Konzept-Broschüre - Lernort Zivilcourage

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Konzept-Broschüre - Lernort Zivilcourage
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Was bietet dieses Heft?
Anhang:
Das Projekt
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Lernort? Die
Aufgabe
Was möchten
wir erreichen?
Der Ansatz
Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.
Man muss den rollenden Schneeball zertreten, die Lawine hält keiner mehr auf.
Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.
Erich Kästner 1958
Warum Kislau?
Der Ort
Wie soll der
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Wie wollen wir arbeiten?
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S. 2
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S. 24
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S. 25
Ankommen:
Die Lobby
S. 12
Eintauchen:
Die Zeitschleuse
S. 14
Nachspüren:
Der Geschichtsparcours
S. 16
Aushandeln:
Das Forum
S. 18
Erkunden:
Das Außengelände
S. 20
S. 25
Unser Gestaltung
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2
WARUM EIN NEUER
HISTORISCHER LERNORT?
Die Aufgabe
Die NS-Geschichte allein von ihrem Ende her zu erzählen,
von den Leichenbergen, verschließt […] den Weg zurück zu
den Anfängen. Die entscheidende Frage ist, wie sich diese
Gewalt aus einer modernen Gesellschaft […] heraus entwickeln konnte.
Harald Welzer 2002
Die Ausgangslage
In Baden-Württemberg gibt es viele kleine und wenige
größere Gedenkstätten, die sich mit der Geschichte des
Nationalsozialismus befassen. Wie beim Gros vergleichbarer Einrichtungen in Deutschland stehen dort entweder
die Verfolgung und der Terror des NS-Regimes oder aber
der späte Widerstand gegen die Diktatur ab 1939 im
Mittelpunkt der Betrachtung. Alle diese Gedenkstätten
leisten seit Jahren einen erfolgreichen Beitrag zur Erinnerungsarbeit und zur Demokratievermittlung.
Die Perspektiven erweitern
Wir vom Lernort Zivilcourage & Widerstand e. V. (LZW)
möchten im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus vor allem zwei Fragen in den Vordergrund stellen, die wir als zentral für unsere Gesellschaft
erachten: Wie lässt sich die Aushöhlung einer Demokratie
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beizeiten erkennen und wie können wir ihr entgegensteuern? In diesem Sinne möchten wir auch die Vorgeschichte der NS-Diktatur und ganz konkret das Wirken
von Menschen in den Fokus rücken, die sich dem Gang in
die Diktatur entgegenstemmten und die Weimarer Republik gegen ihre Feinde verteidigten. Viele dieser Menschen
setzten sich auch noch nach der NS-„Machtergreifung“
unter akuter Gefahr für Leib und Leben gegen das sich etablierende Regime ein. Neben dem späten Widerstand gilt
es auch diesen frühen Widerstand in den Blick zu nehmen.
Neue Vermittlungsformen entwickeln
Für heutige Jugendliche ist die Zeit des Nationalsozialismus im Wortsinne Geschichte: Nur die wenigsten jungen
Menschen haben heute noch einen persönlichen Bezug
zu Zeitzeugen. Gleichzeitig steigt in unserer Migrationsgesellschaft die Zahl derer, die aus einer anderen
Perspektive auf diesen Teil der deutschen und europäischen Geschichte blicken und neue Impulse einbringen.
Vor diesem Hintergrund möchten sich junge Menschen
dem Thema „Nationalsozialismus“ auf anderen Wegen nähern – ohne den Zwang zur Betroffenheit sowie
mit Fragestellungen, die einen Bezug zu ihrer eigenen
Lebenswirklichkeit eröffnen (vgl. unter anderem Schlag/
Scherrmann 2005 oder Knigge 2010). Auch die veränderte
mediale Prägung der jüngeren Generation macht die
Erarbeitung neuer Vermittlungsformen notwendig.
Einen Lernort im badischen Landesteil schaffen
Neben dem Dokumentationszentrum zum ehemaligen
württembergischen KZ Oberer Kuhberg in Ulm wird
mit dem Lernort in der ehemaligen württembergischen
Gestapo-Zentrale Hotel Silber in Stuttgart demnächst
eine zweite Einrichtung eröffnen, die eine Gesamtschau
auf die württembergische Landesgeschichte in der NS-
Zeit ermöglicht. Auch im badischen Landesteil möchten
wir ein attraktives Angebot schaffen, das die NS-Geschichte in regionaler Perspektive zum Gegenstand macht. Vor
allem Schulklassen und anderen Gruppen junger
Menschen möchten wir einen Anlaufpunkt in verkehrsgünstiger und zentraler Lage bieten, an dem die badische
Landesgeschichte jener Jahre zeitgemäß präsentiert und
zur Diskussion gestellt wird. Deshalb planen wir einen
Lernort auf dem Areal des ehemaligen badischen
Konzentrationslagers Kislau, in dem zwischen 1933 und
1939 Hunderte Nazi-Gegner festgehalten wurden.
Der aktuelle Sachstand
2014 hat der Landtag von Baden-Württemberg die Wichtigkeit des Projekts Lernort Kislau fraktionsübergreifend
anerkannt: Für ein Anschubprojekt zur Errichtung des
Lernorts wurden unserem Verein im Landesdoppelhaushalt 2015/16 Mittel bereitgestellt. Auf dieser Grundlage
erarbeiten wir ein Vermittlungskonzept. Auch haben wir
mit diesen Mitteln ein räumliches Konzept für einen Neubau vor den Mauern von Schloss Kislau entwickelt und im
Frühjahr 2016 einen Architekturwettbewerb ausgelobt.
Unsere Agenda
In dieser Broschüre stellen wir den aktuellen Stand unserer
Konzeptarbeit vor. Im engen Dialog mit jungen Menschen
möchten wir das Konzept im weiteren Verlauf des Jahres
2016 verfeinern und justieren. Parallel dazu gilt es Mittel
für den Bau einzuwerben sowie den institutionellen
Unterhalt durch öffentliche Mittel zu sichern.
Schülerinnen und Schüler des Leibniz-Gymnasiums Östringen Anfang 2016 im Generallandesarchiv Karlsruhe bei Aktenarbeiten für den Kislauer Infoparcours
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WAS MÖCHTEN WIR ERREICHEN?
Der Ansatz
5
die Gegenwehr gegen den Nationalsozialismus in der
Weimarer Republik sowie auf den frühen Widerstand
in den ersten Jahren der Diktatur richten. Damit rückt
nicht zuletzt die Frage in den Blick, ob und wie lange es
noch möglich gewesen wäre, den Gang in die Diktatur
aufzuhalten.
2. Handlungsoptionen aufzeigen
Geschichts- und Wertearbeit Hand in Hand
Anhand des demokratischen Abwehrkampfs und Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Baden möchten
wir herausarbeiten, was ein demokratisch verfasstes
Gemeinwesen ausmacht, was es gefährdet und zerstört
und was daraus folgen kann. Mit dieser Zielsetzung
möchten wir die badische Landesgeschichte der Jahre
1918 bis 1945 am Lernort Kislau zeitgemäß aufbereiten.
Vorrangig wenden wir uns an Schulklassen und andere
Gruppen junger Menschen. Für sie entwickeln wir eine
neuartige Kombination von Geschichts- und Wertevermittlung, die es erlaubt, Bezüge zwischen den historischen Ereignissen und der eigenen Lebenswelt herzustellen. Dabei sind wir von folgenden Motiven geleitet:
1. Den Anfängen wehren
Dass die Demokratie auch in unserem Land tagtäglich
aufs Neue verteidigt werden müsse, galt lange als ein
wohlfeiler Allgemeinplatz. Erst in jüngerer Zeit bricht sich
die Erkenntnis Bahn, dass wir gegen eine Erosion unserer
politischen Kultur und letztlich auch unseres politischen
Systems keineswegs so gefeit sind, wie wir dachten.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass mehr als ein
Viertel der Bevölkerung demokratiefeindliche Einstellungen hegt (vgl. etwa Zick/Klein 2014). Über die Gräuel
der NS-Diktatur sowie den späten Widerstand gegen das
Regime hinaus möchten wir deshalb den Fokus auch auf
„Du Opfer!“ gehört schon seit Jahren zu den oft gebrauchten Beschimpfungen auf deutschen Schulhöfen. Diese
radikale Umwertung des Begriffs ist eines von vielen
Indizien dafür, dass die klassische Täter-Opfer-Zentrierung, wie sie gerade mit Blick auf die NS-Zeit lange vorherrschte, ihre Ziele nur noch bedingt erreicht. Zwar
bleibt eine Aufklärung über die Verbrechen der NS-Zeit
weiterhin unverzichtbar, zugleich gilt es jungen Menschen
aber auch positive Handlungsoptionen aufzuzeigen.
In diesem Sinne möchten wir die Nazi-Gegner vor allem
als aktiv Handelnde statt als gedemütigte Opfer zeigen.
3. Von „Menschen wie du und ich“ erzählen
Wer heute nach den Namen von Widerstandskämpfern
gefragt wird, dem fallen meist nur Georg Elser, die
Geschwister Scholl oder der Graf Stauffenberg ein. Wir
möchten auch jenen Menschen Augenmerk widmen, die
die Weimarer Republik bereits vor 1933 aktiv gegen ihre
Feinde verteidigt hatten und die vielfach auch unmittelbar nach der NS-„Machtergreifung“ Widerstand leisteten. Die meisten von ihnen stammten aus einfachen Verhältnissen, sie waren „Menschen wie du und ich“. Dies
erleichtert es, sich mit ihnen und ihrem Handeln auseinanderzusetzen.
4. Räumliche Nähe schaffen
Konkrete Beispiele aus dem eigenen regionalen Umfeld
machen Geschichte auch und gerade für junge Menschen anschaulicher und begreifbarer. Diesem Umstand
möchten wir Rechnung tragen: Wir nehmen die gesamte
badische Landesgeschichte der Jahre 1918 bis 1945 in
den Blick. Damit bieten wir sowohl räumlich als auch thematisch vielfältige Anknüpfungspunkte für die Bildungspläne des Landes.
5. Beteiligung und Dialog ermöglichen
Wir möchten nicht nur Inhalte präsentieren, sondern die
Besucherinnen und Besucher von Anfang an einbeziehen:
Sie sind eingeladen, die Geschichte der Region zu erkunden und den Lernort Kislau aktiv mitzugestalten. Insbesondere mit jungen Menschen möchten wir – unabhängig
von Vorwissen und Schulart – in einen Austausch über
die heute vielfach allzu fern erscheinende Geschichte der
Weimarer Republik und der NS-Diktatur treten und daraus
Einsichten für die Gegenwart gewinnen.
6. Integriert forschen und vermitteln
Die Geschichte von Widerstand und Verfolgung in Baden
ist bislang nur lückenhaft erforscht. Auf Initiative
unseres Vereins hat das Land zwei Promotionsstipendien
bereitgestellt, mit denen ein Teil der klaffenden Lücken
geschlossen werden kann. Viele andere Lücken sind noch
offen. Am Lernort Kislau möchten wir künftig die gesamte
Spannbreite von Widerstand und Verfolgung in Baden
dokumentieren und direkt mit der Vermittlungsarbeit
verknüpfen. Im engen Dialog mit dem Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, das sich mit der Geschichte der
württembergischen Konzentrationslager befasst, kann so
mittelfristig die Widerstands- und Verfolgungsgeschichte
des gesamten deutschen Südwestens erforscht werden.
„Menschen wie Du und ich“ sowie einstmals bekannten Persönlichkeiten aus der badischen Landesgeschichte gibt die Zeichnerin Katja Reichert in unseren Motion Comics wieder ein Gesicht.
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WARUM KISLAU?
Kislau im Lagersystem des NS-Regimes
Warum ein Lernort ausgerechnet hier?
In Kislau verbindet sich die Wirkkraft eines authentischen
Orts mit dem Vorzug optimaler Erreichbarkeit:
Erbaut in der Spätrenaissance auf den Fundamenten
einer mittelalterlichen Burganlage, diente das „auf der
Kieselau“ des Kraichbachs bei Mingolsheim gelegene
Schloss einst als Sommerresidenz der Speyerer Fürstbischöfe. Im Zuge der Säkularisierung verlor Kislau seine
bisherige Bedeutung und ging in badischen Staatsbesitz
über. Seither wurde das Bauensemble auf unterschiedliche Weise genutzt. Unter anderem diente es als Kaserne, Gefängnis, Arbeitshaus und „Frauenverwahranstalt“.
Nach der Niederschlagung der Badischen Revolution
1849 waren vorübergehend auch Streiter für die demokratische Sache im Schloss inhaftiert.
Kislau und Ankenbuck gehörten zu den wenigen frühen
Lagern des NS-Regimes, die nicht von der SA, der SS oder
der Gestapo befehligt wurden, sondern der Landesverwaltung unterstellt waren und es auch blieben – so in diesem
Fall der des badischen Innenministeriums. Wie in den
anderen frühen Lagern sollten freilich auch in Kislau
und Ankenbuck die dort festgehaltenen Regime-Gegner
gedemütigt, ausgebeutet und politisch neutralisiert
werden. Mit der Auflösung des KZs Ankenbuck im März
1934 fiel Kislau die Rolle des einzigen Konzentrationslagers in Baden zu. Zeitweise waren dort mehr als 170
Männer gleichzeitig in zwei Schlafsälen zusammengepfercht. Im Frühjahr 1939 wurde das KZ Kislau als – sieht
man vom Sonderfall Dachau ab – letztes der frühen
Lager aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten dort
mindestens 700 „Schutzhäftlinge“ um ihre Freiheit und
um ihr Leben gebangt, und Dutzende waren von Kislau
weiter nach Dachau, Buchenwald oder Mauthausen
„verschubt“ worden.
Das Konzentrationslager Kislau 1933 bis 1939
Kislau als Arbeits- und Durchgangslager
Im kleinen Land Baden wurden im Frühjahr 1933 zwei Konzentrationslager errichtet: eines im Hofgut Ankenbuck bei
Donaueschingen und eines im östlichen Gebäudekomplex
von Schloss Kislau. Bei den „Schutzhäftlingen“, die ohne
rechtliche Grundlage auf den Ankenbuck und nach Kislau
verschleppt wurden, handelte es sich zunächst ausschließlich um erklärte politische Gegner der Nationalsozialisten:
Kommunisten, Sozialdemokraten und Freigewerkschafter
aus Baden sowie – in Kislau – aus der bayerischen Pfalz.
Später wurden auch Zeugen Jehovas, couragierte Pfarrer
und viele andere Menschen, die sich dem NS-System nicht
beugen wollten, in Kislau inhaftiert.
Wie schon vor 1933 beherbergte die Kislauer Schlossanlage
auch während der NS-Zeit zugleich eine Landesarbeitsanstalt. In diese wurden Menschen eingewiesen, die man
als „asozial“ abgestempelt hatte. Seit 1934 fungierte der
Schlosskomplex darüber hinaus als Durchgangslager für
zurückkehrende ehemalige deutsche Fremdenlegionäre.
Bevor sie nach Hause weiterreisen durften, mussten sie
sich hier einer Art „Umerziehung“ unterwerfen. Nach der
Auflösung des Konzentrationslagers diente das Schloss
darüber hinaus unter anderem wieder als Strafgefängnis
für politische Häftlinge.
Der Ort
Das Bischofsschloss „auf der Kieselau“
1. Haftort entschiedener Demokraten
Gerade weil das Konzentrationslager Kislau nicht wie
andere, spätere KZs für eine „Vernichtung durch Arbeit“
stand, ist dort der richtige Platz, um über die frühe politische Verfolgung hinaus auch das aktive Widerstehen
gegen den Nationalsozialismus zu dokumentieren und
zeitgemäß zu vermitteln. Genau jene Menschen nämlich, die in den Jahren vor der NS-„Machtergreifung“ am
entschiedensten um den Erhalt der Demokratie gerungen hatten, gehörten – sofern sie nicht ins Ausland hatten
flüchten können – zu den Ersten, die in Kislau und anderen
frühen Lagern als „Schutzhäftlinge“ eingesperrt wurden.
2. Zentrale und verkehrsgünstige Lage
Die verkehrsgünstige Lage an der Nahtstelle zwischen
der Metropolregion Rhein-Neckar und der Technologieregion Karlsruhe macht Kislau als Standort eines außerschulischen Angebots für den badischen Landesteil in
besonderem Maße interessant: Von Heidelberg wie von
Karlsruhe aus ist Kislau mit der S-Bahn wie mit dem Auto
jeweils in weniger als einer halben Stunde zu erreichen.
Kislauer Häftlinge um 1939 südlich des Schlosses beim Unkrautjäten
8
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WIE SOLL DER LERNORT AUSSEHEN?
Nixdorf Consult GmbH einen Realisierungswettbewerb
für den Lernort Kislau ausgelobt. Damit stehen gleich
mehrere interessante Bauentwürfe zur Verfügung. Sobald
die Finanzierung des Projekts Lernort Kislau gesichert ist,
kann einer davon realisiert werden.
Das Raumkonzept
Schloss Kislau heute
Raum für zeitgemäße Vermittlungsarbeit
Die Kislauer Schlossanlage befindet sich im Besitz des
Landes Baden-Württemberg. Heute ist dort eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Bruchsal untergebracht.
Eine Nutzung der historischen Räumlichkeiten zum
Zwecke der historisch-politischen Bildungsarbeit ist also
nicht möglich. Für die Realisierung des Lernorts stellt das
Land deshalb ein insgesamt rund 1.800 qm umfassendes
Wiesengrundstück in unmittelbarer Nähe des Schlosskomplexes zur Verfügung.
Das Raumangebot des Lernorts Kislau soll den aktuellen
Standards der Gedenkstätten- und Museumspädagogik
entsprechen. Auf rund 400 qm Fläche soll sich dort eine
zeitgemäße Vermittlungs- und Projektarbeit entfalten
können. Ein Mehrzweckraum kann Platz für Workshops,
Sonderausstellungen und Veranstaltungen bieten. Um
eine räumliche Nähe zwischen dem Vermittlungsbereich
und den Büros der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu
gewährleisten, sollen darüber hinaus drei Arbeitsräume,
eine kleine Bibliothek und ein ebenso kleines Archiv zur
Verfügung stehen.
Der Neubau als Chance
Die Errichtung eines Neubaus bietet die Chance, den
räumlichen Erfordernissen und dem methodisch-didaktischen Ansatz des künftigen Lernorts Kislau in optimaler
Weise Rechnung zu tragen. Das neue Gebäude soll sich
der Kislauer Schlossanlage harmonisch hinzugesellen,
ohne auf einen eigenen architektonischen Akzent zu
verzichten. Zugleich soll der Neubau einen Bogen von der
Vergangenheit in die Zukunft schlagen, soll Offenheit und
Dynamik ausstrahlen und sich somit als ein „Haus der
menschlichen Möglichkeiten“ im positiven Sinne präsentieren (vgl. Giesecke/ Welzer 2012).
Arbeitsmöglichkeiten im Außengelände
Das Außengelände des künftigen Lernorts Kislau muss
mehreren Zwecken genügen. So gilt es zum einen, Parkmöglichkeiten für PKWs und Busse zur Verfügung zu
stellen. Zum anderen soll mittelfristig eine Infrastruktur
geschaffen werden, die es erlaubt, Teile des Vermittlungsangebots bei gutem Wetter ins Freie zu verlagern.
Zu diesem Zweck sollen auf dem nördlich an das LernortGebäude angrenzenden Areal mehrere Sitzgruppen sowie
ein Außenforum entstehen. Eine von Jugendlichen zu
gestaltende Skulptur soll an all jene Menschen erinnern,
die sich den Nationalsozialisten mutig entgegengestellt
haben.
Infoparcours entlang der Schlossanlage
Rund um die Kislauer Schlossanlage und damit außerhalb des eigentlichen Lernort-Areals soll künftig ein Infoparcours Auskunft über die wechselvolle Geschichte des
Ortes geben. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern
des Leibniz-Gymnasiums Östringen sowie mit Experten
aus Bad Schönborn und Umgebung erarbeiten wir derzeit
die Inhalte dieses Angebots.
Via Wettbewerb zur besten Lösung
Das Lernort-Gebäude soll vielfältigen Anforderungen
gerecht werden: Es soll dem historischen Bauensemble von Schloss Kislau ebenso Rechnung tragen wie
den räumlichen Ansprüchen, die sich aus unserem
Vermittlungskonzept ergeben; es soll barrierefrei sein
und den Kriterien eines nachhaltigen ökologischen
Bauens entsprechen. Im Rahmen des Projektauftrags,
den das Land Baden-Württemberg unserem Verein
erteilt hat, haben wir deshalb in Kooperation mit der
Blick auf die Kislauer Schlossanlage sowie auf das für den Lernort vorgesehene Gelände von Nordwesten
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11
Aktive Teilhabe
WIE WOLLEN WIR ARBEITEN?
Das Vermittlungskonzept
Ein Lernort für alle
Kombination von Geschichts- und Wertevermittlung
Der Lernort Kislau soll prinzipiell allen offenstehen.
Geschichtsinteressierte sollen dort ebenso Informationen
und Anregungen finden wie Menschen, die bislang nichts
über die Weimarer Republik und die NS-Zeit wussten. In
diesem Sinne folgen wir einem offenen Vermittlungsansatz, der Geschichte und eigene Lebenswelt, Reflexion
und Interaktion miteinander verknüpft.
Im Rahmen unserer Gruppenangebote möchten wir jungen
Menschen ein Bewusstsein für den Wert der Demokratie
vermitteln und sie in einem aktiven und reflektierten Handeln bestärken. Deshalb kombinieren wir eine biografisch
akzentuierte Form der Geschichtsarbeit mit Methoden der
Wertevermittlung und des Demokratietrainings. Indem sie
sich mit den Haltungen und dem Handeln mutiger Demokratinnen und Demokraten in der Weimarer Republik und
in der NS-Zeit beschäftigen, sollen die Jugendlichen und
jungen Erwachsenen sich zugleich auch mit ihren eigenen
Werten auseinandersetzen.
Was erwartet die Besucher am Lernort Kislau?
Schon gleich im Eingangsbereich des Lernorts Kislau – der
Lobby – sind die Besucherinnen und Besucher eingeladen,
darüber nachzudenken, was ihnen persönlich wert und
wichtig ist. Eine Zeitschleuse bindet die Lobby thematisch
wie atmosphärisch an den historischen Bereich an. Durch
sie gelangen die Besucherinnen und Besucher zurück ins
Jahr 1918 und an den Beginn eines Geschichtsparcours.
Entlang zwölf chronologisch angeordneter Themenfelder
können sie die badische Landesgeschichte der Jahre 1918
bis 1945 erkunden und anhand allgemeingültiger Fragestellungen in einen Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt
setzen. In einem Forum, das zentral in den Geschichtsparcours eingebettet ist, können sie die dabei gewonnenen
Eindrücke reflektieren.
Flexible Gruppenarbeit auf Augenhöhe
Eine produktive Arbeitsatmosphäre stellt sich ein, wenn
junge Menschen „ihren Themen in ihrer Geschwindigkeit
und mit ihren Mitteln“ folgen können (Benzler 2010, S. 7).
Deshalb möchten wir unsere Gruppenangebote so flexibel gestalten, dass wir bestmöglich auf die Interessen,
Fähigkeiten und Vorkenntnisse der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer eingehen können. Jede Gruppe soll von zwei
Vermittlerinnen oder Vermittlern betreut werden. Auf
diese Weise können wir auch mit größeren Gruppen intensiv und erfolgreich arbeiten. Im Zusammenspiel mit den
Hochschulen der Region möchten wir ein Ausbildungsprogramm entwickeln, das freie Mitarbeiter in die Lage
versetzt, sich die nötigen Kompetenzen anzueignen.
Bereits in die Konzeptionsphase des Lernorts Kislau
waren und sind junge Menschen aktiv eingebunden. Auch
im Rahmen der Arbeit am Lernort selbst möchten wir
ihnen und anderen Besucherinnen und Besuchern Möglichkeiten der Teilhabe eröffnen: Sowohl in der Lobby als
auch in einigen Themenfeldern des Geschichtsparcours
erwarten sie partizipative Angebote. Deren Ergebnisse
sollen ebenso in die Ausgestaltung des Lernorts mit
einfließen wie die Ergebnisse von Projekttagen.
Halbtägiges Basisangebot für Gruppen
Unser Basisangebot für Schulklassen und andere Gruppen
junger Menschen soll rund vier Stunden umfassen. Im
Rahmen einer Gruppenübung treten die beiden Vermittler
gleich eingangs mit den Besucherinnen und Besuchern in
einen intensiven Dialog über deren persönliche Haltungen.
Aufgeteilt in kleine Teams, verfolgen die Jugendlichen
sodann auf dem Geschichtsparcours die Spur je einer
von ihnen ausgewählten historischen Leitfigur. Darüber
hinaus setzen sie sich an drei Stationen des Geschichtsparcours mit der Frage nach ihren eigenen Standpunkten
auseinander. Gemeinsam mit den Vermittlern werten sie
anschließend im Forum die Ergebnisse ihrer Erkundungen
aus. Dabei rücken ihre eigenen Werte und Ziele genauso
in den Blick wie die der Leitfiguren.
Differenzierte Ganztagsangebote
Je nach Interessenlage lässt sich das halbtägige Basisangebot durch Zusatzangebote zu einem Ganztagsbesuch
am Lernort Kislau erweitern und unterschiedlich akzentuieren. Zur Auswahl sollen zum einen Gruppenübungen
aus der Antidiskriminierungs- und Demokratiearbeit und
zum anderen vertiefende Recherchen zu Personen und
Ereignissen aus dem je eigenen lokalen Umfeld stehen.
Lobby
Infoparcours
Zeitschleuse
Geschichtsparcours
12. Wofür setze ich mein Leben ein?
Verweigerung und Widerstand im Krieg
1. Wer weiß am besten, was gut für ein Land ist?
Eine Gesellschaft im Umbruch
11. Was gehen mich die Anderen an?
Die Rettung von verfolgten Menschen
2. Wofür lohnt es sich auf die Straße zu gehen?
Das frühe Ringen um die Republik
10. Wie weit passe ich mich an?
Leben unter dem NS-Regime
9. Was mache ich, nachdem ich flüchten musste?
Bestehen im politischen Exil
Forum
8. Wie viel will ich riskieren?
Früher politischer Widerstand
7. Wie viel Willkür kann ich ertragen?
Verfolgung, „Schutzhaft“ und KZs
3. Wie wollen wir miteinander leben?
Humanität contra Menschenhass
4. Was verletzt die Würde?
Demokraten im Fokus rechtsextremer Hetze
5. Wie verteidigt man die Freiheit?
Der Versuch, den Gang in die Diktatur aufzuhalten
6. Wie bewahre ich Haltung?
Widerstehen im Angesicht der „Machtergreifung“
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Ankommen: Die Lobby
Einladende Atmosphäre
Beim Betreten des Lernorts Kislau sollen die Besucherinnen und Besucher im doppelten Sinne ankommen –
thematisch wie atmosphärisch. Deshalb möchten wir
sie in einer lichten Lobby willkommen heißen, die an
den Stil der Weimarer Moderne anknüpft und ihn in die
Gegenwart übersetzt. Außer Schließfächern und einer
Garderobe finden die Besucherinnen und Besucher in
der Lobby eine ausreichende Menge mobiler Sitzgelegenheiten vor. Der „Museumsshop“ beschränkt sich auf
einen Getränkeautomaten, einen Drehständer mit von uns
produzierten Graphic Novels, Postkarten und anderem
mehr sowie auf einen kleinen Tresen.
Video-Installation Wertekanon
Besucherinnen und Besucher, die den Lernort Kislau auf
eigene Faust erkunden möchten, sollen mit dem Wertekanon gleich eingangs eine unkonventionelle Form der
Auseinandersetzung mit der Materie vorfinden. Im Rahmen eines Formats „Mobiler Lernort“ werden wir junge
Menschen vorab fragen, welche Werte ihnen mit Blick auf
das menschliche Zusammenleben besonders am Herzen
liegen. Ihre Antworten können sie in kurzen Filmsequenzen von maximal 15 Sekunden Länge festhalten und in
eine Video-Installation einspeisen, die an einer Wand der
Lobby zu sehen ist. Ein Zufallsgenerator setzt die Sequenzen ständig neu zusammen und lässt jeweils eine Person
zu Wort kommen. Eine Video-Box bietet den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, den Wertekanon um
einen eigenen Beitrag zu ergänzen. Auf diese Weise gibt
der Wertekanon stets die jeweils aktuelle Bandbreite
an Wertvorstellungen und Prioritäten wieder und wirft
bei den Betrachterinnen und Betrachtern die Frage nach
ihren eigenen Haltungen auf. Das gesamte Filmmaterial
wird wohlgemerkt nicht online gestellt.
Lobby-Arbeit mit Gruppen
Wenn Schulklassen und andere Gruppen junger Menschen
am Lernort Kislau zu Gast sind, nehmen zwei Vermittlerinnen oder Vermittler sie in Empfang. Nachdem die Jugendlichen Platz genommen haben, erläutern die Vermittler kurz,
wie sie in den folgenden Stunden mit ihnen gemeinsam
arbeiten möchten.
1. Gruppenübung Wertethermometer
Mit der Gruppenübung Wertethermometer möchten wir
die jungen Besucherinnen und Besucher in ihrer Lebenswelt abholen: Die Vermittler treffen Aussagen zu Werten
wie Freiheit, Gerechtigkeit, Zusammenhalt oder Respekt.
Entlang eines großen Thermometers sollen sich die
Jugendlichen zu diesen Aussagen „positionieren“. Moderiert durch die Vermittler, sollen sie kurz erläutern, warum
sie sich jeweils an eine bestimmte Stelle des Thermometers begebenhaben. Die Übung dient als „mind opener“.
Die Antworten der Jugendlichen sollen von den Vermittlern zunächst nicht kommentiert, sondern erst später im
Forum wieder aufgegriffen werden.
2. Teambildung für den Geschichtsparcours
Anknüpfend an die Gruppenübung, erläutern die Vermittler das weitere Vorgehen: In Teams von jeweils drei bis
fünf Personen sollen die jugendlichen Besucherinnen und
Besucher auf dem Geschichtsparcours jeweils einer
historischen Persönlichkeit nachspüren, die in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit für ihre demokratischen Werte einstand. Zur Auswahl stehen sieben Badenerinnen und Badener unterschiedlichen Alters sowie
unterschiedlicher Weltanschauung. Die Vermittler stellen
diese Leitfiguren kurz vor und unterstützen die Jugendlichen bei der Bildung der Teams.
3. Aufbruch zum Geschichtsparcours
Orientierungskarten helfen den Teams, sich auf dem
Geschichtsparcours zurechtzufinden. Über eine räumliche
Übersicht sowie knappe Informationen zu „ihrer“ jeweiligen Leitfigur hinaus geben wir ihnen auf den Karten auch
einige Fragen mit auf den Weg, die ihnen helfen, sich mit
Wirken und Werten der Person auseinanderzusetzen. Die
Antworten auf die Fragen finden die Teams in vier je unterschiedlichen Themenfeldern des Geschichtsparcours. In
drei dieser Themenfelder sollen sie an einem Fundort
eine Wertsache auswählen, die ihrer Ansicht nach zu den
jeweils beschriebenen Aktivitäten ihrer Leitfigur passt,
und sie mitnehmen. Mithilfe dieser drei Objekte können
sie später im Forum ihre Leitfiguren präsentieren. Zwei
weitere Fragen auf den Orientierungskarten sollen die
Jugendlichen zur Bestimmung ihrer eigenen Positionen
anregen. Diese Fragen lassen sich nur in der Auseinandersetzung mit je einer Station des Geschichtsparcours
beantworten: dem Weimarer Wahl-O-Mat in Themenfeld 1
sowie dem Wertelabyrinth in Themenfeld 3 (siehe
hierzu näher S. 29 und 32f.). Anschließend durchqueren
die Jugendlichen teamweise die Zeitschleuse.
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15
Eintauchen: Die Zeitschleuse
Reise in die Vergangenheit
Aus der Lobby kommend, treten die Besucherinnen und
Besucher durch einen schwarzen Vorhang in einen kleinen dunklen quadratischen Raum: die Zeitschleuse.
Eine Audio- und Bildpräsentation von rund zwei Minuten
Dauer nimmt sie dort mit auf eine Zeitreise zurück bis
ins Jahr 1918 und damit an den zeitlichen Beginn des
Geschichtsparcours. Anhand gezielt ausgewählter Fotografien und Audio-Sequenzen zu repräsentativen Ereignissen der vergangenen hundert Jahre gelangen sie Stück
um Stück in die spannungs- und gewaltgeladene Krisenund Aufbruchszeit am Ende des Ersten Weltkriegs.
Geschichtsabriss in Bild und Ton
In einer Bildpräsentation, die mit zeitgenössischen Tondokumenten unterlegt ist, möchten wir Geschehnisse
aus der globalen, nationalen und regionalen Geschichte
in reduzierter Form miteinander verflechten. Statt die
Fotografien mit erklärenden Bildlegenden zu versehen,
möchten wir Redeausschnitte aus Nachrichtensendungen, Wochenschauen und frühen Radioberichten so
montieren, dass sie „für sich sprechen“. Geräuschkulissen
sollen das jeweils Gezeigte zusätzlich untermalen.
Atmosphärische Anbindung
Die Zeitschleuse soll Lobby und Geschichtsparcours nicht
nur räumlich miteinander verbinden. In der relativen
Enge des abgedunkelten Raums erleben die Besucherinnen und Besucher der medialen Beschleunigung zum
Trotz einen Moment des Innehaltens und des Stillstands.
Aus ihrer eigenen Lebenswelt tauchen sie in eine andere
zeitliche Dimension ein; die Wertefragen, die wir eingangs
aufgeworfen haben, werden in eine historische Betrachtungsweise überführt.
Inhaltliche Anbindung
Schon in der Zeitschleuse möchten wir die Besucherinnen
und Besucher mit den zentralen Leitfragen konfrontieren,
mit denen sie sich später auf dem Geschichtsparcours
auseinandersetzen werden. Indem wir diese Fragen nicht
nur dem dort zu verhandelnden Geschehen, sondern ganz
dezidiert auch Ereignissen aus der jüngeren Vergangenheit zuordnen, erschließt sich ihre ungebrochene Aktualität. Während etwa das Foto eines im Jahr 2015 auf einer
Pegida-Kundgebung gezeigten Galgens die Frage „Was
verletzt die Würde?“ nahelegt, können Aufnahmen von
einer Montagsdemonstration des Jahres 1989 oder vom
Anti-AKW-Protest in Wyhl 1975 von der Frage „Wofür
lohnt es sich auf die Straße zu gehen?“ flankiert werden.
Dem Foto einer Notunterkunft für Heimatvertriebene
nach 1945 wiederum kann die Frage „Was mache ich,
nachdem ich flüchten musste?“ zugeordnet werden. Auch
für andere Leitfragen des Geschichtsparcours lassen sich
unschwer Anknüpfungspunkte in der deutschen und
internationalen Nachkriegsgeschichte finden.
Zeitliche Anbindung
Über Nachkriegsereignisse von globaler Bedeutung
wie 9/11, den Kosovo-Krieg oder den Fall der Berliner
Mauer sowie regional verortete Ereignisse von nationaler
Bedeutung wie den Studentenprotest der 1960er Jahre am Beispiel Freiburgs, den Wiederaufbau deutscher
Städte am Beispiel Pforzheims oder die Zerstörungen
des Krieges am Beispiel Mannheims soll die Zeitreise die
Betrachterinnen und Betrachter in jenen Zeitraum zurückführen, den sie im Anschluss durchmessen werden.
So sollen sie in der letzten halben Minute der Präsentation mit dem Zweiten Weltkrieg, Konzentrationsund Vernichtungslagern, HJ-Aufmärschen und der NS„Machtergreifung“, mit dem Massenelend während der
Weltwirtschaftskrise, der Besetzung der linksrheinischen
Gebiete des Reichs und der Unterzeichnung des Versailler
Vertrags konfrontiert werden, um schließlich am Ende
des Ersten Weltkriegs anzugelangen. Durch einen zweiten
schwarzen Vorhang kann es nun weiter zum Geschichtsparcours gehen.
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Nachspüren: Der Geschichtsparcours
Widerstandsgeschichte als Demokratiegeschichte
In der regionalen Dimension des Landes Baden möchten
wir auf einer Fläche von rund 300 qm die Geschichte des
Widerstands gegen den Nationalsozialismus und dessen
„Steigbügelhalter“ in den Jahren 1918 bis 1945 erzählen.
Vom Abwehrkampf gegen die Ultrarechten vor 1933 und
der illegalen Inlandsarbeit nach der NS-„Machtergreifung“
über die politische Arbeit im Exil möchten wir einen
Bogen bis hin zur Rettung verfolgter Menschen, Umsturzplanungen und anderen Widerstandsformen in den Spätjahren der Diktatur spannen. Zugleich möchten wir die
wesentlichen Merkmale eines demokratisch verfassten
Gemeinwesens, seine Gefährdungen und die Folgen
seiner Zerstörung herausarbeiten.
Verknüpfende Leitfragen
Entlang zwölf chronologisch angeordneter Themenfelder möchten wir auf dem Geschichtsparcours vor allem
die Frage nach konkreten Handlungsmöglichkeiten im
Angesicht von Extremismus, Unrecht und Gewalt aufwerfen. Jedem der zwölf Themenfelder haben wir
deshalb eine spezifische Leitfrage zugeordnet. Um die
Zeitlosigkeit der Leitfragen zu unterstreichen und den
Zugang zu ihnen zu erleichtern, sind sie nach Möglichkeit
in Ich-Form formuliert.
Inszenierung
Wenn historische Vermittlungsarbeit in Museum oder
Gedenkstätte eine nachhaltige Wirkung entfalten soll,
muss sie gängige Vermittlungsmuster durchbrechen und
zu einer pointierten Darstellungsform finden (vgl. etwa
Tyradellis 2014). Auch wenn eine inszenierte Darstellung
nicht jeden und jede zu überzeugen vermag – das Gros
der Besucherinnen und Besucher weiß es zu schätzen,
dass sie vieles im Wortsinne anschaulicher macht.
Deshalb möchten wir am Lernort Kislau mit Rauminstallationen wie zum Beispiel einem Wertelabyrinth, einem
Parolen-Stammtisch, einem Scheideweg oder einem
Widerstandsnest arbeiten.
Gezielter Medieneinsatz
Audio- und Video-Angebote – so hat zuletzt das Hamburger Projekt „Wie wollt ihr euch erinnern?“ ergeben –
erleichtern jungen Menschen den Zugang zu historischen
Themen. Deshalb soll der Kislauer Geschichtsparcours
neben einer gezielten Auswahl von Fotos, Plakaten und
anderen Objekten auch eine Reihe von Film- und Tondokumenten bereithalten. Auszüge aus Aufsätzen, Briefen
und Berichten sollen in vertonter Form abrufbar sein,
und auch einige der animierten Bildergeschichten, die
wir bereits seit geraumer Zeit für unser Geschichtsportal
erstellen, sollen zum Einsatz kommen. In einigen
Themenfeldern sollen die Besucherinnen und Besucher
darüber hinaus interaktive Angebote vorfinden, die zum
Nachdenken und Mitmachen einladen.
Mehrere Vertiefungsebenen
Der gesamte Geschichtsparcours soll auf mehreren Vertiefungsebenen erfahrbar sein: Während die zentralen
Inhalte anschaulich, einfach und knapp präsentiert
werden, sollen auch Besucherinnen und Besucher, die die
Materie oder zumindest einzelne ihrer Aspekte genauer
durchdringen möchten, ein interessantes Angebot vorfinden. Niemand wird mit Informationen überfordert, aber
wer möchte, kann sich einen umfassenden Überblick über
einzelne Themen verschaffen.
Lebenslinien und Storytelling
Um Geschichte lebendig und begreifbar zu machen, setzen wir auf die „Faszination des Biografischen“ (Meier
1989) sowie auf die Möglichkeiten eines musealen Storytelling (vgl. Lichtensteiger u. a. 2014). In allen Themenfeldern des Geschichtsparcours begegnen die Besucherinnen und Besucher mutigen und widerständigen, aber
durchaus auch einmal zweifelnden oder verzweifelten
Persönlichkeiten aus der badischen Landesgeschichte,
erfahren etwas über ihr Handeln und über die zugrundeliegenden Motive. Sieben dieser Personen möchten wir
gleich eingangs des Geschichtsparcours einführen. Sie
alle sollen auch noch in drei jeweils unterschiedlichen
weiteren Themenfeldern auftauchen. Die Lebenslinien
dieser sieben Leitfiguren ziehen sich damit als „rote
Fäden“ durch die Jahre 1918 bis 1945 und bieten zentrale
Anknüpfungspunkte für die Gruppenarbeit.
Suche nach Wertsachen
In jedem der zwölf Themenfelder findet sich eine Kiste,
die – als Fundort ausgewiesen – mit unterschiedlichsten
Gegenständen und Objekten bestückt ist. Einige dieser
Gegenstände beziehen sich unmittelbar auf das Wirken der Leitfiguren, die einem in diesem Themenfeld
begegnen. Im Rahmen der Gruppenarbeit sollen die in der
Lobby gebildeten Teams in drei Themenfeldern jeweils
eine Wertsache heraussuchen, die ihrer Meinung nach
eine Geschichte über Wirken und Werte „ihrer“ Leitfigur
erzählt, und sie später ins Forum mitbringen.
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Aushandeln: Das Forum
Marktplatz der Werte
Als räumliches Herzstück des Geschichtsparcours wie des
gesamten Lernorts Kislau soll ein lichtes Forum die Besucherinnen und Besucher zum Verweilen einladen. Zentral
inmitten des Parcours gelegen und von mehreren Seiten
aus zugänglich, begreifen wir es gleich seinem antiken
Vorbild als einen Platz des Austauschs wie des Aushandelns – in diesem Falle allerdings nicht von Preis-, sondern
von Wertefragen. Mit seinen plenarförmig angeordneten
Sitztreppen soll das Forum nicht nur Gruppen, sondern
auch Einzelbesucherinnen und -besuchern Raum bieten,
um die Eindrücke, die sie auf dem Geschichtsparcours
gesammelt haben, zu verarbeiten. Vor den Sitztreppen
soll je einer der in Themenfeld 3 des Geschichtsparcours
zur Diskussion gestellten Grundwerte auf den Boden geschrieben sein: „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Frieden“. An
und auf den Treppenstufen sollen sich jeweils passende
Passagen aus der UN-Menschenrechtscharta, aus dem
Grundgesetz sowie aus anderen Texten finden, die zum
Nachdenken und Diskutieren einladen.
Austausch über Wertsachen...
Nachdem sie den Geschichtsparcours in kleinen Teams
erkundet haben, sollen Schulklassen und andere
Gruppen junger Menschen im Forum wieder zusammentreffen, um einander von ihren Eindrücken zu berichten.
Von den Vermittlerinnen und Vermittlern moderiert,
können sie die Wertsachen, die sie zusammengetragen
haben, vorstellen und den anderen Gruppenmitgliedern
erläutern, in welcher Beziehung diese Objekte jeweils zu
den von ihnen begleiteten Leitfiguren stehen. Gemeinsam mit den Vermittlern sollen sie überlegen, wie sich
die einzelnen Leitfiguren in den auf dem Geschichtsparcours dargestellten Situationen jeweils verhalten und
welche Antworten sie auf die Fragen gefunden haben, die
den betreffenden Themenfeldern zugeordnet sind. Ziel
dieses Austauschs ist es nicht, sämtliche zwölf Themenfelder „abzuarbeiten“; vielmehr sollen die Jugendlichen
selbst definieren können, welche Themen sie im Verlauf
des Gesprächs in den Vordergrund rücken möchten.
können. Kurze Gruppenübungen wie Die Scholle ist
voll oder Fluchthilfe machen Empathie und Zurückweisung, Zusammenhalt und Ausgrenzung am eigenen
Körper erfahrbar. Damit bieten sie einen niederschwelligen
Einstieg, um sich über Handlungsmöglichkeiten im
eigenen privaten Umfeld auszutauschen. Die Übung
Rules of Respect wiederum verwickelt die Beteiligten in
Wertekonflikte, sie macht ihre eigenen Wertvorstellungen
sicht- und damit auch verhandelbar.
… und über eigene Werte
Im Rahmen einer abschließenden Feedback-Runde
möchten wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
bitten zu überlegen, was ihnen am Lernort Kislau gefallen
und was ihnen nicht gefallen hat. Ebenso sollen sie uns
wissen lassen, was wir aus ihrer Sicht künftig anders
machen könnten.
Von den „historischen“ Leitfragen ausgehend, möchten
wir in einem nächsten Schritt wieder die eigene Lebenswelt und die eigenen Werte der Jugendlichen in den
Mittelpunkt rücken. Den Eindrücken, die sie zuvor am
Weimarer Wahl-O-Mat und im Wertelabyrinth gesammelt haben, soll in diesem Zusammenhang eine Scharnierfunktion zukommen. Über die Fragen, zu welcher
politischen Strömung sie zu Beginn der Weimarer Republik tendiert und welcher der im Wertelabyrinth vorgestellten Organisationen sie damals den Vorzug gegeben
hätten, möchten wir den Bogen zu denjenigen Themen
spannen, die wir eingangs bereits im Rahmen der Übung
Wertethermometer angeschnitten haben.
Gruppenübungen zu Zusammenhalt und Respekt
Je nach Verlauf der Gruppendiskussion sollen die
Vermittler ergänzend auch Methoden aus dem Demokratietraining in die Arbeit im Forum einfließen lassen
Abrundung der Gruppenarbeit
Angebot für Einzelbesucher
Auch Einzelbesucher sollen im Forum die Gelegenheit
erhalten, sich mit den am Lernort Kislau gewonnenen
Eindrücken auseinanderzusetzen: In und an den Treppenpodesten möchten wir ihnen Informationen und
Anregungen vielfältigster Art rund um heutige Freiheits-,
Gleichheits- und Friedensfragen sowie um die Frage nach
aktuellen Herausforderungen und Gefahren für die Demokratie bieten.
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Erkunden: Das Außengelände
Sitzgruppen und Außenforum
Auf einem Areal nördlich des Lernort-Gebäudes soll eine
kleine Grünanlage entstehen, die zum Verweilen einlädt
und bei gutem Wetter die Infrastruktur für das Arbeiten
im Freien bietet. An mehreren Sitzgruppen finden dort
jeweils bis zu sechs Personen Platz. Für größere Diskussionsrunden, Workshops und Präsentationen unter freiem
Himmel soll ein Außenforum zur Verfügung stehen.
Denkmal „Für die Wenigen unter den Vielen“
Im Rahmen eines Schulprojekts möchten wir eine Skulptur
„Für die Wenigen unter den Vielen“ realisieren. Aufgestellt
an prominenter Stelle unweit des Kislauer Wegs, soll sie
an all diejenigen Menschen erinnern, die angesichts der
nationalsozialistischen Gefahr nicht geschwiegen, sondern sich Unrecht und Gewalt entgegengestellt haben.
Infoparcours rund um die Schlossanlage
Entlang der zur Kislauer Schlossanlage hinführenden
Straße sowie des an ihrer Ostflanke anschließenden
Fuß- und Fahrradwegs sollen künftig Informationstafeln
Auskunft über die ebenso spannende wie wechselvolle
Geschichte von Kislau geben. Nicht nur den Besucherinnen und Besuchern des Lernorts möchten wir damit die
Bedeutung des Bauensembles auf verständliche Weise
näherbringen. Mit unserer Unterstützung entwickeln
Schülerinnen und Schüler des Leibniz-Gymnasiums
Östringen derzeit ein Konzept für den Infoparcours und
erarbeiten denjenigen Teil der Inhalte, der die NS-Zeit
betrifft. Für die Darstellung der jahrhundertelangen
Vorgeschichte sowie der Jahrzehnte nach 1945 zeichnen
im Rahmen eines Kooperationsprojekts ausgewiesene
Kenner der Kislauer Schlossgeschichte aus Bad Schönborn und dessen Umgebung verantwortlich. In unser
halbtägiges Basisangebot für Gruppen soll der Infoparcours nicht miteinbezogen werden, in ganz- und mehrtägige Gruppenangebote hingegen schon.
1. Zweitausend Jahre „Kieselau“
Am Rande jenes Abschnitts des Kislauer Wegs, der vom
Lernort-Areal zum Hauptportal des Schlosses führt, soll
nach jetzigem Planungsstand die fast zweitausend Jahre
umspannende Geschichte der „Kieselau“ von der Errichtung eines Römerkastells am Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung bis zur Gegenwart aufgerollt
werden. Die NS-Zeit soll in diesem Zusammenhang eine
Epoche unter vielen sein.
2. Kislau in der Zeit des Nationalsozialismus
Entlang des Wegs, der östlich am Schloss vorbeiführt,
möchten wir eingehender über die Geschichte von Kislau
in der NS-Zeit informieren. An rund einem halben Dutzend
Stationen möchten wir die Haftbedingungen der Insassen
des Arbeitshauses, des Durchgangs- sowie vor allem
natürlich des Konzentrationslagers und des nach dessen
Schließung in Kislau eingerichteten Strafgefängnisses
anhand konkreter Schicksale beleuchten. Als räumliche
Orientierungspunkte für die einzelnen Tafeln bieten sich
die direkt neben dem Hauptportal des Schlosses gelegene
Haft- und Todeszelle von Ludwig Marum, der Osttrakt des
Schlosses mit den einstigen Schlafsälen der KZ-Insassen,
der ehemalige KZ-Appellplatz sowie der Kranken- und
Küchenbau an. In Höhe des südlich gelegenen Hauptgebäudes des Schlosses soll eine letzte Tafel auf die gut
erhaltenen Inschriften verweisen, die KZ-Häftlinge
am Jahreswechsel 1933/34 bei Restaurationsarbeiten
heimlich in die Decke des barocken Bischofsbads ritzten.
Auch an die Schicksale der zehn Männer, deren Namen
in der Inschrift genannt sind, möchten wir erinnern – so
insbesondere an die Schicksale jener drei, die später dem
NS-Terror zum Opfer fielen.
Online-Infoparcours
Ein begleitendes Online-Angebot soll über weitergehende
schriftliche Informationen und Abbildungen hinaus auch
mit Audio-Sequenzen mit Auszügen aus Kislauer Häftlingsbriefen etwa von Ludwig Marum, Stefan Heymann
oder Emil Faller aufwarten. Auch Nachkriegsberichte
von Adam Remmele, Max Faulhaber und anderen über
Verhältnisse und Ereignisse in Kislau sollen online in
Audio-Form verfügbar sein.
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HISTORISCHES LERNEN
FÜR ZIVILES WIDERSTEHEN
Der Lernort-Verein
Der Lernort Zivilcourage & Widerstand e. V.
Gegründet im Frühjahr 2012, möchte der Lernort Zivilcourage & Widerstand e. V. die Geschichte von Abwehrkampf,
Widerstand, Verfolgung und Exil im und aus dem ehemaligen Land Baden während der Weimarer Republik und
unter der NS-Diktatur stärker in den Fokus von Forschung
und Vermittlung rücken. Unter dem Motto „Historisches
Lernen für ziviles Widerstehen“ dokumentieren wir das
Wirken badischer Nazi-Gegnerinnen und -Gegner in den
Jahren 1918 bis 1945 und bereiten es zeitgemäß auf.
Unser Projekt-Team Lernort Kislau
Auf der Basis der vom Land Baden-Württemberg im
Landesdoppelhaushalt 2015/16 bereitgestellten Mittel
ist ein professionelles Projekt-Team seit dem Frühjahr
2015 damit befasst, Gebäude-, Gestaltungs- und Vermittlungskonzepte für den Lernort Kislau sowie begleitende
Angebote zu entwickeln. Eine Politikwissenschaftlerin,
eine Germanistin, zwei Historiker sowie eine studentische
Hilfskraft teilen sich derzeit zweieinhalb Vollzeitstellen.
Auch die Expertise eines Kultursoziologen ist maßgeblich in die Arbeit mit eingegangen. Dank der vielfältigen
Vorkenntnisse der Team-Mitglieder fließen im Projekt
Erfahrungen in Forschung und Lehre, im Museums-,
Archiv- und Unterrichtswesen, in der Kulturvermittlung,
im Antidiskriminierungstraining, im Kommunikationsmanagement und in der Öffentlichkeitsarbeit zusammen.
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Unsere Arbeitsgemeinschaft „Lernort“
Unser Engagement auf Landesebene
Um die Arbeit des Projekt-Teams zu unterstützen und
kritisch-konstruktiv zu begleiten, haben sich sachkundige
Mitglieder des Lernort-Vereins in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefunden, die sich mehrmals pro Monat
trifft. Der Gruppe gehören Geschichtsstudentinnen und
-studenten, aktive und pensionierte Lehrerinnen und
Lehrer aller Schularten sowie ein Pädagogikdozent an.
In der baden-württembergischen Gedenkstättenlandschaft ist unser Verein von Anfang an auf große Offenheit
gestoßen und mittlerweile bestens vernetzt: Im März 2016
wurde unsere Projektleiterin in den Sprecherrat der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen (LAGG) gewählt. Dass sich ein Mitglied
unseres Vereins erfolgreich um die zum April 2016 bei
der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) geschaffene Stelle eines Koordinators für die Jugendarbeit der
Gedenkstätten beworben hat, gereicht uns sehr zur
Freude. Das LAGG-Exkursionsseminar „Neue Wege der
Erinnerung“ führt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Ende Juli 2016 auch in unser Projekt-Büro.
Unser Online-Portal zum badischen Widerstand
Mit finanzieller Unterstützung durch das baden-württembergische Kultusministerium haben wir ein OnlineGeschichtsportal zur badischen Landesgeschichte der
Jahre 1918 bis 1945 erarbeitet. Unter der Web-Adresse
www.lzw-portal.de finden sich Informationen zu Aktivitäten und Lebensstationen von Menschen in und aus
Baden, die den Nazis aktiv entgegentraten. Kurze animierte Bildergeschichten – sogenannte Motion Comics
– bilden das Herzstück des Portals. Aus der Perspektive
jeweils einer Person stellen wir darin historisch verbriefte
Ereignisse aus der badischen Landesgeschichte jener Jahre
auf einfache, spannende und verständliche Weise dar.
Unsere Fachkonferenz „Pietät contra Popkultur?“
Im November 2016 richten wir mit finanzieller Unterstützung durch die Landeszentrale für politische Bildung eine
zweitägige Fachkonferenz zu aktuellen Herausforderungen und Chancen einer außerschulischen Vermittlung
der NS-Geschichte aus. Unter dem Titel „Pietät contra
Popkultur?“ möchten wir einen Brückenschlag zwischen
Forschung und Vermittlung leisten, Vertreter der tradierten
Gedenkstättenarbeit und neuerer Ansätze in einen fruchtbaren Austausch miteinander bringen sowie den Dialog
zwischen schulischer und außerschulischer Geschichtsarbeit befördern.
Die Initiative Kislau-Forum
An seinem möglichen künftigen Wirkungsort ist unser
Verein ebenfalls gut verankert: Im Jahr 2013 haben wir
uns mit dem vom Bad Schönborner Kulturverein und den
örtlichen Kirchen getragenen Aktionsbündnis „Zeichen
setzen“ sowie vor Ort lebenden Einzelpersonen in der
Initiative Kislau-Forum zusammengefunden. Die Initiative sieht sich dem historischen Erbe von Schloss Kislau
in all seinen Facetten verpflichtet und möchte seinen Stellenwert als Kulturdenkmal steigern. In diesem
Zusammenhang setzt sie sich für die Schaffung eines
Informationssystems rund um die Schlossanlage sowie
für die Errichtung des Lernorts Kislau ein.
An den LZW-Ständen auf den Landesparteitagen der Grünen, der CDU und der SPD im Herbst 2015 informierten sich u. a. Gerlinde Kretschmann,
Katrin Schütz sowie Dr. Nils Schmid MdL und Katja Mast MdB, während im LZW-Projekt-Büro an Konzepten gearbeitet wurde.
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LITERATURHINWEISE
Albert, Mathias u. a.: 17. Shell Jugendstudie. Jugend
2015. Frankfurt a. M. 2015.
Benzler, Susanne (Hg.in): Einmischen, ja bitte! Politische Bildung für Jugendliche mit geringen Bildungschancen [Loccumer Protokolle 14/10]. Rehburg-Loccum
2011.
Eckmann, Monique und Miryam Eser Davolio: Rassismus angehen statt übergehen. Theorie und Praxisanleitung für Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Zürich – Luzern 2003.
Giesecke, Dana und Harald Welzer: Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur. Hamburg 2012.
Gryglewski, Elke: Anerkennung und Erinnerung. Zugänge arabisch-palästinensischer und türkischer Berliner
Jugendlicher zum Holocaust. Berlin 2013.
Gryglewski, Elke u. a. (Hg.): Gedenkstättenpädagogik.
Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NSVerbrechen. Berlin 2015.
Gugel, Günther (mit Nadine Ritzi): Didaktisches Handbuch 1 „Werte leben“. Tübingen – Backnang 2011.
Knoch, Habbo: Mehr Wissen und mehr Recht. Koordinaten einer zukünftigen Erinnerungskultur. Eine
Replik auf Harald Welzer. In: Gedenkstättenrundbrief
163 (10/2011) S. 3-11.
Lichtensteiger, Sibylle u. a. (Hg.): Dramaturgie in der
Ausstellung. Begriffe und Konzepte für die Praxis [Edition Museum, Bd. 8]. Bielefeld 2014.
Meier, Christian: Die Faszination des Biographischen. In:
Frank Niess (Hg.): Interesse an Geschichte. Frankfurt a.
M. – New York 1989, S. 100-111.
Posselt, Ralf-Erik und Klaus Schumacher: Projekthandbuch Gewalt und Rassismus. Handlungsorientierte und
offensive Projekte, Aktionen und Ideen zur Auseinandersetzung und Überwindung von Gewalt und Rassismus in Jugendarbeit, Schule und Betrieb. Mülheim a.
d. R. 1993.
Reemtsma, Jan Philipp: „Wie hätte ich mich verhalten?“
und andere nicht nur deutsche Fragen. Reden und Aufsätze. München 2001.
Reemtsma, Jan Philipp: Wozu Gedenkstätten? In: Aus
Politik und Zeitgeschichte 25–26/2010, S. 3-9.
Hilmar, Till (Hg.): Ort, Subjekt, Verbrechen. Koordinaten
historisch-politischer Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus. Wien 2010.
Schlag, Thomas und Michael Scherrmann (Hg.): Bevor
Vergangenheit vergeht. Für einen zeitgemäßen Politikund Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus
und Rechtsextremismus. Schwalbach/Ts. 2005.
Knigge, Volkhard: Zur Zukunft der Erinnerung. In: Aus
Politik und Zeitgeschichte 25–26/2010, S. 10-15.
Tyradellis, Daniel: Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten. Hamburg 2014.
Welzer, Harald: „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt
a. M. 2002.
Welzer, Harald: Für eine Modernisierung der Erinnerungs- und Gedenkkultur. In: Gedenkstättenrundbrief
162 (8/2011), S. 3-9.
„Wie wollt ihr euch erinnern?“ Dokumentation des
Partizipationsprojekts Beteiligung Jugendlicher an der
konzeptionellen Entwicklung des Informations- und
Dokumentationszentrums Hannoverscher Bahnhof.
Hamburg 2012.
Zick, Andreas und Anna Klein: Fragile Mitte – Feindselige
Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
2014. Hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer. Bonn 2014.
Zumpe, Helen: Menschenrechtsbildung in der Gedenkstätte. Eine empirische Studie zur Bildungsarbeit in NSGedenkstätten. Schwalbach/Ts. 2012.
ANHANG
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Unser Gestaltungskonzept für den Geschichtsparcours
1. Wer weiß am besten, was gut für ein Land ist?
Eine Gesellschaft im Umbruch
12. Wofür setze ich mein Leben ein?
Verweigerung und Widerstand im Krieg
2. Wofür lohnt es sich auf die Straße zu gehen?
Das frühe Ringen um die Republik
11. Was gehen mich die Anderen an?
Die Rettung von verfolgten Menschen
3. Wie wollen wir miteinander leben?
Humanität contra Menschenhass
10. Wie weit passe ich mich an?
Leben unter dem NS-Regime
4. Was verletzt die Würde?
Demokraten im Fokus rechtsextremer Hetze
5. Wie verteidigt man die Freiheit?
Der Versuch, den Gang in die Diktatur aufzuhalten
9. Was mache ich, nachdem ich flüchten musste?
Bestehen im politischen Exil
8. Wie viel will ich riskieren?
Früher politischer Widerstand
6. Wie bewahre ich Haltung?
Widerstehen im Angesicht der „Machtergreifung“
7. Wie viel Willkür kann ich ertragen?
Verfolgung, „Schutzhaft“ und KZs
Zwölf chronologische Themenfelder
C. Vertiefungsebene
Auf den folgenden zwölf Doppelseiten finden Sie unser
vorläufiges Gestaltungskonzept für den Geschichtsparcours eines künftigen Lernorts Kislau. In zwölf mehr oder
weniger chronologisch angeordneten Themenfeldern
möchten wir die Geschichte der Weimarer Republik
und der NS-Zeit biografisch akzentuieren und regional
verorten. Jedem Themenfeld haben wir eine Leitfrage
zugeordnet, die uns auch heute noch brisant erscheint.
Unter der Rubrik „Vertiefende Angebote“ beschreiben wir,
welche Fragestellungen und Ereignisse wir im jeweiligen
Themenfeld doch noch etwas eingehender behandeln
möchten. Diese Form der Hintergrundinformation in Text
und Bild richtet sich vor allem an interessierte Einzelbesucherinnen und -besucher sowie an Teilnehmerinnen und
Teilnehmer inhaltlich akzentuierter Projekttage (siehe S. 10).
A. Inhaltliche Beschreibung
Wo tun sich heute Entwicklungen und Tendenzen auf, die
sich in einen Bezug zu den historischen Ereignissen setzen
lassen? Diese Frage möchten wir nicht erst im Forum
aufwerfen, sondern – wo immer sinnvoll und möglich –
bereits auf dem Geschichtsparcours. Geschehen soll dies
allerdings eher subtil als plakativ. In einigen der zwölf
Themenfelder möchten wir deshalb zweiflüglige Zeitfenster einbauen, hinter denen sich jeweils ein Transfer
in die Gegenwart eröffnet.
Eingangs jeder Doppelseite umreißen wir zunächst den
inhaltlichen Kontext des jeweiligen Themenfelds und
erläutern den Bezug zur jeweiligen Leitfrage.
B. Didaktisch-mediale Umsetzung
Im nächsten Schritt beschreiben wir die Installationen sowie die medialen Angebote, mit denen wir im Themenfeld
arbeiten möchten. Didaktisch reduziert und mit knappen
Texten versehen, sollen sie möglichst einfach zu erfassen
sein. Auf dieser Ebene soll sich der gesamte Parcours
binnen ein bis anderthalb Stunden durchmessen lassen.
Unserem Vermittlungskonzept (siehe S. 10) entsprechend, werden jugendliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres halbtägigen Gruppenangebots in der Regel
allerdings nicht mehr als fünf der zwölf Themenfelder
ansteuern. So sollen sie in Themenfeld 1 erstmals „ihrer“
Leitfigur begegnen und dort am Weimarer Wahl-O-Mat
ihre Stimme abgeben. Des Weiteren werden sie Themenfeld 3 aufsuchen, um dort das Wertelabyrinth zu
erkunden. Darüber hinaus werden sie sich vor allem
darauf konzentrieren, in drei weiteren Themenfeldern
Informationen über „ihre“ Leitfiguren einzuholen und
Wertsachen dieser Personen einzusammeln.
D. Gegenwartstransfer via Zeitfenster
Das Gestaltungskonzept als Diskussionsgrundlage
In seiner vorliegenden Form enthält das Gestaltungskonzept bereits zahlreiche konkrete Ideen für eine ebenso
pointierte wie abwechslungsreiche Form der Geschichtsund Wertevermittlung. Dennoch verstehen wir es lediglich als Diskussionsgrundlage für einen intensiven Dialog,
den es im weiteren Verlauf mit potenziellen Mittelgebern,
Ausstellungsmachern sowie mit Vertreterinnen und
Vertretern der wichtigsten Zielgruppe des Projekts zu
führen gilt: mit Schülerinnen und Schülern.
Verfeinerung im Dialog mit jungen Menschen
Im Rahmen des Formats „Mobiler Lernort“ stellen wir
unser Konzept für den Kislauer Geschichtsparcours ab der
zweiten Jahreshälfte 2016 auf den Prüfstand: Gemeinsam mit Jugendlichen aus Schulen unterschiedlicher
Art erproben wir die Angebote, die wir für die einzelnen
Themenfelder vorgesehen haben, und entwickeln sie
weiter oder justieren sie gegebenenfalls nach. Auf diese
Weise soll ein Lernort entstehen, der nicht nur für, sondern tatsächlich auch mit jungen Menschen erarbeitet
worden ist.
Auswahl eines professionellen Ausstellungsbüros
Sofern das Land Baden-Württemberg die Förderung des
Projekts Lernort Kislau über den Jahreswechsel 2016/17
hinaus verlängert, möchten wir gleich zu Jahresbeginn
2017 einen Pitch zur Ermittlung desjenigen Ausstellungsbüros durchführen, mit dem sich das Gestaltungskonzept
für den Lernort Kislau am besten umsetzen lässt.
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Themenfeld 1
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WER WEISS AM BESTEN, WAS GUT FÜR EIN LAND IST?
tern eines parlamentarischen und Verfechtern eines Rätesystems, über die „Mannheimer Räterepublik“ und über
die unselige Rolle der Freikorps. Beispielhaft werden der
aus der Ortenau stammende Freikorpsführer Hermann
Erhardt sowie der Karlsruher Anarchist Gustav Landauer
vorgestellt, der im Mai 1919 von Freikorps-Männern auf
bestialische Weise ermordet wurde. An einem Bildschirm
können die Besucherinnen und Besucher die Ergebnisse
der 1919 auf Reichs- und Landesebene durchgeführten
Nationalversammlungswahlen sowie der badischen Kommunalwahlen abrufen.
Eine Gesellschaft im Umbruch (1918/19)
System inklusive Frauenwahlrecht und Sozialreformen
eingeführt. Während die Anhänger der SPD und eines Teils
der „bürgerlichen“ Parteien die politische Umwälzung
frenetisch bejubelten, trauerten Rechtsliberale wie
Konservative dem Kaiserreich nach. Darüber hinaus sah
sich die junge Republik von Anfang an von gleich zwei
Seiten bedroht: Die Anhänger der USPD und der neu
gegründeten KPD wollten – mit je unterschiedlicher
Virulenz – statt eines parlamentarischen ein Rätesystem
installieren. In den Freikorps wiederum scharten ehemalige Offiziere Tausende demobilisierter Soldaten um sich
mit dem Ziel, die Demokratie mitsamt ihrer Repräsentanten
zugunsten eines rechtsautoritären Regimes gewaltsam
zu beseitigen. „Wer weiß am besten, was gut für ein Land
ist?“, so möchten wir deshalb ergebnisoffen fragen.
Gedenkpostkarte für
Ludwig Frank aus
dem Jahr 1914
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Das erste Themenfeld des Geschichtsparcours soll sich
der politischen Umbruchsituation der Jahre 1918/19
widmen. Angesichts der sich abzeichnenden Kriegsniederlage hatten die Vertreter der monarchistischen
Ordnung die Geschicke des Deutschen Reichs in die
Hände der Sozialdemokratie gelegt. Deren Führungspersonal hatte daraufhin umgehend ein demokratisches
Installation „Gräberfeld“
Aus der Zeitschleuse kommend, finden sich die Besucherinnen und Besucher vor einem durch Holzkreuze angedeuteten kleinen Gräberfeld wieder. Auf einigen der Kreuze
wird jeweils das Schicksal eines getöteten Soldaten aus
Baden in zwei knappen Sätzen skizziert. Eines der Kreuze
ist dem Mannheimer Reichstagsabgeordneten Ludwig
Frank gewidmet, der sich noch unmittelbar vor Kriegsbeginn an vorderster Stelle für eine Aussöhnung zwischen
Deutschland und Frankreich engagiert hatte, um kurz
darauf auf dem vermeintlichen „Feld der Ehre“ zu
sterben. Andere der Kreuze belegen den elendigli-
chen „Heldentod“ unbekannter junger Männer auf dem
Schlachtfeld von Verdun und an anderen Schreckensorten.
Installation „Nachkrieg“
Hinter dem Gräberfeld lässt eine Installation aus Barrikade, Reichskriegsflaggen und Gewehren die verrohte
und gewaltaufgeheizte Nachkriegsatmosphäre erahnen.
Krücken, Prothesen sowie eine fast leere Bettelmütze
und ein karg gefüllter Essnapf illustrieren die Not und das
Elend der Jahre 1918/19.
Installation „Parteienspektrum“
Neben Gräberfeld und Barrikaden stoßen die Besucherinnen und Besucher auf eine Reihe lebensgroßer Pappfiguren. Jede dieser Figuren steht für eine historische Persönlichkeit aus der badischen Politik. Zusammen bilden sie
das gesamte Spektrum der frühen Weimarer Republik ab.
Ihr politisches Credo ist in jeweils einem kurzen, prägnanten Zitat gebündelt. Von links nach rechts gruppiert
sehen wir den KPD-Mitbegründer Paul Schreck, das
USPD-Mitglied Emil Julius Gumbel, die Sozialdemokraten
Käthe Vordtriede und Adam Remmele, den linksliberalen
Heidelberger Pfarrer Hermann Maas, Joseph Wirth als
Vertreter der katholischen Zentrumspartei, den damals
mit der DNVP sympathisierenden Historiker Gerhard
Ritter aus Freiburg sowie den Freikorps-Aktivisten Robert
Wagner, der später zur NSDAP finden sollte. Mit Ausnahme von Schreck und Wagner wird im Rahmen unserer
Aufruf vom Februar 1919
Maikundgebung 1919 auf dem Karlsruher Marktplatz
Gruppenarbeit jeweils eine dieser Persönlichkeiten ein
Team als Leitfigur durch den Geschichtsparcours begleiten (siehe S. 10). In einigem Abstand zu den Erwachsenen
steht der knapp zehnjährige Karl Schroth. Auch er wird als
Leitfigur einige Themenfelder weiter wieder auftauchen.
Weimarer Wahl-O-Mat
An zentraler Stelle des Themenfelds findet sich der
Weimarer Wahl-O-Mat. Im Multiple-Choice-Verfahren
können die Besucherinnen und Besucher dort ihre
Meinung zu rund einem halben Dutzend politisch-gesellschaftlicher Themen abgeben. Anschließend ermittelt
der Wahl-O-Mat diejenige Partei der Weimarer Republik, mit deren Positionen die „Wählerin“ oder der „Wähler“ am ehesten übereinstimmt. Die Abstimmungsergebnisse werden von uns fortlaufend ausgewertet; der
jeweils aktuelle Stand kann ebenfalls am Wahl-O-Mat
abgerufen werden.
Audio-Station „Propagandalieder“
An einer Audio-Station können die Besucherinnen und
Besucher sich über Kopfhörer das KPD-Lied „Auf, auf zum
Kampf“ sowie das SPD-Lied „Wann wir schreiten Seit‘ an
Seit‘“ anhören. Die Texte dieser beiden Lieder sind auch
schriftlich verfügbar – ebenso der Text des „Lieds der
Brigade Ehrhardt“, in dem unverhüllt zum Mord an
Kommunisten und Sozialdemokraten aufgerufen wird.
Vertiefende Angebote
Über die genannten Angebote hinaus finden Interessierte
in Themenfeld 1 Texte und Dokumente vor, die über die
politischen Ereignisse der Umbruchphase 1918/19 von
der Ausrufung der Republik und dem Waffenstillstand
über die Einberufung von Nationalversammlungen bis zur
Unterzeichnung des Versailler Vertrags durch den gebürtigen Mannheimer Hermann Müller Aufschluss geben. Sie
erfahren etwas über den Widerstreit zwischen Befürwor19 mit u. a.
esregierung 19
Badische Land
Adam Remmele
d
un
rth
Wi
Joseph
30
Themenfeld 2
31
1. TV-Bericht „Generalstreik gegen Kapp-Putsch“
WOFÜR LOHNT ES SICH AUF DIE STRASSE ZU GEHEN?
An einer angedeuteten Hauswand finden sich Reproduktionen von Plakaten, mit denen im März 1920 in Karlsruhe,
Mannheim und anderen Städten Badens zum Generalstreik gegen den Kapp-Putsch aufgerufen wurde; die
Hintergründe werden knapp skizziert. Inmitten der
Plakate ist ein Fernsehbildschirm installiert, auf dem eine
fiktive Nachrichtensendung zu sehen ist: Eine Sprecherin
berichtet aus regionaler Perspektive über die Besetzung
der Berliner Innenstadt durch die Putschisten sowie über
die Flucht des Reichspräsidenten und der Reichsregierung nach Stuttgart. „Auf einen Aufruf der Freien und
christlichen Gewerkschaften hin“ – so in etwa fährt sie
fort – „ließen am gestrigen Dienstag auch in der Republik
Baden sämtliche Beschäftigte 24 Stunden lang die Arbeit
ruhen. Die Landesregierung lehnte jede Zusammenarbeit
mit den Putschisten ab.“
Das frühe Ringen um die Republik (1920-1923)
Der Mord an
Rathenau ist nu
r
ein Glied in einer
Kette wohlvorbereiteter
Anschläge auf
die Republik. Zu
erst sollen die
Führer der Re
publik, dann so
ll
die Republik se
lbst fallen.
Joseph Wirth 192
2
Joseph Wirth
2. Live-Ticker „Demos gegen Politiker-Morde“
Aufruf zum Ge
neralstreik ge
gen den Kapp
-Putsch
Installationsfeld „Zeitsprung“
Trupp der Brigade Ehrhardt während des Kapp-Putschs
Worum geht es in diesem Themenfeld?
„Wofür lohnt es sich auf die Straße zu gehen?“, diese Frage war zu Beginn der 1920er Jahre existenziell für den
Fortbestand der jungen Weimarer Republik: Angesichts
der Eskalation rechtsextremistischer Gewalt sahen sich
Demokratinnen und Demokraten immer wieder genötigt, klare Signale für Frieden, Freiheit und Demokratie
zu setzen. Dies galt umso mehr nach dem Kapp-Putsch
im März 1920: Wenn die junge Republik nicht schon
wenige Monate nach der Gründung ihr Ende fand, so
verdankte sich dies den Millionen von Menschen, die
damals dem Aufruf der Gewerkschaften zum Generalstreik Folge leisteten. Dass die Gefahr nicht gebannt war,
zeigten 1921 und 1922 die politisch motivierten Morde
an den beiden Reichsministern Matthias Erzberger und
Walter Rathenau. Tausende von Menschen gingen nun auf
die Straße, um gegen Gewalt und für den Zusammenhalt
der Gesellschaft zu demonstrieren.
Um die Ereignisdichte und die Dramatik erfahrbar zu machen, der die Menschen in Deutschland zu Beginn der
1920er Jahre ausgesetzt waren, möchten wir in Themenfeld 2 mit Mitteln der Verfremdung arbeiten: Die historischen Inhalte werden in heutige mediale Präsentationsformen überführt. Anknüpfend an die Alltagserfahrungen der
Besucherinnen und Besucher, möchten wir damit gängige
Vermittlungsmuster durchbrechen und durch Irritation
Neugier wecken. Neben Reproduktionen zeitgenössischen
Plakat- und Bildmaterials sowie Audio-Sequenzen mit
Augenzeugenberichten finden die Besucherinnen und
Besucher daher in Themenfeld 2 mehrere Bildschirme vor.
Vor einer weiteren angedeuteten Hauswand mit Reproduktionen zeitgenössischer Dokumente sind zwei Computerbildschirme platziert. Im Stil eines Live-Tickers
berichtet das fiktive Online-Magazin des „Badischen
Staatsanzeigers“ jeweils über den Erzberger- und den
Rathenau-Mord sowie über die Demonstrationen, mit
denen Bürgerinnen und Bürger auch in vielen badischen
Städten über Parteigrenzen hinweg ihre Empörung
über die beiden Gewalttaten zum Ausdruck brachten.
In diesem Zusammenhang kann die berühmte Rede, in
der Reichskanzler Joseph Wirth die rechtskonservativen
Feinde der Republik 1922 als Wegbereiter des Terrors
anprangerte, online abgerufen werden.
Demonstrationsaufruf vom Sommer 1922
3. Blog-Eintrag „Hitler in die Heilanstalt“
Auf dem dritten Computerbildschirm ist der fiktive Blog
des damaligen badischen Staatspräsidenten und Innenministers Adam Remmele mit einem Eintrag vom Februar
1923 aufgerufen. Der Blog greift die Landtagsrede auf, in
der Remmele damals auf drastische Weise Stellung zum
Treiben Adolf Hitlers bezog. Blogkommentare bilden die
teils zustimmenden, teils wütend ablehnenden Reaktionen
ab, die diese Rede hervorrief.
Audio-Station „Putsche 1920 und 1923“
An einer Audio-Station können die Besucherinnen und
Besucher einen autobiografischen Bericht des damaligen
badischen Staatspräsidenten Anton Geiß über die mit
dem Kapp-Putsch in Zusammenhang stehenden Ereignisse in der Region abrufen. Auch einen Augenzeugenbericht
über den Hitler-Putsch im November 1923 können sie sich
an dieser Station anhören. Unterdessen zum Nazi-Gegner
geläutert, schildert der Freiburger Putschist Helmuth
Klotz aus der Rückschau die Münchener Vorgänge.
Vertiefende Angebote
Über die genannten Installationen hinaus bieten wir in
Themenfeld 2 nähere Informationen über Hintergründe
und Folgen der politisch motivierten Mordtaten jener Zeit
sowie der Putschversuche der Jahre 1920 und 1923 an.
Auch die soziale Not der Nachkriegs- und Inflationszeit
sowie deren politische Folgen werden thematisiert.
Zeitfenster
Hinter einem zweiflügligen Zeitfenster finden die Besucherinnen und Besucher Informationen über unterschiedliche Formen des Straßenprotests aus jüngerer Zeit vor
– von der klassischen Gewerkschaftsdemo über Greenpeace- und Occupy-Aktionen oder die iDemo der „Partei“
von 2013 bis hin zu aktuellen Pegida-Demonstrationen.
„Wer ist Adolf Hitler aus München?“
Meine Herren von rechts! Ich will Ihnen
darauf sagen: Wenn ich Zugriffsrechte
hätte, würde ich diesen Herrn in eine
Heil- und Pflegeanstalt schicken […].
Adam Remmele 1923
32
Themenfeld 3
33
WIE WOLLEN WIR MITEINANDER LEBEN?
Humanität contra Menschenhass (1920er Jahre)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
1. Weggabelung „Freiheit für alle?“
Dass sich in der Weimarer Republik extrem unterschiedliche, vielfach unversöhnliche Weltanschauungen gegenüberstanden, soll in den beiden ersten Themenfeldern
aufgezeigt werden. In Themenfeld 3 möchten wir verdeutlichen, dass diesen unterschiedlichen Anschauungen
letztlich gänzlich unterschiedliche Menschenbilder
zugrunde lagen. Anhand von Grundsatzfragen und konkreten Beispielen möchten wir den Unterschied zwischen
einem aufklärerisch-humanistisch geprägten Menschenbild einerseits und einem von Hass und Gewaltbereitschaft geprägten Menschenbild andererseits herausarbeiten. „Wie wollen wir miteinander leben?“, so sollten sich
die Menschen heute wie damals angesichts immer neuer
Herausforderungen stets aufs Neue fragen.
Eingangs des Wertelabyrinths finden sich die Besucherinnen und Besucher vor einem großen Schild mit der Frage
„Freiheit für alle?“ Über einen kleinen Wegweiser mit der
Aufschrift „Ja“ gelangen sie in einen kleinen Raum, in dem
einige Organisationen vorgestellt werden, die sich in der
Weimarer Republik für Meinungsfreiheit einsetzten. Sie
lernen die Freiburger Journalistin Käthe Vordtriede und
die Heidelberger Reformpädagogin Elisabeth von Thadden kennen, erfahren etwas über christliche Pfadfinder
und sozialdemokratische Kinderrepubliken und können
Dokumentarfilme über einige Jugendorganisationen
abrufen. Wer hingegen einem Wegweiser mit der Aufschrift
„Nein“ folgt, sieht sich in einem anderen Raum mit dem
Prinzip von Führer und Gefolgschaft sowie mit dem damit
einhergehenden Meinungsdiktat konfrontiert, das in der
NSDAP und in der Hitler-Jugend vorherrschte. Ein Schild
mit der Aufschrift „Einverstanden!“ weist den Weg in den
nächsten „Nein“-Raum, ein Schild mit der Aufschrift „So
nicht!“ den Weg in den ersten „Ja“-Raum.
Installation Wertelabyrinth
Im Wertelabyrinth, einem durch Stellwände gestalteten kleinen „Irrgarten“, sehen sich die Besucherinnen
und Besucher mit drei Kernfragen menschlichen Zusammenlebens konfrontiert: Hat Freiheit für alle Menschen
zu gelten? Haben alle Menschen prinzipiell das gleiche
Recht auf Lebenschancen und Lebensglück? Und ist die
Wahrung von Frieden im Inneren wie im Äußeren ein
hohes und unbedingtes Ziel? An drei Stellen bietet das
Wertelabyrinth die Möglichkeit, den historischen Ausprägungen und Auswirkungen einer positiven und einer
negativen Antwort auf diese drei Fragen nachzuspüren.
te einsetzten. So lernen sie die Mannheimerin Elisabeth
Altmann-Gottheiner kennen, die als erste Hochschuldozentin Deutschlands im Bund Deutscher Frauenvereine
aktiv war, und stoßen auf die Karlsruher Landtagsabgeordnete Kunigunde Fischer, die für gleiche Berufs- und
Lebenschancen von Frauen stritt. Sie erfahren etwas über
die von Emil Julius Gumbel mitgeprägte Deutsche Liga für
Menschenrechte sowie über den Verein zur Abwehr des
Antisemitismus, in dem sich der Freiburger Zentrumspolitiker Constantin Fehrenbach und der Heidelberger Pfarrer
Hermann Maas engagierten. Über einen Wegweiser „Nein“
hingegen gelangen die Besucherinnen und Besucher in
einen Raum, der anhand von Programmatik und Verfasstheit der NSDAP und der NS-Frauenschaft den Männlichkeitskult und das archaische Frauenbild der Ultrarechten
thematisiert. Darüber hinaus werden sie mit Äußerungen
zur „Minderwertigkeit“ bestimmter Gruppen und Völker
sowie zur „Reinhaltung der Rasse“ durch „Zuchtwahl“
konfrontiert. Über ein Schild „Einverstanden!“ können
sie in den nächsten „Nein“-Raum, via „So nicht!“ in den
zweiten „Ja“-Raum gelangen.
3. Weggabelung „Frieden?“
Die Frage nach „Frieden“ berührt sowohl den inneren
Frieden des Landes als auch die Frage nach dem Verhältnis
zu anderen Nationen. Im „Ja“-Raum werden Georg Reinbold und mit ihm die überparteiliche Republikschutzorganisation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ eingeführt,
in der Gewalt allenfalls als notwendiges Übel zur Verteidigung der Demokratie galt. Auf einem Bildschirm kann
ein Dokumentarfilm über einen Reichsbanner-Aufmarsch
abgerufen werden. Freie, christliche und liberale Gewerkschaften sowie die ihnen nahestehenden Sozialverbände
werden als Vorkämpfer für sozialen Frieden im Inneren
sowie für internationale Solidarität vorgestellt. Des Weiteren erfahren wir etwas über den Einsatz der aus Baden
stammenden Reichspolitiker Hermann Müller und Ludwig
Haas zugunsten einer internationalen Verständigung. Den
Kaiserstühler Lehrer Wilhelm Hauser lernen wir als Repräsentanten der Deutschen Friedensgesellschaft kennen. Im
„Nein“-Raum hingegen wird am Beispiel des SA-Aktivisten
Karl Pflaumer der paramilitärische Gewaltkult behandelt,
der in den Reihen der Ultrarechten vorherrschte.
2. Weggabelung „Gleichheit aller?“
Am Ende des „Ja“-Raums wie des „Nein“-Raums werden
die Besucherinnen und Besucher mit der Frage konfrontiert, ob es eine „Gleichheit aller“ gebe oder nicht. Über
einen Wegweiser „Ja“ gelangen sie in einen Raum, in dem
Personen und Organisationen vorgestellt werden, die sich
in der Weimarer Republik für Menschen- und BürgerrechMitglieder der Ladenburger Jungbanner-Gruppe um 1926
4. „Kluft der Weltanschauungen“
Aus dem letzten „Ja“-Raum kommend, werden die Besucherinnen und Besucher am Ende des Wertelabyrinths
mit einem Schild „Solidarische Gesellschaft“ empfangen.
Wer hingegen aus dem dritten „Nein“-Raum tritt, findet
sich vor einem Schild „Ausgrenzungsgesellschaft“ wieder.
Beide Ausgänge sind durch eine symbolische „Kluft der
Weltanschauungen“ voneinander getrennt.
Vertiefende Angebote
Für Interessierte halten wir in Themenfeld 3 weitere
Informationen zur Ideologie der Völkischen und speziell der NSDAP bereit. Auch der Weltanschauungskampf,
der in der Weimarer Republik auf dem Gebiet von Kunst
und Kultur tobte, wird thematisiert – von der Brandmarkung expressionistischer Malerei als „entartet“ bis hin zur
Verteufelung von Jazz und Swing als „Negermusik“. Mit
Zeitungsausschnitten aus badischen Blättern wird
darüber hinaus illustriert, welch konträre und heftige
Reaktionen der 1929 veröffentlichte Antikriegsroman
„Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque
sowie dessen Verfilmung hervorriefen.
Zeitfenster
Hinter einem Zeitfenster finden die Besucherinnen und
Besucher Informationen rund um das Thema „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sowie zu Phänomenen
wie Hate Speech und Cyber-Mobbing. Darüber hinaus
werden sie mit der Frage konfrontiert, ob soziale Netzwerke
neue Formen einer Ausgrenzungsgesellschaft begünstigen.
34
Themenfeld 4
35
WAS VERLETZT DIE WÜRDE?
Demokraten im Fokus rechtsextremer Hetze (1920er Jahre)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Nachdem in Themenfeld 3 Menschenbild und Wertekatalog des demokratischen Parteienspektrums umrissen
und mit der Gegenwelt der Völkischen und anderer Extremisten in Kontrast gesetzt worden sind, möchten wir in
Themenfeld 4 den Hass in den Blick nehmen, dem mutige
Demokraten im vergifteten politischen Klima der Weimarer Republik ausgesetzt waren. „Was verletzt die Würde?“,
so gilt es nicht nur mit Blick auf das historische Beispiel
zu fragen.
Installation „Präsident in Badehose“
Eingangs von Themenfeld 4 stoßen die Besucherinnen
und Besucher auf eine lebensgroße Pappfigur von
Friedrich Ebert, bekleidet lediglich mit einer Badehose.
Sie erfahren, dass das 1919 aufgenommene Foto des
Reichspräsidenten im Freizeitdress gleich zu Beginn
der jungen Republik den Anstoß zu einer beispiellosen
Diffamierungskampagne gab, der zahllose weitere Fälle
geistiger Brandstiftung folgen sollten.
verräter“ und „Systempolitiker“ vorgestellt, die Publizisten Emil Julius Gumbel und Hermann Kantorowicz über
die üblichen Beleidigungen hinaus als „Demagogennaturen“ und „Verbrecher am deutschen Geist“.
ten, die deren jeweiliges Wirken im Sinne von Demokratie und Menschenrechten schlaglichtartig beleuchten.
Remmeles und Marums politischer Kampf gegen die
Nazis und deren Verbündete wird ebenso dokumen-
Hitler ist ein glänzende
r Redner, ein
ausgemachter Dema
goge. Ein Mensch,
unfähig einen eigene
n Gedanken zu haben,
aber gerade darin lieg
t seine Stärke.
Denn er sagt, was an
jedem Stammtisch
jeden Tag wiedergek
äut werden kann.
Alle diese öden und pla
tten Dinge setzt er,
von tosenden Heilrufe
n begleitet, seiner
Gefolgschaft Tag fü
r Tag vor.
Um einen Stammtisch mit Reichskriegswimpel und anderen völkischen Insignien herum sind die seinerzeit geläufigsten Schimpfwörter der Rechtsextremen stellvertretend
jeweils einer Persönlichkeit zugeordnet. Die Landes- und
Reichspolitiker Ludwig Marum, Adam Remmele und
Joseph Wirth werden als „Novemberverbrecher“, „Volks-
Wer Aufschluss darüber erlangen möchte, womit diese
fünf Männer den unerbittlichen Hass nicht nur der Ultrarechten, sondern auch vieler vermeintlich „braver Bürger“
auf sich zogen, muss jeweils hinter die einzelnen ParolenWände treten: Dort, auf den Rückseiten, finden sich –
ergänzt um knappe Informationen – Zitate der Genann-
An zentraler Stelle des Themenfelds findet sich ein gläserner Raum oder eine nach unten hin offene „Glocke“,
die bis zu fünf Personen Platz bietet. Wer den Raum betritt
bzw. unter die Glocke schlüpft, sieht sich Hassgesängen
und Gebrüll ausgesetzt. Dort können die Besucherinnen
und Besucher erspüren, wie es sich anfühlen muss, mit
einem wütenden Mob konfrontiert zu sein.
Ein echtes Fenster soll den Blick auf eine Graffiti-Wand
im Außenbereich freigeben. Im Rahmen mehrtägiger
Projektarbeit soll diese Wand jeweils von einer Jugendgruppe oder Schulklasse für einen bestimmten Zeitraum
gestaltet werden. Die Jugendlichen können dort Parolen,
Zitate oder Bilder zum Thema „Würde“ hinterlassen. Die
Besucherinnen und Besucher des Lernorts können sich
damit auseinandersetzen, wie heutige Jugendliche für
sich „Würde“ definieren.
Interessierte finden in Themenfeld 4 weitergehende
Informationen über die fortgesetzte Hetze gegen Gumbel
sowie über den „Batschari-Reemtsma-Skandal“, der mit
einer gezielten Rufmordkampagne gegen Marum einherging. Auch die letztlich vor Gericht ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Remmele und dem Polizisten und
NSDAP-Aktivisten Karl Pflaumer – Remmeles späterem
„Amtsnachfolger“ im Innenressort – wird dokumentiert.
4
„Hinter-Fragen“
Interaktiver „Raum der Widerworte“
Zeitfenster auf partizipative Graffiti-Wand
Vertiefende Angebote
Emil Julius Gumbel 192
Installation „Stammtisch-Hetze“
tiert wie Wirths aktiver Einsatz für die Republik und gegen ein Bündnis seiner Partei mit der ultranationalen
DNVP, Kantorowicz’ Gutachten zur Kriegsschuldfrage
oder Gumbels Engagement gegen Kriegsverherrlichung
und eine auf dem rechten Auge blinde Justiz. Dem
Wirken Gumbels in der Weimarer Republik widmet sich
darüber hinaus der Motion Comic „Eine Kohlrübe als
Kriegsdenkmal“.
Ludwig Marum
Hermann Kantorowicz
Emil Julius Gumbel
Zeitfenster
Durch Öffnen eines Zeitfensters können sich die
Besucherinnen und Besucher anhand aktueller Beispiele
darüber informieren, wie freie Meinungsäußerung, Beleidigung und Volksverhetzung juristisch definiert sind und
wie sie sich voneinander abgrenzen lassen.
Reichspräsident Friedrich Ebert (rechts) im Sommer 1919 beim Bade
Plakat des rechtsextremistischen
Völkischen Blocks zur Reichstagswahl 1924
36
Themenfeld 5
37
WIE VERTEIDIGT MAN DIE FREIHEIT?
Der Versuch, den Gang in die Diktatur aufzuhalten (1929-1933)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Im Zuge der Kampagne gegen den Young-Plan im Herbst
1929 stellte die NSDAP erstmals ihre hohe Mobilisierungskraft unter Beweis. In Baden zog sie nun in den Landtag
ein. Ein Jahr darauf erzielte die Partei bei den Reichstagswie bei den badischen Kommunalwahlen große Erfolge.
Beschimpfungen und Tätlichkeiten gehörten seither in
diesen Gremien zum Alltagsgeschäft, und die Auseinandersetzung verlagerte sich zugleich wieder zunehmend
auf die Straße. Hitler bedeutet Krieg, diese Erkenntnis
hatte sich unterdessen bei vielen politischen Akteuren
durchgesetzt. Die Frage „Wie verteidigt man die Freiheit?“
gewann vor diesem Hintergrund nachgerade existenzielle
Bedeutung. Warum gelang es dennoch nicht, den Gang in
die Diktatur aufzuhalten?
Themenspektrum reicht von der Stalinisierung der
KPD 1929 über die Aufkündigung der Großen Koalition
1930 und die Etablierung der „Notstandskabinette“, die
verpasste Chance eines NSDAP-Verbots, die Reichspräsidentenwahl 1932 und das Ausbleiben eines
Generalstreiks nach dem „Preußenschlag“ bis zum Bruch
der Weimarer Koalition in Baden und zur politischen
Lähmung der Nazi-Gegner angesichts der Ernennung
Hitlers zum Reichskanzler.
TF 2
Installation Scheideweg
Obwohl die politischen Spielräume seit 1929 immer enger
wurden, taten sich auch jetzt noch Handlungsoptionen
auf, die zur Stabilisierung der Republik hätten beitragen
können. Sinnlich erfahrbar machen soll dies ein nach
rechts gekrümmter, sich verengender Weg, in dessen
chronologischem Verlauf sich immer wieder Abzweigungsmöglichkeiten auftun – manche holprig, manche
versperrt, andere mit ungewisser Perspektive. Kurz und
knapp werden entlang dieses Scheidewegs politische
Ereignisse sowie deren Folgen mit den jeweils möglichen Alternativen und deren Risiken kontrastiert. Das
Installationsfeld „Abwehr“
Am Wegesrand finden die Besucherinnen und Besucher
vier Stationen vor, in denen jeweils unterschiedliche
Aktionsformen des Abwehrkampfs gegen den Aufstieg
der Ultrarechten präsentiert werden:
1. „Wall of fame“ der wehrhaften Demokratie
An einer stilisierten Hausmauer wird der Begriff „Wehrhafte Demokratie“ in zwei Sätzen erläutert. Exemplarisch
werden an dieser „Wall of fame“ die Versuche badischer
Demokraten vorgestellt, dem Aufstieg der NSDAP mit
gesetzlichen Mitteln oder mittels exekutiver Gewalt zu
begegnen. So erfahren die Besucherinnen und Besucher
etwas über Joseph Wirths Aktivitäten als Reichsinnenminister 1930/31 oder über Adam Remmeles Wirken als
durchsetzungsstarker Landesinnenminister, unter dessen
Ägide die Polizei extremistische Umtriebe – anders als in
anderen deutschen Ländern – rigoros unterband. Auch
der spätere Nürnberger Ankläger Robert Kempner wird
gewürdigt, der 1930 als junger Jurist maßgeblich an der
Initiative Preußens zu einem NSDAP-Verbot beteiligt war.
2. Buchhandlung „Freiheit“
Adam Remmele
In einem Schaufenster am Wegesrand sind Schriften ausgestellt, die den Einsatz badischer Demokraten für die
Republik und gegen die extreme Rechte mit den Mitteln
der Publizistik dokumentieren. Die von Joseph Wirth und
Ludwig Haas herausgegebene Zeitschrift „Deutsche Repu-
blik“ findet sich dort ebenso wie aufklärerische Schriften
von Adam Remmele, Käthe Vordtriede, Alexander Schifrin
und Emil Julius Gumbel oder Theodor Heuss’ Studie „Hitlers Weg“. Ein Zeitungsständer neben dem Schaufenster
hält Reproduktionen von Aufsätzen und Zeitungsartikeln
sowie Reproduktionen historischer Klebezettel bereit.
3. Interaktive Litfaßsäule
Seit 1930 stand die Wahlwerbung der demokratischen
Parteien ganz im Zeichen des Abwehrkampfs gegen die
NSDAP und die KPD. Auf einer interaktiven Litfaßsäule finden sich Plakate von Zentrum, DDP, DVP, SPD, KPD
und NSDAP aus den Jahren 1929 bis 1933. Mittels eines
Touchscreens können die Besucherinnen und Besucher die Plakatmotive den einzelnen Parteien sowie den
verschiedenen Wahl- und Abstimmungskampagnen
zuordnen, mit denen sie im Verlauf des Scheidewegs
konfrontiert werden.
4. Multimedia-Station „Frontbildung“
Eine Installation aus Schlagstöcken und zerrissenen
Fahnen steht für die physische Konfrontation mit den
Ultrarechten in Redesälen und auf den Straßen. An einer
Audio-Station dokumentieren Auszüge aus Landtags- und
Gemeinderatsprotokollen die Tätlichkeiten badischer
NSDAP-Abgeordneter gegenüber Politikern gegnerischer
Parteien. Ein Augenzeugenbericht dokumentiert die
Mannheimer Saalschlacht zwischen Nazis und Kommunisten im Jahr 1928, ein anderer die Karlsruher Straßenschlacht zwischen Nazis und Reichsbanner-Leuten 1931.
Ausschnitte aus zeitgenössischen Dokumentarfilmen
zeigen Demonstrationszüge der „Eisernen Front“, die sich
Ende 1931 in direkter Reaktion auf die Formierung der
„Harzburger Front“ aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm gründete. An einer zweiten Audio-Station können der „Marsch
der Eisernen Front“ und das in den Reihen der KPD
gesungene „Kampflied gegen den Faschismus“ abgerufen
werden, in dem der Eisernen Front Betrug am Proletariat
unterstellt wird. Die Texte beider Lieder werden mit dem
des „Horst-Wessel-Lieds“ kontrastiert. Der Motion Comic
„,Judenknechte‘ contra Nazis“ beschreibt eine Schlägerei
im Mannheimer Bürgerausschuss zu Jahresbeginn 1932
sowie deren fragwürdiges juristisches Nachspiel.
Vertiefende Angebote
Über die skizzierten Angebote hinaus finden interessierte Besucherinnen und Besucher in Themenfeld 5 nähere
Informationen über die „Sozialfaschismusthese“, die als
damalige Generallinie der KPD ein wesentliches Hindernis für eine Bündelung aller verfügbaren Kräfte im Kampf
gegen rechts darstellte. Desgleichen finden sie Informationen über die Hintergründe des Scheiterns der Großen
Koalition 1930, über die Zeit der „Notverordnungskabinette“ sowie über den „Preußenschlag“. Schlagzeilen und
Fotos illustrieren das soziale
Elend jener Jahre, das durch
TF2
die Weltwirtschaftskrise weiter verstärkt wurde.
Plakate von DDP, DVP, SPD und Zentrumspartei
zu den Reichstagswahlen der Jahre 1928 bis 1932
38
Themenfeld 6
39
WIE BEWAHRE ICH HALTUNG?
Widerstehen im Angesicht der „Machtergreifung“ (1933)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am
30. Januar 1933 sowie die Auflösung des Reichstags
wenige Tage darauf gaben den Auftakt zu einer geradezu erdrutschartigen Erosion rechtsstaatlicher Praxis
und Prinzipien. In Themenfeld 6 möchten wir die Ereignisse in Baden in den ersten Monaten des Jahres 1933
beleuchten. Während sich viele vermeintliche Nazi-Gegner
wegduckten und klaglos an die neuen Machtverhältnisse
anpassten, blieben andere ihren Überzeugungen treu.
„Wie bewahre ich Haltung?“, diese Frage mussten sich
sowohl diejenigen Menschen, die direkt von Unrecht betroffen waren, als auch diejenigen stellen, die als freiwillige
oder unfreiwillige Zuschauer Zeugen von Demütigung
und Gewalt wurden.
Augenzeugenberichte zweier Männer abgerufen werden,
die den Ladenboykott in Baden-Baden und in Lörrach
erlebten und ihn – anders als die breite Masse – bewusst
brachen.
1. Installation „Machtergreifung“
3. Installation „Schaufahrt“
Die Zerschlagung von Parteien und Gewerkschaften
sowie ihrer Presseorgane im Frühjahr 1933 ist Gegenstand
der ersten Installation. Auf der Seite der Ausgelieferten
ist ein verwüstetes Redaktionsbüro nachgebildet. Auf der
Zuschauerseite türmen sich vor einer angedeuteten Hauswand zerfledderte Aktenordner und Broschüren, Massen
einzelner Papiere, zerbrochene Stühle und demolierte
Schreibmaschinen. Auf einem Bildschirm läuft der Motion
Comic „Randale in der Redaktion“, der die Erstürmung der
Freiburger „Volkswacht“-Redaktion am 17. März 1933 aus
der Perspektive von Käthe Vordtriede schildert. Der Ton
kann über Kopfhörer abgerufen werden.
Die dritte Installation ist der „Schaufahrt“ am 16. Mai 1933
gewidmet, mit der die Nazis die Verschleppung von Adam
Remmele, Ludwig Marum und fünf weiteren bekannten
Landespolitikern ins neu errichtete Konzentrationslager
Kislau als demütigendes Schauspiel zu inszenieren trachteten. Auf der Seite der Ausgelieferten finden sich die
Besucherinnen und Besucher auf einem engen Pritschenwagen wieder. Via Kopfhörer können sie Remmeles
Bericht über den Ablauf der „Schaufahrt“ abrufen.
Sie erfahren, wie er und andere angesichts einer gaffenden und johlenden Meute Gleichmut zu demonstrieren
suchten. Auf der Zuschauerseite ist ein offener Wagen
vor markanter Karlsruher Innenstadtkulisse zu sehen. Im
Hintergrund finden sich Fotoaufnahmen der Aktion. Per
Knopfdruck lässt sich ein Geräuschteppich unterlegen,
der die damalige Situation akustisch wiederzugeben
versucht: Neben den vielen Menschen, die die Männer auf
dem Wagen beleidigten und verhöhnten, gab es nur wenige, die gegen den Mob anschrien – und damit ihre eigene
Verhaftung riskierten.
2. Installation „Ladenboykott“
Video-Station „Haltung bewahren!“
Eingangs von Themenfeld 6 treffen die Besucherinnen
und Besucher auf den badischen Staatspräsidenten Josef
Schmitt. Gegen seine widerrechtliche Absetzung Anfang
März 1933 reichte er – obwohl um die Vergeblichkeit seines Unterfangens wissend – Klage ein. Damit bewahrte
Schmitt ebenso Haltung wie der Heidelberger Professor
Alfred Weber, der sich dem Hissen der Hakenkreuzflagge
an seinem Institut erfolgreich entgegenstellte. Beide
Ereignisse sind Gegenstand je eines Motion Comics.
net – drei historisch verbürgte Ereignisse aus den ersten
Monaten des Jahres 1933 nachempfunden, in denen
Menschen, die von den Nationalsozialisten zu „Volksfeinden“ erklärt worden waren, der Bedrohung trotzten.
SA-Männer am 1. April 1933 vermutlich vor einem Berliner Geschäft
Raum „Betroffene – Bystander – Beisteher“
Die Besucherinnen und Besucher betreten einen länglichen Raum, der leporelloartig in zwei Hälften geteilt ist.
Die eine Hälfte ist als „Areal der Ausgelieferten“, die andere
als „Areal der Zuschauer“ ausgewiesen. Türen und andere Übergänge ermöglichen es, zwischen beiden Arealen
zu wechseln und so wahlweise die Perspektive der Ausgelieferten oder die der Zuschauer einzunehmen. Unter
den Zuschauern wiederum gilt es sich als Bystander oder
aber als Beisteher zu definieren. Im „Areal der Zuschauer“
deuten Pappsilhouetten einen pöbelnden Straßenmob
an. Über den Köpfen der Besucherinnen und Besucher
schweben Fragen wie „Wann werde ich vom Zuschauer
zum Mittäter?“ und „Müsste ich jetzt nicht helfen?“ oder
Aussagen wie „Jawohl, macht sie fertig!“ Im „Areal der
Ausgelieferten“ hingegen sind – hintereinander angeord-
Die zweite Installation hat den Ladenboykott am 1. April
1933 zum Thema, in dessen Verlauf die Geschäfte von
Juden und Menschen jüdischer Herkunft mit Parolen
beschmiert und ihre Kunden durch SA-Männer vom Einkauf abgeschreckt wurden. Auf der Ausgelieferten-Seite
sind das Schaufenster eines angedeuteten Ladens und
– darin sitzend – die lebensgroße Figur eines Mannes zu
sehen. Über Kopfhörer können sich die Besucherinnen
und Besucher einen Augenzeugenbericht über den stummen „Sitzstreik“ des Pforzheimer Ladenbesitzers Max
Rödelsheimer anhören. Von der Zuschauerseite aus ist
zu erkennen, dass die Fensterfront mit der Parole „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“ sowie mit einem Davidstern
beschmiert ist. An der Innenseite des Fensters – so
sieht man von dieser Seite aus – hat der Ladenbesitzer
eine bunte Postkarte mit dem Text „Wir sind alle Kinder
Gottes“ befestigt. An einer Audio-Station können die
Vertiefende Angebote
Interessierte Besucherinnen und Besucher finden in Themenfeld 6 nähere Informationen über die einzelnen Etappen der NS-„Machtergreifung“ im Reich wie im Land – so
nicht zuletzt über die „Nußbaum-Affäre“ sowie über die
Verfolgungs- und Verhaftungswelle, die ihr Mitte März
1933 in ganz Baden folgte, über die Zerschlagung von
Parteien und Gewerkschaften sowie über die „Gleichschaltung“ Badens. Auch der „Bystander-Effekt“ wird
erläutert: Er bewirkt, dass Menschen in größeren Gruppen
oft selbst offensichtliche Gräuel und andere Verbrechen
tatenlos hinnehmen.
Zeitfenster
Beim Öffnen eines Zeitfensters stößt man auf Beispiele
couragierten Verhaltens in neuerer Zeit – von Salman
Rushdie, der trotz seit Jahrzehnten anhaltender Fatwa
nicht von seiner Haltung abweicht, bis hin zu Exempeln
mutigen Alltagshandelns, wie es etwa im Jahr 2009
Dominik Brunner lieferte.
Wegweiser zum „Weg des geringsten Widerstands“
Eher beiläufig passieren die Besucherinnen und Besucher
einen Wegweiser. Versehen mit der Aufschrift „Weg des
geringsten Widerstands“, lenkt er den Blick in Richtung
von Themenfeld 10, wo die Frage nach Anpassung und
Verweigerung erneut Bedeutung erlangen wird.
Josef Schmitt
Käthe Vordtriede
40
Themenfeld 7
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Galerie des Lageralltags
WIE VIEL WILLKÜR KANN ICH ERTRAGEN?
Verfolgung, „Schutzhaft“ und KZs (1933-1945)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Galerie der „Schutzhaft“-Schicksale
Ausgehend vom Konzentrationslager Kislau, möchten
wir uns in Themenfeld 7 mit dem eskalierenden System
von Terror und Verfolgung befassen, das in Deutschland
schon unmittelbar nach der NS-„Machtergreifung“ um
sich zu greifen begann. Dementsprechend steht in diesem
Themenfeld die Dokumentation im Vordergrund. Darüber hinaus möchten wir verdeutlichen, was der Verlust
jeglicher rechtsstaatlicher Sicherheit sowie seelische und
körperliche Misshandlungen für all jene, die in „Schutzhaft“ verschleppt wurden, bedeuteten. „Wie viel Willkür
kann ich ertragen?“, so musste sich jeder fragen, der
dem Verfolgungsapparat des Regimes schutzlos ausgeliefert war.
Was es bedeutete, ohne jegliche Rechtsgrundlage in
„Schutzhaft“ genommen und in eines der eilig eingerichteten frühen Konzentrationslager verschleppt zu werden,
wird anhand ausgewählter Biografien von Häftlingen der
beiden badischen Konzentrationslager Ankenbuck und
Kislau verdeutlicht. Die Besucherinnen und Besucher
begegnen nicht nur Adam Remmele und Ludwig Marum
wieder, sondern lernen auch den Plankstädter Pfarrer Franz Stattelmann, die Landtagsabgeordneten Karl
Großhans und Georg Lechleiter
TF 2 sowie den KPD-Redakteur Stefan Heymann kennen, der von Kislau 1938 nach
Dachau und von dort später weiter nach Buchenwald und
Auschwitz verschleppt wurde. Auch Käthe Vordtriedes
„Schutzhaft“-Aufenthalte im Gefängnis sind dokumentiert.
Das Themenfeld als „Black Box“
Über den „Schaufahrt“-Bereich aus Themenfeld 6 gelangen
die Besucherinnen und Besucher in einen ganz in Schwarz
gehaltenen Raum. In dieser „Black Box“ wird das zusehends eskalierende Verfolgungs- und Terrorsystem der
NS-Diktatur auch im Wortsinne schlaglichtartig beleuchtet. Abgeschrägte Wände und ein leicht nach vorne hin
abfallender Boden machen die Willkür und das Unrecht,
die seit 1933 in Deutschland herrschten, auch sinnlich
erfahrbar. Ein schräg von oben nach unten verlaufender
Spalt in der Wand gibt den Blick auf den östlichen Teil der
Kislauer Schlossanlage frei, in dem zwischen 1933 und
1939 die KZ-Häftlinge untergebracht waren.
sie mir
Meine Freiheit können
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Ludwig Marum 1933
Vertiefende Angebote
Ausgewählte Passagen aus der Kislauer Lagerordnung
sowie aus Briefen von Ludwig Marum, Emil Faller, Stefan
Heymann und anderen „Schutzhäftlingen“, aber auch
aus späteren Schilderungen von Adam Remmele und
Max Faulhaber lassen den Lageralltag im KZ Kislau sowie
die Seelennot der Häftlinge plastisch werden. An einer
Audio-Station können längere Passagen der Texte abgerufen werden. Der Motion Comic „Wortloses Widerstehen
im KZ“ gibt eine im KZ Ankenbuck heimlich anberaumte
Gedenkminute wieder, die für ihren Initiator Kurt Hilbig
schlimme Folgen hatte. Der Motion Comic „Ein KZ wird
vorgeführt“ befasst sich mit den Propaganda-Aktionen,
mit deren Hilfe Kislau in der Öffentlichkeit zum harmlosen „Muster-KZ“ stilisiert wurde. Auch die Hintergründe
des Ende März 1934 in Kislau verübten Mords an Ludwig
Marum werden aufgezeigt.
Installation „Gewissensfrage“
Auf einem einfachen kleinen Holztischchen finden sich
ein Füllfederhalter sowie Faksimiles einer Erklärung, die
„Schutzhäftlinge“ vor ihrer Entlassung abgeben mussten: Schriftlich hatten sie zu bekunden, dass sie sich nicht
mehr gegen das Regime betätigen würden. War es Verrat
an den eigenen Idealen, diese Erklärung zu unterschreiben? Oder war es umgekehrt ein sinnloses Opfer, die
Unterschrift zu verweigern? Diese Fragen stehen auch im
Wortsinne im Raum.
Interaktive Landkarte zum KZ-System
Auf einer interaktiven Landkarte lassen sich die Haftschicksale der vorgestellten Personen sowie die Häftlingsströme nachvollziehen, die während der NS-Zeit zwischen Baden und dem benachbarten Württemberg, aber
auch von Baden nach Dachau, Buchenwald, Mauthausen
und in andere Lager stattfanden. Darüber hinaus lassen
Für interessierte Besucherinnen und Besucher hält Themenfeld 7 vertiefende Informationen zum Terror- und
Verfolgungsapparat des NS-Systems sowie speziell zu
den Verhältnissen in Baden bereit. Die Aushöhlung des
Rechtssystems durch die Schaffung immer neuer Straftatbestände wird ebenso skizziert wie Aufgabe und Funktion
der Gestapo, das quantitative Ausmaß der Verfolgung
sowie die Opferzahlen. Auch die Haftbedingungen der
„Asozialen“, der Fremdenlegionäre und der Gefängnisinsassen, die während der NS-Zeit in Kislau festgehalten
wurden, werden dargestellt.
Einlieferung von Adam Remmele, Ludwig Marum und fünf weiteren bekannten badischen Sozialdemokraten ins KZ Kislau
TF2
sich auf der Landkarte die Haftorte und -zeiten einzelner
Personen abrufen. Diese Form der Präsentation veranschaulicht, dass sehr viele aktive Nazi-Gegner mehrfach
inhaftiert wurden und ein Großteil von ihnen 1944 dann
auch der „Aktion Gitter“ zum Opfer fiel.
„Gitterwand“
An einer Gitterwand werden exemplarisch Lagerschicksale
badischer Häftlinge in der Spätphase des NS-Regimes
dargestellt. Anhand der Beispiele von Stefan Heymann
und seines 1939 nach Buchenwald verschleppten Genossen Paul Schreck ist in diesem Zusammenhang auch etwas
über den Widerstand in den späten Konzentrationslagern zu
erfahren. An Opfer der „Aktion Gitter“ wie Friedrich Dürr
oder Karl Großhans wird ebenso erinnert wie an Gerhard
Ritter, der im November 1944 wegen seiner Kontakte zu Carl
Goerdeler ins KZ Ravensbrück verschleppt wurde.
Installation „Fluchtwand“
An der dem Zugang gegenüberliegenden Seite der „Black Box“ finden sich die Besucherinnen und
Besucher vor einem Mauerstück mit
zusammengeknoteten
Bettlaken
wieder. An der Außenseite der Mauer erhalten sie Auskunft über die
Bedeutung dieser Installation: Anhand der Schilderungen
von Max Faulhaber wird an die Flucht des KPD-Politikers
Robert Klausmann aus dem KZ Kislau nach Frankreich im
Herbst 1933 erinnert. Auf einem Bildschirm können die
Besucherinnen und Besucher den Motion Comic „Schutz
vor ‚Schutzhaft‘ und KZ“ abrufen. Damit wird zugleich auf
Themenfeld 9 verwiesen, das sich dem politischen Exil
widmet.
Deckblatt de
r Kislauer Hä
ftlingsakte
von Stepha
n Heymann
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Themenfeld 8
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WIE VIEL WILL ICH RISKIEREN?
Früher politischer Widerstand (1933-1939)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
1. Installation „Gut getarnt“
„Wie viel will ich riskieren?“, mit dieser Frage waren im
Frühjahr 1933 Millionen von Menschen konfrontiert, die
sich noch zu Jahresbeginn als Mitglieder von Parteien,
Gewerkschaften und anderen Vereinigungen öffentlich
für den Erhalt der Weimarer Demokratie eingesetzt hatten. Nachdem ihre Organisationen zerschlagen worden
waren, wagten nur relativ wenige Menschen den Schritt
in die Illegalität. Für das kleine Baden ist von etwa 5.000
Personen auszugehen, die sich mehr oder weniger direkt
am frühen Widerstand beteiligten. Auch sie mussten sich
stets aufs Neue nach ihrer je persönlichen Risikobereitschaft befragen.
Auf dem Tisch finden sich Reproduktionen von Broschüren
über vermeintlich unpolitische Themen wie Pilzbestimmung oder Mathematik, die sich erst bei näherem Hinsehen als Tarnschriften erweisen. Den Beistelltisch ziert ein
Vervielfältigungsapparat, an dem die Besucherinnen und
Besucher Schriften selbst reproduzieren können. Der Kleiderschrank ist mit Bettzeug ausgepolstert und mit einem
kleinen Hocker sowie einer an einer Seitenwand montierten Tischlade ausgestattet, auf der eine Schreibmaschine
steht. An der Schrankdecke
eine Glühbirne. Auf
TFbaumelt
2
dem Waschbecken finden sich Rasierpinsel, Rasiercreme
und Rasierer sowie die Reproduktion einer Broschüre mit
dem Titel „Die Kunst des Selbstrasierens“. Das Fahrrad
wiederum hat keinen Sattel. Sein offenes Rohr erweist
sich als Versteck für kleine Heftchen, die auf ganz dünnem Papier gedruckt sind. In den Hohlräumen im Boden
stoßen die Besucherinnen und Besucher auf weiteres
Schriftenmaterial, auf Parteiabzeichen und anderes mehr.
Rauminstallation „Widerstandsnest“
Durch eine „Zimmertür“ gelangen die Besucherinnen und
Besucher in einen Raum, der mit zeittypischem Mobiliar
der 1930er Jahre bestückt ist: einem kleinen Tisch mit drei
oder vier Stühlen, einem Beistelltisch, einem Bett, einem
geöffneten Kleiderschrank und einem Waschtisch. An einer
Wand lehnt ein Fahrrad, wie es um 1933 gebräuchlich war.
In den Bodendielen finden sich Hohlräume, die durch
Anheben einzelner Dielen freigelegt werden können. Die
Frage „Wie viel will ich riskieren?“ sowie – kleiner – die
Fragen „Illegalität oder nicht?“ und „Macht Widerstand
jetzt noch Sinn?“ hängen wortwörtlich im Raum.
wie diesem schrieben Widerstandskämpfer heimlich
verbotene Aufklärungsschriften, das Bettzeug diente der
Schallisolierung. Auf Knopfdruck ertönt das Tippen einer
Schreibmaschine. Auf diese Weise wird erfahrbar, warum
es notwendig war, das Geräusch zu dämpfen.
3. Installation „Hintergrund“
Vertiefende Angebote
Ein „Zimmerfenster“ gibt den Blick auf den Vervielfältigungsapparat frei. In einem kurzen Text wird erläutert,
wie aufwändig die Reproduktion von Texten in den 1930er
Jahren war. Durch weitere „Zimmerfenster“ können die
Besucherinnen und Besucher das Fahrrad, den Waschtisch und die Hohlräume in den Bodendielen in den Blick
nehmen. Kurz und knapp wird über die illegal ins Land
geschmuggelten Zeitungen sowie über Tarnschriften
informiert und erklärt, warum sie auf dünnem Papier
gedruckt und heimlich in Fahrradrohren oder auf andere
abenteuerliche Weise transportiert werden mussten.
Ebenso wird erläutert, was es mit der seit 1934 verbreiteten Tarnschrift „Die Kunst des Selbstrasierens“ und ähnlichen Publikationen auf sich hatte. In einer kleinen Hängevitrine findet sich eine winzig kleine Tarnschrift. Nur durch
Lupengläser ist der Text erkennbar.
Interessierte Besucherinnen und Besucher finden in
Themenfeld 8 weitergehende Informationen zum frühen
Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Allgemeinen sowie in Baden im Speziellen. Die Ziele, die die einzelnen Gruppierungen im Rahmen ihrer illegalen Tätigkeit
verfolgten, werden ebenso skizziert wie die Methoden, die
sie dabei anwandten. Dargestellt werden nicht zuletzt der
steigende Verfolgungsdruck sowie die Verhaftungswellen,
denen der politisch wie der religiös motivierte Widerstand ausgesetzt waren. In diesem Zusammenhang wird
auch erläutert, warum die SAP ihr illegales Netz in Baden
wesentlich länger aufrechterhalten konnte als die anderen Arbeiterparteien.
„Steckbriefe“
Wie sich der frühe Widerstand im Einzelnen vollzog
und wie unerbittlich das NS-Regime ihn verfolgte, wird
exemplarisch anhand einer Reihe von Personen verdeutlicht. Neben Widerstandskoordinatoren, Autoren illegaler
Schriften und dem Leiter einer geheimen Verteilstelle
lernen die Besucherinnen und Besucher auch einen
ehemaligen Zentrumspolitiker kennen, der – da selbst
weniger verdächtig – seine Wohnung für Zusammenkünfte
von Sozialdemokraten und Kommunisten zur Verfügung
stellte. Vorgestellt werden unter anderem ein 16-jähriger
Schriftenkurier sowie eine junge Frau, die zwischen 1933
und 1935 Flugblätter verteilte. Der Einsatz einer Schülerin,
die bis 1938 verbotene Schriften der Zeugen Jehovas aus
der Schweiz nach Deutschland schmuggelte, findet ebenso Würdigung wie das fünf Jahre währende Wirken des
Pforzheimers Karl Schroth in der Illegalität bis zu seiner
Verhaftung 1938.
2. Installation „Rückseite“
Durch eine zweite Tür gelangen die Besucherinnen und
Besucher wieder aus dem Zimmer hinaus. In Ecken
und „Mauernischen“ finden sich Reproduktionen eines
Flugblatts zum Mitnehmen. Mehrere Gucklöcher in den
„Außenwänden“ gewähren von hinten Einblick in den Kleiderschrank. Neben den Gucklöchern finden sich Erläuterungen zu Sinn und Zweck der Installation: In Schränken
Titelblatt einer illegalen Zeitung vom 1. Juli 1933
Zeitfenster
TF2
Szenen aus unserem Motion Comic über den
Karlsruher Fahrradkurier Eugen Kern
Medien-Station „Streng geheim“
Hinter einem Zeitfenster finden sich Informationen zu
Persönlichkeiten, die in heutiger Zeit viel riskieren, um
unrechtmäßigem Handeln die Stirn zu bieten. So lässt
sich zum Beispiel etwas über Roberto Saviano erfahren,
der mutig weltweite mafiöse Strukturen aufdeckte und
seither unter Polizeischutz im Untergrund leben muss.
Darüber hinaus werden kontroverse Meinungen über
das Handeln von Whistleblowern wie Edward Snowden
einander gegenübergestellt.
Auf einem Bildschirm kann der Motion Comic „Streng
geheim und sehr gefährlich“ abgerufen werden, der das
Wirken des Karlsruher Lehrlings Eugen Kern als Fahrradkurier in den Jahren 1933/34 thematisiert. An einer Hörstation verschaffen ausgewählte Sequenzen aus Berichten
früher badischer Widerstandskämpfer einen Eindruck von
der Gefahr, der sich die Beteiligten aussetzten.
Eugen Kern
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Themenfeld 9
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WAS MACHE ICH, NACHDEM ICH FLÜCHTEN MUSSTE?
Bestehen im politischen Exil (1933-1945)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Installation „Grenzland“
Seit dem Frühjahr 1933 fand ein regelrechter Exodus von
Nazi-Gegnern aus Deutschland statt – unter ihnen vor
allem Mandatsträger und Funktionäre von SPD, SAP, KPD
und Freien Gewerkschaften, aber auch Künstler und Intellektuelle, die die Nationalsozialisten als „entartet“ klassifiziert hatten. Wer über sein politisches Engagement hinaus auch „rassisch“ nicht in die neue „Volksgemeinschaft“
passte, war doppelt von Verfolgung bedroht. In Themenfeld 9 möchten wir erfahrbar machen, wie Menschen ihre
Vertreibung aus Deutschland erlebten und verarbeiteten.
Darüber hinaus möchten wir aufzeigen, wie und warum
viele von ihnen auch in der Fremde weiter gegen das NSRegime kämpften. „Was mache ich, nachdem ich flüchten
musste?“, so lautet die Frage, mit der wir beide Aspekte in
den Blick nehmen möchten.
Von den westlichen und südlichen Rändern eines kleinen
gelben Areals mit den Umrissen des Landes Baden aus
führen Wegweiser hin zu wichtigen Fluchtorten – so gen
Westen ins Saargebiet, nach Straßburg, Luxemburg und
Paris, gen Südwesten nach Lyon, gen Süden nach Basel
und Luzern. Am östlichen Rand weist ein Schild nach Moskau. Zu den Zielorten hin versperren stilisiertes Gestrüpp
und Schlagbäume den Weg. An den Schlagbäumen sind
jeweils kurz und knapp die Aufenthalts- und Lebensbedingungen beschrieben,
TFdie2 deutsche Flüchtlinge im
jeweiligen Land erwarteten. Auf dem mit blauer Farbe
angedeuteten „Rhein“ findet sich ein Faltboot, in einem
als „Bodensee“ ausgewiesenen Bereich ein Ruderboot.
Die Emigration ist das Grauenhafteste, was es für einen politisch
interessierten Menschen gibt.
Denn plötzlich hört die Wirklichkeit auf.
Emil Julius Gumbel im Rückblick
Fluchtkoffer-Wand
An einer Wand aufgebaut finden sich rund ein Dutzend
„Fluchtkoffer“, die jeweils einem badischen Emigranten
zugeordnet sind. An der Außenseite jedes Koffers wird das
Exilschicksal des „Besitzers“ einschließlich seiner Fluchtstationen in zwei Sätzen umrissen. Wer die vorherigen
Themenfelder aufmerksam durchmessen hat, kennt die
meisten Namen bereits. So erfahren die Besucherinnen
und Besucher anhand der Koffer etwas über Georg Reinbolds und Robert Klausmanns Wirken als Grenzsekretäre
ihrer Parteien, über Alexander Schifrins publizistisches
Wirken im Exil sowie über sein und Emil Julius Gumbels
Engagement im Lutetia-Komitee. Käthe Vordtriedes und
Audio-Stationen „Schlagbaum“
„Bibliothek des badischen Exils“
Wer Schlagbäume und Gestrüpp überwinden möchte,
kann dies nicht auf direktem Wege tun, sondern muss
sich seinen Weg an den Hindernissen vorbei bahnen.
Jeder Schlagbaum steht für ein Nachbarland des Deutschen Reichs – und jeder hat eine andere Geschichte zu
erzählen: Auf Knopfdruck lassen Audio-Sequenzen mit
kurzen Ausschnitten aus den Fluchtberichten badischer
Emigranten einen Eindruck vom jeweiligen Fluchtland entstehen. Unterlegt sind die Berichte mit anschwellendem
Stimmengewirr in der entsprechenden Landessprache.
In einer kleinen „Bibliothek des badischen Exils“ möchten
wir neben Sachbüchern und Aufsätzen von Emil Julius
Gumbel, Alexander Schifrin, Helmuth Klotz, Joseph Wirth
sowie anderen Polit-Emigranten auch belletristische
Werke von Schriftstellern aus der Region wie René
Schickele und Alfred Döblin versammeln.
Begehbare Karte „Fluchtorte“
Erste Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs vom 23. August 1933
Joseph Wirths publizistische Arbeit in der Schweiz wird
ebenso gewürdigt wie Max Diamants Engagement in
Spanien und in Varian Frys Fluchthilfenetz, Max Faulhabers und Jakob Otts Einsatz als Kriegsfreiwillige in der
französischen Armee oder Heinrich Sterns Wirken als Arzt
in der Résistance. Ein weiterer Koffer ist Adam Remmeles Bruder Hermann Remmele gewidmet, dessen Flucht
in die Sowjetunion sich als tödlicher Fehler erwies. Mit
dem Spanienkämpfer Walter Chemnitz und dem von den
Ardennen aus agierenden liberalen Fluchthelfer Otto
Hafner werden auch zwei neue Personen eingeführt.
Wer die Grenzen überwunden hat, findet vor sich – angedeutet durch Stadtansichten – die erwähnten Fluchtorte.
Von dort aus leiten weiterführende Wegweiser nach
Marseille, Barcelona, Madrid und Lissabon. An jedem
Fluchtort wird kurz dessen Bedeutung für das politische
Exil der NS-Zeit umrissen. So werden Straßburg, das Saargebiet sowie Luxemburg als Sitze von Grenzsekretariaten benannt und die Arbeit des Pariser Lutetia-Komitees
beschrieben, in dem mehrere Badener an prominenter
Stelle aktiv waren. Das Wirken von Exilanten im Spanischen Bürgerkrieg wird ebenso „verortet“ wie die
Bedeutung der Hafenstädte Marseille und Lissabon als
Drehscheiben für die Flucht aus Europa in den Jahren
1940/41. An den Fluchtorten sind jeweils Dubletten der
Koffer derjenigen Exilanten abgestellt, die dort eine Zeit
lang Unterschlupf fanden. Auf diese Weise können die
Besucherinnen und Besucher die vielfach sehr verschlungenen Fluchtwege der Personen nachvollziehen, die
ihnen in Themenfeld 9 begegnen, und die häufig sehr
dramatischen Bedingungen ihres Lebens im Exil erahnen.
Vertiefende Angebote
Über weitergehende Angaben zur politischen Emigration
aus dem Deutschen Reich hinaus möchten wir in Themenfeld 9 über die Grenzsicherung des NS-Regimes sowie
über die Aufenthaltstitel in den einzelnen Fluchtländern
informieren.
Zeitfenster: Fluchtobjekte heutiger Exilanten
TF2
Beim Öffnen eines Zeitfensters stoßen die Besucherinnen und Besucher auf eine beleuchtete Vitrine mit verschiedenen Gegenständen. „Das habe ich mitgenommen,
als ich meine Heimat verlassen musste“ lautet die Überschrift auf der einen Seite, „Das würde ich mitnehmen,
wenn ich morgen meine Heimat verlassen müsste“ die
Überschrift auf der anderen Seite der Vitrine. Im Rahmen
themenspezifischer Projekte, die wir gemeinsam mit jungen Flüchtlingen und Schulklassen realisieren möchten,
wollen wir mit den Jugendlichen darüber ins Gespräch
kommen, was ihnen des Mitnehmens wert erschien oder
erscheint. Die von ihnen benannten Objekte möchten wir,
ergänzt um ihre Kommentare, in der Vitrine präsentieren.
Titelblatt einer Ausgabe des KPD-Exilorgans
„Die Rote Fahne“ aus dem Jahr 1936
Titelblatt einer von Alexander Schifrin 1938 im Exil
unter Pseudonym veröffentlichen Schrift
Alexander Schifrin um 1941 im US-Exil
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Themenfeld 10
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WIE WEIT PASSE ICH MICH AN?
Leben unter dem NS-Regime (1933-1939)
einige Spuren zu einem noch größeren Feld von Schuhabdrücken und nur ein oder zwei Spuren in eine andere
Richtung. Anders als im ersten Feld sind im zweiten Feld
die Schuhabdrücke gleichförmig ausgerichtet. Das erste
Feld – so erfährt man – steht für die Mitglieder der Freien,
christlichen und liberalen Gewerkschaften. Das zweite
Feld symbolisiert die Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront (DAF), die unmittelbar nach der Zerschlagung der
Gewerkschaften im Mai 1933 gegründet wurde. Die Installation soll aufzeigen, dass sich ein großer Teil der Deutschen – obwohl die Mitgliedschaft gerade auch in der DAF
keineswegs obligatorisch war – willig in die neue „Volksgemeinschaft“ überführen ließ.
Straßenschild „Weg des geringsten Widerstands“
TF 2
Das Freiburger Gewerkschaftshaus im September 1933 nach der „Eroberung“ durch die Nazis und der Umbenennung in „Fritz-Plattner-Haus“
Worum geht es in diesem Themenfeld?
„Wie weit passe ich mich an?“ Wie schon die vorige
Leitfrage ist auch diese bewusst doppeldeutig gehalten:
In Themenfeld 10 möchten wir der Frage nachgehen, wie
es gelingen konnte, in Deutschland binnen kürzester Zeit
eine vermeintlich perfekte Zustimmungsdiktatur zu etablieren. In welchem Maße ließen sich die Menschen durch
die ausgeklügelte Propagandamaschinerie des NS-Regimes unwissentlich manipulieren und in welchem Maße
beugten sie sich wissentlich oder gar willentlich dem
Druck, der in der totalitären Diktatur auf sie ausgeübt
wurde? Darüber hinaus möchten wir die Handlungsspielräume ausloten, die all jenen, die das NS-Regime weiterhin ablehnten oder zumindest kritisch hinterfragten, in
den „Friedensjahren“ bis 1939 jenseits eines gefahrvollen
Widerstands noch verblieben.
Installation „Spuren der Selbstanpassung“
Auf dem Boden von Themenfeld 10 finden die Besucherinnen und Besucher eine größere Ansammlung unterschiedlichster Schuhabdrücke vor. Von diesen aus führen
Ein Straßenschild mit der Aufschrift „Weg des geringsten
Widerstands“, das in Richtung des Areals mit den gleichförmig ausgerichteten Schuhabdrücken weist, regt zum
Nachdenken über Anpassung und Verweigerung an.
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Installation „Graue Masse“
Entlang einer Wand deuten lebensgroße graue Silhouetten eine Menschenmenge an. Über den Köpfen schweben
Gedankenblasen, die unterschiedlichste Haltungen wiedergeben wie „Mir können die Nazis ja nichts anhaben…“
oder „Das wird ohnehin nicht lange gut gehen…“ oder
„Am besten jetzt 'mal Klappe halten und Zähne zusammenbeißen…“
Galerie der Verweigerung
Aus der „grauen Masse“ treten einzelne Personen im
Wortsinne hervor, um ihre jeweils eigene Geschichte der
Verweigerung oder des Protests zu erzählen. Unter ihnen
finden wir den Heidelberger Pfarrer Hermann Maas wieder, der sich in der NS-Zeit als Mitglied der Bekennenden
Kirche ebenso mutig von der Mehrheit seiner Kollegen
abhob wie der katholische Ettlinger Stadtpfarrer Augustin
Kast. Wir treffen auf einen Ladenburger Bauern, der ein
von der örtlichen NSDAP zum Aufmarschplatz erkorenes
Areal gemeinsam mit anderen Landwirten kurzerhand
zum Acker umpflügte. Vorgestellt wird auch der Siegelauer Dorflehrer Adolf Klausner, der das in allen deutschen
Klassenzimmern obligatorische Hitler-Porträt kurzerhand
hinter der Schultafel verschwinden ließ und seinen Schülern
über Jahre hinweg untersagte,
den „Hitler-Gruß“ zu entbieten.
Ein junger Mann aus der Freiburger Swing-Jugend berichtet,
welchen Verfolgungen er und
seine Freunde sich angesichts
ihrer Vorliebe für diese „entartete“ Musik ausgesetzt sahen
und was sie anstellen mussten,
um ihrem Lebensstil dennoch
Augustin Kast
treu zu bleiben. Der Historiker
Gerhard Ritter wiederum erzählt von seinem Bemühen,
in Veröffentlichungen und auf Kongressen aufklärerische
Akzente zu setzen, sowie von seinem Engagement in
einem oppositionellen Gesprächskreis.
Video-Station „Widerständiger Wirtshausstreit“
Der Motion Comic „Widerständiger Wirtshausstreit“ gibt
eine Episode aus dem Jahr 1938 wieder: Obwohl unter
Beobachtung durch die Gestapo stehend und bereits
mehrfach inhaftiert, bringt Jakob Trumpfheller 1938 die
Courage auf, sich öffentlich in ein Gespräch einzumischen,
in dem über Juden gehetzt wird. Das trägt ihm eine weitere
Haftstrafe ein.
Vertiefende Angebote
Über die Frage nach bewusster und unbewusster Anpassung hinaus möchten wir in Themenfeld 10 die „Gleichschaltung“ des politischen und gesellschaftlichen Lebens
in Deutschland am BeispielTF2
Badens beleuchten. In diesem
Zusammenhang möchten wir insbesondere Rolle, Funktion und regionale Ausprägungen der NS-Propaganda
sowie von Massenorganisationen wie der DAF und der
Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) thematisieren.
Zeitfenster
Beim Öffnen eines Zeitfensters stoßen die Besucherinnen und Besucher auf Informationen über massenpsychologische Phänomene wie Gruppendruck, Herdendrang oder Schwarmintelligenz.
Werbeplakate der Freizeitorganisation
„Kraft durch Freude“ aus dem Jahr 1934
sowie der NSDAP aus dem Jahr 1938 oder 1939
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Themenfeld 11
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WAS GEHEN MICH DIE ANDEREN AN?
Die Rettung von verfolgten Menschen (1939-1945)
denen die Schicksale dieser Anderen nicht egal waren –
und die für die Rettung Verfolgter ein hohes persönliches
Risiko auf sich nahmen.
Rauminstallation „Rettungswege“
TF 2
Eingangs von Themenfeld 11 treffen die Besucherinnen und Besucher auf die Silhouetten von vier Persönlichkeiten, die während des Zweiten Weltkriegs andere
Menschen vor dem sicheren Tod retteten: auf die des
Emmendinger Klinikleiters Viktor Mathes, des Heidelberger Pfarrers Hermann Maas, der Freiburger Caritas-Mitarbeiterin Gertrud Luckner und des Ettlinger Kioskbetreibers Otto Hörner. Entlang des Wegs wird knapp über die
Entfesselung des Zweiten Weltkriegs mit dem Angriff auf
Polen 1939, über den „Sitzkrieg“ im Westen sowie den
„Blitzsieg“ über die westlichen Nachbarländer 1940 informiert. Vor sich erblickt man – jeweils nur angedeutet – zur
Linken eine Klinikfassade, zur Rechten ein Wäldchen sowie
einen Wegweiser und geradeaus eine kleine Gartenhütte.
1. Installation „Rettung von Euthanasie-Opfern“
3. Wegweiser nach Südfrankreich
Die Klinikfassade soll die Heilanstalt Emmendingen darstellen, deren Leiter Viktor Mathes sich aktiv gegen das
„Euthanasie“-Programm der NS-Führung wandte. Am
konkreten Beispiel können sich die Besucherinnen und
Besucher über die Aktion T4 sowie über Mathes’ Bemühungen zur Rettung von Menschen mit Behinderungen in
den Jahren 1939/40 informieren.
Ein Wegweiser oder ein Fernrohr stellt an Themenfeld
10 vorbei einen räumlichen Bezug zu jenem Teil von
Themenfeld 9 her, in dem die Rettung verfolgter
Menschen aus dem besetzten Europa in den Jahren
1940/41 thematisiert wird.
2. Installation „Fluchthilfe“
Baumsilhouetten und -figuren formieren sich zu einem
stilisierten „Wäldchen“. Mit Kriegsbeginn – so erfahren
die Besucherinnen und Besucher – war rassistisch verfolgten Menschen jede Möglichkeit, Deutschland legal zu
verlassen, versperrt. Es blieb nun nur noch die Flucht über
die „grüne Grenze“, die sich freilich ohne genaueste Ortskenntnis, gefälschte Papiere und manches mehr kaum
bewältigen ließ. Als Grenzland zur unbesetzten Schweiz
kam Baden im Krieg eine besondere Rolle zu. In Text und
Ton vorgestellt werden die Fluchthilfenetzwerke von Hermann Maas und Gertrud Luckner sowie das Meier-HöflerNetzwerk, durch dessen Hilfe zahlreiche Menschen aus
ganz Deutschland im Bodenseeraum über die rettende
Grenze gelangten.
Grenzanlage zwischen Konstanz und Kreuzlingen in den 1930er Jahren
Worum geht es in diesem Themenfeld?
In Themenfeld 11 möchten wir uns mit der Verfolgung
und Ermordung von Menschen mit Behinderung, Juden
und Menschen jüdischer Herkunft, Sinti und Roma sowie
anderen Bevölkerungsgruppen befassen, die die Nationalsozialisten für „minderwertig“ und „lebensunwert“
erklärt hatten. Unter dem Deckmantel der Euthanasie
wurden im Schatten des von Deutschland im Septem-
Jedes Mal fühle
ich die grausame
Mitschuld und Mi
tverantwortung
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Nur noch größer
e Liebe zu Ihnen
allen hilft sie trag
en…
ber 1939 entfesselten Krieges insgesamt rund 70.000
Menschen mit Behinderungen ermordet. Nach dem
Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 schließlich machte sich die NS-Führung an die planmäßige „Endlösung“
der „Judenfrage“, der rund sechs Millionen Menschen
zum Opfer fielen. „Was gehen mich die Anderen an?“, so
mochte sich ein Großteil der deutschen Bevölkerung
denken. Wir möchten Menschen in den Blick nehmen,
Hermann Maas um
Gertrud Luckner
1938 in einem Br
ief
4. Installation „Versteck“
Eine idyllische Gartenhütte inmitten von Blumen und
Büschen verweist auf eine weitere Form des Rettungswiderstands: Auch an einigen Orten Badens gab es
Menschen, die Verfolgte über längere Zeiträume hinweg unter großen Gefahren versteckten und mit dem
Lebensnotwendigsten versorgten. Sowohl der Ettlinger
Kioskbetreiber Otto Hörner als auch der Durlacher Richter
Gerhard Caemmerer gewährten rassistisch verfolgte
Menschen heimlich in ihren Gartenhütten Unterschlupf.
Die Geschichten dieser beiden Männer sowie der MenTF2
schen, die von ihnen gerettet wurden, werden exemplarisch erzählt. Dabei stehen auch die praktischen Herausforderungen im Blickpunkt, vor die die Beteiligten dabei
gestellt waren: Wie ließen sich in einer Zeit, in der das
Essen streng rationiert war und nur gegen Lebensmittelmarken abgegeben wurde, zusätzliche Esser miternähren? Wie ließen sich in einer einfachen Gartenhütte
hygienische Bedürfnisse befriedigen, ohne dass es den
Nachbarn auffiel? Wie konnte man begründen, dass aus
dem Ofenrohr dieser Gartenhütte im Winter Rauch aufstieg? Und was machten die versteckten Menschen bei
Fliegeralarm? Antworten auf all diese Fragen finden die
Besucherinnen und Besucher an der Hausfassade, auf
dem Tisch, in Schubladen und Regalen.
Hermann Maas
Vertiefende Angebote
Wer mehr erfahren möchte, kann sich in Themenfeld 11
auch über die NS-Rassenideologie als Wesenskern der
nationalsozialistischen Weltanschauung, über „Rassenzucht“, „Rassenhygiene“ sowie über die kumulative
Radikalisierung der rassistischen Verfolgung im Schatten
des Zweiten Weltkriegs informieren. Als weitere Beispiele für den seltenen Rettungswiderstand im Krieg werden
unter anderem das Mannheimer Ehepaar Carl und Eva
Hermann sowie der katholische Priester Heinrich Middendorf vorgestellt, der Verfolgte in seinem Stegener Ordenshaus versteckte.
50
Themenfeld 12
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WOFÜR SETZE ICH MEIN LEBEN EIN?
Verweigerung und Widerstand im Krieg (1939-1945)
Worum geht es in diesem Themenfeld?
Als Deutschland 1939 einen neuen Krieg entfesselte, war
jeglicher Widerstand gegen das Regime längst niedergeschlagen. Aller Propaganda zum Trotz hielt sich die
Kriegsbegeisterung der Bevölkerung in Grenzen. Angesichts des Ausmaßes freilich, das der Terror unterdessen
entfaltet hatte, musste jegliche Form des Aufbegehrens
als selbstmörderisch erscheinen. Erst im Zuge der Ausweitung des Krieges zum alles verzehrenden Flächenbrand
regte sich wieder vereinzelt Widerstand. In Themenfeld 12
möchten wir die verschiedenen Ausprägungen des späten
Widerstands in Baden vor- und die Motivationslagen der
beteiligten Akteure zur Diskussion stellen. „Wofür setze
ich mein Leben ein?“, so die Frage, mit der sie alle sich
auseinandersetzen mussten: Waren Flugblattaktionen
nun, mitten im Krieg, noch sinnvoll? War das Regime zu
diesem Zeitpunkt überhaupt noch von innen her zu stürzen? Und würde selbst nach einem erfolgreichen Attentat
auf Hitler das Morden nicht weitergehen? War letztlich
vielleicht einzig schon der Erweis, dass es weiterhin ein
anderes, ein besseres Deutschland gab, den Einsatz des
eigenen Lebens wert?
Rauminstallation „Gefahrenstrecke“
Aus Themenfeld 11 kommend, können sich die Besucherinnen und Besucher in Themenfeld 12 entlang eines
Wegs über den Angriff auf die Sowjetunion im Sommer
1941, die Schlacht bei Stalingrad, die Reaktion auf die
deutschen Luftangriffe in Form von Flächenbombardements deutscher Städte sowie über das Attentat auf
Adolf Hitler am 20. Juli 1944 informieren. Auf einer Seite
des Wegs ist unter der Überschrift „Feld der Unehre“ eine
Kriegsszenerie angedeutet, auf der anderen unter der
Überschrift „Gesellschaft in Trümmern“ eine kriegsbeschädigte Stadt.
Wandinstallation „Gesellschaft in Trümmern“
Die „Gesellschaft in Trümmern“ – damit ist die deutsche
Zivilgesellschaft gemeint, die nicht nur moralisch, sondern angesichts sich mehrender Flächenbombardements
zunehmend auch physisch am Boden lag.
2. Installation „Verschwörer-Ecke“
Mit dem konservativen Historiker Gerhard Ritter, dem
SPD-Politiker Julius Leber und dem zentrumsnahen
Juristen Reinhold Frank treten aus der „Gesellschaft in
Georg Lechleiter
Mut fanden: der 23-jährige Johann Heinz und der gerade
erst 18-jährige Werner Mensch. Zusammen mit drei
anderen Deserteuren wurden sie noch am 10. und 11.
April 1945 bei Waldkirch hingerichtet.
„Famous last words“
Am Ende der „Gefahrenstrecke“ finden sich Sprechblasen mit Auszügen aus den Abschiedsbriefen von Georg
Lechleiter, Käthe Seitz, Reinhold Frank und Julius Leber
aus der Todeszelle. Die vollständigen Texte sind als AudioSequenzen verfügbar.
Gerhard Ritter
1. Installation „Vorboten“
Aus der „Gesellschaft“ treten einzelne Menschen hervor,
die ein Zeichen gegen das Morden setzen wollten. So treffen wir abermals auf Georg Lechleiter, der nach Beginn
des „Russlandfeldzugs“ mehr als zwei Dutzend Kommunisten und Sozialdemokraten um sich scharte, um
gemeinsam eine Schrift namens „Der Vorbote“ herzustellen.
Faksimiles dieser Schrift liegen verstreut auf dem Boden
herum. Gleichermaßen wird der Freiburger Student Heinz
Bollinger vorgestellt, der sich Ende 1942 der „Weißen Rose“
anschloss. Auch Flugblätter dieser Widerstandsgruppe
sind nachgedruckt verfügbar. Während Bollinger die NSZeit im Zuchthaus überlebte, wartete auf Lechleiter, Seitz
und mehr als zwei Dutzend ihrer Mitstreiter ein grausamer
Tod durch das Fallbeil. Auf einem Bildschirm kann der
Motion Comic „Flugblätter gegen den Nazi-Terror“ abgerufen werden, der Bollingers Geschichte erzählt.
Wandanschlag zur Hinrichtung von
14 Mitgliedern der Lechleiter-Gruppe
am 15. September 1942
Trümmern“ drei weitere Männer hervor, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlicher Intensität
und zu unterschiedlichen Zeitpunkten an den Planungen
zum Umsturz des NS-Regimes beteiligt waren, welche
am 20. Juli 1944 ein blutiges Ende fanden. Am Ende der
„Gefahrenstrecke“ ist mit dem Wohnzimmer Constantin
von Dietzes der erste Treffpunkt des Freiburger Kreises
angedeutet. Die Besucherinnen und Besucher können
auf einem Sofa Platz nehmen und über Kopfhörer AudioSequenzen aus den Berichten verschiedener Beteiligter
der Aktionen abrufen.
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Installation „Kriegsende“
Weiße Fahnen markieren das Herannahen der alliierten
Truppen und das Kriegsende. Blutflecken auf einigen der
Fahnen verweisen auf die noch immer lauernde Todesgefahr. Wie real diese Gefahr war, illustrieren die Ermordung
von Karl Fanz aus Bühl, der sich weigerte, eine Straßensperre gegen die näher rückenden französischen Truppen zu errichten, sowie des Mannheimers Adolf Doland,
der zusammen mit zwei Freunden beim Einzug von USTruppen eine weiße Flagge gehisst hatte. Dem steht das
Beispiel des Hettinger Pfarrers Heinrich Magnani gegenüber, der seine Gemeinde im Frühjahr 1945 erfolgreich vor
Blutvergießen bewahrte.
Galerie der Überlebenden
In Form einer Art „Abspann“ werden im Übergang zur
Lobby die weiteren Lebenswege einiger überlebender
Protagonisten des Geschichtsparcours schlaglichtartig
beleuchtet. Nach Sterbedaten sortiert, informieren Tafeln
mit Fotos und knappen Texten über deren weitere Schicksale – beginnend mit Georg Reinbold, der schon bald
nach Kriegsende den Strapazen des Exillebens erlag, und
endend mit Gertrud Luckner, die 1995 hochbetagt starb.
Aus der „Großen
Denkschrift“
des Freiburger Kr
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Wandinstallation „Feld der Unehre“
Vertiefende Angebote
Sich dem verbrecherischen Morden von SS und Wehrmacht zu verweigern oder sich dem sinnlosen Sterben
durch Desertion zu entziehen erforderte ein hohes Maß an
Mut. Aus der Masse der Soldaten auf dem angedeuteten
Schlachtfeld treten zwei junge Männer hervor, die diesen
Auch über Ziele, Wesen und Opfer des rassistisch motivierten deutschen Angriffskriegs soll in Themenfeld 12
informiert werden. Darüber hinaus möchten wir eingehendere Erläuterungen zu den verschiedenen Formen des
späten Widerstands bieten.
Reinhold Frank
IMPRESSUM
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