Die Entwicklung der Kolloidwissenschaften - Christian

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Die Entwicklung der Kolloidwissenschaften - Christian
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Die Entwicklung der Kolloidwissenschaften
Ein historischer Abriß
Klaus Beneke
Institut für anorganische Chemie
Christian-Albrechts-Universität Kiel
k.beneke@email.uni-kiel.de
Inhalt:
Kolloidwissenschaften bis 1800
2
Latex wird zu Kautschuk, Kautschuk zu Gummi
4
Zeittafel, Latex wird zu Kautschuk, Kautschuk zu Gummi
10
Über Baumwolle zu den ersten Kunststoffen
16
Die Entdeckung der Polymerisation
25
Von den Polymeren zu den Makromolekülen
31
Weiter Beispiele der Kolloidwissenschaften bis zur
Gründung der Kolloid-Gesellschaft 1922
Der 1. Weltkrieg
47
56
2
Kolloidwissenschaften bis 1800
Auszug aus:
Klaus Beneke (1996) In: Über 70 Jahre Kolloid-Gesellschaft. Gründung, Geschichte
Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
7-9
Auch heute findet man in einem modernen Lehrbuch der Grenzflächen- und
Kolloidchemie Phänomene, mit denen schon unsere Vorfahren konfrontiert waren
(DÖRFLER, 1994, 2002).
Kolloidwissenschaft wurde unbewußt
schon im Altertum betrieben. Da diese über
Gebiete der Physik, Chemie, Pharmazie,
Medizin, Botanik, Geologie, Mineralogie und
Technik hinweggreift, ergibt sich für die
Kolloidwissenschaften ein weites Spektrum.
Kosmetika und Duftstoffe, Heilmittel,
alkoholische Getränke (vor 5000 v. Chr.), Papyrus (um 4000 v. Chr.), Tinten, Waschmittel
(vor 3000 v. Chr.), Pigmente, Metallherstellung (Eisen um 2500 v. Chr.), Glasherstellung (um 5000 v. Chr.), Gegenstände aus
Ton, um nur einige zu nennen, kannte man in
Mesopotamien und Ägypten (BENEKE, 1995).
Das Phänomen der Spreitung monomoLeonardo da Vinci
lekularer Schichten war bekannt, man konnte
es aber nicht deuten. Es wurde zur
Ölwahrsagung der Priester in Mesopotamien
ausgenutzt (TABOR, 1980; VOLKE, 1991; BENEKE,
1995).
Das Phänomen der Kapillarität wird dem
Universalgelehrten und Maler Leonardo da Vinci
(1482 - 1519) zugeschrieben. Er beschrieb 1490
das Emporsteigen von Flüssigkeiten in engen
Röhrchen. Auf laminare Strömung und Turbulenz
stieß er beim Kanalbau und bei der Konstruktion
von Wassermühlen (DANNEMANN, 1921; BENEKE,
William Harvey
1995).
3
Diese Kapillarität findet in der Klärung des Blutkreislaufes ihren Fortgang.
Dadurch angeregt, untersuchte der englische Theologe Stephan Hales (1677 - 1761)
Pflanzen, ob dort ein entsprechender Vorgang stattfände (BENEKE, 1995).
Mit dem Phänomen der Kapillarität beschäftigten sich Mediziner wie William Harvey
(1578 - 1657), Giovanni Borelli (1608 - 1679),
Marcello Malpighi (1628 - 1694), Mathematiker
und Physiker wie Galileo Galilei (1564 - 1642),
Evangelista Torricelli (1608 - 1647), Edme
Mariotte (1620 - 1684), aber auch Mineralogen
wie René-Just Haüy (1743 - 1822) und Chemiker wie Louis Joseph Gay-Lussac (1778 –
1850), um nur einige zu nennen (BENEKE,
1995).
An diesem Beispiel der Kapillarität sieht
man, wie verflochten die Kolloidwissenschaften mit den unterschiedlichen Bereichen der
Naturwissenschaft war und ist.
Marcello Malpighi
Literatur
BENEKE K (1995) Zur Geschichte der Grenzflächenerscheinungen - mit ausgesuchten
Beispielen. Beiträge zur Geschichte der Kolloidwissenschaften, IV: 1-141.
Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft (1995). Verlag Reinhard Knof, Kiel
DANNEMANN F (1921) Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem
Zusammenhange. Band 2, 2. Auflage. Verlag von Wilhelm Engelmann, Leipzig.
Neudruck Dr. M. Sändig, Wiesbaden, 1971: 84; 194-200
DÖRFLER H-D (1994) Grenzflächen- und Kolloidchemie. VCH Verlagsgesellschaft
mbH, Weinheim, (1994), 600 Seiten
DÖRFLER H-D (2002) Grenzflächen und kolloid-disperse Systeme. Springer Verlag,
Berlin, Heidelberg, New York (2002), 982 Seiten
VOLKE K (1991) Die Ölwahrsagung der Babylonier aus chemischer Sicht. Das Altertum
37: 115-120
TABOR D (1980) Babylonian lecanomancy: An ancient text on the spreading of oil ion
water. J Colloid Interf Sci 75: 240-245
4
Latex wird zu Kautschuk, Kautschuk zu Gummi
Auszug aus:
Klaus Beneke (1996) In: Über 70 Jahre Kolloid-Gesellschaft. Gründung, Geschichte
Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
9-14
Es war sicher eine Zufallsbeobachtung, als man feststellte, daß es Pflanzen,
Bäume und Sträucher gab, welche beim Anschneiden einen milchähnlichen Saft
absonderten. Diesen Latex (lat.: latex = Flüssigkeit; nicht Milch = lac) findet man bei
uns im Löwenzahn, in vielen Emphorbiaarten und in den Gummibäumen in unseren
Wohnzimmern. An der Luft gerinnen einige dieser Säfte zu mehr oder weniger
klebrigen, elastischen Massen. Diese Latices bestehen aus mikroskopisch kleinen
Feststoffkügelchen, welche in Wasser dispergiert sind und sich beim Trocknen durch
den Verlust des Wassers zu einer festen Masse zusammenlagern („koagulieren“, lat.:
coagulatum = geronnen).
In Südamerika und Ostasien fand man, daß die Rinde der Bäume mehr und mehr
Latex lieferte je öfter sie angeschnitten wurde. So nannten die Maya diese Bäume
weinendes Holz (caa = Holz, o-chu = weinen). Dieser Name der Maya, caa-o-chu,
wurde von den Franzosen auf die feste Masse, den caoutchouc, auf deutsch
Kautschuk übertragen.
Schon sehr früh wurden die auffälligsten
Eigenschaften des Kautschuks, Elastizität und
Klebrigkeit genutzt. Im 11. Jahrhundert spielten
die Maya bei kultischen Ballspielen mit Bällen
aus koaguliertem Kautschuk. Im 16. Jahrhundert bestrich man in Mexiko Gewebe mit Latex
und erhielt wasserdichte Stoffe, in Asien wurde
zur gleichen Zeit Kautschuksaft als Vogelleim
verwendet. Die Verschiffung von Latex nach
Europa scheiterte daran, daß er auf den langen
Reisen koagulierte.
Charles-Marie de la Condamine (1701 1774) brach 1734 zu einer Peru-Expedition auf,
um die Erdkrümmung am Äquator zu messen.
Charles-Marie de la Condamine
Von der Westseite Südamerikas durchquerte er
die Anden und gelang zu dem Amazonasbecken. Dabei traf er an den Ostabhängen
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der Kordilleren Indianerstämme an, die den koagulierten Milchsaft eines Baumes
(Castilla ulei) zum Abdichten von Booten sowie zur Herstellung von Fackeln
benutzten, und für die Kinder kneteten sie auch Bälle daraus. Von dieser Reise
brachte er Proben von Naturkautschuk und Cuare mit. Er berichtete 1745 in Paris
erstmals über Kautschuk und legte Proben vor. Dieser blieb aber zunächst eine
exotische Rarität.
1761 hatten die Franzosen L. Hérrisant und der Chemiker Pierre Joseph Macquer
(1718 - 1785) mit Terpentinöl und Ether ein Lösungsmittel für Kautschuk gefunden
(Macquer, 1761). 1770 erhielt der Kautschuk von Edward Nairne seinen englischen
Namen rubber. Nairne hatte gefunden, daß sich Kautschuk zum Ausradieren von Bleistiftstrichen eignete (engl.: to rub = reiben). 1791 gelang es Samuel Péal in England,
mit Kautschuk beschichtete Gewebe herzustellen. Der Schotte Charles McIntosh
(1766 - 1843) erkannte 1823, daß auch Naphta, die aromatenreiche Fraktion des
Erdöls, als Lösungsmittel geeignet ist. Dadurch erfand er ein wasserabstoßendes
Gewebe. In England werden Regenmäntel noch heute McIntoshs genannt (ELIAS,
1985). Das Wort naptu (Erdöl) benutzten schon die Babylonier um 500 v. Chr..
Der Nachteil der Regenmäntel war, daß sie besonders bei warmen Wetter
klebten. Heute weiß man, daß diese Eigenklebrigkeit eine direkte Folge der chemischen und physikalischen Struktur der dem Kautschuk zugrundeliegenden
Makromoleküle ist. Zu jener Zeit vermutete
man jedoch, daß die Klebrigkeit von einer im
Kautschuk befindlichen Flüssigkeit herrrühre.
Man versuchte, den Kautschuk zu trocknen.
Der Engländer Thomas Hancock kam 1819 auf
die Idee, frisch geschnittene Kautschukstücke,
die immer wieder verklebten, wenn man sie
zusammenpreßte, wieder aufzureißen. Dazu
konstruierte er zwei mit Stacheln besetzte
Walzen, die sich gegeneinander drehten, und
zwischen denen der Kautschuk immer wieder
aufgerissen wurde. Da keine Flüssigkeit im
Kautschuk war, konnte diese auch nicht
entweichen. Aber auf diese Weise behandelter
Kautschuk war längst nicht so zäh, und man
konnte viel leichter verschiedene Stoffe
zufügen. Diese Mastifikation des rohen
Kautschuks wird heute auf der Walze bei
Temperaturen von 100° C bis 170° C in
Gegenwart von Sauerstoff und unter Zusatz
von Mastifizierungsmitteln (Thiophenole und
Charles Goodyear
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deren Zinksalze, Dixylyldisulfide, Pentachlorthiophenol, auch Zinksalze höhermolekularer, ungesättigter Fettsäuren) durchgeführt (RÖMPP, 1983; ELIAS, 1985).
Aber auch Wärme trocknete den Kautschuk nicht. Wenn man ihn zu hoch
erhitzte, wurde er zu einer übelriechenden Masse. Seit 1831 versuchte der
Amerikaner Charles Goodyear (1800 - 1860) dem Kautschuk ein Trocknungsmittel
zuzusetzen, welches die klebrigmachende Flüssigkeit aufsaugen sollte. Dabei
verwendete er auch Schwefel als Zusatz. Aber auch gelindes Erwärmen dieser
Mischung brachte keinen Erfolg. Durch Unachtsamkeit blieb ein kleines Stück dieser
Kautschuk-Gummi-Mischung über Nacht in Kontakt mit einem heißen Ofen. So erhielt
Goodyear 1839 einen hoch-elastischen Gummi, dessen Klebrigkeit verschwunden
war; die Vulkanisation war erfunden. Es dauerte fünf Jahre, bis er einen Finanzier für
seine Erfindung fand, so daß er 1844 ein Patent anmelden konnte (GOODYEAR, 1844).
Thomas Hancock hatte inzwischen für den gleichen Prozeß ein englisches Patent
erlangt und gab ihm den Namen Vulkanisation, da Hitze und Schwefel dem römischen
Gotte Vulkan zugeschriebene Attribute waren.
Unter Vulkanisation im weiteren Sinne versteht man heute Vernetzungsreaktionen von
Elastomeren aus Natur- oder Synthesekautschuk. Durch Zugabe von Vulkanisationsmitteln (vorwiegend Schwefel) werden bei der
Umwandlung von Kautschuk aus dem hauptsächlich überwiegend plastischen in den
elastischen Zustand die Doppelbindungen
gelöst und Schwefel-Brückenbindungen zu
den Nachbarmolekülen geknüpft. Bei Weichgummi benötigt man 1 bis 4%, bei Hartgummi
über 20 % Schwefel (RÖMPP, 1983; ELIAS,
Kautschukgewinnung
1985).
Goodyear begründete damit die Gummiindustrie, und der Verbrauch an Kautschuk stieg
sprunghaft an. Wurden im Jahre 1825 nur 38
Tonnen verbraucht, waren es im Jahre 1840
388 Tonnen und 1870 schon 8 000 Tonnen.
Dieser Kautschuk wurde von wildwachsenden
Bäumen der Gattungen Castilla elastica und
Castilla ulei hauptsächlich in Brasilien gewonnen. Diese Bäume gehören zu der Familie der
Moraceae den Maulbeergewächsen.
Einige
der
brasilianischen
Enrico Caruso
Kautschukbarone wurden dabei sehr reich und
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ließen sich ihre Kulturbeflissenheit einiges kosten. So wurde ein Opernhaus aus
importiertem italienischen Marmor mitten im Amazonas-Dschungel gebaut, in dem der
berühmteste Operntenor seiner Zeit, Enrico Caruso (1873 - 1921), seine Arien
schmetterte. Dieses Spektakel ist sehr schön in dem Film Fitzgeraldo von Werner
Herzog, mit Klaus Kinski in der Hauptrolle, dargestellt.
Unter den Compositen erlangte der Guayule-Strauch Mexikos bis heute eine,
wenn auch nur geringe Bedeutung. Von den Löwenzahngewächsen enthält KokSaghys Kautschuk-Latex. Diese Pflanze gedeiht in mittleren bis nördlichen Vegetationszonen, und wurde in Rußland zeitweise angebaut.
In Ostasien gewann man eine geringe Menge an Kautschuk aus Ficus elastica,
dem Gummibaum, der bei uns in den Wohnzimmern steht. England versuchte, diesen
Ficus elastica in Singapur für die Kautschukproduktion zu kultivieren. Der Erfolg blieb
aus, die Bäume versiegten nach mehrmaligem Anzapfen. Ein weiteres Experiment mit
Apocynaceen, Lianengewächsen aus Zentralafrika, Kautschuk zu gewinnen,
scheiterte um 1860 ebenfalls.
Der Kurator am Museum für Pharmazie in
London, J. Collins, konnte 1869 durch intensive Untersuchungen feststellen, daß sich
Hevea brasiliensis am besten für die Zucht in
Plantagen eignete. Brasilien hatte ein Monopol
auf Wildkautschuk, und durch Ausfuhrverbote
für Pflanzen bzw. Samen wollte man dieses
erhalten. 1873 versuchte Collins, ungefähr
2 000 Samen aus Brasilien herauszuschmuggeln, doch die Ladung erlitt Schiffsbruch.
Schließlich gingen von 200 illegal ausgeführten Samen in England ein Dutzend auf. Davon
wurden sechs Pflanzen nach Kalkutta geschickt, die aber alle eingingen.
Der englische Kaffeepflanzer Sir Henry
Wickham brachte unter Bananenblättern versteckt, 1876 im Auftrag von Collins 70 000
Samen der Hevea brasiliensis nach England.
Sir Henry Wickham
Davon gingen 2 800 Samen an und 1 900
wurden in Ceylon weitergezüchtet. Diese bildeten den Grundstock für Plantagenkautschuk, zuerst auf Ceylon, dann in anderen ostafrikanischen Ländern (ELIAS,
1985).
Bei Hevea brasiliensis kommunizieren die Milchröhren untereinander, so daß
grätenmusterähnliche Einschnitte, die bei vorsichtiger Anbringung nur die Rinde verletzen, nicht aber das Kambium beschädigten, genügen, um den Milchfluß über eine
8
längere Zeit aufrechtzuerhalten. Das Wachstum der Bäume wird wenig beeinträchtigt,
da das Kambium ein teilungsfähiges Gewebe ist, das für das Dickenwachstum verantwortlich ist und in den Hölzern nach innen Holz-, nach außen Rindenzellen bildet.
Anders verhält es sich bei Castilla elastica und Castilla ulei. Bei diesen sind die
Milchsaftröhren ungegliedert, und beim Anschneiden des Stammes fließt nur in
unmittelbarer Umgebung der Wundstelle Milchsaft aus. Da in den Röhren ein Überdruck vorliegt, spritzt einTeil der weißen Flüssigkeit bereits im Moment der Stammverletzung heraus. Durch mehrere Schnitte wird drei- bis viermal im Jahr geerntet,
wobei die Bäume nachhaltig geschädigt werden. Außerdem mindert ein erhöhter
Harzgehalt (4 bis 9%) des Castilla-Kautschuks seinen Wert.
Die ersten vier Tonnen Plantagenkautschuk kamen 1900 auf den Markt, während
54 000 Wildkautschuk im gleichen Jahr gewonnen wurden. Da Plantagenkautschuk
kostengünstiger, einheitlicher und weniger verunreinigt ist, hat er Wildkautschuk praktisch völlig verdrängt.
Die Produktion von Naturkautschuk belief
sich im Jahre 1985 auf 3 800 000 Tonnen.
Diese Menge wäre wohl kaum von Waldläufern zu erzielen gewesen, abgesehen von den
hohen Vegetationsschäden, welche durch
wiederholtes Anzapfen von Castilla elastica
und Castilla ulai entstanden wären. Insgesamt
hätte der Naturkautschuk nur ein Drittel des
Weltbedarf an Kautschuk von 13 000 000
Tonnen abgedeckt (ELIAS, 1985).
Gleichzeitig, aber unabhängig von der
Entwicklung Goodyears, entwickelte sich die
Luftbereifung von Fahrzeugen. Robert William
Thomson führte am 17. März 1847 in London
einen
luftbereiften
Pferdewagen
vor
(THOMSON, 1845). Aber diese Erfindung fand
im Zeitalter der Pferdefuhrwerke keinen
Durchbruch und wurde vergessen. Der irische
Tierarzt John Boyd Dunlop (1840 - 1921)
John Boyd Dunlop
mußte sie 1888 erneut machen. Er umwickelte
das Rad einer Laufmaschine (Draisine) seines
Sohnes mit Gummistreifen und füllte den so entstandenen Schlauch mit Luft. Dunlop
begründete 1889 die Rubber Dunlop Company (DUNLOP, 1888). Diese Erfindung kam
zur rechten Zeit, fiel sie doch zusammen mit dem Beginn der Entwicklung des
Automobils. Heute werden rund 65% des Kautschuks für die Reifenherstellung
verwendet.
9
Produktion von Natur- und Synthesekautschuk 1830 - 1950 (Gröne, 1988)
Jahr
1830
1850
1890
1900
1910
1920
WildKautschuk
t
160
1 500
29 000
54 000
62 000
39 000
1930
1940
1945
1950
21 000
-
PlantagenKautschuk
t
4
8 000
305 000
(1915-1918)
800 000
1 389 000
268 000
1 780 000
Synthetischer
Kautschuk
t
3 000
Gesamt
40 000
866 000
534 000
821 000
1 429 000
1 134 000
2 314 000
t
160
1 500
29 000
58 000
70 000
347 000
Auf die Entwicklung des Synthesekautschuks BUNA und dessen chemischer
Industrie, in Deutschland hauptsächlich die I. G. Farben AG mit ihren BUNA-Werken,
wird in diesem Beitrag nicht näher eingegangen, und auf den Artikel von H. Gröne
hingewiesen (GRÖNE, 1988).
10
Zeittafel
Latex wird zu Kautschuk, Kautschuk zu Gummi
(nach Häberlein, 2002)
Lange bevor ein weißer Mann seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzte
und über unermesslichen Gold- und Silberschätzen den unscheinbaren Kautschuk
nicht beachtete, wußten die Ureinwohner Mittelamerikas - die Azteken und Mayas sowie die kriegerischen Eingeborenenstämme der “Grünen Hölle” des Amazonasstromes vielfältige und nützliche Dinge aus der Milch des “weinenden Baumes” zu
formen. Aus seinem milchigen Saft fertigten die Eingeborenen Schuhe, Flaschen und
Bälle.
Jahr
1495
1519
1751
1761
Ereignis
Christoph Kolumbus (1451 - 1506) sah auf seiner zweiten Reise in die Neue Welt auf
Haiti Indos mit einem elastischen Ball spielen.
Hernando Cortez (1485 - 1547) sah bei der Eroberung Mexikos in den prunkvollen
Ballspielhäusern des Aztekenfürsten Montezuma (1466 - 1520) dem Spiel der
springenden Bälle zu. Durch dessen Aufzeichnungen erhält Europa erstmals
Kenntnis von dem hier unbekannten elastischen Material. .
Die französischen Wissenschaftler Charles-Marie de la Condamine (1701 - 1774)
und C. F. Fresneau berichten über den Kautschuk und bringen diesen in Europa
wieder in Erinnerung.
Die französischen Forscher Pierre Joseph Macquer (1718 - 1785) und L. A. M.
Hérrisaut lösen Kautschuk in Ether und Terpentin. Dabei stellen sie fest, daß dieser
nach dem Verdunsten wieder diesselben Eigenschaften zeigt wie vor dessen
Auflösung. Macquer bestrich mit dem gelösten Kautschuk Wachsformen und konnte
durch Abschmelzen des Wachses die ersten Formartikel wie Gummieschläuche und
Gummischuhe herstellen.
1765
J. A. C. Charles dichtet mit gelöstem Kautschuk Textilien ab, das die Brüder Montgolfier u. a. nutzten um ihre Heißluftballone herzustellten (1783).
1770
Der Mechaniker Edward Nairne entdeckt per Zufall den Radiereffekt als er mit einem
Stück Kautschuk über eine Bleistiftskizze strich und diese ausradierte. J. Priestley
berichtete erstmals darüber. Nairne verkauft Kautschukstücke unter dem Namen
“rubber“ (Reiber), die unter dem Namen “India rubber“ bekannt wurden.
1791
Samuel Peal erhält in London das erste Patent zur Herstellung gummierter Gewebe.
Dabei wurde der in Terpentin gelöste Kautschuk bei der Kälte steif und in der Sonne
1803
klebrig, wobei ein unangenehmer Geruch verbreitet wurde.
In Paris wurde die erste Fabik zur Herstellung elastischer Bänder für Hosenträger,
1819
Strumpfbänder u. a. gegründet.
Thomas Hancock, ein Engländer, entdeckt die Mastifikation und konstruiert eine
1823
Knetmaschine die er “Mastifikator“ nennt.
Der Schotte Charles McIntosh (1766 - 1843) verbessert das Verfahren von Samuel
11
1824
1826
Peal und gilt als Vater der wasserdichten Stoffe. Als Lösungsmittel für den
Kautschuk verwendete er Benzol, bestrich damit eine Leinwand und klebte auf die
bestrichene Fläche ein zweites stück Leinwand. McIntosh stellte auch die ersten
regendichten Mäntel her die den Namen “McIntosh“ in England bis heute tragen.
In Österreich gründet J. N. Reithofer die erste Kautschukwarenfabrik auf dem
europäischen Kontinent.
Michael Faraday (1791 - 1867) erkannte erstmals, daß Kautschuk aus einem Kohlenwasserstoff mit je fünf Kohlenstoffatomen aufgebaut ist, der 1860 Isopren genannt
wurde.
Faraday M. (1826) Quart J Sci 21: 19
1830
1839
1845
1846
1849
1856
1860
Der Weltkautschukverbrauch (Wildkautschuk) beträgt 150 Tonnen.
Der Amerikaner Charles Goodyear (1800 - 1860) machte per Zufall die wichtigste
Entdeckung für die Verwertung des Kautschuks. Mit Schwefel vermischter Kautschuk
verwandelt sich unter bestimmter Hitzeeinwirkung in Gummi. 1843 erhielt Thomas
Hancock dafür ein Patent, da Goodyear das Geld dazu fehlte. Goodyear wurde
später in einem Patentstreit die Priorität zugesprochen.
Der Schotte Robert William Thomson meldet beim Londoner Patentamt den ersten
Luftreifen an.
Alexander Parkes entdeckt die Kaltvulkanisation (Parkes-Prozess) mit Schwefelmonochlorid.
William Elliot gründet in Berlin die erste deutsche Gummiwarenfabrik.
Weltkautschukverbrauch 7 000 Tonnen.
Bei der Trockendestillation des Naturkautschuks erhielten W. Gregory (1835) und
Carl Himly (1811 - 1885) im Jahre 1838 verschiedene Kohlenwasserstoffe, von
denen einer den Siedebereich 33 bis 40 °C hatte. Sie nannten ihm Faradayin.
Greville Williams gewann dieses Produkt reiner und ermittelte einen Siedepunkt von
37 °C. Er fand auch die richtige Summenformel (C5H8) und nannte es Isopren. Die
Konstitution des Isoprens wurde 1897 von W. Ipatjev und W. Euler aufgelärt. Euler
gelang auch 1898 die Synthese dieses wichtigen Abbauprodukts und Bausteins von
Naturstoffen.
Gregory W (1835) Ann Chem 16: 61; Himly C (1838) Ann Chem 27: 40; Williams C. G.
(1860) Phil Trans Roy Soc [London] 150: 241; Ipatjev W, Wittorf N (1897) J Prakt Chem 55:
1; Euler W (1897) Ber Dtsch Chem Ges 30: 1889; Euler W (1897) J Prakt Chem 57: 131
1861
1873
1876
1878
1879
Brasiliens Kautschukmoniopol trieb die Preise in die Höhe. Kautschuk wurde
zeitweilig teurer als Silber.
J. Collins versuchte ungefähr 2 000 Samen des Hevea brasiliensis aus Brasilien zu
schmuggeln, doch die Ladung erlitt Schiffsbruch.
Henry Wickham brachte auf abenteuerlichen Wegen 70 000 Samen der Helvea
brasiliensis nach England. Ca. 2 800 Pflanzen wurden nachdem sie in England
angegangen waren auf Plantagen in Ceylon und Malaysia gebracht, wobei ca. 1 900
Pflanzen aufgingen. Diese bildeten den Grundstock für die ersten Kautschukplantagen.
Herstellung der ersten Tennisbälle.
Der Franzose G. Bouchardat zeigte den grundsätzlichen Weg zur Herstellung von
12
1884
Kautschuk durch Polymerisation, indem er flüssiges aus trockener Destillation von
Kautschuk gewonnenes Isopren in einem mehrere Monate dauernden Prozess in
eine kautschukähnliche Masse überführte.
Der Engländer W. A. Tilden stellt für Isopren eine Strukturformel auf.
Tilden W A (1884) J Chem Soc 45: 410
1888
1889
1890
1893
1894
1895
1896
1900
1909
1910
1912
1915
1923
1923
Der Tierarzt John Boyd Dunlop erfand unabhängig von R. W. Thomson den FahrradLuftreifen.
550 kg Plantagenkautschuk erschienen auf dem Markt
William Barlett erfand den Reifenwulst.
Erste Cordgewebekonstruktion für Reifen.
Die Gebrüder Michelin in Frankreich entwickelten die erste brauchbare Konzeption
eines demontierbaren Luftreifens für Automobile.
Dunlop rüstet das erste Automobil mit Luftreifen aus.
Goodrich konstruiert den ersten Luftreifen in den USA.
J. Kondakow, ein russischer Chemiker, wandelt Dimethylbutadien, das chemisch
leichter zugänglich war als Isopren, durch langwierige Wärmebehandlung in ein elastisches Polymerisat mit allerdings unzureichendem Erscheinungsbild um. Dabei
handelte es sich um den ersten vollsynthetischen Kautschuk, der allerdings in seiner
Zusammensetzung vom Naturkautschuk abwich.
Der deutsche Chemiker Fritz Hofmann (1866 - 1956) erfand den ersten brauchbaren
synthetischen Kautschuk (Polyisopren) und erhielt das erste Patent auf diesem
Gebiet.
Carl Dietrich Harries (1866 - 1923) und unabhängig davon die englischen Chemiker
F. E. Matthews und E. Strange entdeckten, daß sich die Polymerisation durch den
Einsatz von Alkalien, vor allem von Natrium, erheblich beschleunigen ließ. Damit
war die Basis für eine großindustrieelle Synthesekautschukproduktion gelegt. Die
starke Motorisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließ den Kautschukpreis auf 28
Mark/kg steigen. Der Weltkautschukbedarf betrug 100 000 t. Da größere Mengen
Plantagenkautschuk auf den Markt kamen, fiel der Preis in der Folge wieder ab.
Herstellung der ersten Reifen aus vollsynthetischem Isopren-Kautschuk. Der damalige Chef der Farbenfabriken Bayer, Geheimrat Carl Duisberg (1861 - 1935), fuhr mit
diesen Reifen ohne Panne von Leverkusen zu einer Tagung nach Freiburg im
Breisgau. Diese Leistung fand auch das Interesse von Kaiser Wilhelm II., der die
Wagen seines Marschalls mit solchen Reifen ausrüsten ließ.
Bedingt durch den Ausbruch des Krieges lief bei Bayer in Leverkusen die erste
großtechnische Anlage zur Herstelung von Syntheskautschuk (Methylkautschuk) an.
Bis 1918 wurden 2 500 t Methylkautschuk hergestellt. Nach 1918 wurde die Produktion wieder eingestellt.
Erste Ballonreifen in den USA und Deutschland. Verwendung von Cordgewebe für
den Reifenunterbau.
Bei der inzwischen gegründeten IG-Farbenindustrie wurde die Synthesekautschukforschung wieder aufgenommen. Butadien wurde mit Natriumkatalysatoren zu einem
Synthesekautschuk polymerisiert, der den Namen BUNA erhielt. Dieses
eingetragene Warenzeichen findet noch heute für viele Synthesekautschuk-Typen
Verwendung.
13
1926
1929
1930
1933
1936
1937
1941
1942
1943
1947
1948
1949
1951
1952
1953
1954
1955
Gründung der Deutschen-Kautschuk-Gesellschaft (DKG).
Der Chemiker Walter Bock entwickelte die Emulsionspolymerisation von Butadien
und Styrol und legte damit den Grundstein für die wirtschaftliche Nutzung des
Synthesekautschuks. Der Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR; von englischen “StyreneButadiene-Rubber”) ist der heute am meisten verwendete Synthesekautschuk.
Dieser wird vorwiegend für die Reifenherstellung verwendet.
Erich Konrad und Eduard Tschunkur entwickelten den öl- und benzinbeständigen
Butadien-Acrylnitril-Kautschuk (NBR).
In den USA entwickelt Wallace Hume Carothers (1896 - 1937) bei Du Pont den
ozon- und witterungsbeständigen sowie flammwidrigen Chloroprenkautschuk (CR),
der 1932 zunächst als Duprene, später als Neoprene auf den Markt kam.
Der Naturkautschukpreis liegt bei 0.32 RM/kg, dem niedrigsten Preis aller Zeiten.
Kunstseidenkord für die Reifenherstellung
In Schkopau, einer kleinen Stadt in Mitteldeutschland, wurde das erste BUNA-Werk
der Welt eröffnet. Weitere Anlagen entstanden in Leverkusen, Ludwigshafen und
Marl-Hüls.
Erster deutscher BUNA-Reifen.
Otto Bayer (1902 - 1982) entdeckte in Leverkusen die Polyadditionsreaktion von
Diisocyanaten mit zweiwertigen Alkoholen zu Polyurethanen (PUR). Diese wurden
unter anderem zur Herstellung der hochelastischen, damals I- Gummi genannten
Produkten verwendet.
In den USA wurden große Synthesekautschuk-Werke zur Produktion von SBR unter
der Kontrolle der Regierung gebaut (Government-Rubber).
Der äußerst kälteflexible und hochtemperaturbeständige Siliconkautschuk wird in
den USA entwickelt.
Die deutsche BUNA-Jahreserzeugung liegt bei 120 000 t.
Entwicklung von Butylkautschuk (IIR), ausgehend von Polyisobutylen bei Standart
Oil of New Jersey.
Super-Ballon-Reifen.
Einstellung der westdeutschen Synthesekautschuk-Erzeugung auf Beschluß der
Alliierten.
Entwicklung des besonders wärmebeständigen und resistenten Fluorkautschuks
(FPM) bei Du Pont in den USA:
Entwicklung des Stahlgürtelreifens bei Michelin in Frankreich.
Entwicklung des öl- und wärmebeständigen Acrylatkautschuks (ACM) bei Goodrich.
Aufhebung des Produktionsverbots für Synthesekautschuk in Deutschland.
Ein Kilogramm Naturkautschuk kostete 8 DM.
´Wiederaufnahme der Synthesekautschukherstellung bei den BUNA-Werken Hüls in
Marl, Westfalen.
Entwicklung von chlorsulfoniertem Polyethylen (CMS) bei Du Pont.
In den USA gelang mit der großtechnischen Herstellung von cis-1,4-Polyisopren (IR)
erstmals die Entwicklung eines Synthesekautschuks, der in der Molekularstruktur
dem Naturkautschuk gleicht. Das Verfahren wurde anschließend auch bei der Herstellung von stereospezifischem Polybutadien (BR) angewandt.
Weltkautschukverbrauch 2 880 000 t. Davon entfielen 1 485 000 t auf die USA und
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1958
1959
1960
1961
1962
1965
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1981
1985
1986
1987
1989
1990
180 000 t auf die Bundesrepublik Deutschland. Die Welterzeugung von
Synthesekautschuk stieg auf eine Million t an.
Inbebriebnahme einer neuen Fabrikationsanlage für 120 000 Jahrestonnen StyrolButadien-Kautschuk (SBR) bei den BUNA-Werken Hüls.
Entwicklung von Ethylen-Propylen-Kautschuk (EPM, EPDM) durch Guilio Natta
(1903 – 1979) und G. Crespie auf Basis von Ziegler-Katalysatoren.
Zum erstenmal überflügelt Synthesekautschuk mit 2.65 Millionen Tonnen die
Weltproduktion von Naturkautschuk mit 2.08 Millionen Tonnen.
H. Bartl und J. Peter entwickelten bei Bayer in Leverkusen den Ethylen-VinylacetatKautschuk (EVM).
Entwicklung von Block-Copolymeren auf Basis Styrol und Butadien durch Shell, die
zu den ersten thermoplastischen Elastomeren (SBS) führten.
Produktaufnahme von cis-1,4-Polybutadien bei Hüls. Die Verwendung dieses Kautschuks als Mischkomponente bei der Reifenherstellung verbesserte das Abriebverhalten, die Kälteflexibilität und das Alterungsverhalten der Reifen.
Entwicklung des besonders kraftstoff- und ozonbeständigen Epichlorhydrinkautschuks (CO, ECO) bei Goodrich.
Weltkautschukverbrauch 7 650 000 t, davon 64% Synthesekautschuk.
Entwicklung von thermoplastischen Polyurethan (TPE-U) bei Bayer in Leverkusen.
Beginn der Herstellung von Ethylen-Propylen-Kautschuk (EPDM) bei Hüls.
Entwicklung von thermoplastischen Copolymeren auf Basis Alkylenterephthalaten
und Alkylenglykolen (TPE-E) durch G. K. Hoeschle und W. K. Witsiepe bei Du Pont.
Entwicklung von Polynorbornenkautschuk (PNR) bei CdF-Chemie.
Einführung von Ethylen-Acrylatkautschuk (EAM) durch Du Pont.
Entwicklung neuartiger thermoplastischer Elastomere auf Basis vernetzter EthylenPropylen-Kautschuk/Polyolefinverschnitten (TPE-O) durch A. Y. Coran und R. Patel ,
Monsanto.
Entwicklung von thermoplastischem Naturkautschuk durch Verschnitt vernetzter
Produkte mit Polyolefinen durch R. Mullins.
Einführung von hydriertem Nitrilkautschuk (H-NBR) als neue, besonders resistente
und hitzebeständige Kautschukklasse durch Bayer.
Entwicklung
von
Polytertrafluorethylen/Polyolefin-Verschnitten
(Aflas)
als
Kautschuke für höchstresistente Gummiteile von Asahi Glas, Japan.
Einführung eines neuen amorphen thermolplastischen Chlorolefinelastomeren
(Alcryn) durch Du Pont.
Entwicklung eines höchst resistenten Fluoralkoxyphosphazenkautschuks (PNF)
durch Ethyl Corporation.
Einführung von Nitrilkautschuk/Polyolefinverschnitten als thermoplastischem NBR
durch Monsanto.
Einführung von thermoplastischem Polyether-Polyamid-Block-Copolymeren (TPE-A)
durch Atochem.
Einführung eines Ethylen-Chlorsulfonierten Polyethylen-Copolymeren (ECSM) durch
Du Pont.
Einführung einer neuen Klasse von thermoplastischern Elastomeren auf Basis Polyamid/Reaktivkautschuk-Verschnitten durch Du Pont.
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Weltkautschukverbrauch 15.8 Millionen Tonnen, davon 67% Synthesekautschuk. Bis
1994 wird die jährliche Zuwachsrate auf 2.1% geschätzt.
Die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist vor allem durch
stetige Zunahme des Kautschuksverbrauchs und des Anteils der Synthesekautschuke
im Gesamtverbrauch gekennzeichnet. Wie die Zeittafel vor allem der letzten zwei
Jahrzehnte zeigt, werden in zunehmendem Maße Möglichkeiten genutzt, Synthesekautschuke für ganz bestimmte Anwendungsbereiche unter Hervorhebung gewünschter Eigenschaften quasi „nach Maß” herzustellen.
Ungeachtet aller Fortschritte bei der Entwicklung neuer Synthesekautschuke
hat der Naturkautschuk seine Bedeutung behalten. Er wird als Allround-Kautschuk in
der Summe seiner Eigenschaften von keinem Synthesekautschuk übertroffen und ist
für zahlreiche Anwendungsbereiche nach wie vor erste Wahl.
Literatur
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16
Über Baumwolle zu den ersten Kunststoffen
Auszug aus:
Klaus Beneke (1996) In: Über 70 Jahre Kolloid-Gesellschaft. Gründung, Geschichte
Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
14-22
Mit der Gummiindustie entwickelte sich auch die Faserindustrie. Schon seit Urzeiten verwendeten die Menschen Fasern, die älteste verwendete Faser ist vermutlich
die Wolle von Wildtieren. Schafe und Ziegen wurden seit ca. 9000 v. Chr. gezüchtet.
In Babylon kannte man Wollkleidung seit ca. 4000 v. Chr.
Baumwolle kannten die Ägypter wahrscheinlich schon ca. 12000 v. Chr.; in
Mexiko fand man Baumwollgewebe aus der Zeit um 5700 v. Chr. Der Gebrauch von
Webstühlen war bereits um 4400 v. Chr. in Ägypten bekannt (Elias, 1992).
Diese Textilfasern waren Wolle, Seide, Baumwolle, Flachs und Leinen, Hartfasern wie Hanf, Jute oder Kopek. Aus diesen machte man Textilien, so z. B. aus
Wolle wie - in der Natur - einen kälteabweisenden Schutz.
Mit Baumwolle dadegen, dem Samenhaar eines subtropischen, zu den Malvengewächsen gehörenden Busches (Gossypium), hatte man Schwierigkeiten beim Verarbeiten, aber bereits die Babylonier webten aus Baumwolle Textilwaren. In Indien
nutzte man den Baumwollanbau früher als anderswo. Im ältesten klassischen Hinweis
auf Baumwolle schrieb der griechische Geschichtsschreiber Herodot (490 - etwa 425420 v. Chr.) in erheiternder Unkenntnis:
„Außerdem tragen daselbst wilde Bäume statt der Früchte eine Wolle, die an
Schönheit und Güte die Schafwolle übertrifft, und die Inder tragen Kleider von dieser
Baumwolle“.
Durch die Kriege im Vorderen Orient machten die Römer Bekanntschaft mit der
auf Bäumen wachsenden „Wolle“. Im Mittelalter übernahmen die Araber die Kunst der
Inder, die Baumwolle zu feinen Gewändern zu weben und zu verarbeiten. Das
arabische Wort quttan lieferte das das englische Wort cotton (DURANT, 1969; RÖMPP,
1983).
John Mercer (1791 - 1866), Sohn eines Webers, selbst Garnspuler und Weber,
eignete sich durch Parkinsons Chemical Pocket Book autodidaktisch chemisches
Wissen an und fand in Antimonsulfid den ersten Farbstoff, der Baumwolle orange
färbte. Dieses Verfahren wurde benutzt, brachte Mercer aber keinen finanziellen
Nutzen. Später arbeitete er in einer Druckerei, verbesserte die Indigofärberei und
machte eine Reihe weiterer, das Färben betreffende Erfindungen. Ab 1844 behandelte er Baumwolle, Papier und andere pflanzliche Materialien mit Natronlauge,
17
Schwefelsäure und Zinkchlorid. Dabei entdeckte er, daß gespannte Baumwolle, mit
Natronlauge behandelt, schrumpft und stark glänzende Fasern mit erhöhter Reißfestigkeit ergibt. Die Baumwolle wird auch durchscheinender und nimmt die Farbstoffe
besser auf. Mercer meldete das Mercerieren 1850 zum Patent an, das aber erst 1895
in die industrielle Praxis eingeführt wurde.
Anselme Payen (1795 - 1871), der Sohn
eines Fabrikbesitzers, über dessen Leben
wenig bekannt ist, beschäftigte sich überwiegend mit praxisbezogenen Themen. Erst leitete
er eine Rübenzuckerfabrik in Vaurigrad bei
Paris, später eine chemische Fabrik bei Paris.
1829 wurde er an die École Centrale des Arts et
des Manufactures in Paris berufen. Ab 1835
wurde er Nachfolger von Jean Baptiste Dumas
(1800 - 1884) als Professor für industrielle
Chemie an dieser Hochschule, 1839 kam er in
der gleichen Stellung an das Conservatoire des
Arts et Métiers.
Zunächst beschäftigte sich Payen mit Bleiverbindungen und ihrer Anwendung als AnAnselme Payen
strichmittel. Im Jahre 1822 veröffentlichte er
einen Artikel, in dem er den Gebrauch von
Kartoffeln zum Vermeiden von Kesselstein beschrieb und damit vielleicht die heutige diesbezügliche Verwendung von Stärke anregte.
Danach durchbrach er das niederländische
Boraxmonopol, indem er aus toscanischer
Borsäure und Natriumcarbonat weißes, gut
kristallisiertes Borax herstellte. Dieses Produkt
wurde von der Industrie erst abgelehnt, da man
dort an ein weniger reines Produkt gewöhnt
war. Payen ließ es daher für den Verkauf
nachträglich bräunlich färben und den Glanz
abstumpfen.
In der Zuckerfabrik setzte er erstmals TierJean Baptiste Dumas
kohle zum Entfärben der Zuckerlösung ein.
Auch beschäftigte sich Payen mit Lebensmittelanalytik und der Anwendung von
Düngemitteln. Ab 1833 begann er mit seinen Forschungen über Stärke und
Emzymchemie, wobei er die α-Amylase (er nannte sie Diastase) entdeckte. Er
verfolgte die Veränderungen der Stärke im Verlauf des Pflanzenwachstums und fand
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heraus, daß nach der Behandlung von Holz mit Salpetersäure und anschließender
Natriumhydroxidlösung eine Substanz zurückbleibt, welche er les cellules, Cellulose,
nannte. Diese Cellulose führte Payen 1839 durch Behandlung mit konzentrierter
Schwefelsäure in Dextrose über. Er stellte fest, daß Cellulose, Stärke und Zucker die
gleiche chemische Zusammensetzung haben. In der Baumwolle fand er ebenfalls
Cellulose. Auch erkannte er, daß Holz keine einheitliche Substanz ist. Durch
Behandeln mit Salpetersäure erhielt er aus Holz eine kohlenstoffhaltige Substanz,
welche er für ein Gemisch hielt. Er nannte sie eingelagerte Substanz, heute heißt sie
Lignin (BENEKE, 1998).
Cellulose ist chemisch gesehen ein Zucker, allerdings ein polymerisierter Zucker,
so daß er nicht süß schmeckt. Sie ist die Gerüstsubstanz der Pflanzen und verdankt
diese Eigenschaften ihrem makromolekularem Aufbau (RÖMPP, 1983).
Das Papier wird aus Holz hergestellt und ist damit ein Cellulose-Papier. L. Figuier
zeigte 1846 vor der Französischen Akademie der Wissenschaften, daß sich Papier
beim Eintauchen in Schwefelsäure, ähnlich wie Baumwolle beim Mercerisieren, stark
verfestigte. Dieses künstliche (vegetablische) Pergament fault im Gegensatz zu dem
aus Tierhäuten gewonnenen, echten (tierischen-) Pergament nicht und wird nicht von
Insekten befallen. W. E. Gaine erhielt 1853 für dieses Verfahren ein englisches
Patent (ELIAS, 1985).
1859 erhielt der Engländer Thomas Taylor
ein Patent, indem er Lagen von Papierbögen
unter Einwirkung von Zinkchlorid und Druck zu
einem widerstandsfähigen Material zusammenpreßte. Phänomenologisch ähnelt dieser Prozeß dem von Nelson Goodyear, dem Bruder
von Charles Goodyear, benutzten Verfahren
Naturkautschuk mit viel Schwefel in Hartgummi
(Ebonit) umzuwandeln. Hier ging man aber von
Papierfasern aus und nannte das Produkt
Vulkanfieber. Dieses Vulkanfieber wird noch
heute z. B. zur Herstellung von Koffern
verwendet.
Diese Verfahren zum Herstellen von mercerisierter Baumwolle, künstlichem Pergament
und Vulkanfieber sind eher physkalische Umwandlungen, die chemische Natur der Makromoleküle der Cellulose wird kaum geändert.
Christian Friedrich Schönbein
Anders ist es aber, wenn man Baumwolle nicht
allein mit Schwefelsäure, sondern mit einer Mischung Schwefelsäure und Salpetersäure behandelt. Dieses zufällige Experiment des Chemieprofessors Christian
19
Friedrich Schönbein (1799 - 1868) passierte 1846, als er aus Unachtsamkeit in der
Küche seiner Wohnung eine Flasche mit einer Mischung aus Schwefelsäure und
Salpetersäure zerbrach, und die Flüssigkeit auf den Boden spritzte. Er nahm den
nächstbesten Putzlappen, die Baumwollschürze seiner Frau, und putzte den Boden
auf. Sofort wusch er die Schürze mit Wasser aus und hängte sie zum Trocknen vor
dem Ofen auf, wo sie explodierte, in Flammen aufging und verbrannte. Die Baumwolle
hatte sich in Schießbaumwolle, chemisch gesehen Cellulose in Cellulosenitrat
(Nitrocellulose) umgewandelt. Bei der Herstellung großer Mengen Schießbaumwolle
kamen viele Menschen ums Leben (ELIAS, 1985).
Cellulosenitrat löst sich in vielen organischen Lösungsmitteln, während Cellulose
in ihnen unlöslich ist. Unter gelindem Erwärmen kann man es zu harten, elatischen
Objekten verformen.
Alexander Parkes (1813 - 1890) arbeitete ohne technische und chemische Vorkenntnisse als Leiter einer Gießerei und übernahm 1857 Aufbau und Leitung eines
Werkes, welches nahtlose Metallrohre und Druckwalzen herstellte. Parkes meldete
1840 sein erstes Patent an, das Versilbern von Blumen. Diese behandelte er in der
reduzierenden Lösung von Phosphor in Schwefelkohlenstoff, und anschließend
tauchte er sie in Silbernitratlösung ein. Er beschrieb 1843 die Anreicherung und
Abtrennung von Silber aus Blei durch Zusatz kleiner Mengen Zink. Die Kaltvulkanisation von Kautschuk mit in Schwefelkohlenstoff gelöstem Schwefeldichlorid
(Parkes-Verfahren) entdeckte er 1846. Er erarbeitete Methoden zum Überziehen von
Metallen mit Legierungen und erkannte als einer der ersten, daß geringe
Phosphorzusätze die Zugfestigkeit und Korrosionsbeständigkeit von Legierungen
verbessern. 1851 entwickelte er eine Methode, Zink und Silber durch Destillation zu
trennen. Blei und Zink trennte er durch Luftoxidation. Auch versuchte er, Zink und
Zinn aus Eisenschrott zurückzugewinnen.
Parkes fand 1852 ein Verfahren, um aus Cellulosenitrat einen Plastikstoff
herzustellen. Dazu setzte er dem Cellulosenitrat Ricinusöl, Campher und Farbstoffe
zu und nannte seine Produkte Parkesite. Diese erregten großes Aufsehen und wurden mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Nach der Patenterteilung 1865 und unter
großem Kapitalaufwand ging die Firma 1867 wegen technischer Schwierigkeiten
pleite (ELIAS, 1985).
Daniel W. Spill der alkoholische Lösungen von Campher verwendete, und
amerikanische bzw. englische Patente dafür besaß, war genauso wenig erfolgreich.
Der Amerikaner John Wesley Hyatt (1837 - 1920) verbesserte die vorher genannten Verfahren und bekam 1869 ein Patent zur Herstellung von Celluloid
anerkannt. Er verwendete eine Mischung von Cellulosenitrat und Campher ohne
Ricinusöl und ohne Alkohol. Diese Mischung kann bei mäßigen Temperaturen zu
harten Objekten mit glatter Oberfläche verformt werden. Mit dieser Erfindung gewann
Hyatt den Preis von 10 000 $, welcher ausgesetzt war, um bessere Billardkugeln her-
20
zustellen. Bis dahin wurden Billarkugeln ausschließlich aus Elfenbein hergestellt.
Dieses Elfenbein war als natürlich gewachsener Elfenbeinzahn inhomogen und die
Kugeln wiesen unebene Oberflächen auf, welches die Stöße mit dem Queue wenig
berechenbar machten. Diese Unebenheiten versuchte man vor Hyatts Erfindung
durch Aufbringen eines Überzuges aus reinem Cellulosenitrat zu beseitigen. Der
Effekt war, daß bei zu hartem Anstoßen der Überzug explodierte: dieses bewog oft
die Billardspieler im Wilden Westen, rasch den Revolver zu ziehen!
Diese Erfindung von Hyatt, die Herstellung von Celluloid, überlebten viele Elefanten, die sonst wegen des Elfenbeins getötet wurden; die Erfindung trug erheblich
zum Tierschutz bei. Später wurde die Herstellung von Billardkugeln aus Celluloid
durch Bakelite abgelöst.
Joseph Wilson Swan (gest. 1914) in England erfand mit Thomas Alva Edison (1847 1931) in den USA 1878 die Glühfadenlampe.
Während Edison seinen Glühfaden aus Bambusfaser herstellte, fertigte Swan einen Glühfaden aus Cellulosenitrat, den er durch Denitrierung erhielt. Dazu löste er die Nitrocellulose
in Essigsäure und drückte die Lösung durch
Düsen in ein Alkoholbad. Er erhielt monofile
Fäden und nannte sie artifical silk (künstliche
Seide). Die textile Bedeutung dieser Erfindung
verfolgte Swan nicht weiter, aber er gilt als der
Erfinder der Kunstseide, der er auch den Namen gab (SWAN, 1883; ELIAS, 1992).
Die französische Seidenraupenindustrie
war durch eine Krankheit der Seidenraupen
gefährdet. Louis Marie Hilaire Bernigaud,
Comte de Chardonnet (1839 - 1924), setzte die
Thomas Alva Edison
Erfindung von Swan 1884 in den technischen
Maßstab dem Spinnen von Kunstseide (Chardonnnet-Seide, Nitrocellulose-Seide;
Nitro-Seide Collodium-Seide) um, die wegen ihres Glanzes „Reyon“ genannt wurde.
Chardonnet gründerte 1890 in Besançon die erste Kunstseidenfabrik.
Charles Fredrick Cross (1855 - 1935), Sohn eines Direktors einer Seidenfabrik,
studierte Chemie am Kings College in London, Polytechnikum Zürich und am Owens
College Manchester, wo er unter der Leitung von Sir Henry Enfield Roscoe (1833 1915) und Carl Ludwig Schorlemmer (1834 - 1892) arbeitete. Hier lernte er Edward
Charles Bevan (1856 - 1921) kennen und schloß mit ihm eine lebenslange
Freundschaft.
21
Cross arbeitete ab 1879 als Chemiker bei der Barrow Flax & Jute Company in
Barrow-in-Furness und untersuchte Faserstrukturen und Cellulosederivate. Bevan
begab sich nach dem Studium 1879 in die Papierindustrie und widmete sich der Celluloseforschung. Er veröffentlichte 1882 seine Ergebnisse, die industrielle Verwertbarkeit versprachen. Bevan und Cross gaben daraufhin im Jahre 1883 ihre
Industrieanstellungen auf und begannen am Jodrell Laboratory in London gemeinsam
grundlegende Arbeiten über Cellulose und deren Umsetzungen. Im Jahre 1885
gründeten Cross und Bevan das auf Papier spezialisierte Konsultationsunternehmen
Cross & Bevan in New Courts, Lincoln´s Inn. Cross war auf der Suche nach löslichen
Celluloseverbindungen und konnte 1889 Celluloseacetat und 1890 Cellulosebenzoat
herstellen.
Im Jahre 1892 gelang Cross, Bevan und Clayton Beadle die Entwicklung des
Cellulose-Xanthogenat-Verfahren. Dabei wurde Holzbrei mit Natronlauge und
Schwefelkohlenstoff zu Cellulosexanthogenat umgesetzt und dieses wurde in verdünnter Alkalilauge gelöst (Viskose). Aus der Viskose wurde im Schwefelsäurebad die
Cellulosexanthogensäure freigesetzt, aus der sich unter Abspaltung von Schwefelkohlenstoff die Cellulose zurückbildete. Zuerst wurde diese als Füllstoff und
Überzug für Papier und Textilien benutzt. Zur Verwertung gründeten Cross, Bevan
und Beadle das Viscose Sydicate (CROSS ET AL., 1892, 1893).
Auf Anfrage von C. H. Stearn, der sich
für neue Glühfädenmaterialien interessierte,
begannen Cross, Bevan, Stearn und Topham
mit Spinnversuchen, in deren Verlauf sie die
Notwendigkeit des mehrtägigen „Reifens“ der
Viskoslösung erkannten. Stearn stellte aus
der nach dem Cellulose-Xanthogenat-Verfahren gelöste Viskose durch Ausfällen in
Ammoniumchloridlösung Kunstseidenfäden
her (STEARN, 1898). Erst M. Müller machte
das Spinnverfahren durch ein Spinnbad aus
Schwefelsäure und Natriumsulfat wirtschaftlich (MÜLLER, 1905).
Cross, Bevan und Mitarbeiter gründeten
1903 das Viscose Spinning Syndicate zur
Verwertung des Viskoseseidenverfahrens in
den USA, Frankreich und Deutschland. Cross
widmete sich weiterhin der Vervollkommnung
des Viskose-Verfahrens einschließlich der
Nutzung der Abwässer.
Wallace Hume Carothers
Cross und Bevan schrieben 1887 das
22
Buch Text Book of Papermaking und Cross 1895 das Buch Cellulose, an Outline of
the Chemistry of the Structural Elements of Plants.
Die ersten vollsynthetischen Fasern wurden von Wallace Hume Carothers (1896 1937) hergestellt. Am 28. Februar 1935 konnte er das Polyamid 6.6 (Nylon) aus
Hexamethylendiamin und Adipinsäure herstellen, das sich aus der Schmelze
unzersetzt zu Fäden ziehen ließ. Durch nachträgliches Strecken erhielten die Fäden
eine ungewöhnliche Festigkeit. Die ersten Nylonstrümpfe gab es ab Mai 1940
(CAROTHERS, 1937; BENEKE 1999).
In Deutschland konnte Paul Schlack (1897 - 1987) von der I. G.-Farben am 28.
Januar 1938 durch Polymerisation von ε-Aminocaprolactam mit salzsaurer 6Aminocapronsäure als Katalysator das Polyamid Perlon herstellen (SCHLACK, 1938).
Der Benediktinerpater Wolfgang Seidel
(1492 - 1562) beschrieb die Herstellung eines
schönen Horn aus Casein (lat.: caseus = Käse),
einem wichtigen Bestandteil der Milch. Das
Protein wurde mit Lauge behandelt, warm verformt und die gewünschte Gestalt durch Eintauchen in kaltes Wasser fixiert (ELIAS, 1992).
Emery Edwin Childs, ein Amerikaner,
erhielt 1885 ein Patent zur Herstellung
Paul Schlack
plastischer Massen. Geronnene Milch wurde
von der Molke befreit, mit heißem Wasser bis
zur Klebrigkeit und Entfernung der Fette
geknetet und schließlich durch Zusatz von
Farben und Porzellanpulver in Formen gepreßt.
Wilhelm Krische una Adolf Spitteler setzten
dieser Masse Formaldehyd zu und erhielten
1897 eine hornartige Masse. Dieses Kunsthorn
nannten sie Galalith d. h. Milchstein (griech.:
gala = Milch, lithos = Stein) (SPITTELER, KRISCHE, 1897).
Beim Gerinnen von Milch für die Käseproduktion wird das Casein in Gegenwart von
Calciumionen mit Lab koaguliert. Kuhmilch enthält ungefähr 3% Casein in kolloidaler, milchig
opaleszierender Lösung. Lab (Labferment,
Chymosin, Rennin) ist eine Bezeichnung für
eine Carboxyl-Protease (Molmasse ca. 40 000)
die als inaktives Proezym in der Schleimhaut des Labmagens von Saugkälbern
entsteht (RÖMPP, 1983).
23
Diese Kunststoffe waren halbsynthetische Produkte, da man von natürlichen Produkten ausging. Den ersten vollsynthetischen Kunststoff stellte Leo Hendrick
Baekeland (1863 - 1944) her.
Baekeland wurde in Gent (Belgien) geboren,
wo er 1886 Professor für Chemie wurde. Der
erste Preis bei einem Universitätswettbewerb bescherte ihm 1887 eine Reise an französische,
deutsche, englische und amerikanische Universitäten. Während der Reise 1889 in die USA,
beschloß er, dort zu bleiben. Baekeland arbeitete
zunächst in einer Fotofirma, gründete aber bald
sein eigenes Unternehmen „Velox“. Er entwickelte ein Fotopapier für Schnellkopierverfahren;
seine Ergebnisse verkaufte er 1899 an Eastman
Kodak Co. In seinem Privatlabor beschäftigte er
sich zunächst mit Problemen der angewandten
Elektrochemie, ab 1905 mit den schon 1872
durch Adolf von Baeyer (1835 - 1917) beschriebenen Phenol-Formaldehyd-KondensationsproAdolf von Baeyer
dukten (Baeyer, 1872). Dabei konnte Baekeland
durch stufenweise Kondensation von Phenol und Formaldehyd in Gegenwart basischer Katalysatoren unter Hitze und Druck einen unlöslichen, unschmelzbaren
Kunststoff, den Bakelit, herstellen.
Dieser Bakelit war der erste vollsynthetische, hochmolekulare Duroplast oder
Duromer (griech.: duros = hart), welches aus monomeren Bausteinen hergestellt
wurde. Seine besonderen Eigenschaften, er eignete sich hervorragend als
elektrischer Isolator, führten ihn der technischen Verwertung zu. Am 25. Mai 1910
wurde bei Berlin das erste Kunstharzunternehmen, die Bakelit GmbH, gegründet. Im
Oktober folgte die General Bakelit Com. In den USA und 1911 die Bakelit Ltd. in
England (BAEKELAND, 1907, 1908, 1909 a, b).
Cellulosenitrat kann in der Hitze zu Körpern verformt werden, die ihre Gestalt
beim Abkühlen beibehalten. Durch erneutes Erwärmen können sie in andere Formen
gebracht werden. Dieses läßt sich beliebig oft wiederholen. Diese Stoffe nennt man
im Unterschied zu den Duroplasten, Thermoplaste (griech.: thermos = warm, plasein = bilden, formen).
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SPITTELER A, KRISCHE W (1897) D R P 127 942
STEARN C H (1898) D R P 108 511 (1898/1899)
SWAN J W (1883) British Patent 5 978 (1883/1884); D R P 30 291 (1884/1885)
25
Die Entdeckung der Polymerisation
Auszug aus:
Klaus Beneke (1996) In: Über 70 Jahre Kolloid-Gesellschaft. Gründung, Geschichte
Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
22-26
Die Ägypter balsamierten schon vor über 3000 Jahren ihre Toten ein. Dazu
wurden über 20 verschiedene Produkte wie Palmwein, Natron, Strohhäcksel oder
Sägespäne, Flechten, Nilschlamm, Wacholderöl, Salben, Myrrhe, Zimt, Kassia,
Bienenwachs, Gummi, Henna, Zwiebeln, Asphalt, Holzteer, Leinen und Harze
verwendet (VOLKE, 1993).
Bei der Untersuchung der Mumie von Ramses II. (1300 - 1233 v. Chr.)
fand man eine Art Bauchschild. In diesem befanden
sich Harze, eine Füllung
aus Zypressen- und Tannenspänen, Pfefferkörner,
mit Kamillenöl präparierte
Zweige und zwei Arten Lotus, Solanaceen (Nicotiana), Korbblütler und Amaryllidaceen wie die Tazette
(Narcissus tazetta) (FAURE,
Mumie Ramses II.
1995).
Auch benutzten sie zum Einbalsamieren ein aromatisches Harz, Storax
(Styrax), den sie aus dem Holz des Baumes Liquidambar orientalis gewannen. Dieses
Storax wurde in verschiedenen Formen gehandelt, u. a. auch als "flüssiger Storax",
eine dunkelgraue Masse von zäher Konsistenz. Noch heute wird Storax zur Aromatisierung von Parfümen, zur Gewinnung von Zimtalkohol und in der Medizin als
antiseptisches Expektorans verwendet. Um eine Verwechslung zu vermeiden, wird
darauf hingewiesen, daß es sich nicht um das Baumharz der Styraxbäume (Styracaceae) handelt, dessen Baumharz als Benzoeharz bezeichnet wird (RÖMPP, 1983;
ELIAS, 1985).
Plinius d. Ä. (23/24-79) schrieb in seiner Naturalis historia (Naturkunde) über
Storax (PLINIUS SECUNDUS, 1975):
26
„Syrien erzeugt dort, wo es oberhalb von Phönikien Judäa am nächsten liegt, in der
Gegend von Gabala, Marathos und des Berges Kasion [Dschebel Akra] bei Seleukeia
den Storax. Der Baum hat den gleichen Namen [wie das Harz] und ist der Quitte
ähnlich; seine Harzträger haben zuerst einen herben, dann einen angenehmen
Geschmack; im Innern hat er Ähnlichkeit mit einem Rohr und ist voll Saft. Zu ihm
fliegen um den Aufgang des Hundssterns kleine geflügelte Würmer und nagen ihn an,
weshalb er mit Holzmehl verunreinigt ist. Außer dem an den oben genannten Orten
vorkommenden Storax lobt man noch den von Pisidien, Sidon, Zypern, Kiliklen und
Kreta. Der von Amanos in Syrien wird am wenigsten von den Ärzten verwendet, aber
mehr von den Salbenhändlern. Gleich, wo er herstammt, man bevorzugt den, welcher
eine rötliche Farbe hat und fettig zäh ist; schlechter ist der bräunliche und mit einer
grauen Schicht überzogene. Man verfälscht ihn mit dem Zedernharz oder Gummi,
auch mit Honig und bitteren Mandeln; alle diese Zusätze bringt man durch den
Geschmack heraus. Der Preis für den besten beträgt 17 Denare. Auch in Pamphylien
kommt er vor, ist aber trockener und weniger saftreich".
C. Neumann unterwarf dieses flüssige
Storax einer Wasserdampfdestillation (um
1786) und erhielt ein etherisches Öl
(NEUMANN, 1786). J. F. Bonastre bestätigte
dies 1827 (BONASTRE 1827, 1830). Eduard
Simon gab diesem Öl den Namen Styrol und
beobachtete 1839, daß es sich beim Erhitzen
in eine feste, gelatinöse Masse verwandelte.
Diese Erscheinung war außergewöhnlich, da
Flüssigkeiten beim Erhitzen normalerweise in
Dampf und nicht in feste Stoffe übergehen. E.
Simon vermutete eine chemische Reaktion; da
er aber keine andere Substanz zugegeben
hatte, kam für ihn nur der Sauerstoff der
umgebenden Luft in Frage, und so postulierte
er einen Oxidationsprozeß. Das Produkt
nannte er Styroloxid (SIMON, 1839).
John Blyth und August Wilhelm
August Wilheln Hofmann
Hofmann (1818 - 1892) fanden 1845, daß es
sich bei der Reaktion nicht um eine Oxidation handelte und nannten das angebliche
Styroloxid Metastyrol (grch.: meta = hinter), es trat ja nach dem Styrol auf. Sie fanden
auch für Styrol und Metastyrol die gleiche Zusammensetzung, nach heutiger Schreibweise acht Kohlenstoff- und acht Wasserstoff-Atome (BLYTH AND HOFMANN, 1845).
Dieser Befund war nicht ungewöhnlich, denn schon Jöns Jakob Berzelius
(1779 - 1848) hatte an Weinsäuren beobachtet, daß chemische Substanzen trotz
27
gleicher chemischer Zusammensetzung verschiedene physikalische Eigenschaften
haben können. Diese Stoffe nannte er zunächst Polymere (grch.: poly = viele, meros
= Teilchen). Ein Jahr danach, 1830 präzisierte J. Berzelius den Begriff. Stoffe mit verschiedenen Eigenschaften, aber gleicher Zusammensetzung, nannte er nun Isomere
(griech.: isos = gleich). Nur Isomere, die bei
gleicher
Zusammensetzung
verschiedene
Molekülgrößen besaßen, sollten Polymere
genannt werden. Als Beispiele polymerer
Substanzen nannte J. Berzelius Ethylen (C2H4)
und Butylen (C4H8 = 2·C2H4") (BERZELIUS, 1830,
1832, 1833).
Marcelin Berthelot (1827 - 1907) nannte
den Übergang von Styrol zum Metastyrol 1866
Polymerisation. Dabei blieb offen, wie man sich
die chemische Struktur des Metastyrols, das
1929 Polystyrol genannt wurde, vorzustellen
hatte (STAUDINGER, BRUNNER, FREY, 1929). M.
Jöns Jakob Berzelius
Berthelot entdeckte auch die Rückverwandlung
des festen Produktes (Polystyrol) in das ursprüngliche, flüssige Produkt (Styrol) bei höherer Temperatur und nannte diese Reaktion
Depolymerisation. Er fand auch, daß die Polymerisation des Styrols durch Katalysatoren beschleunigt werden kann (BERTHELOT, 1866a,b,
1867, ELIAS, 1985).
Unter Polymerisation verstand man damals, daß sich Moleküle ohne Änderung der
relativen Zusammensetzung ineinander umwandeln. Heute versteht man darunter eine sich
wiederholende Addition von Monomeren an
eine wachsende Kette, d. h. eine Reaktion mit
Zunahme der Anzahl Atome pro Molekül.
Styrol war aber nicht die einzige Substanz, welche derartige Polymerisationen einPierre Eugene Marcellin Berthelot ging. Charles Adolphe Wurtz (1817 - 1884)
stellte 1859 durch Umsetzung von Ethylenchlorhydrin mit Kaliumhydroxid das bei
Zimmertemperatur gasförmige, Ethylenoxid her. Aus diesem erhielt er eine Reihe
flüssiger Substanzen, welche ebenfalls mehr oder weniger gleich zusammengesetzt
waren (Polyethylenoxide) (WURTZ, 1859, 1860).
28
A.-V. Lourenco ließ 1859 Ethylenoxid mit
Ethylhalogeniden reagieren und isolierte aus der
Reaktionsmasse Substanzen mit Polymerisationsgraden bis zu n = 6. Dabei stellte er fest,
daß sich die Bruttozusammensetzung derartiger
Verbindungen mit steigendem n immer mehr derjenigen des reinen Ethylenoxids näherte, obwohl
Ethylenoxid gasförmig, die Oligoethylenoxide
aber flüssig waren. Er beobachtete auch, daß mit
zunehmendem Polymerisationsgrad n die Viskosität anstieg. Für diese Produkte stellte A.-V.
Lourenco eine Kettenformel in der heutigen Valenzstrichschreibweise auf (LOURENCO, 1859,
Adolphe Wurtz
1860, 1863):
n H2C
CH2
(CH2
CH2
O) n
(n = 1-6)
O
O
Ethylenoxid
→
Polyethylenoxid
Diese Kettenformeln wurden für eine
Reihe von Verbindungen postuliert, so auch für
die Polymeren der Acetylsalicylsäure (KRAUT,
1869), der p-Hydroxybenzoesäure (KIEPL, 1883)
und der Hydroxypivalinsäure. Diese Verbindungen werden heute als Polyester bezeichnet, in
den genannten Arbeiten wurde die Kettenstruktur aber nicht bewiesen (ELIAS, 1985).
F. E. Matthews erhielt 1911 das erste Patent für die Verwendung von Metastyrol zur
Herstellung
von
Lack
und
Gebrauchsgegenständen
(MATTHEWS,
1911/1912). In der Fußnote der Arbeit Über
hochpolymere Verbindungen von Hermann
Staudinger (1881 - 1965) heißt es „Wir nennen
das Produkt, statt wie früher Metastyrol,
Hermann Staudinger
Polystyrol, um eine einheitliche Nomenklatur
durchzufahren,
da
es
sich
um
ein
hochpolymeres Produkt handelt" (STAUDINGER, BRUNNER, FREY, 1929).
29
Franz Mark
Bei der I. G. Farben in Ludwigshafen entwickelten Hermann Franz Mark (1895 - 1992)
und K. Wulff ein einfaches und damit billiges
Herstellungsverfahren für Styrol, indem sie
Ethylbenzol an Metalloxiden dehydrierten
(MARK, WULFF, 1929/1932, BENEKE, 1998) K.
Wulff und E. Dorrer arbeiteten ebenfalls in Ludwighafen ein kontinuierliches Polymerisationsverfahren aus (WULFF, DORRER, 1930/1936). F.
Posner
übertrug
fast
gleichzeitig
das
Spritzgussverfahren für Metalle auf die
Polystyrol-Verarbeitung (POSNER, 1929/1931).
Damit
wurden
fast
gleichzeitig
drei
Voraussetzungen für die technische Erzeugung
dieses Chemiewerkstoffes geschaffen: billige
Erzeugung des Monomeren, kontinuierliches
Polymerisationsverfahren und wirtschaftliche
Herstellung von Formteilen.
Literatur
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Verbindung stehen. Beiträge zur Geschichte der Kolloidwissenschaften, VII. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1998. Verlag Reinhard Knof ,Nehmten: 127-132
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Taschenbuch Verlag GmbH & Co, KG, München (1995): 36
30
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LOURENCO A-V (1859) Compt Rend 49: 619
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WURTZ A (1859) Compt Rend 49: 813
WURTZ A (1860) Compt Rend 50: 1195
31
Von den Polymeren zu den Makromolekiilen
Auszug aus:
Klaus Beneke (1996) In: Über 70 Jahre Kolloid-Gesellschaft. Gründung, Geschichte
Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
26-38
Thomas Graham (1805 - 1869) benutzte
1861 für Stoffe in Lösungen, die nicht durch
Membranen permeierten (lat.: permeare =
durchgehen, durchwandern) wie Leim, Albumin, Stärke, Dextrin, erstmals das Wort
Kolloide im Unterschied zu den Kristalloiden,
die echte Lösungen bildeten. Das Wort Kolloid
stammt vom griechischen kolla, was Leim bedeutet (GRAHAM, 1861, 1862; BENEKE, 1994).
Später stellte man fest, daß auch kristallisierende Stoffe unter bestimmten Bedingungen kolloidale Lösungen bilden (OSTWALD
WO., 1907; VON WEIMARN, 1907).
H. Hlasiwetz und J. Habermann postulierten 1871 hohe Molmassen für Proteine und
Polysaccharide und schlossen daraus, daß es
sich um Polymere handelte. Die Methoden, um
Thomas Graham
dieses nachzuweisen, fehlten ihnen (HLASIWETZ UND HABERMANN, 1871). Die Verfahren zur Molmassenbestimmung waren
chemische Nachweise, welche aber versagten, denn, wie beim flüssigen Styrol und
beim festen Metastyrol gezeigt, fand man, daß Stoffe ganz unterschiedlichen
Verhaltens gleich zusammengesetzt waren (BLYTH AND HOFMANN, 1845).
Francois-Marie Raoult (1830 - 1901) erkannte um 1882 Gesetzmäßigkeiten
zwischen Erstarrungspunkten bzw. Dampfdrücken von Lösungen und ihren Konzentrationen. Das 1. Raoultsche Gesetz sagt aus, daß die molare Gefrierpunktserniedrigung und die molare Siedepunktserhöhung für alle nicht dissoziierenden
gelösten Stoffe einen konstanten, d. h. von der Natur des gelösten Stoffes unabhängigen Wert besitzen. Das 2. Raoultsche Gesetz erklärt, daß der Molenbruch des
gelösten Stoffes der relativen Dampfdruckerniedrigung gleich ist (RAOULT, 1882, 1884,
1885, 1886a,b) .
32
Auf die grundlegenden Arbeiten von Moritz Traube (1826 - 1894) (TRAUBE,
1866), Friedrich Wilhelm Philipp Pfeffer (1845 - 1920) (PFEFFER, 1877; BENEKE,
1998a) und Hugo de Vries (1848 - 1935) (DE VRIES, 1884), baute Jacobus Henricus
van't Hoff (1852 - 1911) seine fundamentalen Arbeiten Die Gesetze des chemischen
Gleichgewichts für den verdünnten, gasförmigen und gelösten Zustand auf (VAN´T
HOFF, 1886, 1887, 1888).
Im 1. Kapitel Die Gesetze des
chemischen Gleichgewichts, beweist J. H.
van't Hoff die Proportionalität zwischen Konzentration und osmotischem Druck in verdünnten Lösungen (Gesetz von Boyle).
Weiterhin findet er auch eine Proportionalität
zwischen osmotischem Druck und absoluter
Temperatur (Gesetz von Gay-Lussac). Daraus
folgert er, daß die Zustandsgleichung idealer
Gase auch für verdünnte Lösungen von Nichtelektrolyten gilt: p . V = n . R . T. Die Moleküle
des gelösten Stoffes verhalten sich demnach
so, als ob sie im Lösungsmittelvolumen als
ideales Gas vorlägen. Im 2. Kapitel dieser
Abhandlung, Eine allgemeine Eigenschaft der
Materie, belegt J. H. van't Hoff die Gültigkeit
Jacobus Henricus van't Hoff
des Gesetzes von Avogadro auch für Lösungen. Die allgemeine Gaskonstante in Lösungen hat denselben numerischen Wert wie
in Gasen. Damit ist es möglich, den osmotischen Druck eines gelösten Stoffes
vorauszuberechnen. Im 3. Kapitel, Elektrische Bedingungen des chemischen
Gleichgewichts, wird die Beziehung zwischen der elektromotorischen Kraft E einer
reversiblen galvanischen Kette und der chemischen Gleichgewichtskonstante -E = RT
lnK beschrieben. J. H. van't Hoff erhielt 1901 für diese Theorie der verdünnten
Lösungen (osmotische Lösungstheorie) den ersten Nobelpreis für Chemie.
Durch diese Gesetze von Raoult und van't Hoff für die Beziehungen zwischen
Dampfdruck und Molenbruch bzw. osmotischem Druck, Konzentration, Temperatur
und Molmasse, erhielt man für Kautschuk, Stärke und Cellulosenitrat sehr hohe
Molmassen zwischen 10 000 und 40 000 g/mol (GLADSTONE AND HIBBERT, 1888,
1889a,b; BROWN AND MORRIS, 1888, 1889). Diese großen Werte wurden von vielen
angezweifelt, fanden doch einige Forscher für die "gleichen" Stoffe unterschiedliche
Molmassen.
Durch das Raoultsche Gesetz wurde eine Proportionalität zwischen Dampfdruck und Konzentration, durch das van't Hoffsche Gesetz eine solche zwischen
osmotischem Druck und Konzentration gefordert. Diese Postulate wurden von den
33
kovalent aufgebauten Kristalloiden mit der damaligen Meßgenauigkeit erfüllt, nicht
aber von den Kolloiden. Heute weiß man, daß beide Beziehungen nur Grenzgesetze
für unendlich kleine Konzentrationen sind. So ist die Konzentrationsabhängigkeit
scheinbarer, d. h. über die Grenzgesetze berechneter Molmassen bei niedermolekularen Substanzen die Regel und nicht die Ausnahme. A. Nastukoff erkannte 1900
den durch Wechselwirkungen zwischen Gelöstem und Lösungsmittel bedingten Effekt
bei ebullioskopischen Messungen und schlug eine Extrapolation auf die
Konzentration des Gelösten vor (NASTUKOFF, 1900). W. A. Caspari erhielt 1914 durch
eine ähnliche Extrapolation an Naturkautschuk eine Molmasse von 100 000 (CASPARI,
1914).
Einige frühe Bestimmungen von Molmassen natürlicher Polymere
(ELIAS, 1985)
Substanz
Molmasse
Methode
Jahr
Autoren
Naturkautschuk
6 000-12 000
1888
Naturkautschuk
100 000
1914
Gladstone und
Hibbert
Caspari
Hämoglobin
16 700*)
1886
Zinoffsky
Hämoglobin
68 000
1925
Svedberg
Hämoglobin
66 700
1925
Adair
Eialbumin
14 000
1891
Eialbumin
Eialbumin
Eialbumin
17 000
73 000
34 000
1908
1910
1919
Sabanjoff und
Alexander
Herzog
Herzog
Sörensen
Eialbumin
43 000
1925
Sörensen
Eialbumin
45 000
Osmotischer
Druck
Osmotischer
Druck
Chemische
Analyse
Ultrazentrifugation
Osmotischer
Druck
Gefrierpunktserniedrigung
Diffusion
Diffusion
Osmotischer
Druck
Osmotischer
Druck
Ultrazentrifugation
1925
Svedberg und
Nichols
*)Hämoglobin besteht aus vier, etwa gleich großen Untereinheiten; die Analyse
bezieht sich auf eine Untereinheit.
34
Gefunden von Zinoffsky:
für die Untereinheit
„C712 H1130 0245 N214 S2 Fe“ (M = 16 728)
d. h. für Hämoglobin
C2848 H4520 O980 N856 S8 Fe4" (M = 66 912)
Heutiger Wert für menschlisches Hämoglobin
„C3108 H4602 0890 N742 S12 Fe4 " (M = 67 209)
Bereits 1826 hatte Michael Faraday
(1791 - 1867) die Bruttoformel C5H8 für
Naturkautschuk aufgestellt, die auf eine
Doppelbindung pro Einheit hinwies (FARADAY, 1826a,b). Dies bot sich aus der
Partialvalenzhypothese an, welche nach
Johannes Thiele (1865 - 1918) bei Substanzen mit konjugierten Doppelbindungen
gültig sei (THIELE, 1899, 1900). Durch
Ozonisierung des Naturkautschuks und
anschließende Hydrolyse des Ozonids
bestätigte Carl Harries (1866 - 1923) dies
und nahm daher 1905 einen Dimethylcyclooctadien-8-Ring als Kautschukgrundstruktur an (HARRIES, 1904, 1905a,b). Da
bekannt war, daß assoziierende Substanzen viel höhere Siedetemperaturen als
nichtassoziierende Stoffe hatten und Kautschuk nicht destillierbar war, sprach dies
Michael Faraday
für eine über Partialvalenzen zusammengehaltene, niedermolekulare, ringförmige Verbindung.
Samuel Pickles (1878 - 1962) schlug im Gegensatz zu anderen Forschern
schon 1910 die noch heute gültige Kettenstruktur für Kautschuk vor. Als Konstitutionsbeweis führte er die erste, gezielte polymeranaloge Umsetzung aus, indem er Brom
an die Doppelbindungen des Naturkautschuks addierte. Er erhielt ein Kautschukbromid mit ebenfalls kolloidalen Eigenschaften. Da sich dabei die Molekülgröße nicht
änderte, faßte er den Naturkautschuk als echtes chemisches Molekül und nicht als
physikalisches Assoziat auf. Diese Arbeit fand aber keine große Beachtung (PICKLES,
1910).
Außer für Naturkautschuk wurden für viele organische kolloide Verbindungen
Ringformeln aufgestellt, so auch für Cellulose. Durch die Annahme cyclischer Verbindungen ließ sich erklären, daß man keine Endgruppen fand.
35
Hermann Staudinger (1881 - 1965) hatte bei den von ihm untersuchten Ketenen Dimere aus zwei Molekülen erhalten. Diesen schrieb er eine cyclische Grundstruktur von Cyclobutan-Derivaten aus vier Kohlenstoff-Atomen zu und sprach sich
gegen Molekülkomplexe aus (STAUDINGER, 1912). Georg Schroeter (1869 - 1943) sah
diese Dimere jedoch als Molekülkomplexe an (SCHROETER, 1916). H. Staudinger
stellte die Argumente für kovalente Bindungen zusammen und postulierte 1920 die
Existenz von Molekülketten als Riesen- bzw. Makromoleküle. Eine solche Kette mußte
an ihren Enden verschiedene Atomgruppen aufweisen. Diese Endgruppen fand man
aber nicht. H. Staudinger begründete dies dadurch, daß die Reaktionsfähigkeit der
Endgruppen mit steigender Molekülgröße abnehme und bei langen Ketten praktisch
gleich Null sei (STAUDINGER, 1920).
Er nahm an, daß die Reaktionsfähigkeit einer COOH-Gruppe am Ende einer
Polymethylenkette mit 1000 CH3-Gruppen tausend mal kleiner als bei der Essigsäure
ist. Heute weiß man, daß der Massenanteil der Endgruppen wegen der hohen
Molmasse viel zu gering ist, um mit den damaligen Analysenmethoden erkannt zu
werden.
Abb.:
a) veraltete Ringformel für Naturkautschuk
b) moderne Schreibweise für Naturkautschuk
CH3
CH2  CH==C  CH2
CH2  CH==C  CH2
CH3
~ CH2  C ==CH  CH2∼
CH3
a)
b)
Erst Paul J. Flory (1910 - 1985) räumte 1937 mit dem geistigen Hindernis zur
Synthese von Makromolekülen auf. Er erkannte, daß die Reaktionsfähigkeit pro Gruppe mit steigender Molekülgröße nicht abnimmt. Man könnte sonst keine Makromoleküle herstellen, denn die Reaktionsfähigkeit wäre bei unendlicher Molekülgröße
zu gering (FLORY, 1953, 1969).
In weiteren Arbeiten versuchte H. Staudinger, seine Vorstellung von den organischen Kolloiden als echten Makromolekülen experimentell nachzuweisen. Zu diesem Zweck versuchte er 1922 die Hypothese der sogenannten ersten Mizellartheorie
36
zu widerlegen, daß bei den organischen Kolloiden kleinere Ringe durch Partialvalenzen zusammengehalten wurden. Dazu wurde Naturkautschuk hydriert, und der
resultierende Hydrokautschuk sollte der Mizellartheorie zufolge keine kolloidalen Eigenschaften aufweisen, da er keine Doppelbindung mehr besitzt. Die kolloidalen
Eigenschaften blieben aber genauso wie bei den Bromierungsversuchen von S.
Pickles erhalten (PICKLES, 1910; STAUDINGER, 1922). Bei der Hydrierung von
Polystyrol zu Polyvinylcyclohexan blieb der kolloidale Charakter erhalten. Daraus
schloß H. Staudinger, daß diese organischen Kolloide aus vielen, über kovalente
Bindungen verknüpften Atomen bestehen, also echte „Makromoleküle" sind
(STAUDINGER, 1924). Da bei kovalenten Bindungen die Bindungsstärke viel größer ist
als bei van der Waalsschen Bindungen, sollten derartige Molekülkolloide im
Gegensatz zu den Assoziationskolloiden ihren kolloidalen Charakter in allen
Lösungsmitteln beibehalten (STAUDINGER, 1926, STAUDINGER, FREY, STARCK, 1927).
Diese Beweise wurden zum großen Teil nicht akzeptiert. Über kryoskopische
Bestimmungen der Molmasse von Naturkautschuk in Campher erhielt man Werte von
1 400 bis 2 000 (PUMMERER, NIELSEN, GÜNDEL, 1927), während H. Staudinger am
hydrierten Kautschuk 3 000 bis 5 000 gefunden hatte.
Es sprach Einiges gegen die Vorstellung
von Molekülkolloiden, u. a. auch röntgenographische Untersuchungen. Die Röntgendiagramme eines großen Teils dieser organischen Kolloide ähnelten mehr denen von Flüssigkeiten
als denen niedermolekularer Kristalloide. Bei
denjenigen
mit
mehr
kristallitähnlichem
Röntgendiagramen wurde nur eine kleine
kristallographische Einheitszelle gefunden. Aus
Messungen
an
homologen
Reihen
niedermolekularer Substanzen war bekannt,
daß die Größe der Einheitszelle der Molmasse
direkt proportional war. Man konnte sich nicht
vorstellen, daß eine kleine Elementarzelle trotz
hoher Molmassen gefunden werden konnte.
Paul Flory
Kurt H. Meyer (1883 - 1952) und Hermann Franz Mark (1895 - 1992) sprachen sich
dagegen auf Grund röntgenographischer Untersuchungen gegen die Existenz von
Ringen und für die Annahme von Kettenstrukturen aus. Das Hauptlabor der IG Farben
in Ludwigshafen hatte ein gut ausgestattetes Röntgenlabor. In einer ersten Arbeit
beschäftigten sie sich mit der Struktur der Cellulose (MEYER UND MARK, 1928a). Über
die Röntgendaten gelangten sie zu einem Bild der Faser als langem Makromolekül,
das aus entlang der Faserachse orientierten 1,4-o-glykosidisch verknüpften
37
Basiseinheiten bestand. Die damit gewonnene Auffassung vom Bau der Cellulose
vertrug sich gut mit den physikochemischen Eigenschaften. Frühere vorgeschlagene
Modelle von aggregierten kleineren Struktureinheiten konnten dies nicht leisten.
Weitere Arbeiten über die Strukturen des Seidenfibroins (MEYER UND MARK, 1928b)
und des Chitins (MEYER UND MARK, 1928c; REINEMER UND HUBER, 1995) folgten.
Bei Kautschuk fanden K. H. Meyer und H. Mark eine Kristallitlänge von 30 - 60
nm. Die Annahme, daß Moleküle nicht länger als ein Kristallit sein könnten, ergab nur
Molmassen von 5 000 bis 10 000 (MEYER UND MARK, 1928d). Durch osmotische
Messungen hatte man Molmassen des Naturkautschuks von 150 000 bis 300 000
gefunden. Diese wurden als Molmassen der solvatisierten Ketten gedeutet, später als
Molmassen von Mizellen. Im Gegensatz zur ersten nahm die sogenannte zweite
Mizellartheorie Ketten statt Ringe und bereits höhere Molmassen an. Der eigentliche
kolloidale Charakter der Lösungen sollte immer noch durch Assoziation solcher
Ketten zu größeren Verbänden hervorgerufen werden (ELIAS, 1985, BENEKE, 1998b).
H. Staudinger betonte dagegen, daß Kristallitlänge nichts mit Moleküllänge zu
tun habe. Da eine Kristallstruktur sehr von der Konstitution der Verbindungen
abhängt, versuchte er seine Anschauung durch „polymeranaloge“ Umsetzungen
gesättigter Verbindungen zu beweisen. So ließ sich unverzweigtes Polyvinylacetat
durch Verseifung zu Polyvinylalkohol und dieser durch Veresterung in Polyvinylacetat
überführen (STAUDINGER, FREY, STARCK, 1927). Für diese Polymeranaloga wurden in
verschiedenen Lösungsmitteln gleiche Polymerisationsgrade erhalten. Daher war es
sehr unwahrscheinlich, daß durch die unterschiedlichen Wechselwirkungen zwischen
Polymer und Lösungsmittel Assoziationskolloide vorlagen (STAUDINGER UND
HUSEMANN, 1937).
Dieser heftig geführte Streit zwischen H. Staudinger auf der einen Seite, und H.
Mark und K. H. Meyer auf der anderen Seite, der mit Briefwechseln und vor allem in
Fachzeitschriften belegt ist und sehr polemisch diskutiert wurde, fand zwischen 1927
bis etwa 1936 statt (Priesner, 1980). Auf den Streit zwischen H. Staudinger und
Wolfgang Ostwald (1883 - 1943) und H. Staudinger und Raphael Eduard Liesegang
(1869 - 1947) wird hier nicht näher eingegangen.
Bei der Polymerisation des Styrols vermutete man eine stufenweise
Anlagerung an einen aktiven Keim undefinierter chemischer Natur (STAUDINGER UND
URECH, 1928), den man später als Radikal identifizierte (CHALMERS, 1934;
STAUDINGER UND FROST, 1935); doch blieb der Startschritt offen. Es wurde die
Anlagerung von Radikalen an das Monomere diskutiert, ebenso ein Ablauf über aktive
Komplexe zwischen z. B. Styrol und Dibenzoylperoxid (MELVILLE, 1937; SCHULZ UND
HUSEMANN, 1937).
Durch Markierung der Initiatoren konnte dieses Problem gelöst werden, indem
nachgewiesen wurde, daß das markierte Initiatorfragment als Endgruppe in das
38
Polymer eingebaut wird (PRICE, KELL, KRED, 1941, 1942; KERN UND KÄMMERER, 1942;
BARTLETT UND COHEN, 1943).
H. Staudinger arbeitete hauptsächlich mit synthetisch hergestellten Makromolekülen welche er als Modelle für biogene vorkommende Makromoleküle
verstanden wissen wollte. Deshalb verfolgte er auch die neuesten Entwicklungen bei
kolloidalen biologischen Substanzen. Umgekehrt kümmerten sich die Biochemiker
nicht um die Streitereien bei den synthetischen organischen Kolloiden. Warum dies
so war, kann man nicht sagen.
Gegen die Mizellartheorie sprachen auch biochemische Ergebnisse. So konnte James Batcheller
Sumner (1887 - 1955) nach fast neunjähriger Arbeit
aus dem Samen der südamerikanischen Pflanze
Canavalia ansiformis (Jackbohne) im Jahre 1926
das Enzym Urease, und John Howard Northrop
(1891 - 1975) 1930 Pepsin kristallisieren. Beide erhielten 1946 den Nobelpreis für Chemie. Diese Enzyme bilden kolloidale wäßrige Lösungen. Damit
wurde die Hypothese widerlegt, daß Kolloide nur unter Verlust ihrer kolloidalen Eigenschaften kristallisiert werden könnten (SUMNER, 1926; NORTHROP,
1930).
The(odor) Svedberg (1884 - 1971), Nobelpreisträger für Chemie 1926, konnte in den Jahren
James Batcheller Sumner
1927 bis 1940 mit Hilfe der von ihm erfundenen
Ultrazentrifuge (sie erreichte 40 000 Umdrehungen
in der Minute, heutige Ultrazentrifugen erreichen bis
80 000 U/min) zeigen, daß sich kolloidale Lösungen
von Proteinen bei verschiedenen Temperaturen und
in unterschiedlichen Salzlösungen in Bezug auf die
Molmasse als monodisperse, einheitliche Verbindungen erwiesen (SVEDBERG UND RINDE, 1924:
SVEDBERG UND PEDERSEN, 1940; BENEKE, 1997).
In diesen Ultrazentrifugen werden Teilchen
Gravitationsfeldern bis zum 500 000fachen Betrag
des Erdfeldes ausgesetzt. Im Vergleich dazu werden
Astronauten beim Start ca. dem Neunfachen der
Gravitation ausgesetzt. The Svedberg entwickelte
nicht nur die Ultrazentrifuge, sondern auch die dazuThe(odor) Svedberg
gehörende Theorie. Damit war es möglich, aus den
Sedimentationsgeschwindigkeiten die Molmassen von Enzymen zu bestimmen. Da
39
man bei verschiedenen Lösungsbedingungen (Salztyp, Salzkonzentration, Temperatur) die gleiche Molmasse des Enzyms erhielt, bedeutete dies, daß die hohen
Molmassen nicht durch Nebenvalenzen zwischen kleinen Molekülen zustande
kommen konnten, sondern es sich um Makromoleküle handelte.
Arne Wilhelm Kaurin Tiselius (1902 1971), ein Schüler Svedbergs, der Nobelpreisträger der Chemie 1948, fand 1938 bei Enzymen mit der von ihm entwickelten Methode der
Elektrophorese immer die gleiche Ladung pro
Masse, was dem Verhalten der anorganischen
Assoziationskolloide widersprach. Dies untermauerte die Vorstellung, daß Enzyme Makromoleküle seien (TISELIUS, 1938; BENEKE, 1997b,
1999b).
H. Staudinger hatte keine teure Ultrazentrifuge zur Verfügung, sondern machte seine
Untersuchungen mit Hilfe der preiswerteren
Viskosimetrie. Diese damals einfache experimentelle Methode hatte aber eine weit kompliziertere Theorie, sicher komplizierter als dies
H. Staudinger annahm.
Arne Wilhelm Kaurin Tiselius
A.-V. Lourenco hatte beobachtet, daß bei
Polyethylenoxiden die Viskosität mit der Molekülgröße zunahm (LOURENCO, 1859,
1860, 1861). Aus der Viskosität makromolekularer Schmelzen kann man tatsächlich
auf deren Molmasse schließen. Diese Schmelzviskositäten waren aber so hoch, daß
H. Staudinger sie mit den damaligen Mitteln nicht recht messen konnte. Dieses wollte
er auch nicht, denn er hatte vor, die Molmasse einzelner Makromoleküle zu bestimmen und nicht noch zusätzlich alle Wechselwirkungen, welche Moleküle in einer
Schmelze aufeinander ausüben können.
Der Viskositätsbeitrag eines einzelnen Moleküls war nur in verdünnter Lösung
zu erhalten, nicht in der Schmelze. Denn je verdünnter die Lösung, umso weniger
Moleküle sind pro Raumeinheit vorhanden und umso weniger können sie wechselwirken. Die Viskosität einer Lösung setzt sich in erster Näherung aus zwei Anteilen
zusammen, dem des Gelösten und dem des Lösungsmittels. Dabei muß man, um
ersteren zu erhalten, den Anteil des letzteren von der Gesamtviskosität subtrahieren.
Auch muß man noch relativieren, indem man durch die Viskosität des Lösungsmittels
teilt, so daß sich die sogenannte spezifische Viskosität ergibt. Mit der Konzentration
des Gelösten steigt die Viskosität an, teilt man durch diese, erhält man die reduzierte
Viskosität. Deren Werte werden gegen c aufgetragen und auf c = 0 extrapoliert.
40
Da sich H. Staudinger die Makromoleküle als starre Ketten vorstellte, müssen
sie von außen gesehen wie ein zylinderförmiges Stäbchen aussehen. Wurde eine
neue Monomereinheit hinzugefügt, so sollte die reduzierte Viskosität um einen Betrag
zunehmen, der der Molmasse MR der Monomereinheitproportional ist, und der
Molmasse M des Makromoleküls direkt proportional sei.
Auf diese Weise wurden im Arbeitskreis von H. Staudinger viele Substanzen
auf diese einfache Art untersucht. Die erhaltenen Aussagen wurden aber sehr angezweifelt.
Walter Haller (geb. 1905) wies 1931 nach,
daß diese Annahme bei kettenförmigen Riesenmolekülen nicht stimmte, denn diese sind nicht
starr, sondern können sich um ihre Kettenbindungen drehen (HALLER, 1931). Daraus folgerte
Werner Kuhn (1899-1963), daß die Makromoleküle
keine Stäbchen, sondern Knäuel bilden. Nimmt
man einen Wasserschlauch, so ist ein kurzes
Stück Schlauch steif und erscheint stäbchenförmig;
lange Schläuche krümmen sich in alle Richtungen,
sie verhalten sich wie ein zweidimensionales
Knäuel (KUHN 1930; ELIAS, 1985). Auch hatte Lars
Onsager (1903 - 1976) schon 1932 theoretisch
nachgewiesen, daß langgestreckte Ellipsoide, als
die man die Stäbchen auch auffassen konnte,
Werner Kuhn
bedeutend höhere reduzierte Viskositäten hatten
als sie Staudinger experimentell fand.
Heute weiß man, daß bei starren Stäbchen ohne Brownsche Molekularbewegung die reduzierte Viskosität nicht mit der Molmasse, sondern mit dem Quadrat
der Molmasse zunimmt. Bei Knäueln ist die reduzierte Viskosität etwa der Wurzel aus
der Molmasse proportional.
Die Idee des kettenförmigen Aufbaus von Substanzen wie Naturkautschuk,
Cellulose, Polystyrol und Polyvinylchlorid setzte sich Anfang der dreißiger Jahre allmählich durch. Die Vorstellung der Staudingerschen Schule von den Stäbchen wurde
beim 60. Geburtstag von H. Staudinger 1941 noch belegt, als man dort tönte: "...die
Kuhnschen Knäuel sind uns hier ein Greuel“. Die Existenz von Makromolekülen wurde
nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr angezweifelt (ELIAS, 1985).
Heute kennt man viele Makromoleküle. Eine neuere Gruppe sind die Dendrimere (grch.: dendron = Baum; Polymer: poly = viel, meros = Teil). Durch
kontrolliertes Wachstum extrem große Verbindungen herzustellen, geht auf H. Staudinger in den dreißiger Jahren zurück, indem er identische Untereinheiten
(Monomere) zu langen, spaghettiartig verknäulten Strängen verkettete. Die
41
Dendrimere sind nach Maß herstellbare, baumartig verzweigte Makromoleküle. Durch
genau einstellbare Größe und Struktur lassen sie vielfältige Einsatzmöglichkeiten in
Gentechnik, Pharmazie, chemischer Verfahrenstechnik und Umweltschutz erwarten
(TOMALIA, 1995).
Einige frühe industrielle Polymere (ELIAS, 1985)
Polymer
Jahr der
Entdeckung
Jahr der Einführung
in die Industrie
Typsche
Anwendungsgebiete
Thermoplaste aus abgewandelten Naturstoffen
Cellulosenitrat
(Celluloid)
Celluloseacetat
1846
1869
Messergriffe,
Brillengestelle
Fotographische Filme,
Verpackungsfolien
1865
1927
Polyvinylchlorid
1838
1914
Polyvinylidenchlorid
Polystyrol
1838
1839
1939
1930
Polymethylmetha-crylat
Polyethylen
1880
1932
1928
1939
Einkaufsbeutel,
Fensterrahmen,
Kunstleder
Verpackungsfolien
Behälter, Schaumstoffe,
Spielzeug
Lampen, Schilder
Abfallsäcke, Flaschen
1897
1904
Bijouteriewaren
1901
1906
1926
1909
Schutzüberzüge
Elektrische Isolatoren
1839
1850
Autoreifen
Thermoplaste, vollsynthetisch
Duroplaste aus abgewandelten Naturstoffen
Casein/Formaldehyd
(Galalith)
Duroplaste, vollsynthetisch
Alkylharze
Phenol/Formalde-hyd
(Bakelit)
Kautschuk, natürlich
Naturkautschuk,
Vulkanisation
42
Kautschuke, vollsynthetisch
Polyisopren
Polybutadien
1879
1911
1955
1929
Autoreifen
Autoreifen
Die IUPAC (Internationale Union für Reine und Angewandte Chemie) definiert
heute ein "Polymer als eine Substanz, die aus Molekülen aufgebaut ist, die sich durch
vielfältige Wiederholung von konstitutiven Einheiten auszeichnen und die so groß
sind, daß sich ihre Eigenschaften bei Zugabe oder Wegnahme einer oder weniger der
konstitutiven Einheiten nicht wesentlich ändern" (ELIAS, 1990).
Sir William Jackson Pope
Als Nachfolgeorganisation der 1911
gegründeten Association Internationale des
Sociétés Chimiques, deren erster Präsident
Wilhelm Ostwald
Wilhelm Ostwald war (1853 - 1932), machte
Sir William Jackson Pope (1870 - 1939) nach dem 1. Weltkrieg im Jahre 1919 mit der
Gründung der International Union for Pure and Applied Chemistry (IUPAC) einen
Neuanfang. Die Satzung wurde 1920 in Rom angenommen. Die Aufgabe der IUPAC
besteht darin, die Zusammenarbeit zwischen den nationalen chemischen
Gesellschaften und den Akademien zu pflegen und die Entwicklung der Chemie auf
allen Gebieten zu fördern. Über die wissenschaftlichen, administrativen und
finanziellen Fragen entscheidet der Rat der IUPAC (Council), wobei es für Sachfragen
sechs Sektionen gibt. Der Council hält alle zwei Jahre im Rahmen eines IUPAC-
43
Kongresses eine Hauptversammlung ab. Das Publikationsorgan der IUPAC ist das
Journal Pure and Applied Chemistry.
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Weitere Beispiele der Kolloidwissenschaften bis zur
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Auszug aus:
Klaus Beneke (1996) In: Über 70 Jahre Kolloid-Gesellschaft. Gründung, Geschichte
Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
38-44
Auf die philosophische Vorstellung
von Demokrit (460 - 371 v. Chr.) gründet
Carl Wilhelm von Naegeli
das Wort Atom (grch.: atomos = unteilbar), daß alle Materie aus kleinsten Teilchen aufgebaut sein müsse, ohne weiter
geteilt werden zu können. Die Natur dieser Teilchen blieb dabei offen. Amedeo
Avogadro (1776 - 1858) prägte 1811 das Wort Molekül (lat.: kleine Masse) für die
kleinsten Einheiten der Gase. Der Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli (1817 - 1891)
bezeichnete 1858 damit die unter dem Mikroskop sichtbaren Bausteine der Stärke,
keine Moleküle im heutigen Sinn, sondern biologische Strukturelemente. Um 1860
begannen Chemiker, das Wort Molekül im heutigen Sinne als chemische Verbindung
aus zwei oder mehr Atomen zu benutzen. C. W. von Nägeli taufte 1879 seine
Moleküle in Micellen (lat.: micellus = kleiner Krümel) um. Heute versteht man unter
Micelle eine mehr oder weniger geordnete physikalische Zusammenlagerung kleiner
Moleküle ohne Ausbildung chemischer Bindungen (NÄGELI, 1928; ELIAS, 1985).
48
Hans Schulze (1853 - 1892), er starb an einer Arsenwasserstoffvergiftung in
Santiago de Chile, erkannte 1883, daß die Flockung von kolloidalen Systemen durch
Elektrolytzusatz von der Wertigkeit der Elektrolyte abhängt (SCHULZE, 1882, 1883).
William Bate Hardy (1864 - 1934) führte 1900 den Begriff des isoelektrischen Punktes
ein (Schulze-Hardy-Regel) (HARDY, 1900a,b; BENEKE, 1997a,b).
Raphael Eduard Liesegang (1869 - 1947)
beschrieb 1896 periodische Fällungserscheinungen in Gelen in Form von konzentrischen
Ringen oder Streifen (LIESEGANG, 1896, 1898).
Diese von Wilhelm Ostwald (1853 - 1932)
Liesegang-Ringe
(OSTWALD
WI,
1897)
bezeichneten
periodischen
Erscheinungen
hatte R. E. Liesegang beim Eindiffundieren
einer
Silbernitratlösung
in
ein
mit
Kaliumdichromat versetztes Gel beobachtet.
Charakteristisch ist dabei die konzentrische Anordnung um ein homogenes Silberdichromatzentrum sowie die scharfe Trennung
zwischen ihnen Die Liesegang-Ringe treten in
der belebten und unbelebten Natur auf, so bei
Strukturbildungen in biologischen Systemen
Raphael Eduard Liesegang
und
geologischen
Vorgängen.
Bei
Kristallisationsvorgängen in Gelen konnte R. E.
Liesegang
1910
analoge
Strukturen
beobachten. Damit gehört er zu den Entdeckern
einer Klasse von chemischen dissipativen
Strukturen, welche man heute als ReaktionsKonvektions-Strukturen bezeichnet (LIESEGANG,
1910, 1911, 1913, 1915; BENEKE,1997, 2000,
2001).
Georg Bredig (1868 - 1944) stellte 1898
Liesegang-Ringe
erstmals kolloidale Metalle in Lösungsmittel mit
Hilfe des elektrischen Lichtbogens her (BREDIG, 1898). Richard Zsigmondy (1865 1929) beschäftigte sich ab 1898 mit der kolloidalen Verteilung des Goldes in Wasser.
Dabei erkannte er die metallische Natur und die elektrische Ladung dieser Sole. Bei
der Untersuchung von Cassiusschem Goldpurpur, welchen er durch Synthese aus
kolloidalem Gold und kolloidalem Zinndioxidhydrat (Zinnsäure) herstellte, erkannte R.
Zsigmondy die Schutzwirkung hydrophiler Kolloide gegen elektrolytische Koagulation
und prägte dafür den Begriff Schutzkolloid. Ab 1918 beschäftigte er sich mit der
49
Ultrafiltration, welche er zur Größenbestimmung kolloidaler Teilchen einsetzte
(BENEKE, 1995, 1997c,d)
Um 1900 begann eine rasante Entwicklung der Kolloidwissenschaften. Henry Siedentopf (1872 - 1940) und R. Zsigmondy
konnten diskrete Teilchen in Goldsolen 1903
mit dem Ultramikroskop durch Ausnutzen des
Faraday-Tyndall-Effektes zeigen und bewiesen,
daß deren Bewegung schneller war als die von
Robert Brown (1773 - 1858) beobachtete
(BROWN, 1828; SIEDENTOPF UND ZSIGMONDY,
1903; BENEKE, 1995).
Erste Versuche die Brownsche Molekularbewegung quantitativ zu untersuchen machte
1900 Franz Exner (1849 - 1926) (EXNER, 1900).
Dazu benutzte er einen Abbe´schen Zeichenapparat und verfolgte mit einer Nadel die BeweRobert Brown
gungen, der auf einer berußten Glasplatte in
Wasser suspendierten Gummiguttiteilchen. Die
erhaltenen Kurven wurden optisch vergrößert
und die Längen derselben mit einem Kurvenmesser ermittelt. Danach wurde unter Bezugnahme auf die Vergrößerung die Länge der
Kurven auf ihre wirkliche Dimension reduziert
und durch die ermittelte Zeit dividiert. Die erhaltenen Werte nannte F. Exner die GeschwindigBrownsche Molekularbewegung
keit der Teilchen. Diese Methode war sehr von
der Geschicklichkeit des Zeichners abhängig
auch gab es gewisse mathematische Schwierigkeiten (SVEDBERG, 1910).
Die molekularkinetische Theorie dieser
Brownschen Molekularbewegung wurde unabhängig voneinander 1905 von Albert Einstein
(1879 - 1955) und 1906 von Marian von Smoluchowski (1872 - 1917) ausgearbeitet (EINSTEIN,
1905, 1906; VON SMOLUCHOWSKI, 1906, 1913,
1914, 1915a,b,c,d; BENEKE, 1997e). Angeregt
Marian von Smoluchowski
durch die Erfindung des Ultramikroskops begann Jean Perrin (1870 - 1942) 1906 das Verhalten kolloidaler Lösungen zu untersuchen, konnte experimentell die molekularkine-
50
tische Theorie der Brownschen Bewegung bestätigen und die daraus gezogenen
Schlußfolgerungen verifizieren (PERRIN, 1909; KERKER, 1987; BENEKE, 1995)
1903 benutzte J. Perrin erstmals die Bezeichnung lyophile Kolloide (grch.: lyein
= lösen, philos = lieb) für kolloidale Systeme, die durch Wechselwirkung mit dem
Lösungsmittel stabilisiert wurden und nicht ausflockten.
Anorganische kolloidale Substanzen wie die Oxidhydrate des Eisens und
des Aluminiums unterschieden sich nicht
allzusehr von ihren kristallisierten Formen.
Substanzen können offenbar unter geeigneten Bedingungen in den kolloidalen Zustand übergehen und wieder in den nichtkolloidalen Zustand zurückgeführt werden.
Das Postulat, Kolloide seien demnach allgemein mögliche Zustände der
Materie und nicht spezifische Stoffe, wurde
1906 von Peter Paul (oder Petrovich) von
Peter P. von Weimarn
Weimarn (1879 - 1935) und unabhängig
von ihm 1907 von Wolfgang Ostwald (1883 1943), aufgestellt (OSTWALD, WO., 1907; VON
WEIMARN, 1907)
Einen Vortrag vor der Russischen Chemischen Gesellschaft am 2. Februar 1906 beendete P. P. von Weimarn mit folgenden Hauptschlüssen (VON WEIMARN, 1906):
I. „Durch Vergrößerung des Widerstandes gegen die Kräfte, welche die Teilchen in
eine dem Kristall eigene Anordnung zu bringen
streben, werden wir einen beliebigen Stoff in
kolloidem Zustande erhalten; umgekehrt bei der
Schwächung dieses Widerstandes wird sich ein
beliebiger Stoff in kristallinischem Zustande ausscheiden".
II. „Die kolloide, die amorphe und die
Wolfgang Ostwald
kristallinische Zustandsform sind für die Materie
ebenso allgemein wie die Eigenschaft der Materie in den drei Aggregatzuständen zu
existieren allgemein ist; wie die Erhaltung dieser letzteren bei allen Stoffen eines
Aufwands von Mühe und Zeit und auch von immer mächtigeren Einwirkungsmitteln
auf die Stoffe bedurfte und bedarf, so wird auch die Herstellung sämtlicher fester
51
Stoffe in der kolloiden, amorphen und der kristallinischen Zustandsform von denselben
Faktoren bedingt".
In seinem Buch schrieb P. P. von Weimarn dazu (VON WEIMARN, 1925):
„Aus diesen Hauptschlüssen folgt, daß ich 1906 den Satz (nicht bloß die Vermutung oder den Gedanken) aufgestellt hatte, daß man die Lehre von den Kolloiden
nicht als eine Lehre von einer "besonderen Welt" von Stoffen, sondern als eine Lehre
von einem nicht weniger allgemeinen Zustand der Materie als die gewöhnlichen
Aggregatzustände - gasförmig, flüssig, fest - aufzufassen hat".
„Von meinen Zeitgenossen ist nur ein einziger Forscher von meinen Arbeiten in
den Jahren 1906-1907 völlig unabhängig im Jahre 1907 zu einer ebenso allgemeinen
Auffassung des kolloiden Zustands gekommen und hat eine volle Systematik der
dispersen Systeme und der Kolloide, welche man tatsächlich als „natürliche“ Systematik bezeichnen kann, aufgestellt".
„Dieser Forscher war Wolfgang Ostwald,...der 1907 einen Artikel „Zur Systematik der Kolloide“ publiziert hat, in dem er mit vollkommender Deutlichkeit vermittels
einer höchst allgemeinen Deduktionsmethode zu der Ansicht gelangte, daß der
Zustand, welchen man kolloid nennt, kein selbstständiger „vierter" Aggregatzustand
der Materie, sondern ein ultramikro- und überultramikroskopischer Zustand der festen
und flüssigen Aggregatzustände in flüssigem Medlum ist; ferner hat Wolfgang Ostwald
darauf hingewiesen, daß sich auch gasförmige, flüssige und feste Stoffe in festen,
flüssigen und gasförmigen Medien theoretisch in einem gleich „dispersen“ Zustand
befinden können“.
„Wolfgang Ostwalds Systematik kann als Endakt des Streites zwischen den
Anhängern der Suspensions- und Lösungshypothesen angesehen werden, denn, wie
früher gesagt, war bei diesem Streit die Streitfrage selbst falsch gestellt: die kolloiden
Lösungen sind nämlich Zwischensysteme zwischen groben Dispersionen und wahren
Lösungen".
Dieses Postulat von Peter Paul von Weimarn und Wolfgang Ostwald kann man
nachlesen in der 1906 von R. Ditmar, dem Inhaber des technisch-wissenschaftlichen
Laboratoriums für Gummi- und Leim-Industrie in Graz, begründeten Zeitschrift für
Chemie und Industrie der Kolloide, (später Kolloid Zeitschrift), die im Verlag von
Steinkopff & Springer in Dresden erschien.
Wolfgang Ostwald aus Leipzig übernahm zu Beginn des 2. Jahrgangs im Juli
1907 die Herausgabe dieser Zeitschrift und dankt dem bisherigen Herausgeber R.
Ditmar, der „infolge von Überhäufung mit anderen Arbeiten seine redaktionelle
Tätigkeit niederlegen mußte" (OSTWALD WO., 1907). Ab Band 2, Heft 7 (1908)
erscheint vorgenannte Zeitschrift im inzwischen von Georg Springer abgetrennten
Verlag von Theodor Steinkopff, Dresden, und erstmals trägt sie den Untertitel Kolloid
Zeitschrift, der ab Band 13, 1913, der offizielle Titel wird.
52
Die Kollold Zeitschrift war die erste Fachzeitschrift, welche sich mit Phänomenen und Problemen der Kolloidwissenschaften beschäftigte. Erst 1935 folgte in der
UdSSR das Kolloidnyi Zhurnal, 1945 das Journal of Polymer Science, 1946 in den
USA das Journal of Colloid Science, heute Journal of Collold and Interface Science.
Im Jahre 1947 folgten die Zeitschriften, Biochimica et Biophysica Acta und Die
Makromolekulare Chemie. Erst in den (19)80er Jahren erschienen die Zeitschriften
Colloids and Surfaces und Langmuir.
Der Steinkopff-Verlag, heute in Darmstadt, brachte immer noch die Kolloid Zeitschrift, die sich jetzt Colloid and Polymer Science nannte, heraus und gehört seit dem
1. Januar 1980 zum Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York. Inzwischen erscheint die Colloid and Polymer Science im Springer Verlag in Heidelberg.
James William McBain (1882 - 1953) erkannte 1911 die Seifenlösungen als in
einem Gleichgewichtszustand vorliegende lyophile Kolloide und fand 1920 bei
Natriumpalmitat die Koexistenz von einem klaren, öligen, flüssigen Sol, einem klaren,
elastischen Gel und eines opaken (lat.: opacus = schattig, dunkel; abgeleitete
Bezeichnung für undurchsichtig, trübe) festen Materials.
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55
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VON
56
Der 1. Weltkrieg
Auszug aus:
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Tagungen (mit ausgesuchten Beispielen der Kolloidwissenschaften). Beiträge zur
Geschichte der Kolloidwissenschaften, V. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft, 1996:
45-50
Zu Beginn des Krieges, gingen die Vorlesungen an den Hochschulen zunächst
relativ normal weiter, während bald darauf reduzierte Vorlesungen und Übungen
abgehalten wurden, da viele Hochschullehrer an der Front bzw. in der Rüstungsindustrie eingesetzt wurden.
Im Wintersemester 1912/13 wurde an folgenden deutschsprachigen Hochschulen Vorlesungen und Praktika der Kolloidchemie abgehalten (OSTWALD WO.,
1912):
Hochschule
Dozent
Thema
Wissenschaftliche Arbeiten auf
Universität Berlin
L. Michaelis
dem Gebiete der physikalischen
Biochemie
Universität Berlin
G. Lockemann
Chemie und Biologie
TH Berlin
J. Traube
Die Eigenschaften der Kolloide
Universität Breslau
J. Meyer
Entwicklung der Physik und
Chemie in neuerer Zeit
Spezielle anorganische Chemie,
Universität Erlangen
E. Jordis
mit besonderer Berücksichtigung
der Kolloide
Universität Gießen
C. Thomae
Kolloidchemie und Ultramikroskopie
Praktikum der anorgani-schen
Universität Göttingen
R. Zsigmondy
und der Kolloidchemie
TH Hannover
G. Keppeler
Die Tonindustrie. Keramisches
Praktikum
Universität Heidelberg
E. Rohde
Physikalische Chemie in ihrer
Anwendung auf Physiologie und
Pharmakologie
Universität Kiel
H. Schade
Anleitung zu physikochemischen
Arbeiten für Mediziner
Universität Leipzig
Wo. Ostwald
Experimentelle Kolloidchemie
57
Universität München
K. Meyer
Kolloidchemie
Universität Prag
V. Rothmund
Kolloide Lösungen
TH Stuttgart
P. Rohland
Technologie der Mörtelmaterialien
Universität Wien
E. Pribram
Physikalisch- chemische Grundlagen der Immunitätslehre und
Serumtherapie
Universität Wien
Wo. Pauli, sen.
Die Biokolloidchemie und ihre
Anwendung
Universität Wien
K. Przibram
Physik des Nebels
Universität Wien
E. Dittler
Repitorium der Physikalischchemischen Mineralogie
Universität Wien
V. Grafe
Die chemischen und chemischphysikalischen Grundbegriffe der
Biochemie
Universität Wien
K. Przibram
Allgemeine Eigenschaften der
lebenden Substanz
Im Vergleich dazu das Sommersemester 1914. Dabei wurden an folgenden
deutschsprachigen Hochschulen Vorlesungen und Praktika der Kolloidchemie abgehalten (OSTWALD WO, 1914):
Hochschule
Dozent
Thema
TH Berlin
O. Hauser
Chemie der Kolloide mit
ultramikroskopischen Übungen
TH Dresden
A. Lottermoser
Experimentalchemie der Kolloide
Universität Erlangen
E. Jordis
Spezielle anorganische Chemie
und Kolloidchemie
Universität Gießen
C. Thomae
Kolloidchemie und
Ultramikroskopie
Universität Göttingen
R. Zsigmondy
Kolloidchemie; Praktikum der
anorganischen- und Kolloidchemie
Universität Jena
H. Ambronn
Übungen zur Dunkelfeldbeleuchtung und Ultramikroskopie
Universität Leipzig
Wo. Ostwald
Einführung in die Kolloidchemie
Universität Prag
L. Wagner
Die Struktur der Materie
Universität Wien
Wo. Pauli, sen.
Einführung in die physikalische Chemie und Methodik für Mediziner
58
Raphael Eduard Liesegang (1869 - 1947) leitete während des 1. Weltkrieges
die Narkotikaabteilung des Sanitätsdepots in Frankfurt. Die Vorräte an Kautschuk
gingen zur Neige, und so machte er viele Versuche, um Leukoplast ohne Kautschuk
herzustellen. Daher trug er gewöhnlich bis zu 80 verschiedene Pflaster an seinem
Körper, um sie miteinander zu vergleichen (LIESEGANG, 1919a,b,c).
Ein dunkles Kapitel der Kolloidwissenschaften waren die Giftgaseinsätze der
Deutschen Armee während des Ersten
Weltkrieges. In den ersten Monaten nach
Beginn des Krieges führte das KaiserWilhelm-Institut (KWI) für physikalische
und Elektrochemie in Berlin Dahlem Untersuchungen auf dem Gebiet der Kampfstoffe durch. Fritz Haber (1868 - 1934),
der Direktor dieses Instituts, hatte
persönlich der obersten Heeresleitung den
Einsatz von Giftgasen vorgeschlagen. Ab
Februar 1916 arbeitete das KWI für
physikalische und Elektrochemie nur noch
für die Heeresverwaltung, welche für alle
Kosten aufkam. So arbeiteten gegen Ende
des Ersten Weltkrieges 150 akademisch
Fritz Haber
gebildete,
auf
Widerruf
beamtete
Mitarbeiter, rund 1 300 Unteroffiziere, Soldaten, Arbeiterinnen, Arbeiter sowie
Hilfkräfte in dem in neun Abteilungen gegliederten Institut. Fritz Habers Leitspruch zu
jener Zeit lautete: „Im Frieden für die Wissenschaft, im Krieg fürs Vaterland“ (VON
LEITNER, 1993; BENEKE, 1994; STOLZENBERG, 1994; SZÖLLÖSI-JANZE, 1998).
Erst wurde Chlor, am 15. Dezember 1915 erstmals Phosgen (Grünkreuz,
COCl2) von den Deutschen bei Ypern (Belgien) gegen die französischen Truppen eingesetzt. Phosgen ist ein sehr gefährliches Atemgift, das selbst in geringsten Konzentrationen tödlich wirkt. Die tödliche Dosis wird durch Geruch nicht bemerkt. Die ersten
Symptome zeigen sich in Atemnot, Husten und Tränenreiz. Der Tod tritt durch ein
Lungenödem und durch Herzstillstand ein. Hierbei tritt Blutflüssigkeit in die Lungen.
Der Tod kann auch noch viele Stunden nach dem Einatmen des Gases eintreten. Es
folgte noch der Einsatz von Senfgas (Gelbkreuz, 2, 2´ Dichlordiethylsulfid; andere
Trivialnamen: Gelbkreuz, Lost, Yperit, HD, Mustard). Senfgas ist ein Zellgift welches
durch Kleider, Leder usw. in die Haut eindringt und die Zellen zum Absterben bringt.
Auch die Briten und Franzosen setzten später Giftgase ein.
59
Um Giftgase einsetzen zu können, mußten die eigenen Truppen mit entsprechenden
Gasschutzmasken ausgerüstet werden. Diese
wurden in der Abteilung F des KW-Institutes unter der Leitung von Herbert Max Finlay Freundlich (1880 - 1941) entwickelt, wobei Richard
Willstätter (1872 - 1942) an der Erforschung
eines Füllstoffes beteiligt war. Carl Duisberg
(1861 - 1935), Generaldirektor der Bayer AG,
war nicht nur maßgebend an der Erprobung von
Phosgen für den Giftgaseinsatz beteiligt, gleichzeitig setzte er sich stark für die Herstellung von
Gasmaskeneinsätzen ein (BENEKE, 1994; STOLZENBERG, 1994, SZÖLLÖSI-JANZE, 1998).
Auch dazu fehlte, wie vorher bei R. E.
Liesegang beschrieben, infolge Rohstoffmangel
der benötigte Kautschuk. Methylkautschuk, der
Herbert Max Finlay Freundlich
bei den Farbenfabriken Bayer entwickelt
worden war, alterte zu schnell und wurde porös.
Daher wurde Schafsleder vom Balkan mit
Mineralölen imprägniert, was aber sehr
sorgfältig durchgeführt werden mußte, um
Dichtigkeit zu erreichen.
Bei der Auergesellschaft wurde zur Glühlampenherstellung das Prinzip des Einschraubens der Lampe in eine Fassung verwendet.
Diese vorhandenen Maschinen wurden für die
Fabrikation der Filtereinsätze für Gasschutzmasken aus Weißblech auf die entsprechende
Dimensionen umgestellt.
Der Inhalt des Filters bestand in
Deutschland aus trockenen Adsorbentien,
während in England und Frankreich erst mit
adsorbierenden Flüssigkeiten gearbeitet wurde,
später aber auf das in Deutschland angewandte
Prinzip umgestellt.
Richard Willstätter
Als erstes wurde eine Einschichtpatrone
als Atemfilter benutzt; als Adsorbens benutzte man zunächst Diatomit, welches man
durch Brennen von Holz bzw. Kork und Diatomeenschalen herstellte und damals als
Wärmeisolierung verwandte. Danach kam Bimskies zum Einsatz, welchen man in der
60
vulkanischen Eifel in der Nähe von Neuwied fand. Man tränkte die eingesetzten Stoffe
mit Pottasche zur Adsorption des Chlors. Danach wurde aus Holzkohle hergestelltes
Kohlepulver auf den Bimsstein aufgebracht. Dieses sollte gegen Reizstoffe, wie
Bromaceton und Xylylbromid, schützen (STOLZENBERG, 1994).
Das folgende, verbesserte
Atemfilter war eine ebenfalls von R.
Willstätter eingeführte Dreischichtpatrone. Die erste Schicht bestand aus
demselben Material, welches schon
beim Einschichten-Chlorfilter verwandt wurde. Die zweite Schicht
setzte sich aus gekörnter Aktivkohle
zusammen, die in den Chemischen
Werken in Aussig nach einem neuen
Gasschutzmaske mit Behälter (1916-1918)
Verfahren hergestellt wurde. In der
dritten Schicht befanden sich Bimskies oder Diatomit, welche mit Hexamethylentetramin (Urotropin) und Diethylendiamin (Piperazin) getränkt waren. Letzteres sollte
das aus dem Urotropin entstehende Formaldehyd adsorbieren (STOLZENBERG, 1994).
Das größte Problem waren die Verzögerungen bei der Herstellung der Gasschutzmasken mit Filter. Die Filter mußten geprüft werden, um eine unbehinderte
Atmung zu gewährleisten. Da dies von den Firmen nicht gewährleistet werden konnte,
wurde die Prüfung am Kaiser-Wilhem-Institut in Berlin-Dahlem durchgeführt. Außer
für Menschen wurden auch Gasschutzmasken für Pferde hergestellt, da diese im
Ersten Weltkrieg noch häufig eingesetzt wurden. Während des Ersten Weltkrieges
wurden im Leverkusener Werk 30 Millionen Gasschutzmaskeneinsätze hergestellt
(BENEKE, 1994; STOLZENBERG, 1994).
In der Zeit von 1915 bis 1918 wurden insgesamt 125 000 Tonnen Kampfstoffe
eingesetzt, durch die 100 000 Menschen starben und 1.2 Millionen verletzt wurden
(TELTSCHIK, 1992; BENEKE, 1994; STOLZENBERG, 1994).
Am Ersten Weltkrieg waren über 65 Millionen Soldaten beteiligt. Es gab 8.5
Millionen Gefallene, 21 Millionen Verwundete und 7.8 Millionen Kriegsgefangene bzw.
Vermißte.
Der Waffenstillstand fand am 11. November 1918 im Wald von Compiènge
statt. Im Friedensvertag von Versailles am 26. Juni 1919 wurden dem Deutschen
Reich und seinen Verbündeten die Alleinschuld des Krieges aufgebürdet. Hierauf
beruhten die Ansprüche auf Reparationszahlungen, welche an die ehemaligen
Gegner bezahlt werden mußten.
Schon während des Ersten Weltkrieges kam es in vielen kriegsführenden
Staaten, auch in Deutschland, zu gewaltigen Inflationen. Nach dem Ende des Krieges
hatten viele Bürger ihren Besitz und ihr Kapital verloren. Die Geldentwertung nahm
61
rapide zu, und im November 1923 waren 1 Billion Papiermark auf den Wert einer
Goldmark gefallen.
In dieser menschlich und wirtschaftlich schweren Zeit, in der Deutschland noch
gemieden wurde, aber in der Wissenschaft schon erste Kontakte mit dem Ausland
geknüpft bzw. wieder aufgenommen worden waren, erschien im Juni 1922 in der
Kolloid Zeitschrift der erste Aufruf zur Gründung einer „Kolloidchemischen
62
Gesellschaft“ und ein Beitrag von Wolfgang Ostwald „Wozu gründert man eine
Gesellschaft“ (NN, 1922; OSTWALD WO., 1922).
Die Gründung der Kolloid-Gesellschaft erfolgte schließlich am 15. September
1922 im überfüllten Großen Hörsaal des Physikalisch-chemischen Instituts der
Universität Leipzig. Als erster Vorsitzender wurde der Herausgeber der Kolloid
Zeitschrift Wolfgang Ostwald (1882 - 1942) gewählt, ein Amt das er bis zu seinem
Tode inne hatte (BENEKE, 2001a,b,c).
Die Kolloid-Gesellschaft feiert dieses Jahr ihr 80 jähriges Bestehen. Um mehr
über die Kolloid-Gesellschaft, deren Tagungen, Preise und andere Hintergründe zu
erfahren, siehe auf der Internet Seite der Kolloid-Gesellschaft unter:
http://www.kolloidgesellschaft.de/
Literatur
BENEKE K (1994) Hermann Staudinger - die Kritik am Gaskrieg im Ersten Weltkrieg
und seine späteren Schwierigkeiten. Beiträge zur Geschichte der Kolloidwissenschaften, II, 1-28. Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft (1994).
BENEKE K (2001a) Wolfgang Ostwald - Mentor und Förderer der Kolloidwissenschaften. Unter:
http://www.chemie.uni-essen.de/institute/wwwua/kolloidgesellschaft/pictures/ostwald3.pdf
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