psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext
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psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext
Auszug aus dem Schlussbericht Psychosoziale Gesundheit in der Schule: Ausgangslage, theoretische Hintergründe, bestehende Programme Zürich, 16. September 2013 / Version 1.5_Auszug Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Impressum Herausgeber Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Autorin und Autoren R. Wettach, S. Krenz, C. Meyer, D. Frey Unter Mitarbeit von J. Forster, E. Gnos, M.-C. Meienberg, J. Steiger, S. Stronski-Huwiler, E. Winnewisser © 2013 Schulgesundheitsdienste Stadt Zürich Die Autorin und Autoren Dr. phil. Ralph Wettach, geb. 1968. Fachpsychologe FSP für Psychotherapie sowie Kinderund Jugendpsychologie. Er ist seit 2010 Fachbereichsleiter beim Schulpsychologischen Dienst der Stadt Zürich und Leiter des vorliegenden Projektes. Frühere Tätigkeiten beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst, bei der Jugendberatung sowie beim Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung Zürich. Lehraufträge an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Psychologie, und früher an der Universität Zürich zu Themen der Kinder- und Jugendpsychopathologie. Sarah Krenz M.A., geb. 1986. Studium der Germanistik, Psychologie und Interkulturellen Kommunikation. Sie war von 2011 bis 2013 Praktikantin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stab der Dienstabteilung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich. lic. phil. Christoph Meyer MPH, geb. 1969, war bis April 2013 als Projektleiter Gesundheitsförderung bei den Schulgesundheitsdiensten tätig. Christoph Meyer verstarb zwei Wochen nachdem er die Schulgesundheitsdienste wegen seiner langen und schweren Erkrankung verliess. Er erwarb sich bleibende Verdienste bei der Leitung und Implementierung wichtiger Projekte der Bewegungsförderung („Purzelbaum“). Das vorliegende Projekt war ihm vor allem unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung ein grosses Anliegen und er hat bis kurz vor seinem Hinschied engagiert und kritisch mitgearbeitet. Dr. med. Daniel Frey, geb. 1948, ist Kinder- und Jugendarzt und Direktor der Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich (bis Ende August 2013). Er ist der Verfasser der „Dachstrategie Prävention und Gesundheitsförderung“ des Schul- und Sportdepartementes sowie Co-Autor der Strategie der Gesundheitsförderung der Stadt Zürich. Neben strategischen Themen sind fachliche Schwerpunkte unter anderem die Gesundheit der Lehrpersonen, Bewegung/Ernährung und Prävention von Übergewicht, Suizidprävention im Jugendalter. Dr. med. Daniel Frey ist Auftraggeber des vorliegenden Massnahmenplanes. Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung zum Auszug aus dem Schlussbericht ........................................................ 2 2. Auftrag ............................................................................................................................ 3 3. Ausgangslage .................................................................................................................... 4 3.1 Theoretischer Rahmen ................................................................................................. 4 3.1.1 Prävention ....................................................................................................... 4 3.1.2 Gesundheitsförderung ..................................................................................... 6 3.2 Psychosoziale Gesundheit ........................................................................................... 8 3.2.1 Definition psychosoziale Gesundheit ............................................................... 8 3.2.2 Epidemiologie.................................................................................................. 9 3.2.3 Rolle der Schule bei der Förderung psychosozialer Gesundheit................... 12 3.3 Wandel des Schulsystems.......................................................................................... 14 3.4 Strategische Einbettung des Projekts ......................................................................... 15 3.5 Akteure und bestehende Massnahmen im Feld der psychosozialen Gesundheit........ 15 3.5.1 Akteure.......................................................................................................... 15 3.5.2 Bestehende Massnahmen im Bereich der psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ............................................................................. 19 3.6 Handlungsbedarf ........................................................................................................ 23 4. Vorgehen bei der Konzeptentwicklung ............................................................................. 28 4.1 Vernetzung ................................................................................................................. 28 4.1.1 Schulsystem Stadt Zürich .............................................................................. 28 4.1.2 Stadt Zürich ................................................................................................... 28 4.1.3 Kanton Zürich ................................................................................................ 29 4.1.4 National ......................................................................................................... 30 4.2 Projektgruppe ............................................................................................................. 30 4.3 Einbezug des Schulpersonals .................................................................................... 31 4.4 Kreisschulpflegen ....................................................................................................... 35 4.5 Information von Entscheidungsträger/innen................................................................ 36 4.6 Recherche und Theorie .............................................................................................. 36 4.6.1 Einleitung ...................................................................................................... 36 4.6.2 Risiko- und Schutzfaktoren............................................................................ 37 4.6.3 Interventionsprogramme................................................................................ 41 4.6.3.1 Problemübergreifende Interventionsprogramme ......................................... 42 Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 4.6.3.2 Problemspezifische Interventionsprogramme ............................................. 47 4.6.3.3 Screening Programme................................................................................ 52 4.6.4 Kostenanalysen und Kosten-/Nutzenanalysen .............................................. 54 4.6.4.1 Kostenanalysen von psychischen Auffälligkeiten und Störungen ............................. 54 4.6.4.2 Kosten-/Nutzenanalysen von Interventionen .............................................. 56 4.6.5 Strukturelle Ebene ......................................................................................... 59 4.6.5.1 Implementierung von Programmen in der Schule ....................................... 60 4.6.5.2 Lehrpersonen ............................................................................................. 61 4.6.5.3 Schuleinheiten und Schulsystem ................................................................ 63 4.6.5.4 Vorbeugung von Stigmatisierungsprozessen .............................................. 64 7. Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 66 Vorbemerkung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 1. Vorbemerkung zum Auszug aus dem Schlussbericht Das vorliegende Dokument besteht aus Auszügen des 2013 beendeten Schlussberichts des Projekts „Konzept und Massnahmenplan ‚Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext‘“. Dieses hatte die Konzeptentwicklung und Empfehlung von Massnahmen zum Ziel, nicht aber die Durchführung von konkreten Massnahmen. Die nachfolgenden Kapitel beziehen sich auf die Situation vor und während der Erstellung jenes Berichts von 2011 bis 2013. In der Zwischenzeit sind Teile des Schlussberichts wegen strategischer und struktureller Entwicklungen nicht mehr aktuell. Um die Recherchen und Konzepte der Fachöffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, wurde deshalb 2015 dieser leicht angepasste Auszug ohne das Vorwort sowie ohne die Kapitel 1 „Management Summary“, 4 „Konzept und Massnahmenplan“ und 5 „Schlussbemerkungen“ zusammengestellt. 2 Auftrag Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 2. Auftrag Im Strategiepapier des Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich 2010-2014 und der Konferenz der Schulpräsidentinnen und -präsidenten wurde die Absicht unterstrichen, die Wirksamkeit und Koordination der verschiedenen Angebote in den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung zu erhöhen. In diesem Rahmen war die psychosoziale Gesundheit ein Schwerpunkt der Strategie der Schulgesundheitsdienste. Dieser Schwerpunkt umfasste die Zielgruppen Schüler/innen sowie Schulpersonal. Ziel war es, den Support dieser Gruppen durch die Fachstellen des Schul- und Sportdepartements zu optimieren und eine erhöhte Wirksamkeit bezüglich Schutz, Erhaltung und Förderung der psychosozialen Gesundheit durch eine verbesserte Koordination bestehender und der Entwicklung neuer, noch fehlender Angebote zu erreichen. Innerhalb dieses Schwerpunkts war das hier vorliegende Teilprojekt «Konzept und Massnahmenplan ‹Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext›» angesiedelt. Auftraggeberin dieses Teilprojekts war die Geschäftsleitung der Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich. Mit dem Projekt wurde angestrebt, das Potenzial der Prävention psychosozialer Störungen im schulischen Kontext besser auszuschöpfen. Einerseits sollte die Vernetzung bestehender Angebote gegebenenfalls verbessert werden, indem die Zusammenarbeit der Fachstellen, ihre Rollen bei der Früherkennung und -intervention sowie die Austauschgefässe der Zusammenarbeit besonders bezüglich psychosozialer Auffälligkeiten definiert würden. Anderseits sollten neue Massnahmen geprüft und vorgeschlagen werden. Dieses wurde im Rahmen eines Massnahmenplans1 angestrebt, der bestehende und neue Angebote integrierte und priorisierte und dabei Fachliteratur, examples of good practice sowie andere verwandte Konzepte wie zum Beispiel das «Rahmenkonzept zur Prävention psychischer Krankheiten» des Kantons Zürich berücksichtigte. Der Fokus des Projekts lag auf zwei Themen: 1. Früherkennung und -intervention 2. gefährdete Gruppen. Die aufgeführten Ziele lauteten zusammengefasst: 1. Eine gemeinsame Zielsetzung der involvierten Fachstellen im Hinblick auf die Förderung der psychosozialen Gesundheit im schulischen Kontext ist entwickelt. 2. Das Konzept und der Massnahmenplan «Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext» sind erstellt. Die Massnahmen sollten bei den Schulkindern mittelfristig zu einer Erhöhung der psychosozialen Gesundheit, zu einer Reduktion der Beeinträchtigung sowie des Schweregrads und im günstigsten Fall des Auftretens von psychosozialen Störungen führen. In der Folge könnten positive Auswirkungen auf die Lernleistung, den Unterricht sowie die Belastung des Schulpersonals erwartet werden. Des Weiteren wären längerfristig mit einer Senkung der Ausgaben für sonderpädagogische sowie psychotherapeutische Massnahmen sowie sehr langfristig mit einer Verbesserung der psychosozialen Gesundheit der Stadtbevölkerung zu rechnen. 1 Der Massnahmenplan ist im vorliegenden Dokument nicht enthalten (s. Kap. Vorbemerkung zum Auszug aus dem Schlussbericht) 3 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 3. Ausgangslage 3.1 Theoretischer Rahmen Zusammenfassung Unter Prävention versteht man vorbeugende Massnahmen, die die Verhinderung von Risiken und Ausgangsbedingungen für Krankheiten sowie die Senkung von deren schädlichen Folgen zum Ziel haben. Es existieren verschiedene Klassifikationen von Prävention. Primär-, Sekundärund Tertiärprävention werden nach dem Zeitpunkt von Massnahmen unterschieden. Bei universeller, selektiver und indizierter Prävention wird je nach Zielgruppe, die erreicht werden soll, unterschieden. Prävention sowie Gesundheitsförderung sollten sich nicht nur an Personen, sondern auch an die Strukturen wie zum Beispiel die soziale Umwelt richten. Projekte, die individuelle Interventionen mit strukturellen Massnahmen kombinieren, zeigen eine grössere Wirksamkeit. Prävention geht einerseits von einem pathogenetischen Ansatz aus und hat damit einen Fokus auf die Entstehung und Entwicklung von Erkrankungen. In der Gesundheitsförderung steht andererseits ein salutogenetischer Ansatz im Vordergrund, der die Stärkung von Schutzfaktoren zur Erhaltung der Gesundheit zum Ziel hat. Beim salutogenetischen Ansatz werden Gesundheit und Krankheit als ein Kontinuum verstanden. Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, die an der ersten internationalen Gesundheitsförderungskonferenz 1986 verabschiedet wurde, leitete die Abwendung von der rein pathogenetischen Prävention mit dem Hinweis auf gesundheitsfördernde Faktoren wie zum Beispiel Frieden, Bildung und soziale Gerechtigkeit ein. Mit solchen Schutzfaktoren, die zu einer gesunden Entwicklung beitragen und Risikofaktoren abschwächen beziehungsweise ausgleichen können, beschäftigt sich die Resilienzforschung. 3.1.1 Prävention Unter Prävention werden die Verhinderung sowie die Abwendung von Ausgangsbedingungen und Risiken von Krankheiten verstanden. Ziel ist es, Krankheiten zu verhindern und schädliche Folgen dieser zu senken. Prävention setzt bei der Entstehung von Krankheiten an, weshalb man diesen Ansatz pathogenetisch nennt. Die Kenntnis von Ursachen und pathogenetischen Dynamiken wie die Entstehung von Symptomen und Krankheitsbildern ist eine Voraussetzung für erfolgreiche Prävention. Hier liegt eine Quelle von Missverständnissen, indem die Kenntnisse pathogener Prozesse und die Prävention im Rahmen von Früherkennung und -intervention verkürzt als «defizitorientierte Sichtweise» bezeichnet werden. Dem wird die positiv konnotierte «ressourcenorientierte Perspektive» gegenübergestellt, welche einen Fokus auf die Stärken richtet. Es soll an dieser Stelle betont werden, dass weder die eine noch die andere Sichtweise als alleinige Maxime gelten sollte. Erst mit einem Verständnis, was gesund erhält, was krank macht und wie man wieder gesund werden kann, also mit einer Kombination aus «Ressourcenorientierung» und «Defizitorientierung» kann Prävention und Gesundheitsförderung nachhaltig umgesetzt werden. 4 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich In der gebräuchlichsten Klassifikation2 werden je nach Zeitpunkt von Massnahmen drei Arten von Prävention unterschieden. Primärprävention dient der Verhinderung der Entstehung von Störungen oder Krankheiten. Primärpräventive Massnahmen setzen bereits vor dem Erscheinen von Symptomen an. Sekundärprävention setzt bei der Früherkennung von im Anfangsstadium begriffenen Krankheiten ein: Es sind bereits Symptome oder Anzeichen einer Problematik erkennbar. Die Tertiärprävention dient der Verhinderung von Folgestörungen oder Rückfällen bei vorhandenen Krankheiten. Sie steht oft im Zusammenhang mit Rehabilitationsmassnahmen. Eine andere Klassifikation von Prävention wird nach Zielgruppen vorgenommen. Universelle Prävention soll das Auftreten von Krankheitsfällen reduzieren und richtet sich an alle Personen, das heisst an die Allgemeinbevölkerung. Im Schulkontext werden mit einer universellen Präventionsmassnahme alle Schüler/innen einer Schule angesprochen, zum Beispiel in Form eines Projekts zur Verbesserung der persönlichen Kompetenzen. Selektive Prävention richtet sich an bestimmte Risikogruppen, zum Beispiel an alle Schüler/innen, die suchtgefährdet sind. Indizierte Prävention dient einzelnen Personen, die bereits Symptome einer Krankheit zeigen. Eine Psychotherapie für einen Schüler mit einer Angststörung ist ein Beispiel für eine indizierte Präventionsmassnahme.3 Abbildung 2: Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung 4 2 Uhl, 2005. Minder, Stähli, Haas & Guler, 2012. 4 Übernommen aus: Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Stadt Zürich, 2004. 3 5 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Sowohl die spezifisch orientierte Prävention wie auch die allgemeine Gesundheitsförderung können und sollen sich einerseits an einzelne Personen, andererseits auch an die Strukturen richten. Im ersten Fall zielen sie auf das individuelle Verhalten, im zweiten Fall auf die Verhältnisse. Dieses wird in Abbildung 2 dargestellt. Die Begriffe Verhältnisse, soziale Umwelt und Strukturen werden hier synonym verwendet. Erfahrungsgemäss sind Interventionen auf Verhältnisebene effizienter. Mehrfach bestätigt wurde, dass Projekte, die beide Ansätze kombinieren, am meisten Wirkung zeigen. Deshalb wird auch in diesem Projekt versucht, individuelle Interventionen (beispielsweise nach einer Früherkennung) mit strukturellen Interventionen (wie zum Beispiel Vernetzung der intervenierenden Institutionen und Klärung der Abläufe) zu kombinieren. 3.1.2 Gesundheitsförderung Für die Prävention ist die Kenntnis pathogenetischer Dynamiken von grosser Bedeutung (siehe oben). Eine pathogenetische Sichtweise konzentriert sich auf die Reduktion von Risikofaktoren und die Verhinderung von Krankheiten. Neben diesem Ansatz steht in der Gesundheitsförderung ein salutogenetischer Ansatz im Zentrum. Hier geht es um die Stärkung von Schutzfaktoren und Ressourcen zur Steigerung und Erhaltung der Gesundheit. Bei dieser gesundheitsbezogenen Sichtweise wird statt einer dichotomen Unterteilung in gesund und krank ein Kontinuum mit den beiden Polen Gesundheit und Krankheit angenommen. Gesundheitsförderung ist darauf ausgerichtet, Menschen zu befähigen, ihr grösstmögliches Gesundheitspotential verwirklichen zu können. Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, die an der ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung 1986 verabschiedet wurde, leitete die Abwendung von der rein medizinisch und pathogenetisch ausgerichteten Prävention ein: «Dieser Ausrichtung stellt die Charta Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, Einkommen, ein stabiles Öko-System, eine sorgfältige Verwendung vorhandener Naturressourcen sowie soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit als grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente von Gesundheit entgegen.»5 Des Weiteren ist ein Zusammenwirken der Verantwortlichen in Regierungen, im Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftssektor, in Verbänden, Institutionen, der Industrie und den Medien gefragt, um die Förderung des Wohlbefindens und der Gesundheit der Bevölkerung zu realisieren.6 Eine ähnliche Definition von Gesundheitsförderung liefert Broesskamp-Stone: «Gesundheitsförderung umfasst Massnahmen, die auf die Veränderung und Förderung sowohl des individuellen und des kollektiven Gesundheitsverhaltens als auch der Lebensverhältnisse abzielen – der Rahmenbedingungen, die Gesundheit und Gesundheitsverhalten jedes einzelnen und ganzer Bevölkerungen beeinflussen.»7 Im Rahmen von später folgenden internationalen Konferenzen zur Gesundheitsförderung entstanden zwei weitere wichtige Erklärungen, die Jakarta Erklärung zur Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert von 1997 sowie die Bangkok Charta für Gesundheitsförderung in einer globalisierten Welt von 2005. Die Jakarta Erklärung betont das grundlegende Menschenrecht auf Gesundheit; grosse Unterschiede in der Gesundheitserwartung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sollen verringert werden. Sie setzt die folgenden fünf Prioritäten für die 5 Steinmann, 2005. Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung, 1986. 7 Broesskamp-Stone, 1998. 6 6 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Gesundheitsförderung des 21. Jahrhunderts: Förderung sozialer Verantwortung für Gesundheit bei den Entscheidungsträgern; Ausbau der Investitionen in die Gesundheitsentwicklung; Festigung und Ausbau von Partnerschaften für Gesundheit in Gesellschaft, Politik und Verwaltung; Stärkung der gesundheitsfördernden Potenziale von Gemeinschaften und der Handlungskompetenzen des Einzelnen sowie die Sicherstellung einer Infrastruktur für die Gesundheitsförderung.8 Die Bangkok Charta stellt die Bedeutung von Gesundheitsförderung in einem globalen Kontext dar. Gesundheitsförderung muss demnach ein zentraler Punkt auf der globalen Agenda werden und Regierungen sowie Unternehmen müssen für sie Verantwortung übernehmen. Die Bangkok Charta fordert die Organisationen der Vereinten Nationen dazu auf, die Möglichkeit eines globalen Gesundheitsvertrags zu prüfen.9 Nach Antonovsky, dem Begründer des Begriffs der Salutogenese, hängt die Möglichkeit von Menschen, ihre Ressourcen zur Erhaltung der Gesundheit zu nutzen, von ihrer Grundhaltung ab. Diese Grundhaltung bezeichnet er als Kohärenzgefühl, das Gefühl der Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit der Welt.10 Mit den wichtigen Fragen, warum einige Menschen trotz vieler vorhandener Risikofaktoren gesund bleiben, während andere Menschen erkranken, und warum es unter gleichen äusseren Bedingungen Unterschiede im Gesundheitszustand von Menschen gibt, beschäftigt sich die Resilienzforschung. Entwicklungspsychologische Studien zeigen, dass einige Kinder, die ungünstigen frühkindlichen Erfahrungen und Belastungen ausgesetzt sind, trotzdem keine psychischen Probleme zeigen und sich gesund entwickeln. Diese Kinder werden als resilient bezeichnet.11 Resilienz hängt von verschiedenen Schutzfaktoren ab (siehe auch Kapitel 4.5.2 Risiko- und Schutzfaktoren). Wichtige Faktoren sind zum Beispiel die Temperamentslage (z.B. überwiegend positive Stimmung), kognitive und soziale Kompetenzen (z.B. gute soziale Problemlösefähigkeiten), ein positives Selbstwertgefühl, eine emotional sichere Bindung zu mindestens einer Bezugsperson, ein positives Erziehungsklima, soziale Unterstützung und das Erleben von Sinn und Struktur im Leben.12 8 Jakarta Erklärung zur Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert, 1997. Bangkok Charta für Gesundheitsförderung in einer globalisierten Welt, 2005. 10 Bengel, Strittmatter & Willmann, 2001. 11 Örkényi, Zakariás, Varnái, Kökönyei & Németh, 2006. 12 Bengel et al., 2001. 9 7 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 3.2 Psychosoziale Gesundheit Zusammenfassung Im Rahmen eines positiven Gesundheitsbegriffs, der Gesundheit nicht nur als die Abwesenheit von Krankheit begreift, kann psychosoziale Gesundheit als ein Zustand definiert werden, in dem man eigene Fähigkeiten verwirklichen, mit einem normalen Mass an Belastungen umgehen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten kann. Psychosoziale Gesundheit und auch psychosoziale Störungen werden von individuellen Faktoren und von Umweltfaktoren gleichermassen beeinflusst. Weltweit leiden rund 20% aller 8- bis 18-jährigen an einer psychischen Störung. Die häufigsten Störungen sind Angststörungen, aggressiv-dissoziale Störungen und depressive sowie hyperkinetische Störungen. In einer Studie im Kanton Zürich wurde festgestellt, dass gut ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen unter einer diagnostizierbaren psychischen Störung leiden. Psychosoziale Probleme treten auch im Zusammenhang mit der Schule auf. Studien belegen, dass sowohl die Leistung als auch das Verhalten von Schülern/-innen zwischen verschiedenen Schulen erheblich variieren. Die psychosoziale Gesundheit von Schülern/-innen kann demnach durch die Schule positiv wie auch negativ beeinflusst werden, sodass die Schule das Potential hat, sozial ungleiche Gesundheitschancen auszugleichen. Eine gesunde psychosoziale Umgebung in der Schule, die sich durch Faktoren wie gutes Schulklima, Belohnen von (Lern-)Leistung, Kooperation, offene Kommunikation, Förderung von Kreativität, Verhindern von körperlicher Bestrafung, Mobbing und Gewalt, Vertrauen, Respekt und Partizipation auszeichnet, trägt erheblich zur Förderung der psychosozialen Gesundheit von Schülern/-innen bei. 3.2.1 Definition psychosoziale Gesundheit Gesundheit wird von der World Health Organization WHO als ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens definiert. Der Begriff «psychosoziale Gesundheit» ist von dieser Definition abgeleitet und als ein Zustand anzusehen, in dem ein Mensch seine eigenen Fähigkeiten verwirklichen kann, mit einem normalen Mass an Belastungen im alltäglichen Leben zurechtkommt, produktiv arbeiten und einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten kann. Dabei helfen ihm Optimismus, Selbstbewusstsein, ein Gefühl von Kohärenz und Kontrolle über das eigene Leben sowie die Fähigkeit, befriedigende soziale Beziehungen aufrechterhalten zu können.13 Ein positiver Gesundheitsbegriff, der Gesundheit nicht nur als die Abwesenheit von Krankheit auffasst, liegt diesem Konzept zugrunde. Die psychosoziale Gesundheit hängt nicht nur von persönlicher Disposition ab, sondern ist auch ein Ergebnis von Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Umwelt. Soziale, sozioökonomische, kulturelle und ökologische Faktoren spielen dabei eine Rolle. 14 Dieses wird durch Abbildung 3 verdeutlicht. In der Forschung ist «psychosozial» nach Martikainen und Kollegen ein Sammelbegriff, unter dem verschiedene Studien aus den Disziplinen Psychologie, Soziologie und 13 14 Stengård & Appelqvist-Schmidlechner, 2010. Steinmann, 2005. 8 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Abbildung 3: Determinanten psychischer Gesundheit 15 Epidemiologie durchgeführt werden. Der Begriff wird in der Literatur für unterschiedliche Bereiche wie Bedingungen und Risikofaktoren («psychosoziale Einflüsse»), intervenierende Einflüsse («psychosoziale Umwelt») und Auswirkungen («psychosozialer Stress») verwendet. Psychosoziale Faktoren können als Effekte, die den Zusammenhang zwischen sozialen Aspekten und der Gesundheit eines Individuums erklären, angesehen werden.16 So wie die psychosoziale Gesundheit von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird, wird auch für die Entstehung von psychischen Problemen und Störungen ein multifaktorielles Entstehungsmodell angenommen, bei dem genetische, individuelle und Umgebungsfaktoren zusammenspielen17. In diesem Projekt wird der Begriff «psychosoziale Störung» deshalb gleichbedeutend mit «psychische Störung» verwendet und als ein multifaktoriell verursachtes Ungleichgewicht zwischen den psychischen, biologischen und sozialen Bedingungen eines Individuums betrachtet. Durch die Verwendung des Ausdrucks «psychosoziale» statt «psychische» Gesundheit in diesem Projekt wird noch einmal verdeutlicht, dass eine gesunde psychische Verfassung nicht nur durch das Individuum, sondern auch durch seine Umwelt mitbegründet wird, wie es in Abbildung 3 zu sehen ist und im Kapitel 4.6.5 «Strukturelle Ebene» beschrieben wird. 3.2.2 Epidemiologie Weltweit leiden rund 20% aller 8- bis 18-jährigen an einer psychischen Störung (s. Tab. 1), wenn die üblichen Diagnosemanuale ICD oder DSM angewendet werden. Die häufigsten Störungen sind Angststörungen (10.4%), aggressiv-dissoziale Störungen (7.5%) und depressive sowie hyperkinetische Störungen (jeweils 4-6%).18, wobei komorbide Störungen häufig sind. In den Studien ZAPPS und ZESCAP untersuchte der Kanton Zürich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit dem Ergebnis, dass circa 22% von ihnen unter mindestens einer, diagnostizierbaren psychischen Störung leiden (Tab. 1). Damit liegt der Kanton Zürich im weltweiten Schnitt. 11% der Jugendlichen im Kanton Zürich leiden unter Angststörungen, 5% (9% Mädchen, 1% Jungen) leiden nach Selbstangaben unter Depressionen.19 15 Übernommen aus: Nationale Gesundheitspolitik Schweiz, 2004. Martinaiken, Bartley & Lahelma, 2002. 17 Schlack & Hölling, 2008. 18 Flaschberger, 2011. 19 Minder et al., 2012. 16 9 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 1: Anteil Kinder / Jugendliche mit mindestens einer diagnostizierbaren psychischen Störung Region/Land Häufigkeit Region/Land Häufigkeit Kanton Zürich/Schweiz 22.5%20 Ontario/Kanada 18.1%21 Niederlande 21.8%22 Puerto Rico/USA 17.9%23 Dunedin/Neuseeland 19.8%24 New York/USA 17.7%25 Tabelle 2: Prävalenz einzelner Störungen bei Erwachsenen in Europa (inkl. Schweiz) 26 Störung Häufigkeit Störung Häufigkeit Zwangserkrankungen 0.7% Alkoholabhängigkeit 3.4% Essstörungen 0.8% Somatoforme Störungen 4.9% Cannabis-Abhängigkeit 1% ADHS 5% Psychotische Störungen 1.2% Demenz 5.4% Persönlichkeitsstörungen 1.3% Depressionen 6.9% Posttraumatische Störungen 2% Schlafstörungen 7% Verhaltensstörungen 3% Angststörungen 13.9% In der SMASH-Studie 2002 gaben sehr viel mehr Jugendliche (35% Mädchen, 20% Jungen) an, wegen Traurigkeit beziehungsweise Deprimiertheit Hilfe zu benötigen. Auch die subjektive Unzufriedenheit mit ihrem Körper nimmt bei Schweizer Jugendlichen zu: Nur 49% der Mädchen sind zufrieden mit ihrem Körpergewicht (SMASH 2002). Ergebnisse der KIGGS-Studie 2006 zeigen, dass etwas mehr als 20% der befragten Jugendlichen Merkmale einer Essstörung aufweisen. Die Tabellen 2 und 3 zeigen Prävalenzraten einzelner psychischer Störungen bei Erwachsenen und Kindern. Die teilweise grosse Spannbreite der Prozentabgaben in Tabelle 3 (z.B. Ticstörungen: 5-24%) lassen sich teilweise durch methodische Faktoren wie Forschungsdesign, Diagnoseinstrumente und verwendetes diagnostisches Manual erklären. 20 Steinhausen, Winkler, Meier, Kannenberg, 1998. Offord, Boyle, Szatmar et al., 1987. 22 Verhulst, van der Ende, Ferdinand & Kasins, 1997. 23 Bird, Canino, Rubio-Stipec et al., 1988. 24 McGee, Feehan, Williams, Partridge, Silva & Kelly, 1990. 25 Velez, Johnson & Cohen, 1989. 26 Wittchen, Jacobi, Rehm, Gustavsson, Svensson, Jönsson et al., 2011. 21 10 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 3: Prävalenz psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlicher27 27 Störung Häufigkeit Frühkindlicher Autismus 8-17 Fälle von 10‘000 Asperger-Syndrom 4-7 Fälle von 1‘000 (Studie Schweden) Schizophrene Psychosen Kinder und Jugendliche: Schätzung, ca. 1 von 10‘000 Affektive Psychosen 0.5-3% der Bevölkerung, 15-20% der Erkrankungen vor dem 20. Lebensjahr Hyperkinetische Störungen 2-9.5% Ticstörungen 5-24% Tourette-Syndrom 3-5 Fälle von 10‘000 (Studie USA) Sprachentwicklungsstörung 2-20% (Variation je nach Definition) Lese-Rechtschreib-Störung 10-15% (Variation je nach Definition) Rechenstörung 1.3-6.2% Trennungsängste 1-5% Generalisierte Angststörungen 0.5-3.6% Soziale Ängste 1-4.6% Phobien 2.4-5.8% Depressive Störungen Kinder: unter 3%, Jugendliche: 0.4-6.4% Zwangsstörungen Jugendliche: 1-4% Posttraum. Belastungsstörung 1-14% (Studie USA) Anpassungsstörungen 4% (Studie USA) Dissoziative Störungen 1-2% aller psychischen Störungen Somatoforme Störungen 2.7% (Jugendliche, Studie Deutschland) Anorexia Nervosa 1.3% (Jugendliche) Bulimia Nervosa 1% (Jugendliche) Adipositas 20-22% (Studie Deutschland) Störungen des Sozialverhaltens Kinder: 1.5-3.4%, Delinquenz Jugendliche: 5-15% Substanzmissbrauchsstörungen 1% (Studie Deutschland), 2-3% (Studie USA) / (Jugendliche) Alkoholismus / Cannabis 2-3% / 1-4% (Jugendliche) Ecstasy 5-8% (Studien Grossbritannien und USA) (Jugendliche) Frühkindliche Gedeihstörungen 1.4-5% (Studie USA) Kindesmisshandlung 5.7% (Studie USA) Kindesvernachlässigung 5% (Studie USA) Sexueller Missbrauch Jungen: 2-5%, Mädchen: mehrfach höher Suizidversuche Verhältnis Suizid – Suizidversuch: 1:38 Suizid 0.04-0.2% (Jugendliche) Steinhausen, 2000. 11 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 3.2.3 Rolle der Schule bei der Förderung psychosozialer Gesundheit Psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen treten auch im Zusammenhang mit der Schule auf. Ergebnisse der internationalen HBSC-Studie zeigen, dass sich in Österreich und Deutschland rund 10% bis 30% der 11- bis 15-jährigen Schüler/innen durch die Schule «stark belastet» fühlen.28 Im neuesten Jugendgesundheitsbericht des Kantons Basel-Stadt geben die Hälfte der befragten Jugendlichen an, sich häufig gestresst zu fühlen, wobei die Schule mit circa 60% als der häufigste Auslöser für Stress angegeben wird.29 Sowohl Schulstress als auch Schulangst belasten Schüler/innen. Kinder und Jugendliche mit positiven beziehungsweise negativen Schulerfahrungen neigen ausserdem in einem neuen Schulumfeld dazu, dieselben Erfahrungen nochmals zu machen. Früh auftretende psychische Belastungen können daher auch im späteren Schulverlauf noch zu Problemen führen.30 Auch die Befragung von Jugendlichen der zweiten Sekundarklassen der Stadt Zürich zu Gesundheit und Lebensstil zeigt, dass die Schule ein wichtiges psychosoziales Umfeld darstellt. Es besteht ein Zusammenhang zwischen einer geringen Schulzufriedenheit und täglichem Tabakkonsum, erhöhtem Cannabiskonsum, mehrmaliger Trunkenheit, vermehrtem Schulabsentismus, Körperbeschwerden und Unfällen. Ungefähr ein Viertel der befragten Jugendlichen sind mit ihren schulischen Leistungen unzufrieden. 31% der Jungen und 36% der Mädchen benötigen Hilfe wegen Problemen mit der Schule, welche daher – nach der Sorge um die Berufswahl – den zweiten Rang auf der Liste von Schwierigkeiten, für die Hilfe benötigt wird, einnehmen.31 Diese Ergebnisse bestätigen die oben genannten Forschungsergebnisse, die die Schule aus Sicht der Jugendlichen als einen bedeutenden Stressor identifizieren. Nicht nur, weil Kinder und Jugendliche über die Schule in einem hohen Masse erreicht werden können, sondern auch wegen psychosozialen Beeinträchtigungen, die im schulischen Kontext entstehen können, ist zu prüfen, ob die Förderung der psychosozialen Gesundheit in der Schule noch weiter gestärkt werden kann. Studien belegen, dass sowohl die Leistung als auch das Verhalten von Schülern/-innen zwischen verschiedenen Schulen erheblich variieren.32 Es existiert ein deutlicher Zusammenhang zwischen Faktoren der Schulumwelt und der Schülerpersönlichkeit. Schulen haben deshalb generell die Möglichkeit, ihre Schüler/innen im Leistungs- und Verhaltensbereich entscheidend zu fördern und so beispielsweise Benachteiligungen der sozialen Herkunft auszugleichen und psychische Auffälligkeiten zu verhindern: «Wenn Schulen also ihre bildungserzieherischen Kernaufgaben wahrnehmen möchten, muss die Förderung psychosozialer Gesundheit ein integraler Bestandteil des Schulethos sein.»33 Generell ist es wichtig, dass Schüler/innen eine gesunde psychosoziale Umgebung in der Schule vorfinden. Dazu zählen laut einem Artikel der WHO vor allem Wärme, Freundlichkeit, das Belohnen von (Lern-)Leistung, Kooperation, unterstützende, offene Kommunikation, Förderung der Kreativität, das Verhindern von körperlicher Bestrafung, Mobbing und Gewalt sowie 28 Dür & Griebler, 2007. Pecoraro, Zingg, Ledergerber, Steffen & Schenk, 2012. 30 Achermann & Steinhausen, 2006. 31 Pini Züger, 2007. 32 Steinhausen, 2000. 33 Flaschberger, 2011. 29 12 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Gleichberechtigung der Geschlechter.34 Eine Schulumgebung, die viele dieser Merkmale aufweist, beeinflusst das Verhalten, die psychosoziale Gesundheit, das Wohlbefinden und das Lernverhalten von Schülern/-innen positiv. Das bestätigt auch eine Metastudie über die Ansichten junger Menschen, welche Faktoren für ihre psychosoziale Gesundheit ausschlaggebend sind:35 Aspekte, die die psychosoziale Gesundheit negativ beeinflussen, sind aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen vor allem der Druck der Schulaufgaben, zeitlich wie auch inhaltlich, sowie schlechte Beziehungen zu Schulkameraden und Lehrpersonen. Im Gegenzug sind gute Beziehungen zu den Lehrpersonen, die im Idealfall respektvoll, freundlich und geduldig sind, sowie gute Beziehungen zu Peers entscheidend für die psychosoziale Gesundheit. Das Schulklima ist demnach ein wichtiger Faktor, der das Wohlfinden von Schüler/innen beeinflusst.36 Das Schulklima wird von Schülern/-innen verschiedener Klassen und Schulen sehr unterschiedlich erlebt. Ein negatives Unterrichtsklima ist geprägt durch Leistungsdruck, Konkurrenzdruck und Mangel an positiven sozialen Beziehungen. Dieses Klima ist ein potenzieller Faktor für internalisierende und externalisierende Störungen. Vor allem Leistungsdruck, der subjektiv mit dem Gefühl einer ständigen Überforderung im Unterricht einhergeht, und fehlende emotionale Qualität von sozialen Beziehungen stellen ein Risiko für die psychosoziale Gesundheit dar. Auch pädagogisch inakzeptables Verhalten von Lehrpersonen wirkt sich negativ auf das psychische Gleichgewicht von Schülern/-innen aus. Kränkungen durch die Lehrperson in Form von Blossstellen vor der Klasse, Einschüchterungen und Beschimpfungen können zu abnehmendem Selbstvertrauen, einer schlechteren Schulleistung, Schulangst und somatischen Beschwerden wie Magenschmerzen führen.37 Im Gegensatz dazu führt ein positives, durch Vertrauen, Respekt und Partizipation geprägtes Schulklima zu höherer Schulzufriedenheit und grösserem subjektiven Wohlbefinden. Gegenseitige Achtung und Wertschätzung sollten in der Schul- und Klassenkultur verankert sein. Dass ein gutes Schulklima sich positiv auf Gesundheit und Verhalten von Schülern/-innen auswirkt, zeigen auch zahlreiche Studienergebnisse.38 Die Untersuchungen von Vuille und Kollegen/-innen zum Schulklima in der Schweiz zeigen beispielsweise, dass die Schule eine der wichtigsten Einflussgrössen für die Gesundheit von Jugendlichen darstellt und sozial ungleiche Gesundheitschancen ausgleichen kann. Je höher der Schulklima-Wert ist, desto mehr Schutzfaktoren sind bei den Schülern/-innen vorhanden: Ein positives Schulklima erzeugt ein präventives und gesundheitsförderndes Potential. Solch ein Schulklima umfasst laut Fragebogen für Schüler/innen Mitbestimmungsmöglichkeiten, ein hohes allgemeines Wohlbefinden in der Schule, ein gutes Verhältnis zu den Lehrpersonen, ein gutes Klassenklima sowie kein Mobbing. Für Lehrpersonen umfasst ein gutes Schulklima Interesse an der Schule, Engagement für die Arbeit, ein Gemeinschaftsgefühl sowie Zusammenarbeit des Lehrpersonals, Vertrauen in die Schulleitung, Engagement und soziale Kompetenz der Schulleitung. An Schulen mit 34 Skevington, Birdthistle, & Jones, 1999. Shucksmith, Spratt, Philip & McNaughton, 2009. 36 Achermann & Steinhausen, 2006. 37 Krumm & Eckstein, 2003. 38 Flaschberger, 2011. 35 13 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich einem guten Klima werden weniger Tabak, Alkohol, Cannabis und Psychopharmaka konsumiert und es existieren weniger Essstörungen sowie psychosomatische Beschwerden.39 3.3 Wandel des Schulsystems In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Schulsystem in der Stadt Zürich durch zwei Veränderungen deutlich gewandelt. Mit der Einführung der geleiteten Schulen im Jahre 2006 wurden personelle, administrative und schulische Kompetenzen an die neuen Schulleitungen übertragen und damit die einzelnen Schuleinheiten in ihrer Autonomie gestärkt. Auf Schulkreisebene wurde jeweils eine Schulleitungskonferenz eingeführt, in welcher die Schulpräsidentin beziehungsweise der Schulpräsident den Vorsitz inne hat. Mit der Einführung des neuen Volksschulgesetzes wurde im Schuljahr 2009/10 die Integration zur Maxime. In der Stadt Zürich wurden auf diesen Zeitpunkt hin fast alle Kleinklassen aufgelöst. Die frei werdenden Ressourcen der Kleinklassenlehrpersonen wurden in die Schuleinheiten verschoben, wo nun Schulische Heilpädagogen/-innen die Schüler/innen und die Lehrpersonen vermehrt unterstützen. Um die Umsetzung und die Auswirkungen der Integration einzuschätzen, wurde eine Evaluation der Förderpraxis in Auftrag gegeben40. Diese kommt zum Schluss, dass die Förderpraxis der Volksschule der Stadt Zürich in einem fortgeschrittenen, noch andauernden Entwicklungsprozess sei, der aber auch noch Optimierungspotenzial aufweise. Grundsätzlich wird von einer hohen Integrationskraft der Volksschule ausgegangen, was sich darin ausdrückt, dass es in den Schuljahren 2002-2005 circa 9.5% Kleinklassen- oder Sonderschüler/innen gab, während dieser Anteil 2010-2012 noch ungefähr 4.5% betrug. Anderseits ist bemerkenswert, dass Lehrpersonen 2012 den Anteil von Schülern/-innen, die vor früher Kleinklassen- oder Sonderschüler/innen gewesen wären, mit 23.5% deutlich überschätzen. Eine weitere Entwicklung ist die Ausweitung der Schulsozialarbeit. Dieses schulnahe Angebot des Sozialdepartements entlastet und unterstützt das Schulpersonal spürbar bei sozialen Schwierigkeiten von Schülern/-innen und deren Familien. Die ausserfamiliäre Betreuung im Hort wurde in der Stadt Zürich in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Der wachsenden Bedeutung dieses Angebots wurde durch neue Strukturen wie die Einrichtung einer Leitung Betreuung Rechnung getragen. 39 40 Vuille, Carvajal, Casaulta & Schenkel, 2004; Vuille, 2002, zit. n. Bürgisser, 2005. Roos & Wandeler, 2012. 14 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 3.4 Strategische Einbettung des Projekts Das vorliegende Konzept ist ein Teilprojekt des Schwerpunkts «Psychosoziale Gesundheit» der Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich und hat eine Grundlage im Strategiepapier des Schul- und Sportdepartements der Stadt Zürich 2010-2014 und der Konferenz der Schulpräsidentinnen und -präsidenten. Es kann dem strategischen Handlungsfeld 2 «Die Volksschulen der Stadt Zürich bauen auf den Stärken der Schüler/innen auf» des Schul- und Sportdepartements und der Konferenz der Schulpräsidentinnen und -präsidenten zugeordnet werden. Trotz des Fokus dieses Teilprojekts kann die psychosoziale Gesundheit nicht isoliert betrachtet werden. Wichtige Querverbindungen und Synergien bestehen auch zu den strategischen Handlungsfeldern 3 «Starke Schulen - Mitten im Leben» und 5 «Gesund dank Bewegung, Sport und ausgewogener Ernährung». 3.5 Akteure und bestehende Massnahmen im Feld der psychosozialen Gesundheit In diesem Kapitel sollen Akteure, Massnahmen und Institutionen angeführt werden, die der psychosozialen Gesundheit und der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen dienen. In Kapitel 3.5.1 werden die Akteure im Schulsystem und die Sozialen Dienste der Stadt Zürich ausführlicher vorgestellt; anschliessend werden weitere Institutionen und ihre möglichen Schnittstellen und Rollen in diesem Projekt tabellarisch aufgeführt. In Kapitel 3.5.2 «Bestehende Massnahmen im Bereich der psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen» werden Massnahmen und deren Anbieter tabellarisch aufgelistet. Die Aufzählungen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 3.5.1 Akteure Die folgenden vier Tabellen sollen dem Projekt inhaltlich nahe gelegene Behörden, Abteilungen und Institutionen aufzeigen. Die Tabellen sind aufgeteilt nach Institutionen in der Stadt Zürich, im Kanton Zürich, in der Schweiz und auf internationaler Ebene. Von den schulischen Akteuren sind insbesondere die Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz sowie die Konvente des Schulpersonals und der Schulleitungen von grosser Bedeutung für das vorliegende Projekt (Tab. 4). 15 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 4: Übersicht der schulischen Akteure Kreisschulpflegen KSP Die sieben KSP leiten und beaufsichtigen das Schulwesen ihres Schulkreises. Schulpräsidium Das Schulpräsidium sitzt der KSP vor und ist den Schulleitungen vorgesetzt. Es leitet die Gesamtbehörde und hat Einsitz in die Präsidentinnenund Präsidentenkonferenz. Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz PK Die Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz ist die gesamtstädtische Schulbehörde, soweit nicht Schulkommissionen mit selbstständigen Verwaltungsbefugnissen zuständig sind. Der Vorsteher des Schul- und Sportdepartementes hat den Vorsitz der PK. Die Präsidenten/-innen der sieben KSP konferieren und beschliessen über gesamtstädtische und strategische Aspekte. Darunter fällt auch die Entscheidung über die Einführung von Massnahmen in den Schulen. Schulleitungskonferenzen der einzelnen Schulkreise Das Schulpräsidium steht der Schulleitungskonferenz des jeweiligen Schulkreises vor. Die PK bestimmt das Pflichtenheft der Schulleitungskonferenzen. Schulleitung Der Schulleitung obliegt die administrative und personelle Führung einer Schuleinheit. Massnahmen betreffend die psychosoziale Gesundheit in den einzelnen Schulen fallen in die Verantwortung der Schulleitungen, weshalb diese wichtige Akteure sind. In der Schulkonferenz ist das Schulpersonal einer Schuleinheit versammelt. Die Schulleitung hat den Vorsitz. Die Schulkonferenz beschliesst über das Betriebskonzept, das Leitbild und das Schulprogramm, bestehend aus Entwicklungsplan und Jahresprogramm, zur Genehmigung zuhanden der Kreisschulpflege. Im gesamtstädtischen Konvent der Schulleitungen sind die Schulleitungen organisiert. Der Konvent delegiert eine Vertretung in die PK (mit beratender Stimme). Im Stadtkonvent ist das gesamte Schulpersonal vertreten. Der Stadtkonvent delegiert eine Vertretung in die PK (mit beratender Stimme). Der Stadtkonvent besteht aus folgenden Fachgruppen: Leitung Hausdienst und Technik, Kindergarten und Grundstufe, Unterstufe, Mittelstufe, Sekundarschule, Förderangebote, Betreuung, Leitung Betreuung, Das SSD ist eines der neun Departemente der Stadt Zürich. Ihm obliegt unter anderem die Führung von Präsidial- und Kanzleigeschäften von gesamtstädtischen Schulbehörden, die Betreuung und Förderung des übrigen Schulwesens, die Führung von Fachdiensten. Die fünf Dienstabteilungen sind: Schulamt, Fachschule Viventa, Sportamt, Musikschule Konservatorium Zürich MKZ, Schulgesundheitsdienste. Das Schulamt ist zuständig für die Qualität der städtischen Volksschule und für ihre Weiterentwicklung. Insbesondere dessen Abteilungen «Strategie- & Organisationsentwicklung», «Besondere Pädagogik» und «Lehren und Lernen» haben einen Bezug zum vorliegenden Projekt. Die Schulgesundheitsdienste sind Auftraggeber dieses Projekts und Verfasser der «Dachstrategie Gesundheitsförderung und Prävention» des SSD. Die vier Fachdienste Schulärztlicher Dienst, Suchtpräventionsstelle, Schulzahnärztlicher Dienst und Schulpsychologischer Dienst sind wichtige Akteure im vorlegenden Projekt. Schulkonferenz Konvent der Schulleitungen Stadtkonvent Schul- und Sportdepartement SSD SSD: Schulamt SSD: Schulgesundheitsdienste 16 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 5: Übersicht der städtischen Akteure Sozialdepartement SD Eines der neuen Departemente der Stadt Zürich. Soziale Grundversorgung der Bevölkerung. SD: Soziale Dienste Die Sozialen Dienste betreiben dezentral 5 Sozialzentren. Ihre Aufgaben sind u.a.: persönliche Beratung und finanzielle Unterstützung zur Existenzsicherung gemäss Sozialhilfe- und Jugendhilfegesetz, vormundschaftliche gesetzliche Betreuungs- und Vertretungsaufgaben, berufliche und soziale Integrationshilfen, Kleinkindberatung, Soziokultur, Schulsozialarbeit. Schulsozialarbeiter/innen können eine Rolle in der Früherkennung psychosozialer Störungen im Schulsystem inne haben. Sie stellen eine Ressource für die betroffenen Schüler/innen dar und sind (Früh-)Intervenierende. Kinds- und Erwachsenenschutzbehörde Die KESB ist zuständig für den Schutz von Personen, die nicht selbständig in der Lage sind, die für sie notwendige Unterstützung einzuholen. Gesundheits- und Umweltdepartement GUD Das GUD betreibt verschiedene gesundheitsbezogene Dienste und die Stadtspitäler. Interdepartementale Gremien Stadträtliche Delegation «Stadtleben im öffentlichen Raum SiöR». Auftraggeber der Arbeitsgruppe «Jugend im öffentlichen Raum JiöR», ehemals Taskforce Jugendgewalt mit den vier Wirkungsfeldern: Problematischer Substanzkonsum, Freiräume, 24/7 Partystadt und Gewalt, Koordinationsgruppe Gesundheitsförderung KGGF Tabelle 6: Übersicht der kantonalen Akteure Gesundheitsdirektion GD Die GD sichert die Gesundheitsversorgung der Zürcher Bevölkerung. Die GD gab ein Konzept zur Prävention psychischer Erkrankungen in Auftrag. GD: Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst Kinder- und Jugendpsychiatrische Grundversorgung. Verschiedene störungsspezifische Sprechstunden. Bildungsdirektion BD Die BD gestaltet das Bildungswesen im Kanton Zürich. BD: Volksschulamt VSA Das VSA ist für die Volksschule im Kanton Zürich zuständig. Abteilungen Lehrpersonal, Pädagogisches, Sonderpädagogisches. U.a. Umsetzung Volksschulgesetz, externe Schulevaluation, Schulärztlicher Dienst des Kantons. BD: Institut für Sozialund Präventivmedizin der Universität Zürich ISPMZ Das universitäre ISMPZ beschäftigt sich mit der bevölkerungsbezogenen Perspektive von Gesundheit und Krankheit und verfolgt in Lehre, Forschung und Dienstleistung einen breiten Public Health Ansatz. Mitersteller des Rahmenkonzepts «Prävention psychischer Erkrankungen» und diverser Grundlagenpapiere Abteilung Gesundheitsförderung und Prävention: Schwerpunkt Suizidprävention Koordination der Suchtprävention im Kanton Zürich BD: Amt für Jugend- und Berufsberatung AJB Aufgaben u.a. ausserschulische Bildung, Kinder- und Jugendhilfe, Kindesschutz, Berufs- und Laufbahnberatung, Versorgungssteuerung von Kinder- und Jugendheimen, Sonderpädagogik im Frühbereich, Zentralbehörde Adoption Pädagogische Hochschule Zürich PHZH Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen Trägerin des kantonalen Netzwerks gesundheitsfördernder Schulen Beratung von Lehrpersonen 17 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 6: Übersicht der kantonalen Akteure (Fortsetzung) Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband ZLV Standesorganisation der Lehrpersonen Kantonalverband der Zürcher Psychologinnen und Psychologen ZüPP Standesorganisation der Psychologen/-innen, auch der niedergelassenen Psychotherapeuten/-innen Vereinigung Zürcher Kinder- und Jugendärzte VKZ Organisation der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte Zürcher Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ZGKJPP Organisation der niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater/innen Zürcher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie ZGPP Organisation der niedergelassenen Psychiater/innen Stellen für Suchtprävention Acht regionale Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich führen teilweise Projekte der Früherkennung und -intervention mit Fokus auf Sucht und Verhaltensauffälligkeiten durch. Tabelle 7: Übersicht der nationalen und internationalen Akteure Netzwerk Bildung und Gesundheit B+G Netzwerk mit verschiedenen Kompetenzzentren für den Bildungsbereich. Unterstützt durch das Bundesamt für Gesundheit. Gesundheitsförderung Schweiz Unterstützung der Kantone in Gesundheitsförderung mittels Aktionsprogrammen Radix Gesundheitsförderung Projektberatung, Vernetzung, Dokumentation Trägerin des nationalen Netzwerkes gesundheitsfördernder Schulen Bundesamt für Gesundheit BAG Auftraggeber des Projekts «hinschauen und handeln» zur Früherkennung und -intervention Nationale Gesundheitspolitik Mitinitiantin von Bündnissen gegen psychische Krankheiten (z.B. Bündnis gegen Depression) Bericht Schweizer Delegation zum europäischen Aktionsplan Psychische Gesundheit Bericht zur Suizidprävention Expertengruppe Sekundärprävention Expertengruppe Weiterbildung Sucht Früherkennung und -intervention in Gemeinden 2011-2014 (in Zusammenarbeit mit Radix) Schweizerisches Gesundheitsobservatorium Obsan Gesundheitsberichterstattung Monitoring LCH Schweizer LehrerInnenverband Standesorganisation der Lehrpersonen Pro mente sana Interessensvertretung von von psychischer Störung Betroffenen Ipsilon Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz 18 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 7: Übersicht der nationalen und internationalen Akteure (Fortsetzung) Aktionsbündnis Psychische Gesundheit Schweiz Der Verein besteht aus gesamtschweizerisch tätigen Organisationen, Institutionen oder spezifischen Fach-, Selbsthilfe- und Betroffenengruppen, die sich auf eine gemeinsame Vertretung zentraler Anliegen zu Gunsten der psychischen Gesundheit geeinigt haben. Fachverband Sucht Im Fachverband Sucht sind Fachleute, Institutionen und Trägerschaften aus den Bereichen Beratung, Betreuung, Therapie, Prävention, Schulung, Forschung und Schadensminderung zusammen geschlossen. Bündnisse gegen bestimmte psychische Störungen Public Health Schweiz Bündnis gegen Depression Weltgesundheitsorganisation WHO Die WHO ist die Gesundheitsorganisation der UNO. U.a. gibt sie das ICD 10 heraus und betreibt Agendasetting im Bereich von Mental Health. Public Health Schweiz ist eine nationale Dachorganisation für das Wachstum und die Entwicklung von Public Health und deren Umsetzung in die Praxis. Es besteht eine Fachgruppe Mental Health. 3.5.2 Bestehende Massnahmen im Bereich der psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Im Folgenden sind bekannte Massnahmen mit Bezug zur psychosozialen Gesundheit von Schülern/-innen aufgelistet. Eine Erläuterung der einzelnen Massnahmen würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Massnahmen und die jeweiligen Anbieter werden in folgende Ebenen aufgeteilt und in jeweils einer Tabelle dargestellt: Angebote in den Schulen der Stadt Zürich, in der Stadt Zürich ausserhalb der Schulen, im Kanton Zürich und in der ganzen Schweiz. Tabelle 8: Anbieter und Massnahmen in den Schulen der Stadt Zürich Anbieter Massnahmen Kreisschulpflegen Projekt Back to school (Schule und Arbeitseinsätze für Sekundarschüler/innen im Rahmen eines Time-out) SSD: Fachschule Viventa Berufsvorbereitungsjahr Integrationskurse für Jugendliche SSD: Fachstelle für Gewaltprävention Interventionen in Schulen Präventionsprogramme: - PFADE (2011: 510 Klassen in 56 Schuleinheiten, ca. 40% der Primarklassen und 7% der Kindergarten) - UNSCHLAGBAR - Konfliktlotsen (Mediation): 18 Schuleinheiten Kerngruppenmodell Eltern für Eltern (Zusammenarbeit mit Suchtpräventionsstelle Stadt Zürich) SSD: Schulamt Projekt QEQS (Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung) Projekt KoFö (Koordinierte Förderung) Projekt QUIMS (Qualität in multikulturellen Schulen) Broschüre Handlungsleitlinien häusliche Gewalt für die Schule 19 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 8: Anbieter und Massnahmen in den Schulen der Stadt Zürich (Fortsetzung) SSD: Schulgesundheitsdienste SG Handreichung für Schulpersonal Thema Suizidprävention Gesundheitsmonitoring Ernährungsrichtlinien Projekt Purzelbaum SSD, SG: Schulärztlicher Dienst Allgemeine Gesundheitsförderung Ernährungsberatung Fachstelle für Sexualpädagogik Lust und Frust Vorsorgeuntersuchungen im Kindergarten und Einzelgespräch mit Kindergartenlehrperson, in der 4. Klasse, in der 2. Sekundarstufe mit 30 minütigem Einzelgespräch mit jedem/jeder Schüler/in Bewegungsförderung Schüler/innen mit chronischen Krankheiten SSD, SG: Schulpsychologischer Dienst Abklärungen und Beratungen Psychotherapien Gruppentherapien für kriegstraumatisierte Kinder Schulhaussprechstunden, Schulbesuche u.a. Gruppentraining für oppositionelle und aggressive Schüler/innen (Pilotprojekt Baghira-Training) SSD, SG: Schulzahnärztlicher Dienst Projekt Früherkennung Zahnschäden bei Zweijährigen SSD, SG: Suchtpräventionsstelle Kurse für Jugendliche mit problematischem Verhalten Krisenintervention bei Vorfällen rund um Suchtmittelkonsum in Schulen und Ausbildungsinstitutionen Beratung, Coaching und Weiterbildung von Personen mit Verantwortung für Kinder und Jugendliche Infomaterialien und Lehrmittel Vermittlung von spezifischen Fach- und Beratungsstellen Kurse und Informationsmaterialien zu Jugendschutz Prozessbegleitung beim Erstellen von Konzepten für Früherkennung und -intervention in Schulen und Ausbildungsinstitutionen SSD: Sportamt Projekt Movimiento 20 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 9: Anbieter und Massnahmen in der Stadt Zürich (ausserhalb Schulen) Anbieter Massnahmen Polizeidepartement PD Abt. Prävention (zuständig für Kriminalprävention) Jugenddienst der Stadtpolizei Kindsschutz Sozialdepartement SD Jugendberatung: Unentgeltliche Beratung von Jugendlichen, Gruppentherapien, Lehrmeisterkurse Kursangebot für Eltern Kurse für Lehrpersonen und Ausbildungsverantwortliche Jugend- und Familienhilfe Pickeltouren Arbeitsintegration für Jugendliche Laufbahnzentrum Mütter- und Väterberatung Projekt Job Plus Projekt Mega!phon Kinderärzte/-innen Pädiatrische Entwicklungsabklärungen und medizinische Massnahmen Psychotherapeuten/-innen Psychotherapie für Kinder und Jugendliche Kinderpsychiater/innen Psychiatrische Behandlung für Kinder und Jugendliche Vereine Limita (Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung) Tabelle 10: Anbieter und Massnahmen im Kanton Zürich Anbieter Massnahmen Fachstelle für interkulturelle Suchtprävention und Gesundheitsförderung FISP Projekt ZüMEB (Informationen zu den Themen Ernährung und Bewegung von Kindern bis zum Primarschulalter) Vermittlung von allgemeinen Elternkompetenzen zum Thema Primärprävention Hochschule für Heilpädagogik Projekt Zeppelin (Frühförderung) Rahmenvereinbarung Interfall Interfall ist ein Projekt zur Förderung der verbindlichen interdisziplinären und interinstitutionellen Zusammenarbeit in der Fallarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Federführend sind das Amt für Jugend- und Berufsberatung, das Volksschulamt, die Jugendstaatsanwaltschaft und der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst Kinder- und Jugendpsychiatrische Grundversorgung Sprechstunden: ADHS, Zwangsstörungen Fachstelle Autismus Projekt ZINEPP (Psychosefrüherkennung) Notfalldienst für kinder- und jugendpsychiatrische Notfälle Kinderspital Psychosomatik-Abteilung (insbes. auch Essstörungen) Entwicklungsabklärungen Schlupfhuus Kurzfristige Notfallbetreuung und -unterbringung von Kindern und Jugendlichen 21 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 10: Anbieter und Massnahmen im Kanton Zürich (Fortsetzung) Stellen für Suchtprävention Kantonale Arbeitsgruppen der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich: Zappen und Gamen, Wissenstransfer, Öffentlichkeitsarbeit, Jugendschutz, Familie Zürcher Fachstelle zur Prävention des Alkohol- und MedikamentenMissbrauchs ZüFAM Projekte zu Medikamentenkonsum von Jugendlichen Projekt zu Suchtmittelkonsum im öffentlichen Raum Tabelle 11: Anbieter und Massnahmen in der Schweiz Anbieter Massnahmen ARUD (Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen) Behandlung von suchterkrankten Jugendlichen und Erwachsenen Gruppentherapien Dargebotene Hand (Tel. 143) Telefonische Beratung Sorgentelefon, Help-o-fon (Tel. 147) Telefonische Beratung für Kinder und Jugendliche Fachhochschule Nordwestschweiz Kompetenzzentrum Ressourcen + Projekt ESSKI (Eltern und Schule stärken Kinder) Marie Meierhofer Institut für das Kind Fortbildungen, Beratungen für alle Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten Projekt Bildungs- und Resilienzförderung im Frühbereich Projekt KET (Unterstützung für Eltern und Kinder in Trennungssituationen) NCBI, National Coalition Building Institute Schweiz Projekt Peacemaker (Streitschlichterprogramm) Netzwerke Essstörungen Vernetzung Netzwerk Femmes Tische Vernetzung Netzwerk psychische Gesundheit Vernetzung Netzwerk Schulische Bubenarbeit Vernetzung RADIX, Schweizer Kompetenzzentrum für Gesundheitsförderung und Prävention Ernährung und Bewegung: Projekt Purzelbaum Feel-ok.ch (Internetplattform zur Suchtprävention) Früherkennung und -intervention in Schulen (nationales Programm im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit) Mind Matters (Programm zur Förderung der psychischen Gesundheit) Netzwerk Bildung und Gesundheit Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen Diverse Projekt einzelner Schulen zu Ernährung, Bewegung, Psychosozialer Gesundheit, Sucht- oder Gewaltprävention Projekt Jugend und Gewalt.ch (Gewaltpräventionsprogramm Kantone, Städte und Gemeinden) Verein Infosekta Beratung zum Thema Sekten 22 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 3.6 Handlungsbedarf Zusammenfassung Psychische Störungen treten sehr häufig in der Kindheit und Jugend zum ersten Mal auf. Daten aus den USA deuten darauf hin, dass viele Kinder und Jugendliche erst nach Jahren therapeutische Unterstützung bei einer psychosozialen Störung erhalten, wenn es überhaupt zu einer Behandlung kommt. Das Schulpersonal bestätigt aus der Praxis solche Studienergebnisse. Hilfestellungen im Umgang mit psychosozialen Störungen von Schülern/-innen werden häufig als ungenügend empfunden und Unterstützung für die betroffenen Schüler/innen wird oft erst nach Jahren in die Wege geleitet. Wenn Störungen nicht erkannt und behandelt werden, kommt es in vielen Fällen zu einer Chronifizierung, die sich im Jugend- und Erwachsenenalter fortsetzt. Deshalb haben psychosoziale Störungen nicht nur starke negative Folgen für die Betroffenen, sondern auch für die Gesellschaft. Die WHO schätzt beispielsweise, dass sich die Kosten durch psychische Störungen in den EU-Staaten auf 3-4% des Bruttoinlandsproduktes belaufen. Für den Kanton Zürich schätzt das Institut für Sozial- und Präventivmedizin die Kosten auf Fr. 3 Mia. pro Jahr. Studien, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Interventionen zur Verhinderung psychosozialer Störungen einschätzen, kommen meist zu einem positiven Ergebnis. Dieses trifft vor allem auf Frühförderungsprogramme zu. Es sollte daher noch stärker angestrebt werden, dass Kinder und Jugendliche mit psychosozialen Störungen oder Problemen früh erkannt werden und früher eine Behandlung erhalten. Dieses Ziel kann durch Früherkennung in der Schule und durch eine bessere Koordination der Zusammenarbeit der Fachdienste, durch die Schüler/innen schneller Hilfe erhalten, unterstützt werden. Bei allen Massnahmen müssen die Gefahren von Stigmatisierungsprozessen und Überdiagnostizierung im Blick behalten werden, sodass Wirkungen, die dem Prinzip der Integration entgegen laufen könnten, möglichst verhindert werden. Psychosoziale Störungen beeinträchtigen das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit vieler Menschen. Wie bereits im Kapitel 3.2.2 «Epidemiologie» ausgeführt, leiden weltweit circa 20% aller 8- bis 18-jährigen an einer psychischen Störung.41 Von den psychischen Störungen tritt ein grosser Teil – auf die gesamte Lebensspanne betrachtet – in Kindheit und Jugend zum ersten Mal auf. Beispielsweise treten 50% der Angststörungen auf die gesamte Lebenszeit betrachtet vor dem 12. Lebensjahr auf. Bei Zwangsstörungen treten 50% der Fälle vor dem 19. Lebensjahr auf (vgl. Tab. 12). 41 Steinhausen, 2000. 23 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 12: Alter bei Erstmanifestation aller psychischen Störungen der Bevölkerung 42 Störung 25% treten auf bis zum Alter von… 50% treten auf bis zum Alter von… 75% treten auf bis zum Alter von… Angststörungen 6 Jahren 11 Jahren 21 Jahren ADHS 7 Jahren 7 Jahren 8 Jahren Störung des Sozialverhaltens 10 Jahren 13 Jahren 15 Jahren Zwangsstörungen 14 Jahren 19 Jahren 30 Jahren Affektstörungen (Depression u.a.) 18 Jahren 30 Jahren 43 Jahren Es sind keine repräsentativen Zahlen zu Behandlungsraten von psychosozialen Störungen betroffenen Schülern/-innen der Stadt oder des Kantons Zürich bekannt. Die zur Zeit von den Schulgesundheitsdiensten bei einer Stichprobe von Sekundarstufenschülern/-innen durchgeführte Befragung – das Projekt Gesundheitsmonitoring – wird mehr Informationen zur psychosozialen Gesundheit beinhalten. Diese interessanten Ergebnisse sind in der zweiten Jahreshälfte 2013 zu erwarten. Die oft zitierte Studie der Zürcher Bildungsdirektion, nach welcher 41% der Schüler/innen der dritten Regelklasse im Kanton Zürich mindestens eine Fördermassnahme haben,43 bezieht sich allerdings auf pädagogische Massnahmen wie Logopädie, Psychomotorik und Ähnliches und kann nicht als Beleg oder Hinweis interpretiert werden, dass die Schüler/innen betreffend psychosozialer Störungen genügend versorgt seien. Die erwähnten Massnahmen sind nicht auf die Vorbeugung oder Behandlung von psychosozialen Störungen ausgerichtet, auch wenn sie dies als Nebeneffekt mittel- und langfristig durchaus bewirken können. Zum Beispiel kann Logopädie dazu beitragen, dass ein Kind seine Bedürfnisse verständlicher kommunizieren kann, was seiner Befindlichkeit in der Regel zuträglich sein wird. Daten aus den USA deuten darauf hin, dass in vielen Fällen eine psychosoziale Störung bei Kindern und Jugendlichen nicht von Beginn der Störung an erkannt und behandelt wird. Ausserdem wird ein grosser Teil der Fälle von psychosozialen Störungen überhaupt nicht erkannt und behandelt. So wird eine soziale Phobie zum Beispiel innerhalb der ersten zwölf Monate des Auftretens nur in 3% der Fälle behandelt und in 50% der Fälle kommt es zu überhaupt keiner Behandlung (vgl. nachfolgende Tabelle 13). 42 43 Kessler, Berglund, Demler, Jin, Merikangas & Walters, 2005. Moser, Stamm & Hollenweger, 2005. 24 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 13: Behandlungsrate innerhalb von 12 Monaten nach Störungsbeginn44 Störung Behandlung innert 12 Monaten nach Störungsbeginn Jemals in Behandlung Trennungsangst 1% 27% Soziale Phobie 3% 50% Posttraumatische Belastungsstörung 7% 65% ADHS 7% 52% Oppositionelle Störung des Sozialverhaltens 7% 34% 37% 88% Depression Die beiden Tabellen veranschaulichen, dass ein grosser Teil aller psychischen Störungen der Bevölkerung erstmals im Kindes- und Jugendalter auftritt und viele Kinder und Jugendliche erst nach Jahren therapeutische Unterstützung erhalten, wenn es überhaupt zu einer Behandlung kommt. Das Schulpersonal, das durch Workshops in die Entwicklung dieses Berichts einbezogen wurde (s. Kap. 4.3 «Einbezug Schulpersonal»), bestätigt aus der Praxis solche Studienergebnisse. Auffällige Schüler/innen seien eine Belastung für das Schulpersonal, wobei eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten und eine Verschiebung hin zu jüngeren Kindern beobachtet würden. Die bestehenden Hilfestellungen im Umgang mit psychosozialen Störungen von Schülern/-innen würden dabei oft als ungenügend empfunden. Eine Erfahrung des Schulpersonals sei, dass oft (zu) viel Zeit vergehe, bis Unterstützung eingeleitet beziehungsweise eine Diagnose gestellt werde. Wenn Störungen nicht früh erkannt und behandelt werden, kann es zu einer Chronifizierung kommen, die sich im Jugend- und Erwachsenenalter fortsetzt. Die negativen mittel- und langfristigen Folgen einer psychosozialen Störung auf die schulische und soziale Entwicklung, auf das Gesundheitsverhalten sowie auf die Lebenszufriedenheit können nicht überschätzt werden. Psychosoziale Störungen haben neben dem grossen Leiden der Betroffenen auch eine immense wirtschaftliche Bedeutung. So waren beispielsweise 42% der IV-Fälle im Kanton Zürich im Jahre 2010 durch psychische Erkrankungen bedingt.45 Wie im Kapitel 4.5.4.1 «Kostenanalysen von psychischen Auffälligkeiten und Störungen» dargestellt, schätzt die WHO, dass sich die Kosten durch psychische Störungen in den EU-Staaten auf 3-4% des Bruttoinlandsproduktes belaufen.46 Wendet man diesen Ansatz auf die Schweiz an, verursachten psychische Störungen im Jahr 2010 bei einem Bruttoinlandprodukt von Fr. 551 Mia. Kosten von über Fr. 22 Mia. Für den Kanton Zürich schätzt das Institut für Sozial- und Präventivmedizin die Kosten auf Fr. 3 Mia. pro Jahr.47 Es gibt Interventionen, die erwiesenermassen wirksam sind und pro investierten Franken mehrere Franken zurückgeben (vgl. Kap. 4.6.4.2 «Kosten-/Nutzenanalysen von Interventionen»). 44 Wang, Angermeyer, Borges, Bruffaerts, Chiu, De Girolamo et al., 2007. Minder et al., 2012. 46 WHO, 2003. 47 Minder et al., 2012. 45 25 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Die Mehrheit der Studien zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Interventionen kommt zu einem positiven Ergebnis. Vor allem Frühförderungsprogrammen werden in vielen Studien günstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse bescheinigt. Ein Beispiel dafür ist eine Studie von Schweinhart (2005), die die Ersparnis eines Frühförderungsprogrammes mit 19,81$ für jeden investierten 1$ beziffert.48 Programme für jugendliche Straftäter sind ein weiteres Beispiel für eine hohe Kosteneffektivität. Aos und Kollegen (2004) geben die Ersparnis mit 1.78$ bis zu 38.05$ für jeden investierten 1$ an.49 Im Kanton und insbesondere in der Stadt Zürich ist ein ausgebautes Versorgungssystem für die Behandlung psychosozialer Auffälligkeiten vorhanden (s. Kap. 3.5). Der Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem ist durch den sozioökonomischen Status beeinflusst. Je tiefer der sozioökonomische Status einer Familie ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zugang zum Versorgungssystem angestrebt wird und dass dieser gelingt (vgl. Kapitel 4.6.2 «Risiko- und Schutzfaktoren»). Verstärkte Anstrengungen, Schüler/innen mit psychosozialen Störungen oder mit Gefährdungen für solche durch Früherkennung in der Schule zu identifizieren, bieten Chancen, den oben beschriebenen Problematiken entgegenzuwirken. Dies würde unterstützt durch eine Weiterentwicklung der Koordination der Zusammenarbeit mit den Fachdiensten, was zu einer rascheren Unterstützung für Schüler/innen mit psychosozialen Auffälligkeiten führen würde. Alle Kinder sind schulpflichtig und der grösste Teil geht zur Volksschule und kann somit über Massnahmen erreicht werden. Dies gilt ganz besonders für Kinder aus Familien mit tiefem sozioökonomischen Status. Das Schulpersonal kennt die einzelnen Kinder und meist auch die Eltern gut, oft besteht eine Vertrauensbeziehung. Dieses ist eine wichtige Voraussetzung, um die Eltern für Massnahmen für die Kinder zu gewinnen. Es sollte daher noch stärker angestrebt werden, dass Kinder und Jugendliche mit psychosozialen Störungen oder Problemen früh erkannt werden und früher eine Behandlung erhalten. Es entstehen nicht nur Vorteile für die Gesundheit der Schüler/innen, sondern es ist mittel- und langfristig auch mit nicht zu unterschätzenden Kosteneinsparungen zu rechnen. Grosse Aufmerksamkeit ist dabei auch der Vorbeugung von Stigmatisierungsprozessen zu widmen. In den geplanten Massnahmen müssen Stigmatisierung und Überdiagnostizierung von Schülern/-innen sowie Wirkungen, die dem Prinzip der Integration entgegen laufen könnten, möglichst verhindert werden (s. Kap. 4.6.5.4 «Vorbeugung von Stigmatisierungsprozessen»). Zwei Aspekte sind hierzu hervorzuheben. Erstens könnte im günstigen Fall eine frühe Erkennung und eine frühe, angemessene Intervention bei einigen Schülern/-innen die Entwicklung von psychosozialen Auffälligkeiten verhindern oder so weit abschwächen, dass später eine Stigmatisierung durch andere Schüler/innen oder das Umfeld wegen eben dieser – nun verhinderten oder reduzierten – psychosozialen Auffälligkeiten nicht mehr stattfinden würde. Wenn dadurch auch separative Massnahmen, beispielsweise wegen Verhaltensauffälligkeiten, reduziert werden könnten, würde dies den Gedanken der Integration fördern und die Tragfähigkeit der Schulen erhöhen. Zweitens könnte – im ungünstigen Fall – eine im Rahmen von Früherkennung noch grössere Aufmerksamkeit des Schulpersonals für psychosoziale Auffälligkeiten zu «Etikettierung» und Stigmatisierung von Schülern/-innen führen. Dem wäre durch sachliche Informationen, Sensibilisierung für Stigmatisierungsprozesse, behutsames 48 49 Zechmeister Kilian, McDaid & the MHEEN Group, 2008. Aos, Lieb, Mayfield, Miller & Pennucci, 2004. 26 Ausgangslage Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Vorgehen und Betonung der Maxime der Integration vorzubeugen. Letzteres wird unterstrichen durch ein Ergebnis der Evaluation der Förderpraxis der Stadtzürcher Schulen: Die 2012 befragten Lehrpersonen vermuteten bei 23.5% ihrer Schüler/innen, dass sie vor der Einführung der Integration in eine Kleinklasse oder eine Sonderschule gegangen wären50. Dies deutet auf eine markante Überschätzung der tatsächlichen Zahl der Schüler/innen in Kleinklassen und Sonderschulung vor der Integration sowie auch des aktuellen Bedarfs hin: Vor der Einführung der Integration lag der Anteil an Schülern/-innen in Kleinklassen und Sonderschulung bei 9.5%, und nach der Einführung der Integration lag der Anteil der Schüler/innen in Sonderschulung bei 4.5%. Solche Befunde sind bei der Einführung von Massnahmen zur Verbesserung der psychosozialen Gesundheit der Schüler/innen ebenfalls zu berücksichtigen. 50 Roos & Wandeler, 2012. 27 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 4. Vorgehen bei der Konzeptentwicklung 4.1 Vernetzung 4.1.1 Schulsystem Stadt Zürich Die Vernetzung im Schulsystem der Stadt Zürich fand einerseits durch die Projektgruppe (s. Kap. 4.2), andererseits durch den Einbezug des Schulpersonals und der Kreisschulpflegen im Rahmen von Gesprächen und Workshops statt (s. Kap. 4.3, Kap. 4.4.). Darüber hinaus fand eine Vernetzung mit dem Projekt «Koordinierte regel- und sonderpädagogische Förderung in der Volksschule der Stadt Zürich (KoFö)» des Schulamtes statt. Die Konzepte und Massnahmen des vorliegenden Projekts sollten dabei soweit möglich mit den laufenden Arbeiten und Ergebnissen des Projekts KoFö abgestimmt werden. Während das Projekt KoFö des Schulamts sich in erster Linie mit der Bündelung und Organisation struktureller und personeller Ressourcen der Pädagogik, der Sonderpädagogik, der Sonderschulung und der Therapie sowie mit der Förderplanung beschäftigt, stehen bei dem vorliegenden Vorhaben Früherkennung und -intervention von psychosozialen Auffälligkeiten und Störungen von Schülern/-innen im Zentrum. Es fanden zwei Sitzungen mit der Projektleitung KoFö statt. Zudem nahm das Projektteam an den zwei Arbeitspaketen Förderplanung sowie Verhaltensauffälligkeit von KoFö teil. Bei Ersterem ging es darum, einen Vorschlag für die Weiterentwicklung der Förderplanung zu entwickeln und dabei deren Nutzen für die Früherkennung und intervention von psychosozialen Schwierigkeiten der Schüler/innen zu prüfen. Bei Letzterem standen Massnahmen betreffend Schülern/-innen mit Verhaltensauffälligkeiten im Zentrum. Zudem sind zwei weitere Massnahmen für das Projekt relevant. Psychosoziale Gesundheit und Schulklima sind Faktoren im Bereich Lebensraum Schule und im Qualitätszyklus «Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung (QEQS)» der Zürcher Schulen. Um den vorliegenden Massnahmenplan besser abzustützen ist zu prüfen, ob Massnahmen des vorliegenden Projekts in den Qualitätszyklus QEQS einbezogen werden können. Des Weiteren besteht zu Früherkennung/-intervention ein Instrument zur Selbstevaluation von Schulen (IQES-Online). Gemäss den Angaben des Schulpersonals in den Workshops wird dieses wenig genutzt. Allenfalls können dieses Instrument sowie neue Instrumente in die Einführung von Früherkennung und -intervention einbezogen werden. 4.1.2 Stadt Zürich Auf städtischer Ebene ist das vorliegende Projekt vernetzt mit der Schulsozialarbeit, mit der Arbeitsgruppe «Jugend im öffentlichen Raum JiöR» der Stadträtlichen Delegation «Stadtleben im öffentlichen Raum SiöR», mit dem Legislaturschwerpunkt «Frühförderung» sowie der Fachstelle für Gleichstellung im Rahmen des Schwerpunkts «Häusliche Gewalt» des Gleichstellungsplans der Stadt Zürich. 28 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Die Vernetzung mit der Schulsozialarbeit fand im Rahmen eines Austausches mit der Vertretung des Steuerungsausschusses Schulsozialarbeit des Sozialdepartements statt. Es wurden die möglichen Rollen der Schulsozialarbeit bei der Durchführung von Früherkennung und intervention erörtert. Wenn bei einem Schüler beziehungsweise einer Schülerin soziale und psychische Themen gemischt vorliegen, sei denkbar, dass die Schulsozialarbeit ein Rolle, beispielsweise die Fallkoordination, übernähme. Bei rein psychischen Auffälligkeiten sei das wenig sinnvoll. Dabei ist zu beachten, dass zum Zeitpunkt des Austausches lediglich 59 von über 100 Schuleinheiten über schulsozialarbeiterische Ressourcen verfügen und es sich teilweise um kleine Pensen handelt. Die Schulsozialarbeiter/innen könnten gegebenenfalls im Rahmen der zwei Fachtagungen, die jährlich stattfinden sowie mit individuellen Fortbildungen auf diese Aufgaben vorbereitet werden. Durch die Mitarbeit der Projektleitung in der Spurgruppe der Arbeitsgruppe «Jugend im öffentlichen Raum (JiöR)» der Stadträtlichen Delegation «Stadtleben im öffentlichen Raum (SiöR)» fand eine intensive Vernetzung statt. Die Möglichkeiten der Verbesserung von Kinderund Jugendschutz in der Stadt Zürich wurde in zwei Fachtagungen ausgelotet. Im November 2012 trafen sich Mitarbeiter/innen aus vielen beteiligten Abteilungen und Institutionen zu einem ziel- und ergebnisorientiertem Austausch. Diese Vorschläge wurden danach an einer zweiten Tagung den Führungskräften aus denselben Institutionen präsentiert und dort diskutiert. Der Stadträtlichen Delegation SiöR wurden danach vier Handlungsfelder vorgeschlagen, wobei insbesondere die Aufbereitung und Zusammenfassung von Informationen zu den Angeboten der Abteilungen und Institutionen, welche sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen, dem vorliegenden Vorhaben nützen würde. Der Legislaturschwerpunkt Frühförderung setzt im vorschulischen Alter an. Die Schulgesundheitsdienste sind mit diesem Legislaturschwerpunkt durch die Mitarbeit in verschiedenen Projekten und Arbeitsgruppen verbunden. Hinsichtlich des Schwerpunkts «Häusliche Gewalt» des Gleichstellungsplans der Stadt Zürich wurde an einer Austauschsitzung vereinbart, dass das Schulpersonal in Handlungsleitlinien, welche gegebenenfalls aus dem vorliegenden Projekt hervorgehen, auf die Broschüre für Lehr- und Betreuungsfachpersonen «Häusliche Gewalt – was tun in der Schule?» hingewiesen wird. 4.1.3 Kanton Zürich Auf kantonaler Ebene ist das Projekt vernetzt mit der Abteilung für Prävention und Gesundheitsförderung am Institut für Sozial- und Präventivmedizin Zürich ISPMZ, welche an der Erarbeitung des kantonalen Konzepts «Prävention psychischer Erkrankungen»51 massgeblich beteiligt war. In diesem Konzept wird die Altersgruppe der Kinder- und Jugendlichen mehrfach erwähnt. Während der Vernehmlassung des Konzepts wurde vom Schulpsychologischen Dienst der Stadt Zürich sowie von anderen Institutionen angemerkt, dass der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen zu wenig Gewicht beigemessen werde. Der Regierungsrat des Kantons Zürich beschloss Ende 2011, dass die Suizidprävention ein Schwerpunkt im Rahmen des Konzepts sein wird. Die von den Schulgesundheitsdiensten interdisziplinär erarbeitete Handreichung «Was tun bei suizidalem Verhalten von Schülern und 51 Minder et al., 2012. 29 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Schülerinnen im Umfeld der Schule?»52 ist beim ISPMZ auf Interesse gestossen. Es wurde eine weitere gegenseitige Information und gegebenenfalls eine künftige Kooperation vereinbart. 4.1.4 National Auf nationaler Ebene fand eine Vernetzung mit der Schweizerischen Gesundheitsstiftung RADIX statt. Seit 2006 hat RADIX vom Bundesamt für Gesundheit einen Auftrag, Programme für Früherkennung und -intervention in Schulen und Gemeinden anzuregen und zu begleiten. Einer der Verantwortlichen für diese Programme wurde in die Projektgruppe eingeladen und nahm an deren Sitzungen teil (s. Kap. 4.2). Es wurden mögliche Formen der künftigen Zusammenarbeit erörtert. Während so genannten ERFA als Gefässe für Erfahrungsaustausch, die RADIX innerhalb ihres Auftrags veranstaltet, tauschte sich das Projektteam mit anderen projektdurchführenden Gemeinden und Stellen aus. Zudem nahm das Projektteam 2011 und 2012 an den von RADIX organisierten Tagungen zu Früherkennung und -intervention teil. 4.2 Projektgruppe Die Projektgruppe wurde im Rahmen von fünf Sitzungen sowie Gesprächen in dieses Projekt einbezogen. Ziel war es, Unterstützung bei der Entwicklung des Projekts sowie fachliche Inputs zu erhalten. Zu den wichtigsten fachlichen Inputs zählten eine Auflistung bestehender Massnahmen, Angebote und Akteure der psychosozialen Gesundheit in der Schweiz (vgl. Kapitel 3.5 «Akteure und bestehende Massnahmen im Feld der psychosozialen Gesundheit») sowie Erfahrungswissen der Projektgruppenmitglieder auf dem Gebiet von Früherkennung und -intervention und gefährdeten Gruppen. Desweiteren wurde die Projektgruppe im Rahmen von Einzelgesprächen im ersten Semester 2013 in die Entstehung dieses Berichts einbezogen. Mitglieder der Projektgruppe sind Dr. Jürg Forster, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Zürich, Esther Gnos, Leiterin der Abteilung Strategie- und Organisationsentwicklung des Schulamts der Stadt Zürich, Marie-Claire Meienberg, Leiterin des Interventionsteams der Fachstelle für Gewaltprävention der Stadt Zürich, Jürg Steiger, Fachexperte von RADIX, Dr. Susanne Stronski-Huwiler, Co-Leiterin des Schulärztlichen Dienstes der Stadt Zürich, sowie Eveline Winnewisser, Leiterin der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich. In den fünf Projektgruppensitzungen lieferten die Projektgruppenmitglieder sowie die einbezogenen Gäste Inputs zu folgenden Themen: 6.9.2011: Besprochene Themen: Diskussion bezüglich Zielen und Vorgehensweise des Projekts, Früherkennung und -intervention, bestehende Projekte, Angebote und Interventionen im Feld der psychosozialen Gesundheit. 25.11.2011: Einbezug von Fachexperten des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (R. Gundelfinger), der pädagogischen Hochschule (B. Meister). Besprochene Themen: Früherkennung und -intervention. 52 Steinhauser & Frey, 2012. 30 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 16.12.2011: Einbezug von Fachexperten des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (R. Gundelfinger). Besprochene Themen: Modell Früherkennung und -intervention, Diskussion bezüglich Risikogruppen. 19.1.2012: Erweiterte Sitzung mit Einbezug von Vertretern des Schulpersonals (vier Lehrpersonen, ein schulischer Heilpädagoge, eine Betreuungsfachperson, zwei Schulleitungen). Besprochene Themen: Erfahrungen und Bedürfnisse zu psychosozialer Gesundheit im schulischen Kontext, Modell Früherkennung und -intervention. 1.3.2012: Besprochene Themen: Modell Früherkennung und -intervention, Diskussion Paper zu Risikogruppen, weiteres Vorgehen im Projekt. 4.3 Einbezug des Schulpersonals Zusammenfassung Im Rahmen von vier Workshops und einer Schulleitungskonferenz wurde das Schulpersonal in die Entwicklung des Berichts einbezogen. Wichtige Diskussionsthemen betrafen Bedarf und Bedürfnisse des Schulpersonals zum Thema psychosoziale Gesundheit, das Modell Früherkennung und -intervention sowie Machbarkeit und Stolpersteine des Projekts. Aus Sicht des Schulpersonals besteht ein Bedarf an Massnahmen zur psychosozialen Gesundheit von Schülern/-innen. Es vergingen nach der Erfahrung des Schulpersonals oft Jahre, bis Unterstützung für auffällige Schüler/innen eingeleitet werde. Es sei wichtig, bereits bei den ersten Anzeichen einer Auffälligkeit zu reagieren. Um Auffälligkeiten besser einschätzen zu können, werden Weiterbildungen bezüglich psychosozialer Störungen gewünscht. Das Schulpersonal wisse oft nicht, an wen es sich im jeweiligen Falle eines/-r auffälligen Schülers/-in wenden solle. Die Zusammenarbeit und der Informationsfluss zwischen externen Diensten und dem Schulpersonal werden als schwierig erlebt, weil es an Niederschwelligkeit fehle. Auch werden die Reaktionszeiten der Fachdienste oft als zu langsam empfunden. Die Verlässlichkeit, dass wirklich eine Intervention seitens der Fachdienste erfolge, müsse verbessert werden. Dafür sei die Festlegung der Fallkoordination wichtig. Die Fallkoordination solle ab einem gewissen Grad von Komplexität von den Fachdiensten übernommen werden. Für eine gelingende Früherkennung und -intervention seien die Klärung der Zuständigkeiten, die gelingende Zusammenarbeit mit den Fachdiensten sowie die Sensibilisierung der Schule entscheidend. Die Einteilung in verschiedene Früherkennungs-Gruppen und diesen entsprechende Frühinterventions-Phasen im Modell wird als praktikabel empfunden. Die Früherkennung und die Durchführung von Frühinterventionsmassnahmen könne bei leichten Fällen von Auffälligkeiten vom Schulpersonal durchgeführt werden. Allerdings bestehe ein Ressourcenproblem. Es wird des Öfteren erwähnt, dass die heutigen Abläufe in den Schuleinheiten dem Modell bereits entsprächen oder ähnlich seien. Unkooperative Eltern stellen ein Hindernis für die Unterstützung von auffälligen Schülern/-innen dar. Elternarbeit sei für das Schulpersonal eine Herausforderung. Die Vernetzung zwischen allen Beteiligten und den Eltern müsse insgesamt verbessert werden. Im Rahmen eines Workshops im Januar 2012 wurde Schulpersonal aus den Bereichen Lehrpersonal, Heilpädagogik, Betreuung sowie Schulleitung eingeladen. Der Einbezug des Schulpersonals fand ausserdem mittels eineinhalb bis zwei Stunden dauernden Workshops in zwei 31 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Unter-/Mittelstufenschulhäusern und einem Sekundarstufenschulhaus im Zeitraum von November 2012 bis Januar 2013 statt. Zwischen acht und zwölf Mitarbeitende – Schulleitungen, Lehrpersonen, DAZ-Lehrpersonen, Schulische Heilpädagogen/-innen, Betreuungsfachpersonen, Logopäden/-innen, Schulsozialarbeiter/innen und Psychomotoriktherapeuten/-innen – nahmen jeweils an den Workshops teil. Zusätzlich wurde das Projekt an der Retraite einer Schulleitungskonferenz vorgestellt und diskutiert. Ziel dieser Sitzungen war es, Erfahrungen, Bedarf und Bedürfnisse des Schulpersonals zum Thema psychosoziale Gesundheit von Schülern/-innen kennenzulernen, Rückmeldungen zum Modell Früherkennung und -intervention sowie weitere Hinweise zur Machbarkeit und zu Stolpersteinen des Projekts zu erhalten. Im Folgenden werden die Aussagen des Schulpersonals zusammengefasst. Sie bilden die Meinung der Teilnehmenden ab und können deshalb nicht als repräsentativ für das Schulpersonal der Stadt Zürich betrachtet werden. Erfahrungen, Bedarf, Bedürfnisse Es besteht aus Sicht des Schulpersonals ein Bedarf an Massnahmen betreffend die psychosoziale Gesundheit von Schülern/-innen. Psychosoziale Probleme seien ein grosses Problem. Die auffälligen Schüler/innen seien eine Belastung für das Schulpersonal, wobei eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten und eine Verschiebung hin zu jüngeren Kindern beobachtet würden. Dies deckt sich auch mit einem Ergebnis aus der Evaluation der Förderpraxis der Stadtzürcher Schulen: Die 2012 befragten Lehrpersonen beobachteten ein grosses Ausmass an Auffälligkeiten und vermuteten bei 23.5% ihrer Schüler/innen, dass sie vor der Einführung der Integration in eine Kleinklasse oder eine Sonderschule gegangen wären53. In den Workshops wurde vom Schulpersonal weiter angemerkt, es sei wichtig, bereits bei den ersten Anzeichen einer Auffälligkeit zu reagieren. Eine Erfahrung des Schulpersonals ist, dass oft viel, manchmal zu viel Zeit vergehe, bis eine angemessene Unterstützung eingeleitet beziehungsweise eine Diagnose gestellt werde. So werde ein leicht auffälliges Kindergartenkind möglicherweise später zu einem auffälligen Jugendlichen. Weil eine Unsicherheit beim Schulpersonal bestehe, Auffälligkeiten richtig einordnen zu können, werde eine Qualifizierung bezüglich psychosozialen Störungen und deren Früherkennung im Rahmen von Weiterbildungen, zum Beispiel an Q-Tagen, gewünscht. Sehr ruhige Kinder, die möglicherweise für eine internalisierende Störung gefährdet seien, würden zum Beispiel von Lehrpersonen meist als unauffällig eingestuft, auch weil die Aufmerksamkeit bei Schülern/-innen, die den Unterricht stören, liege. Es sei möglich, dass durch Weiterbildungen die Anmeldungen bei externen Fachstellen zurückgingen, da mehr Handlungssicherheit bestünde. Bei Weiterbildungen sei darauf zu achten, dass durch die resultierende erhöhte Sensibilität der Lehrpersonen für psychosoziale Auffälligkeiten keine Stigmatisierung oder Etikettierung entstehe, zum Beispiel dass schüchterne Schüler/innen dann nicht als grundsätzlich auffällig eingestuft würden. Eine Checkliste, mit deren Hilfe man eine Auffälligkeit einordnen kann, wird als ein nützliches Hilfsinstrument angesehen. Diese müsse sich allerdings durch ihre Anwendbarkeit auszeichnen. Kürze und Verständlichkeit seien zwei wichtige Kriterien. In dieser Form sollten auch mögliche Weiterbildungen abgehalten werden. 53 Roos & Wandeler, 2012. 32 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Die aktuellen Hilfestellungen würden als ungenügend empfunden. Das Schulpersonal wisse oft nicht, an wen es sich im jeweiligen Falle eines/r auffälligen Schülers/-in wenden solle. Die pädagogischen Teams seien bereits sehr ausgelastet und die Lehrpersonen hätten ebenfalls wenig Zeit, sich mit mehreren auffälligen Schülern/-innen in den Klassen auseinanderzusetzen. Durch diese Hindernisse komme es häufig zu einer Haltung des Abwartens beim Schulpersonal, bis das Problem so gross geworden sei, dass ein Ignorieren nicht länger möglich sei. Wenn zu diesem Zeitpunkt externe Fachdienste eingeschaltet würden und aufgrund mangelnder Ressourcen Wartezeiten bestünden, hätten Auffälligkeiten von Schülern/-innen oft einen heiklen Punkt erreicht. Um diese Problematik zu verhindern, brauche das Schulpersonal bei Auffälligkeiten von Schülern/-innen schnelle und niederschwellige Lösungen, sodass trotz geringem Zeitrahmen eine Unterstützung eingeleitet werden könne. Dafür würden mehr Ressourcen oder andere Prioritätensetzungen bei den Fachdiensten benötigt, da die Reaktionszeiten vom Schulpersonal zurzeit oft als zu langsam empfunden werden. Auch mehr personelle Ressourcen auf Seiten des Schulpersonals würden helfen, stärker auf die Bedürfnisse von Schülern/-innen mit Auffälligkeiten eingehen zu können. Die Verlässlichkeit, dass wirklich eine Intervention seitens der Fachdienste erfolge, werde ebenfalls als ungenügend empfunden. Eine Lehrperson, die sich an eine Fachstelle wende, wolle die Sicherheit haben, dass etwas unternommen werde, um das Problem zu lösen. Die Zusammenarbeit und der Informationsfluss zwischen externen Diensten und dem Schulpersonal werde als schwierig erlebt, weil die Nähe zur Schule nicht gegeben sei. Eine stärkere Niederschwelligkeit der Fachdienste sei ein wichtiger Aspekt, der die Zusammenarbeit vereinfachen würde. Der Schulpsychologische Dienst werde beispielsweise umso hilfreicher erlebt, je näher er an der Schule positioniert sei. Eine Schulhaussprechstunde des Schulpsychologischen Dienstes werde vom Schulpersonal als eine gute Form der Unterstützung geschätzt. Bei Bedarf könne auch ein Schulpsychologe an Sitzungen des pädagogischen Teams teilnehmen. Eine Hotline, durch die man eine erste Einschätzung der Situation erhalte, wäre eine Alternative zu der Anwesenheit einer Fachperson im Schulhaus. Dass der Informationsfluss und die Zusammenarbeit durch Niederschwelligkeit vereinfacht werde, sehe man an der guten Zusammenarbeit und Akzeptanz der Eltern bezüglich den Diensten Schulsozialarbeit und Logopädie, die im Schulhaus angesiedelt seien. Die Fallkoordination solle ab einem gewissen Grad von Komplexität von den Fachdiensten übernommen werden, da eine solche die Ressourcen des Schulpersonals übersteige. Trotzdem müsse in der Schuleinheit eine Person den Fall weiter verfolgen, damit das Schulpersonal über den neuesten Stand der Massnahmen informiert bleibe. Modell Früherkennung und -intervention Zum Modell Früherkennung und -intervention54 gab es seitens des Schulpersonals folgende Anmerkungen und Hinweise. Die Zusammenarbeit mit den externen Fachdiensten werde als grundlegendes Kriterium für gelingende Früherkennung und -intervention angesehen. Dabei müssten vor allem die Zuständigkeiten geklärt sein, damit oben genannte Probleme der Zusammenarbeit gelöst werden könnten. Es müsse auf diese Weise eine Verlässlichkeit bei der 54 Das Modell Früherkennung und -intervention ist nicht im vorliegenden Auszug enthalten. 33 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Feststellung und Behandlung von Problemen entstehen, sodass das Schulpersonal wisse, wie es sich im jeweiligen Fall verhalten solle und an wen es sich wenden könne. Voraussetzung für eine funktionierende Früherkennung sei die Sensibilisierung der Schule für das Thema, die allerdings keine Übersensibilisierung zur Folge haben dürfe. Die Einteilung in verschiedene Früherkennungs-Gruppen im Modell wird vom Schulpersonal als praktikabel empfunden. Die Lehrperson, die eine Auffälligkeit bemerke, habe die zentrale Rolle bei der Früherkennung inne. Sie müsse genau hinschauen und das Problem im pädagogischen Team ansprechen. Die Früherkennung und die entsprechende Einleitung von Frühinterventionsmassnahmen könne bei leichten Fällen von Auffälligkeiten ohne Beiziehung externer Fachdienste im pädagogischen Team durchgeführt werden. Die Idee, das pädagogische Team eine wichtige Rolle bei der Früherkennung und -intervention übernehmen zu lassen, eventuell auch mit einem regelmässigen Traktandum «Psychosoziale Gesundheit», wird allgemein befürwortet. Mit dem Mehr-Augen-Prinzip werde auch den Fällen Rechnung getragen, in denen die Beziehung zur Lehrperson das eigentliche Problem darstelle. Allerdings variierten die Aufgaben des pädagogischen Teams je nach Regelung der Schuleinheit deutlich. Ob die Besprechung im pädagogischen Team, im interdisziplinären Team oder in einem anderen analogen Gefäss stattfindet, solle deshalb keine Rolle spielen. Wichtig sei, dass sich das Gefäss regelmässig trifft. Die Einteilung der Frühintervention in verschiedene Frühinterventions-Phasen werde als sinnvoll und praktikabel angesehen. Das Schulpersonal fühlte sich kompetent, Interventionen bei leichten Auffälligkeiten selbst in der Schule durchzuführen. Allerdings bestehe ein Ressourcenproblem. Für Kurzinterventionen würden einfache, handliche Erklärungen einer langen Weiterbildung vorgezogen. Fallkoordination und Intervention müssten bei grösseren psychosozialen Auffälligkeiten abgegeben werden können. Dafür sei es notwendig, die Fallkoordination klarer zu definieren. Es müsse eine Person geben, die diese übernehme und auch die Schule informiere, was im jeweiligen Fall weiter geschehe. Dabei komme die Schulsozialarbeit infrage. Die Rolle der Schulsozialarbeit wird für die Früherkennung und -intervention allerdings unterschiedlich bewertet, da sie je nach Schule unterschiedlich belastet sei und andere Rollen habe. Zum einen seien Schulsozialarbeiter/innen eine wichtige Ansprechperson für ältere Schüler/innen, die mit einem Problem nicht auf ihre Lehrperson zugehen wollten. Auf der anderen Seite könne die Schulsozialarbeit die Lehrpersonen auch bei der Vernetzung mit externen Fachdiensten unterstützen. Es wird des Öfteren erwähnt, dass die heutigen Abläufe in den Schuleinheiten dem Modell bereits entsprechen oder ähnlich seien. Allerdings sei eine Checkliste hilfreich, um bei der Abgrenzung zwischen einer leichten, mittleren und starken Auffälligkeit einen Anhaltspunkt zu haben. Ein Konsens des Schulpersonals besteht darin, dass jede Schule Spielraum bei der Umsetzung des Modells Früherkennung und -intervention haben solle. Das Modell solle eher Leitplanken als feste Strukturen vorgeben. Es würde vom Schulpersonal eher akzeptiert werden, wenn es als Form der Hilfe angeboten würde, als wenn es als obligatorische zusätzliche Aufgabe eingeführt würde. Weitere Hinweise zu Stolpersteinen, Machbarkeit des Projekts und darüber hinaus Unkooperative Eltern werden als Hindernis auf dem Weg zur Hilfe für Schüler/innen mit Auffälligkeiten erlebt. Widerstände der Eltern seien zum Beispiel ein Stolperstein bei der Umset- 34 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich zung von Interventionen. Es solle im Einzelfall geprüft werden, ob die Durchführung von Interventionen auch ohne das Einverständnis der Eltern möglich sei. Auch sollten die Fachstellen Elternarbeit anbieten, damit Eltern über psychosoziale Störungen aufgeklärt würden. Elternarbeit sei für das Schulpersonal eine Herausforderung. Wie man herausfordernde Elterngespräche führe und die Eltern dennoch ins Boot hole, wird gemäss verschiedenen Stimmen möglicherweise in der Lehrerausbildung noch in zu geringem Masse thematisiert. Die Vernetzung zwischen allen Beteiligten und den Eltern müsse insgesamt verbessert werden. Die langen Wartezeiten bei externen Fachdiensten werden ebenfalls als ein Stolperstein angesehen. Wartezeiten von zwei bis drei Monaten seien die Regel. Die Nutzung des schulischen Standortgesprächs für die Erkennung und Einschätzung von psychosozialen Störungen wurde diskutiert. Das Schulpersonal gab die Rückmeldung, dass das schulische Standortgespräch zu wenig detailliert sei beziehungsweise dass zu viele Unterpunkte zu einer Kategorie existierten, um mit seiner Hilfe Auffälligkeiten einschätzen zu können. Das schulische Standortgespräch werde hauptsächlich für die Vorbereitung von Elterngesprächen verwendet. Als einzelne spezifische Massnahmen werden Gesprächsgruppen für Jugendliche und Massnahmen für früh auffällige Kinder im Alter von vier bis acht Jahren erwähnt. 4.4 Kreisschulpflegen Zwischen September 2012 und Januar 2013 wurden mit den sieben Kreisschulpflegen der Stadt Zürich bilaterale Gespräch geführt, um Informationen über deren Sicht der psychosozialen Auffälligkeiten von Schülern/-innen bezüglich Bedarf, Bedürfnisse, Bedenken und Möglichkeiten zu erhalten. Psychosoziale Auffälligkeiten wurden von vielen Gesprächspartnern/-innen als verbreitet betrachtet. Der Handlungsbedarf wird unterschiedlich eingeschätzt, teils hoch und teils nur bedingt vorhanden. Diesen Einschätzungen stehen auch Bedenken gegenüber. Allfällige Massnahmen müssten die Entlastung der Schulen und die Erhöhung der Problemlösefähigkeit im schulischen Kontext zum Inhalt haben. In der gegenwärtigen Phase einer Verarbeitung und Anpassung der per Schuljahr 2009 eingeführten Integrationsmaxime seien zusätzliche Aufgaben für das Schulpersonal nur mit Vorsicht möglich. Des Weiteren bestünden Bedenken zur Früherkennung, wenn diese zwar vom Schulpersonal erfolge, aber danach aus Ressourcen- oder Zeitmangel keine Frühintervention einsetze. Dies würde das Schulpersonal frustrieren und zu einem Scheitern des Projekts führen. Ebenfalls sei eine Gefahr, dass bei erkannter psychosozialer Gefährdung das fehlende Einverständnis und die geringe Kooperation der Eltern hilfreiche Massnahmen verhindern könne, was das Schulpersonal wiederum frustriere. Die Gefahren der Stigmatisierung und der Überdiagnostizierung von psychischen Störungen seien bei allen Massnahmen zu berücksichtigen beziehungsweise es seien diesen entgegenzuwirken. Ansonsten würden solche Massnahmen eine dem Prinzip der Integration gegenläufige Wirkung entfalten können. Als Handlungsfelder werden in den Gesprächen Beginn und Ende der Schulpflicht, also Kindergarten und Sekundarstufe, der Schulabsentismus sowie Schüler/innen mit psychisch kranken Eltern genannt. Die Aufbereitung von Informationen zu einem Leitfaden und die Verbesserung der Vernetzung werden in der Regel begrüsst. Der Koordination mit laufenden anderen Projekten wird eine hohe Priorität zugemessen. Insbesondre sei wichtig, dass allfällige Massnahmen zeitlich mit dem Projekt «Koordinierte Förderung Kofö» des Schulamtes abgeglichen 35 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich und versetzt eingeführt würden, damit die Schulen nicht überfordert würden. Hinsichtlich des Schulpsychologischen Dienstes wird teilweise erwähnt, dass dieser näher an die Schulen rücken sollte. Als mögliche Gefässe für die Einführung von Massnahmen werden SchulhausFortbildungen und Q-Tage genannt. 4.5 Information von Entscheidungsträger/innen Die Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz (PK) konferiert und beschliesst über gesamtstädtische und strategische Aspekte (s. auch Kap. 3.5.1). Das vorliegende Projekt wurde zu vier Zeitpunkten in der Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz vorgestellt. Im Dezember 2011 standen die erste Information und die Zustimmung zum Einbezug von Vertreter/innen aus Schulleitung, Betreuung, Kindergarten, Unter- und Mittelstufe sowie Sekundarstufe auf der Traktandenliste. Im Juni 2012 erfolgte eine Darlegung des Arbeitstandes. Von Seiten der Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz wurde ein weiterer Einbezug des Schulpersonals nahe gelegt, welcher dann in mehreren Workshops in Schuleinheiten umgesetzt wurde. Im Februar 2013 bestätigte die Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung des Konzepts und des Massnahmenplans. Über die zustimmende Kenntnisnahme des detaillierten Massnahmenplans des vorliegenden Projekts wird die Präsidentinnen- und Präsidentenkonferenz voraussichtlich Anfang Juli 2013 befinden. 4.6 Recherche und Theorie 4.6.1 Einleitung Das Kapitel «Recherche und Theorie» dient zum einen der zusammenfassenden Darstellung der wichtigsten recherchierten Früherkennungs- und Frühinterventionsprojekte. Dabei wird zwischen problemübergreifenden und problemspezifischen Interventionsprogrammen unterschieden. Bevor die einzelnen Interventionsprogramme vorgestellt werden, soll auf Risiko- und Schutzfaktoren, die grundsätzlich eine wichtige Rolle für diese Programme spielen, eingegangen werden. Im Unterkapitel «Kostenanalysen und Kosten-/Nutzenanalysen» wird auf die Kosten von psychosozialen Störungen sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft eingegangen. Es wird ausserdem aufgezeigt, welchen Nutzen Präventionsprogramme – verglichen mit ihren Kosten – haben. Abschliessend wird nach der Darstellung der individuellen Präventionsprogramme auf die Verhältnisprävention eingegangen und dargestellt, welche Möglichkeiten sich Schulen auf struktureller Ebene im Bereich der Prävention bieten können. Dabei ist die Vermeidung von Stigmatisierungsprozessen, die durch Interventionsprogramme verstärkt werden können, von zentraler Bedeutung, was im letzten Unterkapitel «Vermeidung von Stigmatisierungsprozessen» erläutert wird. Aufgrund der Länge des Kapitels «Recherche und Theorie» werden die jeweiligen Unterkapitel statt dem gesamten Kapitel zusammengefasst. 36 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 4.6.2 Risiko- und Schutzfaktoren Zusammenfassung Risikofaktoren gefährden die psychosoziale Gesundheit, während Schutzfaktoren dazu beitragen, sie zu erhalten. Schutzfaktoren können die negative Wirkung vorhandener Risikofaktoren abschwächen. Die Faktoren können auf der Ebene des Individuums (z.B. Selbstwertgefühl als Schutzfaktor) und auf der Ebene der Umwelt (z.B. Mobbing als Risikofaktor) angesiedelt sein. Risikofaktoren, die die Forschung als besonders gefährdend für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen identifiziert hat, sind negative familiäre Bedingungen wie psychische Probleme der Eltern, familiäre Konflikte, Alleinerziehung und strenge Disziplin. Vor allem für Jugendliche sind schlechte akademische Leistungen sowie schlechte Beziehungen zur Peergroup Risikofaktoren. Ein weiterer, in vielen Studien identifizierter Risikofaktor ist ein niedriger sozioökonomischer Status. Durch diesen kumulieren verschiedene Risikofaktoren wie belastende Milieus, wenig familiäre Zuwendung, mangelnde soziale Integration und schlechter Zugang zu unterstützenden Einrichtungen. Schutzfaktoren, die eine stark positive Wirkung haben, sind laut Forschungsliteratur ein gutes Eltern-Kind-Verhältnis und ein beständiger Erziehungsstil, personale und soziale Fähigkeiten des Kindes sowie soziale Unterstützung, zum Beispiel durch die Peergroup. Als Risikofaktoren können alle Faktoren, die die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefährden und krankheitsbegünstigend wirken, bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu werden alle Faktoren, die dazu beitragen, die Gesundheit zu fördern, Schutzfaktoren genannt. Schutzfaktoren dürfen nicht als das blosse Fehlen von Risikofaktoren interpretiert werden, was einer «Risikoforschung mit umgekehrten Vorzeichen»55 gleichkäme. Das folgende Modell zum Zusammenwirken von Schutz- und Risikofaktoren56 verdeutlicht einen komplexeren Zusammenhang zwischen den beiden Arten von Faktoren (Abb. 4). Das Zusammenwirken kann als ein bio-psycho-soziales Wechselspiel zwischen Risiko- und Schutzfaktoren, die innerhalb und ausserhalb des Kindes vorhanden sind, angesehen werden. «Innerhalb des Organismus oder der Persönlichkeit entspricht den Risikofaktoren das Element der Vulnerabilität, während den jeweiligen Schutzfaktoren das theoretische Element der Resilienz (Widerstandskraft) entspricht.»57 Das Kind wird in seiner Entwicklung mit Lebensereignissen sowie situativen Belastungen konfrontiert, denen stabilisierende Bedingungen der Umwelt entgegenwirken können. So haben Schutzfaktoren einen Puffereffekt, der die Wirkung vorhandener Risikofaktoren abschwächen oder verhindern kann. Sie moderieren demnach die schädliche Wirkung von Risikofaktoren. 55 Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann, 2009. nach Petermann & Winkel, 2005, übernommen aus: Bengel et al., 2009. 57 Steinhausen, 2000. 56 37 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Ein Risikofaktor ist in der Regel nicht der alleinige Auslöser für eine Erkrankung. Risikofaktoren tragen vielmehr dazu bei, dass die Belastungen grösser sind als die Ressourcen eines Kindes, sodass die Anfälligkeit für eine psychosoziale Störung steigt. Es wird angenommen, dass das Zusammentreffen von mehreren Risikofaktoren stärkere negative Auswirkungen hat als ein einzelner Risikofaktor.58 Abbildung 4: Zusammenwirken von Schutz- und Risikofaktoren Schutzfaktoren Resilienz Risikofaktoren Kind Vulnerabilität K i n d Günstige Entwicklung vs. Störung Entwicklungseinflüsse Schutz- und Risikofaktoren können auf verschiedene Art und Weise differenziert werden. Steinhausen unterscheidet beispielsweise zwischen biologischen, psychosozialen und soziokulturellen Faktoren sowie Lebensereignissen, wobei die psychosozialen Faktoren weiter unterteilt werden in individuell, familiär, schulisch und die Gleichaltrigengruppe.59 Eine ähnliche Klassifizierung, die in diesem Projekt gebraucht wird, unterscheidet zwischen persönlichen, sozialen und familiären Faktoren sowie Faktoren auf Gemeindeebene. Die persönlichen Faktoren können weiter unterteilt werden in somatische, genetische, emotional-charakterliche Faktoren, Fähigkeiten sowie gefährdende beziehungsweise schützende Ereignisse. Welche Risikofaktoren als besonders gefährdend für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen einzustufen sind, wurde in verschiedenen Studien untersucht. Diese gewichteten Risikofaktoren sowie die seltener untersuchten gewichteten Schutzfaktoren sollen hier vorgestellt werden. 58 59 Bengel et al., 2009. Steinhausen, 2000. 38 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Wille und Kollegen untersuchen aufgrund der BELLA-Studie, dem Modul zur psychosozialen Gesundheit innerhalb des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGSS), welche Risikofaktoren für Kinder und Jugendliche mit einem besonders grossen Risiko einhergehen.60 Dabei werden die familiären Faktoren Konflikte in der Familie, elterliche Belastung und psychische Probleme der Eltern als besonders einflussreiche Risikofaktoren identifiziert. Auch das Aufwachsen mit einem Stiefelternteil und die subjektiv schlechte Einschätzung der eigenen psychischen Gesundheit stellen sich als deutliche Risikofaktoren heraus. Ein weiteres Ergebnis lautet, dass das Auftreten von psychosozialen Problemen bei mehreren, simultan auftretenden Risikofaktoren stark erhöht ist. Durlak betrachtet in seiner Metaanalyse von 1‘200 Studien gemeinsame Risiko- und Schutzfaktoren für die acht Bereiche Verhaltensprobleme, Schulversagen, schlechte physische Gesundheit, physische Verletzung, physischer Missbrauch, Schwangerschaft, Drogenkonsum und AIDS.61 Risikofaktoren, die alle acht Bereiche betreffen, sind ein niedriger sozioökonomischer Status, psychische Probleme der Eltern, der frühe Beginn einer Störung, andere individuelle Probleme und Stress. Eine schlechte Schulqualität stellt einen Risikofaktor für Verhaltensprobleme, Schulversagen, schlechte physische Gesundheit, Schwangerschaft, Drogenkonsum und AIDS dar. Schutzfaktoren, die den acht von Durlak untersuchten Bereichen entgegenwirken, sind soziale Normen, effektive Sozialpolitik, ein gutes Eltern-Kind-Verhältnis, personale und soziale Fähigkeiten des Kindes und soziale Unterstützung. Eine hohe Schulqualität wirkt sich günstig auf die Bereiche Verhaltensprobleme, Schulversagen, Schwangerschaft, Drogenkonsum und AIDS aus. Hölling und Schlack identifizieren psychosoziale Risiko- und Schutzfaktoren aufgrund des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGSS).62 Die bedeutendsten Risikofaktoren sind ein niedriger sozioökonomischer Status, Alleinerziehung und Arbeitslosigkeit der Mutter. Entgegen anderer Studienergebnisse werden die personalen Ressourcen als die bedeutsamsten Schutzfaktoren eingestuft, vor familiären und sozialen Ressourcen. Lampert und Kurth untersuchen aufgrund des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGSS) den Einfluss des Sozialstatus auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.63 Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen einem niedrigen Sozialstatus und psychischer Auffälligkeit sowie Verhaltensauffälligkeit, ein weiterer Zusammenhang zeigt sich auch bei Übergewicht und einem weniger guten Gesundheitszustand in Verbindung mit einem niedrigen Sozialstatus. Myklestad und Kollegen stellen Risiko- und Schutzfaktoren aufgrund der Nord-Trøndelag Health Study (HUNT) aus Norwegen fest.64 Die Faktoren schlechte akademischen Leistungen sowie Opfer von Mobbing sein erweisen sich als die stärksten Prädiktoren für psychische Probleme bei Jugendlichen. Familiären Faktoren wird ein indirekter Effekt durch die psychosozialen Faktoren von Jugendlichen zugeschrieben. Bayer und Kollegen untersuchen Risikofaktoren für psychosoziale Symptome in der Kindheit im Rahmen einer nationalen Längsschnittstudie mit australischen Kindern.65 Sie finden einige wenige Risikofaktoren, die psychosoziale Probleme von Kindern beständig vorhersagen. 60 Wille, Bettge & Ravens-Sieberer, 2008. Durlak, 1998. 62 Hölling & Schlack, 2008. 63 Lampert & Kurth, 2007. 64 Myklestad, Røysamb & Tambs, 2011. 65 Bayer, Ukoumunne, Lucas, Wake, Scalzo & Nicholson, 2011. 61 39 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Diese stammen aus dem familiären Kontext und bestehen von früher Kindheit an: Strenge Disziplin ist ein starker Prädiktor für externalisierende Probleme; Risikofaktoren für internalisierende Probleme sind schlechte physische Gesundheit, mütterliche emotionale Probleme, strenge Disziplin und ein überbehütender Erziehungsstil (letzteres gilt nur für jüngere Kinder). Sanson und Kollegen untersuchen den Einfluss gewichteter Risikofaktoren und Schutzfaktoren auf die sozio-emotionale Anpassung, die physische Gesundheit und die Lernkompetenz aufgrund der Längsschnittstudie mit australischen Kindern «Growing up in Australia».66 Auf die Lernkompetenz von Kindern hat die Familienstruktur und -demografie den stärksten Einfluss.67 Der wichtigste Schutzfaktor für die Lernkompetenz besteht darin, einen Elternteil mit einem hohen Schulabschluss und einem angesehenen Beruf zu haben. Die Geschwisteranzahl stellt einen Risikofaktor dar. Die sozio-emotionale Anpassung und die physische Gesundheit werden am stärksten durch das Familienklima und die mütterliche psychische Gesundheit vorhergesagt.68 Entscheidende Risikofaktoren für die sozio-emotionale Anpassung sind unter anderem feindseliges und streitsüchtiges elterliches Verhalten gegenüber dem Kind, induktives Argumentieren und psychische Probleme der Mutter. Ein Schutzfaktor ist ein beständiges elterliches Verhalten. Risikofaktoren für die physische Gesundheit sind vor allem eine durch Streit geprägte Eltern-Kind-Beziehung, viele häusliche Aktivitäten und psychische Probleme der Mutter. Es werden bei Sanson und Kollegen ausserdem mehrere andere Studien mit folgendem Ergebnis verglichen: «There is considerable similarity across studies in the risk factors identified, which include aspects of child functioning, parental and family characteristics and processes, peer relationships, and academic performance.» Hier kann bestätigt werden, dass vor allem familiäre Aspekte wie Konflikte in der Familie, psychische Probleme beziehungsweise Krankheit der Eltern und strenge Disziplin in den meisten der angesprochenen Studien einen Risikofaktor darstellen. Im Gegenzug sind ein gutes Eltern-Kind-Verhältnis und ein beständiger Erziehungsstil als Beispiele für protektive familiäre Faktoren anzusehen. Die Wichtigkeit personaler Ressourcen kam bei Schlack und Hölling sowie Durlak zum Ausdruck, akademische Leistungen und Peer-Beziehungen wurden bei Myklestad thematisiert. Ein weiterer, in vielen Studien identifizierter Risikofaktor ist ein niedriger sozioökonomischer Status. Dieses erklärt die deutsche Bundespsychotherapeutenkammer folgendermassen: «Häufig kumulieren bei Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien verschiedene Risiken wie negative mediale Vorbilder und interpersonelle Identifikationsmuster, belastende Milieus, Fehlen an Sorge und Zuwendung, kritische Lebensereignisse wie der Verlust einer Bezugsperson (Trennung, Scheidung, Tod), oder mangelnde soziale Integration.»69 Ferner weist Steinhausen darauf hin, dass Kinder und Jugendliche aus den untersten Sozialschichten in beratenden und therapierenden Institutionen deutlich unterrepräsentiert sind.70 Wenn Probleme bestehen, werden diese seltener und weniger schnell behandelt als bei Kindern und Jugendlichen aus einer höheren Sozialschicht. 66 Sanson, Smart & Misson, 2010. Aufklärung von 8.8% der Varianz (R²=8.8%). 68 Aufklärung von 16.6% der Varianz der sozio-emotionalen Anpassung und 3.8% der Varianz der physischen Gesundheit (R²=16.6% bzw. 3.8%) 69 Bundespsychotherapeutenkammer, 2007. 70 Steinhausen, 2000. 67 40 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 4.6.3 Interventionsprogramme Zusammenfassung Problemübergreifende und problemspezifische Interventionsprogramme können wie die Prävention in universelle, selektive und indizierte Programme unterteilt werden. Programme, die vor dem Auftauchen von Risikofaktoren und möglichst früh in der Kindheit ansetzen, sind am wirkungsvollsten. Durlak und Wells beurteilten in einer Metaanalyse 177 primärpräventive Interventionsprogramme. Das Ergebnis lautete, dass die meisten Programme eine höhere oder die gleiche Wirkung wie anerkannte Interventionen der Sozialwissenschaften und der Medizin erzielen. Die meisten Programme haben den doppelten Vorteil, signifikant Probleme zu reduzieren und Kompetenzen zu stärken. In einer Metaanalyse von 130 sekundärpräventiven Interventionsprogrammen kamen Durlak und Wells zu dem Ergebnis, dass Probleme durch solche Programme signifikant reduziert und Kompetenzen verbessert werden können. Vor allem Programme für beginnende externalisierende Störungen haben einen hohen Effekt. Problemübergreifende Interventionsprogramme, die aufgrund von Evaluationen als evidenzbasiert gelten und in der Schweiz angeboten werden, sind «Mind Matters» und «PFADE», zwei universelle Programme zur Förderung der psychosozialen Gesundheit. «Mind Matters» wird in der Schweiz von Radix angeboten. «PFADE» wird vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Zürich angeboten und wurde 2011 in 40% der Klassen der Stadt Zürich durchgeführt. Ein selektives Interventionsprogramm, das von der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich durchgeführt wird, ist «LIMIT». Es handelt sich dabei um einen Kurs in Lebenskompetenz für Schüler/innen der Sekundarstufe, die oppositionelles Verhalten zeigen. Eine Gefährdung von Schülern/-innen für psychosoziale Probleme kann durch Screening-Programme erkannt werden. Die WHO formulierte 1968 Anforderungen, die ein Screening als Früherkennungsmassnahme erfüllen muss. Dazu gehören zum Beispiel hohe Morbidität und Mortalität durch die Krankheit, vorhandene wirksame Therapien sowie einfache, ungefährliche Untersuchungsmethoden und ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis. Weitere, später formulierte Screening-Anforderungen sind Festlegung der Zielgruppe, Verfügbarkeit sowie Evaluation des Screenings. Ein vielversprechendes Screening-Instrument für die Früherkennung einer Gefährdung von Schüler/innen für psychosoziale Probleme ist beispielsweise der «Strengths and Difficulties Questionnaire» (SDQ). Problemübergreifende Interventionsprogramme dienen der allgemeinen Förderung der psychosozialen Gesundheit, ohne auf eine spezifische Problemlage einzugehen. Es werden vielmehr «Life Skills» wie zum Beispiel der Umgang mit Belastungen thematisiert. Problemspezifische Interventionsprogramme haben zum Ziel, ein bestimmtes Problemverhalten zu reduzieren oder zu vermeiden, wie dies zum Beispiel bei der Suchtprävention der Fall ist. Zudem können Interventionsprogramme analog zur Prävention je nach Zielgruppe als universell, selektiv oder indiziert klassifiziert werden (vgl. Kapitel 3.1.1). Universelle Programme richten sich an alle Schüler/innen, selektive an bestimmte gefährdete Gruppen und indizierte Programme richten sich an einzelne Schüler/innen mit spezifischen Symptomen einer psychosozialen Störung. Bei indizierten und selektiven Programmen ist immer die Gefahr einer Stigmatisierung der betroffenen Schüler/innen mitzubedenken und wenn möglich sind Massnahmen dagegen mit ins Programm zu integrieren (vgl. Kapitel 4.6.5.4 «Vorbeugung von Stigmatisierungsprozessen»). Grundsätzlich gilt, dass eine Präventionsmassnahme, die bereits ansetzt, 41 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich wenn oder sogar bevor erste Risikofaktoren auftauchen, teurere spätere Präventionsmassnahmen wie zum Beispiel eine Psychotherapie verhindern kann.71 Je früher in der Kindheit präventive Massnahmen angeboten werden, desto besser können diese ihren protektiven Effekt entfalten. Zu Beginn der beiden Kapitel «Problemübergreifende Interventionsprogramme» und «Problemspezifische Interventionsprogramme» werden alle Programme in einer Übersichtstabelle dargestellt. In den jeweiligen darauf folgenden Unterkapiteln wird kurz auf die Inhalte der einzelnen Programme sowie auf Metaanalysen eingegangen. 4.6.3.1 Problemübergreifende Interventionsprogramme In Tabelle 14 ist eine Übersicht von problemübergreifenden Interventionsprogrammen dargestellt. Universelle problemübergreifende Programme «Kidsmatter» ist ein Rahmenkonzept zur Steigerung der psychosozialen Gesundheit in der Schule. Die psychosoziale Gesundheit soll auf den vier Ebenen ganze Schulgemeinschaft, Eltern und Betreuer, Schüler/innen mit psychosozialen Warnsignalen sowie Schüler/innen mit psychosozialen Problemen gefördert werden. Die Flinders Universität evaluierte die Pilotphase 2006-2008 mithilfe von Fragebögen und qualitativen Interviews. Lehrpersonen und Eltern schätzten ihre Fähigkeit, Schüler/innen unterstützen zu können, um 10-15% höher ein als zuvor. Sie schätzten ausserdem die Zahl der auffälligen Schüler/innen um 5% niedriger und die Zahl der unauffälligen Schüler/innen um 5% höher ein als vor der Intervention.72 «Mind Matters» ist ein Programm zur Förderung der psychosozialen Gesundheit an Schulen. Es dient der Verbesserung von «Life Skills» und wird von Lehrpersonen mithilfe von 8 Themenheften (z.B. mit den Themen Stressbewältigung, zwischenmenschliche Kontakte) durchgeführt. Es existieren zahlreiche Evaluationen von «Mind Matters». Das Programm gilt als evidenzbasiert.73 Das Programm «ESSKI - Eltern und Schule stärken Kinder» baut auf den drei Ebenen Schüler/innen, Eltern und Lehrpersonen auf. Die Hauptziele bestehen in der Förderung der personalen und sozialen Kompetenzen von Schülern/-innen, der Stärkung der erzieherischen Kompetenz der Eltern und der Stärkung der Ressourcen und Handlungskompetenzen der Lehrpersonen. Eine Evaluation mit experimentellem Forschungsdesign und drei Messzeitpunkten ergab eine Zunahme der Stärken und eine Abnahme der Schwächen der Schüler/innen in der Beurteilung der Eltern und Lehrpersonen, eine signifikanten Abnahme des Rauchens und eine Verbesserung der psychischen Widerstandsfähigkeit der Lehrpersonen gegenüber der Kontrollgruppe.74 71 Power & Heathfield, 1999. Slee, Lawson, Russell, Askell-Williams, Dix, Owens, Skrzypiec & Spears, 2009. 73 Vgl. z.B. BARMER Ersatzkasse, Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover, Gemeindeunfallversicherungsverband Westfalen-Lippe, Rheinischer Gemeindeunfallversicherungsverband & Schweizerisches Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen, 2005. 74 Schönenberger, Schmid, Fäh, Bodenmann, Lattmann, Cina, Kern & Anliker, 2006. 72 42 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 14: Problemübergreifende Interventionsprogramme Name Altersgruppe Intervention bei Anbieter in CH Evidenzgrad a) KidsMatter - Primary - Early Childhood 5-12 Jahre Kinder im Vorschulalter Alle Schüler/innen der Altersgruppe sowie Risikogruppen, Eltern, Betreuer Nur in Australien 3 Mind Matters 5.-10. Klasse, neu auch Primarstufe Alle Schüler/innen der Altersgruppe Radix 1 ESSKI - Eltern und Schule stärken Kinder 1.-6. Primarklasse Alle Schüler/innen der Altersgruppe, Eltern, Lehrpersonen Fachhochschule Nordwestschweiz 2 ORP - Oregon Resiliency Project Strong Start: 3-8 Jahre Strong Kids: 8-14 Jahre Strong Teens: 14-18 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe, Risikogruppen von Schüler/innen Nur in USA 2 SMHP - University of Maryland School Mental Health Program Alle Altersgruppen Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in USA 4 SS/HS - Safe schools/healthy students Alle Altersgruppen Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in USA 3 Buddy-Projekt Schüler/innen ab Primarstufe Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in Deutschland 3 Paths to Pax 3-11 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in USA 4 SFP - Strengthening Families Program 3 bis 16 Jahre Familien und solche mit hohem Risiko Nur in USA 1 Positive Action 5-18 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in USA 1 Sozialtraining in der Schule 8-12 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe Ja (ProMenPolDatabase) 2 Lions-Quest Erwachsen werden 10-14 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe In Deutschland, Europa, Kanada, Australien, USA 1 Building Hope for the Future 6.-8- Klasse, 10-12 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in USA 2 PFADE 1. - 6. Klasse, Kindergarten und Hort Alle Schüler/innen der Altersgruppe Fachstelle für Gewaltprävention (SSD), IfE Universität Zürich 1 LIMIT Sekundarstufe Selektiv: Schüler/innen Suchtpräven3 mit Problemverhalten, tionsstelle Stadt Substanzkonsum Zürich a) 1=hoch (Quellen: well established/probably efficacious, Blueprint, Cochrane), 2=mittel (eigene Studien mit gutem Design (Kontrollgruppe)), 3=tief (schwache Designs), 4=keine Informationen vorhanden 43 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Das «ORP - Oregon Resiliency Project» dient der Forschung, dem Training und dem sozialen Engagement in den Bereichen soziales und emotionales Lernen, Förderung der psychosozialen Gesundheit und Interventionen im Schulkontext. Die dafür eingesetzten Programme Strong Start, Strong Kids und Strong Teens wurden in über einem Dutzend Studien mit experimentellem Forschungsdesign mit positiven Ergebnissen evaluiert. Die Ergebnisse lauten Steigerung des Wissens der Schüler/innen über positives sozio-emotionales Verhalten,75 Verringerung der Symptome für internalisierende Probleme76 sowie gesteigertes Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule.77 Das «SMHP - University of Maryland School Mental Health Program» dient der Förderung der psychosozialen Gesundheit und der Durchführung von Interventionen in der Schule. Die wichtigsten Angebote sind psychologische Betreuung (individuell, Gruppen oder Familien), psychologische und psychiatrische Beratung, Durchführung von Präventionsprogrammen, Unterstützung und Beratung von Lehrpersonen und das Weiterleiten an Fachstellen. Die Mitarbeitenden sind Psychologen/-innen, Sozialarbeiter/innen und Psychiater/innen. Das Präventionsprogramm «SS/HS - Safe schools/healthy students» hat zum Ziel, Schüler/innen, Schulen und Gemeinden in den Bereichen Erziehung und psychosoziale Gesundheit mit Massnahmen zu unterstützen, die die gesunde Entwicklung von Kindern fördern und Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch verhindern. Ein Schulbezirk kann die Art der Intervention selbst wählen, diese sollte allerdings evidenzbasiert sein. In der «SS/SH National Evaluation» wurde ein Vorher-Nachher-Vergleich durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten einen signifikant höheren Zugang zu den die psychosoziale Gesundheit unterstützenden Fachdiensten sowie signifikant weniger Gewalterfahrungen unter den Schülern/-innen.78 Das «Buddy-Projekt» ist ein soziales Lernprogramm an Schulen, das auf den vier Säulen Peergroup-Education, Lebensweltorientierung, Partizipationsmöglichkeiten für Schüler/innen und Förderung der Selbstwirksamkeit beruht. Schüler/innen haben die Möglichkeit, in Praxisprojekten aktiv zu werden und als Buddys Verantwortung für sich und andere Schüler/innen zu übernehmen. Das Programm wurde in zwei Studien der FU Berlin mit qualitativen Interviews und standardisierten Fragebögen evaluiert. Ergebnisse waren eine Erhöhung des Selbstwertgefühls, der Selbstwirksamkeit und der sozialen Verantwortungsübernahme bei Schülern/-innen.79 «Paths to Pax» vereint die Projekte «PATHS» (dt. PFADE, s. u.) und «Good Behaviour Game». Das «Good Behaviour Game» stellt eine Management-Strategie für Lehrpersonen zum Abbau von aggressivem und störendem Verhalten von Schülern/-innen im Unterricht dar. Ziel des übergreifenden Projekts «Paths to Pax» ist es, Problemverhalten bei Schülern/-innen zu reduzieren und soziale Kompetenzen aufzubauen, Drogenkonsum zu verhindern sowie den akademischen Erfolg zu vergrössern. Eine Evaluation ist bis jetzt noch nicht vorhanden. Das «SFP - Strengthening Families Program» ist ein Trainingsprogramm zur Stärkung von Familien; vor allem für solche mit einem hohen Risikopotential für psychosoziale Belastungen. 75 Isava, 2006. Caldarella, Christensen, Kramer & Kronmiller, 2009. 77 Castro Olivo, 2006. 78 Derzon, Yu, Ellis, Xiong, Arroyo, Hill & Rollison, 2012. 79 Buhl & Kuper, 2010. 76 44 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Problemverhalten und Drogenmissbrauch von Kindern und Jugendlichen sollen reduziert sowie soziale und akademische Fähigkeiten gestärkt werden. Auf Elternebene wird eine Stärkung der Eltern-Kind-Bindung und das Erlernen von effektiven Erziehungsmethoden angestrebt. Das Programm hat zahlreiche Auszeichnungen wie zum Beispiel Helping America’s Youth Level 1, OJJDP Exemplary Program und SAMHSA Model Program sowie hohe ReviewWerte zum Beispiel der WHO und des United Nations Office on Drugs and Crime erhalten.80 «Positive Action» ist ein Programm zur Verbesserung der akademischen Leistungen und der sozio-emotionalen Kompetenzen. Das leitende Prinzip ist der «Thoughts-Actions-Feelings Circle», der davon ausgeht, dass positive Gedanken zu positiven Handlungen und diese wiederum zu positiven Gefühlen führen. «Positive Action» hat Auszeichnungen wie Helping America’s Youth Registry Level 2, OJJDP Effective Program und SAMHSA Model Program erhalten.81 Eine Längsschnittstudie über 3 Jahre stellt einen Rückgang von Substanzkonsum (31%), Gewalt (36%) und Mobbing (41%) im Vergleich zur Kontrollgruppe fest.82 «Sozialtraining in der Schule» ist ein Trainingsprogramm zur Prävention von Verhaltensauffälligkeiten, Gewalt, Drogenkonsum, Angst und Apathie. Inhalte sind beispielsweise Selbstwahrnehmung, Kooperation und Problemlösung. Das Konzept der Selbstwirksamkeit nach Bandura spielt eine wichtige Rolle. Zwei Evaluationen aus Deutschland (Prä-Post Design) beziehungsweise Österreich (Design mit Kontrollgruppe) kommen zu positiven Ergebnissen: Bei beiden Studien wird eine signifikante Abnahme von Aggression und Angst in der Interventionsgruppe festgestellt.83 «Lions-Quest Erwachsen werden» ist ein Präventionsprogramm zur Förderung sozialer Kompetenzen wie Selbstvertrauen, Aufbau und Pflege von Beziehungen und Problemlösefähigkeiten. Eine Längsschnittstudie mit drei Messzeitpunkten kam zu dem Ergebnis, dass eine Verbesserung des Klassenklimas und der Lehrperson-Schüler/in-Beziehung bewirkt wurde (Lehpersonurteil).84 Eine andere Längsschnittstudie mit Kontrollgruppe und drei Messzeitpunkten stellte bei Schülern/-innen weniger soziale Probleme, depressive Symptome und Aggression im Vergleich zur Kontrollgruppe fest.85 Die englische Version «Lion's Quest Skills for Adolescence» erhielt Auszeichnungen wie SAMHSA Model Program, USDE’s Safe, Disciplined, and Drug Free Schools Promising Program und OJJDP Effective Program.86 Bei «Building Hope for the Future» handelt es sich um ein 5wöchiges Interventionsprogramm zur Stärkung von Hoffnung, Lebenszufriedenheit, Selbstwertgefühl und akademischen Leistungen bei Schülern/-innen. Eine Evaluationsstudie stellte eine Erhöhung von Hoffnung, Lebenszufriedenheit und Selbstwertgefühl im Vergleich zur Kontrollgruppe fest.87 Die Abkürzung «PFADE» bedeutet «Programm zur Förderung Alternativer Denkstrategien». Das schulische Präventionsprogramm dient der Förderung sozialer Kompetenzen und trägt dazu bei, externalisierendes und internalisierendes Problemverhalten zu verhindern und die Lernbereitschaft sowie die akademischen Leistungen zu erhöhen. Auf Ebene der Schule soll 80 Center for School Mental Health, University of Maryland School of Medicine, 2008. Center for School Mental Health, University of Maryland School of Medicine, 2008. 82 Li, Washburn, DuBois, Vuchinich, Ji, Brechling, Day, Beets, Acock, Berbaum, Snyder & Flay, 2011. 83 Jugert, 2008. 84 Kähnert, 2002. 85 Roth & Petermann, 2002. 86 Center for School Mental Health, University of Maryland School of Medicine, 2008. 87 Marques, Lopez & Pais-Ribeiro, 2009. 81 45 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich eine Verbesserung des Schulklimas und eine Entlastung der Lehrpersonen bewirkt werden. «PFADE»88 (engl. PATH89) wurde in den Stadtzürcher Schulen erfolgreich eingeführt. Es ist das einzige Programm mit universell-präventivem Charakter, welches in einer grossen Zahl von Schulklassen standardisiert angeboten wird. 2011 führten ausgebildete Lehrpersonen in 510 Primarklassen in 56 Schuleinheiten beziehungsweise in circa 40% der Stadtzürcher Primarklassen dieses Programm durch. Zudem wird es in 20 Kindergärten beziehungsweise 7% aller Kindergärten der Stadt Zürich angewendet. Es bestehen altersangepasste Curricula für Kindergarten, Unter- und Mittelstufe, die den Schülern/-innen in über 40 Lektionen, die auch länger als 45 Minuten dauern können, vermittelt werden. Das Programm umfasst die Schwerpunktthemen Regeln des sozialen Zusammenlebens, emotionale Kompetenzen, Problemlösefähigkeiten, Selbstkontrolle, Selbstwertgefühl, Umgang mit Freundschaften, Arbeitsklima in den Schulklassen und Schulhauskultur. «PFADE» wurde in zahlreichen Studien evaluiert und vom «Center for the Study and Prevention of Violence» der University of Colorado, in welchem ein Gremium von hochqualifizierten Experten der Evaluationsforschung wirksame Gewaltpräventionsprogramme identifiziert, als evidenzbasiert befunden. Das Programm wurde auch in der Stadt Zürich von Eisner und Kollegen evaluiert. 113 erste Klassen der Stadt Zürich wurden in einem Längsschnittdesign mit Kontrollgruppe untersucht. Es wurden Interviews mit den teilnehmenden Schülern/-innen und den Erziehungsberechtigten sowie schriftliche Kurzeinschätzungen durch die Lehrpersonen vorgenommen. Ergebnisse waren unter anderem ein Rückgang aggressiver Schemata des Problemlösens, positive Veränderungen bezüglich des Erkennens von Gefühlen und des Umgangs mit Konflikten und ein Rückgang von Verhaltensproblemen im Schulhaus in der Interventionsgruppe. Keine signifikanten Effekte konnten hingegen für die Zunahme sozial kompetenten Problemlösens, Klassenregeln befolgen, Anderen helfen und Selbstkontrolle festgestellt werden. Eisner und Kollegen empfehlen, in der Ausbildung und im Coaching jene Unterrichtseinheiten stärker zu gewichten, die das Einhalten von Regeln und das Üben von Selbstkontrolle beinhalten.90 In einer weiteren Studie von Malti und Kollegen mit 28 Zürcher Primarschulen wurden in einer Befragung zwei Jahre nach der Durchführung des Programms signifikante Effekte in Bezug auf aggressives Verhalten sowie Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung festgestellt.91 Durlak und Wells haben in einer Metaanalyse 177 primärpräventive Interventionsprogramme für soziale- und Verhaltensprobleme beurteilt.92 Die meisten Programme erzielen eine höhere oder die gleiche Wirkung wie anerkannte Interventionen der Sozialwissenschaften und der Medizin. Die Ergebnisse zeigen einen Erfolgsunterschied der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe von 8% bis 46%. Die meisten Programme haben den doppelten Vorteil, signifikant Probleme zu reduzieren und Kompetenzen zu stärken. 88 Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich, 2012. Greenberg & Kusche, 1994. 90 Eisner, 2007. 91 Malti, Ribeaud & Eisner, 2012. 92 Durlak & Wells, 1997. 89 46 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Selektive problemübergreifende Programme «LIMIT» ist ein Kurs in Lebenskompetenz für Schüler/innen der Sekundarstufe, die durch ihr Verhalten an der Schule wiederkehrend negativ auffallen, Problemverhalten oder Substanzkonsum entwickeln, und bei denen schulische Massnahmen keine Wirkung zeigen. Im Rahmen einer Gruppe werden die Schüler/innen angeleitet, ihr Verhalten in Rollenspielen, Verhaltenstrainings und Gesprächen zu reflektieren und alternative Verhaltensweisen zu erproben. Lösungsansätze, um mit problematischen Situationen in der Schule besser umgehen zu können, sollen entwickelt werden. In sechs Kursblöcken werden zum Beispiel die Themen «Regeln und Grenzen», «Selbst- und Fremdwahrnehmung» sowie «Verhalten in der Schule» thematisiert. Lehrpersonen und Eltern werden durch Gespräche in den Prozess einbezogen. «LIMIT» wurde in der Pilotphase von 2007 bis 2009 viermal durchgeführt und durch Auswertungsgespräche mit den Teilnehmenden, der Kursleitung, den Schulsozialarbeitenden sowie den Lehrpersonen evaluiert. Die teilnehmenden Schüler/innen gaben an, in herausfordernden Situationen über alternative Verhaltensstrategien zu verfügen, sich besser konzentrieren zu können, weniger aggressiv gegenüber anderen zu sein und mehr Zeit für die Schule investiert zu haben. Die Lehrpersonen fühlten sich in ihren erzieherischen Bemühungen unterstützt und sahen teilweise positive Lerneffekte. Aufgrund dieser positiven Resultate wurde «LIMIT» 2010 stadtweit in der Stadt Zürich eingeführt.93 Des Weiteren werden verschiedene universelle Programme auch für selektive und indizierte Prävention eingesetzt, deren Beschreibungen sind bei den universellen problemübergreifenden Programmen aufgeführt. «SS/HS - Safe schools/healthy students» «SMHP - University of Maryland School Mental Health Program» «ORP - Oregon Resiliency Project» «SFP - Strengthening Families Program» Indizierte problemübergreifende Programme «SS/HS - Safe schools/healthy students» «SMHP - University of Maryland School Mental Health Program» 4.6.3.2 Problemspezifische Interventionsprogramme In Tabelle 15 ist eine Übersicht von problemspezifischen Programmen dargestellt. Universelle problemspezifische Programme Bei «Konfliktlotsen» handelt es sich um ein Streitschlichtungs-Projekt, bei dem Schüler/innen von Lehrpersonen und Mitschülern/-innen als Konfliktlotsen gewählt und anschliessend ausgebildet werden. Sie dienen als Mediatoren in Konfliktsituationen. Die Fachstelle für Gewaltprävention bietet das Projekt in der Stadt Zürich an. Eine Evaluation ist bis jetzt nicht vorhanden. 93 Medienmitteilung des Schul- und Sportdepartments der Stadt Zürich, 21.6.2010. 47 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Tabelle 15: Problemspezifische Interventionsprogramme Name Altersgruppe Intervention bei Anbieter in CH Evidenzgrad a) Konfliktlotsen 5.-9. Klasse Alle Schüler/innen der Altersgruppe Fachstelle für Gewaltprävention (SSD) 4 The Incredible Years: Teacher and Child Programs 0-12 Jahre Verhaltensauffällige Kinder, alle Kinder der Altersgruppe, deren Eltern und Lehrpersonen In USA, Australien, GB, Irland, Norwegen, Dänemark, Schweden 1 SenseAbility 12-18 Jahre Alle Schüler/innen der Altersgruppe Nur in Australien 4 ACHIEVE 3-18 Jahre Alle Kinder und Schüler/innen der Altersgruppe, Risikogruppen innerhalb der Altersgruppe Nur in USA 1 ART - Aggression Replacement Training 12-17 Jahre Aggressive Schüler/innen In USA, Schweden 2 Primary Project 0-5 Jahre und 6-12 Jahre Risikogruppe: Kinder mit Anpassungsschwierigkeiten in der Schule Nur in USA 1 Adolescent Coping With Depression course Jugendliche Risikogruppe: depressive Jugendliche Nur in USA 2 Coping Cat / C.A.T. Project 8-17 Jahre Risikogruppe: ängstliche Kinder In USA, Asien, Europa 2 Rochester Resilience Project Kindergarten - 3.Primarklasse Risikogruppe: Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und sozialen Problemen mit Peers Nur in USA 3 SMAAP - Stress Management and Alcohol Awareness Program 4.-6. Klasse Risikogruppe: Kinder mit alkoholkranken Eltern Nur in USA 2 LEADS: For Youth Sekundarstufe Alle Jugendlichen dieser Stufe Nur in USA 1 SOS Signs of Suicide Sekundarstufe Alle Jugendlichen dieser Stufe Nur in USA 1 Baghira-Training 8-13 Jahre Oppositionelle, aggressive Kinder In Schweiz (u.a. SPD Stadt Zürich), Deutschland 2 a) 1=hoch (Quellen: well established/probably efficacious, Blueprint, Cochrane), 2=mittel (eigene Studien mit gutem Design (Kontrollgruppe)), 3=tief (schwache Designs), 4=keine Informationen vorhanden 48 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Das Programm «The Incredible Years: Teacher and Child Programs» umfasst Gruppentrainings für Lehrpersonen und Eltern sowie Trainings zur Stärkung sozialer, emotionaler und akademischer Kompetenzen für Kinder. Das Programm wird von der «American Psychological Division 12 Task Force» als etabliertes Programm für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten empfohlen und erhielt Auszeichnungen wie zum Beispiel PPN Proven Program, Blueprints Model Program, SAMHSA Model Program und Strengthening America’s Families Exemplary I Program.94 «SenseAbility» ist ein Programm zur Förderung von Resilienz und psychosozialer Gesundheit in der Schule. Im Rahmen des «Life Skills»-Ansatzes soll optimistisches und hilfreiches Denken in den 7 Modulen Fähigkeiten, Selbstwert, Kontrolle, Zugehörigkeit, Zielsetzung, Zukunft sowie Humor gestärkt werden. Es ist noch keine Evaluation von «SenseAbility» vorhaden. Das Programm «ACHIEVE» dient der Verbesserung der Schule und deren Effektivität. Soziale, emotionale und akademische Kompetenzen von Schülern/-innen sollen gefördert werden. Für Schüler/innen mit akademischen und/oder Verhaltensproblemen werden Interventionen angeboten. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Schulpersonal, das beim Classroom Management unterstützt werden soll. Das Programm ist in der «National Registry of Evidencebased Programs and Practices» der «Substance Abuse and Mental Health Services Administration (SAMHSA)» enthalten.95 Durlak und Wells haben eine Metaanalyse mit 130 sekundärpräventiven Interventionsprogrammen durchgeführt.96 Diese Programme dienen der Früherkennung von Auffälligkeiten und der Frühintervention. Die Resultate weisen darauf hin, dass diese Art von Programm Probleme signifikant reduzieren und Kompetenzen verbessern kann. Verhaltens- und kognitive Programme für Kinder mit subklinischen Störungen sind so effektiv wie Psychotherapie und effektiver als andere Versuche, Rauchen, Alkoholkonsum und Delinquenz zu verhindern. Vor allem Programme für beginnende externalisierende Störungen haben eine hohe Effektstärke (0.72). Die Teilnehmenden eines Interventionsprogramms übertreffen im Durchschnitt die Leistung von ungefähr 70% der Teilnehmenden der Kontrollgruppe. Calear und Christensen führten eine Metaanalyse mit 28 schulischen Präventions- und Interventionsprogrammen gegen Depressionen durch.97 Indizierte Programme, die auf Schüler/innen mit erhöhten Depressionswerten abzielen, werden als am effektivsten eingestuft (Effektstärke 0.21-1.40). Weniger signifikante Effekte haben Programme, die von Lehrpersonen geleitet werden. Park-Higgerson und Kollegen evaluierten 26 schulische Gewaltpräventionsprogramme.98 Die Programme wurden hinsichtlich der folgenden fünf Merkmale verglichen: Anwendung von Theorie, universell oder selektiv, Ansatz: einzelnes Programm oder multiple Programme, Zielgruppe und Typ der Lehrperson (z.B. Spezialist). Entgegen den Erwartungen wurde kein signifikanter Unterschied zwischen den verschiedenen Programmtypen gefunden, einzig der 94 Center for School Mental Health, University of Maryland School of Medicine, 2008. Vgl. http://nrepp.samhsa.gov/ViewIntervention.aspx?id=70 96 Durlak & Wells, 1998. 97 Calear & Christensen, 2010. 98 Park-Higgerson et al, 2008. 95 49 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Ansatz eines einzelnen Programmes hatte einen leicht positiven Effekt im Gegensatz zu einem multiplen Ansatz. In der «National Registry of Evidence-Based Programs and Practices» der amerikanischen «Substance Abuse & Mental Health Services Administration» sind 20 Interventionsprogramme in Zusammenhang mit Suizidalität aufgeführt. Diese Programme sind aufgrund gründlicher Evaluationen als evidenzbasiert anzusehen99 und die zwei schulbezogenen Programme LEADS und SOS werden im Folgenden kurz aufgeführt. «LEADS: For Youth» (Linking Education and Awareness of Depression and Suicide) ist ein Lehrplan für die Sekundarstufe, der über Depression und Suizidalität und deren Prävention informiert und das Hilfesuchen bei Beratungsstellen fördern soll. Themen sind zum Beispiel Risiko- und Schutzfaktoren für Suizidalität, Symptome von Depressionen und die Verbindung von Depressionen und Suizidalität. Das Programm zielt darauf ab, Jugendliche zu befähigen, für sich selbst und andere Hilfe bei Depression und Suizidalität zu suchen. «SOS Signs of Suicide» ist ein zweitägiges schulisches Unterrichts- und Screeningprogramm für die Sekundarstufe, das positive Resultate wie zum Beispiel eine geringere Suizidversuchsrate gezeigt hat. Schüler/innen durchlaufen ein Screening bezüglich des Risikos von Depression und Suizidalität und werden bei Bedarf an Fachstellen überwiesen. Ausserdem werden die Teilnehmenden über die Symptome von Depression und Suizidalität und Möglichkeiten der Hilfe informiert und es finden Diskussionen statt. Selektive problemspezifische Programme Im Folgenden werden selektive, problemspezifische Programme dargestellt. «ART - Aggression Replacement Training» ist ein Programm für aggressive Schüler/innen, in dem diese lernen, Aggression zu verstehen und durch positive Alternativen zu ersetzen. Das Training besteht aus den 3 Komponenten prosoziale Fähigkeiten, Bewältigungsmöglichkeiten für Zorn und einen anderen Standpunkt einnehmen können. Es existieren verschiedenen Evaluationsstudien. Das Wilder Research Center führte 2004 eine Studie mit Jugendlichen durch, von denen 77% im Jahr vor der Teilnahme am Programm eine Straftat begangen hatten. Im Follow-Up ein Jahr nach dem Programm begingen nur 31% der Jugendlichen eine Straftat. 100 In einer anderen Studie mit Jugendlichen, die vor das Jugendgericht mussten, verringerte sich die 18monatige Verbrechens-Rückfallquote durch ART um 16% im Vergleich zur Kontrollgruppe.101 «Primary Project» ist ein Frühinterventions- und Präventionsprogramm für Kinder mit sozialen, emotionalen und schulischen Anpassungsschwierigkeiten in der Vor- oder Primarschule. Kinder erhalten «Child Associates», für diese Aufgabe geschulte Erwachsene, zugeteilt, mit denen sie über ihre Probleme reden und ein schulbasiertes Vertrauensverhältnis aufbauen können. Das U.S. Department of Health and Human Services beschreibt das Projekt als eines der 5 exemplarischen evidenzbasierten Präventionsprogramme der Nation zur Verbesserung der psychosozialen Gesundheit von Kindern.102 Es wurde mit den Titeln «SAMHSA Model 99 Vgl. http://www.sprc.org/bpr/section-i-evidence-based-programs Hosley, 2005. 101 Barnoski, 2004. 102 U.S. Department of Health and Human Services, 1999. 100 50 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Program» und «USDE’s Safe, Disciplined, and Drug Free Schools Promising Program» ausgezeichnet.103 «Adolescent Coping With Depression course» ist eine kognitiv-behaviorale Gruppenintervention für depressive Jugendliche. Es wird auf Probleme wie Ängstlichkeit, negative Gedanken und schlechte soziale Fähigkeiten eingegangen. Durch Hausaufgaben soll das Gelernte auf den Alltag übertragen werden. Studien fanden heraus, dass Jugendliche eine 19%104 beziehungsweise 20%105 höhere Genesungsrate hatten als die Kontrollgruppe. Aus diesem Programm ging das Programm «Adolescent Coping with Stress Course (CWS)» hervor, das auf Jugendliche mit dem Risiko für eine Depression abzielt und ähnliche Techniken nutzt. Dieses Programm reduziert das Risiko, an einer Depression zu erkranken, genauso stark wie anerkannte Behandlungsmethoden für Depressionen. Es kann ausserdem als kosteneffizient bezeichnet werden.106 «Coping Cat» ist ein kognitiv-behaviorales Interventionsprogramm für ängstliche Kinder. Für Jugendliche existiert das gleiche Programm unter dem Namen C.A.T. Project. Angstgefühle sollen reflektiert und Bewältigungsstrategien für Angst auslösende Situationen entwickelt werden. Evaluationsstudien schreiben dem Programm eine vielversprechende Wirkung zu. Kinder der Interventionsgruppe hatten positive Resultate u.a. in der Verringerung von Angst und Depression im Vergleich zur Kontrollgruppe (Eltern- und Kinderurteile).107 Eine andere Studie zeigte, dass im Posttest signifikant mehr behandelte Kinder (73% bzw. 50%) als Kinder der Kontrollgruppe (8%) die diagnostischen Kriterien für eine Angststörung nicht mehr erfüllten.108 Das «Rochester Resilience Project» ist ein Projekt für Kinder mit Verhaltens- und sozialen Auffälligkeiten in der Schule, das auf die Stärkung emotionaler Selbstregulationsfähigkeiten abzielt. Eine Studie zeigte, dass sich Probleme im Verhaltensbereich und im sozialen Kontakt mit Peers nach der Intervention verringerten (Lehrerurteil). Kinder der Interventionsgruppe hatten ausserdem 46% weniger disziplinarische Massnahmen und 43% weniger Suspendierungen während der Projektteilnahme.109 «SMAAP - Stress Management and Alcohol Awareness Program» ist ein Programm für Kinder alkoholkranker Eltern. Selbstbewusstsein, soziale Kompetenz und Bewältigungsfähigkeiten der Kinder sollen gestärkt werden. Ausserdem soll Wissen über Alkohol vermittelt werden. Ein «personal trainer» hilft den Teilnehmenden einmal in der Woche, die zu lernenden Fähigkeiten ausserhalb der Schule anzuwenden. In einer Studie zeigten sich signifikante Effekte in Bezug auf Wissen über Alkohol sowie positive emotionale und soziale Bewältigungsstrategien bei der Interventionsgruppe.110 Das «Baghira-Gruppentraining»111 ist ein kognitiv-behaviorales Programm für 8-13 jährige Kinder, die oppositionelles und aggressives Verhalten zeigen. Es umfasst Ärgerkontrolltechniken, 103 Center for School Mental Health, University of Maryland School of Medicine, 2008. Clarke, Rohde, Lewinsohn, Hops & Seeley, 1999. 105 Rohde, Clarke, Mace, Jorgensen & Seeley, 2004. 106 Lynch, Hornbrook, Clarke, Perrin, Polen, O’Connor & Dickerson, 2005. 107 Kendall, Flannery-Schroeder, Panichelli-Mindel, Southam-Gerow, Henin & Warman, 1997. 108 Flannery-Schroeder & Kendall, 2000. 109 Wyman, Cross, Brown, Yu, Tu & Eberly, 2010. 110 Short, Roosa, Sandler, Ayers, Gensheimer, Braver & Tein, 1995. 111 Aebi, Perriard, Stiffler-Scherrer & Wettach, 2011. 104 51 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Erhöhung der sozialen Kompetenzen sowie Problem- und Konfliktlösestrategien. In Evaluationen zeigten sich mittlere bis grosse Effektstärken des Trainings auf aggressives und delinquentes Verhalten.112 Es hat sich auch in der Anwendung im schulischen Kontext bewährt. Des Weiteren werden verschiedene universelle, problemspezifische Programme auch für selektive und indizierte Prävention eingesetzt, deren Beschreibungen sind bei den universellen problemspezifischen Programmen aufgeführt. «Konfliktlotsen» «The Incredible Years: Teacher and Child Programs» «ACHIEVE» Indizierte problemspezifische Programme Beschreibung siehe selektive problemspezifische Programme: «Coping Cat» «Baghira-Gruppentraining» 4.6.3.3 Screening Programme Im Gegensatz zur Früherkennung, bei der eine Gefährdung oder erste Symptome bereits vorhanden sind, richtet sich ein Screening auf die vorklinische Phase, in der ein Individuum anscheinend gesund ist. Durch das Screening kann sich der Hinweis ergeben, dass das Vorliegen einer Erkrankung wahrscheinlich ist. Ein Screening ist nicht als Diagnose-Instrument geeignet. Personen mit einem positiven Resultat müssen für eine Diagnose und mögliche Behandlung Fachleute beiziehen.113 1968 formulierte die WHO Anforderungen an Screening als Früherkennungsmassnahme, die bis heute ihre Gültigkeit haben.114 Diese Kriterien sind: Die Erkrankung … verursacht eine erhebliche Morbidität und Mortalität, … hat einen gut definierten klinischen Verlauf, … muss sich langsam entwickeln, sodass es eine heilbare Phase gibt, … ist epidemiologisch gut erforscht (Prävalenz). Die Therapien … sind wirksam. Die Untersuchungsmethoden … sollten einfach, akzeptabel und ungefährlich sein. Das Screening 112 Wettach & Aebi, 2009; Aebi et al., 2011; Van der Weijden, 2013. Wilson & Jungner, 1968. 114 Wilson & Jungner, 1968; zit. n. Koch (2010). 113 52 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich … hat ein positives Verhältnis von Nutzen und potenziellen Schäden, ... hat ein positives Verhältnis von Nutzen und Kosten. Andermann und Kollegen erweiterten diese Kriterien um weitere, wie die Festlegung der Zielgruppe, die wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeit des Screenings, die Verfügbarkeit des Screenings sowie Qualitätskontrolle und die Einplanung einer Evaluation.115 Als Beispiel für ein Screening-Programm zur psychosozialen Gesundheit kann der «Strengths and Difficulties Questionnaire» (SDQ) angeführt werden, den Koskelainen und Kollegen anhand von 735 finnischen Kindern und Jugendlichen auf seine Brauchbarkeit untersuchen.116 Mithilfe des SDQ wird jeweils die Eltern-, Lehrpersonen- und Selbsteinschätzung bezüglich emotionaler und Verhaltensprobleme erhoben. Die Übereinstimmung der Einschätzungen weist eine mittlere Korrelation (0.38-0.44) auf. Dieses Resultat ist positiver als bei anderen Studien. Ein möglicher Grund dafür ist das Verwenden desselben Fragebogens mit dem einzigen Unterschied der Änderung der 1. Person- in die 3. Person-Perspektive beim Lehrer- und Elternfragebogen. Inhaltliche Ergebnisse sind zum Beispiel, dass Eltern vorsichtiger bei der Einschätzung der Probleme ihrer 9-16jährigen Kinder sind als die Kinder selbst: Jugendliche geben mehr emotionale und Verhaltensprobleme an, als ihre Eltern über sie angeben. Jüngere Kinder (9-11 Jahre) haben mehr Probleme als Jugendliche (13-16 Jahre) in der Eigen- und Elterneinschätzung. Im Vergleich der Lehrpersonen- und Elternurteile der 9-11Jährigen schätzen die Lehrpersonen die Verhaltensprobleme der Jungen höher und die der Mädchen niedriger ein als die Eltern. Vor allem externalisierende Probleme schätzen Lehrpersonen bei Jungen höher ein als bei Mädchen. Der Fragebogen verfügt laut Koskelainen und Kollegen über eine gute Validität und eine zufriedenstellende interne Konsistenz. Der SDQ ist demnach ein vielversprechendes, nicht sehr zeitaufwändiges Screening-Instrument für epidemiologische Studien und klinische Zwecke, zum Beispiel für die Einschätzung des Risikos für psychosoziale Probleme von Schülern/-innen sowie für die Früherkennung. Eine Studie von Kuo und Kollegen untersucht die Kosten sowie den Nutzen eines universellen schulischen Screening-Programms bezüglich psychosozialer Gesundheit bei Schülern/innen. Die Kosten des Screenings betragen knapp 9 $ pro Schüler/-in bei 5% positiven Screenings, bis zu knapp 14 $ bei 20% positiven Screenings. Die Kosteneffizienz wird mit Kosten pro erfolgreiche Vermittlung an Fachstellen definiert. Sie beträgt 417 $ pro Schüler/in, der/die erfolgreich identifiziert und vermittelt wird, wenn von 5% positiven Screenings ausgegangen wird. Bei 20% positiven Screenings verbessert sich die Kosteneffizienz, da sich der Betrag pro erfolgreiche Vermittlung auf 106 $ reduziert. Während also die Kosten des Screenings pro Schüler/-in bei steigender Anzahl positiver Screenings steigen, reduziert sich die Kosteneffizienz pro erfolgreiche Vermittlung bei einer höheren Anzahl positiver Screenings.117 115 Andermann, Blancquaert & Déry, 2008. Koskelainen, Sourander & Kaljonen, 2000. 117 Kuo, Stoep, McCauley & Kernic, 2009. 116 53 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 4.6.4 Kostenanalysen und Kosten-/Nutzenanalysen Zusammenfassung Neben dem individuellen Leiden der Betroffenen ergeben sich durch psychosoziale Störungen auch hohe wirtschaftliche Kosten. Diese entstehen durch Kosten für die Behandlung, aber vor allem durch indirekte Kosten wie Arbeitsausfall, Invalidität und Mortalität. Die WHO schätzt, dass sich die Kosten durch psychosoziale Störungen in den EU-Staaten auf 3-4% des Bruttoinlandsproduktes belaufen. Demnach verursachten psychosoziale Störungen in der Schweiz im Jahr 2010 bei einem Bruttoinlandprodukt von Fr. 551 Mia. Kosten von über Fr. 22 Mia. In Deutschland ergeben sich direkte Kosten in Höhe von 29 Mia. Euro und indirekte Kosten durch Produktionsausfall von 26 Mia. Euro pro Jahr. In den USA entstehen Kosten von 148 Mia. $ pro Jahr durch psychische Erkrankungen. Ausserdem wird geschätzt, dass pro Jahr in der gesamten Bevölkerung ein Verlust an Einkünften von 193 Mia. $ durch psychosoziale Störungen auftritt. Auch aufgrund dieser hohen Kosten werden vermehrt Studien zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Interventionen gegen psychosoziale Auffälligkeiten und Störungen durchgeführt. Ein Vergleich von Metastudien zeigt, dass die Mehrheit der Studien zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Interventionen zu einem positiven Ergebnis kommt. Es gibt also Interventionen, die erwiesenermassen wirksam sind und pro investiertem Franken mehrere Franken zurückgeben. Kriterien für kosteneffiziente Interventionen sind beispielsweise, dass diese theoretisch gut begründet, individuen- und umweltzentriert, fachbereichübergreifend, multimodal gemessen, ressourcen- fertigkeits- und defizitorientiert, mit trainierten Lehrpersonen, lang anhaltend und kontextuell unterstützt sind. Vor allem Frühförderungsprogramme und Programme für junge Straftäter verfügen über günstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse. 4.6.4.1 Kostenanalysen von psychischen Auffälligkeiten und Störungen Im Kapitel 3.2.2 «Epidemiologie» wurde aufgezeigt, dass weltweit die Prävalenzrate bei psychischen Störungen für Kinder und Jugendliche ungefähr 20% beträgt. Für die gesamte Bevölkerung eines Landes nimmt die WHO an, dass über 25% der Menschen im Laufe ihres Lebens an einer schweren psychischen Störung leiden und zu einem beliebigen bestimmten Zeitpunkt rund 10% der Bevölkerung erkrankt ist.118 Laut einer neuen Studie erhalten weniger als ein Drittel der Betroffenen in der EU eine Behandlung.119 Durch diese Problematik entstehen neben den emotionalen Kosten der Betroffenen hohe indirekte Kosten, zu denen Arbeitsausfall und als längere Folgen zum Beispiel Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und Mortalität zählen. Diese indirekten Kosten sind höher als die direkten Krankheits- und Behandlungskosten, die psychische Störungen verursachen.120 Viele Autoren haben sich mit den Kosten psychischer Störungen auseinandergesetzt. Im Folgenden werden einige wichtige Beispiele aufgezeigt. 118 WHO, 2001. Wittchen et al., 2011. 120 Minder et al., 2012. 119 54 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Die WHO schätzt, dass sich die Kosten durch psychische Störungen in den EU-Staaten auf 34% des Bruttoinlandsproduktes belaufen.121 Wendet man diesen Ansatz auf die Schweiz an, verursachten psychische Störungen im Jahr 2010 bei einem Bruttoinlandprodukt von Fr. 551 Mia. Kosten von über Fr. 22 Mia. Für den Kanton Zürich schätzt das Institut für Sozial- und Präventivmedizin die Kosten auf Fr. 3 Mia. pro Jahr.122 Die direkten Behandlungskosten liegen in der Schweiz bei psychischen Störungen weit höher als bei anderen gesundheitlichen Problemen: Psychiatrische Behandlungen in Praxen verursachten 2010 Durchschnittskosten von Fr. 1’720 pro Patient/in; in allgemeinmedizinischen Praxen waren es im Vergleich dazu nur Fr. 314 pro Patient/in.123 In Deutschland verursachen psychische Störungen 11% der direkten Krankheitskosten und 18% aller verlorenen Erwerbsjahre. Aufgrund einer Krankheitskostenrechnung von 2008 wird von direkten Kosten in Höhe von 29 Mia. Euro und von einem Produktionsausfall von 26 Mia. Euro ausgegangen.124 In England stiegen die Kosten für psychische Erkrankungen von 77 Mia. £ (93 Mia. Euro) in 2002/03 auf 105 Mia. £ (127 Mia. Euro) in 2009/10.125 In den USA entstehen Kosten von 148 Mia. $ pro Jahr durch psychische Erkrankungen.126 In einer Studie zu indirekten Kosten von psychischen Erkrankungen wurde untersucht, um wieviel weniger Personen mit einer psychischen Störung im Vergleich zu Personen ohne ein solches Leiden verdienen. Das Ergebnis war ein Verlust an Verdienst von 16’306 Dollar pro Jahr und Person. Die Autoren schätzen aufgrund dieser Studie, dass pro Jahr in der gesamten Bevölkerung ein Verlust an Einkünften von 193 Mia. $ durch psychische Störungen auftritt.127 Neben diesen Studien bezüglich Kosten von psychischen Störungen insgesamt existieren auch Untersuchungen zu Kosten von einzelnen Störungen. Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission analysierte beispielsweise 2004 die wirtschaftlichen Folgen von Depressionen und kam zu dem Ergebnis, dass die Kosten dieser Krankheit mindestens 1% des Bruttoinlandsproduktes eines Landes ausmachen.128 Hakkaartvan Roijen untersuchte 2007 die Kosten von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen in den Niederlanden und kam zu dem Ergebnis, dass pro Jahr und Kind direkte Kosten von 1’173 Euro (gegenüber 177 Euro bei Kindern mit keinen «behaviour problems») und indirekte Kosten für Mütter durch Verlust von Arbeitszeit von 2’243 Euro (gegenüber 674 Euro bei Müttern mit Kindern ohne «behaviour problems») entstehen.129 Eine Studie aus Grossbritannien gelangte für Verhaltensstörungen zu dem Ergebnis, dass Kinder mit der Diagnose «conduct problems» im Alter von 10 bis 28 Jahren voraussichtlich zusätzliche Kosten von 29’000 Euro verursachen. Durch die Diagnose «conduct disorder», also einer Störung des Sozialveraltens, enthstehen zusätzliche Kosten von 84’000 Euro pro Kind im Gegensatz zu 9’000 Euro bei Kindern aus der Kontrollgruppe. 121 WHO, 2003. Minder et al., 2012. 123 Schuler & Burla, 2012. 124 Kamp & Pickshaus, 2011. 125 Centre for mental health, 2010. 126 WHO, 2003. 127 Insel, 2008. 128 Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, 2004. 129 Hakaart-van Roijen, Zwirs, Bouwmans, Tan, Schulpen, Vlaasfeld & Buitelaar, 2007. 122 55 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Die Kosten entstehen hauptsächlich durch die Inanspruchnahme von Strafjustizbehörden, die Unterbringung ausserhalb der Familie und staatliche Unterstützungsleistungen.130 Wang und Holton analysierten 2007 die Kosten von Kindesmissbrauch und Vernachlässigung in den USA und kamen zu dem Ergebnis, dass durch sie direkte Kosten von 33 Mia. $ und indirekte Kosten von 71 Mia. $ entstehen.131 4.6.4.2 Kosten-/Nutzenanalysen von Interventionen Es gibt Interventionen, die erwiesenermassen wirksam sind und pro investiertem Franken mehrere Franken zurückgeben. Laut Röhrle wurden insgesamt 167 Meta-Studien mit mindestens 2‘200 Einzelstudien zur Wirksamkeit von Maßnahmen zur Prävention psychischer Störungen und Förderung psychischer Gesundheit durchgeführt.132 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Mehrheit der Studien zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Interventionen zu einem positiven Ergebnis kommt. Vor allem Frühförderungsprogrammen133 und Programmen für jugendliche Straftäter134 werden günstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse bescheinigt. Kriterien für erfolgreiche Programme sind laut Röhrle theoretisch gut begründet, individuen- und umweltzentriert, fachbereichübergreifend, multimodal gemessen, ressourcen-, fertigkeits- und defizitorientiert, kulturell angepasst, strukturiert, mit variabler Didaktik, mit trainierten Lehrpersonen, lang anhaltend und kontextuell unterstützt. Im Folgenden werden wichtige Beispiele für Kosten-/Nutzenanalysen von Interventionen beschrieben, durch die die von Röhrle beschriebenen günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisse verdeutlicht werden sollen. Dafür werden wegen der höheren Aussagekraft hauptsächlich Metaanalysen verwendet. Knapp und Kollegen kommen zu dem wichtigen Ergebnis, dass der Kosten-Nutzen-Effekt von Interventionen pro Person sich erst über die Zeit hinweg zeigt. So werden zum Beispiel durch sozial-emotionale Lernprogramme gegen Verhaltensstörungen pro Person im Jahr eins noch keine Kosten gespart, im Jahr fünf bereits 6’369 £ und im Jahr zehn 10’032 £. Die Einsparungen bestehen vor allem in Kosten für die Strafjustizbehörden und das staatliche Gesundheitssystem in Grossbritannien. Elternprogramme für Kinder mit Verhaltensstörungen sparen nach zehn Jahren 9’288 £ pro Person ein, Frühintervention bei Psychosen 2’600 £ und Suizidpräventionsprogramme 1’272 £.135 Aos und Kollegen untersuchen 61 Studien, von denen ungefähr zwei Drittel als kosteneffektiv einzuschätzen sind: 23 Studien weisen eine schlechte, 38 eine gute Kosten-Nutzen-Relation auf. Die Autoren schätzen, dass sich der Markt für gut evaluierte Interventions- und Präventionsprogramme in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird, sodass eine grössere Anzahl evidenzbasierter Studien zur Verfügung stehen wird. Bei Programmen mit guten Kosten-Nutzen-Relationen erweisen sich Programme zur Förderung der Entwicklung von Jugendlichen, Programme gegen Substanzmissbrauch und Programme für jugendliche Straftäter als besonders kosteneffektiv. 130 Scott, Knapp, Henderson & Maughan, 2001. Wang & Holton, 2007. 132 Röhrle, 2012. 133 z. B. Schweinhart, Montie, Xiang, Barnett, Belfield, & Nores, 2005. 134 z. B. Aos et al., 2004. 135 Knapp, McDaid & Parsonage, 2011. 131 56 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich So erbringt das Projekt «Guiding good choices» zur Verbesserung der erzieherischen Kompetenzen beispielsweise einen Gewinn von 11 $ pro Kind und ausgegebenem 1 $. Das «Minnesota Smoking Prevention Program» erreicht einen Gewinn von 102 $ pro Kind für jeden ausgegebenen 1 $ . Als Beispiel für ein Programm für jugendliche Straftäter kann die Intervention «Dialectical Behavior Therapy» dienen, die für jeden 1 $ einen Gewinn von 38 $ erzielt. Überwiegend negative Kosten-Nutzen-Verhältnisse besitzen bei Aos und Kollegen Programme des Kinderschutzes mit Hausbesuchen und Programme zur Verhinderung von Schwangerschaften bei Jugendlichen.136 Swisher und Kollegen137 beschreiben sieben Studien, die Aussagen bezüglich Kosten-NutzenVerhältnissen machen. Der Nutzen ist im Vergleich zu den Kosten bei allen Studien positiv und reicht von 2 $ bis zu knapp 20 $ für jeden ausgegebenen 1 $. Die grosse Variabilität bei der Gewinnspanne der beschriebenen Interventionen wird von den Autoren durch die Art der Kostenberechnung, die einbezogenen Resultate und methodische Unterschiede erklärt. Beispielsweise wird ein universelles Programm zum Training von Lebensfertigkeiten, das eine Reduktion des Rauchens erreichen soll, mit den gesparten Kosten im Gesundheitsbereich für einen lebenslangen Raucher verglichen. Die Kosteneffizienz liegt bei einem Gewinn von 20 $ für jeden investierten 1 $. Karoly und Kollegen untersuchen den Kosten-Nutzen-Effekt bei zwei selektiven Frühförderungsprogrammen. Das «Elmira Prenatal Early Infant Project» erzielt einen Gewinn von 4 $ für jeden investierten 1 $; beim «Perry Preschool Project» beträgt das Verhältnis knapp 20 $ : 1 $.138 Caulkins und Kollegen untersuchen die Kosteneffizienz von schulischen Drogenmissbrauchsprogrammen exemplarisch an zwei Programmen, «ALERT» und «Life Skills Training». Die beiden Programme reduzieren den Konsum von Marihuana, der nach Caulkins und Kollegen mit dem Gebrauch von anderen Drogen wie Kokain assoziiert ist, um 3-14%. Die Autoren schätzen, dass durch die Programme für jeden investierten 1 $ 2.40 $ Kosten für das Sozialsystem gespart werden. Es wird betont, dass eine Unsicherheit in Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis besteht, sodass es bei den beiden Programmen von 1 : 0.60-5.60 $ variieren kann. Bei einer landesweiten Einführung von Drogenmissbrauchsprogrammen wird es als wahrscheinlich angenommen, dass der Nutzen die Kosten übersteigen würde.139 Romeo und Kollegen untersuchen 21 Kosten-Nutzen-Studien. Die untersuchten Studien zeigen zum Teil deutlich günstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse. Beispielsweise erreicht eine schulische Intervention der Sozialarbeit gegen Problemverhalten und Schulausschluss eine Ersparnis von 273’550 £ durch die Intervention.140 Die vermiedenen Kosten beziehen sich vor allem auf den vermiedenen Schulausschluss. Eine weitere Studie evaluiert die Kosten eines Kriseninterventionsprogramms für Kinder mit dem Risiko für selbst- oder fremdverletzendes Verhalten. Das Kriseninterventionsprogramm führt zu 23% weniger Psychiatrie-Einweisungen und bringt somit eine Ersparnis von circa 20’000 $.141 136 Aos et al, 2004. Swisher, Scherer & Yin, 2004. 138 Karoly, Greenwood, Everingham, Hoube, Kilburn, Rydell et al., 1998. 139 Caulkins, Rydell, Everingham, Chiesa & Bushway, 1999. 140 Bagley & Pritchard, 1998. 141 Blumberg, 2002. 137 57 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Eine weitere Studie zeigt die langfristigen Kosten-Nutzen-Verhältnisse eines «Early intensive behavioral intervention»-Programmes bei Kindern mit Autismus. Die Intervention spart für Personen von 3-22 Jahren 187‘000-203‘000 $ pro Kind ein; bei Personen von 3-55 Jahren werden Kosten von bis zu 1‘082‘000 $ pro Kind gespart.142 Die gesparten Kosten sind vor allem bei speziellen Angeboten für Autismus im Bildungsbereich und bei Institutionen zur Unterstützung Erwachsener mit Autismus anzusiedeln. Romeo und Kollegen machen ausserdem darauf aufmerksam, dass Kosten-Nutzen-Studien immer noch wenig vorhanden sind und teilweise methodische Probleme aufweisen.143 Zechmeister und Kollegen führen eine Metastudie mit 14 Studien durch. Die besten Resultate erzielen Programme, die der Frühförderung von Kindern dienen. Ein Beispiel dafür ist eine Studie, die die Kosten-Nutzen-Verhältnisse eines Frühförderungsprogrammes untersucht. Der Gewinn beträgt knapp 20 $ für jeden investierten 1 $.144 In einer anderen Studie wird das Frühförderungsprogramm «Perry Preschool Project» in Bezug auf Kosteneffizienz analysiert. Nach 17 Jahren sind die Kosten durch den Nutzen ausgeglichen. Es entsteht ein Gewinn von 4 $ bis zu 9 $ für jeden investierten 1 $.145 Die Autoren weisen auf das Problem hin, dass die Interventionen mit eindeutigen Anhaltspunkten für Kosteneffizienz nicht unbegrenzt generalisierbar und übertragbar sind.146 Abschliessend kann festgehalten werden, dass die Mehrheit der Studien zum Kosten-NutzenVerhältnis von Interventionen zu einem positiven Ergebnis kommt, insbesondere bei Frühförderungsprogrammen sowie bei Programmen für jugendliche Straftäter.. 142 Jacobson, Mulick & Green, 1998. Romeo, Byford & Knapp, 2005. 144 Schweinhart et al., 2005. 145 Lynch, 2004. 146 Zechmeister et al., 2008. 143 58 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 4.6.5 Strukturelle Ebene Zusammenfassung Am wirkungsvollsten sind Präventionsprogramme, die sich sowohl an einzelne Personen – die Verhaltensprävention – als auch an die Strukturen richten – die Verhältnisprävention. Bei der Implementierung von Programmen zur Früherkennung und -intervention an Schulen sollten deshalb strukturelle Faktoren Berücksichtigung finden. Die beteiligten Akteure einer Schule sollten ein Leitbild und eine gemeinsame Haltung zu Früherkennung und -intervention im Rahmen einer Bedarfsanalyse entwickeln. Die Strukturen der Präventionsprogramme müssen an diese speziellen Bedürfnisse angepasst werden. Lehrpersonen, die mit Schülern/-innen mit Verhaltensauffälligkeiten umgehen, sollten strukturelle Aspekte in ihre Überlegungen einbeziehen. Verhaltensauffälligkeiten sind immer auch Bewältigungsversuche einer überfordernden Situation. Sie werden durch die verschiedenen Umfelder Familie, Schule und Peers sowie durch das Individuum selbst beeinflusst. Für die Reduzierung auffälligen Verhaltens sind deshalb durch die Lehrperson beeinflussbare Aspekte der Situation der Schüler/innen wie eine positive Beziehung zur Lehrperson, kooperative Formen des Unterrichts, Möglichkeiten zur Mitbestimmung oder das Setzen von Grenzen von Bedeutung. Desgleichen können Schulen und das Schulsystem durch die Berücksichtigung struktureller Faktoren Verhaltensauffälligkeiten von Schüler/innen entgegenwirken. Verhaltensauffällige Schülern/-innen werden am stärksten unterstützt, wenn sie grundsätzlich in das Regelschulsystem integriert werden, statt separiert unterrichtet zu werden. Der Umgang mit einer sozial stabilen und nicht auffälligen Peergroup ist hierbei entscheidend. Voraussetzungen für eine Integration sind zeitliche Ressourcen der Lehrpersonen, kleine Klassengrössen mit einem Anteil von höchstens vier verhaltensauffälligen Schüler/innen pro Klasse sowie feste Sozialregeln und konsequente Reaktionen auf deren Übertretung. Durch die Zunahme integrativer Förderung steigt das Risiko der Stigmatisierung von psychosozial auffälligen Schülern/-innen durch Klassenkameraden/-innen und das Schulpersonal. Stigmatisierung ist ein Prozess der Abwertung und Ausgrenzung von Menschen, denen bestimmte negativ bewertete Merkmale zugeschrieben werden. Angst vor Stigmatisierung kann Schüler/innen davon abhalten, selektive oder indizierte Präventionsprogramme, die sich speziell an gefährdete Schüler/innen richten, in Anspruch zu nehmen. Auch Früherkennung und -intervention bergen Risiken der Stigmatisierung durch frühe Pathologisierung und unkritische Screening-Gläubigkeit. Massnahmen gegen Stigmatisierung wie nicht-stigmatisierende Namensgebung, offene Kommunikation, Partizipation und Empowerment müssen deshalb integriert werden. Wie in Kapitel 3 «Ausgangslage» dargestellt wurde, sind Prävention und Gesundheitsförderung am effektivsten, wenn sie sich sowohl an einzelne Personen als auch an die Strukturen beziehungsweise Verhältnisse richten. Am wirkungsvollsten sind diejenigen Präventionsprogramme, die individuelle und strukturelle Ansätze verbinden. Nachdem in den vorigen Kapiteln auf individuelle Prävention im Rahmen von Präventionsprogrammen eingegangen wurde, werden in diesem Kapitel wichtige strukturelle Faktoren beschrieben, die der Prävention von psychosozialen Störungen dienen. Ein spezielles Augenmerk liegt dabei auf Verhaltensstörungen von Schülern/-innen. Diese zählen zu den psychosozialen Belastungen, die für die Schule am schwierigsten zu bewältigen sind, auch da die Integration dieser Schüler/innen problematisch 59 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich ist. Zu Beginn des Kapitels wird ausserdem auf strukturelle Aspekte bei der Implementierung von Präventionsprogrammen eingegangen. 4.6.5.1 Implementierung von Programmen in der Schule Radix evaluierte vier Projekte zur Früherkennung und -intervention in Schulen in der Deutschschweiz und zog daraus Schlussfolgerungen für die Implementierung von Programmen. 147 Diese Erkenntnisse werden im Folgenden verwendet. Wichtig für Schulen, die Programme in ihrer Schule einführen wollen, ist ausserdem die Oltner Charta zu Früherkennung und -intervention bei gefährdeten Kindern und Jugendlichen.148 Sie erhält neun Grundsätze, die von allen Personen, die sich Früherkennung und -intervention beschäftigen, beachtet werden sollten. Bei der Implementierung von Präventionsprogrammen in Schulen ist darauf zu achten, dass nicht nur einzelne Themen im Vordergrund stehen, sondern auch die Struktur- und Settingebene Berücksichtigung findet. Die Schule muss festlegen, was sie in Bezug auf Früherkennung und -intervention erreichen will und daraufhin ein Leitbild und eine gemeinsame Haltung entwickeln. Erst wenn die Haltung der Schule geklärt ist, ist Früherkennung und -intervention möglich. Die gemeinsame Haltung sollte das Motto «Hinschauen und Handeln» beinhalten und in den Schulalltag integriert werden. Die Haltung sollte nicht von «oben» entschieden werden, sondern soll sich bei den beteiligten Akteuren im Rahmen einer Bedarfs- und Situationsanalyse entwickeln. Dabei sind Fragen in Bezug auf Bedürfnisse und Bedarf der Schule, Voraussetzungen der Schule, pädagogische Haltung, Rahmenbedingungen und Ressourcen sowie Ziele der Schule zu stellen. Die Strukturen der Programme müssen an diese speziellen Bedürfnisse angepasst werden. Lehrpersonen, die in die Entwicklung einbezogen werden, sehen Früherkennung und -intervention meist als wichtig an und sind grundsätzlich für das Thema psychosoziale Gesundheit in der Schule sensibilisiert. Von Vorteil für die Legitimation des Projekts ist ausserdem, wenn das Programm durch die Schulleitung geleitet wird. Weitere wesentliche Erfolgsfaktoren bestehen in der Begleitung des Programms durch Experten und einer ausreichenden, langfristigen Zeitplanung. Wenn ein Projekt von «oben» eingeführt und nicht speziell an die Schule angepasst wird, stösst es eher auf Ablehnung beim Schulpersonal und der Einsatz für das Programm ist geringer. Bei der Einführung eines festgelegten Programms müssen Ressourcen in Form von Workshops und Lehrpersonenfortbildungen zur Verfügung stehen und der Auftrag muss klar sein. Auf der Ebene der Umsetzung von Programmen ist es wichtig, die Lehrpersonen als zentrale Akteure der Früherkennung und -intervention zu begreifen. Weiterbildungen zu Symptomen und Störungen, ein Instrumentarium und der Austausch unter Kollegen führen zu höherer Handlungssicherheit der Lehrpersonen. Abläufe von Früherkennung und -intervention sollten schriftlich zum Beispiel in Form eines Leitfadens, der an die jeweilige Schulstruktur angepasst wird, festgehalten werden. Zuständigkeiten und Schnittstellen bei den Abläufen zu klären, führt zu mehr Zeitaufwand, auf lange Sicht ergibt sich aber eine Zeitersparnis. Das Schulpersonal 147 Fabian & Müller, 2010. Bundesamt für Gesundheit, Fachverband Sucht, GREA, Infodrog, RADIX und Sucht Schweiz, 2011. 148 60 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich muss über die relevanten Fachstellen, an die es sich mit dem jeweiligen Problem wenden kann, informiert sein. Der Aufbau eines Netzwerks zwischen Schulen und Fachstellen ist daher ein wichtiges Ziel. Nicht nur die Lehrpersonen, sondern auch die Eltern und Schüler/innen sollten im Projekt partizipieren, was in der Praxis eher selten geschieht. Gerade bei der Entwicklung einer Haltung ist es wichtig, auch die Schüler/innen der Schule einzubeziehen. Partizipation setzt voraus, dass die entsprechenden Strukturen dafür vorhanden sind oder geschaffen werden, zum Beispiel in Form von Schüler/innen- und Elternräten. Bei der anfänglichen Bedarfs- und Situationsanalyse sollte dies mit einbezogen werden. 4.6.5.2 Lehrpersonen Welche Handlungskonzepte gibt es für Lehrpersonen, um sie im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten von Schülern/-innen zu stärken? Mit diesem Thema beschäftigt sich die Publikation «Stärkung der Regelschule im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten» von Liesen und Luder im Auftrag der Bildungsdirektion des Kantons Zürich, auf die sich die folgenden Abschnitte beziehen.149 Auffälliges Verhalten in der Schule kann unterschiedliche Schweregrade annehmen. Liesen und Luder unterscheiden zwischen alltäglichem störenden Verhalten, Verhaltensauffälligkeiten und pathologischem Verhalten. Alltägliche auffällige Verhaltensweisen sind oft situativ bedingt und eher harmlos. Sie können meist durch die Lehrperson durch kurzfristige pädagogische Interventionen gelöst werden. Verhaltensauffälligkeiten kommen bei Schülern/-innen öfter vor. Der Unterricht kann durch sie beeinträchtigt sein. Um Probleme in diesem Bereich zu lösen, ist eine Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, Eltern und Fachpersonen wichtig. Pathologisches Verhalten entsteht oft durch individuelle Belastungen von Schüler/innen und kann mit einer psychopathologischen Diagnose verbunden sein. Externe Fachpersonen müssen bei dieser Form auffälligen Verhaltens beigezogen werden. Zur Unterstützung von Schülern/-innen mit Verhaltensauffälligkeiten ist es entscheidend, nicht nur das Individuum mit seinem Verhalten, sondern auch Faktoren des Umfelds zu berücksichtigen. Auffällige Verhaltensweisen können als Bewältigungsversuch einer überfordernden Situation verstanden werden. Wenn die Situation verändert wird, sodass betroffene Schüler/innen besser mit ihr zurechtkommen, gehen auch die Verhaltensauffälligkeiten zurück. Verhaltensauffälligkeiten können ausserdem als Ressourcen- und Kompetenzdefizit angesehen werden, sodass pädagogische Interventionen darauf ausgerichtet sein sollten, Ressourcen und Kompetenzen aufzubauen. Für die Lehrperson, die ein Kind mit Verhaltensauffälligkeiten unterrichtet, ist es nach Liesen und Luder hilfreich, sich zuerst anhand von vier Schritten ein Bild der Situation zu machen. Die vier Schritte sind die Beschreibung der Situation (z.B. wann tut das Kind was?), Analyse der Situation (z.B. was wird mit dem Verhalten bezweckt?), Ressourcen und Fehlendes beim Kind und bei der Umwelt sowie Handlungsmöglichkeiten. Handlungsmöglichkeiten betreffen Massnahmen und Interventionsprogramme beim Kind und seinem Umfeld, die zum Beispiel durch den Schulpsychologischen Dienst durchgeführt werden, sowie Massnahmen der 149 Liesen & Luder, 2011. 61 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Schule, zum Beispiel Unterrichtsentwicklung, Förderplanung und Zusammenarbeit im pädagogischen Team. Von zentraler Bedeutung für die Integration von verhaltensauffälligen Schüler/innen in die Klasse erweist sich ein angepasster und differenzierter Unterricht mit einer positiven Beziehung zwischen Lehrperson und Schüler/in. Die Einstellungen der Lehrpersonen gegenüber verhaltensauffälligen Schülern/-innen sind nicht selten eher negativ. Dieses beeinflusst mögliche Probleme im Unterricht auf negative Art und Weise. Lehrpersonen mit mehr Wissen und einer besseren Ausbildung bezüglich auffälligen Verhaltens haben auch eher eine positive Einstellung gegenüber den betroffenen Schülern/-innen.150 Zu diesem Ergebnis kommt auch Cooper in seiner Studie bezüglich Strategien für Lehrpersonen, mit Schüler/innen mit sozialen, emotionalen und Verhaltensauffälligkeiten umzugehen.151 Er stellt fest, dass die Eigenschaften der jeweiligen Lehrpersonen einen grossen Beitrag zur Verringerung oder Verstärkung von Auffälligkeiten leisten. Lehrpersonen, die Empathie und positive Wertschätzung zeigen, bewirken oft einen positiven Einsatz bei ihren Schülern/-innen, da sie die Situation wertneutral und aus der Sicht der anderen Person beurteilen können. Lehrpersonen, die einem negativen Affekt mit derselben emotionalen Reaktion begegnen, können dagegen zur Eskalation des Konflikts beitragen. Durch eine empathische Sichtweise sind Lehrpersonen eher in der Lage, hinter das auffällige Verhalten zu blicken und die Gründe dafür zu sehen. Um diesen positiven Blick der Lehrperson auf Schüler/innen mit Verhaltensauffälligkeiten zu stärken, muss ein emotional und sozial unterstützendes Umfeld nicht nur für die Schüler/innen, sondern auch für die Lehrpersonen einer Schule gegeben sein. Viele Lehrpersonen beklagen, dass ihnen ausreichendes Handlungswissen im Umgang mit verhaltensauffälligen Schüler/innen und umsetzbare Unterstützungsmöglichkeiten fehlen.152 Lehrpersonen brauchen Strategien, um Schülern/-innen Grenzen zu setzen, das Engagement der Schüler/innen zu erhalten und soziale Interaktionen zwischen Schüler/innen zu stärken. Dazu zählt beispielsweise das «Good Behavior Game» (vgl. Kapitel 4.6.3.1 «Problemübergreifende Interventionsprogramme») sowie kooperative Unterrichtsformen und Formen der Mitbestimmung.153 Die Lehrpersonen sollten ausserdem über Wissen zum Zusammenhang zwischen Emotionen, Kommunikation und Verhalten, zum Einfluss der Peergroup und zur Verknüpfung zwischen Verhaltensauffälligkeiten und anderen Lernstörungen verfügen. Cooper schlägt vor, dass Experten der psychosozialen Gesundheit ihr Wissen mit dem Schulpersonal teilen sollten. Die Weitergabe von Wissen trägt auch zur Kooperation zwischen Fachpersonen und dem Schulpersonal bei, die von grosser Bedeutung für die Unterstützung von Schülern/-innen mit auffälligem Verhalten ist. Jedes auffällige Verhalten sollte auf die verschiedenen Faktoren, die es bedingen können, untersucht werden. Diese Faktoren müssen verändert werden, um das auffällige Verhalten zu reduzieren, was auf drei verschiedene Arten je nach Situation erreicht wird: Eine Veränderung des Rahmens, in dem das Problem gesehen wird (z.B. auffälliges, aggressives Verhalten als funktionales Verhalten im Umgang mit Mobbing durch andere Schüler/innen); eine Veränderung in der Umwelt des Individuums (z.B. Veränderung im Unterrichtsstil der Lehrperson); eine 150 Liesen & Luder, 2009. Cooper, 2011. 152 Wagner, Friend, Bursuck et al. 2006; zit. n. Liesen & Luder, 2009. 153 Liesen & Luder, 2009. 151 62 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Veränderung im Individuum selbst (z.B. Entwicklung von Strategien zur Bewältigung von Aggression). Je nach Situation können auch alle drei Aspekte für die Lösung des Problems relevant sein.154 4.6.5.3 Schuleinheiten und Schulsystem Wie können Schuleinheiten und das Schulsystem zur Verringerung von Verhaltensauffälligkeiten von Schülern/-innen beitragen? Liesen und Luder ziehen aufgrund einer Literaturanalyse wesentliche Schlussfolgerungen, die in diesem Kapitel wiedergegeben werden.155 Sie sehen Chancen für die positive Beeinflussung von verhaltensauffälligen Schülern/-innen durch das Schulumfeld, auch wenn andere Faktoren wie das familiäre Umfeld nicht beeinflussbar sind. Ein zentrales Fazit lautet, dass verhaltensauffällige Schüler/innen am stärksten unterstützt werden, wenn sie grundsätzlich in das Regelschulsystem integriert werden, statt in Sonderschulen oder speziellen Klassen separiert unterrichtet zu werden. Schulische Integration in eine Regelklasse stellt einen protektiven Faktor dar. Weil Schüler/innen mit Verhaltensauffälligkeiten allerdings nur mit einem gewissen, teilweise grösseren Aufwand zu integrieren sind, werden oft separative Formen der Schulung genutzt. Die Peergroup ist entscheidend für den positiven Einfluss der Integration von Schüler/innen mit Verhaltensauffälligkeiten in die Regelklasse verantwortlich. Beispielsweise gibt es positive Ergebnisse im Zusammenhang mit älteren, sozial stabilen Schülern/-innen, die den verhaltensauffälligen Schülern/-innen als «Buddies» zur Seite stehen. Auch Freundschaften mit sozial stabilen Klassenkameraden/-innen wirken sich positiv aus. Die Separation von verhaltensauffälligen Schülern/-innen in Sonderschulen oder speziellen Klassen wirkt sich hingegen negativ aus, weil der Umgang mit ausschliesslich verhaltensauffälligen Peers und somit ein Mangel an positiven Rollenvorbildern und sozial stabilen Klassenkameraden/-innen das Auftreten von Auffälligkeiten weiter begünstigt. Für nicht verhaltensauffällige Jugendliche wurden mehrfach nachgewiesen, dass sie durch ihre verhaltensauffällige Mitschüler/innen kaum negativ beeinflusst werden. Voraussetzung für eine Integration in die Regelklasse sind ausreichende Ressourcen, zum Beispiel in Form von zeitlichen Ressourcen der Lehrpersonen und kleinen Gruppengrössen. Kleinere Gruppengrössen pro Klasse sind dabei ebenso zu bedenken wie der Anteil verhaltensauffälliger Schüler/innen einer Klasse, da anderenfalls negative Auswirkungen auf das Klassenklima anzunehmen sind.156 Für das Gelingen der Integration muss das Verhalten auffälliger Schüler/innen im Unterricht kontrolliert werden können. In diesem Zusammenhang spielen feste, in der ganzen Schuleinheit bestehende Sozialregeln und konsequente Reaktionen auf deren Übertretung eine wichtige Rolle. Allerdings haben Interventionen mit einem «Null Toleranz-Ansatz» gegenüber Verhaltensauffälligkeiten, die diese mit starken negativen Konsequenzen einzuschränken versuchen, eine schlechte empirische Absicherung und werden eher als kontraindiziert angesehen. Auch die Ausbildung der Lehrpersonen ist im Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern/-innen wichtig 154 Cooper, 2011. Liesen & Luder, 2009. 156 ebd. 155 63 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich (vgl. voriges Kap. 4.6.5.2 «Lehrpersonen»). Ein weiterer wichtiger Faktor für die Integration von auffälligen Schülern/-innen in die Regelklasse stellt die Lernumgebung dar. Sie sollte sowohl die Arbeitsergonomie unterstützen und die Konzentration fördern als auch Rückzugsmöglichkeiten bieten. Da Verhaltensauffälligkeiten durch verschiedene Faktoren bedingt werden, sollten auch die Interventionen multimodal und multiprofessionell ausgerichtet sein. Die Zusammenarbeit verschiedener Fachexperten und Institutionen ist notwendig, da Verhaltensauffälligkeiten durch die verschiedenen Umfelder Schule, Familie und Peers sowie durch das Individuum selbst beeinflusst werden. Auch die Kooperation innerhalb des Schulteams muss gegeben sein. Abschliessend sei allerdings auf die Überlegungen von Steiner-Khamsi hingewiesen. Sie wirft einen kritischen Blick auf den Zusammenhang von Belastungserleben von Lehrpersonen und zusätzlichen, für den Umgang mit Heterogenität zur Verfügungen gestellten finanziellen und personellen Mitteln.157 Sie stellt die Hypothese auf, dass mit den zusätzlichen Ressourcen, die den Schulen in den vergangenen vierzig Jahren für den Umgang mit Heterogenität zur Verfügung gestellt wurden, sich das Belastungserleben der Lehrpersonen nicht verringert, sondern erhöht habe. „Diese beiden Faktoren korrelieren positiv miteinander: Das individuelle Belastungserleben steigt im gleichen Ausmass wie Ressourcen institutionell zur Verfügung gestellt werden, um die Lehrperson zu entlasten.“ Und weiter schreibt sie: „Die zirkuläre Wechselwirkung zwischen Belastungserleben und Verfügbarkeit von Zusatzhilfen ist nicht zu unterschätzen: Die kontinuierliche Ausweitung des unterrichtsergänzenden Stütz- und Fördersystems führte dazu, dass sich die Toleranzsschwelle für Heterogenität in der Klasse kontinuierlich nach unten gesenkt hat. Wir haben es hier mit einer Folgeerscheinung der Bürokratisierung von Interkultureller Pädagogik und anderen Teilpädagogiken zu tun.“ Solche kritischen Überlegungen sind bei der Planung von zusätzlichen Unterstützungsangeboten einzubeziehen. 4.6.5.4 Vorbeugung von Stigmatisierungsprozessen In Kapitel 4.6.5.3 «Schuleinheiten und Schulsystem» wurde das Fazit wiedergegeben, dass verhaltensauffällige Schüler/innen am stärksten unterstützt werden, wenn sie grundsätzlich in das Regelschulsystem integriert werden, statt sie in Sonderschulen oder speziellen Klassen separiert zu unterrichten. Durch die Zunahme von integrativer Förderung und die daraus folgende Abnahme von Schülern/-innen mit psychosozialen Problemen, die in Sonderschulen beziehungsweise speziellen Klassen unterrichtet werden, steigt auch das Risiko der Stigmatisierungstendenzen dieser Schüler/innen durch Klassenkameraden/-innen sowie das Schulpersonal. Die Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich hat ein Dokument zum Thema Stigmatisierung veröffentlicht, auf das sich die folgenden Abschnitte beziehen.158 Stigmatisierung kann definiert werden als der Prozess von Abwertung und Ausgrenzung von Menschen, denen bestimmte negativ bewertete Merkmale, in diesem Fall aufgrund von einer psychosozialen Auffälligkeit oder Störung, zugeschrieben werden. Ein zugeschriebenes negatives Merkmal von Menschen mit psychischen Störungen lautet beispielsweise, dass diese gefährlich sind. Die Folgen für die Betroffenen sind zum Beispiel Statusverlust, ein negatives Selbstkonzept und Selbststigmatisierung, verbunden mit Scham und Rückzug. Das Stigma psychischer Störungen kann die Inanspruchnahme vor allem von selektiven und indizierten 157 158 Steiner-Khamsi, 2010 Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich, 2012. 64 Vorgehen bei der Konzeptentwicklung Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich Präventionsprogrammen reduzieren, da diese Präventionsprogramme explizit gefährdete Schüler/innen ansprechen. Schüler/innen mit psychosozialen Störungen oder einer Gefährdung für diese möchten nicht mit dem Stigma «psychisch krank oder auffällig» behaftet werden, welches möglicherweise negative Reaktionen von Mitschülern/-innen und Schulpersonal mit sich bringt, und lassen sich demgemäss nicht oder weniger auf entsprechende Interventionen ein. Auch bei Früherkennung und -intervention können sich Probleme mit Stigmatisierung ergeben. Unsorgfältige Früherkennung sowie frühe Pathologisierung und unkritische Screening-Gläubigkeit, die falsche oder stereotype Zuschreibungen eines Kindes zum Beispiel als «Problemkind» nach sich ziehen, können stigmatisierendes Verhalten verstärken. Demzufolge erhöht sich die Relevanz von Massnahmen, die stigmatisierenden Prozessen entgegenwirken. Vor allem im Zusammenhang mit selektiven und indizierten Präventionsmassnahmen kann Stigmatisierung nie völlig ausgeschlossen werden und muss mitbedacht werden. Um stigmatisierenden Effekten bei der durch Screening entstehenden Einteilung von Schülern/-innen in verschiedene Gefährdungsstufen entgegenzuwirken, sollten die Schüler/innen transparente Informationen bezüglich Screening und Interventionen erhalten. Offene Kommunikation kann Vertrauen schaffen, was eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme an einer Intervention ist. Das Screening sollte wenn möglich eher durch Fachleute statt durch Lehrpersonen durchgeführt werden und auch Fähigkeiten der Schüler/innen sowie Ressourcen erfassen. Durch die Aufnahme von universellen Anteilen in selektive Präventionsmassnahmen, die der allgemeinen Förderung von Lebenskompetenzen und nicht nur der Reduzierung einer speziellen Gefährdung dienen, wird der Fokus auch auf Stärken und Ressourcen von gefährdeten Schülern/-innen gelegt und wirkt so einer defizitorientierten Sichtweise und Stigmatisierung entgegen. Bei allen Massnahmen sollten Partizipation und Empowerment im Mittelpunkt stehen. Es ist wichtig, selektive Massnahmen in eine Gesamtstrategie der Früherkennung und intervention einer Schule zu integrieren. Jugendliches abweichendes Verhalten sollte auch als Entwicklungsaufgabe und nicht nur im Sinne einer Gefährdung gedeutet werden können. Einem generellen Gefährdungsverdacht gegenüber Kindern und Jugendlichen und der Annahme, eine einfache Abgrenzung zwischen normalen und gefährdeten Schülern/-innen treffen zu können, ist entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, statt nach Etikettierungen von Schülern/-innen eher auf besondere Belastungsphasen und Übergänge im Lebenslauf, wie zum Beispiel den Eintritt in die Sekundarstufe, zu achten und Schüler/innen in diesen herausfordernden Phasen besondere Unterstützung anzubieten. Allgemein sollten kontextorientierte Massnahmen, die nicht nur das Individuum, sondern auch die Umweltfaktoren einbeziehen, noch stärkere Gewichtung erhalten. Sie beugen Stigmatisierung vor und besitzen eine stärkere Wirksamkeit als rein personenbezogene Ansätze. 65 Literaturverzeichnis Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 7. Literaturverzeichnis Im folgenden Literaturverzeichnis sind alle Quellen des gesamten Schlussberichts aufgeführt. 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Die Schulgesundheitsdienste sind dem Schul- und Sportdepartement angegliedert. Stadt Zürich Schulgesundheitsdienste Parkring 4, Postfach 8027 Zürich Telefon 044 413 88 98 www.stadt-zuerich.ch/schulgesundheitsdienste © Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich 2013