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© JPG WERKSTATTGESPRÄCHE Zu Besuch in Ateliers und Galerien Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Kunstgeschichte WiSe 2015/16 Jessica Petraccaro-Goertsches M.A. 1 NÄHE ZUM WERK In einer Welt der digitalen (Handlungs-)Nöte tet. Diese/r 'Moderator/in' lenkte vor Ort das bleibt der Ruf nach lebendigem Sehen wei- Gespräch in einen offenen Austausch zwi- terhin (beziehungsweise umso mehr) beste- schen hen. So sind sich auffallend viele Künstler und Vertretern der Kunstszene. Die durch die einig, den ästhetischen Vorsprung durch die Künstler gewährten intimen Einblicke hielten eigene bewusst gelenkte Freiheit des (ge- die Haupt- und Nebenfach-Studierenden in nauen) Sehens genutzt zu haben. Der Appell: Form von Interview-Notizen, Ergebnisproto- auch im Alltag Ästhetisches unterbewusst- kollen, Kurzberichten und Kunstkritiken fest, bewusst zu verarbeiten! die in dieser Loseblattsammlung von der Wie sieht ein Künstler (was genau)? Welchen studentischen Redaktion chronologisch ge- Prozess löst dies aus? Welche Perspektiven ordnet zusammengefasst wurden. jungen Nachwuchs-Kunsthistorikern gibt es für zeitgenössische Kunst (in München)? Allen Im Wintersemester 2015/16 besuchten die Galeristen, Kunsthistorikern und Studieren- Teilnehmer Zu den – gilt ein herzliches Dankeschön für die Gast in Ateliers und Galerien' (Ludwig- fruchtbare Gesprächskultur sowie für die Maximilians-Universität München, Institut für freundliche Bereitschaft, Atelier-, Studio- und Kunstgeschichte) Münchner Künstler in ihrem Ausstellungstüre auch zu ungewöhnlichen beruflichen Lebensraum - auf Couchhöhe im Zeiten zu öffnen und einen neugierig- gemütlichen Studio zuhause, in den geräu- intensiven Blick auf zum Teil noch im Werden migen hübschen Hallen des Ateliers oder im begriffene Arbeiten zu gewähren. der 'Werkstattgespräche. Gesprächsteilnehmern – Künstlern, öffentlich-ausstellendem Kontext des Stiftungs- und Galeriewesens. München, Anfang Februar 2016 Bis auf die Vernissage- und Finissage- Jessica Petraccaro-Goertsches Besuche wurde der Großteil der Sitzungen © CB von einer/m Studierenden inhaltlich vorberei- Amelie von Wulffens 'tote Hasen', 2013 2 INHALT VORWORT S. 2 IMPRESSIONEN S. 4 KARTENANSICHT S. 5 ATELIERBESUCH BEI INGRID FLOSS S. 6 BESUCH DES MAXIMILIANSFORUMS S. 8 ESSAY ÜBER DIE LOKALE KULTURFÖRDERUNG S. 12 BESUCH DER GALERIE VAN DE LOO PROJEKTE S. 15 MARTINA HAMRICK ZU BESUCH S. 18 STUDIOBESUCH BEI FRANZISKA AGRAWAL S. 23 BESUCH DER ERES STIFTUNG S. 24 INTERVIEW WITH STEFANIE ZOCHE S. 24 KUNSTKRITIK S. 26 BERICHT ÜBER DIE LANTENHAMMER-VERNISSAGE IN DER GEDOK S. 29 BESUCH DER GALERIE FOE 156 S. 33 AUSSTELLUNGSBESUCH 'AMELIE VON WULFFEN. BILDER 2000-2015’ S. 34 ERÖFFNUNGSREDE FÜR DIE ’WERKSTATTGESPRÄCHE’ S. 34 FÜHRUNG DURCH DIE AUSSTELLUNG S. 38 WERKBEISPIELE DER KÜNSTLERIN S. 43 PRESSESPIEGEL (EINE AUSWAHL) S. 44 BESUCH DES BOTANIKUMS S. 45 ATELIERBESUCH BEI JULIA ZIEGELMAIER S. 46 IMPRESSUM S. 51 3 © CB IMPRESSIONEN 4 © CB © GEDOK KARTENANSICHT 1. Atelierbesuch bei Ingrid Floss 80339 München 7. Besuch der Elvira-Lantenhammer-Vernissage der GEDOK München (e.V.) Schleißheimer Str. 61, 80797 München 2. Besuch des MaximiliansForums Maximilianstraße 38, 80539 München 8. Besuch der Galerie FOE 156 Oberföhringer Str. 156, 81925 München 3. Besuch der Galerie van de Loo Projekte Gabelsbergerstraße 19, 80333 München 9. Ausstellungsbesuch ’Amelie von Wulffen. BILDER 2000–2015’ Pinakothek der Moderne 4. Martina Hamrik zu Gast Institut für Kunstgeschichte, Zentnerstraße 31, 80798 München 10. Besuch im Botanikum (GmbH & Co KG, Heinrich Bunzel) Feldmochinger Str. 75-79, 80993 München 5. Studiobesuch bei Franziska Agrawal 81667 München 11. Atelierbesuch bei Julia Ziegelmaier 80799 München 6. Besuch der ERES Stiftung München (Stefanie Zoche) Römerstrasse 15, 80801 München 5 ATELIERBESUCH BEI INGRID FLOSS Die Künstlerin im Gespräch mit Luca Daberto © JG DAS VIBRIEREN DER FARBEN Der Betrachter entdeckt diese Farbenwelt zwischen zwei Polen und wandert über das Farben liegen nebeneinander, überlagern Bild, sucht, erkennt, nimmt auf und wird be- sich, scheinen durch, vermischen sich, drän- rührt. gen nach vorne, drängen zurück, kämpfen, Der Faktor Zeit spielt sowohl beim Malen als klingen, vibrieren und hinterlassen Spuren. auch beim Betrachten eine Rolle und ist als Die abstrakten Ölbilder von Ingrid Floss sind Gegenposition zu unserer schnellen, visuel- eine Entdeckungsreise. Zum einen für die len Zeit zu sehen. Dabei soll das Auge nicht Künstlerin und zum anderen für den Betrach- festhängen, sondern über das Bild wandern ter. und entdecken. Der Betrachter soll das Vib- Ingrid Floss nimmt durch ihre Augen alles rieren der Farben spüren. auf: Museen, Städte, Natur, Menschen, Ge- Ingrid Floss gibt ihren Farben Kraft, die Kraft sichter, Spuren. Spuren hinterlässt sie dann der Farben geben den Bildern Präsenz und auf der Leinwand. In einem Prozess ohne Tiefe, die Präsenz und Tiefe der Bilder geben feste Regeln und Routen, einem Wechsel- Beständigkeit, spiel aus Kontrolle und Zulassen, entstehen zeichnet Ingrid Floss aus. und diese Beständigkeit die Bilder teilweise über Monate und Jahre. Auf ihrer Reise ist die Künstlerin auf der Su- Franziska Adams che nach Ruhe und Dynamik, nach Harmonie und Spannung. 6 © FA ‘Ein wiederkehrendes simples Rechteck’ (Seminarteilnehmer) ‘Ich male gerne frühmorgens, manchmal schon um 5 Uhr’ (Ingrid Floss) ‘Orte mit Patina’ (Seminardiskurs) ‘Bilder reifen oft sehr langsam’ (Ingrid Floss) 7 BESUCH DES MAXIMILIANSFORUMS Ausstellung der collaboration_project Künstler Ein schneller Blick zwischen zwei Ausstellungen © CB Am 28.10.2015 besuchten die Teilnehmer MaximiliansForum als Ort der Kunstvermitt- der ‘Werkstattgespräche’ das Münchner Ma- lung so besonders macht und in der Form ximiliansForum und die dortige Jahresaus- vermutlich einzigartig in München ist. Stark stellung im Vordergrund steht hier der urbane Cha- ‘C9’ der collaboration_project Künstler. rakter. Das Forum ist keinesfalls mit einem Museum oder einer Galerie zu vergleichen. Das MaximilansForum befindet sich in einem Vielmehr ist es ein Stück echtes, städtisches ehemaligen U-Bahn-Sperrengeschoss unter- Leben mit allem, was dazu gehört: die Hektik halb Münchner vorbeihetzender Passantinnen in Stöckel- Prunkstraße, der Maximilianstraße. Gleich schuhen, der Lärm darüber fahrender Tram- beim Betreten des Forums, das durch die bahnen und die Obdachlosen, die im Maxi- auffallend leuchtende Beschilderung an der miliansForum, vor allem im Winter, einen Oberfläche kaum zu übersehen ist, erkennt einigermaßen geschützten und wärmenden der Besucher einen starken Kontrast. Steigt Unterschlupf für die Nacht finden. man eine der vier Treppen hinunter, fallen In Bezug auf letzteres kam die Gruppe in ein sofort die Rolltreppen auf, die außer Betrieb interessantes Gespräch mit Tanja, einer Pas- und verwildert, gar von Pflanzen überwuchert santin, die dort augenscheinlich mit gefüllten sind. Die Räumlichkeit ist es auch, die das Einkaufstüten auf einen Obdachlosen warte- der sehr bekannten 8 te. Tanja berichtete, dass sie obdachlose hüter versucht wird, den Angreifer abzuhal- Menschen unterstütze und eben einer ihrer ten, was teilweise kurzzeitig gelingt. Das Schützlinge die kalten Nächte im Maximi- ganze spielt sich im Regen ab. lansForum verbringe, da es ‘ein sicherer Ort zu sein scheint’. Sie selbst sei positiv beein- Trotzdem wirkt das Gesamtbild nahezu har- druckt von der Örtlichkeit und der festen monisch. Das Video wirkt zunächst wie die Überzeugung, dass die Besucher der Kunst- Aufzeichnung einer Überwachungskamera. ausstellung keineswegs von den Menschen, Bei näherer Betrachtung findet man jedoch die dort leben, abgeschreckt werden wür- im Hochformat, in dem die Sequenz präsen- den. Gleichzeitig meinte sie aber, sie hätte tiert wird, Parallelen zur Videofunktion eines noch nicht viele Passanten erlebt, die tat- Smartphones. Beim aufmerksamen Betrach- sächlich stehen blieben, um die hinter einer ten fällt auf, dass es in dem Film einen schaufensterartigen Glaswand präsentierten Schnitt gibt, weshalb fraglich ist, ob die prä- Kunstwerke genauer zu betrachten. Beson- sentierte Szene real oder inszeniert ist. Die ders ansprechend fand Tanja die Cafélokali- Tonspur, die im Hintergrund des Videos tät, die zu Beginn einer Ausstellung in einem läuft, berichtet auf Englisch über den Um- Glaskubus eingerichtet war, und Platz für den gang der Regierung mit regierungskritischen Austausch im Dialog mit den Künstlern bot. Demonstranten. Es kommt die Frage auf, ob Sie persönlich wünsche sich etwas Derartiges es sich hierbei um einen asiatischen oder als dauerhafte Lösung für das MaximiliansFo- europäischen Künstler handelt, da es keine rum, um mehr Menschen dorthin zu locken, Beschreibung zum Video gibt, welche die was sich jedoch aufgrund von städtischen Identität des Künstlers verrät. Auflagen und Hygieneschutzbedingungen als problematisch erweisen könnte. Das MaximiliansForum, mit seinem unverwechselbaren Alltagscharme, ist die perfekte Bühne für die Werke der C9-Künstler, die zum Zeitpunkt des Besuchs der Seminarteilnehmer dort ausstellten. Überaus präsent, © CB gleich beim Betreten des ehemaligen UBahn-Geschosses, ist eine Videoinstallation mit Tonspur zum Thema Gewalt im öffentlichen Raum, die auf den ersten Blick eine Neben der Videoinstallation mit Tonspur ist alltägliche Straßenszene einer südkoreani- ein großflächiger Hahn auf einer Kunststoff- schen Stadt darstellt. plane dargestellt, stark vergößert und in Man blickt aus einiger Distanz aus der Vo- anderer Technik handelt es sich um eine gelperspektive auf eine Straße vor einer Art Anleihe eines Werkes Roy Lichtensteins. Der Tempel, in dem vermutlich gerade ein Tref- Hahn wirkt zunächst aggressiv. Er hat einen fen wichtiger Persönlichkeiten stattfindet. geöffneten Schnabel und weint. Zudem er- Plötzlich kommt eine Person angelaufen und kennt man asiatische Schriftzeichen. Ein Teil- es kommt zu einem Gerangel, bei dem im- nehmer des Seminars, der Grundkenntnisse mer wieder durch vermeintliche Ordnungs- der koreanischen Sprache besitzt, erklärt der 9 Gruppe, dass die Schriftzeichen den Laut des sollte. Gerade zeitgenössischen Künstlern, krähenden Hahns darstellen. Der Vogel hat wie denen des collaboration_project, bietet Eier in seinem Nest, was vielleicht eher da- das Forum eine in München einzigartige rauf schließen lässt, dass es sich um eine Plattform, ihre Kunst zu präsentieren. Die Henne handelt. Man kann davon ausgehen, Themen, die die Künstlergruppe in dieser dass die Henne entweder angegriffen wurde, Ausstellung aufgreift, sind politische Alltags- oder einem Angriff bevor steht, was durch themen. Sie drücken Konflikte und Kritik aus die Aggressivität, die das Werk ausstrahlt, und bedrücken ebenso sehr, wie es der vernommen werden kann. Es lässt sich nicht dunkle, verlassene U-Bahnhof schafft. Die erkennen, ob ihre Eier noch intakt sind, oder Kunst möchte aufrütteln, vielleicht doch schon Risse zeigen. Ein Stu- bewegen, stehen zu bleiben und sich mit ihr dent interpretiert die Henne als Verbildli- auseinanderzusetzen, oder über Themen chung der Kunst und die Eier als junge nachzudenken, die den einzelnen persönlich Künstler, die aufgrund der Unterdrückung zwar nicht betreffen, aber durchaus brisant asiatischer Regime nicht die Möglichkeit sind. Dieser Ort ist ein ganz besonderes Me- haben, sich zu entfalten, was Parallelen zu dium der Kunstvermittlung für die Münchner der Videoinstallation schaffen würde. Bei und muss auf jeden Fall konserviert werden. weiterer Betrachtung fällt auf, dass das Werk Vielmehr sollte es mehr solcher Plätze ge- noch eine ausgestaltete Rückseite besitzt. ben, die so die Integration von Kunst in die Diese kann bei frontaler Sicht zunächst durch Lebenswelt eines Jeden erreichen. Passanten dazu einen Spiegelkubus entdeckt werden, der sich hinter dem Kunstwerk befindet. Laura Böttger Passend dazu fand am 16.11.2015 um 19 Uhr im Maximilians- Das MaximiliansForum bietet eine unfassbar Forum die Veranstaltung ‚between two spaces?‘ statt, die sich alltägliche, vielleicht sogar sehr banale Büh- mit der Frage beschäftigte, welche Chancen sich aus der ne der Kunstpräsentation, die eine unver- besonderen Lage des MaximiliansForums im städtischen wechselbare Nähe zum Betrachter schafft. ben. Zu diesem Thema gab es Expertenvorträge und ein Raum für die Themen ‚Öffentlichkeit‘ und ‚Vermittlung‘ erge- Der U-Bahnhof als Raum, der im Alltag ei- offenes Gespräch für alle Interessenten. gentlich keineswegs zum Aufenthalt, ge- Zur ‚what remains gallery‘ und den künstlerischern Weiterver- schweige denn zur bewussten Auseinander- arbeitungen der collaboration9-Künstler siehe ergänzend: setzung mit Kunst gedacht ist, hat das Po- http://www.collaboration9.de/layer_peripherer-blick-undkollektiver-koerper-iv/ tenzial, eine partizipative Kunstvermittlung zu schaffen, wie sie in keinem gewöhnlichen Museum möglich wäre. Die gewohnte Alltagssituation kann so eine ganz neue Bereitschaft zur offenen Auseinandersetzung und Verbalisierung mit und von Kunst beim Laien hervorrufen. Die Seminargruppe ist sich am Ende der Sitzung weitestgehend einig, dass das MaximiliansForum als Kunstraum mit besonderem Charakter keinesfalls renoviert werden 10 © CB © CB © CB 11 ESSAY ÜBER DIE LOKALE KULTURFÖRDERUNG ‘Kultur ist ein öffentliches Gut, das öffentli- Der Bund übernimmt mit ca. 1,2 Milliarden che Förderung verdient und benötigt.’, so Euro rund dreizehn Prozent der Gesamtaus- das Goethe Institut in einer Stellungnahme gaben. Dabei gibt es die direkte Finanzie- zum transatlantischen Freihandelsabkommen rung öffentlicher Institutionen oder Kulturbe- TTIP. triebe und die von privaten Kulturschaffenden und Unternehmen, wie Stiftungen oder Die aktuelle Diskussion über die Sanierung Kunstvereinen, denen heute eine immer des Münchner Gasteigs und den Verbleib wichtigere Rolle zukommt. Kunstförderung des Konzertsaals, bringen allerdings ein der umfasst unter anderem Zuschüsse und Pro- Kulturförderung immanentes Dilemma zum jektförderung, Kunstpreise, Stipendien, Ar- Vorschein. Die Entscheidung, das Gasteig tist-in-Residence- solle ab 2020 generalsaniert werden, löst gramme, Ankäufe von Kunstwerken, Aus- einen Streit über den Verbleib des Münche- schreibungen ner Orchesters aus. Ein Ort für ca. 2000 Zu- Raum, Spenden, Sponsoring oder Kulturmo- schauer ist in dieser Stadt nicht leicht zu fin- deration. Es gibt einige Münchner Institutio- den und die Mieten sind hoch. Horst nen, die sich an der Kulturförderung beteili- Seehofer präsentierte daraufhin den Plan, ge, so zum Beispiel das Kulturreferat der Millionen zu sparen und keinen Neubau zu Landeshauptstadt München, der Ausländer- finanzieren, sondern den alten Saal zu sanie- beirat München, das Bayerische Staatsminis- ren, BR- terium für Bildungs- und Kulturaustausch Symphonieorchester teilen sollen. Dieses oder Stiftungen wie die Prinzregent-Luitpold- Vorhaben entfachte einen Proteststurm; mitt- Stiftung zur Förderung der Kunst, der Deut- lerweile ist ein Konzertsaal im Werksviertel schen Bank AG, der Stadtsparkasse München geplant und die Sanierung des Gasteigs, ein oder die Ernst von Siemens Stiftung. den sich Philharmoniker und für und Kunst Atelierförderproim öffentlichen Gebäude, das erst 30 Jahre alt ist, soll bis zu 550 Millionen Euro kosten. Dieses aktuelle Dem Kulturreferat unterstehen alle kommu- Beispiel verdeutlicht, wie zentral in Politik nalen Kultureinrichtungen Münchens – städ- und Gesellschaft stets die Frage ist, wie viel tische Bildungseinrichtungen, Museen und Geld für Kultur zur Verfügung stehen soll Sammlungen, wie das Münchner Stadtmuse- und wie wie divers die Meinungen darüber um, das Lenbachhaus, das Museum Villa in der Kulturpolitik sind. Kultur muss sich Stuck, das Jüdische Museum München, das meist lohnen und wird nicht als ökonomische NS-Dokumentationszentrum sowie Galerien Notwendigkeit gesehen. Und das, obwohl in und Kunsträume, wie etwa die Städtische München mit einem Kulturhaushalt, der nur Galerie Lothringer13, das MaximiliansForum 3,1 Prozent des Stadthaushaltes ausmacht, oder die Münchner Artothek, darüber hinaus kein Gesamtetat ausbalanciert werden kann. städtische Theater, Orchester und das Künstlerhaus Villa Waldberta für internationale Die Kunst- und Kulturförderung ist in Stipendiaten. Deutschland nach dem Grundgesetz vor Über 70 Kulturvereine und -einrichtungen allem Aufgabe der Länder und Gemeinden. erhalten eine institutionelle Förderung. Das 12 Kulturreferat ist zuständig für die städtische Nachwuchs, Begegnung oder Bildung und Kulturförderung Bereitstellung qualitative Aspekte wie etwa Nachhaltigkeit, kultureller Infrastruktur, Beratung und Unter- Chancengleichheit, Relevanz oder Originali- stützung bei kulturellen Veranstaltungen, tät. Das Kulturreferat fördert Kunst und Kul- Auszeichnungen für Kulturschaffende, wie tur durch Zuschüsse oder durch eine Beteili- auch Sach- und Geldleistungen für Projekte gung als Kooperationspartner. Über Zu- und Institutionen, also etwa die Vergabe von schüsse bis 10.000 Euro entscheidet das Ateliers, Preisverleihungen und Stipendien. Kulturreferat, darüber hinausgehende Beträ- Das Kulturreferat verfügt über ein Gesamt- ge müssen vom Stadtrat beschlossen wer- budget von etwa 160.500.000 Euro, wovon den. Die Landeshauptstadt München vergibt etwa 20 Prozent an die Münchner Kammer- jährlich vier mit jeweils 6.000 Euro dotierte spiele und etwa 19 Prozent an die Münchner Stipendien im Bereich Bildende Kunst. Dar- Stadtbibliothek gehen. Dieser Betrag wird über hinaus wird der Leonhard und Ida Wolf- verwendet für den Betrieb der städtischen Gedächtnispreis mit maximal 3.000 Euro Kultureinrichtungen und für die kommunale vergeben. Dabei bereitet eine vom Stadtrat Kulturförderung. berufene Jury einen Vorschlag, den der Jedes Jahr werden etwa 1800 Veranstaltun- Stadtrat bei seiner Entscheidung berücksich- gen und Projekte gefördert, ca. 11.000 Bera- tigt. 2015 erhalten Felix Leon Westner, Ag- tungs- und Betreuungsgespräche geführt, nes Jänsch, Stefanie Hofer, Carsten Nolte Preise zwischen 274.000 Euro und 380.000 und Judith Neunhaeuserer den Preis. durch die Euro für Stipendien und Auszeichnungen zur Verfügung gestellt, und etwa 300 Künstlerin- Finanzierung bedeutet für Künstler Kompro- nen und Künstler mit einer Atelierförderung missfindung. Wenn sich nicht die Mittel zur unterstützt. 2015 beträgt der Jahresetat des Produktion finden, der Galerie das Aus droht Kulturreferats 190 Millionen Euro; eine Bud- oder die Atelierräume gekündigt werden, geterhöhung für die verstärkte Förderung sind Kulturschaffende oft auf Förderung an- der freien Szenen und der Stadtteilkultur gewiesen. Aber diese Förderung schafft wird erwirkt, sowie ein künftig festes Budget nicht nur Freiräume, sondern auch Bedin- für NS-Dokumenta- gungen und Abhängigkeiten, die sich inhalt- tionszentrums und eine Anhebung des Etats lich auswirken und die Gefahr eines Konsens des Lenbachhauses. beinhalten. Förderung ist mit klarer Zielbe- den Betrieb des schreibung und Evaluierung verbunden, und Der klassische Weg zu einer Förderung führt damit leider oft auch mit strategischen Im- in der Regel über die Antragstellung, den pulsen, welche von kulturpolitischen, geopo- Vertrag und die Abrechnung. Die Förderkri- litischen terien des Kulturreferats umfassen formale geprägt sind. Voraussetzungen, wie beispielsweise Interessen Mira Pirchtner Projektbeschreibung und nachvollziehbare Kalkulation, inhaltliche Aspekte wie bürgerliEngagement, pädagogischen die Verortung in München, öffentlichen Zugang, ches oder Grenzüberschreitung, 13 Lesetipps und Quellen - Goethe Institut: Stellungnahme der Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) (Oktober 2014), http://www.goethe.de/ins/us/lp/kul/mag/ges/de13440944.htm (letzter Zugriff: 19.12.2015) - Hutter, Dominik: Gasteig-Kulturzentrum. Die teuerste Baustelle der Stadt (1.7. 2015), in: Süddeutsche Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/gasteig-kulturzentrum-die-teuerste-baustelle-der-stadt-1.2546252 (letzter Zugriff: 19.12.2015) - Krügel, Christian: Neuer Konzertsaal in München. Seehofers Radikallösung für den Gasteig (4.2.2015), in: Süddeutsche Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/muenchen/neuer-konzertsaal-in-muenchen-seehofers-radikalloesung-fuer-den-gasteig-1.2328568 (letzter Zugriff: 19.12.2015) - Krupp, Kerstin/Riesbeck, Peter: Freihandelsabkommen TTIP: Die Kulturszene hat Angst vor der Amerikanisierung (17.08.2014), in: Berliner Zeitung, http://www.berliner-zeitung.de/kultur/freihandelsabkommen-ttip-die-kulturszene-hat-angst-vor-deramerikanisierung,10809150,28145392.html#plx1914760735 (letzter Zugriff: 19.12.2015) - Oberender, Thomas: Kultur vergeht, Kunst besteht (10.12.2015), in: nachtkritik, http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=11882:zehn-thesen-zur-entwicklung-von-kultur-undkulturfoerderung-von-berliner-festspiele-intendant-thomas-oberender&catid=101:debatte&Itemid=84 (letzter Zugriff: 19.12.2015) - Poschardt, Ulf: Fack ju Subvention! (24.4. 2015), in: Die Welt, http://www.welt.de/kultur/article140065519/Fack-juSubvention.html (letzter Zugriff: 19.12.2015) - Prosinger, Wolfgang: Kulturförderung. Kunst ist mehr als Garnitur (4.3.2015), in: Der Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/kultur/kulturfoerderung-kunst-ist-mehr-als-garnitur/11457180.html (letzter Zugriff: 19.12.2015) - http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerKulturundMedien/kultur/kunstKulturfoerd erung/_node.html - http://www.kulturfoerderung.org/de/dizk_content/Foerderersuche/index.html - http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kulturreferat.html - http://www.muenchen.de/rathaus/dms/Home/Stadtverwaltung/Kulturreferat/wir/budget2015/Budget-2015-dt.pdf - http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kulturreferat/Kulturfoerderung/Foerderkriterien.html - http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kulturreferat/Wir-ueber-uns/Jahresberichte/Vorschau_2015.html - https://www.muenchen-transparent.de/antraege/1226399 14 GALERIE VAN DE LOO PROJEKTE Marie José van de Loo und Selima Niggl im Gespräch mit Olga Rontogianni-Günther © VDLP Eine Besucherbemerkung ist in die Geschich- Fragen an Marie-José van de Loo te des Hauses eingegangen: o Die Anfänge der Galerie reichen bis ins Jahr 1957 zurück, als Ihr Vater seine erste Ausstellung organi- Ein bedeutender und passionierter Kunst- sierte. Wie war die Situation da- sammler erklärte ein Jahr nach der Öffnung mals in München und wie waren meiner Galerie mir gegenüber: ‘Das, was sie die Anfänge der Galerie? ausstellen ist vielleicht des Lobes würdig, aber es braucht Namen, um einen Sammler Im Jahr 1957, als mein Vater seine Gale- wie mich anzutreiben, die sechs Etagen Ihrer rie in der Münchner Maximilianstraße er- Galerie zu erklimmen’. Heute verpasst er öffnete, war die ‘Trümmerzeit’ der Stadt nicht eine meiner Ausstellungen und das bereits weitgehend Vergangenheit, wenn letzte Mal bemerkte er: ‘Ihre Bilder sind be- auch noch längst nicht alle Gebäude wundernswert, aber zu teuer’, woraufhin ich wiedererrichtet, oder durch Nebenbau- entgegnete: ‘Sie sind teuer geworden’. ten ersetzt worden waren. Die ersten Räumlichkeiten der Galerie Otto van de Loo, 1963 befanden sich damals im 6. Stock. Es gab damals nur wenige Galerien in München und Otto van de Loo war einer der ersten unter ihnen. Mit einer Ausstellung von K. R. H. Sonderborg eröffnete er 1957 sein Programm. Die Künstler, die er seinem 15 Galeriepublikum präsentierte, waren statt und die Nähe zu den anderen war meist noch nicht bekannt und ihre Werke von großer Bedeutung für die gegensei- oft fremd und irritierend. Der finanzielle tige Inspiration. Viele Künstler brachten Erfolg der Galeriearbeit ließ anfangs auch andere Künstler in die Galerie. Na- noch auf sich warten. Aber gerade in türlich war das Ausstellungswesen nicht den ersten Jahren wurden die Wegmar- immer einfach, da Meinungen ja auch ken für das spätere Galerieprogramm ge- verschieden sein können. setzt, deren Auswirkungen teils heute Fragen an Selima Niggl noch in den Ausstellungen der Galerie zu o spüren sind. o Lausen. Wieso gerade Lausen? Ihre Galerie gehört zu den ältesten Der erste Kontakt zu seinem Werk ent- in München. Was zeichnete Ihren stand in einem Archiv, in dem ich zuvor Vater als Galeristen aus und wie gearbeitet hatte. Sein Werk hat mich fas- konnte er die Kunstszene beein- ziniert. Zu Lebzeiten wurde er nicht von flussen? der Galerie van de Loo vertreten, heute Er machte etwas Neues, indem er mit hingegen schon. seiner Galerie auf den Rückgriff der gesi- o cherten und bereits anerkannten Vor- Wie sieht Ihr Alltag in der Galerie kriegsmoderne verzichtete. Er hat als ers- aus? ter Galerist in der Nachkriegszeit Mün- Diverse Arbeiten im Archiv sowie Recher- chens die zeitgenössische Kunst in sei- che und Erbringung von Nachweisen nem Programm eingeführt. Er etablierte über die Herkunft der Bilder. Ich bin we- neue Namen, agierte in einem internati- niger für die Angelegenheiten des Han- onalen Netzwerk des Kunstbetriebs und dels zuständig. Weiter veröffentliche ich zeigte sich offen für avantgardistische Publikationen rund um die Galerie und Strömungen. Einige der heute sehr nam- die von ihr vertretenen Künstler. Zudem haften Künstler, die er bereits in den ers- bin ich auch eine der Kuratorinnen unse- ten Jahren zeigte, sind: Alechinsky, Galli- rer Ausstellungen. zio, Jorn, Matta, Saura, Constant, Rainer, o Franke, Platschek, Zimmer, und Mitglie- Nimmt Ihre Galerie auch neue Künstler auf? der der Künstlervereinigungen COBRA, Nein, wir haben einen festen Kreis von SPUR und andere. Otto van de Loo hatte Künstlern, mit denen wir kooperieren. auch freundschaftliche Beziehungen zu vielen Künstlern, die er ausstellte. Er un- o terstützte sie vielseitig und trat ihnen ge- Ist Ihre Galerie im ZADIK vertreten? genüber als Mäzen auf, indem er ihnen Ja, mit einer breiten Fülle an Material, viele Bilder abkaufte. o Ihre Dissertation handelt von Uwe welches die Chronik der Galerie auf- Wie haben sich der Galerist und zeichnet, sowie auch die von uns ausge- seine Künstler verstanden? stellten Künstler im Einzelnen. Die Treffen zwischen dem Galeristen und seinen Künstlern waren sehr wichtig. Es Olga Rontogianni-Günther fand ein wichtiger Meinungsaustausch 16 © JG ‘Farben unter den Fingernägeln waren verpönt’ (Selima Niggl) ‘Wer die Treppen in die ehemaligen Galerieräume nicht hinaufzusteigen bereit war, dem hätte es am nötigen Interesse an der Kunst bedarft’ (erinnert sich Galeristin Marie-José van de Loo an eine Aussage ihres Vaters) 17 MARTINA HAMRICK ZU BESUCH Die Künstlerin im Gespräch mit Julia Bergmann © VZ Frau Hamrik hat die Bilder nicht das erste Galeristen und verkaufe auch teilweise Mal zusammengestellt, mit erfahrender Ges- selber. te hat sie vier Bilder ausgepackt: Ballerina, o Junge mit dem Ball, Zwei Schwimmerinnen – Ich war ja Krankenschwester, wahrschein- alle vier aus Serien. o lich wäre ich bei diesem Beruf bleiben, Wann, wie und warum kam das Be- weil ich es auch gerne tat und irgendwie dürfnis zu malen? muss man ja die Familie versorgen. Ich habe schon immer als Kind gerne und o viel gemalt. Irgendwann hat es sich im- Gibt es Länder, Städte oder O rte, wo mer mehr angeboten, künstlerisch mehr Sie besondere Inspirationen finden? Arbeiten Sie lieber alleine zu machen. o Wenn nicht Künstlerin, was dann? oder doch mit dem einen oder an- Seit wann sehen Sie sich selbst als deren Künstlerin? mit einer Katze? Die letzten zehn Jahre mache ich nichts Meine Ideen bekomme ich in meiner anderes. Es kam alles selbst zu mir. Ir- Umgebung am Starnberger See. Die Tie- gendwie hat es sich so entwickelt. Ich re und Menschen, die sich um mich her- habe auch keinen Exklusivvertrag mit ei- um bewegen, sprechen mich an. Ich ha- nem Galeristen, der das alles arrangiert be immer mein Handy dabei und mache für mich. Ich habe Verträge mit mehreren Fotos von allem was mir gefällt. Fremde 18 Künstler, netten Freund... Städte und Länder brauche ich nicht für Material und Perspektive. Mir fehlt da meine Inspiration. Ich arbeite wirklich aber was. Das bin nicht ich. gerne alleine. Wenn ich eine Idee habe, o dann soll es sofort raus. Ich male gerne in format? meinem Atelier. Während der Arbeit darf Ja. Ich mag das Kleine gar nicht. Auch keiner rein. Danach gerne. o Malen Sie schon immer im Groß- ohne Schlaufentechnik habe ich große Was mögen Sie besonders bei der Formate gerne. Der Raum unterstützt Arbeit: das Ziel, von dem Sie wis- den Hauptakteur, das Bild. sen, hier kommt was ich mir vorgestellt habe oder stellen Sie sich nichts vor? Ist es ein Weg ins Unbekannte? Die Ruhe? Malen an sich ist Handwerk. Die Motivsuche ist spannend, Komposition oder die Überlegung, sollen bei einer Schwimmerin die Hände abgeschnitten sein oder wirkt es langweilig? Besonders wichtig finde ich das Bewegungsmoment zu dokumentieren, die Dreidimensionale, die o © VZ Malerei aufbricht. Wenn man arbeitet, macht man das oft alleine... Gefällt Ihnen diese o Form der Einsamkeit? Fühlen Sie das gut? sich überhaupt einsam? Ich muss mit dem Auftraggeber erstmal Nein, das Leben außenherum ist sehr in- alles besprechen. Wenn ich dann weiß, tensiv bei mir. o was er sich vorstellt, gehört es mir und Wann arbeiten Sie gerne? ich fange zu spielen an. Ich brauche be- Am Vormittag zwischen 8.00 und 14.00 stimmte Freiheiten dabei, keinen Zeitdruck. Zum Beispiel, Porträts male ich Uhr. Manchmal mit Musik. o Worte wie Dynamik, prinzipiell nicht. Von meiner Familie habe Bewegung, ich welche gemacht, viele wollen es Relief, Körperspannung, Perspekti- auch. Aber da fühle ich mich nicht da- ve sind Schlag- wörter für Sie. Trei- nach. In meinen Bildern sind die Gesich- ben Sie viel Sport? ter nicht wichtig. Ja. Sport ist wichtig für mich. Früher habe o ich Leistungssport gemacht. Ich gehe Verlieren Sie sich während Ihres Schaffens oder arbeiten Sie eher auch gerne joggen mit meinem Hund. o Sie haben Aufträge. Funktioniert nach einem Plan? Ich plane schon vor dem Malen. Ich gehe Haben Sie jemals probiert, abs- gezielt mit meinem Smartphone raus und trakt zu malen? recherchiere nach neuen Motiven. Ich Ja. Immer wieder. Ich spiele gerne mit 19 wähle einen spannenden Ausschnitt aus ders je nachdem welche Jahreszeit gera- meiner Fotografie. de ist. Wenn ich diesen gefunden habe, überle- o ge ich, welches Format ich nehmen soll, Sie waren im O ktober auf der Exhibition ArtNow London und ferner welche Farben ich kombiniere und be- im November in der Galerie com- spanne meine Leinwand selbst. Dann beck ltd. Homburg. Wie war es mache ich eine genaue Vorzeichnung mit dort? Ist es immer noch spannend, Bleistift. Die Farben sind in meinen Bil- bei der eigenen Ausstellung dabei dern zweitrangig. Ich wähle sie eher natu- zu sein? ralistisch, so wie sie mir gefallen. Ich fo- Das ist immer schön. Ich gehe oft zu tografiere viel, suche mir die Motive aus Artmessen so wie ArtMUC. Morgen fahre und übertrage diese ins Bild. Schlaufen ich nach Bonn um meine Bilder im Frau- muss ich nicht planen. Das mache ich ei- enmuseum zu präsentieren. Ich bin gerne ne Stunde, zwei, dann ist es gut. Am dabei. Oft wird genau gefragt, wie ich nächsten Tag mache ich es weiter. An- das mache, weil es doch neu ist. fangs habe ich die Schlaufen aus zwei Meter langen Leinwandstreifen gemacht. o Inzwischen zeichne ich mir die Schwünge, Können Sie ihre Technik beschreiben? Wie kamen Sie dazu? die die Schlaufen machen sollen, in mei- Mich interessiert immer das Motiv, zum ner Entwurfsskizze mit an und variiere die Beispiel der sich bewegende Mensch. Breite der Schlaufen innerhalb einer Der Hintergrund ist immer ein Problem. Bahn. Die Schlaufen grundiere ich vorab Vor zwei Jahren habe ich alte Leinwände mit der gewünschten Hintergrundfarbe. zerrissen und dachte, ich kann sie ir- Ganz am Schluss gehe ich auch noch mal gendwie noch nutzen. Und dann kam die mit der Farbe drauf, wenn es passt. Idee, mit einem möglichen Perspektivwechsel zu arbeiten. Um meine Idee auszuprobieren, habe ich die Streifenstücke aus zerrissener Leinwand in Schlaufen nebeneinander gelegt und auf einem Brett fest getackert. Auf meinen Bildern klebe ich die Schlaufen jetzt mit Heißkleber nebeneinander. ‘Das Mädchen mit dem Kleid’ war das erste Bild mit dieser © VZ Technik... genau da dachte ich, dass es o schön wird, wenn ihr Kleid aus dem Bild heraus schwingt. Mir ist wichtig, Dynamik umzusetzen. Zu- Sie haben auch eine Drahtkuh ge- erst mache ich die Vorzeichnung mit Blei, macht... dann kommt der Farbauftrag mit Acryl, Ja. Eine steht bei mir im Garten, die an- alles mit einer alten Kreditkarte und fei- dere habe ich verkauft. Die, die im Gar- nere Stellen mit dem Spachtel. Pinsel ten steht, ist drei Jahre alt und ist le- verwende ich nicht. Wenn ich die Farbe bensgroß. Ich finde, sie wirkt immer an- so auftrage, unterstützt das die Dynamik 20 meiner Motive. o Der Hintergrund ist erstmal unwichtig. zusammen malen wollen oder so. Ich fah- tentieren lassen? Wie kamen Sie re schon mal nach Augsburg in die Aka- auf diese Idee? demie und schaue mir alles an. Es ist oft habe ein Patent auf das nett aber ich habe meine Art und meine Ge- Technik... er (250,-). o Eine Bekannte hat mir die Idee gegeben. Arbeiten Sie mit einem Skizzenbuch? Weil es eben etwas Besonderes ist. Das Früher schon, seit es Smartphones gibt habe ich dann auch gemacht. Deutsch- nicht mehr. landweit, Europaweit. Zum Glück war o meine Technik noch keine sechs Monate Wie sind Sie zu ihrem Atelier im alt, sonst darf man das nicht mehr paten- Kerschlacher Forst gekommen? tieren lassen. Ich möchte nicht, dass ei- Anfangs habe ich in unserem Gästezim- ner die Schlaufentechnik genau so nach- mer gemalt. Das wurde dann irgendwann macht wie ich es mache und dann am zu klein. Eigentlich war dieser Bunker im Ende behauptet, es wäre seine Idee ge- Wald ewig leer. Ich wohne ca. fünf Minu- wesen. ten davon entfernt. Vor acht Jahren woll- Kann man diese Technik noch er- te die Besitzerin an Künstler vermieten. weitern? Denken Sie Da habe ich mich beworben gleich am manchmal Anfang. Jetzt sind es mittlerweile 30 darüber nach? Künstler. Man kann ihn zwei Mal im Jahr Mit der Zeit wird sich zeigen, ob ich es auch anschauen. Ansonsten mit Anmel- noch erweitere... dung. Wie muss das Werk auf Sie wirken, damit Sie wissen, es ist fertig. Volha Zwingmann (bald Mehr kommt da gar nicht hin: keine Farbe mehr, keine Karankevich-Koch) Sekunde mehr etwas zu verbessern oder zu entwickeln. Es hängt ein Paar Tage bei mir zu Hause und ich lasse es erst einmal auf mich wirken. Dann weiß ich es. o der Aus- Schon sehr wichtig, aber ich würde nie schmacksmuster. Das ist gar nicht so teu- o ist Ihnen Warum haben Sie Ihre Technik pa- Ich o wichtig tausch mit anderen Künstlern? Den mache ich mit den Schlaufen. o Wie Gibt es ein Lieblingswerk? Immer das neueste Bild. Man will sich nicht so schnell trennen. Manchmal passiert es und da ist man schon ein bisschen traurig. 21 22 © VZ © VZ STUDIOBESUCH BEI FRANZISKA AGRAWAL © VZ ‘Vergänglichkeit ist nicht das Thema [der Eisskulpturen], diese Kunstwerke sollen bewusst nach einer Woche wieder ganz anders aussehen oder sogar verschwunden sein’ (erinnert sich eine Seminarteilnehmerin) Agrawal im Gespräch mit Konstantin Pfannmüller 23 BESUCH DER ERES STIFTUNG MÜNCHEN Stephanie Zoche im Gespräch mit Sandra Olivieri © JPG Stefanie Zoche is a German artist and activist Denmark to mention only a few) and she especially concerned about water issues. always follows her heart when it comes to She has always been passionate about envi- choosing the destination. However, she feels ronmental protection, even before she start- that India had the major impact on her, ed making art. As ecology is getting a politi- where she stayed one year and was im- cally interesting topic, the artist underlines pressed by its mixture of religions and peo- that her work has a bigger impact now. ple, its spiritual side and different time per- Water later became a leitmotiv in her and ception. her partner’s art (Sabine Haubitz's – now deceased). Before they had met each other, The stolen sand they were both already interested in this element, perceived by the artist as filled with Her latest exhibition, ‘Wie Sand am Meer’ metaphorical qualities. has a very particular and relatively unknown theme: ‘the stolen sand’. The artist first came Zoche's main themes and travels in contact with the subject while taking pictures on the river Yamuna in India. On the Besides water, Zoche's main themes are confluence with the river Ganges, she no- ecology and architecture, which she de- ticed people taking incredible quantities of scribes as ‘observing what's going on in the sand, so she became curious and started streets’. In order to do that, she also claims filming them. After a while, they told her to that it is important for an artist to travel with stop (they were doing illegal sand mining). open eyes. As a matter of fact she always took lots of pictures and decided to organize While doing research, she discovered even exhibitions. Zoche's travels are various and more about this issue. Zoche pointed out exotic (India, Iceland, Israel, China, Dubai, that a huge quantity of sand (every year a 20 24 meter wide ring around the equator could be Moreover, she also tries to compensate her built with it) is taken illegally to be used in ecological wastes, investing money from her construction business, mostly by developing countries such as China; or Dubai, where they cannot use desert sand, since it's not suitable for building purposes. There is very little awareness in Europe about this problem, although the sand mafia is the second biggest Mafia, while in India it © JPG is even the major one. They mine the material illegally due to increasing sand prices. They take it from almost all kinds of ecological environments (rivers, the bottom of the art projects in solar panels and through a oceans, beaches), damaging all of those. As plane company program which uses part of a matter of fact, 70% of the worlds' beaches plane tickets gains to protect the environ- are in high danger and will soon disappear ment. and climate refugees (it is estimated that there will be more than 1 billion) are going The exhibition’s tetrapod to be a problem (even more than today’s Syrian refugees). Moreover, the majority of At the entrance of the exhibition is a giant stolen sand-made buildings are useless and sand-made statue called ‘tetrapod’, which is inhabited, only built for speculation purpos- a real scale replica of those dropped in the es. Spain is one of the countries with the sea so that they wedge on each other and worst speculation problem, since in one year immobilize the sand. Unfortunately, their use they constructed as much as the UK, France is limited. Furthermore, they could also be a and Germany together. Besides, there are damage since sand is full of microorganisms, actually alternate technologies to illegal sand which are always moving, while the tetra- mining in the construction business, for in- pods alter the balance of sand movements. stance a fabric of steel and bamboo. Moreover, they are made of sand them- For the artist, ecology is the most important selves, which Zoche underlines as being very issue. She has been working with scientists ironic. Zoche admits that it is a little contra- for many years and she describes how des- dictory to make a sculpture out of sand to perate and powerless they feel, since for raise awareness towards sand stealing, how- them it is very difficult to reach and inform ever she claims that it wouldn't have made people about the seriousness of the situa- sense if it had been built out of any other tion. Zoche, who sees art as a means of material. communication, tries her best to convey an unpopular and otherwise ‘boring’ message. Sandra Olivieri (Erasmusstudentin) 25 KUNSTKRITIK DIE WAHRHEIT MIT DEM SAND bild aus Beton gegossen, sondern aus einzelnen Stücken mit Sand verkleidetem Sty- Einer Statistik zufolge hat China in den ropor gefertigt, die scheinbar lose aufei- Jahren seit 2012 mehr Zement hergestellt nander gesteckt wurden. Durch überste- als die USA seit 1900. Das Bindemittel wird hende Kanten wirkt der Tetrapode instabil, in relativ geringen Mengen für die Produk- als ob er bei der kleinsten Berührung zu- tion von Beton benötig, welcher hingegen sammenfallen könnte – eine Metapher für zu zwei Dritteln aus Sand besteht. Sand das ökologische Gleichgewicht? erfährt heutzutage besonders durch das Zumindest sensibilisiert er den Besucher Baugewerbe in den Schwellenländern eine gleich zu Beginn für die menschenver- Nachfrage, die mit großflächigem, illega- schuldete Problematik: so wiegt die zum lem Sandabbau beantwortet wird. Küstenschutz eingesetzte Ausführung sechs Diese Thematik wurde in der der Ausstel- Tonnen, was dem jährlichen Pro-Kopf- lung ’WIE SAND AM MEER – Über den Verbrauch von Sand eines jeden Bundes- Raubbau an einem schwindenden Rohstoff bürgers entspricht. im Anthropozän’ gezeigt, die vom 11. September bis 28. November 2015 von der Die anfängliche Irritation begleitet weiter ERES Stiftung München ausgerichtet wur- durch die Ausstellung und regt zu immer de. Sie war als Teil einer Veranstaltungsrei- neuem Nachdenken an. In der Zweikanal- he konzipiert, die sich mit den Auswirkun- Videoprojektion ’Fortuna Hill’ wird der ille- gen menschlicher Aktivitäten auf die Um- gale Sandabbau an Marokkos Küsten do- welt auseinandersetzt. Dabei wurde die kumentiert. Die aus der Distanz gefilmten ökologische Thematik wirkungsvoll in die Ströme von Menschen und Lasteseln wech- Sprache der Kunst übersetzt und durch seln sich sequentiell mit Aufnahmen des naturwissenschaftliche Beiträge bereichert. daraus entstandenen Produktes ab. Gezeigt werden Reihen von halbfertigen, ver- Es wurden ältere und neuere Arbeiten der lassenen Rohbauten – Investmentruinen Künstlerin Stefanie Zoche gezeigt, die ne- aus Spanien. Der Kontrast zwischen der ben der Ressource Sand den Schwerpunkt Menschenleere und dem bunten Treiben auf Klimawandel und den damit verbunde- ist durch die schnelle Abfolge besonders nen Anstieg vom Meeresspiegel setzte. Die effektiv. Verstärkt wird er durch eingespiel- Ausstellung bestand bis auf ein Werk aus te Stimmen und Gelächter von Menschen, Auftragsarbeiten für die ERES Stiftung, die oder dem Platschen von Wasser beim Blick bereits 2006 mit Stefanie Zoche zusam- auf einen leeren Pool. Fast ironisch kom- mengearbeitet hatte. mentieren sie das karge Bild und können es nicht mit Leben füllen. Die grotesk an- Ein gewaltiger Tetrapode empfängt den mutenden, Besucher und versperrt ihm gleichzeitig wirken wie ein Mahnmal, das unseren ver- den Weg. Vor allem aber sorgt das lebens- schwenderischen Umgang mit den be- große Objekt durch seine Zusammenset- grenzten Ressourcen anprangert. zung für Irritation. Es ist nicht wie sein Vor26 zurückgelassenen Bauwerke Gerade bei den Videoarbeiten wird das len sonst verborgen geblieben. besondere Künstlerin Die Zweikanal-Videoprojektion ’High Tide’ deutlich, die sich im Zusammenhang mit zeigt die monotone Wellenbewegung an der Illegalität stets selbst in Gefahr ge- einer Hafenstadt wie New York oder Mum- bracht hat. So war das Filmen vom Raub- bai in einer Endlosschleife in einem abge- bau in Marokko oder von den eingezäun- dunkelten Raum am Ende der Ausstellung. ten Bauruinen auf der iberischen Halbinsel Diese Aufnahme war aus einem neuen, mit einem gewissen Risiko verbunden, was schrägen Betrachterwinkel von unten ge- sie im Gespräch jedoch herunterspielt. filmt worden. Die Kamera wurde scheinbar Auch wenn Stefanie Zoche durch den Ein- von jeder einzelnen Welle beeinflusst und satz von Teleobjektiv und Drohne zur rief die Illusion eines treibenden, wenn Engagement der scheinbar distanzierten Beobachterin und Dokumentierenden wird, kann es nicht über ihr persönliches Anliegen an der Thematik hinwegtäuschen. Besonders im Gespräch zeigt sich, dass sie durch ihr Werk ein verstärktes Bewusstsein für die Problematik und die Folgen des Klimawandels bei allen Bevölkerungsschichten erreichen möchte. Die verschiedenen Ansätze von bildender Kunst und Naturwissenschaft zu kombinieren und das Problem, die politisch- ökologische Thematik in die Kunst zu übersetzen, ist Stefanie Zoche zweifellos geglückt. Der hohe Stellenwert, den die Wissenschaft in ihrem Werk einnimmt, zeigt auch der Ausstellungskatalog, der zu gleichen Teilen in die Kapitel ’Ausstellung’ und © JPG ’Wissenschaft’ unterteilt ist. Die angebotenen Vorträge von Wissenschaftlern und Forschern und eine Podiumsdiskussion mit der Künstlerin dienten zusätzlich als Plattform für einen Austausch, der mit Sicher- nicht leblosen Objekts hervor. Die ver- heit Hintergrundinformationen schobene Perspektive steht dabei wie eine liefern konnte. Allerdings litt der erste Ein- Prophezeiung für die unmittelbar bevorste- druck eines fachfremden Besuchers ver- henden Veränderungen, die unsere Welt mutlich etwas unter dem Fehlen an zusätz- auf den Kopf stellen werden. Denn der mit lichen Erläuterungen in den Räumlichkei- dem Klimawandel verbundene Meeres- ten. Kleine Informationstafeln hätten die spiegelanstieg wird auch uns noch errei- Ausstellung bestimmt bereichert und dem chen. Besucher schneller einen Zugang ver- Die momentanen Migrationsströme sind schafft, sind ihm die aussagekräftigen Zah- dabei nur ein Vorgeschmack auf die zu wichtige 27 erwartenden Klimaflüchtlinge, wenn der kennt. Wasserstand auch nur um ein paar Meter Mit ihrem Anliegen konnte sie zumindest steigt. Durch Stefanie Zoches Einsatz wur- die Besucher der Ausstellung ’WIE SAND den dem Betrachter erschreckende Bilder AM MEER’ erreichen, weil die eindringli- zugänglich gemacht und sind gleichzeitig chen Bilder und synästhetischen Erfahrun- zu einem ästhetischen Gesamtbild ver- gen dauerhaft im Gedächtnis bleiben wer- schmolzen. Sie zeigte die unschönen, uns den und zu weiterer Beschäftigung mit der meist verborgenen Seiten unserer Lebens- Thematik einladen, wenn nicht gar drän- weise, während sie außerdem einen neuen gen. Blickwinkel auf die Fakten warf, die man nach ’An Inconvenient Truth’ schon längst Clarissa Bluhm 28 GALERIE GEDOK Ausstellung Elvira Lantenhammer © GEDOK EIN GESPRÄCH MIT: um etwa viel schneller in der Kunstszene Christiane von Nordenskjöld (Kunsthistorike- durch und bekommen in der Regel schneller rin, 1. Vorsitzende der GEDOK München, eine Ausstellung. Liegt das daran, dass sie Mitte links) von Galerien und Vereinen bevorzugt wer- Anette Scholl (Kunsthistorikerin, Mitarbeiterin den? der GEDOK München) GEDOK greift hier ein und unterstützt aus- Elvira Lantenhammer (ausstellende Künstle- schließlich Frauen in einem geschützten rin, Mitte rechts) ‘Raum’ sowohl auf dem Ausbildungsweg als auch bei den ersten Schritten in die Galeries- Die GEDO K – ein Künstlerinnenverein zene und ermöglicht den Künstlerinnen, untereinander zu netzwerken. In Deutschland Die GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und gibt es über 20 lokale Gruppen, der Verband Österreichischer Künstlerinnenvereine aller in München ist der größte mit 330 Mitglie- Kunstgattungen) wurde 1926 von Ida Deh- dern. Es werden nicht nur Künstlerinnen der mel als eingetragener Verein zur Förderung Bildenden Kunst gefördert, sondern dane- von professionellen Künstlerinnen gegrün- ben auch der Angewandten Kunst, der Musik det. Im Jahr 2016 wird das 90-jährige Beste- und der Literatur. Hierbei spielt der Aus- hen des Vereins gefeiert. Zur Gründungszeit tausch der Künstlerinnen aus unterschiedli- kämpften Frauen für andere Zustände als chen Bereichen eine wichtige Rolle und führt heute (zu nennen ist zum Beispiel der Not- zu nachhaltigen Synergien. stand, nicht zu einer Aktmalerei-Klasse zugelassen zu werden). Dennoch besteht der Das Netzwerk der Münchner GEDO K Verein heute noch, da nach wie vor männliche Künstler anders behandelt werden als Für die Musikerinnen werden Konzerte im weibliche – Männer starten nach dem Studi Gasteig organisiert, Literatinnen lesen, 29 Künstlerinnen erhalten Ausstellungen. Für Künste in München. Der stets würdevolle alle Künstlerinnen findet einmal im Monat ein Umgang mit Pigmenten und das Herstellen Jour fixe statt, an dem sie sich austauschen der Farben prägte sie beim Restaurieren so können. Über aktuelle Kunst, über Projekte sehr, dass sie heute davon ausgehend die oder einfach, um das persönliche Netzwerk Farben für ihre eigenen Werke in einer län- weiter auszubauen. Netzwerken ist ein zent- geren Prozedur anmischt. raler Begriff bei GEDOK, schließlich geht nichts über gute Kontakte. Neue Ausstel- Im Jahr 2014 erhielt sie das GEDOK- lungsmöglichkeiten können sich eröffnen, Stipendium der ’Artists in Residence’ in Bul- neue Zusammenarbeiten oder neue Impulse garien. Durch diese Förderung war ein drei- für das eigene Schaffen ergeben. wöchiger Bulgarien-Aufenthalt möglich – mit Für Bildende Künstlerinnen, die direkt von anschließender Ausstellung in Sofia. Auf- der Akademie kommen, gibt es ein besonde- grund der zeitnahen Präsentation nach der res Angebot: Die GEDOK spricht gezielt Ankunft in Bulgarien, fanden künstlerische Künstlerinnen der Akademie an und bietet Vorarbeiten statt, die den Einstieg in Bulga- ihnen die Möglichkeit zu einer Einzelausstel- rien erleichterten. Da Lantenhammer zuvor lung. Unter Zuhilfenahme von Fördergeldern keinerlei Bezug zu Bulgarien hatte, las sie zur werden dazu Ausstellungskataloge gefertigt. Einstimmung Literatur, tauchte in das Land Junge Künstlerinnen erhalten so einen guten ein und experimentierte in ihrem Atelier mit Start in den Beruf der Künstlerin und können Farbklängen. Schließlich festigten sich die bei ihren weiteren Bewerbungen bereits eine Farben Rot und Grün. Die vorgefertigten Einzelausstellung und einen Ausstellungska- Arbeiten schickte die Künstlerin mit Pigmen- talog vorlegen, was wiederum die Chancen ten, Himalaya-Büttenpapier und Malutensi- auf weitere Ausstellungen erhöht. GEDOK lien vorab nach Bulgarien. Dort wurden die unterstützt hier den Berufseinstieg und steht Werke teilweise ergänzt und vervollständigt. beratend zur Seite. Ob die Künstlerin im Einige Bilder entstanden direkt vor Ort in Anschluss der GEDOK beitreten möchte dem eher provinziellen Ort namens Veliko oder nicht, bleibt ihr freigestellt. Tarnovo. Dort lernte die Stipendiatin das GEDOK ist trotz des fast 90-jährigen Beste- authentische Bulgarien kennen und sah sich hens kein Verband mit eingerosteten Struk- mit Problemen der Kommunikation konfron- turen, (so der Vorwurf der Öffentlichkeit). Im tiert. Was bewirkt ein derartiger Austausch Gegenteil, GEDOK bleibt offen für neue beziehungsweise eine Künstlerreise? Ideen. Ein Zukunftsprojekt 2016: Eine Aus- Ein Künstler, beziehungsweise eine Künstle- stellung, die eine GEDOK-Künstlerin und rin kann in einer völlig neuen Umgebung mit eine Nicht-GEDOK-Künstlerin zusammenfüh- neuen Kulturen und neuen Eindrücken neue ren wird. Impulse erhalten. Sie/Er entwickelt sich weiter und der Horizont wird erweitert, diverse Künstler sehen genau hin Dinge werden anders wahrgenommen als in der gewohnten Umgebung; die Sehgewohn- Elvira Lantenhammer, eine Künstlerin der heit des Künstlers/der Künstlerin wird ge- GEDOK Galerie, absolvierte 1976-1979 eine stärkt und verändert. Elvira Lantenhammer restauratorische Ausbildung und studierte dazu: ‘Nicht die Augen verschließen – hin- danach an der Akademie der Bildenden schauen!’. 30 © GEDOK Doch wann betrachtet die Künstlerin eine tenpapier geben bei genauerer Betrachtung Arbeit als abgeschlossen? Das Malen an sich eine darunterliegende Struktur oder ein Mus- betrachtet die auf Schloss Homburg lebende ter frei. Künstlerin als eine Art Dialog: Sie trägt Far- Jede einzelne Form wurde in einen eigenen ben auf und diese kommunizieren mit ihr; sie schlichten Ahornholzrahmen gerahmt. Bei teilen ihr mit, ob noch etwas fehlt. Ist der der Ausstellung in Sofia wurden die einzel- Dialog beendet, ist das Werk fertig. Das nen Arbeiten ohne Rahmen einfach an die Herausarbeiten eines Farbklangs spielt dabei Wand gepinnt. für sie eine besondere Rolle und gilt als ein An der Ausstellungwand gegenüber gibt es wesentlicher Bestandteil ihrer Werke. Ihr Stil zwei großformatige Leinwandarbeiten, die besteht aus klaren Linien, die aber nicht mit den Farben Grün, Schwarz, Weiß und Rot zwangsläufig scharfkantig sein müssen, son- polarisieren. Große, satte Farbflächen domi- dern durchaus etwas ‘Verhuschtes‘, wie es nieren auch hier. Annette Scholl im Gespräch bezeichnete, haben können. Völlig anders die Büttenpapier-Arbeiten, etwa ’siteplan Nedko’s Dream’, die durch Elvira Lantenhammers GEDO K- Aus- ihre stellung ’siteplan Bulgaria’ teilweise durchschimmernden Farb- schichten eine ganz eigene Ästhetik ausstrahlen. In der Ausstellung ‚siteplan Bulgaria’ in der Besonders lebhaft ist »siteplan Nedko’s Münchner Galerie GEDOK locken den Besu- Dream«. Nedko, ein Hausmeister, berichtete cher eine Reihe roter Farbflächen, gerahmt der Künstlerin von dem fabelhaften Gemüse an der Wand hängend, in den Raum. Die seiner Großmutter, und wie das Gemüse kräftige rote Farbe zieht die Blicke magisch sortiert in Kammern gelagert wurde. Eine an und die Augen fahren den Rand der For- Kammer voller Tomaten, eine voller Melonen men ab. Rote Eitempera auf gerissenem Bü- und auch, dass der Mais stets im Wasser 31 stehe, berichtete er. Elvira Lantenhammer Künstlerin eine lange Freundschaft verbin- setzte diese Erzählung um und abstrahierte det, war auf den ersten Blick kein direkter die Formen. Bezug zu den Bildern Lantenhammers ersichtlich. Eine Verbindung von Malerei und Eröffnungsperformance von Stolzen- Performance könnte sein, dass sich die präg- fuß nanten Worte genauso einprägen wie die starken Farben; sie rufen Assoziationen her- Am 3. Dezember 2015 fand die Eröffnung vor und prägen nachhaltig. der Ausstellung statt. Eingeleitet wurde die Um Bulgarien mit den Augen von Elvira Lan- Vernissage von der Künstlerin Gila Stolzen- tenhammer wahrnehmen zu können, bezie- fuß, ebenfalls ein GEDOK-Mitglied. Gila hungsweise um sich selbst auf eine eigene Stolzenfuß ist eine multitalentierte Autorin Bulgarien-Reise zu begeben, können die und Performerin. Ihr Beitrag war eine per- Werke noch bis zum 18. Dezember 2015 formative Lesung (’Die Geeichten’). Durch betrachtet werden. Dabei sollte der Perfor- ihre gezielten, teilweise abgehackten Bewe- mance-Ausruf von Gila Stolzenfuß beherzigt gungen werden: ’Ja schauen Sie! Ja schauen Sie halt und ihre Wort-Wiederholungen, weiß Stolzenfuß den Raum einzunehmen und hin!’ ‘wirft mit Worten den Betrachtern Assoziationen zu’. Diese verblassen beim schnellen Nora Köpp Wortwechsel zunächst, kehren jedoch bei jeder (von Stolzenfuß verbal und körperlich Save-the-date-Hinweis: Vom 23. Februar 2016 bis zum 3. April unterstrichenen) Wiederholung ins Bewusst- 2016 findet in der Pasinger Fabrik die Jahresausstellung der GEDOK München statt. © GEDOK sein zurück. Obwohl Literatin und Bildende Anette Scholl, Christiane von Nordenskjöld und Jessica Petraccaro-Goertsches im Gespräch mit Johanna Kerschner (Chefredakteurin der Kunstzeitschrift 'und') 32 BESUCH DER GALERIE FOE 156 ‘foreign encounters’ Ein Gespräch mit Anita Edenhofer, Wolfgang Weileder (Kurator) und Korbinian Jaud © CB ‘Orte ohne Wiederkehr?” (Seminardiskurs) © CB © CB 33 AUSSTELLUNGSBESUCH ‘Amelie von Wulffen. BILDER 2000-2015‘ © CB ERÖFFNUNGSREDE FÜR DIE fühlen. Und mal ehrlich: das ist doch viel ’WERKSTATTGESPRÄCHE’ besser, als dem Weihnachtsstress in den Kaufhäusern nachzugehen und gefühlt einen Verehrte Zuhörer und Zuhörerinnen, liebe zweiten Geburtskanal zu durchqueren, so- Desinteressierte! bald man ein überfülltes Geschäft betritt! Mit Wiedergeburt hat das leider recht wenig zu Ich möchte Sie alle recht herzlich zu dieser tun. Um nun aber auch vom weihnachtlichen fast schon weihnachtlichen Veranstaltung Trubel ein wenig Abstand zu gewinnen, begrüßen und freue mich doch, dass Sie möchte ich mich dem Grund widmen, aus noch so zahlreich an Personen erschienen welchem wir heute hier erschienen sind. sind! Der Vorabend zu Weihnachten lädt Ich möchte Ihnen heute die bereits genannte natürlich dazu ein, ähnlichen Veranstaltungen Ausstellung, die sich den Bildwerken Amelie wie dieser fern zu bleiben, doch haben Sie es von Wulffen widmet, näher bringen. Die noch geschafft, und dazu möchte ich Ihnen Künstlerin selber ist dem Münchner Kunst- gratulieren! Denn abgesehen von meiner publikum keine Unbekannte mehr, da sie schon begonnenen Rede, werden Sie sich bereits in der Stadt im Jahr 1996 ausgestellt noch eine Führung durch die Ausstellungs- hatte und außerdem ihre künstlerische Aus- kollektion ‘Amelie von Wulffen, BILDER 2000 bildung an der Münchner Akademie der - 2015’ der Pinakothek der Modernen beehrt Bildenden Künste erhielt. Sowohl national als 34 auch international hat sie nicht nur in Mün- dern auch private, bildnerische Erfahrungen chen, sondern auch schon auf der Biennale wie unter anderem auch das Jagdzimmer der in Venedig, Berlin, Paris und in der Kunsthal- Großeltern zitiert wird, oder sie selber in den le Düsseldorf, sowie auch in der Kunsthalle in Kunstformen als Bild auftritt. Basel ausgestellt, um auch nur einen Teil zu nennen. Zu den jeweiligen Ausstellungen Deutlich geprägt sind ihre Bilder auch von sind entsprechende Kataloge erschienen, in der Mentalität der Nachkriegsgeneration, die denen Sie sich ebenfalls beteiligt hatte, im den Konflikt von Vergessen-Wollen und künstlerischen Aspekt oder als Autorin. Ame- Nicht-vergessen-Können auslebt. Zwischen lie von Wulffen, geboren 1966 in Breiten- Popkultur und bürgerlichem, ideellem und brunn, lebt heute in Berlin. Um an ihrem kitschigem Wohnen vertritt die Künstlerin gewählten Heimatort festzuhalten, komme diverse Ansichten, die im Alltag schwer zu ich gleich auf ausgewählte Bildwerke von ihr leben sind, aber in ihrer ausgeführten Kunst zu sprechen, in denen sie bewusst die Archi- eine wunderbare Harmonie ergeben, oder tektur verschiedener Gebäude Berlins mitei- eben eine heraufbeschworene Dissonanz. nander verbindet, um so Neues zu schaffen. Zeitgenössisch möchte man meinen, dass Hierfür nimmt sie nicht immer eindeutig be- John Travolta das Jugendidol gewesen sein kannte Gebäude her, so etwa auch eine So- könnte, was andere Teenies in ihrem Zimmer zialwohnsiedlung, die sie mit weiteren Ge- als Poster an die Wand gehängt haben, hat bäuden aus der Stadt in ihrem Bild kombi- die Künstlerin in ihren Bildern verewigt, niert und so zu etwas gänzlich Neuem er- könnte aber auch auf das Ideal des amerika- schafft. nischen Traumes hinweisen. Ihre Interpretation ist Ihnen überlassen! Amelie von Wulffen besaß schon immer ein Des Weiteren kann man noch andere Einflüs- reges Interesse an sowjetischen Bauten. In se in den Bildern finden, sei es die heraufbe- diesem Sinne war sie in Berlin nicht an fal- schworene Pop-Art von Andy Warhol oder scher Stelle, vereint diese Stadt architekto- ein – in eine gänzlich andere Richtung ge- nisch doch mehrere Stile von diversen Him- hender – van Gogh, der in ihren Bildern por- melsrichtungen. Breit vertreten ist der Ostteil trätiert wird. Spielerisch wird in den Bildern von Berlin in diesem Aspekt, war man schon mit dem Bekanntheitsgrad der jeweiligen einmal in Berlin, wird derjenige verstehen Personen oder den weiteren, abgebildeten was ich meine. Was anderen fremdartig und Bildwerken umgegangen. Man muss aber grau, klobig und klotzig als Beton-Plattenbau dazu erwähnen, dass die Künstlerin die je- vorkommt, begeistert die Künstlerin in eben weiligen Personen oder Werke der anderen den genannten Eigenschaften. Das Utopi- Künstler nicht abbildet, um etwa den eige- sche, Fremdartige und Massive dieser Archi- nen Bekanntheitsgrad zu steigern, denn da- tektur hielt die Künstlerin mittels Fotografien hinter steckt die Inspiration der Künstlerin zu und kombinierter Malerei als Kunstwerk fest. diesen Bildern. So gibt etwa eine Postkarte Die Kombination der Bildmedien macht sie mit dem landschaftlichen Bildmotiv Albrecht in ihrer Ausführung als eine der wenigen Dürers einen schönen Ausblick von einer Künstlerinnen fest, denen das gelingt. Doch verrauchten, gerade eröffneten oder schon nicht nur Architekturen bilden ein wichtiges kurz vor Schluss, schließenden Diskothek in Thema in den gemalten Kunstwerken, son- den 90er Jahren einen wunderbaren Fens35 terausblick. Diese Kontraste und extremen Knetmasse der Figuren an Wallace and Gegensätze spiegeln aber in den Bildern – Gromit erinnert. Inhaltlich ist das natürlich so wie sie im Kopf der Künstlerin entstanden nicht vergleichbar, ist aber ein schönes Bei- sind, durch das Farbenspiel und die dadurch spiel für die Vielfalt der Künstlerin in den gebildete und gespielte Räumlichkeit – einen verschiedenen Kunstgattungen. Der 1999 Eindruck wieder, der das Unmögliche im erschienene Kurzfilm mit dem Namen ‘Pe- Kopf des Betrachters trotzdem zeigen und digree’ war eine Zusammenarbeit mit Micha- möglich werden lässt. el Graessner, allerdings fertigte von Wulffen Die Zweidimensionalität der Leinwand wird auch schon alleine und unter eigener Regie durch das ermöglichte Farbenspiel, Perspek- Kurzfilme an, veröffentlichte diese aber nicht. tive und Formgebung zu einer Nichtigkeit. Leinwände werden lebendig und geben eine Als weiteres Bild-im-Bild-Werk könnte man Räumlichkeit wieder, die einem Architekten ihre Fotografien von sich mit ornamental entsprechen, der aus Vorbildern seine eige- bemaltem Gesicht empfinden. Mir persönlich nen Gebäude schafft. Starken Einfluss für gefiel dies sehr gut, nicht nur dass sich die diese Art der Malerei mit aufgezeigter Archi- Künstlerin selber als Kunstwerk inszenierte, tektur aus Fotografien oder selbst gemalter, sondern sich damit öffentlich und mutig als beziehungsweise erweiterter Architektur, hat die Schaffende von sich selber und den aus- der Künstler Piranesi. Er erstellte eine Serie gestellten Werken darstellen lässt. an Bildern, die er ‘Carceri d'Inventione’ Sie hängt mit ihrem Porträt als gleiches nennt, auf die sich von Wulffen stark bezieht. Kunstwerk neben den von ihr geschaffenen Deutlich werden die Bezüge, wenn man die Bildern. Wenige Künstler und vor allem Herangehensweise der Künstlerin mit Foto- Künstlerinnen sind so offen und stehen für grafien von aktuellen Architekturen sieht, die sich und ihre Kunstwerke sogar als eigenes sie mit anderen verbindet und so neue im Bildmedium ein. Bild schafft. Den wesentlichen Unterschied, Sieht man sich das Konzept der Ausstellung den sie für ihre Kunst beschreibt, ist der zeit- und der Art und Weise der ausgestellten genössische Kontext. Eine bewusste Ein- Werke an, sieht man eine ähnliche Parallele fachheit oder Schönheit liegt in den land- zu Fotografien, die der Größe und des Mo- schaftlich geprägten Bildern, die die Ruhe tivs nach übereinander oder auch nebenei- der Natur wiedergeben. Mit dem Konzept nander aufgehängt sind. Durch die jeweilige der Fotografie, also Bild im Bild, spielt die Platzierung der großen Bilder an den Künstlerin auch hier, ohne dass sie eine gro- ßenwänden bekommen die Bilder und auch ße Architektur oder einen surrealen Raum tatsächlich vorhandenen, bearbeiteten Foto- schafft, es wird mehr eine surreale Land- grafien eine eigene Wirkung auf den Be- schaft geschaffen, die aber durch die Natür- trachter, ohne überladen zu wirken. Die klei- lichkeit selber wieder real erscheint. neren Bilder hängen an einer Art Insel in der Da die Künstlerin sich aber nicht nur male- Raummitte, die mich persönlich an eine Fo- risch betätigt, zeichnet sie beispielsweise towand erinnert, an die man seine liebsten auch Collagen in Comic-Format, zumindest Erinnerungen oder Fotos aus dem Urlaub als solches erhältlich. Als Kunstwerk sind sie hängt. im TV als Film zu begutachten, ähnlich wie Insgesamt ist Amelie von Wulffen eine sehr ihr Kurzfilm, der mich durch die verwendete sehenswürdige Künstlerin, die ihre persönli36 Au- chen Aspekte in der Kunst mit der Architek- sucht und dass ihr das auch sehr gut gelin- tur und ihren Lebenserfahrungen und Erinne- gen kann! rungen verbindet, ohne aber einen 'Verarbei- Ich hoffe, ich konnte Sie neugierig auf die tenden Prozess' aus ihrer Jugend zu zeigen. nun bevorstehende Führung machen. Ich Vielmehr zeigt sie positive Erinnerungen auf, wünsche Ihnen viel Spaß, Inspiration und die sie mit einer Natürlichkeit und gleichzei- eine besinnliche Weihnachtszeit sowie einen tigen Abstraktheit verbindet, ohne unver- Guten Rutsch! ständlich für den Betrachter zu werden. Sie zeigt mir eine Welt, in der sie sich und das Carolin Schäfer © CB Werk anderer Menschen zu reflektieren ver- 37 o FÜHRUNG DURCH DIE AUSSTELLUNG o Ausstellungsdaten o Pinakothek der Moderne, München; 23.10.2015-21.02.2016; Raum 21 → erste umfängliche Retrospektive o Bernhart Schwenk (Kurator für Gegenwartskunst) o Amelie von Wulffen hat die Ausstellung selbst gehängt (Bau eines Architekturmodells) o lebt und arbeitet in Berlin; Atelier in Berlin-Weißensee eine der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen in Deutschland Allgemeines zu ihrer Kunst o vielseitig: - abwechslungsreiche Bilder (Stil, Motivund Materialwahl) - nicht auf Malerei beschränkt, unterschiedlichste Medien Collagen, figurative Malerei, Papier, Aquarelle, Großformate, Rauminstallationen, Mobiliar → eigene Ästhetik entwickelt überschreitet gerne Grenzen, vermischt, überrascht, provoziert o ‘malt sich durch die Kunstgeschichte’ – zitiert Sujets, konterkariert unterschiedlichste Malweisen → die Geschichte der Malerei wird zu einem vielschichtigen Fragment ihrer künstlerischen Arbeit o Thema: Identität und Erinnerung Leihgaben von: • Gió Marconi, Mailand • Galerie Meyer Kainer, Wien • Freedman Fitzpatrick, Los Angeles • verschiedenste Privatsammlungen: Sammlung Timmermans, Ulrich Sauerwein, u.a. Biografie o *1966 Breitenbrunn, Oberpfalz o 1987-94 Akademie der Bildenden Künste, München (Daniel Spoerri, Olaf Metzel) o 2006-2011 Kunstprofessorin, Akademie der Bildenden Künste, Wien Werkbeispiele o Foto-Index mit 22 Bildern, ältestes Werk der Ausstellung (1999), fotorealistisch → Interesse am Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie bereits ablesbar Collagen: - Kombination von Malerei und Fotografie (→ wurde mit diesen Bildcollagen bekannt) → Fotografie – eine Landschaft, eine Architektur, eine Situation – der Nukleus eines Gemäldes - Referenz zu Kerker Bilder von G. B. Pranesi ‘Caceri d’Invenzione’, echte Details von Architekturen in düstere surreale Welten verwandelt – Amelie von Wulffen nur mit zeitgenössischen Mitteln - Malerei dient der Verzerrung, perspektivische Verfremdung (Fortführen/Zerstörung von perspektivischen Linien → spielt mit Möglichkeiten der Dreidimensionalität, kombiniert Nah- und Fernsichten zu unmöglichen Perspekti- Awards o Villa Romana Preis, Florenz (2000) o ars viva Preis, Berlin (2002) Gruppenausstellungen o 50. Biennale, Venedig (2003) o Manifesta 5, San Sebastian (2004) u.a. Einzelausstellungen o Centre Pompidou, Paris (2005) o Greene Naftali Gallery, New York (2004, 2007, 2011) o Galerie Meyer Kainer, Wien (2006, 2013, 2015) o Freedman Fitzpatrick, Los Angeles (2015) u.a. Kataloge o This is how it happened (2011) o Am kühlen Tisch (2014) u.a. 38 ven, meist extreme Unteransichten (vgl. russische Avantgardisten, z.B. konstruktivistische Fotografien von Alexander Michailowitsch Rodtschenko) → Dekonstruktion von Wirklichkeit (Verbindung von realen Dingen/Räumen mit erfundenen, fiktiven = irreale Räume, Surrealismus), viele Dimensionen in einer Komposition - verarbeitet oft Träume und andere persönliche Erlebnisse - Foto dient zur ‘Stimulation des Gedächtnis’, dem Eintauchen in ‘Wulffens Erinnerungsspeicher‘ → Rekonstruktion von Einflüssen, die Suche nach Bildern, die sie geprägt haben (biografische Recherchen) → nähert sich der geschauten Wirklichkeit fragmentarisch an die Collagen bezeugen Orte/Erinnerungen aus der Vergangenheit der Künstlerin → sind gleichzeitig aber auch Träger von Zeitgeist/kollektiver Geschichte Zugabteil (2007): Perspektivlinien werden nicht weitergeführt, Schwarzweißfotografie vor abstraktem Hintergrund (grau, rot, rosa) - fotografische Überblendungen: Mehrfachbelichtungen als logische Weiterentwicklung der Collagen, ähnliches Prinzip, spielt sich nur innerhalb der Kamera ab - Hängung: 24 ihrer Collagen, diverse Formate, raumhohes Panorama, ‘Insel der Erinnerung/Identität’ • o Selbstporträts: Zeichnungen (2009-2011), Ölbilder (2014) - Frage nach der eigenen Identität (Wie finde ich mich selbst?), Selbstreflexion, Selbstbehauptung → keine Selbstbeweihräucherung, Thema der Kindheit kommt zurück - Zeichnungen sehr lebendig - unterschiedliche Repräsentationen des Selbst • - Wandtext in der Pinakothek der Moderne: ‘[…] eigentümliche Zeitschichtungen und hybride Räume. In ihnen spiegeln sich die ästhetischen Widersprüche, die Deutschland nach dem 2. Weltkrieg prägten: ein bürgerlicher Wohngeschmack, der die Abgründe der Vergangenheit vergessen machen und Kontinuität vermitteln sollte, eine Jugend- und Popkultur, die sich mit neuen Stilen davon absetzen wollte, Avantgardedesign und Souvenirkitsch.’ • Schwimmbad (2000): verkanteter Raum dieser Collage ist aus Fotos zusammengesetzt, deren Perspektivlinien von der Künstlerin unrealistisch weitergemalt wurden, Farbwahl sehr düster, Schwimmbad im ‘Untergrund’; Thema Wasser, Qualität Wassermalerei (Impressionismus) • Dürer-Reproduktion: politische Ebene, Silhouette Nürnberg, Verunklärung des Raums (Nürnberger Prozesse, Eduard Zimmermann, Aktenzeichen XY) o 39 Bavarian pleasures (2014): Bauernstube, dunkel, braun, mehrere solche Bilder in Arbeit, inspiriert von Tiroler Genremaler Franz Defregger, Gefühl: in Behaglichkeit beinahe zu ersticken Gemüseaquarelle ‘This is how it happened’ (2011): - Titel aus Goyas Grafikserie ‘Schrecken des Krieges’ zitiert → Hommage an den Künstler - Zeichnungen: mit Kugelschreiber oder Feder/Tusche gezeichnet und mit Aquarell ausgemalt (erinnert vom Malstil an Kinderbücher; Kinderbuchflair täuscht: SM-Spiele, Vergewaltigung, Schändung) - Weingläser, Tortenstücke, Eiswaffeln, Brezeln und auch diverses Gemüse und Obst werden anthropomorphisiert und zu Protagonisten verschiedenster Geschichten; verkörpern ganz spezielle Charaktere und sind in meist alltagsnahen, zum Teil geradezu grotesken Szenarien verwickelt - Inhalt: eine süße Erdbeere kuschelt sich an eine dicke Birne; eine Kartoffel schimpft Trauben aus; eine Karotte, Pilze und eine Zwiebel debattieren u.a. o o Video-Comic ‘Am kühlen Tisch’ (2014): - Comic, als Film in Bildsequenzen gezeigt - karikaturartige Bleistiftzeichnungen von skurrilen Situationen und Träumen, Amelie von Wulffen selbst in der Hauptrolle, satirische Episoden, surreale Geschichten - ‘schildert scheinbar wahre Erfahrungen aus ihrem Leben und fungiert als Parodie auf ihre Existenz als zeitgenössische, weibliche, etablierte Künstlerin der mittleren Generation’, die verschiedenen Kapitel des Comics gewähren ebenso humorvolle wie auch beunruhigende Einblicke in Gefühlswelten wie Frustration, Angst, Unsicherheit und Eifersucht und bilden damit eine psychologische Tour de Force durch das Dasein des zeitgenössischen Künstlers → Selbstkritik am System - Inhalt: Treffen mit Goya, lange Gespräche mit ihm (treuer Begleiter); zu dick, um auf die Documenta eingeladen zu werden; Künstlerin, die nicht am Tisch der Coolen sitzt; bricht einer Kollegin das Genick u.a. tenszenerie, der Himmel rot schimmernd, auf dem Wasser treiben Segelboote, im Vordergrund posiert übergroß Max Beckmann mit blauem Jackett und Zigarre im Mund (berühmtes Selbstporträt), in der Schulter Bildnis von Amelie von Wulffen Ölgemälde - Collagen bis 2011 ‘ausgereizt’, danach viele Werke in Ölfarbe, Aussage von Amelie von Wulffen: ‘knöcheltief in Ölfarbe versunken’ - kunstgeschichtliche Referenzen: Romantik, Impressionismus, Expressionismus; Francisco de Goya, Gustave Caillebotte, Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Max Beckmann u.a. → Künstlerbildnisse im Zentrum des Bildprogramms - was früher hineingeklebt wurde, wird nun hineingemalt - vorherrschendes Format: 140 x 200 cm • Amorphes Monster, klavierspielend (2011): krakenartig, bespielt mit seinen Tentakeln die Tasten eines Klaviers, dünner Farbauftrag (Wasserfarbe auf Leinwand), farbstark, fast abstrakt, komplexe seelische Komponente • Porträt Max Beckmann vor Seelandschaft (2013): impressionistische Küs- o • Häuser am Wasser (2014): gut durchgearbeitete abstrakte Farbflächen und einen Ausschnitt mit zwei Gebäuden an einem See und viel blauem Himmel (vgl. Gustave Caillebotte), darüber zwei Zitronen, die freien Farbflächen im Wechsel von Pastos und Lasur sind überzeugend gelöst • tote Hasen (2013): tote Hasen (Tierstillleben Goyas, Grausamkeit der Menschen, Kriege), in starkfarbiger Aureole dargestellt (Huldigung, Anerkennung Goyas), flächiger Hintergrund, Aureole bestehend aus Formen, die an orientalische Säbel erinnern • Landschaften mit Pferdekopf (2015): Pferdekopf auf idyllischer Seelandschaft nimmt den gesamten Vordergrund des Gemäldes ein (Zitat: Adolph von Menzel) • Landschaft mit Blumbouquet (2014): ähnliche Landschaft, erinnert an niederländische Stillleben Mobiliar • 40 Sofas (2008): Konstruktion von Lucio Auri (Künstlerkollege), aus groben Holzteilen zusammengesetzt, Bemalung und textile Gestaltung von Amelie von Wulffen (Lüftlmalerei entlehnter Dekor = aufwendig illusionistische Fassadengestaltung, vor allem in Bayern zu finden), farbig marmorierter Bezug, ausziehbare Ablagen enthüllen Veduten (Dachbodenfundstücke aus dem Elternhaus; Darstellung Pariser Oper und Dorflandschaft in Tschechien, Schweissing) aus Notwendigkeit entstanden, für das Anschauen der Videos in Ausstellun- gen, bequeme Fernsehsituation, Sitzmöglichkeiten sollten zu Wandbildern passen → Zitat Amelie von Wulffen: ‘Ich finde, die Sofas tragen dazu bei, aus dem Ausstellungsraum einen fiktiven Raum zu machen, ein neues Bild, sie sehen aus, als ob sie aus einer Kultur kommen, die es nicht gibt.’ Stühle (2013-2015): bemalte Lehnen und Sitzflächen, geben u.a. Porträts von Gauguin, van Gogh und Goya wieder, Bildzitate → ‘Hinweis, sich selbst immer wieder neu als lernendes Wesen zu begreifen – im Bereich der Kunst ebenso wie im sozialen Miteinander Installation • Spinnennetz: aus schwarzer Wolle, in einer Ecke platziert • Tonplastiken: Schmetterlinge und andere Insekten ‘kümmern’ unter diesem Netz, in sich gekehrt (Selbstreflexion), entstanden 2015 (Freedman Fitzpatrick, lagen faul in der Galerie herum oder standen erwartungsvoll am Fenster, ‘weil sie rauswollten aus dem White Cube’) - Sehnsucht, woanders zu sein und weiterzukommen → Amelie von Wulffen zielstrebig, Installation spiegelt somit ihre Persönlichkeit wider. Stephanie Holzer © CB • o 41 Lesetipps und Quellen -De Righi, Roberta: Eine Werkschau der Künstlerin Amelie von Wulffen [29.10.2015], in: Abendzeitung, http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.pinakothek-der-moderne-eine-werkschau-der-kuenstlerin-amelie-vonwulffen.af9a7958-b61f-43be-8b1f-8a4e08ad31ef.html (16.12.2015) -De Righi, Roberta: Irritation in der gutbürgerlichen Idylle [09.12.2015], in: Artline, http://magazin.artline.org/815-irritation-inder-gutbuergerlichen-idylle (16.12.2015) -Erhard, Annegret: Werkschau in der Pinakothek München. Befragende Übermalungen [03.11.2015], in: taz. die Tageszeitung, http://www.taz.de/!5244160/ (16.12.2015) -Harte, Johan Frederik: Flächen (Amelie von Wulffen), in: Harte, Johan Frederik: Der geöffnete Raum, zur Politik der ästhetischen Form, München 2006, S.210-213 -Hinrichsen, Jens: Porträt. Amelie von Wulffen, in: Monopol. Magazin für Kunst und Leben 10 (2015), S. 52-60 -Husslein-Arco, Agnes (Hrsg.): Form und Grund, Wien 2008 -Ignatowitsch, Julian: Retrospektive Amelie von Wulffen. Meist verwirrend, manchmal verstörend, mitunter lustig, Deutschlandfunk [26.10.15], http://www.deutschlandfunk.de/retrospektive-amelie-von-wulffen-meist-verwirrendmanchmal.691.de.html?dram:article_id=335095 (16.12.2015) -Kat. Ausst. Amelie von Wulffen, Basel, Kunstmuseum Basel. Museum für Gegenwartskunst 2005, Ostfildern-Ruit 2005 -Kleefeld, Stefanie: Goya, mon amour [28.04.2015], in: Texte zur Kunst, https://www.textezurkunst.de/articles/goya-monamour-stefanie-kleefeld-amelie-v-wulffen/ (16.12.2015) -Marquard, Gerhard: Retrospektive Amelie von Wulffen. Erfinderin geheimnisvoller Bildorte [01.12.2015], in: Focus Online, http://www.focus.de/wissen/experten/gerhard_marquard/amelie-von-wulffen-retrospektive-in-der-pinakothek-der-moderne-inmuenchen_id_5114560.html (16.12.2015) -McLean-Ferris, Laura: Tutti Frutti [05.2014], in: Frieze, http://frieze-magazin.de/archiv/features/tutti-frutti/ (16.12.2015) -http://www.portikus.de/de/exhibitions/186_am_kuehlen_tisch (16.12.2015) -https://www.youtube.com/watch?v=bIbuphMrLyI (16.12.2015) 42 WERKBEISPIELE DER KÜNSTLERIN Schwimmbad, Collage, 2000 Zugabteil, Collage, 2007 Untitled (the lowest point of my childhood), 2014, Oil on Canvas, 40 x 50 cm Selbstporträt Untiltled (Bavarian pleasures), 2014, Oil on Canvas, 40 x 50 cm 43 PRESSESPIEGEL (AUSWAHL) 44 BESUCH IM BOTANIKUM © VZ © VZ ‘Zwischen Palmen und Blumen ist die Landart zuhause‘ (Seminarteilnehmer) ‘Landart im Gewächshaus – Ideen gezüchtet‘ (Seminarteilnehmerin) © VZ 45 ATELIERBESUCH BEI JULIA ZIEGELMAIER Die Künstlerin im Gespräch mit Kevin Schumacher © CB Die Bildflächen der FarbfeldmalereiKünstlerin Julia Ziegelmaier erhalten durch horizontal verlaufende Farbspuren eine strukturierende Ordnung, die Überlagerungen mit einzelnen Vertikalen erfahren. Das Zusammenspiel von Licht und Farbe und auch das Wechselspiel zwischen Tiefe und Transparenz erhalten in der Malerei der Künstlerin höchste Priorität. Eine große Rolle in ihrer Kunst spielen auch ihre Eindrücke aus Asien, insbesondere aus Indien. ihr das Medium Farbe. Weiter fand sie es schwierig Kunst aus Zeichnungen zu machen und wollte nicht zu sehr am Objekt verhaftet bleiben. Durch ihren irischen Lehrer in der Malklasse, Sean Scully, fand sie endgültig zur abstrakten Malerei. Beide verwenden in vielen ihrer Werke horizontale und vertikale Flächen als Grundformen aus denen sie ihre Bilder 'bauen'. 2007 beendete sie ihr Studium als Meisterschülerin. 2005 erhielt die Künstlerin den Sonderpreis des Indien Instituts München für Junge Malerei und 2008-2010 den Bayerischen Atelierförderpreis. Sie stellte in München, Indien und Ungarn aus. Beispiele für ihre Ausstellungen sind unter anderem 'Del_Muc’ in der Galerie Müller und Plate in München 2008, 'Spatial Illusions’ im Kunstverein Köz Pécs in Ungarn 2009, 2011 'Ruck Zuck’ in der Galerie Seiler in München, 2012 'UnitedArtFair’ in New Delhi in Indien, 2013 'Caligari’ in der Galerie Seiler in München sowie jüngst 2015 Der Weg zur Farbfeldmalerei Am Anfang des Gesprächs skizzierte die Künstlerin auf Wunsch kurz ihren beruflichen Werdegang: Die 1974 in München geborene Künstlerin begann ab 2002 ein Studium der freien Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo sie zunächst die Zeichenklasse besuchte. Das Zeichnen machte ihr viel Spaß und sie fand die entstandenen Arbeiten sehr lebendig. Allerdings fehlte 46 'Old Pond. Frog Jumps. Splash!’ in der Galerie Karin Wimmer contemporary art in München 2015. Reicher Erfahrungsschatz schiedenen Materialien mit ders, dass sich verschiedenste Schwarzwerte erzielen lassen. Dadurch, dass sie mit verschiedenen Materialien arbeitet, die unterschiedlich schnell trocknen (Öl trocknet langsam, Tusche und Wachs trocknen schnell) arbeitet die Künstlerin oft an mehreren Werken, bis zu 10 gleichzeitig. Sie findet es auch für sich vorteilhaft, an mehreren Werken gleichzeitig zu arbeiten, um sich nicht selbst zu blockieren. ver- Ziegelmaiers Werk zeichnet sich durch große Erfahrung mit verschiedenen Farben, wie wasser-, wachs- oder ölgebundenen Farben aus. Häufig ist in ihren Arbeiten ein Nebeneinander von verschiedenen Techniken wie z.B. Tusche und wachsgebundenen Farben zu erkennen. Sie erzählte, dass sie gerne die Technik der Enkaustik anwendet, eine Technik die bereits bei alten Mumienportraits vorkommt und die Jasper Johns in seinen 'Flags' und 'Targets' auch bereits angewendet hatte. Anhand einer Arbeit veranschaulichte sie uns den Unterschied zwischen einer wachs- und ölgebundenen Fläche. Ziegelmaier sagt, dass sie immer eine Verbindung zwischen Alt und Neu herzustellen versucht. So findet Julia Ziegelmaier sowohl die alten Meister, als auch die klassische Moderne interessant. Ebenso wie die alten Meister stellt sie die Farben zum Teil selbst her und schafft so den Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie bewundert die alte Technik, sucht aber auch nach neuen, innovativen Lösungen. Für ihre selbstgemachten Farben hat sie schon viele Pigmente durchprobiert, unter anderem Kupferblau oder synthetisch hergestellter Grünspan. Diese verhalten sich teilweise ganz anders als fertige, gekaufte Farben. Einige der von der Künstlerin verwendeten Pigmente sind als gesundheitsschädlich einzustufen. Diesbezüglich erwähnte die Künstlerin auch die Feinheit der modernen Pigmente, die aufgrund ihrer Beschaffenheit leicht eingeatmet werden können. Diese Pigmente sind heutzutage nicht mehr in erster Linie für das Auftragen mit dem Pinsel gedacht, sondern werden meist gesprayt, beziehungsweise maschinell aufgetragen. Die Künstlerin erklärte uns auch, dass die fein angerührten Pigmente mit Öl nur lasierende Schichten ergeben. Für dickere Schichten müssen laut Ziegelmaier Füllstoffe hinzugefügt werden, was ihrer Erfahrung nach den Farben ihre Brillianz nimmt. Dies ist einer der Gründe, warum die Künstlerin gerne auf selbst gemachte oder ältere Farben zurückgreift. An der japanischen Tusche, die sich im Gegensatz zur deutschen Tusche abwaschen oder wieder anlösen lässt, schätzt sie beson- Inhalt und geistige Ebene Viele der Arbeiten von Ziegelmaier haben eine geistige Ebene oder eine tiefere Bedeutung – inspiriert durch ihre zahlreichen Reisen nach Indien/Asien befasste sie sich vor Ort eingehend mit dem Zen Buddhismus und der Philosophie Schopenhauers. Beiden gemeinsam ist, dass sie sich in ähnlicher Weise mit den mythischen Wahrheiten über die höchste Realität befassen. Nach ihrer zeichnerischen Phase entstanden sehr farbige Arbeiten, in denen sie ihre Emotionen der bunten Landschaftseindrücke Indiens verarbeitete. Von diesem sehr direkten Weg ist die Künstlerin nach eigenen Angaben im Laufe ihrer künstlerischen Entwicklung etwas abgekommen. Nach wie vor haben ihre Bilder, die entfernt an Landschaften erinnern und als Konglomerate ihrer Stimmungen, Emotionen, Sinneseindrücke und spirituellen Erfahrungen gesehen werden können, eine tiefere Bedeutung. Die Künstlerin ist bestrebt, fernöstliche Licht- und Farbeindrücke, Materialien und Inhaltlichkeit mit den europäischen zu kom47 binieren und zu verbinden. Als Beispiel kann hier die Verwendung von japanischer und europäischer Tusche angesehen werden. Dabei will sie keinesfalls Religiöses ‘strapazieren‘. Die Bilder sollen nicht nur gut aussehen, sie sollen vermitteln. verfolgt wird oder unter Wahnvorstellungen leidet. In ihrer Serie 'Caligari' greift Ziegelmaier dieses Spiel mit der Realität auf. Dies wird auch insbesondere durch die Oberflächenbearbeitung der Bilder wie zum Beispiel durch das Ritzen in die Holzfläche deutlich. Vielleicht ist die Realität anders, als sie uns erscheint beziehungsweise ändert sie sich, je nachdem, in welchem Licht wir sie betrachten? So experimentiert die Künstlerin in diesen Bildern auch mit verschiedenen (schrägen) Lichtsituationen, wie sich Licht in der Malerei mit quasi Nichtfarben umsetzen lässt. Die Bilder erinnern entfernt an die frühen abstrakten Arbeiten von Fritz Winter mit ihren kristallisch- prismatischen Bildkompositionen, die das Gestalten aus der Dunkelheit, ein Aufleuchten von Licht zum Thema hatten. Diese nicht auf den ersten Blick sichtbare Inhaltlichkeit der Bilder lässt sich anhand ihrer letzten Ausstellung 'Old Pond. Frog Jumps. Splash!’ in der Galerie Karin Wimmer erörtern. Bei dem Titel der Ausstellung handelt es sich um eine englische Übersetzung eines berühmten japanischen Gedichts von Matsuo Bashō, das cirka 1680 entstanden ist. Eine zunächst ruhige, vielleicht etwas moosige Wasseroberfläche erfährt eine abrupte Veränderung als ein Frosch ins Wasser springt. Dadurch bekommt sie etwas Frisches, Heiteres. Was Julia Ziegelmaier besonders daran fasziniert ist, dass diese Änderung in der Betrachtungsweise durchaus auf Malerei sowie Kunst im Allgemeinen übertragbar ist. Allerdings nimmt die Künstlerin auch noch auf eine andere Weise direkten Bezug auf das Gedicht. Einerseits weisen viele der Werke dieser Ausstellung Farbspritzer auf und andererseits erinnern die verwendeten Farben der Werke an die moosig verwitterte Oberfläche der Haiku- (Gedichts-)steine, in die unter anderem auch dieses Gedicht gemeißelt wurde. Formatwahl und Titelfindung Julia Ziegelmaier wählt die Formate ihrer Bilder sehr bewusst. Viele kleinere Formate, die auch manchmal direkt vor Ort entstehen, überträgt sie allerdings nicht auf einen größeren Untergrund, da ihrer Meinung nach meist die Lebendigkeit und Intimität des kleinformatigen Werkes verloren geht. Da sie ihre Werke häufig auch am Boden bearbeitet, sind für sie Formate bis circa 2 x 1,60 Meter noch einigermaßen bequem ausführbar. Vielleicht erscheinen die Werke auch durch diese Arbeitsweise so harmonisch, da sie die Künstlerin beim Entstehungsprozess aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann. Der Titel muss zum Werk passen; einerseits eröffnet Ziegelmaier dadurch ganz bewusst dem Besucher Einblicke in ihre eigene, ganz persönliche Erlebniswelt. Der Künstlerin ist aber sehr wichtig, den Zugang zu ihren Bildern offen zu gestalten, damit im Betrachter auch eigene Assoziationen aufkommen können. Sie will den Betrachter keinesfalls einschränken oder ihm einen bestimmten Zugang zu ihren Werken aufzwingen. Früheren Werken gab sie auch Ortsnamen, wie zum Beispiel dem Werk 'Varanasi', in Spiel mit der Realität Das Spiel mit verschiedenen Realitäten hat die Künstlerin in ihrer Schwarz/Weiss Serie 'Caligari', basierend auf einem bekannten deutsch impressionistischen Stummfilm aus dem Jahr 1920 aufgegriffen. Der Film handelt von einem Mann, der sich verfolgt und dadurch bedroht fühlt. Allerdings stellt sich später heraus, dass sich der Mann in einer Nervenheilanstalt befindet und es sich bei dem vermeintlichen Verfolger um den unheimlichen Direktor der Anstalt handelt. Der Betrachter des Films wird also darüber im Unklaren gelassen, ob der Mann tatsächlich 48 dem sie ihre Eindrücke in der indischen Stadt Varanasi (Benares) verarbeitet hat. Diese waagrecht strömende Enkaustik stellt das Fließen des Ganges dar und zeugt in ihrer Buntfarbigkeit von den farbigen Eindrücken, die die Künstlerin dort erlebte. In ihren späteren Werken ist die Künstlerin mehr und mehr davon abgekommen, ihren Werken Ortsnamen zu geben, um dem Betrachter Raum für eigene Ideen und Interpretationen zu geben. Als Beispiele für einen gelungen Titel für eines ihrer Werke nannte sie unter anderem 'Feuerfliege', da er gut zu dem in grün und rot gehaltenen Bild passt, gleichzeitig aber offen genug gehalten ist und eine subtile Anspielung auf die eigentliche Thematik des Bildes gibt, die Feuerfliege ist nämlich eine Yoga-Übung. Neben den genannten betrachteten Werken gab die Künstlerin unserer Gruppe die Möglichkeit, zwei Arbeiten, an denen sie aktuell arbeitet, zu betrachten. Daniela Muigg-Dauw 49 50 © CB © CB © CB IMPRESSUM SEMINARTEILNEHMER_INNEN Franziska Adams, Kevin Schumacher, Mira Pirchtner, Jennifer Gaschler, Konstantin Pfannmüller, Jamie Fischer, Daniela Muigg-Dauw, Stephanie Holzer, Volha Zwingmann (bald Karankevich-Koch), Nora Köpp, Clarissa Bluhm, Olga Rontogianni-Günther, Luca Daberto, Carolin Schäfer, Laura Böttger, Sandra Olivieri und Julia Bergmann REDAKTIO N Jessica Petraccaro-Goertsches Hui Luan Tran (Lektorat) Jennifer Gaschler (Layout und Lektorat) Clarissa Bluhm (Lektorat) Jamie Fischer (Kartenansicht und Pressespiegel) FO TO GRAFINNEN CB = Clarissa Bluhm FA = Franziska Adams GEDOK = GEDOK München (Facebook-Seite) JG = Jennifer Gaschler JPG = Jessica Petraccaro-Goertsches VDLP = van de Loo Projekte (Facebook-Seite) VZ = Volha Zwingmann (bald Karankevich-Koch) REC HTLIC HE HINWEISE Alle Rechte verbleiben bei den Autorinnen und Fotografinnen; alle veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede vom Urheberrechtsgesetz nicht zugelassene Verwertung bedarf vorheriger schriftlicher Zustimmung. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Einspeicherung, Verarbeitung bzw. Wiedergabe von Inhalten in Datenbanken oder anderen elektronischen Medien und Systemen. Kopien und Downloads dürfen nur für den persönlichen, privaten und nicht kommerziellen Gebrauch hergestellt werden. Alle genannten Personen widersprechen hiermit jeder kommerziellen Verwendung und Weitergabe ihrer Daten (vgl. §28 BDSG). ZITATIO N DIESER LO SEBLATTSAMMLUNG Jessica Petraccaro-Goertsches (Hrsg.), Werkstattgespräche. Zu Gast in Ateliers und Galerien, Loseblattsammlung, München, Stand Februar 2016. 51