnahme war aus einem neuen,
mit einem gewissen Risiko verbunden, was
schrägen Betrachterwinkel von unten ge-
sie im Gespräch jedoch herunterspielt.
filmt worden. Die Kamera wurde scheinbar
Auch wenn Stefanie Zoche durch den Ein-
von jeder einzelnen Welle beeinflusst und
satz von Teleobjektiv und Drohne zur
rief die Illusion eines treibenden, wenn
Engagement
der
scheinbar distanzierten Beobachterin und
Dokumentierenden wird, kann es nicht
über ihr persönliches Anliegen an der
Thematik hinwegtäuschen. Besonders im
Gespräch zeigt sich, dass sie durch ihr
Werk ein verstärktes Bewusstsein für die
Problematik und die Folgen des Klimawandels bei allen Bevölkerungsschichten erreichen möchte.
Die verschiedenen Ansätze von bildender
Kunst und Naturwissenschaft zu kombinieren
und
das
Problem,
die
politisch-
ökologische Thematik in die Kunst zu übersetzen, ist Stefanie Zoche zweifellos geglückt. Der hohe Stellenwert, den die Wissenschaft in ihrem Werk einnimmt, zeigt
auch der Ausstellungskatalog, der zu gleichen Teilen in die Kapitel ’Ausstellung’ und
© JPG
’Wissenschaft’ unterteilt ist. Die angebotenen Vorträge von Wissenschaftlern und
Forschern und eine Podiumsdiskussion mit
der Künstlerin dienten zusätzlich als Plattform für einen Austausch, der mit Sicher-
nicht leblosen Objekts hervor. Die ver-
heit
Hintergrundinformationen
schobene Perspektive steht dabei wie eine
liefern konnte. Allerdings litt der erste Ein-
Prophezeiung für die unmittelbar bevorste-
druck eines fachfremden Besuchers ver-
henden Veränderungen, die unsere Welt
mutlich etwas unter dem Fehlen an zusätz-
auf den Kopf stellen werden. Denn der mit
lichen Erläuterungen in den Räumlichkei-
dem Klimawandel verbundene Meeres-
ten. Kleine Informationstafeln hätten die
spiegelanstieg wird auch uns noch errei-
Ausstellung bestimmt bereichert und dem
chen.
Besucher schneller einen Zugang ver-
Die momentanen Migrationsströme sind
schafft, sind ihm die aussagekräftigen Zah-
dabei nur ein Vorgeschmack auf die zu
wichtige
27
erwartenden Klimaflüchtlinge, wenn der
kennt.
Wasserstand auch nur um ein paar Meter
Mit ihrem Anliegen konnte sie zumindest
steigt. Durch Stefanie Zoches Einsatz wur-
die Besucher der Ausstellung ’WIE SAND
den dem Betrachter erschreckende Bilder
AM MEER’ erreichen, weil die eindringli-
zugänglich gemacht und sind gleichzeitig
chen Bilder und synästhetischen Erfahrun-
zu einem ästhetischen Gesamtbild ver-
gen dauerhaft im Gedächtnis bleiben wer-
schmolzen. Sie zeigte die unschönen, uns
den und zu weiterer Beschäftigung mit der
meist verborgenen Seiten unserer Lebens-
Thematik einladen, wenn nicht gar drän-
weise, während sie außerdem einen neuen
gen.
Blickwinkel auf die Fakten warf, die man
nach ’An Inconvenient Truth’ schon längst
Clarissa Bluhm
28
GALERIE GEDOK
Ausstellung Elvira Lantenhammer
© GEDOK
EIN GESPRÄCH MIT:
um etwa viel schneller in der Kunstszene
Christiane von Nordenskjöld (Kunsthistorike-
durch und bekommen in der Regel schneller
rin, 1. Vorsitzende der GEDOK München,
eine Ausstellung. Liegt das daran, dass sie
Mitte links)
von Galerien und Vereinen bevorzugt wer-
Anette Scholl (Kunsthistorikerin, Mitarbeiterin
den?
der GEDOK München)
GEDOK greift hier ein und unterstützt aus-
Elvira Lantenhammer (ausstellende Künstle-
schließlich Frauen in einem geschützten
rin, Mitte rechts)
‘Raum’ sowohl auf dem Ausbildungsweg als
auch bei den ersten Schritten in die Galeries-
Die GEDO K – ein Künstlerinnenverein
zene und ermöglicht den Künstlerinnen, untereinander zu netzwerken. In Deutschland
Die GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und
gibt es über 20 lokale Gruppen, der Verband
Österreichischer Künstlerinnenvereine aller
in München ist der größte mit 330 Mitglie-
Kunstgattungen) wurde 1926 von Ida Deh-
dern. Es werden nicht nur Künstlerinnen der
mel als eingetragener Verein zur Förderung
Bildenden Kunst gefördert, sondern dane-
von professionellen Künstlerinnen gegrün-
ben auch der Angewandten Kunst, der Musik
det. Im Jahr 2016 wird das 90-jährige Beste-
und der Literatur. Hierbei spielt der Aus-
hen des Vereins gefeiert. Zur Gründungszeit
tausch der Künstlerinnen aus unterschiedli-
kämpften Frauen für andere Zustände als
chen Bereichen eine wichtige Rolle und führt
heute (zu nennen ist zum Beispiel der Not-
zu nachhaltigen Synergien.
stand, nicht zu einer Aktmalerei-Klasse zugelassen zu werden). Dennoch besteht der
Das Netzwerk der Münchner GEDO K
Verein heute noch, da nach wie vor männliche Künstler anders behandelt werden als
Für die Musikerinnen werden Konzerte im
weibliche – Männer starten nach dem Studi
Gasteig organisiert, Literatinnen lesen,
29
Künstlerinnen erhalten Ausstellungen. Für
Künste in München. Der stets würdevolle
alle Künstlerinnen findet einmal im Monat ein
Umgang mit Pigmenten und das Herstellen
Jour fixe statt, an dem sie sich austauschen
der Farben prägte sie beim Restaurieren so
können. Über aktuelle Kunst, über Projekte
sehr, dass sie heute davon ausgehend die
oder einfach, um das persönliche Netzwerk
Farben für ihre eigenen Werke in einer län-
weiter auszubauen. Netzwerken ist ein zent-
geren Prozedur anmischt.
raler Begriff bei GEDOK, schließlich geht
nichts über gute Kontakte. Neue Ausstel-
Im Jahr 2014 erhielt sie das GEDOK-
lungsmöglichkeiten können sich eröffnen,
Stipendium der ’Artists in Residence’ in Bul-
neue Zusammenarbeiten oder neue Impulse
garien. Durch diese Förderung war ein drei-
für das eigene Schaffen ergeben.
wöchiger Bulgarien-Aufenthalt möglich – mit
Für Bildende Künstlerinnen, die direkt von
anschließender Ausstellung in Sofia. Auf-
der Akademie kommen, gibt es ein besonde-
grund der zeitnahen Präsentation nach der
res Angebot: Die GEDOK spricht gezielt
Ankunft in Bulgarien, fanden künstlerische
Künstlerinnen der Akademie an und bietet
Vorarbeiten statt, die den Einstieg in Bulga-
ihnen die Möglichkeit zu einer Einzelausstel-
rien erleichterten. Da Lantenhammer zuvor
lung. Unter Zuhilfenahme von Fördergeldern
keinerlei Bezug zu Bulgarien hatte, las sie zur
werden dazu Ausstellungskataloge gefertigt.
Einstimmung Literatur, tauchte in das Land
Junge Künstlerinnen erhalten so einen guten
ein und experimentierte in ihrem Atelier mit
Start in den Beruf der Künstlerin und können
Farbklängen. Schließlich festigten sich die
bei ihren weiteren Bewerbungen bereits eine
Farben Rot und Grün. Die vorgefertigten
Einzelausstellung und einen Ausstellungska-
Arbeiten schickte die Künstlerin mit Pigmen-
talog vorlegen, was wiederum die Chancen
ten, Himalaya-Büttenpapier und Malutensi-
auf weitere Ausstellungen erhöht. GEDOK
lien vorab nach Bulgarien. Dort wurden die
unterstützt hier den Berufseinstieg und steht
Werke teilweise ergänzt und vervollständigt.
beratend zur Seite. Ob die Künstlerin im
Einige Bilder entstanden direkt vor Ort in
Anschluss der GEDOK beitreten möchte
dem eher provinziellen Ort namens Veliko
oder nicht, bleibt ihr freigestellt.
Tarnovo. Dort lernte die Stipendiatin das
GEDOK ist trotz des fast 90-jährigen Beste-
authentische Bulgarien kennen und sah sich
hens kein Verband mit eingerosteten Struk-
mit Problemen der Kommunikation konfron-
turen, (so der Vorwurf der Öffentlichkeit). Im
tiert. Was bewirkt ein derartiger Austausch
Gegenteil, GEDOK bleibt offen für neue
beziehungsweise eine Künstlerreise?
Ideen. Ein Zukunftsprojekt 2016: Eine Aus-
Ein Künstler, beziehungsweise eine Künstle-
stellung, die eine GEDOK-Künstlerin und
rin kann in einer völlig neuen Umgebung mit
eine Nicht-GEDOK-Künstlerin zusammenfüh-
neuen Kulturen und neuen Eindrücken neue
ren wird.
Impulse erhalten. Sie/Er entwickelt sich weiter und der Horizont wird erweitert, diverse
Künstler sehen genau hin
Dinge werden anders wahrgenommen als in
der gewohnten Umgebung; die Sehgewohn-
Elvira Lantenhammer, eine Künstlerin der
heit des Künstlers/der Künstlerin wird ge-
GEDOK Galerie, absolvierte 1976-1979 eine
stärkt und verändert. Elvira Lantenhammer
restauratorische Ausbildung und studierte
dazu: ‘Nicht die Augen verschließen – hin-
danach an der Akademie der Bildenden
schauen!’.
30
© GEDOK
Doch wann betrachtet die Künstlerin eine
tenpapier geben bei genauerer Betrachtung
Arbeit als abgeschlossen? Das Malen an sich
eine darunterliegende Struktur oder ein Mus-
betrachtet die auf Schloss Homburg lebende
ter frei.
Künstlerin als eine Art Dialog: Sie trägt Far-
Jede einzelne Form wurde in einen eigenen
ben auf und diese kommunizieren mit ihr; sie
schlichten Ahornholzrahmen gerahmt. Bei
teilen ihr mit, ob noch etwas fehlt. Ist der
der Ausstellung in Sofia wurden die einzel-
Dialog beendet, ist das Werk fertig. Das
nen Arbeiten ohne Rahmen einfach an die
Herausarbeiten eines Farbklangs spielt dabei
Wand gepinnt.
für sie eine besondere Rolle und gilt als ein
An der Ausstellungwand gegenüber gibt es
wesentlicher Bestandteil ihrer Werke. Ihr Stil
zwei großformatige Leinwandarbeiten, die
besteht aus klaren Linien, die aber nicht
mit den Farben Grün, Schwarz, Weiß und Rot
zwangsläufig scharfkantig sein müssen, son-
polarisieren. Große, satte Farbflächen domi-
dern durchaus etwas ‘Verhuschtes‘, wie es
nieren auch hier.
Annette Scholl im Gespräch bezeichnete,
haben können.
Völlig
anders
die
Büttenpapier-Arbeiten,
etwa ’siteplan Nedko’s Dream’, die durch
Elvira
Lantenhammers
GEDO K- Aus-
ihre
stellung ’siteplan Bulgaria’
teilweise
durchschimmernden
Farb-
schichten eine ganz eigene Ästhetik ausstrahlen.
In der Ausstellung ‚siteplan Bulgaria’ in der
Besonders lebhaft ist »siteplan Nedko’s
Münchner Galerie GEDOK locken den Besu-
Dream«. Nedko, ein Hausmeister, berichtete
cher eine Reihe roter Farbflächen, gerahmt
der Künstlerin von dem fabelhaften Gemüse
an der Wand hängend, in den Raum. Die
seiner Großmutter, und wie das Gemüse
kräftige rote Farbe zieht die Blicke magisch
sortiert in Kammern gelagert wurde. Eine
an und die Augen fahren den Rand der For-
Kammer voller Tomaten, eine voller Melonen
men ab. Rote Eitempera auf gerissenem Bü-
und auch, dass der Mais stets im Wasser
31
stehe, berichtete er. Elvira Lantenhammer
Künstlerin eine lange Freundschaft verbin-
setzte diese Erzählung um und abstrahierte
det, war auf den ersten Blick kein direkter
die Formen.
Bezug zu den Bildern Lantenhammers ersichtlich. Eine Verbindung von Malerei und
Eröffnungsperformance
von
Stolzen-
Performance könnte sein, dass sich die präg-
fuß
nanten Worte genauso einprägen wie die
starken Farben; sie rufen Assoziationen her-
Am 3. Dezember 2015 fand die Eröffnung
vor und prägen nachhaltig.
der Ausstellung statt. Eingeleitet wurde die
Um Bulgarien mit den Augen von Elvira Lan-
Vernissage von der Künstlerin Gila Stolzen-
tenhammer wahrnehmen zu können, bezie-
fuß, ebenfalls ein GEDOK-Mitglied. Gila
hungsweise um sich selbst auf eine eigene
Stolzenfuß ist eine multitalentierte Autorin
Bulgarien-Reise zu begeben, können die
und Performerin. Ihr Beitrag war eine per-
Werke noch bis zum 18. Dezember 2015
formative Lesung (’Die Geeichten’). Durch
betrachtet werden. Dabei sollte der Perfor-
ihre gezielten, teilweise abgehackten Bewe-
mance-Ausruf von Gila Stolzenfuß beherzigt
gungen
werden: ’Ja schauen Sie! Ja schauen Sie halt
und
ihre
Wort-Wiederholungen,
weiß Stolzenfuß den Raum einzunehmen und
hin!’
‘wirft mit Worten den Betrachtern Assoziationen zu’. Diese verblassen beim schnellen
Nora Köpp
Wortwechsel zunächst, kehren jedoch bei
jeder (von Stolzenfuß verbal und körperlich
Save-the-date-Hinweis: Vom 23. Februar 2016 bis zum 3. April
unterstrichenen) Wiederholung ins Bewusst-
2016 findet in der Pasinger Fabrik die Jahresausstellung der
GEDOK München statt.
© GEDOK
sein zurück. Obwohl Literatin und Bildende
Anette Scholl, Christiane von Nordenskjöld und Jessica Petraccaro-Goertsches im
Gespräch mit Johanna Kerschner (Chefredakteurin der Kunstzeitschrift 'und')
32
BESUCH DER GALERIE FOE 156
‘foreign encounters’
Ein Gespräch mit Anita Edenhofer, Wolfgang Weileder (Kurator) und Korbinian Jaud
© CB
‘Orte ohne Wiederkehr?”
(Seminardiskurs)
© CB
© CB
33
AUSSTELLUNGSBESUCH
‘Amelie von Wulffen. BILDER 2000-2015‘
© CB
ERÖFFNUNGSREDE FÜR DIE
fühlen. Und mal ehrlich: das ist doch viel
’WERKSTATTGESPRÄCHE’
besser, als dem Weihnachtsstress in den
Kaufhäusern nachzugehen und gefühlt einen
Verehrte Zuhörer und Zuhörerinnen, liebe
zweiten Geburtskanal zu durchqueren, so-
Desinteressierte!
bald man ein überfülltes Geschäft betritt! Mit
Wiedergeburt hat das leider recht wenig zu
Ich möchte Sie alle recht herzlich zu dieser
tun. Um nun aber auch vom weihnachtlichen
fast schon weihnachtlichen Veranstaltung
Trubel ein wenig Abstand zu gewinnen,
begrüßen und freue mich doch, dass Sie
möchte ich mich dem Grund widmen, aus
noch so zahlreich an Personen erschienen
welchem wir heute hier erschienen sind.
sind! Der Vorabend zu Weihnachten lädt
Ich möchte Ihnen heute die bereits genannte
natürlich dazu ein, ähnlichen Veranstaltungen
Ausstellung, die sich den Bildwerken Amelie
wie dieser fern zu bleiben, doch haben Sie es
von Wulffen widmet, näher bringen. Die
noch geschafft, und dazu möchte ich Ihnen
Künstlerin selber ist dem Münchner Kunst-
gratulieren! Denn abgesehen von meiner
publikum keine Unbekannte mehr, da sie
schon begonnenen Rede, werden Sie sich
bereits in der Stadt im Jahr 1996 ausgestellt
noch eine Führung durch die Ausstellungs-
hatte und außerdem ihre künstlerische Aus-
kollektion ‘Amelie von Wulffen, BILDER 2000
bildung an der Münchner Akademie der
- 2015’ der Pinakothek der Modernen beehrt
Bildenden Künste erhielt. Sowohl national als
34
auch international hat sie nicht nur in Mün-
dern auch private, bildnerische Erfahrungen
chen, sondern auch schon auf der Biennale
wie unter anderem auch das Jagdzimmer der
in Venedig, Berlin, Paris und in der Kunsthal-
Großeltern zitiert wird, oder sie selber in den
le Düsseldorf, sowie auch in der Kunsthalle in
Kunstformen als Bild auftritt.
Basel ausgestellt, um auch nur einen Teil zu
nennen. Zu den jeweiligen Ausstellungen
Deutlich geprägt sind ihre Bilder auch von
sind entsprechende Kataloge erschienen, in
der Mentalität der Nachkriegsgeneration, die
denen Sie sich ebenfalls beteiligt hatte, im
den Konflikt von Vergessen-Wollen und
künstlerischen Aspekt oder als Autorin. Ame-
Nicht-vergessen-Können auslebt. Zwischen
lie von Wulffen, geboren 1966 in Breiten-
Popkultur und bürgerlichem, ideellem und
brunn, lebt heute in Berlin. Um an ihrem
kitschigem Wohnen vertritt die Künstlerin
gewählten Heimatort festzuhalten, komme
diverse Ansichten, die im Alltag schwer zu
ich gleich auf ausgewählte Bildwerke von ihr
leben sind, aber in ihrer ausgeführten Kunst
zu sprechen, in denen sie bewusst die Archi-
eine wunderbare Harmonie ergeben, oder
tektur verschiedener Gebäude Berlins mitei-
eben eine heraufbeschworene Dissonanz.
nander verbindet, um so Neues zu schaffen.
Zeitgenössisch möchte man meinen, dass
Hierfür nimmt sie nicht immer eindeutig be-
John Travolta das Jugendidol gewesen sein
kannte Gebäude her, so etwa auch eine So-
könnte, was andere Teenies in ihrem Zimmer
zialwohnsiedlung, die sie mit weiteren Ge-
als Poster an die Wand gehängt haben, hat
bäuden aus der Stadt in ihrem Bild kombi-
die Künstlerin in ihren Bildern verewigt,
niert und so zu etwas gänzlich Neuem er-
könnte aber auch auf das Ideal des amerika-
schafft.
nischen Traumes hinweisen. Ihre Interpretation ist Ihnen überlassen!
Amelie von Wulffen besaß schon immer ein
Des Weiteren kann man noch andere Einflüs-
reges Interesse an sowjetischen Bauten. In
se in den Bildern finden, sei es die heraufbe-
diesem Sinne war sie in Berlin nicht an fal-
schworene Pop-Art von Andy Warhol oder
scher Stelle, vereint diese Stadt architekto-
ein – in eine gänzlich andere Richtung ge-
nisch doch mehrere Stile von diversen Him-
hender – van Gogh, der in ihren Bildern por-
melsrichtungen. Breit vertreten ist der Ostteil
trätiert wird. Spielerisch wird in den Bildern
von Berlin in diesem Aspekt, war man schon
mit dem Bekanntheitsgrad der jeweiligen
einmal in Berlin, wird derjenige verstehen
Personen oder den weiteren, abgebildeten
was ich meine. Was anderen fremdartig und
Bildwerken umgegangen. Man muss aber
grau, klobig und klotzig als Beton-Plattenbau
dazu erwähnen, dass die Künstlerin die je-
vorkommt, begeistert die Künstlerin in eben
weiligen Personen oder Werke der anderen
den genannten Eigenschaften. Das Utopi-
Künstler nicht abbildet, um etwa den eige-
sche, Fremdartige und Massive dieser Archi-
nen Bekanntheitsgrad zu steigern, denn da-
tektur hielt die Künstlerin mittels Fotografien
hinter steckt die Inspiration der Künstlerin zu
und kombinierter Malerei als Kunstwerk fest.
diesen Bildern. So gibt etwa eine Postkarte
Die Kombination der Bildmedien macht sie
mit dem landschaftlichen Bildmotiv Albrecht
in ihrer Ausführung als eine der wenigen
Dürers einen schönen Ausblick von einer
Künstlerinnen fest, denen das gelingt. Doch
verrauchten, gerade eröffneten oder schon
nicht nur Architekturen bilden ein wichtiges
kurz vor Schluss, schließenden Diskothek in
Thema in den gemalten Kunstwerken, son-
den 90er Jahren einen wunderbaren Fens35
terausblick. Diese Kontraste und extremen
Knetmasse der Figuren an Wallace and
Gegensätze spiegeln aber in den Bildern –
Gromit erinnert. Inhaltlich ist das natürlich
so wie sie im Kopf der Künstlerin entstanden
nicht vergleichbar, ist aber ein schönes Bei-
sind, durch das Farbenspiel und die dadurch
spiel für die Vielfalt der Künstlerin in den
gebildete und gespielte Räumlichkeit – einen
verschiedenen Kunstgattungen. Der 1999
Eindruck wieder, der das Unmögliche im
erschienene Kurzfilm mit dem Namen ‘Pe-
Kopf des Betrachters trotzdem zeigen und
digree’ war eine Zusammenarbeit mit Micha-
möglich werden lässt.
el Graessner, allerdings fertigte von Wulffen
Die Zweidimensionalität der Leinwand wird
auch schon alleine und unter eigener Regie
durch das ermöglichte Farbenspiel, Perspek-
Kurzfilme an, veröffentlichte diese aber nicht.
tive und Formgebung zu einer Nichtigkeit.
Leinwände werden lebendig und geben eine
Als weiteres Bild-im-Bild-Werk könnte man
Räumlichkeit wieder, die einem Architekten
ihre Fotografien von sich mit ornamental
entsprechen, der aus Vorbildern seine eige-
bemaltem Gesicht empfinden. Mir persönlich
nen Gebäude schafft. Starken Einfluss für
gefiel dies sehr gut, nicht nur dass sich die
diese Art der Malerei mit aufgezeigter Archi-
Künstlerin selber als Kunstwerk inszenierte,
tektur aus Fotografien oder selbst gemalter,
sondern sich damit öffentlich und mutig als
beziehungsweise erweiterter Architektur, hat
die Schaffende von sich selber und den aus-
der Künstler Piranesi. Er erstellte eine Serie
gestellten Werken darstellen lässt.
an Bildern, die er ‘Carceri d'Inventione’
Sie hängt mit ihrem Porträt als gleiches
nennt, auf die sich von Wulffen stark bezieht.
Kunstwerk neben den von ihr geschaffenen
Deutlich werden die Bezüge, wenn man die
Bildern. Wenige Künstler und vor allem
Herangehensweise der Künstlerin mit Foto-
Künstlerinnen sind so offen und stehen für
grafien von aktuellen Architekturen sieht, die
sich und ihre Kunstwerke sogar als eigenes
sie mit anderen verbindet und so neue im
Bildmedium ein.
Bild schafft. Den wesentlichen Unterschied,
Sieht man sich das Konzept der Ausstellung
den sie für ihre Kunst beschreibt, ist der zeit-
und der Art und Weise der ausgestellten
genössische Kontext. Eine bewusste Ein-
Werke an, sieht man eine ähnliche Parallele
fachheit oder Schönheit liegt in den land-
zu Fotografien, die der Größe und des Mo-
schaftlich geprägten Bildern, die die Ruhe
tivs nach übereinander oder auch nebenei-
der Natur wiedergeben. Mit dem Konzept
nander aufgehängt sind. Durch die jeweilige
der Fotografie, also Bild im Bild, spielt die
Platzierung der großen Bilder an den
Künstlerin auch hier, ohne dass sie eine gro-
ßenwänden bekommen die Bilder und auch
ße Architektur oder einen surrealen Raum
tatsächlich vorhandenen, bearbeiteten Foto-
schafft, es wird mehr eine surreale Land-
grafien eine eigene Wirkung auf den Be-
schaft geschaffen, die aber durch die Natür-
trachter, ohne überladen zu wirken. Die klei-
lichkeit selber wieder real erscheint.
neren Bilder hängen an einer Art Insel in der
Da die Künstlerin sich aber nicht nur male-
Raummitte, die mich persönlich an eine Fo-
risch betätigt, zeichnet sie beispielsweise
towand erinnert, an die man seine liebsten
auch Collagen in Comic-Format, zumindest
Erinnerungen oder Fotos aus dem Urlaub
als solches erhältlich. Als Kunstwerk sind sie
hängt.
im TV als Film zu begutachten, ähnlich wie
Insgesamt ist Amelie von Wulffen eine sehr
ihr Kurzfilm, der mich durch die verwendete
sehenswürdige Künstlerin, die ihre persönli36
Au-
chen Aspekte in der Kunst mit der Architek-
sucht und dass ihr das auch sehr gut gelin-
tur und ihren Lebenserfahrungen und Erinne-
gen kann!
rungen verbindet, ohne aber einen 'Verarbei-
Ich hoffe, ich konnte Sie neugierig auf die
tenden Prozess' aus ihrer Jugend zu zeigen.
nun bevorstehende Führung machen. Ich
Vielmehr zeigt sie positive Erinnerungen auf,
wünsche Ihnen viel Spaß, Inspiration und
die sie mit einer Natürlichkeit und gleichzei-
eine besinnliche Weihnachtszeit sowie einen
tigen Abstraktheit verbindet, ohne unver-
Guten Rutsch!
ständlich für den Betrachter zu werden. Sie
zeigt mir eine Welt, in der sie sich und das
Carolin Schäfer
© CB
Werk anderer Menschen zu reflektieren ver-
37
o
FÜHRUNG DURCH DIE AUSSTELLUNG
o
Ausstellungsdaten
o Pinakothek der Moderne, München;
23.10.2015-21.02.2016; Raum 21
→ erste umfängliche Retrospektive
o Bernhart Schwenk (Kurator für Gegenwartskunst)
o Amelie von Wulffen hat die Ausstellung
selbst gehängt (Bau eines Architekturmodells)
o
lebt und arbeitet in Berlin; Atelier in Berlin-Weißensee
eine der wichtigsten zeitgenössischen
Künstlerinnen in Deutschland
Allgemeines zu ihrer Kunst
o vielseitig:
- abwechslungsreiche Bilder (Stil, Motivund Materialwahl)
- nicht auf Malerei beschränkt, unterschiedlichste Medien
Collagen, figurative Malerei, Papier,
Aquarelle, Großformate, Rauminstallationen, Mobiliar
→ eigene Ästhetik entwickelt
überschreitet gerne Grenzen, vermischt,
überrascht, provoziert
o ‘malt sich durch die Kunstgeschichte’ –
zitiert Sujets, konterkariert unterschiedlichste Malweisen
→ die Geschichte der Malerei wird zu einem vielschichtigen Fragment ihrer
künstlerischen Arbeit
o Thema: Identität und Erinnerung
Leihgaben von:
• Gió Marconi, Mailand
• Galerie Meyer Kainer, Wien
• Freedman Fitzpatrick, Los Angeles
• verschiedenste Privatsammlungen:
Sammlung Timmermans, Ulrich Sauerwein, u.a.
Biografie
o *1966 Breitenbrunn, Oberpfalz
o 1987-94 Akademie der Bildenden Künste, München (Daniel Spoerri, Olaf Metzel)
o 2006-2011 Kunstprofessorin, Akademie
der Bildenden Künste, Wien
Werkbeispiele
o Foto-Index mit 22 Bildern, ältestes Werk
der Ausstellung (1999), fotorealistisch
→ Interesse am Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie bereits ablesbar
Collagen:
- Kombination von Malerei und Fotografie (→ wurde mit diesen Bildcollagen bekannt)
→ Fotografie – eine Landschaft, eine Architektur, eine Situation – der Nukleus
eines Gemäldes
- Referenz zu Kerker Bilder von G. B. Pranesi ‘Caceri d’Invenzione’, echte Details
von Architekturen in düstere surreale
Welten verwandelt – Amelie von Wulffen
nur mit zeitgenössischen Mitteln
- Malerei dient der Verzerrung, perspektivische Verfremdung (Fortführen/Zerstörung von perspektivischen Linien → spielt mit Möglichkeiten der
Dreidimensionalität, kombiniert Nah- und
Fernsichten zu unmöglichen Perspekti-
Awards
o
Villa Romana Preis, Florenz (2000)
o
ars viva Preis, Berlin (2002)
Gruppenausstellungen
o 50. Biennale, Venedig (2003)
o Manifesta 5, San Sebastian (2004) u.a.
Einzelausstellungen
o Centre Pompidou, Paris (2005)
o Greene Naftali Gallery, New York (2004,
2007, 2011)
o Galerie Meyer Kainer, Wien (2006, 2013,
2015)
o Freedman Fitzpatrick, Los Angeles (2015)
u.a.
Kataloge
o This is how it happened (2011)
o Am kühlen Tisch (2014) u.a.
38
ven, meist extreme Unteransichten (vgl.
russische Avantgardisten, z.B. konstruktivistische Fotografien von Alexander Michailowitsch Rodtschenko)
→ Dekonstruktion von Wirklichkeit (Verbindung von realen Dingen/Räumen mit
erfundenen, fiktiven = irreale Räume, Surrealismus), viele Dimensionen in einer
Komposition
- verarbeitet oft Träume und andere persönliche Erlebnisse
- Foto dient zur ‘Stimulation des Gedächtnis’, dem Eintauchen in ‘Wulffens
Erinnerungsspeicher‘ → Rekonstruktion
von Einflüssen, die Suche nach Bildern,
die sie geprägt haben (biografische Recherchen) → nähert sich der geschauten
Wirklichkeit fragmentarisch an
die Collagen bezeugen Orte/Erinnerungen aus der Vergangenheit
der Künstlerin → sind gleichzeitig aber
auch Träger von Zeitgeist/kollektiver Geschichte
Zugabteil (2007): Perspektivlinien werden nicht weitergeführt, Schwarzweißfotografie vor abstraktem Hintergrund
(grau, rot, rosa)
- fotografische Überblendungen: Mehrfachbelichtungen als logische Weiterentwicklung der Collagen, ähnliches Prinzip,
spielt sich nur innerhalb der Kamera ab
- Hängung: 24 ihrer Collagen, diverse
Formate, raumhohes Panorama, ‘Insel der
Erinnerung/Identität’
•
o
Selbstporträts: Zeichnungen (2009-2011),
Ölbilder (2014)
- Frage nach der eigenen Identität (Wie
finde ich mich selbst?), Selbstreflexion,
Selbstbehauptung → keine Selbstbeweihräucherung, Thema der Kindheit
kommt zurück
- Zeichnungen sehr lebendig
- unterschiedliche Repräsentationen des
Selbst
•
- Wandtext in der Pinakothek der Moderne: ‘[…] eigentümliche Zeitschichtungen
und hybride Räume. In ihnen spiegeln
sich die ästhetischen Widersprüche, die
Deutschland nach dem 2. Weltkrieg
prägten: ein bürgerlicher Wohngeschmack, der die Abgründe der Vergangenheit vergessen machen und Kontinuität vermitteln sollte, eine Jugend- und
Popkultur, die sich mit neuen Stilen davon absetzen wollte, Avantgardedesign
und Souvenirkitsch.’
• Schwimmbad (2000): verkanteter
Raum dieser Collage ist aus Fotos zusammengesetzt, deren Perspektivlinien von der Künstlerin unrealistisch
weitergemalt wurden, Farbwahl sehr
düster, Schwimmbad im ‘Untergrund’;
Thema Wasser, Qualität Wassermalerei (Impressionismus)
• Dürer-Reproduktion: politische Ebene,
Silhouette Nürnberg, Verunklärung
des Raums (Nürnberger Prozesse,
Eduard Zimmermann, Aktenzeichen
XY)
o
39
Bavarian pleasures (2014): Bauernstube, dunkel, braun, mehrere solche Bilder in Arbeit, inspiriert von Tiroler
Genremaler Franz Defregger, Gefühl:
in Behaglichkeit beinahe zu ersticken
Gemüseaquarelle ‘This is how it happened’ (2011):
- Titel aus Goyas Grafikserie ‘Schrecken
des Krieges’ zitiert → Hommage an den
Künstler
- Zeichnungen: mit Kugelschreiber oder
Feder/Tusche gezeichnet und mit Aquarell ausgemalt (erinnert vom Malstil an
Kinderbücher; Kinderbuchflair täuscht:
SM-Spiele, Vergewaltigung, Schändung)
- Weingläser, Tortenstücke, Eiswaffeln,
Brezeln und auch diverses Gemüse und
Obst werden anthropomorphisiert und zu
Protagonisten verschiedenster Geschichten; verkörpern ganz spezielle Charaktere
und sind in meist alltagsnahen, zum Teil
geradezu grotesken Szenarien verwickelt
- Inhalt: eine süße Erdbeere kuschelt sich
an eine dicke Birne; eine Kartoffel
schimpft Trauben aus; eine Karotte, Pilze
und eine Zwiebel debattieren u.a.
o
o
Video-Comic ‘Am kühlen Tisch’ (2014):
- Comic, als Film in Bildsequenzen gezeigt
- karikaturartige Bleistiftzeichnungen von
skurrilen Situationen und Träumen, Amelie von Wulffen selbst in der Hauptrolle,
satirische Episoden, surreale Geschichten
- ‘schildert scheinbar wahre Erfahrungen
aus ihrem Leben und fungiert als Parodie
auf ihre Existenz als zeitgenössische,
weibliche, etablierte Künstlerin der mittleren Generation’, die verschiedenen Kapitel des Comics gewähren ebenso humorvolle wie auch beunruhigende Einblicke in Gefühlswelten wie Frustration,
Angst, Unsicherheit und Eifersucht und
bilden damit eine psychologische Tour
de Force durch das Dasein des zeitgenössischen Künstlers → Selbstkritik am
System
- Inhalt: Treffen mit Goya, lange Gespräche mit ihm (treuer Begleiter); zu dick,
um auf die Documenta eingeladen zu
werden; Künstlerin, die nicht am Tisch
der Coolen sitzt; bricht einer Kollegin das
Genick u.a.
tenszenerie, der Himmel rot schimmernd, auf dem Wasser treiben Segelboote, im Vordergrund posiert
übergroß Max Beckmann mit blauem
Jackett und Zigarre im Mund (berühmtes Selbstporträt), in der Schulter Bildnis von Amelie von Wulffen
Ölgemälde
- Collagen bis 2011 ‘ausgereizt’, danach
viele Werke in Ölfarbe, Aussage von
Amelie von Wulffen: ‘knöcheltief in Ölfarbe versunken’
- kunstgeschichtliche Referenzen: Romantik, Impressionismus, Expressionismus;
Francisco de Goya, Gustave Caillebotte,
Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Max
Beckmann u.a. → Künstlerbildnisse im
Zentrum des Bildprogramms
- was früher hineingeklebt wurde, wird
nun hineingemalt
- vorherrschendes Format: 140 x 200 cm
•
Amorphes Monster, klavierspielend
(2011): krakenartig, bespielt mit seinen
Tentakeln die Tasten eines Klaviers,
dünner Farbauftrag (Wasserfarbe auf
Leinwand), farbstark, fast abstrakt,
komplexe seelische Komponente
•
Porträt Max Beckmann vor Seelandschaft (2013): impressionistische Küs-
o
•
Häuser am Wasser (2014): gut durchgearbeitete abstrakte Farbflächen und
einen Ausschnitt mit zwei Gebäuden
an einem See und viel blauem Himmel
(vgl. Gustave Caillebotte), darüber
zwei Zitronen, die freien Farbflächen
im Wechsel von Pastos und Lasur sind
überzeugend gelöst
•
tote Hasen (2013): tote Hasen (Tierstillleben Goyas, Grausamkeit der
Menschen, Kriege), in starkfarbiger
Aureole dargestellt (Huldigung, Anerkennung Goyas), flächiger Hintergrund, Aureole bestehend aus Formen, die an orientalische Säbel erinnern
•
Landschaften mit Pferdekopf (2015):
Pferdekopf auf idyllischer Seelandschaft nimmt den gesamten Vordergrund des Gemäldes ein (Zitat:
Adolph von Menzel)
•
Landschaft mit Blumbouquet (2014):
ähnliche Landschaft, erinnert an niederländische Stillleben
Mobiliar
•
40
Sofas (2008): Konstruktion von Lucio
Auri (Künstlerkollege), aus groben
Holzteilen zusammengesetzt, Bemalung und textile Gestaltung von Amelie von Wulffen (Lüftlmalerei entlehnter
Dekor = aufwendig illusionistische
Fassadengestaltung, vor allem in Bayern zu finden), farbig marmorierter Bezug, ausziehbare Ablagen enthüllen
Veduten (Dachbodenfundstücke aus
dem Elternhaus; Darstellung Pariser
Oper und Dorflandschaft in Tschechien, Schweissing)
aus Notwendigkeit entstanden, für das
Anschauen der Videos in Ausstellun-
gen, bequeme Fernsehsituation, Sitzmöglichkeiten sollten zu Wandbildern
passen
→ Zitat Amelie von Wulffen: ‘Ich finde,
die Sofas tragen dazu bei, aus dem
Ausstellungsraum einen fiktiven Raum
zu machen, ein neues Bild, sie sehen
aus, als ob sie aus einer Kultur kommen, die es nicht gibt.’
Stühle (2013-2015): bemalte Lehnen und Sitzflächen, geben u.a.
Porträts von Gauguin, van Gogh
und Goya wieder, Bildzitate →
‘Hinweis, sich selbst immer wieder
neu als lernendes Wesen zu begreifen – im Bereich der Kunst
ebenso wie im sozialen Miteinander
Installation
•
Spinnennetz: aus schwarzer Wolle, in
einer Ecke platziert
•
Tonplastiken: Schmetterlinge und andere Insekten ‘kümmern’ unter diesem
Netz, in sich gekehrt (Selbstreflexion),
entstanden 2015 (Freedman Fitzpatrick, lagen faul in der Galerie herum oder standen erwartungsvoll am
Fenster, ‘weil sie rauswollten aus dem
White Cube’)
- Sehnsucht, woanders zu sein und
weiterzukommen → Amelie von Wulffen zielstrebig, Installation spiegelt
somit ihre Persönlichkeit wider.
Stephanie Holzer
© CB
•
o
41
Lesetipps und Quellen
-De Righi, Roberta: Eine Werkschau der Künstlerin Amelie von Wulffen [29.10.2015], in: Abendzeitung,
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.pinakothek-der-moderne-eine-werkschau-der-kuenstlerin-amelie-vonwulffen.af9a7958-b61f-43be-8b1f-8a4e08ad31ef.html (16.12.2015)
-De Righi, Roberta: Irritation in der gutbürgerlichen Idylle [09.12.2015], in: Artline, http://magazin.artline.org/815-irritation-inder-gutbuergerlichen-idylle (16.12.2015)
-Erhard, Annegret: Werkschau in der Pinakothek München. Befragende Übermalungen [03.11.2015], in: taz. die Tageszeitung,
http://www.taz.de/!5244160/ (16.12.2015)
-Harte, Johan Frederik: Flächen (Amelie von Wulffen), in: Harte, Johan Frederik: Der geöffnete Raum, zur Politik der ästhetischen Form, München 2006, S.210-213
-Hinrichsen, Jens: Porträt. Amelie von Wulffen, in: Monopol. Magazin für Kunst und Leben 10 (2015), S. 52-60
-Husslein-Arco, Agnes (Hrsg.): Form und Grund, Wien 2008
-Ignatowitsch, Julian: Retrospektive Amelie von Wulffen. Meist verwirrend, manchmal verstörend, mitunter lustig, Deutschlandfunk [26.10.15], http://www.deutschlandfunk.de/retrospektive-amelie-von-wulffen-meist-verwirrendmanchmal.691.de.html?dram:article_id=335095 (16.12.2015)
-Kat. Ausst. Amelie von Wulffen, Basel, Kunstmuseum Basel. Museum für Gegenwartskunst 2005, Ostfildern-Ruit 2005
-Kleefeld, Stefanie: Goya, mon amour [28.04.2015], in: Texte zur Kunst, https://www.textezurkunst.de/articles/goya-monamour-stefanie-kleefeld-amelie-v-wulffen/ (16.12.2015)
-Marquard, Gerhard: Retrospektive Amelie von Wulffen. Erfinderin geheimnisvoller Bildorte [01.12.2015], in: Focus Online,
http://www.focus.de/wissen/experten/gerhard_marquard/amelie-von-wulffen-retrospektive-in-der-pinakothek-der-moderne-inmuenchen_id_5114560.html (16.12.2015)
-McLean-Ferris, Laura: Tutti Frutti [05.2014], in: Frieze, http://frieze-magazin.de/archiv/features/tutti-frutti/ (16.12.2015)
-http://www.portikus.de/de/exhibitions/186_am_kuehlen_tisch (16.12.2015)
-https://www.youtube.com/watch?v=bIbuphMrLyI (16.12.2015)
42
WERKBEISPIELE DER KÜNSTLERIN
Schwimmbad, Collage, 2000
Zugabteil, Collage,
2007
Untitled (the lowest
point of my childhood), 2014, Oil on
Canvas, 40 x 50 cm
Selbstporträt
Untiltled (Bavarian
pleasures), 2014, Oil
on Canvas,
40 x 50 cm
43
PRESSESPIEGEL (AUSWAHL)
44
BESUCH IM BOTANIKUM
© VZ
© VZ
‘Zwischen Palmen und Blumen ist die Landart
zuhause‘ (Seminarteilnehmer)
‘Landart im Gewächshaus – Ideen gezüchtet‘
(Seminarteilnehmerin)
© VZ
45
ATELIERBESUCH BEI JULIA ZIEGELMAIER
Die Künstlerin im Gespräch mit Kevin Schumacher
© CB
Die
Bildflächen
der
FarbfeldmalereiKünstlerin Julia Ziegelmaier erhalten durch
horizontal verlaufende Farbspuren eine strukturierende Ordnung, die Überlagerungen mit
einzelnen Vertikalen erfahren. Das Zusammenspiel von Licht und Farbe und auch das
Wechselspiel zwischen Tiefe und Transparenz erhalten in der Malerei der Künstlerin
höchste Priorität. Eine große Rolle in ihrer
Kunst spielen auch ihre Eindrücke aus Asien,
insbesondere aus Indien.
ihr das Medium Farbe. Weiter fand sie es
schwierig Kunst aus Zeichnungen zu machen
und wollte nicht zu sehr am Objekt verhaftet
bleiben. Durch ihren irischen Lehrer in der
Malklasse, Sean Scully, fand sie endgültig zur
abstrakten Malerei. Beide verwenden in vielen ihrer Werke horizontale und vertikale
Flächen als Grundformen aus denen sie ihre
Bilder 'bauen'. 2007 beendete sie ihr Studium als Meisterschülerin.
2005 erhielt die Künstlerin den Sonderpreis
des Indien Instituts München für Junge Malerei und 2008-2010 den Bayerischen Atelierförderpreis. Sie stellte in München, Indien
und Ungarn aus. Beispiele für ihre Ausstellungen sind unter anderem 'Del_Muc’ in der
Galerie Müller und Plate in München 2008,
'Spatial Illusions’ im Kunstverein Köz Pécs in
Ungarn 2009, 2011 'Ruck Zuck’ in der Galerie
Seiler in München, 2012 'UnitedArtFair’ in
New Delhi in Indien, 2013 'Caligari’ in der
Galerie Seiler in München sowie jüngst 2015
Der Weg zur Farbfeldmalerei
Am Anfang des Gesprächs skizzierte die
Künstlerin auf Wunsch kurz ihren beruflichen
Werdegang: Die 1974 in München geborene
Künstlerin begann ab 2002 ein Studium der
freien Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo sie zunächst die
Zeichenklasse besuchte. Das Zeichnen machte ihr viel Spaß und sie fand die entstandenen Arbeiten sehr lebendig. Allerdings fehlte
46
'Old Pond. Frog Jumps. Splash!’ in der Galerie Karin Wimmer contemporary art in München 2015.
Reicher Erfahrungsschatz
schiedenen Materialien
mit
ders, dass sich verschiedenste Schwarzwerte
erzielen lassen.
Dadurch, dass sie mit verschiedenen Materialien arbeitet, die unterschiedlich schnell
trocknen (Öl trocknet langsam, Tusche und
Wachs trocknen schnell) arbeitet die Künstlerin oft an mehreren Werken, bis zu 10
gleichzeitig. Sie findet es auch für sich vorteilhaft, an mehreren Werken gleichzeitig zu
arbeiten, um sich nicht selbst zu blockieren.
ver-
Ziegelmaiers Werk zeichnet sich durch große
Erfahrung mit verschiedenen Farben, wie
wasser-, wachs- oder ölgebundenen Farben
aus. Häufig ist in ihren Arbeiten ein Nebeneinander von verschiedenen Techniken wie
z.B. Tusche und wachsgebundenen Farben
zu erkennen. Sie erzählte, dass sie gerne die
Technik der Enkaustik anwendet, eine Technik die bereits bei alten Mumienportraits
vorkommt und die Jasper Johns in seinen
'Flags' und 'Targets' auch bereits angewendet hatte. Anhand einer Arbeit veranschaulichte sie uns den Unterschied zwischen einer
wachs- und ölgebundenen Fläche.
Ziegelmaier sagt, dass sie immer eine Verbindung zwischen Alt und Neu herzustellen
versucht. So findet Julia Ziegelmaier sowohl
die alten Meister, als auch die klassische
Moderne interessant. Ebenso wie die alten
Meister stellt sie die Farben zum Teil selbst
her und schafft so den Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie bewundert
die alte Technik, sucht aber auch nach neuen, innovativen Lösungen.
Für ihre selbstgemachten Farben hat sie
schon viele Pigmente durchprobiert, unter
anderem Kupferblau oder synthetisch hergestellter Grünspan. Diese verhalten sich teilweise ganz anders als fertige, gekaufte Farben. Einige der von der Künstlerin verwendeten Pigmente sind als gesundheitsschädlich einzustufen. Diesbezüglich erwähnte die
Künstlerin auch die Feinheit der modernen
Pigmente, die aufgrund ihrer Beschaffenheit
leicht eingeatmet werden können. Diese
Pigmente sind heutzutage nicht mehr in erster Linie für das Auftragen mit dem Pinsel
gedacht, sondern werden meist gesprayt,
beziehungsweise maschinell aufgetragen.
Die Künstlerin erklärte uns auch, dass die
fein angerührten Pigmente mit Öl nur lasierende Schichten ergeben. Für dickere
Schichten müssen laut Ziegelmaier Füllstoffe
hinzugefügt werden, was ihrer Erfahrung
nach den Farben ihre Brillianz nimmt. Dies ist
einer der Gründe, warum die Künstlerin gerne auf selbst gemachte oder ältere Farben
zurückgreift.
An der japanischen Tusche, die sich im Gegensatz zur deutschen Tusche abwaschen
oder wieder anlösen lässt, schätzt sie beson-
Inhalt und geistige Ebene
Viele der Arbeiten von Ziegelmaier haben
eine geistige Ebene oder eine tiefere Bedeutung – inspiriert durch ihre zahlreichen Reisen nach Indien/Asien befasste sie sich vor
Ort eingehend mit dem Zen Buddhismus
und der Philosophie Schopenhauers. Beiden
gemeinsam ist, dass sie sich in ähnlicher
Weise mit den mythischen Wahrheiten über
die höchste Realität befassen. Nach ihrer
zeichnerischen Phase entstanden sehr farbige Arbeiten, in denen sie ihre Emotionen der
bunten Landschaftseindrücke Indiens verarbeitete. Von diesem sehr direkten Weg ist
die Künstlerin nach eigenen Angaben im
Laufe ihrer künstlerischen Entwicklung etwas
abgekommen.
Nach wie vor haben ihre Bilder, die entfernt
an Landschaften erinnern und als Konglomerate ihrer Stimmungen, Emotionen, Sinneseindrücke und spirituellen Erfahrungen gesehen werden können, eine tiefere Bedeutung. Die Künstlerin ist bestrebt, fernöstliche
Licht- und Farbeindrücke, Materialien und
Inhaltlichkeit mit den europäischen zu kom47
binieren und zu verbinden. Als Beispiel kann
hier die Verwendung von japanischer und
europäischer Tusche angesehen werden.
Dabei will sie keinesfalls Religiöses ‘strapazieren‘. Die Bilder sollen nicht nur gut aussehen, sie sollen vermitteln.
verfolgt wird oder unter Wahnvorstellungen
leidet. In ihrer Serie 'Caligari' greift Ziegelmaier dieses Spiel mit der Realität auf.
Dies wird auch insbesondere durch die
Oberflächenbearbeitung der Bilder wie zum
Beispiel durch das Ritzen in die Holzfläche
deutlich. Vielleicht ist die Realität anders, als
sie uns erscheint beziehungsweise ändert sie
sich, je nachdem, in welchem Licht wir sie
betrachten?
So experimentiert die Künstlerin in diesen
Bildern auch mit verschiedenen (schrägen)
Lichtsituationen, wie sich Licht in der Malerei
mit quasi Nichtfarben umsetzen lässt. Die
Bilder erinnern entfernt an die frühen abstrakten Arbeiten von Fritz Winter mit ihren
kristallisch- prismatischen Bildkompositionen,
die das Gestalten aus der Dunkelheit, ein
Aufleuchten von Licht zum Thema hatten.
Diese nicht auf den ersten Blick sichtbare
Inhaltlichkeit der Bilder lässt sich anhand
ihrer letzten Ausstellung 'Old Pond. Frog
Jumps. Splash!’ in der Galerie Karin Wimmer
erörtern. Bei dem Titel der Ausstellung handelt es sich um eine englische Übersetzung
eines berühmten japanischen Gedichts von
Matsuo Bashō, das cirka 1680 entstanden ist.
Eine zunächst ruhige, vielleicht etwas moosige Wasseroberfläche erfährt eine abrupte
Veränderung als ein Frosch ins Wasser
springt. Dadurch bekommt sie etwas Frisches, Heiteres. Was Julia Ziegelmaier besonders daran fasziniert ist, dass diese Änderung in der Betrachtungsweise durchaus auf
Malerei sowie Kunst im Allgemeinen übertragbar ist.
Allerdings nimmt die Künstlerin auch noch
auf eine andere Weise direkten Bezug auf
das Gedicht. Einerseits weisen viele der
Werke dieser Ausstellung Farbspritzer auf
und andererseits erinnern die verwendeten
Farben der Werke an die moosig verwitterte
Oberfläche der Haiku- (Gedichts-)steine, in
die unter anderem auch dieses Gedicht gemeißelt wurde.
Formatwahl und Titelfindung
Julia Ziegelmaier wählt die Formate ihrer
Bilder sehr bewusst. Viele kleinere Formate,
die auch manchmal direkt vor Ort entstehen,
überträgt sie allerdings nicht auf einen größeren Untergrund, da ihrer Meinung nach
meist die Lebendigkeit und Intimität des
kleinformatigen Werkes verloren geht. Da sie
ihre Werke häufig auch am Boden bearbeitet, sind für sie Formate bis circa 2 x 1,60
Meter noch einigermaßen bequem ausführbar. Vielleicht erscheinen die Werke auch
durch diese Arbeitsweise so harmonisch, da
sie die Künstlerin beim Entstehungsprozess
aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten
kann. Der Titel muss zum Werk passen; einerseits eröffnet Ziegelmaier dadurch ganz
bewusst dem Besucher Einblicke in ihre eigene, ganz persönliche Erlebniswelt. Der
Künstlerin ist aber sehr wichtig, den Zugang
zu ihren Bildern offen zu gestalten, damit im
Betrachter auch eigene Assoziationen aufkommen können. Sie will den Betrachter
keinesfalls einschränken oder ihm einen bestimmten Zugang zu ihren Werken aufzwingen.
Früheren Werken gab sie auch Ortsnamen,
wie zum Beispiel dem Werk 'Varanasi', in
Spiel mit der Realität
Das Spiel mit verschiedenen Realitäten hat
die Künstlerin in ihrer Schwarz/Weiss Serie
'Caligari', basierend auf einem bekannten
deutsch impressionistischen Stummfilm aus
dem Jahr 1920 aufgegriffen. Der Film handelt von einem Mann, der sich verfolgt und
dadurch bedroht fühlt. Allerdings stellt sich
später heraus, dass sich der Mann in einer
Nervenheilanstalt befindet und es sich bei
dem vermeintlichen Verfolger um den unheimlichen Direktor der Anstalt handelt. Der
Betrachter des Films wird also darüber im
Unklaren gelassen, ob der Mann tatsächlich
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dem sie ihre Eindrücke in der indischen Stadt
Varanasi (Benares) verarbeitet hat. Diese
waagrecht strömende Enkaustik stellt das
Fließen des Ganges dar und zeugt in ihrer
Buntfarbigkeit von den farbigen Eindrücken,
die die Künstlerin dort erlebte. In ihren späteren Werken ist die Künstlerin mehr und
mehr davon abgekommen, ihren Werken
Ortsnamen zu geben, um dem Betrachter
Raum für eigene Ideen und Interpretationen
zu geben.
Als Beispiele für einen gelungen Titel für
eines ihrer Werke nannte sie unter anderem
'Feuerfliege', da er gut zu dem in grün und
rot gehaltenen Bild passt, gleichzeitig aber
offen genug gehalten ist und eine subtile
Anspielung auf die eigentliche Thematik des
Bildes gibt, die Feuerfliege ist nämlich eine
Yoga-Übung.
Neben den genannten betrachteten Werken
gab die Künstlerin unserer Gruppe die Möglichkeit, zwei Arbeiten, an denen sie aktuell
arbeitet, zu betrachten.
Daniela Muigg-Dauw
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© CB
© CB
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IMPRESSUM
SEMINARTEILNEHMER_INNEN
Franziska Adams, Kevin Schumacher, Mira Pirchtner, Jennifer Gaschler, Konstantin Pfannmüller, Jamie Fischer, Daniela Muigg-Dauw, Stephanie Holzer, Volha Zwingmann (bald Karankevich-Koch), Nora Köpp, Clarissa Bluhm, Olga Rontogianni-Günther, Luca Daberto, Carolin
Schäfer, Laura Böttger, Sandra Olivieri und Julia Bergmann
REDAKTIO N
Jessica Petraccaro-Goertsches
Hui Luan Tran (Lektorat)
Jennifer Gaschler (Layout und Lektorat)
Clarissa Bluhm (Lektorat)
Jamie Fischer (Kartenansicht und Pressespiegel)
FO TO GRAFINNEN
CB = Clarissa Bluhm
FA = Franziska Adams
GEDOK = GEDOK München (Facebook-Seite)
JG = Jennifer Gaschler
JPG = Jessica Petraccaro-Goertsches
VDLP = van de Loo Projekte (Facebook-Seite)
VZ = Volha Zwingmann (bald Karankevich-Koch)
REC HTLIC HE HINWEISE
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Alle genannten Personen widersprechen hiermit jeder kommerziellen Verwendung und Weitergabe ihrer Daten (vgl. §28 BDSG).
ZITATIO N DIESER LO SEBLATTSAMMLUNG
Jessica Petraccaro-Goertsches (Hrsg.), Werkstattgespräche. Zu Gast in Ateliers und Galerien,
Loseblattsammlung, München, Stand Februar 2016.
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