Theaterpädagogische Materialien

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Theaterpädagogische Materialien
Theaterpädagogische Materialien
Premiere 16. Oktober 2010
Stückdauer ca. 80 Minuten
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Herzlich Willkommen im Westfälischen Landestheater
Wir freuen uns über Ihr Interesse an „Andorra“.
Das theaterpädagogische Begleitmaterial bietet Ihnen Anregungen und Hintergründe für die
Auseinandersetzung Ihrer SchülerInnen mit unserer Inszenierung. Mit Spielvorschlägen aus
Darstellendem Spiel wird ein alternativer Zugang zum Stoff ermöglicht. Auf spielerischer
Ebene können Sie und Ihre Klasse „Bekanntschaft“ mit den Figuren des Stückes, deren
Handlungsmotivationen, Gedanken und Gefühle machen.
Wenn Sie einen Vorstellungsbesuch gern durch eine unserer Theaterpädagoginnen vorbereiten
oder nachbereiten lassen möchten, zögern Sie nicht anzurufen oder eine
E-Mail zu senden.
Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung
und grüße Sie herzlich
Westfälisches Landestheater e.V.
Theaterpädagogik
Europaplatz 10
44575 Castrop-Rauxel
Tel.: 02305 – 978056
E-Mail: kleine-onnebrink@westfaelisches-landestheater.de
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Inhaltsverzeichnis
Seiten
Besetzung…………………………………….…………………………………………………………………………………....... S.4
Einführungsvortrag Andorra………………………………….………………………………………….……………..... S.6
Drei Fragen an Dieter Teßmann (Bühnenbild).............................................................
S.9
Drei Fragen an Axel Prochnow (Regieassistenz)...............................................................
S.10
Max Frisch: Du sollst Dir kein Bildnis machen…………..…………………………………………………….
S.12
Bertolt Brecht: Über das Anfertigen von Bildnissen.........................................................
S.13
Mobbing in der Schule...................……………………………………………………………….…………………….. S.14
Max Frisch: Stiller.................................................................................................................. S.19
Kevin Brooks: Lucas............................................................................................................... S.20
Nachbereitung - Anregungen für die Spielleiter................……………………............…............
S.22
Quellen, Service, Impressum………………............................................………………......…...…...... S.29
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Besetzung
Andri..........................................................................................................................Patrick Bartsch
Barblin......................................................................................................................Caroline Knebel
Der Lehrer....................................................................................................................Markus Satler
Die Wirtin, Die Mutter.................................................................................................Gerrit Pleuger
Die Señora.....................................................................................................................Denise Elsen
Der Pater, Der Geselle, Der Jemand........................................................................Alexander Leder
Der Soldat, Der Tischler, Der Doktor........................................................................Stefan Leonard
Inszenierung.............................................................................................................Tatjana Fernau
Ausstattung..........................................................................................................Dietmar Teßmann
Dramaturgie und Abendspielleitung.....................................................................Sabrina Ullrich
Regieassistenz..........................................................................................................Axel Prochnow
Theaterpädagogik.....................................................................................Katrin Kleine-Onnebrink
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(v.l.n.r.: Stefan Leonard, Alexander Leder, Patrick Bartsch)
Einführungsvortrag Andorra
Guten Abend meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie zu unserer Produktion von Max Frischs Andorra.
Ich werde zunächst etwas über den Autor und die Entstehung des Stücks sagen. Anschließend
werde ich auf die Besonderheiten unserer Inszenierung eingehen.
Max Frisch wurde 1911 in Zürich geboren und starb dort 1991, mitten in seinen
Vorbereitungen zu seinem 80. Geburtstag. So feiern wir dieses Jahr den 100. Jahrestag des
Schweizer Schriftstellers und Architekten.
Frisch studierte zwar zuerst Germanistik, dann aber Architektur, nachdem sein Vater
verstorben war, der auch als Baumeister gearbeitet hatte. 1937 ließ Frisch nach seinem
zweiten Roman „Antwort aus der Stille“ sogar die Berufsbezeichnung „Schriftsteller“ aus
seinem Pass löschen und betrieb von 1944-55 ein eigenes Architekturbüro gemeinsam mit
seiner Frau. Mit seinem Entwurf für das Freibad Letzigraben gewann er einen Architekturwettbewerb der Stadt Zürich. Der einzige größere Bau Frischs wurde 2006 weitgehend in seinen
Originalzustand gebracht und steht heute unter Denkmalschutz.
Trotz Familie und Architekturbüro brach Frischs literarisches Schaffen nie ganz ab: Der
Direktor des Züricher Schauspielhauses, Kurt Hirschfeld, ermutigte Frisch zu seinen ersten
Theaterarbeiten. Die Zusammenarbeit mit Hirschfeld ermöglichte Frisch Bekanntschaften mit
Friedrich Dürrenmatt und Bert Brecht, die ihn in seinen literarischen Ambitionen bestärkten.
Durch das freundschaftliche Verhältnis zu Peter Suhrkamp erschien 1950 im neu gegründeten
Suhrkamp Verlag Frischs „Tagebuch 1946-49“, eine Sammlung aus Reiseberichten,
Prosaskizzen und Essays. Als 1954 sein Roman „Stiller“ veröffentlicht wurde, begann für
Frisch eine neue Phase des Schaffens: Er trennte sich von seiner Familie, gab das
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Architekturbüro auf und widmete sich ganz dem Schreiben als freier Schriftsteller. Es folgten
der Roman „Homo faber“ und nach dem Theaterstück „Biedermann und Brandstifter“
schließlich „Andorra“.
Das Drama Andorra:
Das Drama Andorra hatte Frisch bereits in seinem „Tagebuch“ skizziert.
Im Programmheft der Uraufführung schrieb er dazu:
„Die Fabel. Sie ist erfunden und ich erinnere mich in diesem Fall sogar, wann und wo sie mir
eingefallen ist: 1946, im Café de la Terrasse, Zürich, vormittags. Geschrieben als Prosaskizze,
veröffentlicht im „Tagebuch 1946-1949“, betitelt „Der andorranische Jude““. Frisch schrieb
diese Parabel nach einer Rundreise durchs zerstörte Deutschland, weist aber ausdrücklich
darauf hin, dass es sich dabei nur um ein Muster handelt, das allgemein gültig für das
menschliche Verhalten sei. Das Thema des Andersseins hätte man damals eben gut am
Beispiel des Juden verdeutlichen können. Dabei gibt es viele Leute, die Zeichen der
Verschiedenheit tragen, die Gesellschaft aber in Kategorien und Stereotypen denkt. Dennoch
bewegte sich der Entwurf zu „Andorra“ 1946 zwischen zeitgeschichtlicher Genauigkeit und
Fiktion.
Über zehn Jahre später nahm Frisch „seinen“ Stoff wieder auf und begann 1958 mit der
Ausarbeitung des Stücks. Im Programmheft der Uraufführung sagte er dazu:
„1957, als das Zürcher Schauspielhaus zur Feier seines zwanzigjährigen Bestehens sich nach
neuen Stücken umsah, schien mir das Thema für den Anlass geeignet. (…) Unmittelbar darauf
begann die Arbeit am neuen Stück, zufällig auf Ibiza; daher die weißen kahlen Kulissen. Die
erste Fassung befriedigte mich nicht, aber das Stück war schon angezeigt; es folgte eine
zweite Fassung, eine dritte, dann Rückzug des Stückes, um frei zu werden für andere Arbeiten.
Inzwischen war das Jubiläum des Zürcher Schauspielhauses vorbei.“
Nach sieben Wochen in Rom brachte Frisch im Dezember 1960 das Stück zum Abschluss,
bevor es Ende 1961 dann zur Uraufführung kam. In den 1960er Jahren übernahm die
Institution des Theaters die Aufgabe der Vergangenheitsbewältigung. Das Publikum war zu
dieser Zeit besonders sensibilisiert durch die Strafprozesse des SS-Obersturmbannführer Adolf
Eichmann. Dieser beteuerte als Befehlsempfänger immer wieder seine Unschuld, wie auch die
Andorraner in ihren Monologen. Frisch verdeutlichte in einem Brief an den Suhrkamp Verlag,
dass es ihm nicht um die Thematisierung von Hauptverbrechern ginge, sondern um Menschen
wie du und ich, die in eine Mitschuld glitten:
„Das Stück handelt nicht von den Eichmanns, sondern von uns und unseren Freunden, von
lauter Nichtkriegsverbrechern, von Halbspaß-Antisemiten, d.h. von Millionen, die es möglich
machten, dass Hitler nicht hat Maler werden müssen. Die Andorraner (…) werden nie einen Jud
abschlachten. (…) Ein Steinwurf, mag sein, das kommt in der besten Gemeinde einmal vor. (…)
Für mich, wenn ich das sagen darf, gehört es zum Wesentlichen des Einfalls, dass die
Andorraner ihren Jud nicht töten, sie machen ihn nur zum Jud in einer Welt, wo das ein
Todesurteil ist.“
Nach der Uraufführung hat Frisch „Andorra“ noch einmal überarbeitet. Er verbrachte fast sein
halbes Künstlerleben damit, diesen Stoff auszuarbeiten, bis er damit zufrieden war. In einem
Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ stellte er 1961 den Kern der Schuldfrage heraus:
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„Die Quintessenz: die Schuldigen sind sich keiner Schuld bewusst, werden nicht bestraft, sie
haben nichts Kriminelles getan. Ich möchte keinen Hoffnungsstrahl am Ende, ich möchte
vielmehr mit diesem Schrecken, ich möchte mit diesem Schrei enden, wie skandalös
Menschen mit Menschen umgehen. Die Schuldigen sitzen ja im Parkett. Sie, die sagen, dass sie
es nicht gewollt haben. Sie, die schuldig wurden, sich aber nicht mitschuldig fühlen. Sie sollen
erschrecken, sie sollen, wenn sie das Stück gesehen haben, nachts wach liegen. Die Mitschuldigen sind überall.“
Unsere Produktion:
So ist auch in unserer Produktion „Andorra“ nicht auf den Antisemitismus reduziert. Vielmehr
geht es um Ausgrenzung und ums Anderssein. Mobbing zieht sich durch alle Alters- und
Gesellschaftsklassen. Der Andere, der Ausgegrenzte ist eben nicht nur der Jude, das kann jeder
sein.
Als „Mobbing“ bezeichnete übrigens der Verhaltensforscher Konrad Lorenz Gruppenangriffe
von Tieren gegenüber Fressfeinden oder anderen überlegenden Gegnern, z.B. von Gänsen auf
einen Fuchs. 1969 verwendete der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann diesen Begriff für
das Phänomen, dass Gruppen eine sich von der Norm abweichende Person attackieren.
Bühne:
Auch das moderne Bühnenbild zeigt eine Häuserfassade, die es in jeder Stadt so geben
könnte. Nur der Tatort des Geschehens hat sich von Frischs Vorlage einer Wirtschaft zum
Charme einer ruhrpotttypischen Trinkhalle verlagert.
Die Hauptfigur wird in einem sozialen Umfeld gezeigt, welches ihn zum Außenseiter macht.
Die Interaktion mit der Umwelt verformt ihn schließlich so, dass Andri seine Andersartigkeit
schließlich annimmt, also so zu sein, wie ihn die anderen Andorraner sehen wollen. Niemand
scheint die Individualität des Jungen zu erkennen oder zu akzeptieren. Andri schafft es am
Ende nicht, sich von der ihm zugeschriebenen Rolle zu emanzipieren und nach seinem Ich zu
leben.
So begegnen auch wir jeden Tag Fremdbildern in einer Gesellschaft, die ein ständiges
Anpassen an die Erwartungen anderer fordert. Und können uns bisweilen ebenso wenig davon
frei machen, Bildnisse zu produzieren und in Kategorien zu denken, die leichter zu ordnen
sind als einzelne Menschen.
„Das ist kein Aberglaube, o nein, (…) ihr Blick genügt, plötzlich bist du so, wie sie sagen. Das
ist das Böse. Alle haben es in sich, keiner will es haben, und wo soll das hin?“ Andri/Andorra
Und nun begleiten Sie uns an einen Ort der überall und nirgends sein könnte. Viel Vergnügen
in Andorra.
(Sabrina Ullrich, Dramaturgin)
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(v.l.n.r.: Patrick Bartsch, Caroline Knebel, Markus Satler, Gerrit Pleuger)
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Drei Fragen an Dietmar Teßmann (Bühnenbild)
Wie ist der Entwurf/die Idee zu dem Bühnenbild entstanden?
Die Idee zu dem Bühnenbild kam in einem Gespräch mit der Regisseurin auf einem Platz in
der Südstadt von Köln. Über den Platz kamen wir zu sprechen. Max Frisch beschreibt einen
Platz, auf dem sich alle treffen.
Garagen, Häuser, Fassaden wollten wir wie zu einem Filmstreifen nehmen.
Was war besonders reizvoll, herausfordernd oder schwierig?
Das spannende daran war, wie kriegen wir das hin, dass die Fotos sowohl Künstlichkeit für
den Raum erzeugen, gleichzeitig aber nicht zur Fotoausstellung werden, wie ein Prospekt, eine
„Theatermalerei“. Ob uns das gelungen ist, wird der Zuschauer entscheiden.
Welches sind die herausragenden Eigenschaften, die Ihrer Meinung nach ein
Bühnenbildner mitbringen sollte?
Das wichtigste für einen Bühnenbildner ist, einen guten Arbeitsplatz für die Schauspieler zu
gestalten und die Regiearbeit zu unterstützen.
Herr Teßmann, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Andorra-Team, v.l.n.r.: Dieter Teßmann (Bühnenbild), Tatjana Fernau (Regie), Denise Elsen,
Patrick Bartsch, Axel Prochnow (Regieassistenz), Markus Satler, Gerrit Pleuger, Stefan Leonard,
Caroline Knebel, Sabrina Ullrich (Dramaturgie), Alexander Leder)
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Drei Fragen an Axel Prochnow, 1966 - 2011 (Regieassistenz)
Axel, worin bestehen Deine Aufgaben als Regieassistent?
Der Regieassistent muss die Probenzeiten festlegen und eine sogenannte Probendispo
erstellen. Dann besorgt er alle Requisiten, die für die Proben benötigt werden. Er ist auch
zuständig dafür, dass die Kostüme auf der Probebühne sind.
Ganz wichtig ist die Vorbereitung der Leseprobe: Die Textbücher müssen in ausreichender
Zahl kopiert werden. Kaffee, Milch und ein wenig Gebäck ist wichtig, alle freuen sich, wenn
eine Kanne Kaffee am Start ist. Es geht nichts über eine entspannte Stimmung auf der
Probebühne.
Vor der ersten Probe ist eine wichtige Aufgabe, mit dem Künstlerischen-Betriebs-Büro den
Tagesarbeitsplan zu besprechen, d. h. zu klären, wann wird was geprobt, wer muss wann zur
Probe.
Der Regieassistent sitzt neben dem Regisseur und - wenn es, wie in unserem Fall keine
Souffleuse gibt - liest den Text mit, um bei „Hängern“ zu soufflieren. Nebenbei macht er sich
Notizen, wo sind Aufgänge, wo Abgänge, er protokolliert die ganzen Abläufe - mit Bleistift, das
ist wichtig - denn hier liegt ein großes Änderungspotential.
Der Regieassistent ist Ansprechpartner für alles: ob das Kostüm zwickt, eine Requisite fehlt
oder etwas am Bühnenbild defekt ist.
Toneinspielungen muss er auch fahren, Textänderungen festhalten und Termine für
Regiesitzung, Pressekonferenz, Fotoshooting parat haben.
Der Regieassistent gibt die Wünsche des Regisseurs an die verschiedenen Abteilungen weiter,
Ton, Licht usw., er ist das Bindeglied.
Kurzum: er ist „Mädchen für alles“ und wenn etwas schief läuft, hat er Schuld.
Welche Voraussetzungen sollte ein Regieassistent mitbringen?
Organisationstalent, ein gutes Nervenkostüm, Bereitschaft, auch lange zu arbeiten, denn
unsere Probenzeiten sind normalerweise zwischen 10 und 14 Uhr und 18 und 22 Uhr, das
heißt aber nicht, dass der Assistent dazwischen Pause hat, es fallen immer organisatorische
Aufgaben an.
Man arbeitet zwar viel auf Zuruf, aber Selbstständigkeit ist auch gefragt, im Vorfeld sollten
schon einige Dinge erledigt sein. Man sollte gern unter Menschen sein.
Man muss über eine gewisse soziale Kompetenz verfügen, ziemlich direkt auf den Punkt hin
arbeiten und auch mal klare Ansagen machen können.
Eine gewisse Autorität ist ebenfalls von Nöten.
Am Schluss steht die Endprobenwoche: Je weiter die Proben fortschreiten, umso weniger
Arbeit bedeutet das für mich, es ist zwar noch zeitintensiv, aber z.B. bei der Generalprobe
sitze ich ziemlich entspannt daneben. Meine Arbeit ist getan.
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Was war für Dich das Besondere an Andorra und was magst Du besonders an Deiner
Arbeit?
In „Andorra“ wird am Anfang das Bühnenbild von den Schauspielern selbst aufgebaut, das ist
sehr ungewöhnlich und brauchte auch ein besonderes Proben.
Das hohe Spieltempo im Stück finde ich gut, die 80 Minuten gehen schnell rum.
Bei diesem Job lernt man viel übers Theater, man hat mit allen Bereichen zu tun, von der
Intendanz bis zur Schlosserei.
Es ist spannend, wie aus dem Textbuch direkt vor meinen Augen ein Stück entsteht.
Es war viel Arbeit, hat aber auch viel Spaß gemacht. Stolz bin ich, dass ich bruchsichere
Taschenlampen gefunden habe, nachdem die ersten bei der Probe direkt in Einzelteile zerlegt
worden sind.
Axel, danke für das Gespräch.
(Caroline Knebel, Patrick Bartsch)
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Max Frisch: Du sollst Dir kein Bildnis machen
“Es ist bemerkenswert, daß wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten
aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das
Wunderbare an der Liebe, daß sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der
Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen,
daß jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und daß auch
dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum
ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das
Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht
fertig werden: weil wir sie lieben, solange wir sie lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie
lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im
All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All,
wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller
Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt - nur die Liebe erträgt ihn so.
Warum reisen wir?
Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, daß sie uns kennen ein für
allemal: damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei Es ist ohnehin schon wenig genug.
Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe, jedesmal, aber Ursache
und Wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen versucht sind - nicht weil wir das
Andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende
geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein.
Wir können nicht mehr! Wir kündigen ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen
einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und
zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, daß unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei.
"Du bist nicht", sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte, "wofür ich dich gehalten habe."
Und wofür hat man sich denn gehalten?
Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir
müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.
Kassandra, die ahnungsvolle, die scheinbar Warnende und nutzlos Warnende, ist sie immer
ganz unschuldig an dem Unheil, das sie vorausklagt?Dessen Bildnis sie entwirft.
Irgendeine fixe Meinung unserer Freunde, unserer Eltern, unserer Erzieher, auch sie lastet auf
manchem wie ein altes Orakel. Ein halbes Leben steht unter der heimlichen Frage: Erfüllt es
sich oder erfüllt es sich nicht. Mindestens die Frage ist uns auf die Stirn gebrannt, und man
wird ein Orakel nicht los, bis man es zur Erfüllung bringt. Dabei muß es sich durchaus nicht im
geraden Sinn erfüllen; auch im Widerspruch zeigt sich der Einfluß, darin, dass man nicht so
sein will, wie der andere uns einschätzt. Man wird das Gegenteil, aber man wird es durch den
anderen.
In gewissem Grad sind wir wirklich das Wesen, das die andern in uns hineinsehen, Freunde
wie Feinde. Und umgekehrt! Auch wir sind die Verfasser der andern; wir sind auf eine
heimliche und unentrinnbare Weise verantwortlich für das Gesicht, das sie uns zeigen,
verantwortlich nicht für ihre Anlage, aber für die Ausschöpfung dieser Anlage. Wir sind es, die
dem Freunde, dessen Erstarrtsein uns bemüht, im Wege stehen, und zwar dadurch, dass
unsere Meinung, er sei erstarrt, ein weiteres Glied in jener Kette ist, die ihn fesselt und
langsam erwürgt. Wir wünschen ihm, dass er sich wandle, o ja, wir wünschen es ganzen
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Völkern! Aber darum sind wir noch lange nicht bereit, unsere Vorstellung von ihnen
aufzugeben. Wir selbst sind die Letzten, die sich verwandeln. Wir halten uns für den Spiegel
und ahnen nur selten, wie sehr der andere seinerseits eben der Spiegel unseres erstarrten
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Menschenbildes ist, unser Erzeugnis, unser Opfer-...“
Bertolt Brecht: Über das Anfertigen von Bildnissen
„Der Mensch macht sich von den Dingen, mit denen er in Berührung kommt und auskommen
muß, Bilder, kleine Modelle, die ihm verraten, wie sie funktionieren. Solche Bildnisse macht er
sich auch von Menschen: Aus ihrem Verhalten in gewissen Situationen, das er beobachtet hat,
schließt er auf bestimmtes Verhalten in anderen, zukünftigen Situationen. Der Wunsch, dieses
Verhalten vorausbestimmen zu können, bestimmt ihn gerade zu dem Entwerfen solcher
Bildnisse. Den fertigen Bildnisse gehören also auch solche Verhaltensarten des Mitmenschen
an, die nur vorgestellte, erschlossene (nicht beobachtete), vermutliche Verhaltensarten sind.
Dies führt oft zu falschen Bildern und auf Grund dieser falschen Bilder zu falschem eigenen
Verhalten, um so mehr, als sich alles nicht ganz bewußt abspielt. Es entstehen Illusionen, die
Mitmenschen enttäuschen, ihre Bildnisse werden undeutlich; zusammen mit den nur vorgestellten Verhaltensarten werden auch die wirklichen wahrgenommenen undeutlich und unglaubhaft; ihre Behandlung wird unverhältnismäßig schwierig. Ist es also falsch, aus den wahrgenommenen Verhaltensarten auf vermutliche zu schließen? Kommt nun alles darauf an, richtiges Schließen zu lernen? Es kommt viel darauf an, richtiges Schließen zu lernen, aber das
genügt nicht. Es genügt nicht, weil die Menschen nicht ebenso fertig sind wie die Bildnisse, die
man von ihnen macht und die man also auch besser nie ganz fertigmachen sollte. Außerdem
muß man aber auch sorgen, dass die Bildnisse nicht nur den Mitmenschen, sondern auch die
Mitmenschen den Bildnissen gleichen. Nicht nur das Bildnis eines Menschen muß geändert
werden, wenn der Mensch sich ändert, sondern auch der Mensch kann geändert werden, wenn
man ihm ein gutes Bildnis vorhält. [...]2
Der Beobachter muß also dem Beobachteten ein gutes Bildnis schenken, das er von ihm
gemacht hat. Er kann Verhaltensarten einfügen, die der andere selber gar nicht fände, diese
zugeschobenen Verhaltensarten bleiben aber keine Illusionen des Beobachters; sie werden zu
Wirklichkeiten: Das Bildnis ist produktiv geworden, es kann den Abgebildeten verändern, es
enthält Vorschläge. Solch ein Bildnis machen heißt lieben.“
1 http://downloads.lehrkunst.ch/Frischs%20Stiller/Max%20Frisch%20Bildnistheorie%20Tagebuch.pdf
2 Brecht, B.: Gesammelte Werke Bd. 20, Frankfurt am Main 1968
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Mobbing in der Schule
1. Vorbemerkung
Mobbing ist kein neues Phänomen. Es ist auch in Schulen weit verbreitet, wobei es nicht
verwechselt werden darf mit kurzzeitigen Konflikten, Streitereien, aggressiven
Auseinandersetzungen oder Ausgrenzungen unter Kindern und Erwachsenen. Mobbing kann
eine Bandbreite von Situationen betreffen wie z. B.:
Da spricht eine Lehrerin vor der Klasse abwertend über eine Schülerin, weil sie nicht
mitkommt oder immer wieder krank ist.
Oder die Mitschüler tuscheln, kichern oder lassen beleidigende Bemerkungen fallen,
wenn ein bestimmter Schüler sich zu Wort meldet.
Da hänseln Mädchen in einer 7. Klasse eine ausländische Mitschülerin wegen ihres
Aussehens und ihrer schlechten Sprache.
Da lauern Buben einer 4. Klasse einem schüchternen, etwas schmächtigen Mitschüler
auf dem Schulweg auf und erpressen von ihm Geld oder Klamotten.
Da wird eine Mutter auf Elternversammlungen mit spöttischen Blicken von anderen
Eltern und der Lehrerin ausgegrenzt.
Da drehen sich Lehrerkollegen im Lehrerzimmer weg und hören auf zu reden, wenn
eine bestimmte Kollegin hereinkommt.
Häufig sind die Erwachsenen ratlos oder schauen weg, während die Opfer, egal ob Kinder oder
Erwachsene, die Schuld bei sich selbst suchen und zunehmend in eine soziale Isolation
geraten. Lehrkräfte sind meist überrascht, wenn man sie auf Mobbing in einer Klasse
anspricht. Denn die Schikanen geschehen oft zu subtil und meist außerhalb des Unterrichts,
während der Pausen oder auf dem Schulweg.
Je länger Mobbing andauert, um so schwieriger ist es, eine Lösung zu finden und um so
sicherer ist die körperliche oder seelische Beeinträchtigung der betroffenen Kinder oder
Erwachsenen.
Im folgenden Beitrag liegt der Schwerpunkt auf Mobbing unter Schülern, was jedoch die
Auswirkungen z. B. bei Mobbing von Lehrern gegenüber Schülern und umgekehrt sowie
innerhalb des Kollegiums oder bei Eltern keineswegs verharmlosen soll.
2. Definition
Der Begriff Mobbing stammt aus dem Englischen und bedeutet anpöbeln, fertigmachen (mob =
Pöbel, mobbish = pöbelhaft). Mobbing ist eine Form offener und/oder subtiler Gewalt gegen
Personen über längere Zeit mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung. Es kann sich dabei um
verbale und/oder physische Gewalt handeln. Mobbing unter Schülern bezeichnet alle böswilligen Handlungen, die kein anderes Ziel haben, als eine Mitschülerin oder einen Mitschüler
fertig zu machen. Dazu gehören
als direktes Mobbing: Hänseln, Drohen, Abwerten, Beschimpfen, Herabsetzen,
Bloßstellen, Schikanieren
als indirektes Mobbing: Ausgrenzen, Ruf schädigen, "Kaltstellen" durch das
Vorenthalten von Informationen und Beschädigen von Eigentum der gemobbten
Person u.ä.
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Davon unterschieden wird das Bullying, die unter Jugendlichen praktizierte physische Gewalt,
mit der bestimmte Opfer durch ihnen körperlich überlegene Mitschüler gequält werden.
3. Auswirkungen
Zunächst ist Mobbing auch dadurch wirksam, dass die Opfer das "Problem" erst einmal bei
sich selbst suchen, und dies oft über längere Zeit. Nur selten informiert ein Schüler oder eine
Schülerin einen Lehrer oder erzählt den Eltern, was tagtäglich passiert. Die Folgen wirken sich
auf die gesamte Persönlichkeit aus: Zum Verlust des Selbstvertrauens (nicht nur im
Leistungsbereich) können Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme kommen. Durch die
wahrgenommene Isolierung und Einsamkeit entwickeln sich depressive Tendenzen und
Passivität. Die Lernmotivation nimmt ab bis zu Lernunlust und Schulvermeidung.
Folgende Bereiche können betroffen sein:
Physische Schädigungen (Verletzungen)
Psychische Schädigungen (z. B. Zerstörung des Selbstbewußtseins)
Psychosomatische Reaktionen (z. B. Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, Albträume,
Schlafstörungen)
Sonstige Reaktionen (z. B. Unkonzentriertheit, Leistungsrückgang, Fehltage durch
"Krankheitstage" oder Schwänzen, Rückzug aus sozialen Bezügen, Ängste,
Depressionen, bis zu Suizidversuchen bzw. vollzogenem Suizid)
Bei jugendlichen Betroffenen können folgende Verhaltensweisen mögliche Anzeichen für
Mobbing sein:
Sie wollen nicht mehr zur Schule gehen.
Sie wollen zur Schule gefahren werden.
Ihre schulische Leistung läßt nach.
Sie verlieren Geld (das Geld wird von den Tätern erpresst).
Sie können oder wollen keine schlüssige Erklärung für ihr Verhalten geben.
Sie beginnen zu stottern.
Sie ziehen sich zurück.
Sie haben Alpträume.
Sie begehen einen Selbstmordversuch.
4. Persönlichkeitszüge bei Opfern und Tätern
Grundsätzlich ist Mobbing kein individuelles Problem der Opfer oder Täter, sondern ein
strukturelles Gruppenphänomen, das eskaliert ist, weil keine rechtzeitigen und hinreichenden
Interventionen erfolgten. Jedoch scheinen bestimmte Persönlichkeitszüge der Opfer Mobbing
zu fördern: so können Schüler betroffen sein, die ängstlich oder überangepaßt sind und ein
geringes Selbstwertgefühl haben. Auch auffälliges oder andersartiges Aussehen,
Ungeschicklichkeit, Hilflosigkeit oder geringe Frustrationstoleranz können dazu
prädestinieren. Manchmal kommen potentielle Opfer auch aus Familien mit betont
gewaltsensiblen bzw. gewaltächtenden Verhaltensnormen, oder es trifft Schüler, die
besonders gutgläubig und vertrauensvoll auf ihre Mitschüler zugehen. Letztlich verfügen sie
nicht über die nötige soziale Gewandtheit, um ganz allein den Angriffen der Täter die Stirn zu
bieten.
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Bei Tätern, d. h. Schülern, die aktiv mobben, sind häufig folgende Tendenzen zu beobachten:
Demonstration von Stärke/Macht (häufig körperliche, seltener geistige Überlegenheit),
Steigerung des (mangelnden) Selbstwertgefühls, Kompensation von Schwächen, FührerVerhalten (sie haben oft Anhänger/Mitläufer in Cliquen). Sie halten sich für was besseres,
zeigen dies lautstark und wollen sich vor den anderen brüsten.
5. Häufigkeit
Mobbing kommt in allen Altersstufen vor:
In der Unterstufe scheint häufiger Bullying als Ausgrenzung aufzutreten, wenn
(sportlich ungeschicktere, "brav" aussehende) Mitschüler körperliche
"Unzulänglichkeiten" zeigen.
In der Mittelstufe bestimmen Mode-Normen (Markenkleidung), Verhaltensnormen im
Unterricht ("Streber!") und beginnende gegengeschlechtliche Freundschaften
(Eifersucht, Rivalität) das Mobbing.
In der Oberstufe scheint auch der Konkurrenzdruck in Gestalt der Punkte-Jagd eine
Rolle zu spielen.
Jungen neigen eher zu offener Aggression und greifen ihr Gegenüber körperlich oder verbal an,
während Mädchen eher subtilere Formen wie Manipulation, Gerüchte verbreiten oder soziales
Ausgrenzen verwenden; dies wird auch als Beziehungsaggression bezeichnet.
6. Ursachen von Mobbing
Entsprechend den Untersuchungen aus der Arbeitswelt können auch im Schulbereich folgende
Ursachen von Mobbing benannt werden:
Mobbing als Versagen der Führungskraft: Im Schulbereich ist damit gemeint, dass die
Lehrkraft oder Schulleitung mit diesem Problem nicht kompetent umgeht, mitunter
sogar aktiv am Mobbingprozess beteiligt ist. Oft wird die Deutung eines Verhaltens als
Mobbing auch abgewehrt: Das Opfer "übertreibt", ist "zu sensibel" oder durch sein
eigenes Verhalten "selbst schuld". Vielen Lehrkräften erscheint das Verhalten als der
Altersstufe entsprechend "normal" ("Zu unserer Zeit war das genauso!").
Eine wichtige Rolle spielen gruppendynamische Aspekte: Eine neu
zusammengewürfelte Klasse, der oder die "Neue" in einer Klasse, aber auch
persönliche Aspekte des Täters (Rachebedürfnis, Eifersucht, Konkurrenz etc.) bilden
den Motivhintergrund.
Generell ist Mobbing ein Symptom für gestörte Kommunikation: Die Opfer werden
isoliert, die Täter bekommen keine Rückmeldung über die Auswirkungen ihrer
Schikane, und die passiven "Zuschauer" sind ratlos, haben Angst oder verhalten sich
auch in gewisser Weise voyeuristisch.
7. Maßnahmen gegen Mobbing
Von Mobbing-Situationen Betroffene brauchen Unterstützung von Außen, denn Mobbing-Opfer
können sich meist nicht mehr selbst wehren.
Schüler/innen
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sollen den Mut haben, sich an eine Person wenden, die helfen kann (Lehrer,
Schulpsychologen, Eltern, Freunde, Außenstehende, Beratungsstelle). Viele Opfer schämen
sich, dass sie gemobbt werden und leiden still vor sich hin. Es ist jedoch wichtig, dass sie
erwachsenen Personen, denen sie vertrauen, von Mobbing-Vorfällen erzählen. Auch der
Kontakt mit Betroffenen im Internet kann helfen, das Selbstbewußtsein wieder zu gewinnen
und Wege aus der Opferspirale zu finden.
Lehrer/innen
sollten klar Standpunkt beziehen und versuchen, zumindest den "zusehenden" Mitschülern,
möglichst aber auch den Tätern einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen und ihnen die
psychischen Folgen für die Opfer in einer solchen Situation klar zu machen. Sie sollen Schüler
ermutigen, über Mobbing-Vorfälle zu berichten. Opfer müssen geschützt und unterstützt
werden, Täter sind zur Rede zu stellen und aktiv in die Lösung mit einzubeziehen.
Klassenregeln sollten als präventive Maßnahmen gegen Mobbing vereinbart werden.
In Einzelfällen kann auch mit dem Jugendamt, der Erziehungsberatungsstelle oder einer
anderen Beratungseinrichtung (durch Fallbesprechung oder Betreuung betroffener Familien
oder Kindern/Jugendlichen) zusammengearbeitet werden.
Eltern
sollten die Warnsignale von Mobbing kennen. Sie sollten das Kind ernst nehmen, wenn es z. B.
nicht mehr in die Schule gehen will, morgens Magenschmerzen hat, Albträume hat, viel krank
ist oder Schulsachen beschädigt nach Hause bringt. Bei Mobbing-Verdacht sollten sie nicht
vorschnell mit dem Täter Kontakt aufnehmen, sondern die Schule informieren und fordern,
dass gehandelt wird. Notfalls können sie sich auch an die Schulleitung, den Elternbeirat oder
eine Beratungsstelle wenden.
Allgemein sollten in Schulen präventive Maßnahmen gegen Gewalt und Mobbing durchgeführt
werden und Projekte unterstützt werden, die das Schulklima verbessern und eine offene
Atmosphäre und faire konstruktive Gesprächs- und Streitkultur ermöglichen. Dies kann in
Projekten, Elternabenden, Konferenzen, Vorträgen etc. geschehen.
8. Literatur zum Thema MOBBING
Alexander,J. (1999). "Das ist gemein!" Wenn Kinder Kinder mobben. So schützen und stärken
Sie ihr Kind. Freiburg: Herder.
Hurrelmann,K.(1996), Gegen Gewalt in der Schule .Ein Handbuch für Elternhaus und Schule,
Beltz-Verlag.
Mainberger,B.: JEDE MENGE ZOFF. Was tun gegen Mobbing und Gewalt? DTV 2000.
Schäfer,M.,Frey,D.(Hrsg.): Aggression und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, 1999.
Hogrefe
Olweus, D.: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten und tun können. 1996.
Hogrefe.
Örtliche Beratungsstellen, Jugendamt, Schulpsychologischer Dienst (im Telefonbuch oder über
das Rathaus erfragbar)
Wer besser verstehen möchte, wie Mobbing unter Kindern und Jugendlichen konkret abläuft,
welche Folgen es für Opfer und Täter hat und wie man Mobbing stoppen kann, dem sei der
Abschlussbericht des Mobbing-Telefons zur Lektüre empfohlen.
17
Schüler gegen Mobbing: http://www.schueler-gegen-mobbing.de/
Autorin: Annemarie Renges, Dipl.Psych.
In: www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Schule/s_36, 28.1.11
(Patrick Bartsch, Markus Satler)
18
Max Frisch, Stiller
„So also siehst du mich!“ sagte Julika. „Du hast dir nun einmal ein Bildnis von mir gemacht,
das merke ich schon, ein fertiges und endgültiges Bildnis, und damit Schluß. Anders als so, ich
spüre es ja, willst du mich jetzt einfach nicht mehr sehen. Nicht wahr?“ Stiller steckte sich
eine Zigarette an. „Ich habe in letzter Zeit auch über vieles nachgedacht“, sagte Julika und
blies die Schneekristalle von ihrer Kamelhaardecke auch dann, wenn sie selbst das Wort
führte, „nicht umsonst heißt es in den Geboten: du sollst dir kein Bildnis machen! Jedes Bildnis
ist eine Sünde. Es ist genau das Gegenteil von Liebe, siehst du, was du jetzt machst mit
solchen Reden. Ich weiß nicht, ob du´s verstehst. Wenn man einen Menschen liebt, so läßt
man ihm doch jede Möglichkeit offen und ist trotz allen Erinnerungen einfach bereit, zu
staunen, immer wieder zu staunen, wie anders er ist, wie verschiedenartig und nicht einfach
so, nicht ein fertiges Bildnis, wie du es dir da machst von deiner Julika. Ich kann dir nur sagen:
es ist nicht so. Immer redest du dich in etwas hinein - du sollst dir kein Bildnis machen von
1)
mir! das ist alles, was ich dir darauf sagen kann.“ Stiller rauchte vor sich hin.
[...]
Heute wieder sehr klar: das Versagen in unserem Leben läßt sich nicht begraben, und solange
ich´s versuche, komme ich aus dem Versagen nicht heraus, es gibt keine Flucht. Aber das
Verwirrende: die anderen halten es für selbstverständlich, daß ich ein anderes Leben nicht
vorzuweisen habe, und also halten sie, was ich auf mich nehme, für mein Leben. Es ist aber
nie mein Leben gewesen. Nur insofern ich weiß, daß es nie mein Leben gewesen ist, kann ich
es annehmen: als mein Versagen. Das heißt, man müßte imstande sein, ohne Trotz durch ihre
Verwechselung hindurchzugehen, eine Rolle spielend, ohne daß ich mich selber je damit
verwechsle, dazu aber müßte ich einen festen Punkt haben – 2)
1) Max Frisch, Stiller, Frankfurt 1954, S. 150
2) Ebd., S. 241
19
Kevin Brooks, Lucas
„„Ich schaute mich um und plötzlich erkannte ich, wo wir waren. Auf dem Damm. Wir hatten
am Straßenrand geparkt, so etwa nach einem Viertel der Strecke. Es war fast nicht
auszuhalten. Das Ganze – der Wagen, die Leute, die Geräusche, mit denen sich Bill die Seele
aus dem Leib würgte – dieser ganze Dreck und armseliger Horror gehörte nicht hierher.
Ich bin vor, stellte mich an das Geländer und versuchte mich zu beruhigen, mich von all dem
Widerlichen zu entfernen. Es war Flut, kurz vor dem Scheitel. Das Wasser stand so hoch, wie
es nur geht, wenn nicht gerade Sturmflut ist. Die blanke, silberne Wasserfläche rührte sich
kaum, sie war wie ein Spiegel, nur ein sanftes Schwappen gegen das Reet und ein kaum
erkennbarer blauer Strudel draußen in der Mitte der Flussmündung. Es sah wunderschön aus.
Ein paar Sekunden vergaß ich alles andere, es verlor sich im Hintergrund, während ich in die
beruhigende Stille des Wassers starrte.
Doch dann wurde die Stille von einem kehligen Fluch und einem Platschen zertrümmert.
„Ja! Hab ihn!“
Ich schaute hinüber und sah, wie Robbie sich über das Geländer beugte und Steine auf
irgendetwas am Ufer schleuderte. Er warf sie mit ganzer Kraft, sein Gesicht zu einer Maske der
Bosheit verzerrt.
„Was machst Du?“, schrie ich.
Er ignorierte mich und beugte sich nach unten, um neue Steine vom Seitenstreifen der Straße
aufzulesen. „Hey, Ange“, rief er. „Komm her, guck dir das an.“
Angel stieg aus dem Wagen, stakste zum Geländer und kam zur gleichen Zeit an wie ich.
„Guck“, sagte Robbie und hob einen weiteren Stein auf.
„Mist! Jetzt haut er ab, der Scheißkerl.“
Ich blickte über das Geländer und erwartete, einen verletzten Vogel oder so was zu sehen,
aber es war kein Vogel – es war ein Junge. Der Junge, der Junge in Grün. Ungefähr zwanzig
Meter flussabwärts kämpfte er sich mit einer Angelrute in der einen Hand und seiner
Leinentasche in der anderen die Uferböschung hinauf. Die Haare waren am Hinterkopf, dort
wo einer der Steine sein Ziel getroffen hatte, blutig verfilzt.
„O Gott“, flüsterte ich.
Angel war auf das Geländer geklettert und trieb ihren Bruder an. „Krieg ihn, Rob, mach schon,
er haut ab. Krieg ihn!“
Als Robbie grinsend den nächsten Stein werfen wollte, packte ich seinen Arm, dass er einen
Moment aus dem Gleichgewicht kam. Er holte aus und stieß mich beiseite, dann schleuderte er
den Stein mit widerlicher Kraft in den Rücken des Jungen. Der Junge stolperte und rutschte die
Böschung halb wieder hinunter, dann fand er Halt und sprang über einen schmalen
Wasserlauf, ehe er sich im Gewirr aus Reet verlor. Gerade als er verschwand, warf er einen
Blick über die Schulter und schaute zu uns herüber. Von jemandem in seiner Lage hätte ich
erwartet, dass er ängstlich, wütend, schmerzverzerrt oder zumindest erstaunt gucken würde,
aber nichts davon lag in seinen Augen. Absolut nichts. Es war der emotionslose Blick eines
Tiers, ein Blick des reinen Instinkts.
Ein Blick, der mich gesehen hatte.
„Dreckiger Zigeuner“, sagte Robbie und spuckte aus, dann zündete er sich eine Zigarette an.
„Was ist los?“, fragte ich.
„Zigeuner, Landstreicher – hey, was spielst du eigentlich für ein Scheißspiel? Auf welcher
Seite stehst du überhaupt?“
„Ja“, sagte Angel und baute sich neben mir auf. „Auf welcher Seite stehst du, Schätzchen?“
Ich konnte kaum sprechen. „Seite?“ stotterte ich. „Zigeuner? Was ist denn bloß los mit euch?
Ihr seid doch alle bescheuert.“
20
„Das ist auch einer von deinen, was?“, erwiderte Angel grinsend. „Mein Gott, du treibst dich ja
vielleicht rum. Studenten, ein komischer Kauz, reiche Jungs und jetzt ein Zigeuner... Kannst du
denn gar nicht mal Nein sagen?“
3)
„Vergiss nicht den Hund“, prustete Robbie.“
3) Kevin Brooks, Lukas, München 2010, S. 71ff.
(v.l.n.r.: Stefan Leonard, Patrick Bartsch, Gerrit Pleuger)
21
Nachbereitung - Anregungen für die Spielleiter
Bei der Nachbereitung geht es darum, das Theaterstück ins Gedächtnis zu rufen, über das
Gesehene nachzudenken, entstandene Fragen zu diskutieren und zu reflektieren. Ziel ist es,
dass beim Schüler ein nachhaltiger Eindruck zurückbleibt.
Darüber hinaus wird mit dem Material aus dem Theaterstück frei gespielt, um die Schüler zur
weiteren Auseinandersetzung mit dem Stoff zu animieren und Lust am szenischen Spiel zu
wecken.
Raumlauf – Begegnung
Die Schüler laufen kreuz und quer durch den Raum. Zunächst bleibt jeder für sich, dann
begegnen sie sich auf unterschiedliche Weise. Alle Begegnungen finden nonverbal statt:
•
•
•
•
•
•
Sie gehen im Raum umher und schütteln möglichst viele Hände.
Sie gehen aufeinander zu und begrüßen sich mit einer förmlichen Verbeugung.
Sie berühren sich flüchtig und bekommen dabei einen elektrischen Schlag: zunächst
kommt es nur zu einer geringen Abstoßung, dann „erhöht“ der Spielleiter die „VoltZahl“.
Sie gehen aufeinander zu und begrüßen sich freundlich.
Sie weichen sich aus und machen in ihrer Körperhaltung deutlich, dass sie nichts
miteinander zu tun haben wollen.
Sie begegnen sich misstrauisch, steigern die Ablehnung.
Außenseiter
Eine Gruppe von 5-6 Spielern spielt jeweils in der Mitte des Sitzkreises:
• 5 Spieler bilden einen geschlossenen Kreis und spielen Ball, Spieler 6 versucht sich
ihnen anzuschließen, doch die Gruppe drängt ihn immer wieder nach außen.
• 1 Spieler steht einer Gruppe gegenüber: sie gehen aneinander vorbei (ohne
Körperkontakt), die Gruppe weicht dem Einzelspieler immer aus, ebenso wie seinen
Blicken.
• 1 Spieler steht der Gruppe wieder gegenüber; die Gruppe betrachtet ihn aus der
Entfernung, sie zeigen auf ihn, sprechen dabei leise miteinander, zeigen auf ihn.
• Die Gruppe kommt langsam auf den Einzelspieler zu, schubst ihn herum, er versucht zu
fliehen, das verhindert die Gruppe.
Im Anschluss werden die Eindrücke der zuschauenden wie der agierenden Schüler
ausgetauscht.
Streiten
Jeweils 2 Spieler stellen sich gegenüber auf. Sie beginnen sich zu streiten, benutzen aber statt
Schimpfwörter Zahlen. Körperkontakt ist untersagt. Alle Paare spielen gleichzeitig.
Aufgabe ist es, den Streit zu steigern und ein Ende zu finden: entweder man trennt sich im
Streit oder es kommt zu einer Versöhnung. Einzelne Paare können anschließend vor der
Gruppe noch einmal spielen. Statt Zahlen kann man auch mit Farben, Tieren, Lebensmitteln,
Kleidungsstücken etc. spielen.
Assoziationen
Die SchülerInnen stehen in einem Kreis, werfen sich einen Ball zu, den sie mit einer Äußerung
zu dem Stück oder der besuchten Theatervorstellung verbinden. Das können einzelne Wörter,
22
aber auch Sätze sein. Die Äußerungen werden nicht bewertet, es gibt kein Richtig und kein
Falsch.
Reflexion
Es wird ein Gespräch über die Inszenierung geführt mit folgenden Fragen:
„Wie gefielen Euch die Kostüme?“
„Wie hat Euch das Bühnenbild gefallen?“
„Was nehmt Ihr von dem Stück mit?“
„Wie fandet Ihr den Inhalt des Stückes?“
„Welche Szene ist besonders in Erinnerung geblieben? Warum?“
„Welches war der spannendste Moment?“
„Wodurch unterscheidet sich die Inszenierung von anderen Theaterstücken, die Ihr
gesehen habt?“
„Hat etwas gefehlt?“
„Welche Erwartungen an das Stück wurden erfüllt? Welche nicht?
„Was hat Euch gefallen? Würdet Ihr die Inszenierung weiter empfehlen?“
„Was hat Euch nicht gefallen? Versetzt Euch in die Lage eines Theaterkritikers und
zieht ein Résumée.“
Andorra-Sätze
Jeder Schüler bekommt einen Satz aus dem Stück (Beispiele siehe unten „Sätze 1“, S.
25). Die SchülerInnen gehen durch den Raum. Sie sprechen den Satz für sich. Beginnen
zu murmeln, werden nach und nach immer lauter. Der Spielleiter gibt verschiedene
Stimmungen hinein: traurig, wütend, gelangweilt, fröhlich, hysterisch...
Die Schüler suchen sich eine Stimmung für ihren Satz aus. Während sie sich weiter
durch den Raum bewegen, probieren sie verschiedene Gangarten, Bewegungen und
Gesten aus, die zur Stimmung ihres Satzes passen.
6 bis 8 Schüler kommen nach vorn und werden zu „Statuen“, d.h. sie gehen zunächst
ins Freeze, verharren bewegungslos. Der Spielleiter kann durch Berühren der Schulter
die einzelnen Statuen zum Leben erwecken, dann spielen sie ihren Satz in der
gewählten Stimmung und mit einer Geste oder Bewegung, bis sie wieder „abgestellt“
werden. Die Zuschauenden bestimmen nun, welche 2 Spieler jeweils
zusammenspielen. Gemeinsam wird bestimmt, wen sie verkörpern, wo die Szene
spielen soll, und was ihr Inhalt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die neue Szene in
direktem Zusammenhang mit ANDORRA steht. Wissen die Spieler nicht mehr weiter,
verharren sie und rufen „Stopp“. Daraufhin machen die zuschauenden Schüler
Vorschläge, wie die Szene weitergehen kann.
Heißer Stuhl
Verschiedene Figuren werden nacheinander auf den „Heißen Stuhl“ gesetzt, um mehr über sie
zu erfahren. Alle Schüler stellen Fragen, wobei mit allgemeinen Fragen begonnen werden
sollte (Wie alt bist Du? Was ist Dein Beruf? Machst Du Deinen Beruf gern? Hast Du
Geschwister? Was magst Du am liebsten? usw.). Antworten kann derjenige, der auf dem Stuhl
sitzt, aber auch ein anderer Schüler, der sich stellvertretend hinter den Sitzenden stellt und
für ihn antwortet. Es gibt kein Richtig oder Falsch, auch widersprüchliche Aussagen werden
23
akzeptiert. Ziel ist, die Figuren mit einem biografischen Hintergrund auszustatten, wie die
Schüler ihn sich vorstellen.
Zeugen – Täter
Ausgehend von den Sätzen an der Zeugenschranke (siehe unten „Sätze 2“, S. 26) werden die
Schüler aufgefordert, eigene Szenen zu entwickeln, die die Hintergründe der Figuren weiter
beleuchten. Wie haben sie sich z.B. in der eigenen Familie zu dem Thema verhalten? Mögliche
Spielorte werden gesammelt (Küche zu Hause, Schule, Arbeitsplatz, in der Kaserne, beim
Einkaufen, im Bus, beim Fußballtraining usw.). In Kleingruppen werden Szenenanfänge
gestaltet, die Spieler zeigen ihre Entwürfe, wissen sie nicht weiter, sagen sie „Stopp“, die
zuschauenden Schüler machen dann Vorschläge, wie die Handlung weiter gehen könnte (vgl.
oben).
„Sie sagen, ich sei...“ – chorisches Sprechen und Spielen
Jeder Schüler wird aufgefordert, diesen Satz zu ergänzen mit positiven und negativen
Beurteilungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie fiktiv oder real sind. Jeder Satz wird einzeln
und anonym auf einen Zettel geschrieben. 2 Boxen werden aufgestellt und die positiven und
negativen Beurteilungen(je nach Einschätzung des Schülers) getrennt gesammelt. Daraus
erstellt der Spielleiter Texte, bei denen aus dem „ich sei“ jeweils ein „wir seien“ wird und die
Sätze aneinander gereiht werden.
Mit diesen Textcollagen wird zunächst sprecherisch experimentiert: gemeinsam sprechen, in
verschiedenen Stimmungen, Tempi, Lautstärken, nacheinander einsetzen (wie bei einem
Kanon), alle durcheinander. Dann laufen die Schüler sprechend durch den Raum, probieren
verschiedene Gesten und Bewegungen aus. Verschiedene Positionen im Raum, stehend,
liegend, mit Stuhl, werden eingenommen, ebenso verschiedene Abstände zueinander.
Gemeinsame Bewegungen werden ausprobiert, synchron oder nacheinander. Auf diese Weise
stellen die Schüler eine kleine Choreographie zusammen.
Vom Buch zur Inszenierung
Als Beispiel wird das dritte Bild gewählt (Suhrkamp, Text und Kommentar, 1999, S. 30 – 35).
Zum Vergleich wird die Szene aus der Strichfassung der WLT-Inszenierung herangezogen
(siehe unten „Drittes Bild“, S. 27). Die Schüler lesen die beiden Texte in verteilten Rollen. Sie
spielen die WLT-Szene nach und diskutieren, welche Wirkung die gestrichene Fassung bei
ihnen hervorruft. Anschließend können sie eine eigene Strichfassung erstellen und spielen.
24
Sätze 1
Ich bin verlobt, und überhaupt - dich mag ich nicht
Tischler, das ist nicht einfach, wenn’s einer nicht im Blut hat.
[...] aber wenn es um Geld geht, dann sind sie wie der Jud
Woher wisst ihr alle, wie der Jud ist?
Du bist feige, weil du Jude bist.
Meinesgleichen, sagen sie, hat kein Gefühl.
Meinesgleichen, sagen sie, ist geil, aber ohne Gemüt.
Du kannst verdienen Andri, Geld, viel Geld…
[...] so muss es tönen, dass jeder Jude in den Boden versinkt, wenn er den
Namen unseres Vaterlandes hört.
Das schlimme am Jud ist sein Ehrgeiz.
[...] oder habe ich dich nicht behandelt wie meinen Sohn?
Einmal werd ich die Wahrheit sagen – aber die Lüge ist ein Egel, sie hat die
Wahrheit ausgesaugt.
Ich schleiche nicht länger herum wie ein bettelnder Hund. Ich hasse.
Hass macht Pläne. Hass macht listig. Hass macht stolz.
Ich muss reich werden, weil ich Jude bin.
[...] eine Unart, das muss ich leider schon sagen, habt ihr alle: Was immer
euch widerfährt in diesem Leben, alles und jedes bezieht ihr nur darauf, dass
ihr Juden seid.
Sie kann mich nicht lieben, niemand kann’s, ich selbst kann mich nicht lieben.
Wir müssen uns selbst annehmen.
Warum willst du sein, wie die anderen?
Andorra ist ein Begriff, geradezu ein Inbegriff, des Friedens, der Freiheit, der
Menschenrechte.
Warum hast du diese Lüge in die Welt gesetzt?
Du hast mich gehasst, weil ich feige war, als das Kind kam. Weil ich Angst
hatte vor meinen Leuten.
Du hast sie geliebt, aber mich hast du geheiratet, weil ich eine Andorranerin
bin.
Andri – du bist kein Jude.
Hochwürden, das fühlt man, ob man Jude ist oder nicht.
Sie haben gesagt, man muss das annehmen, und ich hab’s angenommen.
Ich habe den Stein nicht geworfen!
Ich küss dich, Soldatenbraut!
Die Judenschau wird‘ zeigen.
Der hat den Blick. Verlasst euch drauf. Der sieht‘s auch an den Füßen.
25
Sätze 2
Wirtin
Ich gebe zu: Wir haben uns in dieser Geschichte alle getäuscht. Damals. Natürlich hab ich
geglaubt, was alle geglaubt haben, damals. Ein Judenkind, das unser Lehrer gerettet habe vor
den Schwarzen da drüben, so hat’s immer geheißen, und wir fanden’s großartig, dass der
Lehrer sich sorgte wie um einen eigenen Sohn.
Tischler
Ich gebe zu: Das mit den 50 Pfund für die Lehre, das war eben, weil ich ihn nicht in meiner
Werkstatt wollte. Und ich wusste ja, es wird nur Unannehmlichkeiten geben. Ich bin nicht
Schuld, dass es so gekommen ist später.
Geselle
Ich gebe zu: Es war mein Stuhl und nicht sein Stuhl. Ich wollte ja
nachher mit ihm reden, aber da war er schon so, dass man nicht mehr
reden konnte mit ihm. Ich bin nicht schuld, dass sie ihn geholt haben
später.
Soldat
Ich hab ihn nicht leiden können. Ich hab ja nicht gewusst, dass er keiner ist, immer hat’s
geheißen er sei einer. Übrigens glaub ich noch heut, dass einer gewesen ist. Aber ich hab ihn
nicht getötet. Ich habe nur meinen Dienst getan.
Jemand
Ich gebe zu: Es ist keineswegs erwiesen, wer den Stein geworfen hat gegen die Fremde
damals. Ich persönlich war zu jener Stunde nicht auf dem Platz. Ich möchte niemand
beschuldigen, ich bin nicht der Weltenrichter. Einmal muss man auch vergessen können, finde
ich.
Doktor
Ich gebe zu: Wir haben uns damals alle getäuscht, was ich selbstverständlich nur bedauern
kann. Wie oft soll ich das noch sagen? Ich habe den jungen Mann übrigens nur zwei oder
dreimal gesehen. Die Schlägerei, die später stattgefunden haben soll, habe ich nicht gesehen.
Ich kann nur sagen, dass es nicht meine Schuld ist. Was meine Person betrifft, habe ich nie an
Misshandlungen teilgenommen oder irgendjemanden dazu aufgefordert.
26
Drittes Bild
(In: Max Frisch, Andorra, in einer Fassung für das Westfälische Landestheater von Tatjana
Fernau)
Andri
Geselle
Andri
Geselle
Andri
Geselle
Andri
Geselle
Andri
Geselle
Andri
Geselle
Andri
Tischler
–
Andri
Tischler
Andri
Natürlich will ich, wenn eure Mannschaft mich nimmt.
Hast du Fußballschuh?
Nein.
Ich hab ein altes Paar. Ich verkaufe sie dir.
Das ist toll Fedri, wenn das klappt.
Warum soll’s nicht?
Das ist toll.
Ich bin Käpten, und du bist mein Freund.
Ich werde trainieren.
Dein erster Stuhl?
Wie findest du ihn? (Geselle versucht ein Stuhlbein herauszureißen. Andri
lacht) Die sind nicht zum Ausreißen!
So macht er’s nämlich.Hast du Zigaretten? So gib schon!
Versuch’s nur!
Ich heiße Prader. Ein Stuhl von Prader bricht nicht zusammen! – Wer hat hier
wieder geraucht? – Ich riech es ja! – Wenn du wenigstens den Schneid hättest
Heute ist Sonnabend.
Was hat das damit zu tun?
Wegen meiner Lehrlingsprobe. Hier ist mein erster Stuhl. Der Tischler nimmt
einen Stuhl. Nicht diesen, Meister, der andere.
Tischler versucht das Stuhlbein auszureißen
Andri
Meister das ist aber nicht meiner.
Tischler
Da! Reißt ein erstes Stuhlbein aus. Was hab ich gesagt? Reißt die anderen
Stuhlbeine aus. Und so ein Humbug soll in den Verkauf? Ein Stuhl von Prader,
weißt du was das heißt? – da, schau’s dir an (wirft ihm die Trümmer vor die
Füße)
Andri
Tischler
Andri
Tischler
Andri
Tischler
Andri
Tischler
Geselle
Tischler
Geselle Tischler
Geselle Tischler
Andri
Sie irren sich.
Hier – das ist ein Stuhl! – Wackelt das?
Nein.
Ächzt das?
Nein.
Also!
Das ist meiner.
Und wer soll diesen Humbug gemacht haben? – Fedri, welchen Stuhl hast du
gemacht? Schau sie dir an. Diesen oder diesen? Und antworte!
Ich ….
Hast du verzapft oder nicht?
jeder rechte Stuhl ist verzapft..
Hörst du’s?
Nur was geleimt ist, geht aus dem Leim….
Ich hab‘s ja gewusst, du gehörst nicht in die Werkstatt. Schad ums Holz.
Das ist eine Gemeinheit. – Sie sitzen auf meinem Stuhl. Sie lügen, wie’s ihnen
grad passt. Wieso hab ich kein Recht vor euch? Sie sitzen auf meinem Stuhl.
27
Tischler
Andri
Ich kann tun, was ich will, ihr dreht es immer gegen mich.
Sie wissen ganz genau, wie gemein Sie
sind. Sie sind hundsgemein. Sie sitzen auf dem Stuhl, den ich gemacht habe.
Was habe ich Ihnen zuleid getan? Warum schmähen Sie mich? Alle schmähen
mich. Wieso seid ihr stärker als die Wahrheit? Sie wissen genau was wahr ist,
Sie sitzen drauf - Sie haben keine Scham -.
Ich habe eine andere Arbeit für dich. Ich zeige dir, wie man Bestellungen
schreibt. Für jede Bestellung, die du hereinbringst verdienst due ein halbes
Pfund. Akquise nennt man das.Das paßt vielbesser zu dir Hörst du! Du kannst
verdienen Andri, Geld,viel Geld … Abgemacht? – Ich mein‘s gut mit dir.
Ich wollte aber Tischler werden.
28
Quellen
http://downloads.lehrkunst.ch/Frischs%20Stiller/Max%20Frisch%20Bildnistheorie%20Tageb
uch.pdf
Brecht, Bertold: Gesammelte Werke Bd. 20, Frankfurt am Main 1968
www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Schule/s_36, 28.1.11
Brooks, Kevin: Lukas, München 2010
Frisch, Max: Andorra. Text und Kommentar, Suhrkamp BasisBibliothek, Frankfurt 1999
Frisch, Max: Stiller, Frankfurt 1954
Service. Theater & Schule
Vor - und Nachbereitungen: Sollte das Material Sie neugierig gemacht haben, so
unterstützen wir Sie gern bei einer Vor- und Nachbereitung an Ihrer Schule.
Pädagogenstammtisch: Beim Stammtisch haben Sie in regelmäßigen Abständen die
Möglichkeit, sich mit KollegInnen auszutauschen, Probleme zu diskutieren. Die
TheaterpädagogInnen des WLT bereiten das Treffen vor. Bei besonderem Interesse an
einem Thema veranstalten wir auch gern einen Workshop.
Spielplan: Unseren Spielplan entnehmen Sie dem großen Spielzeitheft und/oder
unserem Leporello. Beides senden wir Ihnen auch gern zu. Alle Informationen können
Sie auf unserer Homepage www.westfaelischeswww.westfaelisches -landestheater.de abrufen.
Buchung: Karten können Sie unter 02305/ 97 80 20 bei Frau Behlau bestellen. Wenn
Sie eine komplette Vorstellung buchen möchten, wenden Sie sich an Frau Tymann
unter 02305/ 97 80 14.
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Fragen: Wir freuen uns auf Ihren Anruf oder Ihre Mail.
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Westfälisches Landestheater
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Fotos:
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Redaktion:
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