Kiefer-Gaumenfehlbildung - Universitätsklinikum Münster
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Kiefer-Gaumenfehlbildung - Universitätsklinikum Münster
Universitätsklinikum Münster Weiterbildungsstätte für Intensivpflege & Anästhesie und Pflege in der Onkologie Fachbereich Pädiatrische Intensivpflege und Anästhesie Kurs: 05/07 Ernährung bei Säuglingen mit einer LippenKiefer-Gaumenfehlbildung vorgelegt von Simone Müller Dieckmannstr.114 48161 Münster Münster, 20. Mai 2007 Seite 2 Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................................ 3 Zusammenfassung........................................................................................................ 4 1. Einleitung ................................................................................................................. 5 1.1 Im Wandel der Zeit ............................................................................................ 5 2. Entstehung................................................................................................................ 7 2.1 Ursachen........................................................................................................... 10 3. Operative Behandlungen........................................................................................ 12 4. Ernährung............................................................................................................... 13 4.1 Physiologie des Trinkens bzw. Saugens .......................................................... 13 4.1.1 Die oralen Reflexe .................................................................................... 13 4.1.2 Die orofaziale Muskulatur ........................................................................ 14 4.1.3 Das physiologische Saugverhalten an der Brust ....................................... 16 4.1.4 Das physiologische Saugverhalten aus der Flasche.................................. 16 4.2 Orofaziale Dysfunktion bei LKG- Fehlbildungen ........................................... 17 5. Ernährungsmöglichkeiten bei LKG-Fehlbildungen.......................................................... 19 5.1 Stillen ............................................................................................................... 19 5.2 Flasche.............................................................................................................. 21 5.2.1 Spezielle Lippen- und Gaumenspaltsauger............................................... 21 5.2.2 Flaschensysteme........................................................................................ 22 5.3 Spezielle Hilfsmittel......................................................................................... 24 5.3.1 Brusternährungsset.................................................................................... 24 5.3.2 Becher/SoftCup™ ..................................................................................... 25 5.3.3 Fingerfeeder .............................................................................................. 26 5.3.4 Magensonde .............................................................................................. 27 6. Die Mund-Nasen-Trennplatte ................................................................................ 28 7. Die Orofaziale Regulationstherapie (nach Castillo Morales) ................................ 31 8. Schluss ................................................................................................................... 33 Quellenverzeichnis..................................................................................................... 34 Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 36 Seite 3 Vorwort Seit neun Jahren betreue ich auf der Station 18B West des Universitätsklinikum Münster (UKM) unter anderem Patienten aus dem Fachbereich der Mund- und Kiefer-Gesichtschirurgie. Den größten Anteil dieser Patienten bilden Kinder mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenfehlbildung (LKG-Spalte). Hierbei liegt der Schwer punkt auf der postoperativen Pflege. In Gesprächen berichten Eltern immer wieder über Probleme, ihre Ängste und auch über häufig fehlende fachliche Unterstützung im Umgang mit dieser Fehlbildung nach der Geburt ihres Kindes. Vieles davon betrifft die Ernährung, diese steht bei ihnen in den ersten Monaten im Mittelpunkt ihrer Besorgnis. Denn je nach Ausprägung der LKG-Fehlbildung kann es zu erheblichen Trinkschwierigkeiten kommen. Da wir die meisten dieser Kinder in der Regel erst im Alter von mehreren Monaten kennen lernen, wenn die erste operative Korrektur ansteht, ist uns wenig über diese Anfangszeit bekannt. Deshalb haben wir auf unserer Station kaum Erfahrung und Kenntnisse was die Trinkschwierigkeiten dieser Kinder nach der Geburt betrifft. Aus diesem Grund wollte ich diese Facharbeit nutzen, um die Schwierigkeiten und Probleme des Trinkens und die verschiedensten Ernährungsmöglichkeiten für diese Kinder intensiver zu beleuchten. Mit meiner Ausarbeitung möchte ich betroffenen Eltern und ganz besonders Pflegenden die orofazialen Besonderheiten bei Säuglingen mit einer LKGFehlbildung verdeutlichen. Es sollen die daraus entstehenden Trinkschwierigkeiten verständlicher gemacht werden, um diesen Kindern eine weitgehende Normalisierung der Trinkfunktion zu ermöglichen. Mein Dank gilt all denen, die mich bei dieser Facharbeit unterstützt haben. Münster, 20.Mai 2007 ................................................................... Seite 4 Zusammenfassung Diese Facharbeit beschreibt die Ernährungsmöglichkeiten und die Ernährungshilfsmittel bei Säuglingen mit einer LKG-Fehlbildung. Neben Entstehung, Ursachen und operativen Möglichkeiten gibt sie Auskunft über die komplexen Vorgänge der Physiologie des Trinkens und die bei einer LKG-Spalte resultierenden oralen Dysfunktionen. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 5 1. Einleitung In Deutschland wird durchschnittlich jedes 500. Kind mit einer Lippen-KieferGaumenfehlbildung geboren. Das sind pro Jahr ca. 1400 Kinder. Es ist nach den angeborenen Herzfehlern die zweithäufigste Fehlbildung des Menschen. Eine LKGSpalte ist keine Krankheit, sondern eine Fehlbildung, die dank der heutigen Behandlungsmethoden nur vorübergehend besteht. Sie ist reparabel und betrifft in der Regel nur das Gesicht und nicht den “Geist“. Die verschiedenen Behandlungskonzepte zur Korrektur und Normalisierung der Funktionen wie Ernährung, Sprache und Gehör variieren von Klinik zu Klinik. Je nach Umfang der Fehlbildung sind mehrere Operationen erforderlich. In der Regel werden die betroffenen Kinder bis zu ihrem 18. Lebensjahr durch die verschiedenen Fachdisziplinen (Kieferchirurgie, Kieferorthopädie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Logopädie) behandelt bzw. betreut. Ziel der Therapie ist, dass das betroffene Kind zu einem Erwachsenen heranwächst, der dank eines ästhetisch akzeptablen Gesichts, eines guten Gehörs und einer gut verständlichen Sprache in der Gesellschaft ein normales Leben führen kann. 1.1 Im Wandel der Zeit Bereits aus der Antike ist bekannt, dass Kinder mit LKG-Fehlbildungen geboren wurden. Viele dieser Kinder haben aufgrund der Ernährungsproblematik nicht lange überlebt oder wurden aufgrund ihres als fehlerhaft befundenen Erscheinungsbildes versteckt, ausgesetzt oder sogar getötet. Die Eltern, dieser von der Norm abweichender Kinder, wurden stigmatisiert und bekamen den Vorwurf der Selbstverschuldung zu hören. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Abbildung 1: Statue mit Lippenspalte Seite 6 Abbildung 2: Mensch mit Lippenspalte aus Peru Auch wenn es heute mehr Informationen über diese Fehlbildung gibt, trifft man immer wieder auf Vorsicht, Zurückhaltung und auch Abwertung gegenüber anders aussehenden Menschen. In unserer Gesellschaft stellt das Gesicht ein bedeutendes Kommunikationsmittel dar. Aus diesem Grund hört man auch heute noch die aus dem Mittelalter stammenden Ausdrücke: „Wolfsrachen“ für eine Gaumenspalte, „Hasenscharte“ für eine Lippenspalte und „Schafsnase“ für die daraus resultierenden Nasendeformationen. Diese Begriffe aus dem Tierreich sind diskriminierend, abwertend und spiegeln eine Bedrohung wieder. Sie sollten deshalb unbedingt vermieden werden. Für die Betroffenen sind solche Äußerungen und negative Reaktionen sehr schmerzhaft. Im Zeitalter der Pränataldiagnostik kann die Fehlbildung der äußeren Konturen schon frühzeitig festgestellt werden. Leider ist dies z. T. auch eine Indikation zur Abtreibung. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 7 2. Entstehung Definition: Lippen-Kiefer-Gaumenfehlbildung „Ein- oder doppelseitige Hemmungsfehlbildung infolge ausbleibender oder gestörter Verschmelzung der Gesichtsfortsätze im 1. - 2. Embryonalmonat“. [Pschyrembel 1994, S.537] LKG- Fehlbildungen entstehen schon in der frühen Schwangerschaft als Folge eines unvollständigen Verschlusses von Teilen des Nasen-, Rachen- und Mundbereichs. Zwischen der 5. und 7. Schwangerschaftswoche entwickeln sich der Oberkiefer und die Lippen. Zwischen dem 2. und 3. Monat der Schwangerschaft wandern die Gewebsteile des Mundhöhlendachs aufeinander zu und schließen sich zum harten und weichen Gaumen zusammen. Die folgende Abbildung zeigt eine normale Mundhöhle (links Ansicht von innen oben und rechts Mittelschnitt in der Ansicht von innen). Abbildung: 3 1.Lippenrot 2..Lippenweiß 3.Vereinigungsverlauf von Lippen-, Kiefer- und Gaumenelemente 4.harter Gaumen 5.Oberkieferkamm 6.Weicher Gaumen 7.Halszäpfchen 8.Nasenraum 9. Luftröhre 10.Öffnung Eustachische röhre 11.Kehldeckel 12.Speiseröhre Je nach Zeitpunkt der Entwicklungsstörung während der Schwangerschaft und je nach Grad der Schwere, treten verschiedene Fehlbildungen auf. Diese werden in vier Spaltabschnitte unterteilt: 1. Lippe (Oberlippe einschließlich Naseneingang) Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung • Seite 8 Lippenkerbe: Ein Teil der Oberlippe (Lippenrot und Lippenweiß) ist betroffen. Der Spalt erstreckt sich nicht bis zum Naseneingang (siehe Abbildung 4). • Lippenspalte: Öffnung in der Oberlippe zwischen Mund und Nase. Der Spalt in der Oberlippe erstreckt sich vom Lippenrot bis zum Nasenloch. Die Trennstelle befindet sich entlang der Philtrum– Kante (siehe Abbildung 5). Je nach Ausprägung ergibt sich durch den spaltbedingten asymmetrischen Muskelzug eine Deformation der Nasenscheidewand. Der Naseneingang erscheint auf der betroffenen Seite queroval. Bei beidseitigen Spalten ist das zentrale Segment der Oberlippe isoliert. Abbildung 4: Lippenkerbe Abbildung 5: Lippenspalte 2. Kiefer (besonders zahntragender Oberkieferanteil) • Lippen-Kieferspalte: Die Lippe und der zentrale Teil des Oberkiefers sind betroffen. Wie Abbildung 6 zeigt, erstreckt sich der Spalt entlang der Philtrumkante in der Oberlippe und entlang dem seitlichen Schneidezahn des Oberkiefers. Abbildung 6: Lippen- Kieferspalte Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 9 3. Harter Gaumen, bildet den vorderen Teil des Gaumens 4. Weicher Gaumen, bildet den hinteren Teil des Gaumens, auch Velum oder Segel genannt • Gaumenspalte: Beim geringsten Schweregrad tritt nur ein Spalt im Zäpfchen auf. Es kann jedoch ein Spalt im weichen Gaumen (Segelspalte), wie in Abbildung 7, oder die vollständige Trennung des weichen und des harten Gaumens auftreten. Der Mund- und Nasenraum sind dann nicht voneinander getrennt (siehe Abbildung 8). Abbildung 7: Spalte weicher Gaumen Abbildung 8: Spalte harter und weicher Gaumen Die Spalten können unilateral (einseitig) oder bilateral (beidseitig) des Gesichtes auftreten (vgl. Abbildung 9 u. 10). Die linke Seite ist häufiger betroffen, der Grund dafür ist unklar. 15% sind beidseitige Spalten. Abbildung 9: einseitige LKGSpalte Abbildung 10: doppelseitige LKGSpalte Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 10 Die Spalten beginnen entweder an der Lippe und schreiten nach hinten fort (Lippenkerbe, Lippenspalte, Lippen-, Kieferspalte) oder sie beginnen hinten am Zäpfchen und schreiten nach vorne fort (Segelspalte, Spalte des weichen Gaumen, Spalte des weichen und harten Gaumen). Bei den Lippen-Kieferfehlbildungen sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Die isolierten Gaumenspalten betreffen häufiger Mädchen. Ursachen hierfür sind ebenfalls nicht bekannt. Bei den Gaumenspalten können so genannte verdeckte Spalten (submuköse Spalten) auftreten. Die für eine normale Sprechentwicklung und Ohrbelüftung notwendige Muskulatur des weichen Gaumens ist gespalten. Die Spaltung ist von der Mundhöhle aus nicht sichtbar, da sie mit Schleimhaut bedeckt ist. Darum wird diese Fehlbildung häufig erst im Kindergarten- oder Schulalter, durch nasale Aussprache, Hörbeeinträchtigung oder häufige Infekte, erkannt. Je nach Grad der Spaltbildung ist die für die Ernährung, Sprache und Atmung wichtige Trennung von Mund- und Nasenraum und das Zusammenwirken der Muskulatur im Bereich der Lippe und des weichen Gaumens nicht möglich. Somit ergeben sich neben den erkennbaren Störungen im Aussehen, auch funktionelle Störungen. Kinder mit Gaumenfehlbildungen leiden häufig auch an Mittelohrentzündungen, da Mittelohr und Rachen durch die Eustachische Röhre zur Belüftung miteinander verbunden sind. Bei Vorliegen einer Velumspalte ist diese Belüftung gestört und es kann zu rezidivierenden Mittelohrentzündungen kommen. Die Abfluss- und Belüftungsstörungen können durch sogenannte Paukenröhrchen, die in das Trommelfell eingelegt werden, beseitigt werden. Dieser Eingriff erfolgt in Kombination mit dem Lippen- bzw. Gaumenverschluss. 2.1 Ursachen Die Entstehungsursachen für Lippen-Kiefer-Gaumenfehlbildungen sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Man geht von einer Kombination aus erblichen und äußeren Faktoren aus. 15% der Spaltbildungen kommen in Familien vor, in denen mindestens ein Angehöriger ebenfalls an einer solchen Fehlbildung leidet. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 11 Als äußere Faktoren werden folgende genannt [Masaracchia 2005 S.127-128]: • Konsum von giftigen und schädlichen Substanzen, Wohlstandsdrogen • Erhöhte Strahlenbelastung ( Röntgen, radioaktive Strahlen) • Vitaminmangel (Folsäure) oder Überdosierung der Vitamine A und E • Infektionskrankheiten der Mutter • Sauerstoffmangel, Stress, Durchblutungsstörungen Meist müssen mehrere dieser Faktoren zusammenkommen, man spricht auch von einer so genannten multifaktoriellen Entstehung. Die schädigenden Faktoren müssen während der besonders empfindlichen Entwicklungsphase des Gesichtes wirksam sein. Eine LKG-Fehlbildung kann auch in Verbindung mit anderen Entwicklungsstörungen auftreten. Zu 98% treten diese Fehlbildungen aber alleine auf. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 12 3. Operative Behandlungen Je nach Ausprägung der LKG-Fehlbildung sind mehrere Operationen notwendig. Die Zeiträume der einzelnen Verschlüsse, wie auch die Behandlungstechniken, variieren von Zentrum zu Zentrum. Im Folgenden soll hier anhand von Angaben aus dem UKM kurz auf die einzelnen Operationen eingegangen werden: [UKM] • Die Lippenoperation: Der Verschluss der Lippenspalte, verbunden mit einer primären Nasenplastik, wird in der Regel im Alter von 3 – 4 Monaten und einem Gewicht von mind. 5 kg durchgeführt (gilt auch für doppelseitige Spalten). Ziel ist, neben der kosmetischen Korrektur der sichtbaren Spaltbildung, die Wiedervereinigung und Rekonstruktion der Muskelringe im Bereich der Lippe und Nase und dadurch die Normalisierung ihrer Funktion (siehe Punkt 4.1.2). • Verschluss des harten und weichen Gaumens: Dieser Verschluss wird erst im Alter von 7 – 9 Monaten in einer Sitzung durchgeführt. Durch einen zu frühen Verschluss, würde die Narbe am Gaumen das Wachstum des Oberkiefers stören. Ein zu später Verschluss könnte jedoch die Sprachentwicklung beeinträchtigen. Ziel ist die exakte Rekonstruktion der Gaumenmuskeln (siehe Punkt 4.1.2), um eine normale Entwicklung von Gesicht und Sprache zu gewährleisten. • Knöcherner Verschluss der Kieferspalte: Dieser Verschluss wird im Alter von 7 – 9 Jahren durchgeführt, kurz nach Durchbruch der seitlichen Schneidezähne. Bei der Operation wird Knochen aus der Beckengegend in die knöcherne Spalte verpflanzt und somit ein stabiler Kieferbogen geschaffen. • Korrekturoperationen: Korrekturoperationen zur Entfernung von störenden Narben im Bereich der Lippe und Nase, Korrekturen der Nasenstellung oder auch sprechverbessernde Operationen werden in der Regel vor der Einschulung durchgeführt. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 13 4. Ernährung Definition: Ernährung „Ernährung ist die Aufnahme von Nahrungsstoffen, die ein Organismus zum Aufbau seines Körpers, zur Aufrechterhaltung seiner Lebensfunktionen und zum Hervorbringen bestimmter Leistungen in verschiedenen Lebenslagen benötigt. Ernährung ist eine Vorraussetzung für die Lebenserhaltung jedes Lebewesens.“ [wikipedia 2007] 4.1 Physiologie des Trinkens bzw. Saugens Voraussetzungen für das Trinken und somit für die Nahrungsaufnahme eines Säuglings sind eine ausreichende Muskelkraft des Kindes und die Koordination von Saugen, Schlucken und Atmung. Am Saugen und Schlucken sind folgende Strukturen beteiligt: Ober- und Unterkiefer, Lippen- und Wangenmuskulatur, Zunge, Gaumen, Mundboden, Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre. Das Atmen erfolgt beim Säugling über die Nase. Das Saugverhalten eines Säuglings an der Brust unterscheidet sich von dem des Saugers oder Schnullers. Dieses wird in den Abschnitten 4.1.3 und 4.1.4 näher erläutert. 4.1.1 Die oralen Reflexe Die dem Säugling angeborenen oralen Reflexe bilden die Grundlage zum Saugen und Schlucken. Sie sind die Bausteine zur Entwicklung von kontrollierbaren, motorischen Bewegungsabläufen. Die automatisierten Abläufe gehen ab dem 4. - 6. Monat langsam in willkürliche, steuerbare Bewegungen über. Persistieren diese Reflexe allerdings über einen zu langen Zeitraum, so wird die physiologische Entwicklung der orofacialen Bewegungen beeinträchtigt [Morris/Klein 2001 S.2729]. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 14 Im Folgenden soll kurz auf die Reflexe eingegangen werden [Morris/Klein 2001 S.26-27]: • Rooting-Reflex (Suchautomatismus), bereitet den Säugling auf die Nahrungsaufnahme vor. Der Säugling wendet sich dem Berührungsreiz zu z.B. beim Streichen über die Wange. • Saug-Schluck-Reflex, wird durch Berührung der Lippen ausgelöst. • Würgreflex (Schutzreflex), wird ausgelöst bei Stimulation des hinteren Zungenbereiches und der Rachenhinterwand. • Transversaler Zungenreflex, wird ausgelöst durch Berührungs- oder Geschmacksreize der Zungenseite. • Palmomentaler-Reflex (Hand-Mund-Reflex), durch Berührung der Handfläche -> Faltung des Kinns des Säuglings durch den Musculus mentalis (Kinnmuskel). • Babkin-Reflex (Hand-Mund-Reflex), wird durch Druck auf die Basis der Handfläche ausgelöst, der Mund des Kindes öffnet sich, die Augen werden geschlossen und der Kopf wird vorgeschoben. • Greifreflex (Hand-Mund-Reflex), ist eng mit dem Saugreflex verbunden, durch Saugen verstärkt sich dann der Griff. 4.1.2 Die orofaziale Muskulatur Für die Koordination von Saugen, Schlucken und Atmung sind eine Reihe von Muskeln notwendig. Die wichtigsten werden wie folgt benannt (siehe Abbildung 14): 1. Die periorale Muskulatur [von der Ohe 2007] Der Buccinatormechanismus (Saugmechanismus), bildet die muskuläre Basis für das Saugen. Es ist ein perioral zirkuläres Muskelsystem und wird durch diese drei Muskeln gebildet: Musculus orbicularis oris (Ringmuskel), Musculus buccinator (Wangenmuskel) und Musculus constrictor pharyngeus superior. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 15 Das radiäre Muskelsystem, liegt über dem zirkulärem System und ist durch einen Muskelknoten neben den Mundwinkeln mit dem Zirkulärem Muskelsystem speichenartig verbunden. 2. Die Gaumenmuskulatur (siehe Abbildung 11) [Morales 1998 S.47] Musculus levator veli palatini (Gaumenheber) Musculus tensor veli palatini (Gaumenspanner) Musculus uvulae (Zäpfchenmuskel) Musculus palatoglossus, formt den vorderen Gaumenbogen Musculus palatopharyngeus, formt den hinteren Gaumenmuskel Abbildung 11: Gaumenmuskulatur Diese Muskeln bezeichnen die Muskulatur des weichen Gaumens und der Gaumenbögen. Sie dienen dem Schluckakt und der Aussprache. Der weiche Gaumen ist dank dieser Muskulatur beweglich. Er trennt Nasen- und Mundraum voneinander [DocCheck® 2007]. Beim Saugen und Schlucken sind sowohl die periorale als auch die Gaumenmuskulatur aktiv. Auch die Tätigkeit der Zunge wird in diesem Zusammenspiel mit einbezogen, sie hat ihre physiologische Lage im vorderen Mundbereich. In Ruhe zeigen die Muskeln ebenfalls Wirkung, die Kräfte wirken modellierend auf die knöchernen Strukturen. Diese sind beim Kind noch weich und somit leicht verformbar. Wird die Muskulatur in dieser Zeit nicht in der richtigen Weise Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 16 gebraucht, so kann die physiologische Entwicklung des orofacialen Bereiches beeinträchtigt werden. Saugen, Schlucken und später das Kauen prägen unser Aussehen und Mimik im Bereich des Mundes. Außerdem sind diese Muskelfunktionen Grundlage für die Sprachentwicklung. 4.1.3 Das physiologische Saugverhalten an der Brust Die Mamille (Brustwarze) ist weich und nachgiebig, sie passt sich dem Mund des Kindes an und wird beim Trinken etwas in die Länge gezogen, somit erreicht sie den Saugpunkt am Übergang vom harten zum weichen Gaumen. Dieser wird als physiologischer Saugpunkt bezeichnet (vgl. Abbildung 12). Beim Saugen entsteht eine „Kommunikation“ zwischen Mamille und Mund des Kindes. Zunge und Kiefermuskulatur arbeiten koordiniert zusammen. Der Säugling muss zum Trinken den Mund weit öffnen, dann schließen sich die Lippen um die Mamille. Die Zunge liegt über der Kieferleiste und umfasst die Mamille und den Warzenvorhof. Dann bewegt sich die Zunge rückwärts, um die Brustwarze in den Mund zu holen und sie gegen den harten Gaumen zu drücken. Lippen, Zahnleiste und Zunge schließen die Mundhöhle luftdicht ab, sodass ein Unterdruck entsteht. Dieser wird benötigt um die Brustwarze in der richtigen Position zu halten. Mit wellenartigen Bewegungen der Zunge wird die Milch aus der Warze gedrückt und in den hinteren Gaumenbereich gestrichen, wo sie dann geschluckt wird. Dieses Saugen, welches als „Melken“ bezeichnet wird, stimuliert den Milchflussreflex bei der Mutter. 4.1.4 Das physiologische Saugverhalten aus der Flasche Der künstliche Sauger ist meist kurz, relativ steif und bereits vorgeformt. Der Saugpunkt liegt in der Mitte des Gaumens (vgl. Abbildung 13). Der Mund des Kindes braucht sich nur wenig öffnen, er muss den Sauger nicht aktiv einsaugen, sondern er wird ihm in den Mund gesteckt. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 17 Somit ist auch der Lippenschluss zum Halten des Saugers nicht erforderlich. Die Zunge liegt beim Trinken hinter der Zahnleiste. Zunge und Kiefermuskulatur müssen nicht koordiniert zusammenarbeiten, denn durch die Schwerkraft und den Saugdruck in den Wangen des Säuglings fließt die Milch in den Mund. Die verschiedenen Saugerformen und Schnuller erfordern jeweils ein anderes Saugverhalten. Der Wechsel zwischen Brust, Saugern und Schnullern kann deshalb beim Kind leicht zu einer Saugverwirrung führen. Da das Kind sich jedes Mal umgewöhnen muss, ist es möglich, dass es aus der Flasche trinkt, jedoch nicht mehr an der Brust saugen kann. Eine Saugverwirrung sollte besonders in den ersten 4 - 6 Wochen nach der Geburt vermieden werden. Abbildung 12: Saugverhalten an der Brust Abbildung 13: Saugverhalten aus der Flasche 4.2 Orofaziale Dysfunktion bei LKG- Fehlbildungen Ein Säugling muss bestimmte Vorraussetzungen erfüllen um Nahrung aufnehmen zu können. Diese Vorraussetzungen sind bei Kindern mit einer LKG- Fehlbildung teilweise gestört. Je nach Ausprägung kommt es zu Problemen beim Trinken, die wie folgt beschrieben sind: • Orale Reflexe: Die oralen Reflexe sind vorhanden, arbeiten jedoch nicht effizient, gerade der Saug- und Schluckreflex. Für diese Kinder ist es schwierig eine Saugwirkung beim Trinken aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung • Seite 18 Orofaziale Muskulatur: Bei einer Lippenspalte ist die Kontinuität der perioralen und radiären Muskulatur unterbrochen und kann somit nicht störungsfrei zusammenarbeiten (vgl. Abbildung 14 u. 15). Der komplette Lippenschluss ist nicht möglich, somit kann der intraorale Unterdruck nicht hergestellt werden. Beim Trinken wird außerdem vermehrt Luft geschluckt. Bei Beteiligung der Nase kann es zu Behinderungen der Atmung kommen. Die Atmung erfolgt dann über den Mund. Bei einer Gaumenspalte kommt es aufgrund der nicht vereinigten Gaumenmuskulatur zur unvollständigen oder fehlenden Trennung von Nasen- und Mundhöhlenraum. Dieses führt dazu, dass diese Kinder sich leichter verschlucken und dass beim Trinken Nahrung aus der Nase läuft. Das Gaumensegel kann zu kurz und/oder zu wenig beweglich sein. Der nötige Unterdruck im Mund kann nicht aufgebaut werden. Außerdem liegt die Zunge unphysiologisch im Mund, sie reicht nicht weit genug in den vorderen Mundraum, da der Säugling schon intrauterin versucht den Spaltabschnitt abzudecken. Beim Stillen ist es darum für den Säugling schwierig die Brustwarze in der richtigen Position zu halten. Diese aufgeführten Probleme resultieren aus den anatomischen Veränderungen. Die Kinder, die keine weiteren Fehlbildungen haben, können durch veränderte Muskelbewegungen diese Probleme kompensieren. Den meisten Säuglingen gelingt das auch, durch eine gute Anleitung und Aufklärung der Eltern, über spezielle Fütterungspositionen, Fütterungstechniken und geeignete Hilfsmittel. Abbildung 14: Normale Anatomie der mimischen Muskulatur Abbildung 15: Falsch ansetzende mimische Muskulatur bei einseitiger LKG-Spalte Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 19 5. Ernährungsmöglichkeiten bei LKG-Fehlbildungen Es gibt heute viele Möglichkeiten Kinder mit einer LKG-Fehlbildung zu ernähren. Im Handel sind die verschiedensten Flaschen, Sauger, Becher... und auch Utensilien zum Stillen erhältlich. Diese Produkte werden immer weiter entwickelt, um sich auf die Bedürfnisse und Probleme der Kinder einzustellen. 5.1 Stillen Bei isolierten Lippenspalten oder Lippen-Kieferspalten gibt es in der Regel keine Probleme. Der Defekt wird von der Brust abgedeckt und das Trinken ermöglicht. Ist der fehlende Lippenabschluss zu groß und kann die Brustwarze vom Kind nur erschwert angesaugt werden, kann es hilfreich sein den Defekt mit dem Finger abzudecken. Bei isolierten Gaumenspalten hat sich eine aufrechte Haltung des Kindes als günstig erwiesen. Diese wird unter Stillpositionen näher erklärt. Bei durchgängigen LKG- Spalten wird es schwieriger ein Kind zu stillen, vor allem bei den doppelseitigen Spalten. Es treffen alle aus Kapitel 4.2 genannten Probleme zusammen und sind deshalb schwierig für das Kind zu kompensieren. Durch besondere Stillpositionen oder auch das Tragen einer Mund-NasenTrennplatte (MNT), kann das Stillen manchmal erleichtert werden. Als hilfreiche Stillpositionen werden folgende genannt [WRG 2004 S.10], [Masaracchia 2005 S.62-64]: • DanCer-Position, nach Danner und Cerutti (siehe Abbildung 16), ein Griff, der die Wangenmuskeln des Kindes satter an das Brustgewebe bringt, ihm hilft die Brustwarze festzuhalten und somit das Trinken erleichtern soll. Mit Daumen und Zeigefinger der Mutter wird ein „U“ gebildet, in dem das Kinn des Säuglings ruht, die restliche Hand stützt die Brust. Ein nach vorne neigen des Oberkörpers bewirkt zusätzlich, dass durch die Schwerkraft der Milchfluss erleichtert wird. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung • Seite 20 Sitzende Position (siehe Abbildung 17), diese Position soll die Zunge des Säuglings vorne halten, ein gleichzeitiges Trinken und Atmen ermöglichen und ein Verschlucken vorbeugen. Der Säugling sitzt mit gespreizten Beinen auf dem Oberschenkel der Mutter in einer aufrechten Position. Abbildung 16: DanCer-Position Abbildung 17: Sitzende Position Das Stillen bedeutet für die Mutter wie auch für das Kind Zeit, Willen und viel Geduld. Es ist ein Lernprozess. Der Säugling muss durch eine bestimmte Trinktechnik lernen die Brust zu leeren. Dieser Prozess kann vier bis acht Wochen dauern. Trinkt das Kind keine ausreichenden Mengen muss zugefüttert werden. Um den Säugling nicht zu verwirren (vgl. Kapitel 4.1.4), sollten Hilfsmittel ohne Saugverwirrung benutzt werden. Diese werden unter Punkt 5.3 näher beschrieben. Trinkt das Kind zwar ausreichende Mengen, kann es trotzdem sein, dass es nicht kräftig genug saugt, um die Brust richtig zu leeren, der Milchspendereflex kann dann nicht ausgelöst werden. Die Milchbildung hängt eng mit dem richtigen „Saugen“ zusammen. Manchmal ist es deshalb notwendig zusätzlich zum Anlegen auch Milch abzupumpen, um die Milchproduktion zu steigern und das Milchangebot leichter verfügbar zu machen. Um dem Säugling einen guten Stillbeginn zu ermöglichen sollte es, wie jedes „normale“ Neugeborene auch, so schnell wie möglich (ideal innerhalb der ersten 60 Minuten) an die Brust gelegt werden, auch wenn es die Brustwarze nicht richtig Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 21 fassen kann. Der Saugreflex ist bei einem Neugeborenen 20 bis 30 Minuten nach der Geburt am stärksten. Dann wird er langsam schwächer und erst nach einigen Tagen wieder intensiver. 5.2 Flasche Es sind eine Vielzahl von unterschiedlichen Flaschen und Saugern im Handel erhältlich. Einige Kinder kommen gut mit den herkömmlichen Flaschen und Saugern zurecht. Eine Vergrößerung des Saugschlitzes, um die Fütterungszeit zu verkürzen, sollte vermieden werden, denn dadurch kommt es zum Überfluten des Rachenraumes. Um sich nicht zu verschlucken zieht das Kind automatisch die Zunge nach hinten, wodurch neben einer Zungenfehlhaltung auch ein falsches Schluckmuster entsteht. Dieses ist für die spätere Sprachentwicklung ungünstig. Außerdem wird der vordere Anteil der Zunge nicht trainiert und dadurch nicht kräftiger. Wie beim Stillen sollte das Kind mit einer Gaumenfehlbildung auch beim Füttern aus der Flasche in aufrechter Position gehalten werden. Solange die Gaumenspalte nicht verschlossen ist, kann beim Füttern immer etwas Nahrung aus der Nase laufen. 5.2.1 Spezielle Lippen- und Gaumenspaltsauger Folgende werden von der Firma NUK® angeboten (siehe Abbildung 18) [NUK®]: • Der Gaumenspaltsauger, ist ohne Lochung und hat ein breites Mundstück, der die Spalte im Gaumen verschließt. Die Lochung muss für jedes Kind individuell eingebracht werden. Es sollte ein seitliches Loch auf der Oberseite des Mundstücks angebracht werden (bei einseitigen Spalten auf der gegenüberliegenden Spaltseite), damit die Nahrung nicht in die Spalte läuft, sondern durch die Wangentaschen nach hinten abfließen kann. • Der Lippenspaltsauger, wurde als Trinkhilfe konzipiert für Kinder mit unilateraler Spalte und eingesetzter Gaumenplatte. Er bedeckt den äußeren Bereich der Spalte und schließt so die Mundhöhle ab. Dadurch soll ein intraoraler Unterdruck aufgebaut werden. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 22 Diese Sauger finden in der Praxis kaum noch Verwendung, sie werden mittlerweile von speziellen Flaschensystemen abgelöst. Abbildung 18: Gaumen- und Lippenspaltsauger (v. links) 5.2.2 Flaschensysteme Die Firma Playtex® (siehe Abbildung 19) bietet ein Fütterungssystem mit einem weichen Einwegbeutel an, der in eine Flaschenvorrichtung eingebracht wird. Dieser elastische Beutel fällt beim Füttern in sich zusammen, es kann also innen kein Vakuum entstehen. Das Baby saugt leicht und ohne Anstrengung in gleichmäßigen, kleinen Schlucken, wodurch vermieden wird, dass es sich verschluckt. Allerdings sind die Sauger recht kurz. Das Saugverhalten ähnelt dem der herkömmlichen Sauger. Abbildung 19: Playtex® - Flasche Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 23 Die Firma Medela® bietet den SpecialNeeds® an (siehe Abbildung 20/21), ein speziell entwickelter Silikonsauger für Babys mit Saugproblemen, insbesondere für Säuglinge mit LKG-Fehlbildungen. Dieser Sauger wurde von einer betroffenen Mutter, Mrs. Haberman, entwickelt, deshalb wird er auch Haberman-Sauger genannt. Das Saugverhalten ähnelt dem des Stillens. Außerdem hat der Sauger die Länge einer in die Länge gezogenen Brustwarze und soll somit den physiologischen Saugpunkt erreichen (siehe Punkt 4.1.3). Schraubdeckel Silikon-Sauger mit einem Spalt-Ventil an der Öffnung und Markierungen, um die Positionen des Spaltes im Mund des Kindes anzuzeigen Membrane Ventilplatte mit Luftrille auf der Unterseite Abbildung 20: SpecialNeeds® Abbildung 21: Aufbau des Habermann-Systems Funktionsprinzip des Haberman-Systems [WRG]: • Es geht gleich viel Luft in den Sauger herein, wie Milch heraus, es bildet sich kein Vakuum. Bei konventionellen Flaschen/Saugern schlucken die Säuglinge Luft, weil sich in der Flasche ein Vakuum bildet wenn die Milch herausfließt. • Es gibt verschiedene Fließvarianten, die Öffnung des Saugerspaltes kann gewählt werden (Minimumfluss, Mediumfluss, Maximumfluss). Der Milchfuss ist kontrolliert, die Spaltöffnung lässt nicht mehr Milch durch als ein Säugling normalerweise pro Zug nimmt. • Die Sauganstrengung wird nicht auf die ganze Flasche, sondern nur auf den Sauger ausgedehnt. • Der Sauger reagiert auf Zungenbewegung, dadurch ist kein starkes Saugen nötig. Der Sauger fördert die Streichaktion ähnlich dem des Stillen. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 24 5.3 Spezielle Hilfsmittel 5.3.1 Brusternährungsset Die sich in einer Plastikflasche befindende Milch hängt der Mutter um den Hals. Von da aus geht ein feines Schläuchlein, das an der Brust festgeklebt wird und an der Brustwarze endet, zum Mund des Säuglings (siehe Abbildung 22). Die Mutter reguliert den Milchfluss über die Flasche, dadurch gelangt die Milch dem Kind in den Mund. • Vorteile: ermöglicht der Mutter und dem Kind ein fast normales Stillen führt zu keiner Saugverwirrung orofaziale Muskulatur wird trainiert Saugbedürfnis des Kindes wird gestillt • Nachteile: hoher Kostenaufwand hoher Zeitaufwand, Milch muss erst abgepumpt und das System angebracht werden Abbildung 22: Brusternährungsset Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 25 5.3.2 Becher/SoftCup™ Bei der Becherfütterung kann man den Verschlussdeckel einer Babyflasche oder spezielle Trinkbecher aus dem Handel benutzen (siehe Abbildung 23). Das Kind sitzt möglichst in aufrechter Position. Der Becher wird dem Kind an die Unterlippe gesetzt und langsam die Milch in den Mund gekippt. Es soll nur soviel Milch fließen wie das Kind schlucken kann. Alternativ dazu gibt es den SoftCup™ von der Firma Medela® (siehe Abbildung 24). Ein spezieller Trinkbecher mit weichem, löffelförmigem Mundstück und Ventil. Das Mundstück füllt sich durch Zusammendrücken der Kammern automatisch nach. Prinzip wie beim SpecialNeeds® (siehe Punkt 5.2.2). • Vorteile: führt zu keiner Saugverwirrung • Nachteile: orofaziale Muskulatur wird nicht trainiert Saugbedürfnis des Kindes wird nicht gestillt Becher: Fließgeschwindigkeit und Milchmenge schlecht regulierbar Abbildung 23: Becher Abbildung 24: SoftCup™ Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 26 5.3.3 Fingerfeeder Die Milch wird über einen weichen Silikon-Ernährungsaufsatz, der auf einer Spritze sitzt verabreicht. Die Spalte wird mit dem Finger, (der Fingernagel zeigt Richtung Zunge), nach oben abgedeckt. Um den Saugreflex auszulösen soll zuerst der Finger in den Mund des Säuglings gelegt werden, bei Saugbewegungen des Kindes, schiebt man vorsichtig den Feeder in den Mundwinkel und tröpfelt die Milch hinein. (vgl. Abbildung 25). • Vorteile: Saugbedürfnis des Kindes kann gestillt werden orofaziale Muskulatur wird trainiert • Nachteile: hoher Zeitaufwand Falsches Schluckmuster kann sich einstellen Fließgeschwindigkeit und Milchmenge schlecht zu regulieren Abbildung 25: Fingerfeeder Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 27 5.3.4 Magensonde (siehe Abbildung 26) Auf eine Magensonde sollte nach Möglichkeit verzichtet werden. Kann das Kind, auch nicht über die oben genannten Hilfsmittel, ernährt werden, wird die Sondenernährung jedoch notwendig. Dann sollte aber zusätzlich zur Sondierung, das Kind ausreichend oral stimuliert werden. Entweder an der Brust, den Saugern oder mit dem Fingerfeeder. Ansonsten kommt es zur Hypotrophie der Mundmuskulatur, welche sich negativ auf die weitere Entwicklung des Kindes auswirkt. • Vorteile: niedriger Kalorienverbrauch des Kindes niedriger Zeitaufwand • Nachteile: orofaziale Muskulatur wird nicht trainiert Saugbedürfnis des Kindes wird nicht gestillt Verstärkung des Würgreflexes durch Vorverlagerung in den Mundraum Abbildung 26: Säugling mit Magensonde Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 28 6. Die Mund-Nasen-Trennplatte Die Mund-Nasen-Trennplatte (MNT) (siehe Abbildung 27 u. 28), auch Gaumenoder Trinkplatte genannt, gehört in den meisten Kliniken Deutschlands bei Vorliegen einer Gaumenfehlbildung zum Behandlungskonzept. Sie soll folgende Funktionen erfüllen: 1. Trennung von Mund- und Nasenhöhle 2. Veränderung der Zungenruhelage 3. Kieferorthopädische Bewegung der Kiefersegmente 4. Verbesserung der Trinkfunktion des Säuglings Die Platte wird dem Säugling in den ersten Lebenstagen vom Kieferorthopäden angepasst. Dabei wird ein Abdruck vom Oberkiefer genommen und eine Kunststoffplatte hergestellt. An der dem Mund zugewandten Seite sind Rillen angebracht, welche zur Orientierung der Zunge dienen. Die Platte soll bis zum Verschluss des Gaumens getragen werden. Abbildung 27: verstellbare Gaumenplatte Abbildung 28: Gaumenplatte Einige wenige Kliniken, so auch das UKM, verzichten bewusst auf die Therapie mit einer MNT bzw. verwenden diese nur in seltenen Fällen. Durch die Therapie mit der MNT wird der Mund- vom Nasenraum getrennt und auch die zurückverlagerte Zunge nach vorne gebracht. Dennoch gibt es Studien über die Verwendung dieser Platten, die zeigen, dass sie dem Säugling keinen wesentlichen Vorteil bringen, weder in der Verbesserung der Trinkfunktion noch in der Angleichung der Kiefersegmente. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 29 Sie bringen dem Säugling mehr Nachteile, diese werden wie folgt beschrieben: • Durch das Tragen der MNT kann es leicht zu schmerzhaften Druckstellen im Mund kommen. Auch die häufigen Manipulationen, das Herausnehmen und das Einsetzen der Platte, können zu schmerzhaften Schleimhautreizungen der Mundschleimhaut führen. • Durch die wachstumsbedingte Veränderung des Oberkiefers bedarf es einer engmaschigen und regelmäßigen Kontrolle der Platte (ca. alle 4 Wochen) durch den Kieferorthopäden und ggf. eine Neuanpassung. Zur Herstellung ist jedes Mal eine Abformung des Oberkiefers notwendig. Hierzu muss der Säugling nüchtern sein, denn bei der Abformung kann der ausgelöst werden und somit besteht die Gefahr einer Aspiration. Würgereiz Deshalb muss der Abdruck auch immer in Anästhesiebereitschaft durchgeführt werden. • Die Platte soll feucht eingesetzt werden, damit sie über Adhäsionskräfte am Gaumen hält. Aber ein suffizienter Halt der Platte ist, vergleichbar bei einem zahnlosen Kiefer im Alter, schwierig zu erzielen. Adhäsionskräfte über den Speichelfilm alleine reichen nicht aus. Zumeist wird die Platte aktiv vom Säugling mit der Zunge in Position gehalten, was bedeutet, dass während der Schlafphase die Funktion der Platte nicht erzielt wird. Somit muss der Halt mit einer Haftcreme unterstützt werden, dies erscheint nicht zuletzt aus hygienischer Sicht problematisch. • Eine Verbesserung der Trinkfunktion ist nicht unbedingt gegeben, zumal eine komplette Abdichtung von Mund- und Nasenraum nicht erzielt wird. Einige Kinder können mit dieser Platte überhaupt nicht trinken, sodass sie vor der Mahlzeit herausgenommen werden muss. Auch schmerzt die Platte einigen Müttern beim Stillen ihres Kindes und kann in der Zeit deshalb nicht getragen werden. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 30 Ist eine MNT erforderlich, sollte im Umgang folgendes beachtet werden: • Die Platte soll kontinuierlich getragen und nur zum Reinigen herausgenommen werden. • Es muss regelmäßig auf Druckstellen und Reizungen im Mundbereich des Kindes geachtet werden. • Die Reinigung der Platte sollte mind. zweimal am Tag mit warmem Wasser und einer weichen Zahnbürste erfolgen. Idealerweise vor dem Trinken reinigen, um ein Aufstoßen der Nahrung zu vermeiden. Außerdem kann sich die Platte während des Trinkens wieder gut einlagern. • Der Gaumen sollte nach Entfernung der Platte mit einem weichen Watteträger oder Mullkompresse gereinigt werden. Haftcreme vollständig und vorsichtig entfernen, um einer Pilzinfektion vorzubeugen. • Wenn Haftcreme erforderlich ist, dann so wenig wie möglich. • Die Platte kann zwar verrutschen, aber nicht verschluckt werden. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 31 7. Die Orofaziale Regulationstherapie (nach Castillo Morales) Die Mundmuskulatur spielt eine wesentliche Rolle in der orofazialen Entwicklung. Deshalb ist es auch so wichtig das diese Muskulatur ausreichend trainiert wird. Bei einigen Kindern mit einer LKG-Fehlbildung kann, um die Folgen der Fehlbildung zu reduzieren, eine unterstützende Therapie notwendig sein. Wie z.B. die orofaziale Regulationstherapie (ORT) nach Castillo Morales. Die ORT wurde in den 70er Jahren von den Rehabilitationsärzten, Dr. Castillo Morales und Dr. Juan Brondo in Argentinien entwickelt. Sie sammelten ihre Erfahrungen aus der Arbeit mit Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenfehlbildungen und bei Kindern mit Down Syndrom. Das Behandlungskonzept ist international anerkannt und besteht aus zwei Teilen [Morales 1998 S.19]: • Die Neuromotorische Entwicklungstherapie (NET), richtet sich auf den ganzkörperlichen Bereich • Die Orofaziale Regulationstherapie (ORT), stellt den orofazialen Bereich in den Vordergrund, für Patienten mit sensomotorischen Störungen im Bereich des Gesichts, Mundes und Rachens, besonders bei Saug-, Kau-, Schluck- und Sprachstörungen Die Therapiekonzepte sind für Frühgeborene, Säuglinge, Kinder und Erwachsene mit z.B. Muskelhypotonien, Zentralmotorischen Störungen, neuromuskulären Erkrankungen. Ziele der Behandlung sind folgende[Morales e.V 2007]: • Wahrnehmungsentwicklung • Verbesserung der Aufrichtung und Bewegung • Förderung, Eigeninitiative und Selbstständigkeit • Aktivierung und Regulierung der orofazialen Funktionen wie Saugen, Schlucken, Speichelkontrolle, Kauen, Mimik und Artikulation Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung • Seite 32 Erweiterung der nonverbalen und verbalen Kommunikationsmöglichkeiten Durch bestimmte Übungen wird das Zusammenspiel von Körper-, Hand- und Mundmotorik verdeutlicht und das differenzierte und harmonische Zusammenspiel aller Muskelgruppen des Gesichts-, Mund- und Rachenbereiches untereinander aktiviert. Diese Behandlung wird von Physiotherapeuten oder Logopäden, mit der entsprechenden Ausbildung für die orofaziale Regulationstherapie, durchgeführt. Wann und wie lange so eine Therapie notwendig ist, wird individuell entschieden. Diese Therapie wird dann alle 4 - 6 Wochen angewandt und auch den Eltern werden einige Handgriffe für zu Hause gezeigt. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 33 8. Schluss Es gibt viele Möglichkeiten ein Kind mit einer LKG-Fehlbildung zu ernähren, jedoch ist und bleibt es eine Herausforderung. Eine Herausforderung die Zeit und Erfahrung kostet. So wie jedes Kind anders ist, ist auch jede Spalte anders. Die Besonderheit jedes einzelnen Kindes sollte berücksichtigt und die individuelle Möglichkeit zum Trinken gefunden werden. Durch die Zusammenarbeit mit der Kieferchirurgie während dieser Facharbeit kam die Idee, Eltern von Kindern mit LKG-Fehlbildungen eine bessere und umfangreichere Aufklärung über diese Fehlbildung zukommen zulassen. Es wird in nächster Zukunft, eine Informationsbroschüre für das UKM erstellt, die neben den Themen wie Ursachen, operative Behandlungen auch Themen wie z. B die Ernährung und Ernährungsmöglichkeiten, stationärer Aufenthalt oder Logopädie beinhalten soll. Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 34 Quellenverzeichnis [DocCheck® 2007] DocCheck® Flexikon: Homepage, Gaumenmuskulatur, 05.05.2007 http:://beta.flexikon.doccheck.com/Gaumenmuskulatur Herzog-Isler, Christa u. Honigmann, Klaus: Lasst uns etwas Zeit/ Wie Kinder mit einer Lippen -und Gaumenspalte gestillt werden können, Medela AGSonderausgabe 1996 [Masaracchia 2005] Masaracchia, Regina: Gespaltene Gefühle. 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Jahrgang, S.6 Abbildung 3: Universität Zürich: Homepage, Zentrum für LKG- Spalten, 18.05.2007 http://www.lkg-zentrum.uzh.ch Abbildung 4-10: Wikipedia: Homepage, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte, 08.10.2006 http://de.wikipedia.org/wiki/Lippen-,_Kiefer-,_Gaumenspalte Abbildung 11: Morales, Castillo: Die orofaziale Regulationstherapie, 2.Auflage, München, Bad Kissingen, Berlin, Düsseldorf, Heidelberg (Verlag Richard Pflaum GmbH) 1998 S.47 Abbildung 12 und 13: Frank, Christina/Linderkamp,Otwin/Pohlandt,Frank: Das Frühgeborene optimal ernähen und pflegen, 1.Auflage, Mainz 2005 (Verlag Kirchheim + Co GmbH) S.175 Abbildung 14 und 15: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung von Angehörigen e.V.: Kommunikation zwischen Partnern/ Lippen-Kiefer-Gaumen-Fehlbildungen, 1.Auflage, Mönchengladbach, 2006, S.6 Abbildung 16 und 17: Masaracchia, Regina: Gespaltene Gefühle. Zürich: Oesch, 2005, S.63 Abbildung 18: Gaumen- und Lippenspaltsauger Ernährung bei Säuglingen mit einer Lippen- Kiefer-Gaumenfehlbildung Seite 37 Abbildung 19: Playtex®-Flasche Abbildung 20: SpecialNeeds® Abbildung 21: Gebrauchsanweisung : SpecialNeeds® Abbildung 22 und23: Medela: Homepage,17.05.2007 http://www.medela.ch/D/de/breastfeeding/products/nursing.php Abbildung 24: SoftCup™ Abbildung 25: Herzog-Isler, Christa u. Honigmann, Klaus: Lasst uns etwas Zeit/ Wie Kinder mit einer Lippen -und Gaumenspalte gestillt werden können, Medela AGSonderausgabe 1996, S.14 Abbildung 26: Säugling mit Magensonde Abbildung 27: verstellbare Gaumenplatte Abbildung 28: Herzog-Isler, Christa u. Honigmann, Klaus: Lasst uns etwas Zeit/ Wie Kinder mit einer Lippen -und Gaumenspalte gestillt werden können, Medela AGSonderausgabe 1996, S.11