DA medienübergreifende Bürgerbeteiligung
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DA medienübergreifende Bürgerbeteiligung
Medienübergreifende Bürgerbeteiligung Diplomarbeit Technische Universität Berlin Fakultät VI – Architektur, Umwelt und Gesellschaft Studiengang Stadt und Regionalplanung Vorgelegt von: Chris Haller Matrikelnummer: 198778 Eingereicht bei: Prof. Dr. Uwe-Jens Walther Fachgebiet Stadt- und Regionalsoziologie Betreut durch: Prof. Dr. Uwe-Jens Walther Berlin, 28. September 2006 'People of Earth, your attention please,' a voice said, and it was wonderful. Wonderful perfect quadraphonic sound with distortion levels so low as to make a brave man weep. 'This is Proststenic Vogon Jeltz of the Galactic Hyperspace Planning Council,' a voice continued. 'As you will no doubt be aware, the plans for development of the outlying regions of the Galaxy require the building of a hyperspatial express route through your star system, and regrettably your planet is one of those scheduled for demolition. The process will take slightly less than two of your Earth minutes. Thank You.' The PA died away. Uncomprehending terror settled on the watching people of Earth. The terror moved slowly through the gathered crowds as if they were iron filings on a sheet of board and a magnet was moving beneath them. Panic sprouted again, desperate fleeing panic, but there was nowhere to flee to. Observing this, the Vogons turned on their PA again. It said: 'There’s no point in acting all surprised about it. All the planning charts and demolition orders have been on display in your local planning department in Alpha Centauri for fifty of your Earth years, so you've had plenty of time to lodge any formal complaint and it's far too late to start making a fuss about it now'. The PA fell silent again and is echo drifted off across the land. The huge ships turned slowly in the sky with easy power. On the underside of each a hatchway opened, an empty black square. By this time somebody somewhere must have manned a radio transmitter, located a wavelength and broadcast a message back to the Vogon ships, to plead on behalf of the planet. Nobody ever heard what they said, they only heard the reply. The PA slammed back into life again. The voice was annoyed. It said: 'What do you mean you've never been to Alpha Centauri? For heavens' sake mankind, it's only four light years away you know. I'm sorry, but if you can't be bothered to take an interest in local affairs that's your own lookout'.1 1 Adams, Douglas: The Hitchhiker's Guide to the Galaxy, S. 35f. I II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis III Abkürzungsverzeichnis 1. V Einführung 1 1.1 Einleitung 1 1.2 Erkenntnisinteresse und Ziel der Arbeit 2 1.3 Methodisches Vorgehen 3 TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN 7 2. 7 Grundlagen der Bürgerbeteiligung 2.1 Rahmenbedingungen 2.1.1 Selbstverständnis der Öffentlichkeit 2.1.2 Selbstverständnis des Staates 2.1.3 Selbstverständnis der Stadtplanung 7 8 9 10 2.2 Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung 2.2.1 Formelle Bürgerbeteiligung 2.2.2 Informelle Bürgerbeteiligung 2.2.3 Leistungsfähigkeit informeller Bürgerbeteiligung 11 11 13 13 2.3 Neue Entwicklungen in der Bürgerbeteiligung 2.3.1 ePartizipation und eDemocracy 2.3.2 mDemocracy 2.3.3 Anschlussfähigkeit von ePartizipation 15 15 17 18 3. Grundlagen der Kommunikation 21 4. Medienübergreifende Bürgerbeteiligung 25 4.1 5. Kommunikationsbeziehungen 25 4.2 Kommunikationsmedien 4.2.1 Medien der Information – Massenmedien 4.2.2 Medien der Konsultation – Interpersonelle Medien 4.2.3 Medien der Partizipation – Interaktive Medien 27 29 31 33 4.3 Beteiligungsmethoden 4.3.1 Methoden der Information 4.3.2 Methoden der Konsultation 4.3.3 Methoden der Partizipation 34 34 36 36 4.4 Medienübergreifende Kommunikation 38 4.5 Zwischenfazit 41 Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren 43 5.1 Zusammensetzung der Teilnehmer 43 5.2 Begleitende Öffentlichkeitsarbeit 46 5.3 Erarbeitung von Ergebnissen 47 5.4 Einbettung in den politischen Prozess 49 TEIL II: EVALUATION DER FALLSTUDIEN 53 6. 53 Ableitung der Hypothesen III 7. Fallstudien 57 7.1 Bürgerhaushalt Lichtenberg 7.1.1 Ziele des Projekts 7.1.2 Prozessbeschreibung 7.1.3 Überprüfung der Hypothesen 57 58 59 64 7.2 Berlin Mauerdialog 7.2.1 Ziele des Projekts 7.2.2 Prozessbeschreibung 7.2.3 Überprüfung der Hypothesen 71 73 76 79 TEIL III: SCHLUSSFOLGERUNGEN 89 8. 89 Erkenntnisse 8.1 Handlungsempfehlungen 93 8.2 Ausblick 95 Anhang VII Abbildungsverzeichnis VII Übersichtenverzeichnis VIII Literaturverzeichnis IX Gesprächspartner Experteninterviews XV Interviewleitfaden für Experteninterviews XVI Medienwahl XVII IV Abkürzungsverzeichnis BauGB Baugesetzbuch Bd. Band B-Plan Bebauungsplan eAdministration Electronic Administration ebd. Ebenda etc. et cetera eDemocracy Electronic Democracy eGovernment Electronic Government ePartizipation Elektronische Partizipation eVoting Elektronisches Wählen FNP Flächennutzungsplan H. Heft Hrsg. Herausgeber IuK Informations- und Kommunikationstechnologien mDemocracy Mobile Democracy MMS Multimedia Messaging Service NGO Non Government Organizations, Nichtstaatliche Einrichtungen OECD Organisation for Economic Co-operation and Development PDF Portable Document Format SMS Short Message Service u.a. und andere UMTS Universal Mobile Telecommunication System vgl. vergleiche zit. in Zitiert in V VI Kapitel 1: Einführung 1. Einführung 1.1 Einleitung „Demokratie ist Kommunikation. Natürlich ist sie mehr als das, aber will man den Grundgedanken einer politischen Meinungsbildung und demokratischen Entscheidungsfindung auf den Punkt bringen, kann Demokratie nur als permanenter Kommunikationsprozess zwischen Regierenden und Regierten verstanden werden.“2 Wie viele andere Bereiche, steht auch politische Kommunikation heute der Herausforderung sich rasant verändernder Kommunikationsgewohnheiten in unserer Gesellschaft gegenüber. Computer und Mobiltelefone haben sich über die letzten Jahre von einer gesellschaftlichen Randerscheinung zur Selbstverständlichkeit entwickelt. In Ergänzung zu herkömmlichen Wegen der Kommunikation stellt das Internet in der Zwischenzeit eine Vielzahl weiterer bereit: Von statischen Websites, über klassische Online-Kommunikation wie E-Mail, Chat und Foren bis hin zur Internet-Telefonie vereinigt es viele Kommunikationskanäle. Mobiltelefone werden neben der Telefonie zum Versenden von Textnachrichten und zum Abrufen von Informationen genutzt. Unterschiedliche Zielgruppen haben diesbezüglich eigene Nutzungsmuster und Präferenzen entwickelt. Diese Entwicklungen gehen einher mit einer Verschiebung und Vervielfältigung der Werte in unserer Gesellschaft, die unter dem Schlagwort Pluralisierung der Lebensstile diskutiert werden. Die Regierten gibt es nicht, politische Kommunikation steht folglich der Herausforderung gegenüber, eine Vielzahl heterogener Gruppen erreichen zu müssen. Demgegenüber ist das demokratische Ziel, die Betroffenen am Prozess der Entscheidungsfindung zu beteiligen. um politische Entscheidungen zu legitimieren, aktueller denn je. Vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Kassen und der wachsenden Komplexität öffentlicher Aufgaben, funktionieren alte Konzepte des Regierens „von oben“ nicht mehr. In der Hoffnung bürgerschaftliches Engagement zur Unterstützung öffentlichen Aufgaben zu wecken, werden der Öffentlichkeit vermehrt Angebote zur politischen Mitgestaltung gemacht. Durch den Wandel von Politik, Gesellschaft, Kommunikation und Technologie haben sich neue Herausforderungen und Potenziale für die Bürgerbeteiligung ergeben. 2 Ewert, B.; Fazlic, N.; Kollbeck, J.: E-Demokratie, S. 3. 1 Kapitel 1: Einführung 1.2 Erkenntnisinteresse und Ziel der Arbeit Die Potenziale neuer digitaler Kommunikationswege für die Bürgerbeteiligung wurden in den letzten Jahren unter den Schlagwörtern ePartizipation und eDemocracy (Vgl. Kapitel 2.3.1) ausführlich diskutiert. In zahlreichen Studien zum Thema zeigte sich, dass neue Verfahren der Bürgerbeteiligung die alten nicht ablösen, sondern beide durch ihre unterschiedlichen Stärken nebeneinander stehen. Zu den Stärken von Bürgerbeteiligungsverfahren im Internet zählen beispielsweise der niedrigschwellige Zugang, die anschauliche Darstellung von Informationen sowie die Unabhängigkeit von Zeit und Ort der Angebote. Strukturierung und Transparenz von Diskursen können durch die asynchrone und textbasierte Kommunikation im Internet gefördert werden. Von jungen Familien oder Jugendlichen, wird erwartet, dass sie Mitwirkungsangebote im Internet eher annehmen. Dennoch bleiben der fehlende Zugang zum Internet und mangelnde Kompetenzen auf unabsehbare Zeit Hürden für die Beteiligungsverfahren im Internet. Auf der anderen Seite wurden auch die Methoden klassischer Bürgerbeteiligung in Präsenzveranstaltungen verfeinert (Vgl. Kapitel 4.3). Ihre Stärken liegen beispielsweise im Bereich der Repräsentativität der Teilnehmer, der sozialen Interaktion und Vertrauensbildung als auch der Versammlung als gesellschaftlichem Ereignis mit entsprechendem Nachrichtenwert für die Presse. Viele Autoren legen deshalb nahe, dass Beteiligungsmethoden mittels „Neuer Medien“ als Ergänzung klassischer Formen angewandt werden sollen.3 Bürgerbeteiligung soll medienübergreifend oder mehrkanalig durchgeführt werden, um die Stärken verschiedener Methoden zu verbinden und deren Schwächen auszugleichen. Diese Forderungen sind allerdings bislang in der Praxis kaum angekommen, entsprechende Fallbeispiele sind rar. Dementsprechend gibt es bislang kaum Untersuchungen oder Forschungsvorhaben4 die sich mit den Potenzialen „medienübergreifender Bürgerbeteiligung“5 auseinandersetzen. Daher ist es Ziel der Arbeit, erste Fallbeispiele medienübergreifender Bürgerbeteiligung auf den Prüfstand zu stellen und auf diese Weise neue Erkenntnisse über die positiven Auswirkungen dieser 3 Vgl. z.B. Hoecker, Beate: Mehr Demokratie via Internet?, S. 40 oder Holtkamp, Lars: E-Democracy in deutschen Kommunen, S. 55. 4 Mit Ausnahme des Forschungsprojekts „Medienmix in der lokalen Demokratie“ des Instituts für Informationsmanagement in Bremen. 5 Medienübergreifende Bürgerbeteiligung steht vorerst als Platzhalter für Beteiligungskonzepte mit einer übergeordneten Kommunikations- und Beteiligungsstruktur, die traditionelle und neue Elemente der Stadtplanung verknüpfen. 2 Kapitel 1: Einführung Vorgehensweisen auf Beteiligungsverfahren zu erlangen. Die zentrale Frage der Arbeit lautet dementsprechend: Haben Verknüpfungen von unterschiedlichen Beteiligungsmethoden und Kommunikationsmedien positive Auswirkungen auf Beteiligungsverfahren? Die Ergebnisse der Evaluation beider Fallstudien geben Aufschluss über die Potenziale medienübergreifender Bürgerbeteiligung und sollen abschließend als Handlungswissen für die Praxis aufbereitet werden. 1.3 Methodisches Vorgehen Im Mittelpunkt des methodischen Vorgehens zur Klärung eingangs gestellter Frage steht die Evaluation zweier Fallstudien. Nach Kromrey haben Evaluationsprojekte grundsätzlich vier verschiedene Aspekte, die vor der Untersuchung präzisiert werden müssen: „Irgendetwas wird von irgendjemandem nach irgendwelchen Kriterien in irgendeiner Weise bewertet“6. Der Autor dieser Diplomarbeit übernimmt dabei die Rolle des Evaluators. Die drei weiteren Aspekte können bei der Evaluation von Pilotprogrammen zu Beginn der Untersuchung nicht ausreichend präzisiert werden7: Vor der Entwicklung des Forschungsdesigns musste zuerst der Forschungsgegenstand definiert werden. Da über Effekte von medienübergreifender Bürgerbeteiligung bislang kaum Literatur besteht, war es nicht möglich die Wirkungsdimensionen als abhängige Variablen vorab festzulegen. Daran anschließend konnten ebenfalls keine Aussagen zu den Kriterien getroffen werden. Bei dieser für die Evaluation von Pilotprogrammen typischen Problematik empfiehlt Kromrey die notwendigen Hypothesen und Indikatoren im Wechsel zwischen Datenerhebung und Interpretation zu entwickeln. Dementsprechend wurde in dieser Arbeit ein mehrstufiger Prozess gewählt: Zu Beginn der Untersuchung wurden anhand einer breiten Literatur- und Internetrecherche die Rahmenbedingungen von medienübergreifender Bürgerbeteiligung dargestellt (Vgl. Kapitel 2 und 3). Darauf aufbauend wurde ein einfaches Modell medienübergreifender Bürgerbeteiligung entwickelt, das die Kommunikationsbeziehungen in Beteiligungsprozessen in Verbindung zu den Beteiligungsmethoden und Kommunikationskanälen setzt (Vgl. Kapitel 4), um daran mögliche Verknüpfungen aufzuzeigen (Vgl. Kapitel 4.4 und 4.5). An dieser Stelle wurde ein erster Schritt in die Evaluation der Fallstudien gemacht. Anhand einer detaillierten Prozessbeschreibung wurden die medienübergreifenden 6 7 Vgl. Kromrey, Helmut: Evaluation – ein vielschichtiges Konzept, S. 107f. Vgl. ebd., S. 121. 3 Kapitel 1: Einführung Verknüpfungen der beiden Projekte herausgearbeitet (Vgl. Kapitel 7.1.2 und 7.2.2). Diese gaben erste Aufschlüsse über die zu erwartenden positiven Auswirkungen. Geleitet von diesen Annahmen wurden zum Abschluss des Theorieteils die Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren herausgearbeitet (Vgl. Kapitel 5). Diese bildeten die Grundlage für die Präzisierung des Forschungsgegenstands, mittels drei zentraler Hypothesen (Vgl. Kapitel 6). Die Operationalisierung dieser Hypothesen stellte sich weiterhin als schwierig dar: Dies lag zum einen daran, dass entsprechende Daten zur Überprüfung möglicher Kriterien entweder nicht aufgenommen, unterschiedlich aufgenommen oder nicht verfügbar waren.8 Zum anderen waren beide Projekte bereits abgeschlossen, der Autor hatte demnach keinen Einfluss auf die Rahmenbedingungen des Projekts, um die Einflüsse der Programmumwelt abzugrenzen.9 Die Auswahl der Kriterien war deshalb geleitet von der Verfügbarkeit von quantitativen Daten und konzentrierte sich auf qualitative Informationen aus mehreren Experteninterviews mit zentralen Akteuren der Projekte. Nach diesen Festlegungen konnte schließlich die Evaluation der Projekte durchgeführt werden (Vgl. Kapitel 7). Trotz der Unterschiedlichkeit von Evaluationsvorhaben müssen alle Evaluationsverfahren nach Kromrey letztendlich drei zentrale Dimensionen aufweisen: Ziele, Maßnahmen und Effekte.10 Für beide Fallstudien wurde in einem ersten Schritt die jeweilige Zielstellung in Bezug auf die zu prüfenden Hypothesen herausgearbeitet (Vgl. Kapitel 7.1.1 und 7.2.1). An zweiter Stelle stand die bereits durchgeführte Prozessbeschreibung als unabhängige Variable der Untersuchung. Als letztes fand mit der Prüfung der Hypothesen die Messung der Wirkung bzw. der abhängigen Variablen statt (Vgl. Kapitel 7.1.3 und 7.2.3). Diese stellt den zentralen Kern der Untersuchung dar, konnte aber, wie bereits erwähnt, nicht von den Einflüssen der Programmumwelt abgegrenzt werden. Diese Erkenntnisse werden zum Schluss der Arbeit zur Beantwortung der Fragestellung herangezogen und in Handlungsempfehlungen für medienübergreifende Beteiligungsverfahren übergeleitet (Vgl. Kapitel 8). Auf Grund der Vielseitigkeit des Themas, der gewählten Fallstudien und der zur Abgrenzung getroffenen Definitionen erhebt diese Arbeit keine Ansprüche auf Allgemeingültigkeit, sondern will lediglich einen Standpunkt in der Diskussion um 8 Laut Anfrage beim Bezirksamt Lichtenberg, vgl. Gröber, Silvia: Telefonat am 07.08.2006. Vgl. Kromrey, Helmut: Evaluation – ein vielschichtiges Konzept, S. 118. 10 Vgl. ebd., S. 116. 9 4 Kapitel 1: Einführung medienübergreifende Bürgerbeteiligung zur Disposition stellen, von dem aus einige Aspekte des Themas näher betrachtet werden. Auswahl der Fallstudien Ausgewählt wurden zwei medienübergreifende Beteiligungsprojekte, die als Verknüpfung von Online-Dialogen mit anderen Beteiligungsformen konzipiert waren. Dabei integrieren beide Projekte unterschiedliche Beteiligungsmethoden und Kommunikationskanäle und bieten deshalb einen geeigneten Rahmen, um die Wirkung medienübergreifender Bürgerbeteiligung zu überprüfen11: Fallstudie 1: Im Projekt „Bürgerhaushalt Lichtenberg“ wurden 2005 die Einwohner des Berliner Bezirks an der Aufstellung des kommunalen Haushaltsplans beteiligt. Dafür wurde ein mehrkanaliges Konzept entwickelt, bei dem die Teilnehmer in Präsenzveranstaltungen, per Post und im Internet in jeweils unterschiedlichen Phasen Haushaltsvorschläge aufstellen, diskutieren und bewerten konnten. Ergänzt wurde dies durch eine breite Informationskampagne über verschiedene Wege. Fallstudie 2: Der „Berliner Mauerdialog“ war ein Beteiligungsangebot in Vorbereitung für die Aufstellung des Bebauungsplans zur Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße im Rahmen des Gedenkkonzepts Berliner Mauer. Der zentrale Online-Dialog wurde durch mehrere Mitwirkungsangebote vor Ort erweitert und die Öffentlichkeitsarbeit eng in den Prozess integriert. Verwendete Methoden der empirischen Sozialforschung In der Beschreibung des Forschungsdesigns wurden die in der Untersuchung angewandten Methoden der empirischen Sozialforschung bereits erwähnt. Für die Zwecke dieser Diplomarbeit wurden die Literatur- und Internetrecherche, Experteninterviews und eine ergänzende statistische Datenanalyse ausgewählt. Literatur- und Internetrecherche: Zur inhaltlichen Erarbeitung der Grundlagen wurde eine interdisziplinäre Literatur- und Internetrecherche durchgeführt. Darüber wurde versucht, den aktuellen Stand der theoretischen Diskussion verwandter Felder zusammenzutragen. Ausführliche Literatur zum Thema selbst liegt bislang nicht vor, entsprechende Konferenzen wurden nicht dokumentiert, und Abschlußberichte erster Forschungsvorhaben stehen noch aus.12 11 Weitere Auswahlgründe liegen im persönlichen Bezug zu den beiden Projekten. Der Autor war am Bürgerhaushalt Lichtenberg als Teilnehmer und am Mauerdialog als Online-Moderator beteiligt. 12 Vgl. Westholm, Hilmar: Interview am 21.08.2006. 5 Kapitel 1: Einführung Experteninterviews: Als Experten gelten einerseits Personen, die über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse einen bevorzugten Zugang zu Informationen haben oder andererseits Verantwortung tragen für die Konzeption, Umsetzung oder Kontrolle einer Problemlösung.13 Die Auswahl der Experten entsprach diesen grundlegenden Kategorien: Experteninterviews wurden einerseits zum besseren Verständnis des Forschungsstands geführt und dienten andererseits als qualitative empirische Grundlage für die Evaluation der Fallstudien. Die relevanten Fragenkomplexe wurden in Anlehnung an die Forschungspraxis als Interviewleitfaden (vgl. Anhang) ausgearbeitet. Die Abfolge der Fragen gab lediglich den Rahmen der Gespräche vor. Letztendlich lag das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit weniger auf der Vergleichbarkeit als vorrangig auf der Vollständigkeit aller Interviews. Deshalb wurden der Ablauf und die inhaltliche Vertiefung jeweils an die Interviewsituation angepasst. Die Auswertung der Ergebnisse orientierten sich an den von Meuser und Nagel vorgeschlagenen sechs Schritten: Transkription, Paraphrase, Überschriften, Thematischer Vergleich, Soziologische Konzeptionalisierung und Theoretische Generalisierung. Für das Erkenntnisinteresse im Rahmen der Evaluation beschränkte sich die Analyse vor allem auf die ersteren Schritte. Auf Grund des beschriebenen iterativen Vorgehens wurde in Bezug auf konkrete Fragestellungen innerhalb der Evaluation mehrmals Rücksprache mit den Interviewpartnern gehalten. Statistische Datenanalyse: Die statistische Datenanalyse beschränkt sich auf ein rein deskriptives Vorgehen. „Die beschreibende (deskriptive) Statistik zielt darauf ab, die in einem Datensatz enthaltenen Informationen möglichst übersichtlich darzustellen, so dass `das Wesentliche´ schnell erkennbar wird"14. 13 14 Vgl. Meuser, Michael; Nagel, Ulrike: ExpertInneninterviews, S. 443. Vgl. Kromrey, Helmut: Empirische Sozialforschung, S. 392. 6 Teil 1: Theoretische Grundlagen TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN 2. Grundlagen der Bürgerbeteiligung Zu Beginn der Arbeit werden Bürgerbeteiligungsverfahren in den gesellschaftlichen Rahmen eingeordnet, ihre Bedeutung für den Bereich der Stadtplanung herausgearbeitet und schließlich der relativ neue Bereich der eDemocracy15 vorgestellt. Im System der repräsentativen Demokratie lassen sich die Möglichkeiten der Bürger, Einfluss auf Verwaltungsentscheidungen zu nehmen, grundlegend in Entscheidungsund Mitwirkungsrechte unterscheiden. Der Wahlakt stellt die unmittelbare Form der Teilnahme dar, zum Beispiel bei der Wahl der Bürgervertreter und auch in Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Mitwirkungsrechte hingegen erlauben Bürgern das Einbringen der eigenen Meinungen und Ideen, die letztendliche Entscheidungshoheit bleibt aber in unserer repräsentativen Demokratie den gewählten Entscheidungsträgern vorbehalten. Unter Bürgerbeteiligung werden in dieser Arbeit vorrangig die Mitwirkungsrechte der Bürger verstanden. Bürgerbeteiligung hilft Interessenvielfalt und Gegensätze besser sichtbar zu machen: Potentielle Kompromisse sollen herausgearbeitet und die Qualität von Entscheidungen soll verbessert werden. Sie zielt auf eine verbesserte Entscheidungsgrundlage ohne ein Ersatz für die politische Verantwortung der Gewählten sein zu wollen.16 Erfolgreiche Beteiligung kann zur Erhöhung der Legitimation von Planungsmaßnahmen beitragen, die Akzeptanz gegenüber Entscheidungen erhöhen, Widerstand abbauen und das zur Bearbeitung komplexer Probleme notwendige Wissen unterschiedlicher Akteure einholen und in den Prozess einbinden. (vgl. Kapitel 2.2.3) 2.1 Rahmenbedingungen „Die Beteiligung der Bürger an Planungen, der Erstellung von Leitbildern und der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben erfreut sich in Deutschland wachsender Aufmerksamkeit.“17 Um die Hintergründe dieser Aussage ein wenig genauer beleuchten 15 Bürgerbeteiligung mittels neuer Medien. Vgl. Swoboda, Hannes: Demokratisierung im Planungsprozess, S. 8. 17 Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S. 4. 16 7 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung zu können, wird einführend ein Blick auf die Rahmenbedingungen von Bürgerbeteiligung geworfen. Über die letzten Jahrzehnte hat sich die demokratische Landschaft in Deutschland stark gewandelt. Sowohl auf Seiten der Bürger als auch des Staates lassen sich Ursachen für diese Veränderungen finden. 2.1.1 Selbstverständnis der Öffentlichkeit In unserer Gesellschaft hat über die letzten Jahre ein Wertewandel zu Gunsten individueller Entfaltungsmöglichkeiten stattgefunden. Sicherheit, Ordnung oder Leistung sind „alte“ Werte, die auf Pflichtbewusstsein und Akzeptanz basieren. Demgegenüber gibt es heute eine Tendenz hin zu neuen Idealen, wie Mitspracherecht, Chancengleichheit oder Unabhängigkeit. Dies spiegelt sich in der Ablehnung klassischer Rollen wider. Auf das gesellschaftliche Zusammenleben bezogen bedeutet dies, dass der individuelle Entscheidungsspielraum der Bürger zugenommen hat, zu Ungunsten einer Ausrichtung am Wohl der Gesellschaft.18 Des Weiteren lässt sich eine Pluralisierung der Lebensstile feststellen. Es findet also nicht nur eine Verschiebung, sondern auch eine Vervielfältigung der Werte statt. Neben traditionellen Lebensstilgruppen oder Milieus haben sich neue herausgebildet.19 Die politische Kommunikation wird dadurch vor neue Herausforderungen gestellt: Um die gesamte Bevölkerung zu erreichen, muss politische Information und Partizipation20 heute stärker darauf zugeschnitten werden heterogene Gruppen zu erreichen. Ein weiterer Effekt des geschilderten Einstellungswandels ist eine verringerte Bereitschaft sich dauerhaft am politischen Prozess zu beteiligen. War früher das Beteiligungsinteresse der Öffentlichkeit stärker an Organisationen21 geknüpft, ist dies einer kontextorientierten Beteiligung gewichen.22 – Das politische Interesse und die Bereitschaft sich zu engagieren stehen heute in engerem Zusammenhang mit dem Entscheidungsgegenstand. Die Forderungen der Bürger nach Beteiligung an Entscheidungen, die ihre konkrete Lebenssituation betreffen, sind dementsprechend laut.23 Dies ist letztendlich eine Erklärung für die viel besprochene Problematik der Politikverdrossenheit. In der Wahrnehmung der Bürger ist hier weniger das demokratische System problematisch als der Entscheidungsprozess: Sie misstrauen der Lösungs18 Vgl. Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S. 12. Vgl. Sinus Sociovision: Informationen zu den Sinus Milieus 2005, S. 7ff. 20 Im Gegensatz zu anderen Arbeiten wird Partizipation in dieser Arbeit nicht synonym mit Bürgerbeteiligung verwendet, sondern als Stufe der Bürgerbeteiligung, vgl. Kapitel 2.3. 21 Beispielsweise Parteien, Bürgerinitiativen, oder NGOs. 22 Vgl. Böge, Wolfgang: Empirische Bestandsaufnahmen zur Partizipationsbereitschaft, S. 7f. 23 Vgl. Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S.15. 19 8 Teil 1: Theoretische Grundlagen kompetenz von Regierungssystemen bei der Bearbeitung von komplexen Problemlagen und fragen sich, warum ihre Meinung keinen Einfluss im Entscheidungsfindungsprozess hat. Das heißt, dass die „Mängel der demokratischen Praxis (und im übrigen wachsende soziale Ungleichheit) die Beteiligung unterminieren“24. Allerdings betrifft die Beteiligungskrise hauptsächlich Parteien und Wahlen, während im Bereich der informellen Bürgerbeteiligung sowie im vorpolitischen Bereich das Engagement der Bürger zunimmt.25 Wo aber der Politikverdrossenheit nicht mit zusätzlichen Beteiligungsmöglichkeiten entgegengewirkt wird, schlagen sich die rückläufigen Wahlbeteiligungen in einem wachsenden Legitimitätsproblem nieder. 2.1.2 Selbstverständnis des Staates Legitimationsprobleme ergeben sich nicht nur aus der rückläufigen Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit. Galt der Staat früher in allen Fragen als lösungskompetent und zuständig, muss sich das politische Selbstverständnis heute einer zunehmenden technischen, sozialen und wirtschaftlichen Komplexität anpassen. Der Staat ist dadurch in der Zwischenzeit nur noch bedingt lösungskompetent.26 Verstärkt wird das Problem durch den Wandel zur Informations- und Wissensgesellschaft. Die funktionelle Differenzierung der Gesellschaft in viele autonome Teilsysteme führt dazu, dass es nicht das Wissen oder die Lösung gibt. Wissen ist kontextabhängig und kann von anderen Akteuren abgelehnt werden.27 Für das politisch-administrative System bedeutet dies zum einen eine gesteigerte Abhängigkeit von Information und Expertise, zum anderen, dass es unter den Betroffenen und Akteuren ein breit gefächertes Spektrum an Alternativen gibt – das „Wissen der Bürger wird zur Irritationsinstanz“28 im Entscheidungsprozess. Zur Bewältigung von Konfliktsituationen ist daher eine verstärkte Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Akteuren erforderlich. Es wird zunehmend schwieriger, Planungen von oben nach unten durchzusetzen. Der „kooperative“ Staat Vor diesem Hintergrund hat sich das Selbstverständnis des Staates über die letzten Jahrzehnte gewandelt. Die Einbußen an hierarchischer Steuerungsfähigkeit soll der 24 Leggewie, Claus: Von der elektronischen zur interaktiven Demokratie, S. 3. Vgl. ebd., S. 3ff. 26 Vgl. Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S. 18. 27 Vgl. Baecker, Dirk: Organisation als System, S. 69ff. 28 Vgl. Priddat, Birger: E-Government als Virtualisierungsstrategie des Staates, S. 19. 25 9 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung „kooperative Staat“29 durch einen Steuerungsmodus, der auf Verhandlung und Kooperation basiert, kompensieren. Der Staat erkennt dabei an, dass er nicht mehr direkt planen und anordnen kann, sondern nur noch „Mitspieler in einem Netz von Handelnden“ ist.30 Dabei soll „Kooperation (...) dazu dienen, staatliche Leistungsfähigkeit bei zunehmender Komplexität gesellschaftlicher Probleme, Unsicherheit von Entwicklungen und Ressourcenknappheit sicherzustellen“31. Dadurch ändern sich ebenfalls die grundlegenden Funktionen des Staates. Nach Hesse32 obliegen dem Staat zwei zentrale Funktionen: zum einen die Orientierungsfunktion, welche dem Staat die Zuständigkeit zuspricht, zu entscheiden, welche gesellschaftlichen Probleme zu behandeln und frühzeitig aufgegriffen werden sollen; zum anderen die Organisationsfunktion, die dem Staat Zuständigkeit über die Aushandlungsverfahren gibt. Ritter33 fügt den beiden noch die Vermittlungsfunktion und die Letztentscheidungsfunktion hinzu. Erstere spricht ihm die Verantwortung für die Kooperation zwischen den Akteuren aus den Sphären Staat und Kommunen, Wirtschaft und Gesellschaft zu, das heißt alle für eine Thematik wichtigen Akteure in ein Verhandlungssystem einzubinden. Die Letztentscheidungsfunktion sichert ihm die Sanktionsgewalt. Dadurch kann der Staat sicherstellen, dass im Aushandlungsprozess die Gemeinwohlinteressen nicht zwischen Partikularinteressen untergehen. Hierarchische Steuerung soll nicht aufgegeben werden, sondern ist als „Rute im Fenster“ auch im kooperativen Staat notwendig.34 Auf Grund direkter Betroffenheiten sowie leichter identifizierbarer Akteursstrukturen versucht staatliches Handeln vor allem auf lokaler Ebene vermehrt unterschiedliche Akteure durch Einbeziehung ihrer Interessen zur Mithilfe zu bewegen.35 Das führt dazu, dass Bürgerbeteiligung nicht mehr nur als Instrument zur Lösung von Konfliktfällen angesehen, sondern mehr und mehr zur Routinemaßnahme wird.36 2.1.3 Selbstverständnis der Stadtplanung In der Stadtplanung hat sich das technische Planungsverständnis der 1970er Jahre 29 Vgl. Ritter, Ernst-Hasso: Der kooperative Staat. Vgl. Fürst, Dietrich: Die Neubelebung der Staatsdiskussion, S. 266. 31 Benz, Arthur: Kooperative Verwaltung, S. 59. 32 Vgl. Hesse, Joachim Jens: Staatliches Handeln in der Umorientierung. 33 Vgl. Ritter, Ernst-Hasso: Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat. 34 Vgl. Braun, Dietmar: Politische Gesellschaftssteuerung zwischen System und Akteur, S. 168. 35 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 88f. 36 Vgl. Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S. 20. 30 10 Teil 1: Theoretische Grundlagen zu einem kommunikativen Verständnis von Planung gewandelt, was Healey37 als „communicative turn in planning“ beschreibt. Dabei hat sich eine große Vielfalt unterschiedlicher Kooperations- bzw. Kommunikationsformen herausgebildet. Unter Planern hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Fachwissen im Entscheidungsprozess unbeachtet bleibt, wenn es den unterschiedlichen Beteiligten nicht vermittelt werden kann.38 Diese Vermittlung kann nur gelingen, wenn Planung nicht nur als Verstandesarbeit, sondern ebenso als Verständigungsarbeit gestaltet wird, um sowohl Sachwissen als auch Kreativität erfolgreich in das Verfahren einfließen zu lassen. Deshalb ist heute die Gestaltung der Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren ein ebenso großer Bestandteil des Planungsprozesses wie die Auseinandersetzung mit Sach- und Fachfragen.39 In der planungstheoretischen Diskussion stehen daher heute weniger substantielle Aspekte („theory in planning“), sondern vermehrt prozessuale Aspekte der Planung („theory of planning“) im Vordergrund.40 Die Steuerung des Kommunikationsprozesses wird eine umso schwierigere Aufgabe, je komplexer das Thema und die Akteurskonstellation sind. Die heterogene Öffentlichkeit einzubinden, stellt die Planer vor große Herausforderungen und wird in Kapitel 5.1 ausführlicher betrachtet. 2.2 Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung Auf städtischer Ebene, speziell im Bereich der Stadtplanung, ist die Bürgerbeteiligung einerseits ein formell festgeschriebener Prozess und andererseits ein informelles Mittel der Politik ihren Bürgern in einem bestimmten Rahmen Einfluss auf den Entscheidungsfindungsprozess zu geben. 2.2.1 Formelle Bürgerbeteiligung Die für die Stadtplanung wichtigste Form der formellen Bürgerbeteiligung ist die in § 3 des Baugesetzbuchs festgelegte Beteiligung der Öffentlichkeit: „(1) Die Öffentlichkeit ist möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, [...] öffentlich zu unterrichten; ihnen ist die Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben.“ In der Bauleitplanung ist dafür gesetzlich ein zweistufiges Beteiligungsver- 37 Vgl. Healey, Patsy: Planning Through Debate. Vgl. Selle, Klaus: Planung und Kommunikation, S. 11. 39 Vgl. Selle, Klaus: Nachhaltige Kommunikation und Bürgerorientierung, S. 4. 40 Vgl. Faludi, Andreas: Planning Theory. 38 11 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung fahren vorgeschrieben. Dieses gilt sowohl für das Erstellen von Bebauungsplänen als auch für Flächennutzungspläne. Die vorgezogene oder frühzeitige Bürgerbeteiligung (§ 3 Abs. 1 BauGB) Die erste Stufe folgt als so genannte vorgezogene oder frühzeitige Bürgerbeteiligung der Erstellung eines ersten Planentwurfs. Ziel der frühzeitigen Bürgerbeteiligung ist es die Betroffenen einzubinden, um sie vor negativen Auswirkungen zu schützen, bevor die Planung zu konkret geworden ist.41 § 3 Abs.1 BauGB lautet: „Die Öffentlichkeit ist möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen, und die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten; ihr ist Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung zu geben.“ Wichtige Bestandteile des Gesetzestextes sind: Die Grundlage für das Beteiligungsverfahren bildet die ausführliche Information über Ziele und Zwecke von Planungen sowie über die Auswirkungen der Planungen auf das Plangebiet. Außerdem die Frühzeitigkeit des Verfahrens – es soll bereits ein diskussionsfähiges Planungskonzept vorliegen, das allerdings noch ausreichend flexibel ist, um die Ergebnisse der Beteiligung zu berücksichtigen. Schließlich soll der Bevölkerung die Gelegenheit zu Äußerung und Erörterung gegeben werden. Dies beinhaltet eine Erläuterung der Planvorstellung sowie einen Dialog darüber zwischen der Gemeinde und ihren Bürgern. Erörterung wird hierbei als diskursives Verfahren definiert, in dem aus verschiedenen Blickwinkeln das Für und Wider der Problematik diskutiert wird. 42 Der Rahmen dieser Beteiligung wird vom Gesetz nicht weiter ausgeführt. Hier haben sich über die Jahre in den Städten verschiedene Formen ausgebildet, die auf das Repertoire informeller Beteiligungsformen zurückgreifen. Öffentliche Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) Wenn die Planungen abgeschlossen sind und ein Entwurf entstanden ist, der per Satzung gesetzlich festgesetzt werden soll, findet die öffentliche Auslegung des Planwerks statt. Diese zweite Stufe der formellen Bürgerbeteiligung im Bauleitplanverfahren ist auf die Dauer eines Monats begrenzt. Der Termin wird ortsüblich bekannt gegeben, meistens in der lokalen Presse oder dem Amtsblatt. Der Planentwurf 41 42 Vgl. Selle, Klaus: Normen. Vgl. ebd. 12 Teil 1: Theoretische Grundlagen sowie der dazugehörige Erläuterungsbericht (FNP) beziehungsweise die Begründung (B-Plan) können von allen interessierten Bürgern auf dem städtischen Bauamt eingesehen werden. Anregungen und Bedenken werden schriftlich eingereicht und sind nach Ablauf der Frist von der Gemeinde zu prüfen und abzuwägen. 43 Im Gegensatz zum deliberativen Ansatz der frühzeitigen Bürgerbeteiligung ist der Grad der Partizipation in der zweiten Stufe beschränkt auf einen Weg – die Rückmeldung vom Bürger zur Gemeinde. 2.2.2 Informelle Bürgerbeteiligung In der Stadtplanung wird Kommunikation häufig mit der geschilderten gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung gleichgesetzt. In der Praxis sind diese Verfahren oftmals zur Routine erstarrt, weil sie von Planern alter Schule als „lästiges Übel“ empfunden werden und zum Zeitpunkt der Durchführung die Vorbereitungen der Planung schon so weit fortgeschritten sind, dass sich auch interessierte Bürger mangels Einflussmöglichkeiten abwenden, oder verhärtete Fronten entstehen, die in wenig konstruktiven Protesten enden.44 Deshalb haben sich in der Praxis neben der formell festgeschriebenen Art der Bürgerbeteiligung informelle Verfahren entwickelt, die mehr auf einen Dialog mit der Bevölkerung zielen. Diese werden von der Verwaltung bei Fragen eingesetzt, für die eine formelle Beteiligung nicht oder erst später im Prozess vorgeschrieben ist. Der Handlungsspielraum ist hier häufig größer und die Themen sind nicht auf einzelne Planungsentscheidungen begrenzt, sondern oft im Bereich der Leitbildfindung oder strategischen Ausrichtung zu finden.45 Einige exemplarische Methoden der informellen Beteiligungsverfahren werden in Kapitel 4.3 ausführlicher beschrieben. 2.2.3 Leistungsfähigkeit informeller Bürgerbeteiligung Sinning fasst unter dem Begriff „Leistungsfähigkeit kommunikativer Planungsinstrumente“46 mögliche Leistungen informeller Beteiligungsverfahren in der Freiraumentwicklung zusammen, die sich auf die Gesamtebene der Stadtplanung übertragen lassen. Die Potenziale können grundsätzlich in fünf Bereichen zusammengefasst werden: 43 Vgl. Selle, Klaus: Normen. Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 29ff. 45 Vgl. Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S. 7. 46 Vgl. Sinning, Heidi: Kommunikative Planung, S. 75. 44 13 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung Integration von Interessen und Akteuren erhöhen Eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage und Sicherstellung ausgewogener Planungsentscheidungen kann durch Mitwirkungsmöglichkeiten breiter Akteursgruppen und einem öffentlichen und transparenten Planungsprozess zur Konsensfindung und Konfliktregelung erreicht werden. Entgegenstehende Faktoren finden sich in den verschiedenen Auswahlmechanismen städtischer Akteure, Kapazitätsgrenzen bei Beteiligungsverfahren oder der Problematik bereits getroffener Vorentscheidungen, bzw. des Beteiligungszeitpunkts.47 Akzeptanz schaffen und Identifikation stiften Akzeptanz und Identifikation sind maßgebliche Faktoren, um im Planungsprozess Problembewusstsein zu vermitteln und die Umsetzung von Maßnahmen zügig voranzutreiben. Die Vermittlung der Qualitäten, Gewährleistung der Zufriedenheit mit den erarbeiteten Ergebnissen sowie die Stärkung der Eigenverantwortung der beteiligten Akteure können Akzeptanz und Identifikation unterstützen. Vorsicht ist geboten, wenn unterschiedliche Wahrnehmungen und Wertvorstellungen einzelner Teilgruppen vorliegen. 48 Qualität von Lösungen verbessern Die Steigerung der Qualität von Entscheidungen hängt maßgeblich von der Verknüpfung der Sach- und Prozessebene ab – erarbeitete Pläne sollten den Vorstellungen der Akteure und der Realität gerecht werden, was nur über die kommunikative Vermittlung von unterschiedlichen Positionen und Fachwissen geschehen kann.49 Ermöglicht werden kann dies durch eine breite, zugängliche Informationsgrundlage, die Ermittlung von Interessen und Positionen, einen diskursiven Zielfindungsprozess und die Einbindung externen Sachverstands in den Entscheidungsfindungsprozess. Die Kurzsichtigkeit der Politik und institutionalisierte Interessen können diesem Potenzial entgegenstehen.50 Lernprozesse ermöglichen Kommunikative Instrumente können Lernprozesse sowohl von inhaltlicher als auch institutioneller Natur anregen. Dies können inhaltliche Qualifizierungsprozesse sein, 47 Vgl. Sinning, Heidi: Kommunikative Planung, S. 74. Vgl. ebd., S. 83. 49 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 43. 50 Vgl. Sinning, Heidi: Kommunikative Planung, S. 87. 48 14 Teil 1: Theoretische Grundlagen Kooperationen zwischen Akteuren oder Hilfe für Akteure bei der Anpassung an Problemsituationen.51 Abhängig ist dies von der Akteurskonstellation. Umsetzungsorientierung fördern Gekoppelt mit einer projektorientierten Stadtplanung können kommunikative Instrumente dazu beitragen, Umsetzungsdefiziten vorzubeugen. Im Kommunikationsprozess können Widerstände frühzeitig erkannt, Partner für die Umsetzung gewonnen werden und Planungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden. Interessenunterschiede zwischen den beteiligten Akteuren und eine fehlende Rechtsverbindlichkeit der Verfahrensergebnisse können dem entgegenstehen.52 2.3 Neue Entwicklungen in der Bürgerbeteiligung Der Aufstieg der Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) hat ein neues Umfeld für Bürgerbeteiligung geschaffen, das dialogorientiert, einfach zu benutzen, inklusiv und unabhängig von Raum und Zeit ist.53 Genauso wie diese neuen Medien in den letzten Jahren unsere Gesellschaft verändert haben – wie Menschen arbeiten, einkaufen und kommunizieren – haben sie neue Kommunikationswege zwischen Bürger und Regierung geschaffen. 2.3.1 ePartizipation und eDemocracy Dazu wird als Erstes eine Begriffsbestimmung der zentralen Schlagwörter eGovernment, eDemocracy und ePartizipation durchgeführt, die diese neuen Kommunikationswege beschreiben: Der Diskurs um eGovernment bildet das übergreifende Modell. Dieses besteht aus zwei verschiedenen Säulen – zum einen der Steigerung der Verwaltungseffizienz durch elektronische Bürger- und Informationsdienste (eAdministration) und zum anderen der Stärkung bürgerschaftlicher Mitwirkung (eDemocracy). eDemocracy wiederum lässt sich weiter differenzieren in elektronische Wahlen (eVoting) und elektronische Mitwirkungsangebote (ePartizipation)54. ePartizipation „beschreibt jene Elemente der Bürgerbeteiligung, die eine aktive Teilhabe an politischen Diskurs- und Entscheidungsprozessen mit Hilfe des Internets ermögli- 51 Vgl. Sinning, Heidi: Kommunikative Planung, S. 92. Vgl. ebd., S. 96. 53 Vgl. Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, S. 5. 54 In dieser Arbeit werden im Folgenden die Begriffe eDemocracy und ePartizipation synonym verwendet, das heißt, die kleinere Säule „eVoting“ wird nicht weiter betrachtet und nur eDemocracy-Diskurse werden in der Analyse berücksichtigt. 52 15 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung chen“55.ePartizipation ist dabei mehr, als das „e“ vermuten lässt: Ebenso wie im Diskurs um eGovernment lässt sich auch für ePartizipation feststellen, dass die Neugestaltung der Verfahren und nicht deren Digitalisierung im Vordergrund steht. „Ziel ist vielmehr, mit Hilfe von luK neue zeitgemäße Beteiligungsverfahren zu entwickeln und als Teil einer neuen Verwaltungs- und Entscheidungskultur zu etablieren.“56 Abb. 1: Übersicht eGovernment 57 Kontrovers diskutiert wird in der Literatur die Frage, ob eDemocracy helfen kann den Trend der Öffentlichkeit zur Politikverdrossenheit aufzufangen. ePartizipationsAngeboten wird dabei die Fähigkeit zugeschrieben, wenig am politischen Prozess beteiligte Gruppen, wie beispielsweise Jugendliche, für politisches Engagement zu gewinnen.58 Demgegenüber stellt Bimber für die USA fest, dass „die amerikanische Bevölkerung im Allgemeinen durch neue Technologien nicht engagierter im politischen System ist“59. Auch wenn die Verbreitung von Internetanschlüssen und Endgeräten zur Nutzung neuer Medien stark zunimmt, trennt der digitale Graben immer noch Bürger mit Zugang zu diesen Kommunikationskanälen und solche ohne. Auf der einen Seite sind dies sozial schwache Gruppen, die sich einen Internetzugang nicht leisten können, auf der anderen Seite beispielsweise ältere Bevölkerungsgruppen, die nicht über die entsprechenden technischen Fähigkeiten verfügen. Die Gefahr einer weiteren Benachteiligung dieser Gruppen führt die meisten Autoren zur Aussage, dass ePartizipation im Hinblick auf eine faire Demokratie nur ein Zusatzangebot im Kanon herkömmlicher Beteiligungsmethoden sein kann und darf.60 Dennoch weist das Internet einige Stärken auf, durch die es besonders für die politische Kommunikation geeignet ist. Die Verbreitung von Informationen ist einfach und kostengünstig. Für die entsprechenden Zielgruppen gilt das auch für die Teilnahme an und die Handhabung von Beteiligungsangeboten. Dazu können sich durch die 55 eParticipation, Initiative: Studie Elektronische Bürgerbeteiligung in deutschen Großstädten, S. 8. Vgl. Märker, Oliver u.a.: Ungenutztes Wissen, S.18. 57 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S.95. 58 Vgl. Bethell, Matthew; Howland, Lydia: Logged off? 59 Bimber, Bruce: Information and American Democracy, S. 229. 60 Vgl. Local e-Democracy National Project: What works, S. 5. 56 16 Teil 1: Theoretische Grundlagen besonderen Charakteristika von Online-Anwendungen Vorteile ergeben. Beispielsweise kann die Anonymität helfen, heikle Themen zur Sprache zu bringen. In Bezug auf deliberative Verfahren kann das Internet hier dazu beitragen Hierarchien und Machtunterschiede aus einem Diskurs herauszuhalten.61 Dem Problem des Maßstabs in Diskursen kann im Internet durch die Ungleichzeitigkeit der Diskussion und die technischen Möglichkeiten der Diskussionsführung begegnet werden. Die Einschränkungen von Präsenzveranstaltungen wie Hitzigkeit, Querulantentum und Resignation können online leichter umgangen werden.62 Online-Bürgerbeteiligung hat über die letzten Jahre den Status des Exoten abgelegt und wird heute entweder als Bestandteil breit angelegter Beteiligungsverfahren oder als eigenständiges Verfahren angeboten. Gesetzlich wurde dem mit der Novellierung des BauGB63 im Jahre 2004 begegnet. Seitdem kann die Öffentlichkeitsarbeit und -beteiligung unter Einsatz neuer Medien durchgeführt werden. 2.3.2 mDemocracy Ein Teilbereich von eGovernment-Stragien zielt vermehrt auf die Anwendung mobiler Technologien (Mobiltelefone, PDAs64) zur Kommunikation. Die Verbreitung dieser Technologien ist rasant und weist in der Zwischenzeit eine breite Reichweite in der Bevölkerung auf.65 Während der Zugang zu Informationen und Services der Verwaltung der Hauptantrieb hinter der Entwicklung ist, finden sich unter dem Schlagwort mDemocracy66 auch erste beteiligende Anwendungen. Einfache Anwendungen, wie beispielsweise ein Benachrichtigungsservice, können zur Mobilisierung von Zielgruppen genutzt werden.67 Zentraler Kern der Bestrebungen ist das mVoting, das elektronische Abstimmen oder Wählen mittels Textnachrichten (SMS). Einzelne Versuche wurden auch im Bereich der Konsultation durchgeführt.68 Hier wird jedoch der grundlegende Unterschied zwischen online und mobilen Formen der Beteiligung offensichtlich: Ausführliche Schilderungen und breite Kommunikation werden in 61 Vgl. Witschge, Tamara: Online Deliberation, S. 13. Vgl. Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, S. 17. 63 Neuer § 4a Abs. 4: Bei der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung können ergänzend elektronische Informationstechnologien genutzt werden. Soweit die Gemeinde den Entwurf des Bauleitplans und die Begründung in das Internet einstellt, können die Stellungnahmen der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange durch Mitteilung von Ort und Dauer der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 und der Internetadresse eingeholt werden; die Mitteilung kann im Wege der elektronischen Kommunikation erfolgen soweit der Empfänger hierfür einen Zugang („die elektronische Signatur“) eröffnet hat. 64 Personal digital assistants. 65 Vgl. Ahmed, Nahleen: An overview of e-participation models, S. 15. 66 Mobile Democracy. 67 Vgl. Local eDemocracy National Project: SMS inLewisham, S. 6f. 68 Vgl. NECCC Research and Development workgroup: M-Government, S. 4. 62 17 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung absehbarer Zeit mittels Mobiltelefon nicht möglich sein.69 Die anfallenden Kosten stellen für die Nutzer weitere Barrieren dar, die sich mit einem demokratischen Beteiligungsverständnis nicht vereinbaren lassen. Die Ausgrenzung bestimmter regionaler Gruppen durch eine unvollständige Netzabdeckung stellt eine weitere Barriere dar.70 Auf Grund seiner weiten Verbreitung und der niedrigen Hemmschwelle bieten mobile Technologien der Bürgerbeteiligung dennoch gerade bei einfachen Anwendungen interessante Anwendungsfelder (vgl. Kapitel 4.2). 2.3.3 Anschlussfähigkeit von ePartizipation Um die vorgestellten neuen Möglichkeiten in den Bereichen ePartizipation und mDemocracy erfolgreich einzusetzen, müssen sie in den bestehenden institutionellen Rahmen eingefügt werden. Kubicek, Westholm und Wind71 haben dafür ein Modell der "Anschlussbedürftigkeit interaktiver Medien" entwickelt. Dabei unterscheiden sie folgende Ebenen: Technische Anschlussfähigkeit: Angebote der ePartizipation müssen so konzipiert werden, dass sie sich einerseits in die technische Infrastruktur der Verwaltung einpassen, andererseits die Ansprüche an die Nutzer sowohl in Bezug auf Kompetenz, als auch Hard- und Softwareausstattung nicht überfordern.72 Rechtliche Anschlussfähigkeit: Diesbezüglich müssen auf Seiten der Verwaltung entsprechende Rechtsnormen wie etwa das BauGB angepasst werden73 und Maßnahmen des Datenschutzes wie die Entwicklung der digitalen Signatur weitergeführt werden.74 Organisatorische Anschlussfähigkeit: ePartizipation muss nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch und personell in die Verwaltungsabläufe integriert werden. Daraus kann die Notwendigkeit der Anpassung von Zuständigkeiten und Organisationsmodellen hervorgehen. Ökonomische Anschlussfähigkeit: ePartizipations-Angebote müssen sowohl auf Seiten der Verwaltung, als auch der Bürger eine Kosten-Nutzen-Analyse überstehen, um initiiert und angenommen zu werden. Kulturelle Anschlussfähigkeit: Grundlage für eine glaubwürdige Umsetzung von Angeboten der ePartizipation ist eine lokale "Beteiligungskultur", der nicht ein hoheit69 Vgl. Baumberger, Petra; Brücher, Heide: Using Mobile Technology to Support eDemocracy, S. 3. Vgl. ebd., S. 6. 71 Vgl. Kubicek, Herbert u.a.: Stand und Perspektiven der Bürgerbeteiligung via Internet, S.74ff. 72 Vgl. Westholm, Hilmar: Mit eDemocracy zu deliberativer Politik?, S.17. 73 Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S.108. 74 Vgl. Westholm, Hilmar: Mit eDemocracy zu deliberativer Politik?, S.18. 70 18 Teil 1: Theoretische Grundlagen liches, sondern ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Kommune und Bürger zugrunde liegt. 75 Politische Anschlussfähigkeit: Die Öffnung des politisch-administrativen Systems ist die Basisvoraussetzung, um positive Effekte auf den anderen skizzierten Ebenen der Anschlussfähigkeit zu erzielen. 76 Dieses Modell zeigt als Abschluss des ersten Kapitels den übergeordneten Rahmen auf, in den positive Wirkungen medienübergreifender Bürgerbeteiligung eingeordnet werden können. In Kapitel 5 werden diejenigen Aspekte dieser umfassenden Kategorien weitergehend betrachtet, die für die Evaluation der Fallstudien relevant sind. 75 76 Vgl. Kubicek, Herbert u.a.: Stand und Perspektiven der Bürgerbeteiligung via Internet, S.74ff. Vgl. Westholm, Hilmar: Mit eDemocracy zu deliberativer Politik?, S.22. 19 Kapitel 2: Grundlagen der Bürgerbeteiligung 20 Teil 1: Theoretische Grundlagen 3. Grundlagen der Kommunikation „Der gesamte Planungsprozess – von der Definition des Problems bis zur Umsetzung der gefundenen Lösung – ist eine Kommunikationsaufgabe“77 – dieses Zitat von Selle verdeutlicht, dass Kommunikation eines der zentralen Elemente der Stadtplanung und des politischen Prozesses ist. Zur Klärung, was unter Kommunikation zu verstehen ist und wie sie funktioniert, sind im Laufe der Zeit unterschiedliche Kommunikationsmodelle entwickelt worden. Diese stammen aus verschiedenen Disziplinen und betrachten jeweils andere Aspekte von Kommunikation. Letztendlich kann im Rahmen dieser Arbeit keine umfassende Darstellung der unterschiedlichen Kommunikationsmodelle geleistet werden. Zum besseren Verständnis von Kommunikationsprozessen in der Bürgerbeteiligung werden dennoch stellvertretend zwei Schemas aus unterschiedlichen Disziplinen vorgestellt werden. Allgemein beschreibt der Begriff Kommunikation den verbalen Kontakt zwischen Menschen unter Zuhilfenahme von Worten. Auch über nonverbale Kommunikation wie Mimik, Gestik und Körperhaltung können Informationen ausgetauscht werden.78 Grundlegend gehen alle Kommunikationsmodelle von folgender Konstellation aus: Es gibt einen Sender, von dem eine Nachricht ausgeht, die vom Empfänger aufgenommen wird. Die Nachricht wird vom Sender verschlüsselt (Codierung), der Empfänger setzt sie in ihren ursprünglichen Zustand zurück (Dekodierung). Die Nachricht gelangt über Medien vom Sender zum Empfänger, beispielsweise in Form geschriebener oder gesprochener Sprache.79 Abb. 2: Sender-Empfänger-Modell80 Wie erfolgreiche Kommunikation funktionieren und durch welche Faktoren sie gestört werden kann, soll an Hand von zwei Kommunikationsmodellen dargestellt werden. 77 Selle, Klaus: Planung und Kommunikation, S. 11. Vgl. Lexikon der Psychologie: Kommunikation. 79 Vgl. ebd.: Kommunikation. 80 Quelle: Eigene Darstellung. 78 21 Kapitel 3: Grundlagen der Kommunikation Modell Kommunikationsquadrat Als Weiterentwicklung der Kommunikationsmodelle von Bühler und Watzlawick unterscheidet Schulz von Thun in seinem psychologischen Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation vier Seiten einer Nachricht81: - Sachinhalt: Sachinformationen, die der Sender dem Empfänger mitteilen möchte. - Selbstoffenbarung: Informationen, die der Sender über seine Person preisgibt. Dabei unterscheidet er gewollte Selbstdarstellung und ungewollte Selbstenthüllung. Der Empfänger entnimmt diese Informationen aus der Betonung, Mimik oder Gestik des Senders. - Beziehung: drückt das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger aus bzw. wie diese empfunden wird, beispielsweise Hierarchien. - Appell: Teil der Nachrichten, der den Empfänger unbewusst oder absichtlich zu einem bestimmten Verhalten oder Handeln veranlassen soll. Abb. 3: Kommunikationsquadrat82 Die Aufgliederung des Inhalts einer Nachricht in die genannten vier Seiten nimmt Schulz von Thun vor um Kommunikationsprobleme besser analysieren zu können: „Je nachdem, auf welcher Seite er (der Empfänger - KS) besonders hört, ist seine Empfangstätigkeit eine andere: den Sachinhalt sucht er zu verstehen. Sobald er die Nachricht auf die Selbstoffenbarungsseite hin ‚abklopft‘, ist er personaldiagnostisch tätig (‚ Was ist das für eine(r)?‘ bzw. ‚Was ist im Augenblick los mit ihr/ihm?‘). Durch die Beziehungsseite ist der Empfänger persönlich besonders betroffen (Wie steht der Sender zu mir, was hält er von mir, wen glaubt er vor sich zu haben, wie fühle ich mich behandelt?). Die Auswertung der Appellseite schließlich geschieht unter der Fragestellung ‚Wo will er mich hinhaben?‘ bzw. in Hinblick auf die Informationsnutzung (‚Was soll ich am besten tun, nachdem ich das nun weiß?‘)“83. Beispielsweise 81 Vgl. Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander Reden, S. 14. Quelle: Eigene Darstellung nach Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander Reden. 83 ebd., S. 44. 82 22 Teil 1: Theoretische Grundlagen hören auf dem „Beziehungsohr“ insbesondere unsichere bzw. auf dem „Appellohr“ besonders hilfsbereite Menschen. Jede der vier Seiten hat eine besondere Bedeutung für die Gestaltung von partizipativen Beteiligungsangeboten, wenn Verwaltungsangestellte und Politiker mit Bürgern oder Bürger untereinander ins Gespräch kommen. Beispielsweise muss das „Hoheitsgefälle“84 zwischen Verwaltung und ihrer Umwelt berücksichtigt werden, wenn Nachrichten formuliert oder Moderationsstrategien entworfen werden. Encoding-Decoding-Modell An dieser Stelle wird der Blick auf die Massenkommunikation gerichtet: 1980 entwickelte Stuart Hall mit seinem Encoding-Decoding-Modell einen der zentralen Ansätze zur Analyse der Medienrezeption. Wie Schulz von Thun hat Hall das Modell in Auseinandersetzung mit anderen medienwissenschaftlichen Ansätzen entwickelt. Halls Theorie öffnete den Weg zu einer neuen Medienwirkungsforschung, die den Rezipienten in einer aktiven Rolle sieht. Er stellt fest, dass Medienbotschaften nicht zwingend die gleiche Bedeutung für Sender und Empfänger haben. Verständigung ist nur dann möglich, wenn die Produzenten und Rezipienten medialer Inhalte kulturelle Codes miteinander teilen.85 Diese Konventionen ermöglichen dem Rezipienten zu interpretieren, wie die Botschaft des Produzenten gemeint war. Das heißt, der Prozess der Medienkommunikation besteht aus zwei Seiten: Produktion und Rezeption. Eine Botschaft wird nicht nur bei der Encodierung, durch die eigentliche Darstellung der Inhalte, sondern auch durch den Prozess der Decodierung erzeugt.86 Zwar legen Medientexte durch den kulturellen Kontext den Empfängern eine Lesart nahe, dennoch können unterschiedliche Interpretationen vorliegen, wenn andere Codes bei der Decodierung verwendet werden. Dabei wird die Vorzugslesart (Rezipient akzeptiert die Wertungen der Botschaft) unterschieden von der ausgehandelten Lesart (Rezipient gleicht die Botschaft mit seinem Erfahrungswissen ab) und der oppositionellen Lesart (Rezipient widersetzt sich der Botschaft).87 84 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 103. Vgl. Kubicek, Herbert u.a.: Bürgerinformation durch "neue" Medien?, S. 27. 86 Vgl. Hall, Stuart: Encoding/Decoding, S. 128ff. 87 Vgl. ebd., S. 135. 85 23 Kapitel 3: Grundlagen der Kommunikation Abb. 4: Encoding-Decoding-Modell88 Dies verdeutlicht grundsätzlich die Problematik, dass Beteiligungsangebote vor dem Hintergrund allgemeiner Politikwahrnehmung in der Öffentlichkeit stattfinden. Das heißt, Darstellung und Formulierung von Informationen sollten Transparenz, Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit des Angebots transportieren89, ohne Widerstand hervorzurufen oder belanglos zu erscheinen.90 Gerade im Bereich der Decodierung hat der Wertewandel in der Gesellschaft eine große Bedeutung – es wird schwieriger Botschaften einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. In beiden Kommunikationsmodellen wird offensichtlich, dass Medien der Kommunikation Grenzen der Vermittlung setzen.91 Das heißt die Wahl des Mediums muss der Art der Mitteilung und dem Adressaten angepasst sein. Im Folgenden werden deshalb die unterschiedlichen Arten der Kommunikation in der Bürgerbeteiligung in Bezug zu den Methoden und den Medien gesetzt. 88 Quelle: Eigene Darstellung nach Hall, Stuart: Encoding/Decoding, S.130. Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 44ff. 90 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 91 Vgl. Kubicek, Herbert u.a.: Bürgerinformation durch "neue" Medien?, S. 28ff. 89 24 Teil 1: Theoretische Grundlagen 4. Medienübergreifende Bürgerbeteiligung Ziel dieses Kapitels ist es den theoretischen Kern medienübergreifender Bürgerbeteiligung darzustellen. Dafür werden die verschiedenen Kommunikationsaktivitäten der Bürgerbeteiligung zusammengefasst und zu den Beteiligungsmethoden und den verfügbaren Kommunikationsmedien in Bezug gesetzt. An Hand dieses Modells kann dann im Weiteren die Verknüpfung unterschiedlicher Methoden und Medien genauer betrachtet werden. 4.1 Kommunikationsbeziehungen Auch wenn das Spektrum der Kommunikationsbeziehungen in der Stadtplanung groß ist, lassen sie sich an Hand der Akteurskonstellation als zentralem Unterscheidungsmerkmal zu wenigen Kategorien zusammenfassen.92 Dafür finden sich in der Literatur verschiedene Systeme. Ein viel zitiertes Modell ist die „Ladder of Participation“ von Arnstein93, das Machtaspekte integriert. Ein weiteres Modell stammt von Selle94, das sich als Schichtenmodell an den historischen Phasen von Bürgerbeteiligung orientiert. Beide Modelle sind auf Grund ihrer Nebenaspekte auf die Kommunikationsmedien kaum übertragbar. Deshalb wird auf das Modell der OECD zurückgegriffen, mit seinen drei Stufen: Information, Konsultation und Partizipation.95 Abb. 5: Stufen der Bürgerbeteiligung96 92 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 36. Vgl. Arnstein, Sherry R.: A ladder of citizen participation. 94 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 36 ff. 95 Vgl. OECD: Citizens as Partners, S. 23. 96 Quelle: Eigene Darstellung nach OECD: Citizens as Partners, S. 23. 93 25 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung Information Information lässt sich als Ein-Weg-Kommunikation beschreiben, die von der Öffentlichen Hand in Richtung der Bürger geht. Die Stufe der Information umfasst zwei Aspekte.97 Zum einen zielt die Mobilisierung darauf, die Aufmerksamkeit interessierter oder betroffener Bürger für die Beteiligungsangebote zu wecken oder durch Einladungsverfahren eine spezielle Teilnehmerstruktur zu erzielen. Zum anderen stellt die Verwaltung der Öffentlichkeit Informationen zum Stand der Planung und deren Rahmenbedingungen zur Verfügung. Dazu zählt sowohl der passive Zugang zu Informationen auf Nachfrage von Bürgern als auch die aktive Aufbereitung von Information durch die Verwaltung.98 Diese Angebote stellen die Grundlage für die weiteren Stufen dar, um gleiche Teilnahmevoraussetzungen für alle Prozessbeteiligten zu gewährleisten. Konsultation Auf dieser Stufe der Beteiligung suchen die Entscheidungsträger Rückmeldung von der Bevölkerung. Die Anliegen der Betroffenen sollen eingeholt und im Planungsprozess berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich um eine Zwei-WegeKommunikation zwischen Verwaltung und Bürgern: Die Öffentlichkeit bringt ihre Anliegen im Rahmen des vorgegebenen Themas ein, diese werden von der Verwaltung zusammengefasst und beispielsweise als Abwägungsmasse in den Entscheidungsprozess integriert – die Ergebnisse werden in Betracht gezogen. Partizipation Diese Stufe der Bürgerbeteiligung eröffnet der breiten Öffentlichkeit die Teilnahme am Entscheidungsfindungsprozess. Durch deliberative Kommunikation (Mehr-WegKommunikation zwischen Bürgern untereinander und mit der Verwaltung) können die verschiedenen Interessen und Handlungsalternativen genauer herausgearbeitet und kann die Öffentlichkeit direkt an der Konsensfindung beteiligt werden. Die erarbeiteten Ergebnisse fließen in die Politikformulierung ein und erhöhen die Planungssicherheit und Legitimität. Die letztendliche Entscheidung bleibt aber dem politischadministrativen System überlassen.99 Vor dem Hintergrund der weiteren Untersuchung ist die Notwendigkeit der Verknüp97 Diese wichtige und selten klar getroffene Differenzierung geschieht in Anlehnung an: Local e-democracy National Project: Deeper and wider community engagement, S. 22. 98 Vgl. OECD: Citizens as Partners, S. 23. 99 Vgl. ebd., S. 23. 26 Teil 1: Theoretische Grundlagen fung einzelner Ebenen zu betonen: Konsultation und Partizipation können ohne eine Mobilisierung der Öffentlichkeit und eine transparente Informationsbereitstellung nicht funktionieren. Die Stufe Kooperation ist im Modell der OECD nicht vorhanden und soll hier außer Acht gelassen werden. Das gemeinsame Handeln und Entscheiden von staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vereinigungen im intermediären Bereich ist zwar sinnvollerweise die höchste Stufe der Bürgerbeteiligung in anderen Modellen, die das Thema Bürgerbeteiligung genereller betrachten, ist aber nicht Teil des Untersuchungsrahmens. Diese drei Stufen der Bürgerbeteiligung stellen das Grundgerüst dar, in das im nächsten Kapitel die Kommunikationsmedien und im darauf folgenden Kapitel die Beteiligungsmethoden eingeordnet werden. 4.2 Kommunikationsmedien Die Untersuchung medienübergreifender Kommunikation muss auf einer sinnvollen und für die Zwecke dieser Arbeit anwendbaren Definition von Medien gründen.100 In Anlehnung an Schulz werden unter Medien „kulturelle Produkte, die der sozialen Kommunikation dienen“101, verstanden. Dabei wird eine weitere Differenzierung vorgenommen, die für den Verlauf der Arbeit wichtig ist: Getrennt werden die Kommunikationstechnologie und die darauf basierende Kommunikation mittels Medien. Als Kommunikationstechnologie werden beispielsweise Computer und das Internet verstanden, die als technische Grundlage von Kommunikation dienen. Auf dieser kann der Austausch von Informationen mittels Medien stattfinden. Als Medien, Kommunikationsmedien oder Kommunikationskanäle102 werden in dieser Arbeit synonym die Formen der Kommunikation bezeichnet, also E-Mail, Flyer, Textnachrichten (SMS) oder Ähnliches. Diese Unterscheidung ist wichtig in Hinblick auf Multifunktionsgeräte wie Computer oder Mobiltelefone103, welche die Nutzung unterschiedlicher Kommunikationsmedien ermöglichen und deshalb nicht in die Analyse integriert werden 100 Dies stellt ein grundsätzliches Problem dar, weil in der Literatur der Begriff Medien sehr unterschiedlich verwendet wird und geprägt ist von spezifischen Aspekten der jeweiligen Fachdisziplinen. Allein im Feld der Kommunikationswissenschaft wird der Begriff der Medien mehrdeutig verwendet. Dazu kommen die technische Betrachtung des Begriffs im Bereich der Informatik und weiter die kognitive, semiotische, linguistische, soziologische Betrachtung – alles Teilaspekte dieser Arbeit, die aber nur am Rande betrachtet werden können. 101 Schulz, Winfried: Medialisierung, S. 2. 102 Der Begriff Kanal wird in der Literatur auch häufig in seiner technischen Bedeutung verwendet, soll aber hier gleichbedeutend mit dem Begriff Medium benutzt werden. 103 Vgl. Schulz, Iren: Report Medienkonvergenz Monitoring, S. 4. 27 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung können.104 Die Kommunikationsmedien lassen sich weiter aufgliedern. In Hinblick auf die verschiedenen Stufen der Bürgerbeteiligung werden Kommunikationsmedien in Anlehnung an Everett Rogers105 als Massenmedien, interpersonelle Medien und interaktive Medien klassifiziert.106 Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist die Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmern. Es zeigt sich, dass die Kommunikationsbeziehungen der drei Medientypen denen der Bürgerbeteiligungsstufen entsprechen: Massenmedien unterstützen One-to-many-Kommunikation. Deshalb eignen sie sich grundsätzlich nur für die Beteiligungsstufe der Information. Botschaften, die über Massenmedien gesendet werden, erreichen zwar viele Empfänger, ihnen fehlt jedoch ein Rückkanal.107 Interpersonelle Medien unterstützen One-to-one-Kommunikation. Sie entsprechen damit der Stufe der Konsultation. Ebenfalls können interpersonelle Medien, wie beispielsweise Mund-zu-Mund-Propaganda Aufgaben der Mobilisierung übernehmen108 – die Zuordnung ist an dieser Stelle nicht exklusiv. Schließlich unterstützen interaktive109 Medien Many-to-many-Kommunikation. Entsprechend der Beteiligungsstufe Partizipation ermöglichen interaktive Medien wechselseitige Beziehung zwischen zwei oder mehreren Gesprächsteilnehmern. Massenmedien interpersonelle Medien interaktive Medien one-to-many one-to-one many-to-many passives Publikum aktives Publikum Kontrolle des Kommunikationsflus- Kontrolle des Nachrichtenflusses durch alle Teilnehmer am Kommunikati- ses durch Produzenten der Nach- onsprozess richt Information Konsultation Partizipation Übersicht 1: Zusammenhang zwischen Kommunikationsbeziehungen und Medien Aufgeschlüsselt nach diesen Kategorien werden die für die weitere Untersuchung relevanten Kommunikationsmedien vorgestellt.110 104 Dass vernetzte Computer heute genutzt werden können, um zu telefonieren oder Videos anzusehen, verdeutlicht die Notwendigkeit zwischen Technologie und Medien zu unterscheiden. 105 Vgl. Rogers, Everett: Communication Technology, S. 3ff. 106 Dies stellt die im Bereich der ePartizipation übliche Unterscheidung dar, vgl. beispielsweise Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, oder Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung. 107 Vgl. Rogers, Everett: Communication Technology, S. 4. 108 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 109 Interaktiv bedeutet in diesem Zusammenhang „wechselseitig“ und „aufeinander bezogen“. Vgl. Duden – Das große Fremdwörterbuch: Interaktion. 110 Der ursprüngliche Gedanke war an dieser Stelle eine große Matrix zu erstellen, die diese Merkmale für jedes einzelne Medium darstellt. Auf Grund der Fülle von Medien und Auswahlkriterien ist dies allerdings in diesem 28 Teil 1: Theoretische Grundlagen 4.2.1 Medien der Information – Massenmedien Folgende Massenmedien sind für die Bürgerbeteiligung von Bedeutung: Fernsehen Das Fernsehen ist zuvorderst ein Unterhaltungskanal, zu dem 98% der deutschen Haushalte Zugang besitzen und ihn durchschnittlich 220 Minuten am Tag nutzen.111 Grundsätzlich ermöglicht es eine breit gestreute Zielgruppenansprache. Über Spartensender können bis zu einem gewissen Grad gezielt regionale Zielgruppen angesprochen werden. Das Medium ermöglicht die bildhafte Darstellung der Information, ist jedoch limitiert im Informationsumfang.112 Die Produktion von Inhalten ist im Vergleich zu anderen Kanälen aufwendig; ihre Verbreitung wird durch Journalisten gefiltert. Fernsehberichterstattung kann Beteiligungsprojekten eine besondere Aufmerksamkeit verleihen, spielt aber auf Grund seiner hohen Anforderungen selten eine Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit.113 Radio Die technische Reichweite des Radios entspricht der des Fernsehens. 97% der deutschen Gesamtbevölkerung nutzen das Radio mit einer durchschnittlichen Dauer von 221 Minuten am Tag.114 Durch die Vielzahl lokaler Radiosender können Informationen zielgruppenspezifischer verbreitet werden. In der Produktion ist das Radio günstiger und schneller. Ebenso wie das Fernsehen ist das Radio eher ein zusätzliches Element für die Öffentlichkeitsarbeit.115 Tageszeitungen, Zeitschriften 51% der Deutschen lesen täglich eine Tageszeitung. Zwar ist die Nutzungsdauer von Zeitungen und Zeitschriften mit 40 Minuten am Tag geringer als bei Fernsehen und Radio.116 Weil der Konsument aber beim Lesen selbst aktiv werden muss, können mehr Informationen innerhalb einer kürzeren Zeit übermittelt werden. Durch die grö- Rahmen nicht zu leisten. Lediglich die Grundlagen sollen dargestellt werden, um den Einsatz unterschiedlicher Medien in den Fallbeispielen analysieren zu können. 111 Vgl. Eimeren, Birgit van; Ridder, Christia-Maria: Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2005, S. 492 und 496. 112 Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 47. 113 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 114 Vgl. Eimeren, Birgit van; Ridder, Christia-Maria: Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2005, S. 492 und 496. 115 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 116 Vgl. Eimeren, Birgit van; Ridder, Christia-Maria: Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2005, S. 495ff. 29 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung ßere Glaubwürdigkeit der Printmedien hat dieser Kanal einen stärkeren Einfluss auf die Meinungsbildung der Leser.117 Zielgruppenbezug und lokale Ausrichtung führen darüber hinaus zu geringeren Streuverlusten. Jüngere Zielgruppen werden von Zeitungen jedoch weniger gut erreicht.118 Alle drei klassischen Massenmedien haben den Nachteil, dass die Informationsverbreitung von Journalisten, als so genannten Gatekeepern, gefiltert wird.119 Das heißt, Beteiligungsthema und -verfahren müssen medienwirksam sein, um über diese Kanäle transportiert werden zu können. Um eine begleitende Presseberichterstattung schon vor Projektbeginn zu sichern, können Medienpartnerschaften eingegangen werden.120 Flyer, Infobroschüren, Plakate Mit einfachen Printerzeugnissen wie Postern, Flyern oder ähnlichen Medien können auf günstige Weise sehr unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden.121 Aufwändigere Aktionen wie Infoscreens in U-Bahnen oder Poster an Litfasssäulen bedürfen eines größeren Budgets und entsprechenden Vorlaufs.122 Websites, Mobiltelefonportale In seiner Basisfunktion stellt das Internet123 die Möglichkeit bereit Inhalte zu publizieren. Um Informationen aufzufinden und zu konsumieren, müssen Rezipienten eine vergleichsweise aktivere Position einnehmen als bei anderen Massenmedien. Die Zielgruppe muss zu den Angeboten geleitet124 und durch unterstützende Kommunikation zur Wiederkehr animiert werden.125 Hervorzuheben sind die Zeit- und Ortsunabhängigkeit der Angebote sowie die Möglichkeit der Verlinkung von Information, was dem Internet eine besondere Rolle als vertiefendem Kanal gibt, bei dem jeder 117 Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 47. Vgl. ARD: Mediennutzung und Freizeitbeschäftigung 2005. 119 Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 44. 120 Vgl. Lührs, Rolf u.a.: Online Diskurse als Instrument politischer Partizipation, S. 8. 121 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 122 Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 48. 123 Insgesamt nutzen 60% der Bevölkerung das Internet mindestens gelegentlich (vgl. Eimeren, Birgit van; Frees, Beate: ARD/ZDF-Online-Studie 2006, S. 404). Die tägliche Nutzung liegt dabei allerdings mit 28% immer noch weit hinter anderen Massenmedien (vgl. Eimeren, Birgit van; Ridder, Christia-Maria: Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien 1970 bis 2005, S. 495f.). Dabei stellt der technische Kanal Internet über seine Dienste und Protokolle unterschiedliche Kommunikationskanäle bereit, von einfacher Informationsbereitstellung bis zum interaktiven Dialog. Diese werden jeweils einzeln in den unterschiedlichen Medienkategorien betrachtet. 124 Es ist zwischen Push- und Pull-Medien zu unterscheiden, also ob der Rezipient selbst ausgewählte Informationen aktiv anfragt, z.B. per Mausklick (pull), oder ob das Medium die Vermittlung der Inhalte steuert, wie etwa eine Fernsehsendung, die ihm die Inhalte aufbereitet und aufgereiht präsentiert (push). 125 Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 48. 118 30 Teil 1: Theoretische Grundlagen Nutzer die Ausführlichkeit und Geschwindigkeit der Informationsaufnahme selbst bestimmen kann.126 In der Zwischenzeit lassen sich solche Informationen auch auf Mobiltelefonen127 mit Internetzugang (UMTS) abrufen. Die kleinen Displays, höhere Kosten für die Datenübertragung und schlechtere Dateneingabemöglichkeiten stellen aber auch zukünftig Barrieren für den Benutzer dar.128 4.2.2 Medien der Konsultation – Interpersonelle Medien Der Kategorie der interpersonellen Medien lassen sich folgende Kommunikationskanäle zuordnen129: Persönliches Gespräch Die direkte Kommunikation ist entsprechend der für diese Arbeit getroffenen Definition ebenfalls ein Medium. Der Face-to-Face-Dialog, bei dem sich die beiden Gesprächspartner gegenübersitzen, hat den Vorteil, dass auch indirekte Signale des Gegenübers, wie Mimik und Gestik, der Verständigung dienen. Dadurch kann eine Vertrauensbasis entstehen, die über computervermittelte Kommunikation schwer zu erzeugen ist.130 In der Bürgerbeteiligung finden persönliche Gespräche in unterschiedlichen Formen statt, von informellen Gesprächen bis zu Rückmeldungen auf Bürgerversammlungen. Eine Erweiterung findet das persönliche Gespräch in den Methoden der Präsenzveranstaltungen. In moderierten Diskussionsrunden direkt auf die Gesprächspartner eingehen zu können sowie darüber hinausgehende informelle Vernetzungsmöglichkeiten sind besondere Qualitäten von Präsenzveranstaltungen. Als Nachteile sind die geringer werdende Redezeit mit zunehmender Gruppengröße zu nennen sowie andere typische Merkmale wie dominante Vielredner, Abschweifungen vom Thema, geringe Tiefe auf Grund von Zeitknappheit.131 Unter Anwendung der entsprechenden Methoden stellen Präsenzveranstaltungen in gewisser Weise 126 Vgl. Schröter, Frank: Anforderungen und Qualitätskriterien für online-gestützte Beteiligungsangebote, S. 36f. Exkurs Mobiltelefon: Insgesamt 75 Millionen Deutsche besitzen heute ein Mobiltelefon, was einer Reichweite von mehr als 90% der Gesamtbevölkerung entspricht. Damit übersteigt die Zahl der Mobiltelefone in der Zwischenzeit die angemeldeten Festnetzanschlüsse (vgl. Conceptbakery: Mobile – Zahlen, Daten, Fakten). Als Kommunikationsmedien haben sich neben der Telefonie in der Zwischenzeit die Nachrichtendienste SMS und MMS etabliert sowie verstärkt Multimediaanwendungen. Während Ältere verstärkt als Zielgruppen für die Mobiltelefonie erkannt werden, sind es die Jugendlichen, die verstärkt Zusatzfunktionen im Bereich Multimedia und mobile Internetnutzung nachfragen (vgl. Büllingen, Franz; Stamm, Peter: Mobilmedia – Mobile MultimediaDienste, S. XI ff.). 128 Vgl. Baumberger, Petra; Brücher, Heide: Using Mobile Technology to Support eDemocracy. 129 Alle diese Kanäle können nicht nur auf der Ebene der Konsultation Anwendung finden, sondern im Sinne der Mund-zu-Mund-Propaganda oder im Schneeball-Verfahren auch zur Mobilisierung eingesetzt werden. Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 49. 130 Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 75. 131 Vgl. ebd., S. 89. 127 31 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung interaktive Medien dar. Telefon, Mobiltelefon Das Kommunikationsmedium Telefonie wird von 98% der Bevölkerung genutzt.132 Vor allem ältere Bevölkerungsschichten bevorzugen diesen Kanal auf Grund seiner intuitiven Bedienung. Auf Grund des hohen Personalaufwands findet das Telefon meist nur Anwendung als Rückkanal bei Nachfragen (Bürgertelefon) und für Hilfestellung oder bei Telefonumfragen. Textnachrichten (SMS, MMS) Diese Services ermöglichen Besitzern von Mobiltelefonen kurze Textnachrichten auszutauschen. Durch die weite Verbreitung von Mobiltelefonen und PDAs sowie die einfache Bedienung hat die Nutzung von SMS in den letzten Jahren stark zugenommen.133 Die Nachrichten sind in ihrer Länge stark beschränkt, aber schnell auszutauschen. Im Hinblick auf Beteiligungsverfahren eignen sich Textnachrichten zur Benachrichtigung, Übermittlung von einfachen Umfragen oder Statements oder zunehmend als Rückkanal für Massenmedien.134 E-Mail Das Kommunikationsmedium E-Mail hat auf Grund seiner einfachen Handhabung eine weite Verbreitung unter Internetnutzern. Sie ermöglicht den direkten persönlichen Austausch ähnlich wie bei einem Brief. Als Bestandteil des Internets eignet sich das Medium besonders um auf weiterführende Informationen und Angebote im Internet zu verweisen. Durch seine Vielfältigkeit kann das Medium E-Mail allen drei Kategorien zugeordnet werden. In Form von Mailing-Listen und Newsgroups ermöglicht sie als interaktives Medium die Kommunikation innerhalb einer Gruppe.135 In Form von Rundmails eignet sie sich als Medium zur Zielgruppenansprache. Formulare, Umfragen Formulare sind eine der Standardanwendungen zur Dateneingabe und -übermittlung 132 Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland: Ausstattung privater Haushalte mit Informations- und Kommunikationstechnik. 133 Vgl. Büllingen, Franz; Stamm, Peter: Mobilmedia – Mobile Multimedia-Dienste, S. XII. 134 Vgl. Local eDemocracy National Project: SMS in Lewisham, S. 6ff. 135 Vgl. Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, S. 25. 32 Teil 1: Theoretische Grundlagen im Internet.136 Sie stellen eine Grundlage für viele Internet-Technologien dar, sind aber auch in Form von Meinungsumfragen ein verbreitetes Werkzeug in der Bürgerbeteiligung. 4.2.3 Medien der Partizipation – Interaktive Medien Der Kategorie der interaktiven Medien lassen sich folgende Kommunikationskanäle zuordnen137: Online-Foren, Bulletin Boards, Dialogsoftware Diskussionsplattformen im Internet sind dynamische Anwendungen, die ungleichzeitige, textbasierte Dialoge ermöglichen, das heißt, die Diskussionsteilnehmer können ihre Arbeitszeit selbst auswählen und themenspezifische Präferenzen setzen. Um Argumentationsketten abzubilden, werden Diskussionsbeiträge und darauf bezogene Kommentare entweder starr als Baumstruktur (threaded)138 oder über spezifische Ansichten und Rankings dargestellt. Technisch gesehen reicht die Bandbreite der Online-Foren von einfachen Datenbankanwendungen bis hin zu komplexer Dialogsoftware.139 Chat In Chats tauschen zwei oder mehrere Teilnehmer Nachrichten über das Internet aus. Im Vergleich zu Foren handelt sich hierbei um synchrone, textbasierte Kommunikation. Chats haben sich als nützliches Werkzeug, vor allem zur Ergänzung von ungleichzeitigen Diskussionen erwiesen.140 So gehören Live-Chats mit Politikern heute zum gängigen Repertoire von Online-Diskursen141, in denen Moderatoren die sonst teilweise chaotischen Zustände in Chatrooms in ruhige Bahnen leiten. Wiki Das Medium Wiki ermöglicht gemeinschaftliches Schreiben.142 Per Knopfdruck können Inhalte verändert werden; neue Inhalte lassen sich ohne großen Aufwand hinzu- 136 Vgl. Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, S. 25. Alle diese Kanäle können nicht nur auf der Ebene der Konsultation Anwendung finden, sondern im Sinne der Mund-zu-Mund-Propaganda oder im Schneeball-Verfahren auch zur Mobilisierung eingesetzt werden. (Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 49). 138 Vgl. Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, S. 25f. 139 Siehe beispielsweise Lührs, Rolf u.a.: Online Diskurse als Instrument politischer Partizipation, S. 6. 140 Vgl. Coleman, Stephen; Gøtze, John: Bowling Together, S. 25. 141 Vgl. pol-di.net e.V./politik-digital.de: Facilitating active citizenship, S.10. 142 Das wahrscheinlich anschaulichste Beispiel hierfür ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die weltweit mehr als 100.000 Autoren hat. Vgl. http://www.wikipedia.org. 137 33 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung fügen. Das macht sie besonders interessant für das gemeinschaftliche Erarbeiten von Inhalten. Durch eine Versionskontrolle ist es möglich, Änderungen rückgängig zu machen und alte Arbeitsstände wiederherzustellen. So wird Teamarbeit unterstützt und Hierarchien werden durch gegenseitige Kontrolle ersetzt.143 In der Bürgerbeteiligung wurde dies bislang nur vereinzelt als Instrument der Kooperation verwendet oder beispielsweise in Online-Dialogen, in denen Bürger über Wikis mithelfen die Gesamtdiskussion in ein gemeinsam erarbeitetes Schlussdokument überzuleiten.144 Nachdem in diesem Kapitel die Eigenschaften ausgewählter Kommunikationsmedien in Bezug auf mögliche Einsatzgebiete in der Bürgerbeteiligung vorgestellt wurden, werden im nächsten Kapitel ihre konkrete Anwendung innerhalb der Beteiligungsmethoden aufgezeigt. 4.3 Beteiligungsmethoden In der Bürgerbeteiligung hat sich über die Jahre ein breiter Kanon an Beteiligungsmethoden entwickelt. Jedes Format hat eigene Stärken und ist für bestimmte Kommunikationsprozesse besonders geeignet. Dabei haben sich über die letzten Jahre verstärkt Methoden entwickelt, die die Potenziale der IuK nutzen. Im Folgenden werden die Beteiligungsmethoden an Hand der ihnen zugrunde liegenden Kommunikationsbeziehungen den unterschiedlichen Beteiligungsstufen zugeordnet. Auf Grund der großen Menge an Methoden, die sich seit den 1990er Jahren noch einmal stark erweitert haben145, kann hier nur eine Auswahl dargestellt werden, die bewusst in Hinblick auf die Fallstudien getroffen wurde: 4.3.1 Methoden der Information Kommunikationsmaßnahmen, die sich für die Mobilisierung der breiten Öffentlichkeit anbieten, sind beispielsweise146: - Infomaterial an die privaten Haushalte per Post, Flyer oder E-Mail - Benachrichtigungen per Flyer, Poster, SMS oder Werbeplakate - Berichterstattung in den lokalen und regionalen Medien - Sprechstunden vor Ort, telefonisch oder per Chat 143 Vgl. Chavan, Abhijeet: Developing an Open Source Content Management Strategy for E-government, S. 8f. Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 145 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 100. 146 In Anlehnung an Herzberg, Carsten: Bürgerhaushalt in Großstädten, S. 11. 144 34 Teil 1: Theoretische Grundlagen Zielsetzung und Durchführung des Beteiligungsangebots müssen aus den Maßnahmen deutlich hervorgehen.147 Zur Information der Bürger werden Methoden eingesetzt, die mehr Inhalte vermitteln, als dies bei der ersten Ansprache möglich ist. Vertiefende Informationsangebote sind wichtig um die Qualität der Beteiligung zu fördern148 und sollten die Methoden der Konsultation und Partizipation gezielt ergänzen. Bürgerspaziergänge Um die Öffentlichkeit über die lokalen Gegebenheiten zu informieren, bietet es sich häufig an, an den Ort des Geschehens einzuladen. Stadtspaziergänge ermöglichen allen Beteiligten das Plangebiet zu erkunden. Die alltägliche Umgebung kann in einem unterschiedlichen Kontext wahrgenommen werden und Information können mit den Alltagserfahrungen der Anwohner und Teilnehmer verknüpft werden. Pläne können sichtbarer und erlebbarer vorgestellt, sofort mit der Realität verglichen und neue Ideen und Vorschläge unmittelbar zur Sprache gebracht werden.149 Aktionen vor Ort lockern das Programm und die Arbeitsatmosphäre von Bürgerbeteiligung auf, gerade wenn diese sich über mehrere Phasen erstreckt. Online-Informationsportal In der Stadtplanung bieten Internetauftritte besondere Vorteile bei der Darstellung von komplexen Informationen. Der zeit- und ortsunabhängige Zugang zu Informationen qualifiziert das Internet besonders für diese Aufgabe. Auf Grund der Wiederverwendung von Inhalten aus Printerzeugnissen überwiegen bislang bei der Informationsdarstellung noch textbasierte Elemente. Vermehrt findet die Informationsvermittlung zum besseren Verständnis über Multimedia statt. Dadurch können Plandarstellungen über animierte Grafiken, Videoclips oder aufwändige Visualisierungen vom Nutzer interaktiv betrachtet werden.150 Einschränkungen ergeben sich hier erneut durch unterschiedliche Nutzerausstattung in Bezug auf Übertragungsraten. In diesen Fällen ist eine Doppelstrategie notwendig: Nutzern müssen die Darstellungen in unterschiedlichen Qualitäten bereitgestellt werden, was einen Mehraufwand in der Erstellung bedeutet. Das Internet ist als Medium zur Informationsbereitstellung in der Planung heute gängige Praxis geworden, wenn auch noch 147 Below, Sally: Interview am 24.08.2006. Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 37ff. 149 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 150 Vgl. Sinning, Heidi: Zielgruppengerechte Ansprache beim Einsatz Neuer Medien, S. 23. 148 35 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung mit unterschiedlichen Qualitätsstandards.151 4.3.2 Methoden der Konsultation Bürgerumfragen Über Umfragen kann die öffentliche Meinung zu geplanten Vorhaben oder gegenüber politischen Entscheidungen eingeholt und im politischen Prozess berücksichtigt werden. Dabei wird aus der Grundgesamtheit eine Zufallsgruppe ausgewählt, die zu einer Reihe von Fragen Stellung nimmt. Umfragen können face-to-face, telefonisch, postalisch oder online durchgeführt werden. Erstere beide Optionen haben den Vorteil, dass über einen bestimmten Auswahlschlüssel eine Repräsentativität, das heißt die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Allgemeinheit, erreicht werden kann. Im Internet oder bei Antworten per Post besteht die Gefahr, dass die Selbstselektion der Teilnehmer das Ergebnis verzerrt, zum Beispiel, wenn die Umfrage auf einer Website geschaltet wird, die nur von einer bestimmten Zielgruppe frequentiert wird. 4.3.3 Methoden der Partizipation 21st Century Town Meeting Das Prinzip des 21st Century Town Meeting wurde ursprünglich in den USA von America Speaks entwickelt und ist in Präsenzveranstaltungen mit bis zu 5000 Teilnehmern angewandt worden. Das deliberative Konzept ermöglicht den Teilnehmern verschiedene Blickwinkel zu verstehen und gemeinsame Positionen zu entwickeln.152 Der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt auf Kleingruppendiskussionen. Deren Ergebnisse werden zentral gesammelt, zusammengefasst und abschließend im Plenum mittels elektronischer Wahlapparate (Keypads) priorisiert.153Die Methode wurde auch schon erfolgreich im Internet durchgeführt. Hunderte registrierte Nutzer haben als Kleingruppen in Foren diskutiert, deren Ergebnisse in einem mehrwöchigen Prozess iterativ zusammengefasst und in der Großgruppe priorisiert wurden. 154 In etwas einfacherer Form lässt sich das Konzept auch als interaktive Bürgerversammlung (eMeeting) durchführen. Durch die Möglichkeit, Feedback über die Keypads einzuholen, erhält die Versammlung einen lebendigen Charakter und lässt sich auf der Stufe der Konsultation einordnen. 151 Vgl. Sinning, Heidi: Zielgruppengerechte Ansprache beim Einsatz Neuer Medien, S. 25. Brigham, Steve; Lukensmeyer, Carolyn: Taking Democracy to Scale, S. 353ff. 153 Vgl. Hasselblad-Torres, Lars; Lukensmeyer, Carolyn J.: Public Deliberation, S. 25. 154 Vgl. ebd., S. 43f. 152 36 Teil 1: Theoretische Grundlagen Online-Dialog Als etabliertes Konzept von Online-Dialogen soll hier stellvertretend die Vorgehensweise des Berliner Büros Zebralog155 vorgestellt werden. Der Online-Dialog findet auf einer Informations- und Diskussionsplattform im Internet statt. Angemeldete Teilnehmer können ihre Meinungen und Ideen als Beiträge verfassen. Über Rankings, vertraute Autoren oder Kategorien kann der Diskurs übersichtlich strukturiert und den Teilnehmern der Einstieg in die Diskussion erleichtert werden.156 Andere registrierte Teilnehmer können zu jedem der Argumente Stellung nehmen. Die Moderation der Diskussion gewährleistet eine faire Gesprächskultur und eine interaktive und verzweigte Kommunikationsstruktur. Daraus resultieren eine stärkere Bezugnahme der Nutzer aufeinander und ein schnelleres Zurechtfinden mit den Funktionen des Forums. Im Verlauf der Diskussionsphasen findet so unter den Teilnehmern ein Verständigungs- und Qualifizierungsprozess statt.157Am Ende des zeitlich begrenzten Online-Dialogs wird mit den Teilnehmern ein gemeinsames Ergebnis formuliert, das an die Politik übergeben wird. Open Space Die Methode Open Space wurde in den 1980er Jahren von Harrison Owen „entdeckt“: Aus seiner Beobachtung, dass die meisten Ergebnisse in Konferenzen durch informelle Gespräche in der Kaffeepause entstehen, formte er das Grundkonzept.158 Open-Space-Veranstaltungen haben keine Tagesordnung – sie basieren auf der Selbstorganisation der Teilnehmer. Zu Beginn wird im Plenum aus der Problemstellung die Arbeits- und Zeitplanung entwickelt. Allen Beteiligten steht die Möglichkeit offen ihre Anliegen auf die Tagesordnung zu setzen. In der Gruppenphase verteilen sich die Teilnehmer entsprechend ihren Interessen auf die einzelnen Themengruppen und erarbeiten Lösungen. Die Methode vertraut darauf, dass die Teilnehmer Experten für ihre Themen sind und damit alles zur Problemlösung notwendige Wissen im Raum versammelt ist.159 Am Ende der Kleingruppenphase werden alle Ergebnisse zusammengefasst und die nächsten Arbeitsschritte beschlossen. Dieser offene Rahmen der Selbstorganisation führt zur Freisetzung von Kreativität und fördert unerwartete Problemlösungen. 155 http://www.zebralog.de/. Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 157 Vgl. ebd. 158 Vgl. Owen, Harrison: Raum für den Frieden, S. 51. 159 Vgl. Baumann, Frank u.a.: Neue Tendenzen bei Bürgerbeteiligungsprozessen, S. 41. 156 37 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung Die Vorstellung der unterschiedlichen Beteiligungsmethoden verdeutlicht zum einen ihre verschiedenen Einsatzgebiete in Abhängigkeit von der Kommunikationsaufgabe und zum anderen ihre unterschiedlichen Stärken. Die Wahl der richtigen Beteiligungsmethoden wird letztendlich an Hand einer Vielzahl von Kriterien getroffen, auf die in Kapitel 5 noch ausführlicher eingegangen wird. In Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit – „Haben Verknüpfungen von unterschiedlichen Beteiligungsmethoden und Kommunikationsmedien positive Auswirkungen auf Beteiligungsverfahren?“ – wurde im letzten Kapitel die enge Beziehung zwischen Beteiligungsmethoden und den verwendeten Kommunikationsmedien deutlich.160 Im folgenden Kapitel wird daran anschließend der Aspekt der Verknüpfung genauer betrachtet. 4.4 Medienübergreifende Kommunikation Medienübergreifend bedeutet, dass sich Kommunikation auf mehrere Medien ausdehnt.161 Das heißt, es findet während des Kommunikationsprozesses eine Verknüpfung von unterschiedlichen Medien statt. Um zu verstehen, wie medienübergreifende Kommunikation in der Bürgerbeteiligung aussehen kann, wird ein Seitenblick auf die Medien-, Marketing- und Werbebranche geworfen. In diesen Branchen werden medienübergreifende Konzepte bereits seit längerer Zeit diskutiert und sind heute gängige Praxis. Anhand dieses Exkurses sollen einige Aspekte von medienübergreifender Verknüpfung verdeutlicht werden. Exkurs: Medienübergreifende Kommunikation Multi-Channel Marketing beruht auf der alten Erkenntnis, dass unterschiedliche Käufersegmente über andere Wege erreicht werden. Unter dem Schlagwort Medienmix zielte dieses Prinzip ursprünglich darauf, die Marke so im Kopf des Käufers zu platzieren, dass er im Laden aus Reflex zum „richtigen“ Produkt greift.162 Der Wandel vom Konzept Medienmix zum heutigen Multi-Channel Marketing geht auf zwei unterschiedliche Entwicklungen zurück: Zum einen hat in der Marketingbranche ein Umdenken stattgefunden. Im Zentrum der konzeptionellen Überlegungen steht heute 160 Im Folgenden wird die Kombination aus Methode und Medium als Beteiligungskanal bezeichnet. Vgl. Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache: –übergreifend. 162 Vgl. Banta Corp.: Developing Effective Multi-Channel Marketing Strategies, S. 1. 161 38 Teil 1: Theoretische Grundlagen nicht mehr das Produkt, sondern der Kunde. Kundenbeziehungen können nur über erfolgreiche Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden initiiert und gepflegt werden. Auf der anderen Seite stehen heute mehr Kommunikationskanäle zur Verfügung als früher. Dazu kommt, dass mit dem Aufkommen des Internets in der Zwischenzeit Transaktionen über andere Kanäle durchgeführt werden können, als klassischerweise im Laden. Unterschiedliche Kommunikationskanäle Für jede Phase der Kundenkommunikation von Werbung bis zum Kauf stehen heute unterschiedliche Kanäle zur Verfügung.163 Multi-Channel-Strategien zielen auf „die Bereitstellung der richtigen Kanäle für die richtigen Kunden mit den richtigen Inhalten und die Vernetzung und Synchronisation dieser Kanäle, um die höchstmögliche Profitabilität der Kundenbeziehungen zu erreichen“164. Unternehmen können auf diese Weise unterschiedliche Vorteile erreichen, beispielsweise eine bessere Kundenbindung, Kostensenkungen oder neue Geschäftsprozesse. Vergleichbar zur Bürgerbeteiligung müssen die Kommunikationskanäle in Bezug auf die Zielgruppen und die Inhalte des jeweiligen Kanals ausgewählt werden. Verknüpfung unterschiedlicher Phasen Durch Synchronisation können Unternehmen erreichen, dass während des Kommunikationsprozesses die Kanäle gewechselt werden können. Das heißt, wird beispielsweise die Transaktion im Internet für den Kunden zu kompliziert, kann er einen Mitarbeiter anrufen, der seine bisherigen Vorgänge einsehen kann und ihm von diesem Punkt an weiterhilft. Dieses so genannte Cross-Channeling stellt einen weiteren Vorteil einer guten Multi-Channel-Strategie dar. Cross-Channeling beschreibt Kommunikationsprozesse, „in deren Verlauf der Kunde den Kanal bewusst oder vom Unternehmen gesteuert wechselt, und so die Kosten für das Unternehmen gering gehalten werden“165. So kann etwa die Informationstiefe des Internets genutzt werden, um Kunden von den Vorzügen des Produkts zu überzeugen und Kaufwillige können anschließend direkt an Beratungshotlines oder Filialen weitergeleitet werden. Je nach Erfahrung des Kunden, der Emotionalität und Komplexität des Anliegens, wird der Kunde von einem Kanal auf einen anderen wechseln.166 Dies entspricht der 163 Vgl. Banta Corp.: Developing Effective Multi-Channel Marketing Strategies, S. 2. Grimm, Sebastian; Röhricht, Jürgen: Die Multichannel Company, S. 112. 165 ebd., S. 176. 166 Vgl. ebd., S. 176. 164 39 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung medienübergreifenden Verknüpfung unterschiedlicher Stufen, bzw. Phasen der Bürgerbeteiligung. Verknüpfungen innerhalb einer Phase Auch im Bereich des Journalismus werden Inhalte nicht mehr nur über ein Medium zur Verfügung gestellt, sondern wie beispielsweise bei der Financial Times167 via Tageszeitung, Internet, Mobiltelefon, PDA und Radio.168 Noch stärker ausgeprägt sind diese Tendenzen in der Werbebranche. Bei Crossmedia-Werbekampagnen werden Medien mit breiter Streuung aber geringer Inhaltstiefe, wie das Fernsehen, genutzt, um möglichst viele Menschen anzusprechen und über entsprechende Verknüpfungen auf Medien verwiesen, die mehr Information transportieren können, wie beispielsweise das Websites. Dem Rezipient wird ein Reiz geboten, den Kommunikationskanal zu wechseln, um den Rest der Information zu erhalten und die Botschaft zu verstehen.169 Kommunikation findet auf diese Weise innerhalb einer Kommunikationsphase über mindestens zwei Kanäle statt, mit dem Vorteil, die Stärken unterschiedlicher Medien zu nutzen und den Rezipienten dabei aktiv in die nächsten Prozessschritte einzubinden. Medienübergreifende Verfahrenselemente Die konkreten Verknüpfungen von Methoden und Medien in medienübergreifenden Strategien werden im Folgenden als medienübergreifende Verfahrenselemente bezeichnet. Grimm und Röhricht170 listen einige Beispiele solcher Verfahrenselemente in Unternehmen auf: - E-Mail-Coupons können in den Filialen eingelöst werden. - Auch zu Produkten, die nur in den Filialen bereitstehen, können Informationen im Internet abgerufen werden. - Rückgabe von Artikeln aus beliebigen Kanälen in beliebigen Kanälen; - Kunden können Produkte im Internet kaufen und in der Filiale abholen. Dies sind nur einige Beispiele, die konkrete Prozesse medienübergreifender Strategien veranschaulichen. Die zentrale Erkenntnis dieses Exkurses ist, dass Unternehmen ebenso wie Bürger167 Sie wirbt deshalb mit dem Slogan: One Brand – All Media. Vgl. Borowski, Karin: One Brand – All Media, S. 235ff. 169 Vgl. Verband Deutscher Zeitschriftenverleger: Warum Crossmedia besser wirkt, S. 11. 170 Vgl. Grimm, Sebastian; Röhricht, Jürgen: Die Multichannel Company, S. 173. 168 40 Teil 1: Theoretische Grundlagen beteiligungsverfahren verschiedene Kommunikationsinhalte haben. In Unternehmen sind das beispielsweise Information, Service und Transaktion, die ähnlich den Stufen der Bürgerbeteiligung in Beziehung zueinander stehen, aber nicht zwangsläufig in einer bestimmten Reihenfolge stattfinden müssen. Von welchen Medien die jeweiligen Kommunikationsinhalte transportiert werden, hängt dabei von den Zielgruppen bzw. Kunden und dem Beteiligungsgegenstand bzw. Produkten ab. Eine Verknüpfung der Kanäle kann entweder zwischen unterschiedlichen Phasen der Kommunikation stattfinden oder innerhalb einer Phase. Dabei können unterschiedliche Ziele verfolgt werden, deren Wirkungsdimensionen für Bürgerbeteiligungsverfahren in Kapitel 5 weiter herausgearbeitet werden. 4.5 Zwischenfazit Aus den vorangegangenen Überlegungen wird in dieser Arbeit medienübergreifende Bürgerbeteiligung folgendermaßen definiert: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung beschreibt Beteiligungsverfahren, die über eine Auswahl von unterschiedlichen Methoden und Kommunikationsmedien durchgeführt werden. Diese werden vernetzt, um die Stärken der verschiedenen Informations- und Beteiligungskanäle zu nutzen. Zur Veranschaulichung medienübergreifender Bürgerbeteiligung wird an dieser Stelle ein idealisiertes Szenario entworfen. Bürgerbeteiligung bei der Erarbeitung eines regionalen Leitbilds In diesem stark vereinfachten Anwendungsbeispiel werden Bürger an der Erarbeitung eines regionalen Leitbilds beteiligt: Weil die Maßnahme von regionaler Bedeutung ist, stehen die Projektverantwortlichen vor der Herausforderung, Mitwirkungsangebote für eine weit verstreut lebende Öffentlichkeit zu gestalten. Um mit vertretbarem Aufwand die Ideen und Bedenken möglichst vieler Menschen in das Leitbild einfließen zu lassen, entscheiden sie sich für die Beteiligungsmethode 21st Century Town Meeting. Diese soll in einigen Großstädten der Region in zentralen Workshops und ergänzend im Internet durchgeführt werden für diejenigen, die keine Zeit haben, den Termin in ihrer Nähe wahrzunehmen, oder denen die Anreise aus dem Umland zu weit ist. 41 Kapitel 4: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung Abb. 6: Veranschaulichung der Medien- und Methodenwahl171 Diese idealtypische Darstellung veranschaulicht, wie durch die Anwendung einer Methode über zwei Kommunikationsmedien unterschiedliche Zielgruppen beteiligt werden können. Die Zusammenführung der Ergebnisse soll in diesem Fall eine einfache Form der Vernetzung darstellen. 171 Quelle: Eigene Darstellung. 42 Teil 1: Theoretische Grundlagen 5. Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren Als Abschluss des Theorieteils werden in diesem Kapitel die Maßstäbe erarbeitet, an denen positive Wirkungen medienübergreifender Kommunikation in der Bürgerbeteiligung gemessen werden können. Diese Qualitätskriterien stellen eine Auswahl dar, die in Hinblick auf die erwarteten Wirkungsdimensionen von medienübergreifender Bürgerbeteiligung getroffen wurde. Sie werden anschließend als Hypothesen ausformuliert und anhand der hier erarbeiteten Maßstäbe operationalisiert. 5.1 Zusammensetzung der Teilnehmer Jedes Beteiligungsprojekt steht vor der Frage, die richtigen Teilnehmer zur Lösung des Planungsproblems oder die Betroffenen von Maßnahmen zu integrieren. Wichtigstes Kriterium ist die Frage nach den zu beteiligenden Zielgruppen in Bezug zur Zielstellung des Projekts. Dazu müssen die Adressaten der Beteiligungsangebote genauer betrachtet werden, denn „die Bürgerinnen und Bürger oder die Betroffenen“172 gibt es nicht. Ungleichheiten auffangen Ungleich sind Bürger in unterschiedlicher Hinsicht. Es lassen sich zahlreiche Attribute, wie Alter, Geschlecht, Bildung, Wertvorstellungen und eine lange Liste weiterer aufzählen, die bei der Konzeption von Beteiligungsprojekten zu berücksichtigen sind, weil sie in unterschiedlicher Weise Einfluss auf die Zusammensetzung der Teilnehmer haben: Ein wesentlicher Faktor bei der Konzeption von Beteiligungsprozessen ist die Motivation einzelner Zielgruppen zur Teilnahme. Stark wirken sich in diesem Zusammenhang Betroffenheiten aus, beispielsweise wenn Eigentum von Planungen erfasst wird.173 Traditionelle Werte können ebenso zu aktiver Beteiligung führen, wie Neugierde oder der Reiz am Spielen, den offene Planungssituationen und Workshops ausüben können.174 Die Relevanz der Thematik steht stark im Zusammenhang mit den vorangegangenen Motivationen. Wenn Teilgruppen der Öffentlichkeit keinen Zusammenhang zwischen dem Beteiligungsgegenstand und ihrer persönlichen Lebenswelt sehen, werden sie die entsprechenden Mitwirkungsangebo- 172 Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 142. Vgl. Holtkamp, Lars: E-Democracy in deutschen Kommunen, S. 55. 174 Vgl. Dienel, Peter: Wie können die Bürger an Planungsprozessen beteiligt werden? S. 153. 173 43 Kapitel 5: Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren te nicht annehmen, wahrscheinlich noch nicht einmal wahrnehmen. Dies zeigt sich auch in Bezug auf die Lebenslage der potenziellen Teilnehmer. Gerade benachteiligte Bevölkerungsgruppen, wie allein erziehende Mütter oder Arbeitslose, haben weniger Zeit oder andere Sorgen, als sich an der Erörterung von Fragestellungen zu beteiligen, von denen sie nicht unmittelbar betroffen sind.175 In diesem Zusammenhang muss auch das verfügbare Zeitbudget der Zielgruppen Beachtung finden. Bürgerbeteiligungsangebote gehen von der verfügbaren Freizeit der zu Beteiligenden ab, was einerseits eine Konkurrenzsituation mit anderen Angeboten darstellt und andererseits als spärliche Ressource angesehen werden sollte, im Sinne einer zeiteffizienten Prozessgestaltung.176 Negative als auch positive Erfahrungen der Zielgruppen mit Bürgerbeteiligung wirken sich auf ihre Bereitschaft zur erneuten Teilnahme aus. Sind die Hoffnungen und Erwartungen potenzieller Teilnehmer schon einmal enttäuscht worden, wird ihnen ihre Zeit zu schade sein, um sich erneut auf ein entsprechendes Angebot einzulassen.177 Wenn sie dennoch teilnehmen, kann Misstrauen im Prozess zur Verhärtung von Problemlagen führen. Ungleichheit besteht auch im Hinblick auf die Artikulationsmöglichkeiten. Bildung und vor allem beruflicher Hintergrund spielen diesbezüglich eine große Rolle. Einwirkungsmöglichkeiten werden von Bevölkerungsgruppen stärker wahrgenommen, deren Kenntnisse oder Routine größer ist, mit entsprechenden Mitteln umzugehen. Dies gilt auch für die technischen Fertigkeiten im Umgang mit den Neuen Medien. Aus dieser Zusammenschau wird deutlich, dass standardisierte Informations- und Beteiligungsverfahren weder eine repräsentative Momentaufnahme der öffentlichen Meinung darstellen, noch alle Interessen und Betroffenheiten zu Tage fördern. Es ist zu erwarten, dass bei Beteiligungsangeboten mit offener Ansprache über herkömmliche Wege die Struktur der Teilnehmer sehr stark sozial selektiv ist. „Es beteiligen sich vornehmlich organisierte Interessen und sozialaktive Minderheiten. Dabei dominieren Hochausgebildete, Angehörige höherer beruflicher Positionen, Männer in mittleren Jahrgängen, der öffentliche Dienst. Schwach vertreten sind hingegen ausländische Mitbürger/innen, Jugendliche, Frauen, ältere Arbeitnehmer, Behinderte sowie untere Einkommensschichten“.178 Das heißt, pauschalen Angeboten, wie sie in 175 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 145. Vgl. ebd., S. 18. 177 Vgl. ebd., S. 18. 178 Vgl. Reinert, Adrian: Bedingungen von erfolgreicher Bürger(innen)beteiligung. 176 44 Teil 1: Theoretische Grundlagen der formellen Bürgerbeteiligung gängige Praxis sind, liegen ganz eigene Selektivitäten zu Grunde – ein einfaches, an alle gerichtetes Verfahren gibt es nicht. Selektivitäten entgegenwirken Es gibt zwei verschieden Möglichkeiten diesem Problem zu begegnen: Repräsentative Verfahren anzuwenden oder differenzierte Kommunikationsangebote zu schaffen. Sollen Ergebnisse jenseits der „üblichen Beteiligten“ erarbeitet werden, bieten sich Verfahren an, die eine Zufallsauswahl bilden oder interessenorientiert arbeiten. Die Planungszelle von Peter Dienel ist eine Methode aus den 70er Jahren, in denen Bürger, die per Losverfahren ausgewählt werden, unter Anleitung von Experten ein Bürgergutachten erstellen.179 Ein weiteres Beispiel ist das Stellvertreter-Modell von Sellnow. Hier werden vorhandene Interessenlagen identifiziert, beispielsweise die Anliegen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer, deren Positionen dann von Stellvertretern im Lösungsfindungsprozess übernommen werden.180 Beide Verfahren finden mit einer begrenzten Anzahl zufallsausgewählter Teilnehmer statt und basieren auf speziellen Verhaltensspielregeln, die auf die entsprechenden Verfahren zugeschnitten sind. Je nach Beteiligungsziel, kann es kontraproduktiv sein, eine begrenzte Anzahl von Beteiligten nach repräsentativen Gesichtspunkten auszuwählen. Netzwerkbildung, das Auflösen von verhärteten Situationen oder die Steigerung der Aufmerksamkeit gegenüber Verhaltensweisen sind beispielsweise Ziele, die eine große, breit gestreute Teilnehmerstruktur voraussetzen. In längerfristig angelegten Beteiligungsverfahren kann dies nur über eine Gesamtstrategie realisiert werden, die entsprechende zielgruppenorientierte Kommunikationselemente bereitstellt, wie beispielsweise begleitende Workshops oder Versammlungen.181 Wichtigstes Ziel ist dabei möglichst viele Zielgruppen zu erreichen, unter besonderer Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Motivationen. Zu erwähnen bleibt noch das Phänomen der „aktivierungsresistenten Betroffenen“182, zumeist sozial benachteiligter Menschen, die sich nicht für ihr Umfeld engagieren wollen oder können und damit auch unter noch so großem Aufwand nicht für Mitwir179 Vgl. Dienel, Peter: Wie können die Bürger an Planungsprozessen beteiligt werden? S. 155. Vgl. Apel, Heino u.a.: Wege zur Zukunftsfähigkeit, S. 38ff. 181 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum?, S. 150. 182 Vgl. Hinte, Wolfgang: Bewohner ermutigen, aktivieren, organisieren. 180 45 Kapitel 5: Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren kungsangebote gewonnen werden können. Multiplikatoren einbeziehen Multiplikatoren sind Akteure auf lokaler Ebene, die eine besondere Position in der Öffentlichkeit einnehmen. Dies bezieht sich vor allem auf den Einfluss, den sie auf ihre sozialen Netzwerke haben. Durch ihre besondere Fähigkeit Informationen oder Meinungen weiterzugeben, haben sie eine hervorgehobene Bedeutung für die Verbreitung von Wertvorstellungen, Meinungen oder Kenntnissen in bestimmten Teilöffentlichkeiten.183 Im erweiterten Sinne zählt deshalb auch die Presse zu den Multiplikatoren.184 Bei der Kommunikation mit schwer zu erreichenden Zielgruppen können Multiplikatoren eine zentrale Rolle einnehmen. Dabei ist zwischen formellen und informellen Vertretern bestimmter Gruppen zu unterscheiden: Formelle Vertreter, wie beispielsweise Vereinsvorstände, sind zwar wichtige Partner, jedoch verfügen informelle Netzwerke oftmals über wirkungsvollere Strukturen. Besondere Bedeutung muss deshalb der Identifikation und gezielten Ansprache von Schlüsselpersonen als Erfolgskriterium für die Zielgruppenansprache zugeschrieben werden. Denn bestehende Organisationen sind oft bereits gut im Prozess verankert, während über die Einbindung von Multiplikatoren aus anderen Netzwerken der Kreis üblicher Beteiligter durchmischt werden kann.185 5.2 Begleitende Öffentlichkeitsarbeit Oeckl definiert Öffentlichkeitsarbeit als „Arbeit in der Öffentlichkeit, Arbeit für die Öffentlichkeit, Arbeit mit der Öffentlichkeit“186. Somit ist Öffentlichkeitsarbeit als Teil der Kommunikationsstruktur ein elementarer Erfolgsfaktor von Bürgerbeteiligung187: Identifizierte Zielgruppen nehmen Beteiligungsangebote nicht wahr, wenn sie sich nicht angesprochen fühlen. Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur wichtig für die Mobilisierung der Teilnehmer, sondern hat weitere Aufgaben im Bereich der Information und im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung. Gute Öffentlichkeitsarbeit sorgt dafür, dass Politik und Öffentlichkeit das Verfahren aufmerksam verfolgen können, Teilnehmer sich langfristig beteiligen und die Ergebnisse nach Abschluss publik gemacht wer- 183 Vgl. Der Brockhaus: Multiplikatoren. Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 185 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum? S. 152f. 186 Oeckl, Albert: Handbuch der Public Relations, S. 43. 187 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 184 46 Teil 1: Theoretische Grundlagen den.188 Öffentlichkeitsarbeit, die Arbeit mit der Presse, mit Multiplikatoren als auch mit der Öffentlichkeit umfasst, ist kostengünstig. Andere Teile des Kommunikationsmixes sind kostenintensiver, wie die klassische Werbung, und werden deshalb seltener genutzt. Sie werden lediglich zur Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt189, so zum Beispiel kleine Plakat- und Flyeraktionen für Bürgerversammlungen vor Ort.190 Ein weiterer wichtiger Teil der Zielgruppenansprache ist die Pressearbeit. Bereits bei der Verfahrensgestaltung muss darauf geachtet werden, bestimmte medienwirksame Elemente, wie beispielsweise Ortsbegehungen, oder Auftakt- und Schlussveranstaltungen mit Politikern in den Ablauf einzuplanen. Denn Massenmedien berichten nur bei entsprechendem Neuigkeitswert und Bildhaftigkeit.191 Die auf diese Weise erzeugte Medienresonanz kann der Bürgermeinung eine stärkere Position im politischen Entscheidungsprozess zukommen lassen. 5.3 Erarbeitung von Ergebnissen Die Qualität der Ergebnisse von Beteiligungsverfahren hängt maßgeblich vom Arbeitsprozess ab, in dem sie entstanden sind. Verfahrensziele festlegen Die Vorstellung der Potenziale in Kapitel 2.2.3 verdeutlichte, welche Ziele auf einer übergeordneten Ebene von Bürgerbeteiligung verfolgt werden können. Im Verfahren selbst bleibt zu klären, mit welchem konkreten Ziel die Öffentlichkeit beteiligt werden soll. Die internen Ziele von Beteiligungsverfahren lassen sich nach Märker192 wie folgt zusammenfassen: - informieren: Teilnehmer sollen über Planungen informiert werden. - formieren: Teilnehmer erzeugen Ideen und Lösungsvorschläge - bewerten: Teilnehmer bewerten die erzeugten Lösungsvorschläge - entscheiden: Teilnehmer entscheiden über Annahme oder Ablehnung von Lösungsvorschlägen Die Ziele können einzeln oder kombiniert verfolgt werden. Es ist zu betonen, dass eine klare Zielstellung als Grundlage der Konzeption von Kommunikationsprozessen 188 Vgl. Langer, K.; Oppermann, B.: Verfahren und Methoden der Bürgerbeteiligung, S. 23. Deswegen wird der Bereich Werbung in dieser Arbeit nicht wie in der Kommunikationswissenschaft üblich von der Öffentlichkeitsarbeit getrennt betrachtet, sondern dieser angegliedert. 190 Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. 191 Vgl. Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 46. 192 Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 208. 189 47 Kapitel 5: Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren in Beteiligungsverfahren notwendig ist. Konsens erarbeiten Das Modell der deliberativen Demokratie stellt die argumentative Diskussion in den Mittelpunkt eines demokratischen Entscheidungsprozesses. Entscheidungen sollen Diskurse vorgelagert werden, die eine Vielfalt von Interessen, Argumenten und Perspektiven einbeziehen.193 Das Äußern und Austauschen von Argumenten im Sinne eines rationalen Diskurses wird dabei als Deliberation bezeichnet – mit dem Ziel einen kollektiven Willen zu erzeugen.194Im Vergleich zu einem traditionellen Beteiligungsverständnis unterscheiden sich deliberative Verfahren in ihrem Umgang mit Wissen: Während in konsultativen Verfahren, wie Meinungsumfragen, Wissen unreflektiert abgefragt bzw. ausgetauscht wird, findet im Diskurs eine Wissensverarbeitung statt. Die Teilnehmer diskutieren unterschiedliche Standpunkte sowie mögliche Kompromisse und erstellen abschließend Handlungsempfehlungen.195 Die Wahldemokratie wird dabei nicht abgelöst: Entscheidungen werden weiterhin im Sinne des repräsentativen Demokratiemodells über Mehrheiten getroffen, jedoch wird die Entscheidungsvorbereitung beratschlagend durchgeführt. 196 Wenn sichergestellt ist, dass die Ergebnisse in die Entscheidung einfließen, erhöht sich nicht nur deren Legitimation sondern auch die Zufriedenheit der Öffentlichkeit mit dem Prozess. Geeignete Diskussionsformen finden Um die Redezeit fair zu verteilen, ist ein Meinungsaustausch innerhalb einer Face-toface-Diskussion grundsätzlich nur mit einem Publikum von weniger als 30 Teilnehmern möglich. Wie in Kapitel 4.3 vorgestellt, wurden Beteiligungsmethoden entwickelt, die durch Teilgruppenbildung Diskussionen in Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmern ermöglichen.197 Je nach Art der Vorgehensweise können dabei homogene Kleingruppen gebildet werden, um zielgruppenspezifische Positionen zu erarbeiten. Oder es werden heterogene Kleingruppen gebildet, um verschiedene Blickwinkel in der Diskussion zusammenzubringen. 198 An Diskursen im Internet können mehrere hundert Teilnehmer ohne Kleingruppenbildung teilnehmen. 193 44. Vgl. Leggewie, Claus: Die Politik als ein Handlungs- und Wirkungsrahmen internetgestützter ITA-Diskurse, S. 194 Vgl. Hurrelmann, Achim u.a.: Wie ist argumentative Entscheidungsfindung möglich? S. 545ff. Vgl. Jones, Bryan: Reconceiving Decision-Making in Democratic Politics S. 21. 196 Vgl. Leggewie, Claus: Die Politik als ein Handlungs- und Wirkungsrahmen internetgestützter ITA-Diskurse, S. 44. 197 Vgl. Langer, K.; Oppermann, B.: Verfahren und Methoden der Bürgerbeteiligung, S. 19. 198 Vgl. ebd., S. 19. 195 48 Teil 1: Theoretische Grundlagen Unterstützende Moderation Für eine zielgerichtete Diskussion ist sowohl auf Präsenzveranstaltungen als auch online eine unterstützende Moderation des Diskurses notwendig.199 Auf der Mesoebene sollten von der Moderation der roten Faden der Beteiligung festgelegt werden: Alle Einzelschritte von der Anfangsinformation, über Präsenz- und Online-Phasen bis zur Auswertung müssen organisiert und abgestimmt werden. Darunter sind auf der Mikroebene die Moderationsmethoden angesiedelt.200 Dazu gehören einleitende und abschließende Statements, provokante Nachfragen, das Ordnen der Diskussionsstränge, das Zusammenfassen von Ergebnissen oder Visualisierungen.201 Teilergebnisse integrieren Je nachdem, wie in Kleingruppen oder in unterschiedlichen Phasen gearbeitet wurde, müssen die Zwischenergebnisse in entsprechenden Integrationsschritten zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammengeführt werden.202 Das kann eine Zusammenführung durch neutrale Moderatoren sein, das heißt, die Ergebnisse werden so ausgewogen wie möglich zusammengefasst und dabei Schwerpunkte und Positionen herausgearbeitet. Das wird umso schwieriger, je ausführlicher die Diskussion ist. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Ergebnisse vorzusortieren und eine Gewichtung durch die Teilnehmer vornehmen zu lassen, beispielsweise über ein Votum oder eine abschließende Umfrage. Schließlich können mehrere Phasen als Schleifen dienen, in denen die Kleingruppen oder deren ausgewählte Vertreter die Entwurfsversionen überarbeiten, bis sich auf eine endgültige Fassung geeinigt werden kann. Diese Schritte sind notwendig, um die Akzeptanz und Qualität des Ergebnisses sicherzustellen.203 5.4 Einbettung in den politischen Prozess Der Umgang mit den Ergebnissen muss bereits vor dem Start des Beteiligungsverfahrens geklärt sein. Zeitpunkt der Beteiligung abstimmen Ein Blick auf den Politikzyklus hilft, geeignete Zeiträume für Beteiligungsangebote im 199 Vgl. Local e-Democracy National Project: What works, S. 22. Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 225f. 201 Vgl. Bundesministerium des Innern: Online-Foren in der Bundesverwaltung, S. 15. 202 Vgl. Langer, K.; Oppermann, B.: Verfahren und Methoden der Bürgerbeteiligung, S. 22. 203 Vgl. ebd., S. 23. 200 49 Kapitel 5: Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren Entscheidungsprozess besser identifizieren zu können: Die Akzeptanz des Beteiligungsangebots auf Seiten der Bürger hängt stark mit ihren Einflussmöglichkeiten auf die politische Entscheidung ab. Diese verringern sich stark mit dem Fortschreiten des Prozesses. Abb. 7: Politikzyklus204 Die Offenheit bzw. der Spielraum für die Mitwirkung nimmt erwartungsgemäß von der ersten Problemwahrnehmung bis zur Implementierung ab. Das heißt, im Sinne der Öffentlichkeit bietet sich eine frühe Beteiligung an.205 Andererseits entsteht ein breites Interesse am Verfahren in der Bevölkerung erst, wenn Entscheidungen konkret werden, weil dann Probleme und Betroffenheiten erst wahrnehmbar werden.206 Daraus ergibt sich ein Zielkonflikt für die Planung von Beteiligungsangeboten: Es muss gelingen, den Kommunikationsprozess so zu gestalten, dass Interesse an einem Thema frühzeitig geweckt wird, bevor sich die Entscheidung verfestigt hat, oder es droht die Gefahr, bei einem zu späten Beteiligungszeitraum auf verhärtete Fronten zu treffen oder maßgebliche Einwände nicht beachtet zu haben. Dies lässt jedoch nicht den Rückschluss zu, dass es einen richtigen Zeitpunkt für Bürgerbeteiligung gibt. Verschiedene Beteiligungsmethoden gehen auf die unterschiedlichen Entscheidungsspielräume ein207. Gerade bei hoher Betroffenheit und starkem Widerstand gegen die sich abzeichnenden Entscheidungen können Mitwirkungsangebote auch in späteren Phasen des Politikzyklus sinnvoll und notwendig sein. Ergebnisse im politischen Prozess verankern Wichtig ist, bereits vor Beginn des Prozesses eine Entscheidung von Seiten der 204 Quelle: Eigene Darstellung nach Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadtund Regionalplanung, S. 99. 205 Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 99. 206 Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum? S. 182. 207 Vgl. Kubicek, Herbert; u.a.: eDemocracy, S. 4ff. 50 Teil 1: Theoretische Grundlagen Politik zu haben, wie mit den Ergebnissen verfahren wird, das heißt, wie diese im Entscheidungsfindungsprozess berücksichtigt werden sollen. 208 Leere Versprechungen führen zu Enttäuschung bei den Teilnehmern, die ihre Arbeit nicht gewürdigt sehen.209 Trotz der dominanten Entscheidungsstrukturen in der Politik haben sich drei Wege als Erfolg versprechend erwiesen: Erstens die Kenntnisnahme durch den Gemeinderat als Minimalversion, bei der die Argumente in die Abwägung einfließen, zweitens die differenzierte Antwort des Gemeinderats, mit einer Selbstverpflichtung zur anschließenden Rechtfertigung, warum bestimmte Vorschläge nicht umgesetzt wurden, und drittens der Beschluss des erarbeiteten Konzepts, als stärkste Form politischer Anerkennung, deren Anwendung eher im Bereich kooperativer Verfahren liegt als im Bereich der in dieser Arbeit untersuchten Beteiligungsverfahren.210 208 Vgl. Langer, K.; Oppermann, B.: Verfahren und Methoden der Bürgerbeteiligung, S. 24. Vgl. Selle, Klaus: Was? Wer? Wie? Warum? S. 46. 210 Vgl. Langer, K.; Oppermann, B.: Verfahren und Methoden der Bürgerbeteiligung, S. 24 209 51 Kapitel 5: Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren 52 Teil 2: Evaluation der Fallstudien TEIL II: EVALUATION DER FALLSTUDIEN 6. Ableitung der Hypothesen Im theoretischen Teil der Arbeit wurden ein einfaches Modell medienübergreifender Bürgerbeteiligung entworfen (vgl. Kapitel 4) und die Rahmenbedingungen (vgl. Kapitel 3) und Qualitätskriterien von Beteiligungsverfahren (vgl. Kapitel 5) dargestellt. Diese Erkenntnisse werden an dieser Stelle genutzt, um die zentrale Fragestellung der Arbeit zu operationalisieren: „Haben Verknüpfungen von unterschiedlichen Beteiligungsmethoden und Kommunikationsmedien positive Auswirkungen auf Beteiligungsverfahren?“ Die zu erwartenden Wirkungsdimensionen werden hier als Hypothesen formuliert. Die Bedingungen zur Überprüfung dieser Hypothesen werden anhand aus dem Theorieteil abgeleiteter Kriterien anschließend in den Fallstudien überprüft: 1. Hypothese – Zielgruppen Wie in der Vorstellung der unterschiedlichen Kommunikationsmedien in Kapitel 4.2 deutlich geworden ist, unterscheidet sich deren Nutzung und Verbreitung innerhalb unterschiedlicher Zielgruppen. Es ist deshalb zu erwarten, dass durch medienübergreifende Bürgerbeteiligung unterschiedliche Zielgruppen angesprochen und beteiligt werden können. Daraus kann folgende Hypothese abgeleitet werden: Durch medienübergreifende Verfahrenselemente werden die gewünschten Zielgruppen in den Beteiligungsprozess integriert. Um diese Hypothese zu begründen, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss das Projekt Maßnahmen für eine breite Zielgruppensprache aufweisen, wenn alle notwendigen Bevölkerungsgruppen mobilisiert werden sollen (Vgl. Kapitel 4). Zweitens sollte die Konzeption zielgruppenspezifische Beteiligungskanäle aufweisen, die den Gewohnheiten und Bedürfnissen der potenziellen Teilnehmer entsprechen (Vgl. Kapitel 4). Und drittens sollte sich an der Zusammensetzung der Teilnehmer zeigen, dass sich alle identifizierten Zielgruppen beteiligt haben. (Vgl. Kapitel 5.1) 2. Hypothese – Teilnehmerbindung Nach der Mobilisierung der Teilnehmer stellt sich in mehrphasigen Projekten die 53 Kapitel 6: Ableitung der Hypothesen Herausforderung, diese möglichst langfristig einzubinden. Der Exkurs in Kapitel 4.4 legt nahe, dass durch medienübergreifende Verfahrenselemente die Teilnehmerbindung im Beteiligungsverfahren erhöht werden kann. Daraus lässt sich folgende Hypothese formulieren, die anhand der Fallstudien überprüft werden soll: Medienübergreifende Verfahrenselemente stärken die Teilnehmerbindung. Um diese Hypothese zu begründen, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Die Konzeption des Projekts muss Maßnahmen zur Teilnehmerbindung aufweisen, die Teilnehmer dauerhafter in den Prozess integrieren. Und es sollte wiederkehrende Teilnehmer in aufeinander folgenden Phasen geben. 3. Hypothese – Ergebnisqualität Werden alle für die Fragestellung des Projekts notwendigen Zielgruppen langfristig eingebunden, lässt sich nach dem Verständnis der deliberativen Demokratie (Vgl. Kapitel 5.3) erwarten, dass die Qualität der Ergebnisse zunimmt, weil sie aus einem breiteren Spektrum von Ideen und Meinungen entstanden sind und somit die Resultate von einer breiteren Gruppe getragen werden. Daraus lässt sich folgende Hypothese formulieren: Durch medienübergreifende Verfahrenselemente verbessert sich die Qualität der Ergebnisse. Soll sich diese Hypothese als gültig erweisen, müssen folgende drei Bedingungen erfüllt sein: Wie sich bei der Betrachtung der unterschiedlichen Beteiligungsmethoden und Kommunikationsmedien in Kapitel 4 gezeigt hat, weisen diese unterschiedliche Stärken für die Erarbeitung von Ergebnissen auf der Stufe der Partizipation auf. Demnach muss erstens eine geeignete Methoden- und Medienwahl in Bezug auf die Beteiligungsziele getroffen worden sein. Zweitens wurde in Kapitel 5.3 die Notwendigkeit der Zusammenführung von Teilergebnissen bei Verfahren, die über mehrere Phasen oder unterschiedliche Beteiligungskanäle durchgeführt werden, deutlich. Es muss folglich ein integriertes Endergebnis vorliegen. Drittens müssen die Ergebnisse so erarbeitet werden, dass eine Verankerung im politischen Entscheidungsprozess gewährleistet werden kann (Vgl. Kapitel 5.4). 54 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Zielgruppen Maßnahmen für eine breite Zielgruppensprache zielgruppenspezifische Beteili- Teilnehmerbindung Ergebnisqualität Maßnahmen zur Teilnehmer- geeignete Methoden- und bindung Medienwahl wiederkehrende Teilnehmer integriertes Endergebnis gungskanäle Zusammensetzung der Teil- Verankerung im politischen nehmer Entscheidungsprozess Übersicht 2: Hypothesen und Bedingungen Anhand dieser Hypothesen wird im nächsten Kapitel die Evaluation der Fallbeispiele durchgeführt. 55 Kapitel 6: Ableitung der Hypothesen 56 Teil 2: Evaluation der Fallstudien 7. Fallstudien 7.1 Bürgerhaushalt Lichtenberg Der Bürgerhaushalt Lichtenberg folgt dem Ideal der Bürgerkommune – Bürger werden in die Gestaltung der Politik einbezogen, in der Hoffnung, dass sie sich im Gegenzug an der Umsetzung beteiligen und Engagement für das Gemeinwesen zeigen. Die Beteiligung an der Gestaltung der Haushaltspolitik ist ein tiefgehendes Mitwirkungsangebot, denn die öffentlichen Finanzen legen fest, welche gesellschaftlichen Vorstellungen umgesetzt werden. Grundstein für das Projekt Bürgerhaushalt Lichtenberg war die Koalitionsvereinbarung von PDS und SPD zur Verwaltungsmodernisierung in Berlin. Diese Neuordnungsagenda wurde vom Senat im April 2003 verabschiedet. Vor diesem Hintergrund beschloss das Bezirksamt von Lichtenberg im Juni 2003 die Einwohner an der Aufstellung des Haushalts zu beteiligen. Durch Beschluss des Rats der Bürgermeister im September 2003 wurde das Projekt in die Neuordnungsagenda aufgenommen und erhielt somit eine erweiterte Finanzierung und externe Begleitung.211 Nach anfänglichen Terminschwierigkeiten sollte der erste Bürgerhaushalt zum Haushaltsjahr 2007 umgesetzt werden. Weil das Projekt Pilotcharakter hatte und vor allem auf die Größe bezogen keine vergleichbaren Vorbilder existieren212, werden in den Jahren 2004 und 2005 mehrere Workshops durchgeführt, auf denen das Verfahren erarbeitet, die Verwaltung vorbereitet und der Haushalt lesbar gestaltet wird.213 Um die Komplexität des Bezirkshaushalts für die Bürger verständlich zu gestalten, wurden Leitlinien für einen lesbaren Haushaltsplan erarbeitet.214 Als Grundlage dafür hatte der Bezirk vorher die Haushaltsführung vom kameralistischen System auf den Produkthaushalt umgestellt. Produkthaushalte bilden zusätzlich zum Ressourceneinsatz einer Verwaltung die Ergebnisse ihrer Arbeit ab. 215 Durch das Zusammenfassen einzelner Verwaltungsleistungen zu Produkten wurde der Bürgerhaushalt transparenter und für die Bürger verständlicher. Nachdem in Zusammenarbeit von Lenkungs- und Projektteam die Rahmenkonzepti- 211 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 4f. Vgl. Herzberg, Carsten: Bürgerhaushalt in Großstädten, S. 8. 213 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 6. 214 Vgl. Herzberg, Carsten: Bürgerhaushalt in Großstädten, S. 7. 215 Vgl. EPOS.NRW Nordrhein-Westfalen: Informationsband Produkthaushalt, S. 5. 212 57 Kapitel 7: Fallstudien on „Beteiligungsverfahren für den Bürgerhaushalt Berlin-Lichtenberg“ abgestimmt war, wurde dieses im Mai 2005 von der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen.216 7.1.1 Ziele des Projekts Hauptziel des Bürgerhaushalts war die gemeinsame Gestaltung von Politik in Zusammenarbeit mit den Bürgern innerhalb eines neuen Politikverständnis: Vor dem Hintergrund knapper Kassen sollte durch das Verfahren erstens ein besseres Verständnis der Bürger für die Probleme der Haushaltspolitik geschaffen werden. Und zweitens sollte das Wissen der Bürger über die dringlichsten Probleme im Bezirk genutzt werden, um mit den knappen Ressourcen sinnvoll Schwerpunkte zu setzen. Auch „unbürokratische Lösungen und neue Denkanstöße“217 waren gewünscht, da diese in der Verwaltungsroutine oftmals untergehen. 218 Zielgruppen Das Projekt sollte getragen werden von einer möglichst breiten und repräsentativen Zusammensetzung der Teilnehmer. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass Ansichten und Ideen aus allen Teilen der Bevölkerung in das Verfahren eingebracht werden. Einbettung Da die Verwendung der Haushaltseinnahmen zum großen Bereich durch Gesetze geregelt ist, sind die Gestaltungsspielräume der Bürger auf die Bereiche beschränkt, die nicht zu den öffentlichen Pflichtaufgaben gehören. Zu diesen so genannten steuerbaren Aufgaben gehören in Lichtenberg beispielsweise die Finanzierung von Einrichtungen, Förderprogrammen und Instandhaltungsmaßnahmen. In diesem Bereich konnten die Teilnehmer über Priorität, Umfang und Qualität der Maßnahmen beraten und mitwirken. Das System der repräsentativen Demokratie in Deutschland lässt eine direkte Abstimmung über den Bürgerhaushalt im Sinne eines direktdemokratischen Votums nicht zu. Deshalb sollte der Bürgerhaushalt in letzter Instanz in der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen werden. Noch vor Beginn des Verfahrens verpflichteten sich jedoch die Verordneten, die Vorschläge des Bürgerhaushalts in den Beratungen zum Haushaltsplan zu berücksichtigen. Auf der Auftaktveranstaltung 216 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 4ff. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 218 Vgl. ebd. 217 58 Teil 2: Evaluation der Fallstudien unterschrieben sie eine Erklärung, den Bürgerhaushalt frei von parteipolitischen Auseinandersetzungen zu halten und alle Ideen umzusetzen, die sich mit dem Haushaltsrecht decken und politisch vertretbar sind. Vor den Bürgern sollten sie nach Abschluss der Haushaltsberatungen über alle nicht beachteten Vorschläge Rechenschaft mit jeweiliger Begründung ablegen.219 7.1.2 Prozessbeschreibung Das Verfahren zum Bürgerhaushalt bestand aus vier Phasen, die jeweils durch Meilensteine, wie Veranstaltungen oder Zusammenführung der Ergebnisse, getrennt waren. Abb. 8: Verfahren Bürgerhaushalt Lichtenberg220 Die erste Phase der Information und Mobilisierung startete im Juli 2005 mit einer vorbereitenden Fragebogenaktion. 10000 Fragebögen wurden an Bürger Lichtenbergs geschickt, die per Zufallsprinzip ausgewählt worden waren. In der Befragung wurde als Vorbereitung für die weiteren Angebote die grundsätzliche Zufriedenheit der Einwohner Lichtenbergs mit ihrem Bezirk abgefragt sowie ihr Interesse, am Projekt teilzunehmen. Daraus ließen sich erste Rückschlüsse auf Schwerpunkte der Diskussion und die zu erwartende Teilnahme ableiten. Das Versenden der Fragebögen verknüpfte zu diesem frühen Zeitpunkt die Umfrage mit Information über das Projekt. Weiter wiesen Presseerklärungen auf das Pilotprojekt hin, ein Brief der Bürgermeisterin wurde als Einladung an 25000 Haushalte versandt, Informationsbroschüren erklärten das komplexe Verfahren, Flyer und Plakate wurden in den 219 220 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. Quelle: Eigene Darstellung. 59 Kapitel 7: Fallstudien Stadtteilen ausgelegt und Miniposter wurden in den Hausaufgängen der Großwohnsiedlungen aufgehängt.221 Alle Materialien wiesen sowohl auf die Auftaktveranstaltung hin, als auch auf die zentrale Internetadresse. Um den Zusammenhang der unterschiedlichen Angebote zu verdeutlichen wurde eine Wort-/Bildmarke entwickelt. Ein Logo mit griffigem Slogan („wir rechnen mit Ihnen“) sollte den Wiedererkennungswert des Projekts steigern und seine Vorteile hervorheben.222 Die umfangreiche Dokumentation auf der Internetseite war erreichbar über dieselbe Plattform, auf der im Folgenden der Online-Dialog stattfand. Auch die explizite und persönliche Einladung der Zielgruppen, beispielsweise über Multiplikatoren, gehörte zur Öffentlichkeitsarbeit dazu. Dafür wurden neun Mini-Veranstaltungen durchgeführt, bei denen in Zusammenarbeit mit Vereinen schwer zu erreichenden Zielgruppen der Bürgerhaushalt erklärt und für ihre Mitarbeit geworben wurde.223 Die zweite Phase begann mit einer groß angelegten Auftaktveranstaltung. Hier wurde das gesamte Verfahren erläutert und die Abgeordneten unterzeichneten öffentlich eine Absichtserklärung über die Berücksichtigung der Ergebnisse im Haushaltsplan. Des Weiteren präsentierten die zuständigen Verwaltungsabteilungen auf einem „Markt der Möglichkeiten“ ihre Anteile am Haushaltsplan, ihre Produkte und beantworteten Fragen. Besucher konnten bereits ihre ersten Ideen schriftlich verfassen, die in einer „Ideenbox“ gesammelt wurden.224 Die anschließende Beteiligungsphase gliederte sich in drei verschiedene Kanäle: den Online-Dialog, fünf Bürgerversammlungen und den Postweg. 221 Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. Vgl. ebd. 223 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 7. 224 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 222 60 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Abb. 9: Online-Dialog 225 Abb. 10: Open-Space-Veranstaltung 226 Direkt im Anschluss an die Auftaktveranstaltung wurde der Online-Dialog eröffnet. Die Diskussion im Internet dauerte knapp zwei Monate und bestand aus drei Phasen. In der Meinungsphase wurden zuerst die Probleme und Handlungsfelder herausgearbeitet. Zur Eröffnung des Online-Dialogs wurden dazu die Ergebnisse der ersten Fragebogenaktion sowie erste Ideen aus der Auftaktveranstaltung als Startbeiträge aufbereitet und eingestellt. Im Laufe der Diskussion kristallisierten sich Beiträge heraus, die als Vorschläge für den Bürgerhaushalt zusammengefasst werden konnten. Diese wurden über ein spezielles Formular als Änderungsvorschläge eingereicht und konnten ab diesem Zeitpunkt von anderen Teilnehmern im Stile eines Wiki-Artikels umformuliert werden. 227 In der zweiten Online-Phase, der Informationsphase, wur- den offene Fragen und die rechtliche Umsetzbarkeit durch Rückfragen an die Verwaltung geklärt. In der dritten Phase konnten die geprüften Vorschläge dann über einen Haushaltsrechner priorisiert werden. Dafür war eine besondere Registrierung notwendig, um festzustellen, welche Teilnehmer als Bürger Lichtenbergs wirklich stimmberechtigt waren. 228 Der Haushaltsrechner war konzipiert als Umfragemodul, in dem aus den verschiedenen Vorschlägen ausgewählt werden konnte. Ziel war es, die Auswahl in Einklang mit dem Lichtenberger Budgets zu bringen. Aus der Gesamtheit der erstellten Online-Haushaltspläne entstand so bis Ende November eine priorisierte Liste der 20 meist gewählten Vorschläge.229 Prozessbegleitend wurden von der Mo- 225 Quelle: Zebralog. Quelle: Zebralog. 227 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 228 Vgl. ebd. 229 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 226 61 Kapitel 7: Fallstudien deration in regelmäßigen Abständen Rundmails mit der Zusammenfassung des Diskussionsstands und wichtigen Terminen an die Teilnehmer geschickt. Dadurch sollte dauerhaftes Engagement gefördert, auf die Präsenzveranstaltungen hingewiesen und phasenübergreifend informiert werden, bis hin zur abschließenden Information über den Gang der Ergebnisse in der Politik. 230 Während des Online-Dialogs wurde eine Schüleraktion durchgeführt. Die Online-Moderatoren besuchten Schulen Lichtenbergs und führten den Schülern in den Computerräumen den Bürgerhaushalt vor.231 Vorschläge wurden auch auf den fünf dezentralen Bürgerversammlungen als zweitem Baustein der Beteiligungsphase erarbeitet. Auf den Veranstaltungen Ende Oktober 2005 wurden noch einmal Informationen über das Verfahren präsentiert, bevor im interaktiven Teil der Veranstaltung Vorschläge im Diskurs erarbeitet wurden. Als Vorgehensweise wurde dabei auf die Methode Open Space zurückgegriffen. Um Themengebiete zu sammeln, trafen sich die Teilnehmer erst im Plenum und teilten sich dann den Themen entsprechend in Kleingruppen auf, um ihre Ideen zu konkretisieren. Am Ende jeder Veranstaltung kamen die Beteiligten wieder im Plenum zusammen, um per Abstimmung die wichtigsten 20 Vorschläge zu identifizieren.232 Außerdem wurden auf jeder Veranstaltung zwei Stellvertreter gewählt, die ein Redaktionsteam für die nächste Phase bildeten.233 Als dritter Weg, Vorschläge einzubringen, blieb noch die postalische Einsendung. Abb. 11: Plenum Open-Space-Veranstaltung234 Es folgte die dritte Phase, in der die Vorschläge aufbereitet und gewichtet wurden. 230 Vgl. Hertzsch, Wenke: Interview am 06.09.2006. Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 232 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 89. 233 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 7. 234 Quelle: Zebralog. 231 62 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Bereits nach Abschluss der dezentralen Bürgerversammlungen machte sich das Redaktionsteam unterstützt von Verwaltungsmitarbeitern Mitte November an die Arbeit, die 100 Vorschläge aufzubereiten. Nach Abschluss des Online-Dialogs kamen weitere 20 Vorschläge hinzu.235 Zuerst wurden Duplikate aussortiert und dann alle Vorschläge nach den Kriterien Zuständigkeit des Bezirksamts, steuerbares Produkt und technische Umsetzbarkeit geprüft. Dadurch halbierte sich die Zahl der Vorschläge. Die Vorschläge wurden einheitlich für die Entscheidung aufbereitet und in einer Gesamtliste zusammengefasst.236 Abb. 12: Sitzung Redaktionsteam237 Die Endabstimmung fand wiederum über drei verschiedene Beteiligungskanäle statt. Alle Teilnehmer des Online-Dialogs konnten an einer Umfrage im Internet teilnehmen. Die Gesamtliste wurde zudem an 5000 repräsentativ ausgewählte Lichtenberger versandt, von denen 763 ihre priorisierten Listen zurückschickten. Schließlich konnte noch live auf der Abschlussveranstaltung an der Abstimmung teilgenommen werden.238 Auf der zweiten zentralen Bürgerversammlung versammelten sich zum Abschluss des aktiven Teils des Projekts am 21.Januar 2006 rund 300 Bürger. Nach der Begrüßung durch die Bezirksbürgermeisterin hatten die Anwesenden die Gelegenheit, über die Gesamtliste abzustimmen. Die Wahlergebnisse aus dem Internet und den Fragebögen wurden mitgeteilt. Die drei verschiedenen „Hitlisten“ wurden anschließend an die Politik übergeben.239 In der abschließenden Ergebnisphase stehen die politische Entscheidungsfindung in der Bezirksverordnetenversammlung, in die die Ergebnisse eingeflossen sind und die 235 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 7f. Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 237 Quelle: Zebralog. 238 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 239 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 8. 236 63 Kapitel 7: Fallstudien darauf folgende Rückmeldung der Politik an die Bürger. Das Bezirksamt errechnete im Frühjahr die genauen Kosten der Vorschläge, von denen die Bezirksverordnetenversammlung bis auf fünf Vorschläge alle in den Haushaltsplan übernahm. Am 21. Juni schließlich waren die Bürger eingeladen, um mit den Politikern die Auswahl der Vorschläge zu diskutieren.240 7.1.3 Überprüfung der Hypothesen Hypothese 1 – Zielgruppen „Durch medienübergreifende Verfahrenselemente werden die gewünschten Zielgruppen in den Beteiligungsprozess integriert.“ Bedingung 1 – Maßnahmen für eine breite Zielgruppensprache: Die Zielgruppenansprache war breit gestreut angelegt. Dazu zählten die postalische Einladung an 25000 Haushalte, das Erstellen der Informationsbroschüren, um den komplexen Sachverhalt zu vermitteln und die Verteilung von Postern an Multiplikatoren. Zur Information über Veranstaltungen wurden gezielt Flyer und Miniposter in den Hausaufgängen der Großwohnsiedlungen aufgehängt oder in Einkaufscentern verteilt.241 Alle Materialien wiesen sowohl auf die Veranstaltungen hin als auch auf die zentrale Internetadresse. Um speziell Jugendliche einzubeziehen, wurden mehrere Projekte in Zusammenarbeit mit dem Medienkompetenzzentrum in Lichtenberg durchgeführt. Dazu zählte ein Filmprojekt über den Bürgerhaushalt, das als Inspiration während der Auftaktveranstaltung vorgeführt wurde und das Erstellen von Postkarten, die verteilt in soziokulturellen Zentren speziell Jugendliche ansprechen sollten.242 Die Anfangsumfrage hatte eine doppelte Funktion. Neben der Umfrage hatte das Anschreiben auch die Funktion der Werbung für das Projekt. Teil der Postsendung war die Broschüre über den Bürgerhaushalt sowie die Möglichkeiten der Teilnahme, um weitere Teilnehmer anzusprechen. 243 Die Presse spielte als Multiplikator eine große Rolle bei der transparenten Darstellung des Prozesses und unterstützte die Mobilisierung neuer Teilnehmer. Die intensive Pressearbeit sorgte für ein großes Presseecho mit mehreren Beiträgen auf dem Fernsehsender RBB sowie der Berichterstattung über alle großen Veranstaltungen des Projekts in den Berliner Ta- 240 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 12, 242 Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. 243 Vgl. ebd. 241 64 Teil 2: Evaluation der Fallstudien geszeitungen. 244 Wichtig waren die Medienpartnerschaften mit den lokalen Zeitun- gen, der Wohnungsbaugenossenschaften und Einkaufscenter, weil dazu beitrugen, das Angebot stärker an die Bürger heranzutragen und Misstrauen abzubauen.245 Für eine große Medienwirksamkeit sorgten die Unterstützung des Projekts durch die Bürgermeisterin von Lichtenberg, die vielen medienwirksamen Veranstaltungen und seine Eigenschaft als nationales Pilotprojekt.246 Die Einführung einer einheitlichen Marke „Bürgerhaushalt Lichtenberg“ war wichtig, um den Zusammenhang der Einzelelemente zu verdeutlichten und dem Projekt einen hohen Wiedererkennungswert zu verleihen.247 Über unterschiedliche Maßnahmen fand im Projekt Bürgerhaushalt Lichtenberg eine breit angelegte Mobilisierung der Zielgruppen statt. Die erste Bedingung kann somit als erfüllt gelten. Bedingung 2 – zielgruppenspezifische Beteiligungskanäle: Während der Beteiligungsphase konnten die Teilnehmer ihre Ideen über drei verschiedene Kanäle einbringen: im Internet, auf fünf Bürgerversammlungen und auf dem Postweg. Die Teilnahme über die unterschiedlichen Kanäle war ausgeglichen, was dafür spricht, dass die Auswahl der Beteiligungskanäle den unterschiedlichen Präferenzen der Teilnehmer entsprach: Jeweils 300 Teilnehmer kamen zur Auftaktund Abschlussveranstaltung, insgesamt 600 zu den fünf dezentralen Bürgerversammlungen. Im Online-Dialog waren rund 500 Nutzer aktiv.248 Von den OnlineTeilnehmern waren rund ein Drittel jünger als 24 Jahre alt und rund die Hälfte hatte mindestens einen Hochschulabschluss.249 Dies verdeutlicht, dass die Beteiligung über das Internet andere Zielgruppen ansprach als die Präsenzveranstaltungen.250 Auch der Postweg wurde von einigen Teilnehmern wahrgenommen. Um dem Vorwurf zu entgehen, über die drei großen Kanäle nur Beteiligungseliten zu erreichen, wurden ergänzende Veranstaltungen konzipiert. Dazu zählten Mini-Veranstaltungen, über die spezielle Zielgruppen eingebunden wurden, die auf anderem Wege nicht erreicht werden konnten.251 Auch die ergänzende Maßnahme. den Online-Dialog zu 244 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 12. Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. 246 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg. 247 Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. 248 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 249 Vgl. Zebralog: Statistische Auswertung des Online-Dialogs. 250 Ausführlichere Aussagen können an dieser Stelle leider nicht getroffen werden, weil der ursprünglich für Juli 2006 angekündigte Evaluationsbericht bis zum Abschluss dieser Arbeit nicht vorlag. 251 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 7. 245 65 Kapitel 7: Fallstudien einem Teil des Schulunterrichts zu machen. war erfolgreich, was sich in der ungewöhnlich ausgeglichenen Altersstruktur des Beteiligungsprojekts widerspiegelt. Die zweite Bedingung kann ebenfalls als erfüllt gelten. Bedingung 3 – Zusammensetzung der Teilnehmer: Alle Veranstaltungsformen zusammengerechnet waren etwa 4000 Lichtenberger an der Aufstellung des Bürgerhaushalts beteiligt – eine große und den hohen Erwartungen an das Projekt entsprechende Zahl. 252 Auch wenn die Evaluation des Projekts noch nicht abgeschlossen ist253, kann die Zusammensetzung der Teilnehmer in einzelnen Aspekten bewertet werden. Grundsätzlich waren alle Altersgruppen vertreten.254 Dabei ist die vergleichsweise hohe Beteiligung Jugendlicher am Projekt hervorzuheben. Des Weiteren lässt sich ein ausgeglichener Mix von organisierten und nichtorganisierten Teilnehmern feststellen. Insgesamt kann zwar nicht von einer repräsentativen Auswahl gesprochen werden255, wichtigstes Anliegen war es jedoch, allen Interessen und Bedürfnissen der Lichtenberger eine Plattform zu bieten, was ablesbar am breiten Spektrum der Vorschläge gelungen ist.256 Soweit das im Rahmen der bislang verfügbaren quantitativen Daten möglich ist, kann diese dritte Bedingung ebenfalls als erfüllt angesehen werden. Die für Bürgerbeteiligungsprozesse großen Beteiligungszahlen sind vor allem ein Erfolg des Einsatzes unterschiedlicher Beteiligungskanäle und der projektbegleitenden Öffentlichkeitsarbeit.257 Die angestrebte Zusammensetzung der Teilnehmer wurde erreicht. Die erste Hypothese erweist sich demnach für dieses Projekt als gültig. Hypothese 2 – Teilnehmerbindung „Medienübergreifende Verfahrenselemente stärken die Teilnehmerbindung.“ Bedingung 1: Maßnahmen zur Teilnehmerbindung: Um die Teilnehmer über mehrere Phasen hinweg an das Verfahren zu binden, erwies sich als vorteilhaft, dass die Teilnehmer des Online-Dialogs bei der Anmeldung ihre E-Mail-Adresse hinterlegen mussten. Rundmails ermöglichten es, durch ihre Eigenschaft als Push-Medium Teilnehmer direkt über kommende Termine und den 252 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 139. Laut Anfrage beim Bezirksamt Lichtenberg, vgl. Gröber, Silvia: Telefonat am 07.08.2006. 254 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 154. 255 Vgl. ebd., S. 154. 256 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 257 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 155. 253 66 Teil 2: Evaluation der Fallstudien weiteren Umgang mit Ergebnissen zu informieren.258 Demgegenüber war es schwieriger, das Publikum von Präsenzveranstaltungen über die Gesamtdauer des Projekts anzusprechen und zu informieren. Zwar halfen ergänzende Angebote, Interesse für die folgende Beteiligungsphase zu wecken, wie die Ideenbox bei der Auftaktveranstaltung, das Infomaterial, das der Anfangsumfrage beigefügt war, oder Werbematerial wie Kugelschreiber oder Kühlschrankmagneten.259 Allerdings sind all diese Wege teurer und schwieriger gezielt einzusetzen als Rundmails. Weiterhin hat es sich gezeigt, dass es zwar sinnvoll ist, den Online-Dialog vor Ort bei der Auftaktveranstaltung vorzustellen, um ein Bewusstsein für die Existenz des Angebots zu schaffen und Berührungsängste abzubauen. Jedoch sind Teilnehmer selten bereit, Artikel direkt vor Ort an bereitgestellten Computern zu verfassen.260 Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, ergänzend Flyer anzubieten. Flyer sind ein Bindeglied, das interessierte Besucher zu Hause daran erinnert, die Online-Angebote vom eigenen Rechner wahrzunehmen.261 Es wird deutlich, dass zur Bindung der Teilnehmer Maßnahmen gekoppelt wurden, das heißt versucht wurde, kommende Phasen in der jeweils aktuellen zu verankern. Online-Maßnahmen konnten gezielter eingesetzt und Informationen zeitlich besser abgestimmt werden. Maßnahmen der Teilnehmerbindung waren vorhanden, die erste Bedingung wurde erfüllt. Bedingung 2: Wiederkehrende Teilnehmer: Die verschiedenen Beteiligungskanäle unterschieden sich stark in ihrer Bindungskraft. Die Teilnahme am Online-Dialog stellte für viele Teilnehmer ein niedrigschwelligeres Angebot zur Meinungsäußerung dar als die Bürgerversammlungen. Dennoch litt der Beteiligungskanal Internet unter dem Problem, dass Teilnehmer das Angebot möglicherweise schneller wieder verlassen, wenn andere Internetseiten als interessanter erscheinen.262 Demgegenüber hatten die Präsenzveranstaltungen im Format Open Space für mehrere Stunden die volle Aufmerksamkeit der Teilnehmer. Ergebnisse mussten jedoch in diesem knappen Zeitrahmen erarbeitet werden, denn die Teilnehmer kehren nicht zurück, während häufig wiederkehrende Teilnehmer im 258 Vgl. Hertzsch, Wenke: Interview am 06.09.2006. Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. 260 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 261 Vgl. Hermann, Sabine: Interview am 04.09.2006. 262 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 259 67 Kapitel 7: Fallstudien Online-Dialog ausführlichere Vorschläge entwickelten.263 Zur Abstimmung über die Ergebnisse wurden die Online-Teilnehmer über E-Mails eingeladen. Darauf folgend beteiligten sich rund 40 % der Online-Teilnehmer an der Gewichtung der Ergebnisse und später ebenfalls 40 % an der Endabstimmung über die Vorschläge.264 Gemessen an den Rücklaufzahlen der Anfangsumfrage und der Endabstimmung, die jeweils rund 15 % Rücklauf hatten,265 ist dies als viel zu bewerten, auch wenn durch die direkte Ansprache bereits am Verfahren interessierter Personen eine höhere Teilnehmerbindung zu erwarten gewesen wäre.266 Dabei bleibt unklar, ob beispielsweise Teilnehmer des Online-Dialogs den Beteiligungskanal gewechselt haben und stattdessen an der Gewichtung auf der Abschlussveranstaltung teilgenommen haben. Zur zweiten Bedingung lässt sich letztendlich nur die Aussage treffen, dass Teilnehmer über Präsenzveranstaltungen für die Zeit des Angebots intensiver, aber schwieriger langfristig einzubinden waren, während Online das Gegenteil der Fall war. Maßnahmen zur Stärkung der Teilnehmerbindung sind vorhanden; die zweite Hypothese kann tendenziell als erfüllt bezeichnet werden, wobei diese Aussage lediglich auf wenigen Anhaltspunkten beruht. Hypothese 3 – Ergebnisqualität „Durch medienübergreifende Verfahrenselemente verbessert sich die Qualität der Ergebnisse.“ Bedingung 1: Eignung der Methoden und Medien: Die Auswahl der Methoden Open Space und Online-Dialog ermöglichte einer großen Anzahl von Beteiligten ihre Anliegen in flexibler Weise zu äußern und als konkrete Vorschläge in den Prozess einzubringen. 267 Dabei spielte die Arbeit der Moderation eine große Rolle beim gemeinschaftlichen Erarbeiten der Vorschläge, sowohl in den Präsenzveranstaltungen als auch im Online-Dialog.268 In beiden Beteiligungskanälen brachten die Beteiligten eine Vielzahl guter Vorschläge hervor und zeigten in den Kleingruppen bzw. den Wiki-Artikeln ihre Fähigkeit zum Konsens. Auch in der anschließenden Gewichtung zeigten sich klare Prioritäten, was auf eine gemeinsam 263 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. Vgl. Zebralog: Statistische Auswertung des Online-Dialogs. 265 Vgl. Klein, Hendrikje: Bürgerhaushalt in Berlin-Lichtenberg für das Haushaltsjahr 2007, S. 6 und S. 8. 266 Vgl. Hagedorn, Hans: Rücksprache am 11.09.2006. 267 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 154. 268 Vgl. Hertzsch, Wenke: Interview am 06.09.2006. 264 68 Teil 2: Evaluation der Fallstudien entwickelte Problemsicht schließen lässt.269 Dennoch beinhaltete jede Beteiligungsform unterschiedliche qualitative Faktoren. Während in den Open-Space- Veranstaltungen sehr intensiv gearbeitet wurde, konnten die Ergebnisse bei begrenzter Zeit weniger Details und Struktur aufweisen als ein mehrmals überarbeiteter Vorschlag aus dem Online-Dialog.270 Beide Verfahren wiederum legten großen Wert auf die Entwicklung der Ergebnisse in einer deliberativen Form, wodurch sich die Qualität ihrer Ergebnisse von den postalischen Einsendungen abhob, die als Einzelmeinungen in den weiteren Prozess eingingen. Abb. 13: Diskussionsbeiträge im Online-Dialog271 Weil alle Kanäle dazu beitrugen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen als Vorschläge in den Prozess einging, war die Auswahl der Methoden für das Verfahren geeignet, auch wenn die Qualität der Vorschläge letztendlich unterschiedlich war. Die erste Bedingung ist demnach erfüllt. Bedingung 2: Integriertes Endergebnis: In einer ersten Stufe wurden Vorschläge im Online-Dialog veröffentlicht, welche über die Ideenbox auf der Auftaktveranstaltung und die erste Fragebogenaktion eingegangen waren. Damit bildeten sie den Start der Diskussion, ohne dass die Verfasser jedoch an der weiteren Diskussion beteiligt waren. Die Konsensfindung fand nur innerhalb des jeweiligen Beteiligungskanals statt – zwischen den einzelnen Beteiligungskanälen gab es keinen direkten Austausch. Das lag zum einen daran, dass die Moderationsteams von Präsenzveranstaltung und Online-Dialog getrennt arbeiteten 269 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 154. Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 271 Quelle: Zebralog. 270 69 Kapitel 7: Fallstudien und nur über eine zentrale Person in der Verwaltung miteinander in Kontakt kamen.272 Zum anderen sah das Konzept eine Zusammenführung der Ergebnisse erst als Abschluss der Beteiligungsphase vor. Die unterschiedlichen Vorschläge wurden vorher durch das Redaktionsteam aufbereitet, damit sich die qualitativen Unterschiede der Vorschläge aus verschiedenen Beteiligungskanälen nicht negativ auf den Diskurs auswirkten. Über die Gewichtung der zusammengeführten Vorschlagsliste trafen sich die Teilnehmer der unterschiedlichen Beteiligungskanäle im Gesamtprozess, in dem sich die besten Argumente durchsetzten.273 Über das Redaktionsteam und die entsprechenden Schritte der Gewichtung wurde letztendlich gewährleistet, dass trotz der enormen Informationsfülle die Ergebnisse übersichtlich und handhabbar blieben.274 Die Teilergebnisse wurden zwar zur abschließenden Gewichtung zusammengefasst, die Endabstimmung in den drei Beteiligungskanälen wurden der BVV allerdings als drei getrennte Ergebnislisten übergeben. Die Integration der Ergebnisse fand demnach nur auf der inhaltlichen Ebene statt, endete aber vor der Endabstimmung.275 Die Bedingung ist demnach nur teilweise erfüllt. Bedingung 3 – Verankerung im politischen Entscheidungsprozess: Letztendlich erwies sich das Modell eines Wettbewerbs der Vorschläge als sinnvoll. Durch das Redaktionsteam und die zwei Stufen der Gewichtung wurde gesichert, dass die Vielzahl der Vorschläge handhabbar blieb und als Abschluss des Prozesses ein Ergebnis stand, das nach den Kriterien Machbarkeit und Priorität aufbereitet war. Auf diesem Wege gelang es, die Bürgermeinung nahtlos in den politischen Prozess zu integrieren, in einer für Bürger, Beteiligte und Presse nachvollziehbaren Weise. Dass von den 42 Vorschlägen nur fünf nicht umgesetzt wurden276 spricht für ein erfolgreiches Verfahren. Die Anliegen und Probleme der Bürger wurden aufgegriffen und als konstruktive Vorschläge in den politischen Prozess integriert. Inhaltlich fällt dabei auf, dass die Vorschläge insgesamt finanziell ausgewogen waren, obwohl nicht explizit nach Einsparmöglichkeiten gefragt wurde. Die meisten 272 Vgl. Hagedorn, Hans: Rücksprache am 11.09.2006. Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 274 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 154. 275 Diese Schwächen sollen im nächsten Jahr konzeptionelle Änderungen aufgreifen. Das Internet wird die zentrale Stelle für alle Vorschläge, die auf diese Weise schon vor der Arbeit des Redaktionsteams miteinander in Berührung kommen sollen. Zudem sollen auch die Abstimmungsergebnisse zusammengeführt werden und als eine Gesamtliste an die BVV übergeben werden (Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006). 276 Vgl. Online Plattform Bürgerhaushalt Lichtenberg. 273 70 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Anregungen waren mit geringem finanziellem Aufwand realisierbar. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Vorschläge häufig Verbesserungsvorschläge für existierende Maßnahmen waren. Zum anderen beziehen einige der Vorschläge aktive bürgerliche Mitarbeit ein, die finanzieller Unterstützung bedurfte. Das zeigt, dass kooperative Potenziale geweckt werden konnten, denen in zukünftigen Verfahren mehr Aufmerksamkeit zukommen soll, um über den Haushaltsplan hinaus Strukturen zu schaffen, die dieses Potenzial aufgreifen.277 Damit ist diese letzte Bedingung ebenfalls gegeben. Auch wenn die Ergebnislisten letztendlich nicht zusammengeführt wurden, lässt sich an der Umsetzung fast aller Vorschläge durch die Politik feststellen, dass das breite Spektrum der Meinungen über das medienübergreifende Verfahren in die Ergebnisse Einzug gefunden hat. Somit wurde eine hohe Qualität der Ergebnisse erzielt, womit sich die dritte Hypothese im Projekt ebenfalls bestätigt hat. 7.2 Berlin Mauerdialog Im Jahr 2006 ist die Berliner Mauer mehr als 16 Jahre nach ihrem Fall beinahe komplett aus dem Stadtbild verschwunden. Wie kein anderes Bauwerk symbolisiert sie die Zeit des Kalten Krieges, die Teilung von Berlin, Deutschlands und der ganzen Welt in der Nachkriegszeit und die politische Unterdrückung der Bevölkerung der ehemaligen DDR. Der historische Moment der Wende 1989/90 wurde begleitet vom zügigen Abriss des verhassten Bauwerks als Akt der Befreiung, unterstützt von Presse, Öffentlichkeit und Politik.278 In den letzten 15 Jahren wandelte sich die Perspektive hin zum historischen Gedenken, das im Widerspruch zwischen Abriss zur Überwindung und Erhalt zur Erinnerung steht. Der Abriss jedoch war ein zu großer Erfolg, der nur wenige Spuren der Mauer zurückgelassen hat. 277 278 Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 154. Vgl. Flierl, Thomas: Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer, S. 5. 71 Kapitel 7: Fallstudien Abb. 14: Mauerreste an der Bernauer Straße279 Eines von drei großen zusammenhängenden Ensemblen, die noch erhalten sind, stellt die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße dar. Der Beschluss zum Erhalt wurde bereits 1991 getroffen. Die Einweihung der Gedenkstätte zog sich bis 1997 und die Eröffnung des dazugehörigen Dokumentationszentrums, das vom Verein Berliner Mauer betrieben wird, bis 1999 hin.280 Weil die verbliebenen Mauerund Gedenkorte nicht zueinander in Beziehung stehen, wurde in den letzten Jahren vermehrt bemängelt, dass die Geschichte und der Schrecken der Mauer für Touristen und nachfolgende Generationen am Originalschauplatz nicht mehr nachvollziehbar sind. Dies nahmen Mitte 2005 der Deutsche Bundestag und das Abgeordnetenhaus von Berlin zum Anlass, in miteinander abgestimmten Beschlüssen die Aufstellung eines „integrierten Gesamtkonzepts für die Dokumentation und die Erinnerung an die Berliner Mauer“281 zu beschließen, als Zeugnis der Teilung Berlins und zum Gedenken an die Maueropfer. Dieses Gesamtkonzept wurde von einem breit gefächerten Ausschuss erarbeitet und am 20. Juni 2006 vom Senat beschlossen. Das Konzept macht Aussagen zu allen zentralen Orten der Berliner Mauer, bezieht diese aufeinander und weist ihnen Themen entsprechend ihrer historischen Bedeutung zu. Der Ausbau der Gedenkstätte Bernauer Straße kristallisierte sich frühzeitig als Schwerpunkt des Konzepts heraus. Mit der Festsetzung des Bereichs als Gebiet außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung282 zog der Senat von Berlin noch vor Beschluss des Konzepts die Aufstellung des entsprechenden Bebauungsplans an sich, um die Umsetzung planungsrechtlich zu sichern. Für die konkrete Ausgestaltung soll im Anschluss an die frühzeitige Bürgerbeteiligung ein 279 Quelle: Eigene Aufnahme. Vgl. Flierl, Thomas: Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer, S. 6f. 281 Vgl. ebd., S. 14. 282 Nach §9 AbS. 1 Satz 1 Nr.1 AGBauGB. 280 72 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Wettbewerb ausgeschrieben werden.283 Um das Erweiterungskonzept für den Bereich Bernauer Straße der Öffentlichkeit vorzustellen und städtebauliche und gestalterische Anregungen für die konkrete Umsetzung einzuholen, wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und dem Verein Berliner Mauer der Auftrag an die Agentur Zebralog gegeben, einen städtebaulichen Dialog durchzuführen. 284 Abb. 15: Konzept Erweiterung der Gedenklandschaft Berliner Mauer an der Bernauer Straße 7.2.1 Ziele des Projekts Hauptaufgabe des Projekts war es, die konkurrierenden Nutzungs- und Gestaltungsansprüche herauszuarbeiten und alle relevanten Akteure zu ermutigen, ihre Interessen in den planerischen Entscheidungsprozess einzubringen. Das Thema ist nicht nur durch die große historische und persönliche Bedeutung der Berliner Mauer für unterschiedliche Zielgruppen relevant, sondern auch durch das Konfliktpotenzial unterschiedlicher, sich entgegenstehender Ansprüche an diesen Raum285: - Bürger und Besucher der Stadt sollen die Realität des Todesstreifen erfahren können, - die geschichtliche Entwicklung der Mauer soll ablesbar bleiben, 283 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. 285 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 284 73 Kapitel 7: Fallstudien - die städtebauliche und kulturelle Barriere zwischen den ehemals getrennten Stadtteilen aus Ost und West soll abgebaut werden, - Eigentümer sollen ehemals unrechtmäßig enteignete Grundstücke wieder bebauen können, - der Raum soll seine Rolle zur Naherholung für die umliegenden Wohngebiete erfüllen können. Ein weiteres Ziel, das sich im Dialog verstärkt herausbildete, war es, Zeitzeugenberichte der Mauer zu dokumentieren. Entsprechende Initiativen des Dokumentationszentrums erfassten bislang meist nur direkte Opfer der Berliner Mauer. Im Dialog wurde jedoch offensichtlich, dass viele der Anwohner, Berliner und Touristen eigene Schicksale mit der Mauer verbinden, denen bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.286 Diesen Stimmen eine Plattform zu geben war neben den inhaltlichen Zielen ein weiterer Schwerpunkt. Zielgruppen Ziel des Projekts war es, Entwicklungsstrategien zu erarbeiten, die von möglichst vielen Akteuren unterstützt werden. Aus den vorangestellten Interessenlagen und Ansprüchen wird offensichtlich, dass die Zielgruppen des Mitwirkungsangebots auf Grund des Themas sehr heterogen und breit gefächert sind. Auf der einen Seite waren die Anwohner eine leicht zu identifizierende Zielgruppe.287 Allerdings war auch diese Zielgruppe in sich nicht homogen, weil beispielsweise die Sozialstruktur auf der ehemaligen Ost- und Westseite bis heute unterschiedlich ist. Gerade auf der ehemaligen Westseite im Stadtbezirk Wedding leben viele ältere Bewohner, die den Mauerbau miterlebt haben und deshalb einen starken persönlichen Bezug zum Ort haben. Des weiteren spielte die Zielgruppe der Grundstückseigentümer eine große Rolle, denn auf Grund der Vergangenheit des Ortes, sollte vermieden werden, ehemals enteignete Grundstücke erneut zu enteignen, das heißt, die Lösungsfindung sollte im Einklang mit den Grundstückseigentümern stattfinden. Die Bewohner der angrenzenden Quartiersmanagementgebiete und das Sanierungsgebiet stellten eine Zielgruppe dar, die in einem an Frei- und Erholungsflächen unterversorgten Bereich von Berlin wohnen.288 Das Dokumentationszentrum vertritt in seiner Aufgabe viele organisierte Gruppen, wie beispielsweise Opferverbände, die als weitere Zielgruppen 286 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 288 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 287 74 Teil 2: Evaluation der Fallstudien hinzukamen.289 Da das Thema Berliner Mauer durch die Verabschiedung des Gedenkkonzepts Aufmerksamkeit in ganz Berlin erhielt, waren politik- und geschichtsinteressierte Berliner auf einer stadtweiten Ebene ebenfalls als Zielgruppe anzusehen. Da es letztendlich ebenfalls darum ging die Interessen der Touristen zu berücksichtigen, gab es eine weitere Zielgruppe, die im Dialog eine Außenperspektive einnahm. Damit lies sich schließlich eine generelle Zielgruppe auf deutscher und internationaler Ebene identifizieren, die quasi stellvertretend die Rolle der zukünftigen Besucher und Nutzer vertritt. 290 Die Konzeption des Projekts Mauerdialog musste gewährleisten, dass möglichst all diese unterschiedlichen Zielgruppen angesprochen wurden und ihre Meinung einbringen konnten. Einbettung Die Zusammenführung zweier unterschiedlicher Entscheidungsfindungsprozesse stellte sich im Projekt als schwierig heraus. Auf der einen Seite war das Gesamtkonzept als Rahmen bereits beschlossen und gab damit konzeptionelle Eckpunkte für den Bereich der Bernauer Straße vor. Auf der anderen Seite war der Zeitpunkt im Aufstellungsverfahren des Bebauungsplans vergleichsweise früh. Da das Beteiligungsangebot sich auf das Bebauungsplanverfahren und die Vorbereitung eines Gestaltungswettbewerbs bezog, sind die Möglichkeiten der Einflussnahme als ernsthaft und vergleichsweise groß zu bewerten. Jedoch bedeutete dies eine besondere Herausforderung für die Bürgerbeteiligung, den unveränderbaren Rahmen des Gesamtkonzepts von den realen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten abzugrenzen.291 Als informelles Beteiligungsverfahren war das Angebot ein vorbereitender Schritt für die Erarbeitung des Bebauungsplans. Die qualitativen Anregungen aus der Dialogphase sollten von der Verwaltung aufgenommen und in einem weiteren Schritt auf einer interaktiven Bürgerversammlung von der Öffentlichkeit gewichtet werden.292 Diese Veranstaltung stellte gleichzeitig den Auftakt der frühzeitigen Bürgerbeteiligung als erster Stufe der formellen Beteiligung nach dem BauGB dar. Des Weiteren sollen diese Anregungen in die Anforderungen des Gestaltungswettbewerbs einfließen. 289 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. Vgl. ebd. 291 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 292 Vgl. ebd. 290 75 Kapitel 7: Fallstudien 7.2.2 Prozessbeschreibung Das Beteiligungsverfahren fand im Sommer 2006 statt. Zentrales Element der Öffentlichkeitsarbeit und der Beteiligungsangebote war eine Online-Plattform mit Informationen rund um das Thema Mauer und das Plangebiet sowie einem Diskussionsforum. Abb. 16: Verfahren Berliner Mauerdialog 293 Das gesamte Verfahren wurde begleitet von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, die jeweils abgestimmt waren mit den Mitwirkungsangeboten.294 Zur Ansprache der lokalen Bevölkerung wurden insgesamt 10000 Flyer gedruckt, die Thema und Anliegen kurz beschrieben und grafisch ansprechend darstellten sowie deutlich auf die einzelnen Beteiligungsmöglichkeiten hinwiesen.295 Dafür wurden die Webadresse sowie die SMS-Telefonnummer prominent platziert. An einigen Orten, wie dem Dokumentationszentrum, oder bei Veranstaltungen, wie der Langen Nacht der Wissenschaften und den Bürgerspaziergängen, lagen vor Start des Dialogs Mailinglisten aus. Hier konnten sich Interessierte eintragen und wurden persönlich wahlweise über E-Mail oder postalisch zur Teilnahme an den Mitwirkungsangeboten eingeladen. Multiplikatoren waren ein weiterer zentraler Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit. Über einen großen Verteiler wurden verschiedene Stellvertreter und Organisationen angesprochen, um bei der Verbreitung des Angebots zu helfen.296 Die Multiplikatoren wurden telefonisch angesprochen und die konkreten Informationen anschließend per E-Mail versandt. Dadurch konnten diese die Informationen direkt an ihren E- 293 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehung an Zebralog: Präsentation am 05.09.2006. Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 295 Vgl. Agentur Sally Below Cultural Affairs: Bericht Öffentlichkeitsarbeit, S. 2. 296 Vgl ebd., S. 1. 294 76 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Mailverteiler weiterleiten oder das Angebot ohne großen Aufwand in ihren Veranstaltungskalender einstellen. Als Multiplikatoren wurden auch unterschiedliche Websites eingebunden, die über Hyperlinks auf das Angebot verwiesen, wie beispielsweise das Portal Berlin.de.297 Als erste Veranstaltung, noch vor dem öffentlichen Start der Bürgerbeteiligung wurde eine Wahrnehmungswerkstatt als Vorbereitungsspaziergang durchgeführt. Auf diese Weise konnten die verschiedenen Interessenlagen der zentralen Akteure erfasst und diese als Multiplikatoren eingebunden werden. Dazu gehörten Mitarbeiter des Dokumentationszentrums, der anliegenden Quartiermanagementbüros, Grundstückseigentümer, Vertreter lokaler Vereine sowie Verwaltungsmitglieder. Diese wurden zu einem dreistündigen Vor-Ort-Termin eingeladen und erarbeiteten während des geführten Spaziergangs die Inhalte für die folgenden Bürgerspaziergänge durch die Gedenklandschaft.298 Das Gedenkkonzept wurde am 20. Juni 2006 öffentlichkeitswirksam in einer Sondersitzung des Senats im Dokumentationszentrum an der Bernauer Straße verabschiedet. Die mediale Aufmerksamkeit anlässlich des Beschlusses sollte genutzt werden, um für den gleichzeitigen Start der OnlineDiskussion zu werben.299 Das Internet war der zentrale Ort für Information, Meinungsbildung und Meinungsaustausch. Kern des Beteiligungsangebots war der moderierte Online-Dialog. Hier konnten die planerischen Herausforderungen am ehemaligen Mauerstreifen diskutiert werden. Neuen Teilnehmern wurde als niedrigschwelliger Zugang direkt im Anschluss an die Anmeldeprozedur eine offene Frage („Was verbinden Sie mit der Berliner Mauer?“) gestellt.300 Diese Statements konnten ebenso per SMS eingesandt werden. Die Telefonnummer wurde auf den Materialien der Öffentlichkeitsarbeit abgedruckt und die Antworten in den Online-Dialog eingestellt. Die Benutzer wurden anonym angemeldet und erhielten eine Antwort-SMS, mit einem Verweis auf das Online-Forum und die Möglichkeit, dort weiter zu diskutieren. Weiter wurden Fußballer des Hertha BSC Berlin geworben, um mit Beiträgen über ihre Sicht auf die Mauer den Online-Dialog einzuleiten.301 Anfangsstatements wurden ebenfalls von den politisch Verantwortlichen verfasst, wie der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg JungeReiher und der Vorsitzenden des Vereins Berliner Mauer Gabriele Camphausen, die 297 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 299 Vgl. ebd. 300 Vgl. Online-Plattform Mauerdialog. 301 Vgl. Agentur Sally Below Cultural Affairs: Bericht Öffentlichkeitsarbeit, S. 2. 298 77 Kapitel 7: Fallstudien dann im Online-Dialog veröffentlicht wurden.302 Die Moderation der Diskussion erarbeitete den methodischen Ablauf und gewährleistete eine faire und ergebnisorientierte Gesprächskultur unter den Teilnehmern.303 Am Ende des Online-Dialogs wurde mit den Teilnehmern ein gemeinsames Ergebnis formuliert. Dieser Konsenstext wurde als „Wiki-Artikel“ erstellt, der von allen Teilnehmern umformuliert und weiterentwickelt werden konnte. Abb. 17: Wiki-Artikel im Online-Dialog304 Abb. 18: Bürgerspaziergang305 Interessenten, die keinen Online-Zugang hatten, konnten ihre Anregungen ergänzend per Post einsenden. Im Rahmen des Gesellschaftskunde-Unterrichts an der anliegenden Ernst-Reuter-Schule fand begleitend ein Workshop mit Schülern der Klasse 11 statt. Als erste Generation, die nach dem Fall der Mauer geboren wurde, diskutierten sie das Thema „Erinnerung an die Mauer“ aus ihrer Perspektive. Die Ergebnisse der Diskussion wurden anschließend im Online-Dialog veröffentlicht.306 Begleitend zum Online-Dialog fanden an zwei Wochenenden Bürgerspaziergänge am Mauerstreifen entlang der Bernauer Straße statt. Auf dem Plangebiet wurden sechs Stationen aufgestellt, an denen je ein Experte des Dokumentationszentrums und ein Moderator des Online-Dialogs standen und den jeweiligen Schwerpunkt des Gedenkkonzepts vorstellten, Fragen beantworteten und Meinungen einfingen. Die Statements wurden nach Ende des Bürgerspaziergangs als Beiträge in den OnlineDialog eingestellt. Die Route war so konzipiert, dass die Besucher tiefere Einblicke in 302 Vgl. Online-Plattform Mauerdialog. Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 304 Quelle: Online Plattform Mauerdialog. 305 Quelle: Eigene Aufnahme. 306 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 303 78 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Teilaspekte des Konzepts bekamen und motiviert wurden, ihre Ideen und Eindrücke entweder im Gespräch zu äußern oder in den Online-Dialog einzubringen.307 Dies wurde durch das Verteilen von „Visitenkarten“ des Dialogs und Erfassen von EMailadressen unterstützt. Beiträge konnten an einem Computer-Terminal, das im Dokumentationszentrum vor Ort aufgestellt war, verfasst werden. Zusätzlich zu den zwei Terminen war die Routenbeschreibung im Web abrufbar, so dass Bürgern und Touristen zeitunabhängig eigene Erkundungen starten konnten.308 Abb. 19: eMeeting309 Am 5. September fand die Abschlussveranstaltung des Projekts in Form eines eMeetings statt. In dieser Veranstaltung wurden die Vorschläge des Online-Dialogs durch die anwesenden Bürger gewichtet. Die Teilnehmer konnten ihre Meinung durch Keypads interaktiv einbringen: Jeder Teilnehmer hatte ein kleines Gerät mit Ziffernblock über das er Fragen zur Gestaltung der Gedenkstätte und des Mauerstreifens beantwortete und Ergebnisse des Online-Dialogs gewichtete. Die Ergebnisse wurden von einem zentralen Computer gesammelt und live auf der Leinwand dargestellt. 7.2.3 Überprüfung der Hypothesen Hypothese 1 – Zielgruppen „Durch medienübergreifende Verfahrenselemente werden die gewünschten Zielgruppen in den Beteiligungsprozess integriert.“ Bedingung 1 – Maßnahmen für eine breite Zielgruppensprache: Um die unterschiedlichen Zielgruppen zur Teilnahme zu motivieren, war auch im Projekt Mauerdialog die Öffentlichkeitsarbeit fest im Verfahren verankert. Zur Mobili307 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. Vgl. Online-Plattform Mauerdialog. 309 Quelle: Zebralog. 308 79 Kapitel 7: Fallstudien sierung der Anwohner wurden Flyer zum einen in die umliegenden Briefkästen verteilt und zum anderen an zentralen Stellen im Quartier mit hohem Publikumsverkehr ausgelegt, wie dem Dokumentationszentrum, Cafes oder Bibliotheken. Durch die gezielte Auswahl konnten verschiedene lokale Zielgruppen angesprochen werden.310 Über den Wahrnehmungsworkshop vor Start der Beteiligungsphase und über das Internet wurden gezielt Multiplikatoren geworben.311 Diese wurden über ein Telefonat persönlich angesprochen. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern wurde den Personen ein gut aufbereitetes Paket bestehend aus Teasern, Infotext und Logo per E-Mail zugesandt zur einfachen Weiterleitung an ihr Klientel oder zur Einstellung auf ihrer Website.312 Die Einbindung der Presse als Multiplikator gestaltete sich wegen der gleichzeitig stattfindenden Fußball-WM als schwierig, da die meisten Massenmedien auf Grund der Nachrichtenfülle ausgelastet waren. Zudem konnten lange Zeit keine Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt werden, weil der Start wegen terminlichen Schwierigkeiten bei der Erarbeitung des Gedenkkonzepts mehrfach verschoben wurde.313 Dennoch berichteten lokale Tageszeitungen sowie der RBB über die Bürgerspaziergänge.314 Als Multiplikator diente die Presse nur bedingt, weil in der Berichterstattung315 die Webadresse und der Online-Dialog nicht entsprechend präsentiert wurden.316 Anfangsstatements von Personen des öffentlichen Interesses, beispielsweise die Fußballspieler von Hertha BSC Berlin, sollten Aufmerksamkeit für den Online-Dialog herstellen. Auf Grund der Sommerferien konnten allerdings kaum Personen geworben werden.317 Des Weiteren wurden Websites als Multiplikatoren eingebunden, wie die Plattform Berlin.de, die eine hohe Zuschauerfrequenz bei politikinteressierten Berlinern hat. Auf Grund des geringen Budgets wurden wenige, aber dafür meist effektive Mittel der Zielgruppenansprache genutzt, die zum einen die Anwohner und zum anderen weltweit Interessierte mobilisierten. Die erste Bedingung kann als erfüllt gelten. 310 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. Vgl. ebd. 312 Vgl. Agentur Sally Below Cultural Affairs: Bericht Öffentlichkeitsarbeit, S. 4. 313 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 314 Vgl. ebd. 315 Weil bei der Verabschiedung des Gedenkkonzepts, auf der anschließenden Pressekonferenz und in der Pressemitteilung nicht auf den Online-Dialog hingewiesen wurde, blieb der erwartete Aufmerksamkeitsschub aus, der Start der Diskussion verlief schleppend, bis andere Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit griffen (Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006). 316 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 317 Vgl. ebd. 311 80 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Bedingung 2: zielgruppenspezifische Beteiligungskanäle: Der zentrale Beteiligungskanal des Mauerdialogs war der Online-Dialog. Dieser war eingebettet in das Webangebot der Senatsverwaltung und für Berliner, nationale und internationale Teilnehmer leicht erreichbar. Um Zielgruppen, die keinen Zugang zum Internet haben, einzubinden, wurden im Projekt mehrere klassische Informationskanäle durch Rückkanäle erweitert. Das Angebot der Bürgerspaziergänge war einerseits ein generelles Informationsangebot. Andererseits wurden Kommentare der Teilnehmer von der Online-Moderation gesammelt und anschließend im OnlineDialog veröffentlicht. Auf diesem Weg konnten die älteren Anwohner, Menschen ohne Internetzugang sowie Touristen direkt vor Ort ihre Meinung in den Dialog einbringen. Für diese Zielgruppen wurde zudem ein Computer-Terminal vor Ort aufgestellt als weitere Möglichkeit der Teilnahme am Online-Dialog.318 Durch seine zentrale Platzierung im Dokumentationszentrum vor Ort hatte es zusätzlich eine Funktion als Werbemaßnahme für das Projekt. Der Postweg, als ergänzender Weg der Teilnahme, wurde nicht genutzt. Junge Teilnehmer wurden über ein Schulprojekt an der Ernst-Reuter-Schule integriert. Die Schüler führten eine Diskussion zum Thema „Berliner Mauer“ im Unterricht, deren Ergebnisse anschließend im Online-Dialog veröffentlicht wurden.319 Einen weiteren Zugang für junge Zielgruppen stellte das Angebot, Statements per SMS abzugeben, dar. Im Falle dieses Verfahrenselements wurde jedoch der Vorteil gegenüber der Teilnahme im Internet nicht erkennbar. Der Kommunikationsweg Flyer-SMS-Internet erwies sich als umständlich und wurde deshalb nicht genutzt.320 Für die abschließende Gewichtung der Ergebnisse wurde eine Präsenzveranstaltung durchgeführt. Diese Veranstaltung war als Auftakt der frühzeitigen Bürgerbeteiligung an die Anwohner gerichtet. Vor dem Hintergrund, dass 25 % der Teilnehmer der Dialog-Phase nicht aus Berlin kamen, lässt sich jedoch feststellen, dass dadurch eine Zielgruppe den Prozess nicht bis zum Ende begleiten konnte.321 Zur Diskussion wurde im Projekt Mauerdialog nur der Weg des Online-Dialogs bereitgestellt. Dennoch wurden über ergänzende Workshops sowie eine Erweiterung klassischer Informationsangebote wie die Bürgerspaziergänge erreicht, dass auch 318 Die Nutzung des Terminals kann nicht erfasst werden. Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 320 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 321 In der ursprünglichen Konzeption für den Mauerdialog war eine Internetumfrage vorgesehen, deren Ergebnisse in das finale Votum während des eMeetings live hätten eingehen sollen. Dieser Baustein wurde auf Grund von Kostenersparnissen gekürzt. 319 81 Kapitel 7: Fallstudien die Meinung anderer Zielgruppen, die über den Weg des Online-Dialogs nicht erreicht werden können, in den Diskurs eingebracht wurden. Die Bedingung kann demnach als erfüllt gelten. Bedingung 3 – Zusammensetzung der Teilnehmer: Das Interesse an der Diskussion zur Berliner Mauer war groß. Den Online-Dialog besuchten insgesamt rund 10.000 Personen. 237 registrierte Benutzer verfassten 360 Beiträge im Forum. Das Altersspektrum der Autoren reichte von 15 bis 86 Jahren. Schwerpunktmäßig nahmen vor allem Menschen zwischen 27 und 55 an der Diskussion teil, angeführt von der Gruppe der 35- bis 45-Jährigen. Auffällig war im Online-Dialog der hohe Anteil an Männern mit 68 %. Das Verhältnis von Menschen, die auf Ost- und Westseite der Mauer aufgewachsen waren, hielt sich die Waage. Die Mehrheit der Teilnehmer, insgesamt 75 %, stammten aus Berlin; 57 % aus dem direkten Umfeld des Plangebiets. Das verdeutlicht ein starkes Interesse der Anwohner an der Diskussion. Hervorzuheben ist umgekehrt, dass 25 % der Teilnehmer aus anderen Teilen Deutschlands kamen und sieben Teilnehmer von außerhalb Deutschlands.322 Damit war diese Zielgruppe ebenfalls vertreten. Auf den Spaziergängen nahmen am ersten Wochenende rund 600, am zweiten rund 800 Personen teil.323 Je nach Station unterschieden sich die Zahlen. Genaue Daten wurden nicht erhoben, jedoch lässt sich feststellen, dass das Angebot vor allem von einem älteren Publikum wahrgenommen wurde.324 Einige der Teilnehmer äußerten im Gespräch, dass sie Teilnehmer des Online-Dialogs waren, das heißt, die Bürgerspaziergänge wurden beiden Ansprüchen gerecht, ergänzende Informationsquelle für Online-Teilnehmer und Mitwirkungsangebot für Menschen ohne Zugang zum Online-Dialog zu sein. Auch beim abschließenden eMeeting stellten die männlichen Teilnehmer mit 57 % die Mehrheit der 60 Anwesenden. Bei der Altersstruktur zeigte sich eine für Präsenzveranstaltungen ungewöhnliche Verteilung: ein Drittel der Anwesenden war jünger als 35, insgesamt 65 % jünger als 45 Jahre alt. Nur eine Person war älter als 65 Jahre.325 Ob dies auf die Maßnahmen der Mobilisierung oder das Format der Veranstaltung zurückgeführt werden kann, bleibt offen. Ausgeglichen waren auch hier die Anzahl der Ost- und Westdeutschen. Das Publikum bestand außerdem zu zwei Drit- 322 Vgl. Zebralog: Interne statistische Auswertung. Vgl. ebd. 324 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 325 Vgl. Zebralog: Interne statistische Auswertung. 323 82 Teil 2: Evaluation der Fallstudien teln aus direkten Anwohnern und einem Drittel Berliner. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle der vorher identifizierten Zielgruppen ihre Stimme im Projekt geäußert haben. Letztlich war die aktive Teilnahme der älteren Anwohner in den beiden Hauptkanälen, dem Online-Dialog und dem eMeeting, zwar gering. Ihre Meinung wurde jedoch über den Bürgerspaziergang in den Prozess integriert. Das hauptrangige Ziel, die Anwohner zu beteiligen, wurde erreicht. 326 Die Bedingung kann trotz einer leichten Benachteiligung älterer Teilnehmer als erfüllt gelten. Die starke Beteiligung jüngerer Zielgruppen und die Integration von Zielgruppen außerhalb Berlins in den Prozess kann als ein Erfolg der Auswahl der Beteiligungskanäle und der zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit gewertet werden.327 Das Projekt hat die gewünschten Zielgruppen integriert, damit erweist sich die erste Hypothese für dieses Projekt als gültig Hypothese 2 – Teilnehmerbindung „Medienübergreifende Verfahrenselemente stärken die Teilnehmerbindung.“ Bedingung 1: Maßnahmen zur Teilnehmerbindung: Als erfolgreiche Maßnahme der Teilnehmerbindung erwies sich die Strategie, die Anmeldung zum Online-Dialog für Interessierte schon einen Monat vor dem Start freizuschalten. Die Teilnehmer wurden in der Anmeldungsprozedur gebeten, inspiriert von einer offenen Frage, ein erstes Statement als Startbeitrag zu verfassen. Dadurch war beim Start des Dialogs bereits ein Stamm an Teilnehmern vorhanden. Diese konnten per Rundmail zum Auftakt eingeladen werden und das Vorhandensein erster Beiträge beugte Starthemmungen vor.328 Rundmails waren auch in diesem Projekt ein Kernelement der Teilnehmerbindung. Dies wurde daran offensichtlich, dass in den Gesprächen auf den Bürgerspaziergängen Teilnehmer sich als Nutzer des Online-Dialogs zu erkennen gaben.329 Andersherum wurde auf den Spaziergängen über Flyer und Mailinglisten versucht, Teilnehmer zum weiterführenden Dialog im Internet zu motivieren. Einige der Spaziergänger kündigten an, ihre Gedanken einzubringen und nahmen das Angebot der Flyer wahr, um sich zu Hause in Ruhe damit auseinanderzusetzen. Die Bereitschaft, sich in die bereitliegenden Mailinglisten 326 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. Vgl. Agentur Daponte: Bürgerhaushalt Lichtenberg, S. 155. 328 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 329 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 327 83 Kapitel 7: Fallstudien einzutragen, war hingegen gering.330 Dies könnte auf das wachsende Bewusstsein gegenüber Spam E-Mails zurückzuführen sein. Mailinglisten waren dennoch eine sinnvolle Ergänzung als Maßnahme der Teilnehmerbindung, weil sie den Besuchern die Wahl zwischen postalischer und elektronischer Benachrichtigung ermöglichten und es den Veranstaltern erlaubten gezielter zu informieren. Online-Teilnehmer konnten das Informationsangebot der Bürgerspaziergänge zeitunabhängig wahrnehmen. Dafür stand die Routenbeschreibung zum download im Internet bereit. Auf diese Weise können Nutzer flexibler auf die Angebote zurückgreifen. Der Start des Online-Dialogs und die Verknüpfungen zwischen den Spaziergängen und dem Online-Angebot sind als Maßnahmen der Teilnehmerbindung als erfolgreich einzuschätzen, die Bedingung kann als erfüllt gelten. Bedingung 2: Wiederkehrende Teilnehmer: Die Anmeldeprozedur im Online-Dialog wurde gut angenommen, 71 Nutzer meldeten sich schon vor dem Auftakt des Dialogs an, wovon die Mehrheit einen Startbeitrag verfasste.331 Wie bereits erwähnt kann aus den Äußerungen einiger Teilnehmer der Spaziergänge geschlossen werden, dass die Verweise zwischen Online-Dialog und Bürgerspaziergängen erfolgreich waren. Auf Grund fehlender Daten kann diese Aussage jedoch nicht weiter untermauert werden. Auch die Daten der Abschlussveranstaltung liefern keine genaueren Aussagen zur Teilnehmerbindung. Mit 57 % der Anwesenden hat zwar die Mehrheit den Online-Dialog verfolgt, wovon rund 25 % als Nutzer registriert waren und sich aktiv in den Diskurs eingebracht haben. Allerdings fehlen Vergleichswerte, um diese Zahlen zu reflektieren. Zu dieser Bedingung kann anhand der Datenlage und fehlender Vergleichswerte keine Aussage getroffen werden. Verfahrenselemente, die eine stärkere Teilnehmerbindung anstrebten, waren vorhanden, deren Wirkung konnte jedoch kaum beurteilt werden, weshalb sich die zweite Hypothese für das Projekt Mauerdialog nur unter Vorbehalten als gültig erweist. Diskussion Hypothese 3 – Ergebnisqualität „Durch medienübergreifende Verfahrenselemente verbessert sich die Qualität der Ergebnisse.“ 330 331 Vgl. Riedel, Daniela: Rücksprache am 14.09.2006. Vgl. Zebralog: Interne statistische Auswertung. 84 Teil 2: Evaluation der Fallstudien Bedingung 1: Eignung der Methoden und Medien: Sowohl im Online-Dialog als auch auf den Bürgerspaziergängen wurden viele ausführliche Meinungen geäußert, die häufig geprägt waren von persönlichen Eindrücken und Erlebnissen. Das zeigt zum einen, dass Erfahrungen und Betroffenheiten in der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Berliner Mauer noch lange nicht verarbeitet sind. Zum anderen wurde daran ebenso offensichtlich, dass die Erarbeitung des Gedenkkonzepts über zwei Jahre hinter den verschlossenen Türen der Stadtverwaltung stattgefunden hat. Viele der Diskussionsteilnehmer hatten den Prozess nicht verfolgt und waren demnach noch auf einer anderen Diskussionsebene.332 Beides führte dazu, dass im Online-Dialog viele Einzelmeinungen und Erfahrungsberichte geäußert wurden, die Teilnehmer jedoch wenig miteinander diskutierten.333 Der Dialog im Internet war für die Erarbeitung von Ergebnissen in Hinblick auf die Emotionalität des Themas vorteilhaft. Die Teilnehmer mussten sich zwar mit einer gültigen E-Mailadresse einloggen, durften ihren Benutzernamen aber frei wählen. Dadurch konnten sie ihre Meinung anonym abgeben. Dies ermöglichte es den Teilnehmern, tabuisierte Themen anzusprechen und freier über ihre Erfahrungen zu sprechen. Bis auf sehr wenige Ausnahmen ging dieses Konzept auf und brachte Themen zur Sprache, die im direkten Gespräch möglicherweise nicht aufgekommen wären.334 Der Online-Dialog eignete sich zudem, weil die Phase der Verarbeitung und Reflektion des Themas Zeit brauchte, bevor viele der Teilnehmer weitergehende Gedanken zur Gestaltung der Gedenkstätte formulieren konnten. In Anbetracht der vielschichtigen Problemwahrnehmung war dafür jedoch selbst die insgesamt 16 Tage lange Diskussionsphase des Projekts sehr knapp bemessen. Inhaltliche Schwerpunkte wurden zwar herausgebildet, doch zeigte sich, dass die intensiven persönlichen Wahrnehmungen vieler Teilnehmer nur als Stimmungen, häufig jedoch nicht als konstruktive Anregungen aufgenommen werden konnten.335 Die ergänzenden Angebote eigneten sich, um die Eindrücke und Meinungen der Teilnehmer der Bürgerspaziergänge in den Online-Dialog zu tragen. Letztendlich waren sie jedoch keine gleichwertige Möglichkeit am Diskurs teilzunehmen. Die Auswahl der Beteiligungsmethode Online-Dialog entsprach den Anforderungen der Projektziele. Die ergänzenden Angebote unterstützten den Dialog, konnten den 332 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. Vgl. ebd. 334 Vgl. ebd. 335 Vgl. ebd. 333 85 Kapitel 7: Fallstudien fehlenden Zugang einiger Zielgruppen zum Diskurs größtenteils wettmachen. Die Bedingung ist für das Projekt erfüllt. Bedingung 2: Ein integriertes Ergebnis: Im Vergleich zum Bürgerhaushalt Lichtenberg fand im Projekt Mauerdialog die deliberative Auseinandersetzung nur über einen Beteiligungskanal statt. Die Ideen und Meinungen der Teilnehmer von ergänzenden Angeboten wurden während des Prozesses in diesen Kanal überführt. Als positiv für die Integration der Teilergebnisse aus den unterschiedlichen Angeboten stellte sich dabei die zentrale Organisation über einen Anbieter dar. Um Inhalte und Verfahren beiden Seiten nahe zu bringen und in die anderen Medien zu transportieren, bewährte sich, dass dieselben Moderatoren online und auf den Präsenzangeboten tätig waren.336 Auf den Bürgerspaziergängen agierten die Moderatoren als Transporteure für Anwohner, die keinen Zugang zum Internet haben. Sie gaben den Stand der Diskussion vor Ort weiter und nahmen die Argumente und Stimmungen der Gespräche vor Ort auf, um sie in den Online-Dialog zu transportieren. Dass dies nur bedingt möglich war, zeigte sich an der Emotionalität des Themas: Die direkten Kontakte vor Ort, weinende oder fluchende Teilnehmer und die räumlichen Gegebenheiten waren Elemente, die sich online nur schwer vermitteln ließen.337 Dementsprechend fand zwischen den Kommunikationskanälen nur bedingt Austausch von Gedanken statt; die Moderation war letztendlich die Schnittstelle für diesen Austausch. Die Zusammenfassung des Dialogs über Wiki-Artikel wurde fast ausschließlich von der Moderation vorgenommen. Dies lag einerseits daran, dass die veranschlagten zwei Wochen zu kurz waren, um entsprechend Zeit für diese Phase bereitzustellen. Andererseits sollten im Vergleich zum Bürgerhaushalt Lichtenberg nicht Einzelvorschläge formuliert werden, die durch ihre Konkurrenz zueinander stärker im Interesse der Teilnehmer liegen.338 Die abwägende Zusammenfassung größerer Themengebiete entsprach entweder nicht den Interessen und Fähigkeiten der einzelnen Teilnehmer oder wurde als klassische Aufgabe der Moderation aufgefasst. Letztendlich wurden alle Teilergebnisse projektbegleitend zusammengeführt, ein weitergehender Meinungsaustausch fand allerdings nur im Online-Dialog statt. Die anderen Ideen erhielten auf diesem Wege Einzug in das Endergebnis, haben jedoch 336 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. Vgl. ebd. 338 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 337 86 Teil 2: Evaluation der Fallstudien am Diskurs nur bedingt teilgenommen. Dieser Nachteil relativierte sich auf Grund der geringen Bezugnahme der Teilnehmer aufeinander innerhalb der Diskussion. Eine Integration der Ergebnisse fand statt, womit die Bedingung als teilweise erfüllt gelten kann, auch wenn die Vorgehensweise den Ansprüchen eines deliberativen Diskurses nur bedingt gerecht wird. Bedingung 3: Verankerung im politischen Entscheidungsprozess: Das eMeeting stellte einen effektiven Weg dar, um die zentralen Ergebnisse des Diskurses im Rahmen der Bürgerversammlung abschließend zu gewichten. Das Format ermöglichte allen Anwesenden sich aktiv einzubringen. Der lebendige Charakter der Veranstaltung und die unmittelbare Darstellung der Ergebnisse wurden von der Presse aufgenommen und führten zu einer positiven Resonanz in der Berichterstattung. Auf diesem Wege wurden gute Voraussetzungen geschaffen, um die Ergebnisse erfolgreich in den weiteren Prozess einzugliedern. Als Auftakt der frühzeitigen Bürgerbeteiligung im Bebauungsplanverfahren bildete die Veranstaltung eine Schnittstelle zwischen informeller und formell vorgeschriebener Beteiligung. Weil die Verantwortlichen des Verfahrens anwesend waren und direkt zu den Ergebnissen Stellung nahmen, kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse einen hohen Stellenwert im weiteren Verfahren haben werden. Die Bedingung gilt als erfüllt. Die ergänzenden Beteiligungsangebote haben einige der Nachteile des OnlineDialogs aufgefangen. Mit der Einschränkung, dass Ältere und Menschen ohne Internetzugang ihre Meinungen zwar einbringen, aber nur bedingt am Austausch der Meinungen teilnehmen konnten, haben sich alle drei Bedingungen als gegeben erwiesen. Trotz dieses Mangels lässt sich feststellen, dass das Ergebnis durch die Vielzahl an unterschiedlicher Perspektiven, die es integriert, eine Qualität aufweist, die ohne ein medienübergreifendes Vorgehen nicht hätte erreicht werden können. Die dritte Hypothese erweist sich als gültig, wenn auch mit Einschränkungen. 87 Kapitel 7: Fallstudien 88 Teil 3: Schlussfolgerungen TEIL III: SCHLUSSFOLGERUNGEN 8. Erkenntnisse Vor dem Hintergrund des Wandels von Gesellschaft, Politik, Kommunikation und Technologie steht Bürgerbeteiligung vor neuen Chancen und Herausforderungen. Ziel der Arbeit war es zu klären, ob medienübergreifende Bürgerbeteiligung diese Chancen aufgreift und durch die Verknüpfung von herkömmlichen und elektronischen Verfahren positive Auswirkungen für Beteiligungsprojekte initiieren kann. Diese Frage stellte sich im Kontext der wissenschaftlichen Diskussion um Öffentlichkeitsbeteiligung, die erst langsam ihren Blick auf die Möglichkeiten medienübergreifender Kommunikation richtet. Im Theorieteil der Arbeit wurden die Potenziale unterschiedlicher Medien und Beteiligungsmethoden für die verschiedenen Kommunikationsbeziehungen in der Bürgerbeteiligung dargestellt. Davon ausgehend wurde medienübergreifende Bürgerbeteiligung folgendermaßen definiert: Medienübergreifende Bürgerbeteiligung beschreibt Beteiligungsverfahren, die über eine Auswahl von unterschiedlichen Methoden und Kommunikationsmedien durchgeführt werden. Diese werden vernetzt, um die Stärken der verschiedenen Informations- und Beteiligungskanäle zu nutzen. Auf Grundlage dieser Definition konnte in der Evaluation der Projekte Bürgerhaushalt Lichtenberg und Mauerdialog gezeigt werden, dass positive Wirkungen in Bezug auf die Einbindung unterschiedlicher Zielgruppen, die Teilnehmerbindung und die Qualität der Ergebnisse erreicht werden konnten. In Bezug auf den ersten Effekt, der Zusammensetzung der Teilnehmer, haben beide Fallstudien gezeigt, wie wichtig eine vorausgehende Identifizierung der Zielgruppen ist. Den vielfältigen Zielgruppen wurden beide Projekte dadurch gerecht, dass in den meisten Phasen entsprechende Kommunikationskanäle für die unterschiedlichen Teilnehmer bereitgestellt wurden. Die Konzeption des Bürgerhaushalts sah eine größere Zahl an Beteiligungskanälen vor, die allerdings nur wenig vernetzt waren. Auf der anderen Seite war im Mauerdialog die Diskussion auf einen Hauptweg ausgerichtet, den Online-Dialog, der in verschiedene ergänzende Angebote eingebettet war. Trotz des unterschiedlichen medienübergreifenden Vorgehens gelang es beiden 89 Kapitel 8: Erkenntnisse Projekten, die gewünschten Zielgruppen einzubinden. Weiter wurde offensichtlich, dass die zentralen Beteiligungsangebote, ob im Internet oder auf herkömmlichem Wege, bestimmte Zielgruppen dennoch nicht erreichen. Teil des medienübergreifenden Vorgehens beider Projekte war es deshalb, den Dialog über ergänzende Angebote zu diesen Gruppen zu tragen. Diese fanden meist als kleine Veranstaltungen oder Workshops statt, die speziell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppen ausgerichtet waren und deren Ergebnisse in den Diskurs zurückflossen. Schließlich zeigte sich die Tragweite einer starken Verflechtung zwischen den Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und den Beteiligungsangeboten. In Lichtenberg erzeugte die Gestaltung des Gesamtangebots unter dem Mantel einer einheitlichen Marke medienübergreifend eine erhöhte Aufmerksamkeit und einen Wiedererkennungswert. Diese Marke über Multiplikatoren, wie Presse, Persönlichkeiten und Organisationen, zu vermitteln, war ein Erfolgsfaktor beider Projekte, der zu einer größeren Bekanntheit der Angebote und Wahrnehmung der Ergebnisse führte. Dies wurde unterstützt durch die Einbindung pressewirksamer Auftakt- und Abschlussveranstaltungen und anderer Termine vor Ort. Insgesamt wurde deutlich, dass ohne ein medienübergreifendes Gesamtkonzept beide Projekte die identifizierten Zielgruppen nicht im selben Maße hätten erreichen können. Der Effekt einer stärkeren Bindung der Teilnehmer ließ sich nur bedingt nachweisen. Beide Fallstudien offenbarten mehrere Verfahrenselemente, über die versucht wurde, Teilnehmer gezielt von einer Phase zur nächsten oder zwischen unterschiedlichen Angeboten zu leiten. Beispielsweise wurden Elemente wie die Ideenbox auf der Auftaktveranstaltung oder Anfangsstatements schon vor Beginn der Diskussion eingesetzt, um eine enge Verbindung zwischen Vorlauf und Diskussionsphase herzustellen. Sie erweiterten klassische Informationsangebote durch interaktive Elemente, die das Interesse der Teilnehmer auf die weiteren Angebote lenken sollten. Weitere Verfahrenselemente wurden eingesetzt, um die Teilnehmer dauerhaft an den Prozess zu binden. Von Mailinglisten, Rundmails bis zu Werbeartikeln wie beispielsweise Kühlschrankmagneten wurden den Teilnehmern unterschiedliche Angebote gemacht, sich langfristig an die Beteiligungsprojekte zu binden. Deutlich wurde, dass Online-Elemente diesbezüglich eine stärkere Wirkung haben auf Grund ihrer Eigenschaft als Push-Medien. Angebote an die Teilnehmer, das Verfahren langfristig zu verfolgen, nachzuvollziehen und an den jeweiligen Schritten teilzunehmen, sind 90 Teil 3: Schlussfolgerungen durch mehrere medienübergreifende Elemente gemacht worden. Dennoch befinden sich diese Konzepte noch in einer frühen Entwicklungsphase. Um den Teilnehmern besser vermitteln zu können, wann ihre Interaktion gefragt ist und welchen Effekt sie zu diesem Zeitpunkt auf den Gesamtprozess haben, muss zukünftig mehr darauf geachtet werden, klare Ablaufmodelle zu entwickeln339, speziell wenn unterschiedliche Beteiligungskanäle angeboten und aufeinander abgestimmt werden sollen. Schließlich ist es beiden Projekten gelungen, das breite Spektrum an Teilnehmern und Meinungen in das Endergebnis überzuleiten. Es zeigte sich, dass die Auswahl der Beteiligungsmethoden in beiden Projekten zugeschnitten war auf die Anforderungen der Aufgabenstellung. In Lichtenberg sollten die Teilnehmer bei der Erarbeitung unterschiedlicher Vorschläge unterstützt werden. Darauf wurde der OnlineDialog ausgerichtet und die Methode Open Space ausgewählt. Es zeigte sich, dass die Vernetzung zwischen den Methoden organisatorisch und auf Grund der qualitativen Unterschiede innerhalb der Beteiligungskanäle schwierig war. Im Mauerdialog bewährte sich der Online-Dialog als zentraler Beteiligungskanal, weil die textbasierte Kommunikation und die Möglichkeit, anonym zu bleiben Vorteile für die Diskussion über ein emotionales Thema boten. Dennoch wurde die vertrauensbildende Funktion von Präsenzveranstaltungen als wichtiger ergänzender Teil der Konzeption deutlich. Beide Projekte verdeutlichen die Notwendigkeit einer begleitenden Moderation. Im Mauerdialog spielte diese eine stärker inhaltliche Rolle als in Lichtenberg, sowohl als Transporteur der Inhalte nach außen als auch beim Zusammenfassen der Ergebnisse. Im Projekt Bürgerhaushalt Lichtenberg nahm die Moderation stärker eine leitende Funktion ein. Beide Projekte lassen die Frage offen, ob ein Konsens über unterschiedliche Medien hinweg gefunden wird, das heißt medienübergreifende Deliberation stattfinden kann. Wie die Fallstudie Mauerdialog zeigt, können Beiträge zwar in andere Kommunikationskanäle überführt werden, auf diese Weise sind die ursprünglichen Teilnehmer aber nicht weiter am Diskurs beteiligt. Das gleiche Problem betrifft das ergänzende Angebot Beiträge per Post einzusenden. In der Fallstudie Lichtenberg spielte dies eine untergeordnete Rolle, weil Ideen entwickelt wurden, die nebeneinander stehen konnten und hinterher im Prozess über mehrere Iterationsschleifen zusammenge- 339 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 91 Kapitel 8: Erkenntnisse führt wurden, das heißt, sich Teilnehmer und Argumente im Prozess trafen.340 Im Mauerdialog hingegen gestaltete sich dies schwieriger, weil ein zusammenfassendes Ergebnis als vorläufiger Abschluss formuliert werden sollte. Letztendlich zeigen beide Fallstudien, dass die Instanz eines Redaktionsteams oder der Moderation in Verbindung mit einem iterativen Prozess die „medienübergreifenden Elemente“ sind, welche bis auf weiteres den wechselseitigen Austausch von Gedanken und Meinungen über mediale Grenzen hinweg gewährleisten. Als erfolgreich erwies sich in beiden Projekte die Gewichtung der Inhalte auf einer Abschlussveranstaltung, in der die jeweiligen Entscheidungsträger anwesend waren. Dadurch wurden die Ergebnisse nicht nur für den politischen Entscheidungsprozess aufbereitet, sondern über die Stellungnahmen der Politiker vor Ort bzw. in einer Rechtfertigung direkt in diesem verankert. Die Teilnehmer erfuhren dadurch eine besondere Wertschätzung ihrer Ergebnisse, und die anwesende Presse konnte direkt im Anschluss über die Ergebnisse berichten. Insgesamt kann festgestellt werden, dass in beiden Projekten die Qualität der Ergebnisse durch ein breiteres Spektrum an Meinungen und Ideen verbessert und durch die entsprechenden medienübergreifenden Elemente gesichert werden konnte. Auf Grund der potenziellen Probleme beim Transfer von Meinungen zwischen unterschiedlichen Beteiligungsmethoden zeigt sich jedoch, dass die Qualität des Gesamtdiskurses sehr stark von der Konzeption des Verfahrens abhängt. Auch wenn ein Methodenmix in der Bürgerbeteiligung letztendlich nichts Neues ist, konnte diese Arbeit zeigen, dass durch medienübergreifende Verknüpfung von Beteiligungsmethoden und Kommunikationsmedien weitergehende Synergieeffekte entstehen, die bislang nicht möglich waren. Alle positiven Wirkungen sind letztendlich jedoch projektabhängig und können nur durch eine abgestimmte medienübergreifende Konzeption erreicht werden. Die zentrale Forschungsfrage: Haben Verknüpfungen von unterschiedlichen Beteiligungsmethoden und Kommunikationsmedien positive Auswirkungen auf Beteiligungsverfahren?, kann demnach positiv beantwortet werden, auch wenn genauere Aussagen darüber, wie stark diese Wirkungen sind und welche anderen positiven Wirkungen entstehen können, weiterer Forschung bedarf, und die Verfahren in folgenden Projekten weiterentwickelt werden müssen. 340 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. 92 Teil 3: Schlussfolgerungen 8.1 Handlungsempfehlungen Die vorangegangenen Erkenntnisse der Untersuchung werden abschließend zu einer knappen Liste von Handlungsempfehlungen zusammengefasst. Diese Liste ist exemplarisch und nicht abschließend, es bleibt zu beobachten, wie sich in der Praxis neue Verfahren etablieren und die zur Verfügung stehenden Medien im Verfahren vorteilhaft integrieren. Zehn Handlungsempfehlungen für erfolgreiche medienübergreifende Bürgerbeteiligung: 1. Timing: Um zu gewährleisten, dass medienübergreifende Angebote über unterschiedliche Kanäle gleichberechtigt stattfinden, müssen die einzelnen Elemente aufeinander abgestimmt werden. Dies gilt sowohl für Phasen, in denen über unterschiedliche Kanäle vergleichbare Ergebnisse erarbeitet werden, als auch für ergänzende Angebote und Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit. 2. Öffentlichkeitsarbeit: Durch eine medienübergreifende Öffentlichkeitsarbeit kann das Beteiligungsangebot verständlich und als ernst gemeintes Angebot vermittelt werden. Eine Kombination aus einfachen Maßnahmen mit breiter Reichweite und wenig Inhalt (E-Mails, Flyer, Multiplikatoren) mit einem tiefen Informationsangebot (Internet, Veranstaltungen, Bürgerspaziergängen) hilft, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen und zu informieren.341 3. Teilnehmerbindung: Um Teilnehmer bei medienübergreifenden Projekten über alle Phasen zu beteiligen, sollte sich das Verfahren an einer zentralen Zeitleiste orientieren, die breit kommuniziert wird. Dies sollte unterstützt werden durch Möglichkeiten der gezielten Information. Dazu zählen Instrumente wie Mailinglisten, Rundmails, Flyer etc. die einen niedrigschwelligen Zugang zu den Beteiligungsangeboten bieten. 4. Internetauftritt: Der Internetauftritt sollte das Rückgrat von Beteiligungsprozessen sein, selbst wenn die Beteiligung nur über Präsenzveranstaltungen 341 Vgl. Below, Sally: Interview am 24.08.2006. 93 Kapitel 8: Erkenntnisse stattfindet.342 Hier laufen alle Fäden zusammen: Informationen werden in großer Tiefe bereitgestellt, Beteiligung findet über einen Online-Dialog oder andere Formate statt, und die Ergebnisse werden transparent dokumentiert. 5. Medienübergreifender Start: Durch die Integration von bestehenden Beiträgen (Zeitungsartikel, Leserbriefe, Statements von Prominenten) in Beteiligungsangeboten343 kann Aufmerksamkeit generiert und der Start der Diskussion beschleunigt werden. Dazu zählt, Teilnehmer schon vor dem Start des Dialogs zu sammeln (Online-Registrierung, Mailinglisten) und Fragen oder erste Statements als Aufhänger für die Diskussion zu nutzen (Online, SMS, Fragebögen, Postkarten). Eine große Auftaktveranstaltung verschafft den folgenden Beteiligungsangeboten Aufmerksamkeit bei potenziellen Teilnehmern und Presse. 6. Kompatible Beteiligungsmethoden: Wenn unterschiedliche Beteiligungskanäle in einer Phase angeboten werden, sollten Beteiligungsmethoden gewählt werden, die zusammenpassen. Dies kann beispielsweise die Kombination Open Space/Online-Dialog sein, oder Methoden wie das 21st Century Town Meeting, welches face-to-face und online durchführbar ist. Die Methoden und Kanäle, über die sie angeboten werden, sollten anhand der spezifischen Anforderungen des Projekts ausgewählt werden, um ihre jeweiligen Stärken auszunutzen. 7. Erweiterungsangebote: Instrumente der Information (Spaziergänge, Infoveranstaltungen) sollten durch Rückkanäle erweitert werden, um Teilnehmer und Meinungen in die eigentlichen konsultativen oder partizipativen Angebote überzuleiten. 8. Ergebniszusammenführung: In verschiedenen Beteiligungskanälen erarbeitete Ergebnisse sollten über entsprechende Zwischenschritte, entweder über ein Redaktionsteam oder die Moderation aufbereitet und wieder an alle Zielgruppen zurückgegeben werden, zur Gewichtung oder weiteren Bearbeitung. 342 343 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 249. 94 Teil 3: Schlussfolgerungen Nur so kann ein Austausch unter den verschiedenen Zielgruppen stattfinden, mit gegenseitigem Verständnis im Hinblick auf ein gemeinsames Ergebnis. 9. Durchgängigkeit: Medienübergreifende Konzepte sollten durchgängig gestaltet werden, um Teilnehmer nicht von bestimmten Phasen des Verfahrens auszugrenzen. Wenn Teilnehmer für den Prozess gewonnen werden und sich einbringen, sollte ihnen ermöglicht werden, bis zum Ende des Verfahrens teilzunehmen.344 10. Medienübergreifender Abschluss: Eine abschließende Veranstaltung ist sinnvoll, um die Ergebnisse vorzustellen und abschließend zu gewichten, um sie im politischen Prozess zu verankern und eine mediale Aufmerksamkeit zu generieren, welche die Ergebnisse nach außen trägt.345 Der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit sollte durch unterschiedliche Massenmedien und Bereitstellung in verschiedenen Medien stattfinden (Tageszeitungen, Broschüren, Downloads)346. 8.2 Ausblick Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein Schritt, die Konzeption von medienübergreifender Bürgerbeteiligung zu evaluieren und als Handlungsempfehlungen zusammenzufassen. Nach Aussage der meisten Interviewpartner befindet sich dieses Feld gerade in einer ersten Entwicklungsstufe347, Innovationen müssen in weiteren Projekten ausprobiert und über Begleitforschung reflektiert werden. Von großem Interesse dürfte hier der Abschlussbericht des Projekts Medienmix in der Bürgerbeteiligung sein, der Ende des Jahres veröffentlicht wird.348 Insgesamt müssen vor allem die Kommunikationsschnittstellen zwischen den einzelnen Methoden und Kommunikationsmedien weiter erforscht werden. Die Probleme dieser Arbeit sollten bei der Konzeption zukünftiger Evaluationsprojekte in Betracht gezogen werden. Um medienübergreifende Verfahren sinnvoll auswerten zu können, müssen in allen Kanälen vergleichbare Daten aufgenommen werden. Gerade bei der 344 Im Falle des Mauerdialogs wäre beispielsweise eine Online-Umfrage als Ergänzung eine Möglichkeit gewesen, die Teilnehmer von außerhalb Berlins an der Gewichtung der Ergebnisse zu beteiligen. 345 Vgl. Riedel, Daniela: Interview am 31.08.2006. 346 Vgl. Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 250. 347 Vgl. Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006 und Westholm, Hilmar: Interview am 21.08.2006. 348 Vgl. Westholm, Hilmar: Interview am 21.08.2006. 95 Kapitel 8: Erkenntnisse tiefer gehenden Untersuchung der Verknüpfungen ist es notwendig, bereits vor Start der Beteiligungsprojekte eine projektbegleitende Datensammlung zu konzipieren. Von großem Interesse für weitere Innovationen im Bereich der medienübergreifenden Bürgerbeteiligung wird es sein, Fallbeispiele in verwandten Feldern weiter zu beobachten und als Inspiration heranzuziehen. Als beispielhaft können hier die Kampagne 1000 Fragen der Aktion Mensch349 und das Projekt DroppingKnowledge350 gelten. Erstere führte über mehrere Beteiligungskanäle einen Diskurs über Bioethik durch, der begleitend über Plakataktionen veröffentlicht wurde, um neue Phasen des Diskurses einzuleiten. Und letzteres Beispiel sammelte medienübergreifend die drängendsten Fragen der Menschheit, für die bei einem zwischenzeitlichen Höhepunkt, von über 100 weltweiten Vordenkern in einer Präsenzveranstaltung auf dem Berliner Bebelplatz Antworten gesucht wurden, die eine weitergehende globale Diskussion im Internet anregen sollten. Es bleibt abzuwarten, wie die beiden Lager der Präsenzmoderation und ePartizipation weiter aufeinander zugehen und ihre jeweiligen Stärken in medienübergreifenden Konzepten für Bürgerbeteiligungsverfahren zusammenführen. 349 350 http://www.1000fragen.de/. http://www.droppingknowledge.org. 96 Anhang Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Übersicht eGovernment ................................................................................16 Abb. 2: Sender-Empfänger-Modell ............................................................................21 Abb. 3: Kommunikationsquadrat................................................................................22 Abb. 4: Encoding-Decoding-Modell ...........................................................................24 Abb. 5: Stufen der Bürgerbeteiligung.........................................................................25 Abb. 6: Veranschaulichung der Medien- und Methodenwahl.....................................42 Abb. 7: Politikzyklus...................................................................................................50 Abb. 8: Verfahren Bürgerhaushalt Lichtenberg..........................................................59 Abb. 9: Online-Dialog.................................................................................................61 Abb. 10: Open-Space-Veranstaltung .........................................................................61 Abb. 11: Plenum Open-Space-Veranstaltung............................................................62 Abb. 12: Sitzung Redaktionsteam .............................................................................63 Abb. 13: Diskussionsbeiträge im Online-Dialog.........................................................69 Abb. 14: Mauerreste an der Bernauer Straße............................................................72 Abb. 15: Konzept Erweiterung der Gedenklandschaft Berliner Mauer an der Bernauer Straße........................................................................................................................73 Abb. 16: Verfahren Berliner Mauerdialog...................................................................76 Abb. 17: Wiki-Artikel im Online-Dialog .......................................................................78 Abb. 18: Bürgerspaziergang ......................................................................................78 Abb. 19: eMeeting......................................................................................................79 VII Anhang Übersichtenverzeichnis Übersicht 1: Zusammenhang zwischen Kommunikationsbeziehungen und Medien .28 Übersicht 2: Hypothesen und Bedingungen ..............................................................55 Übersicht 3: Aspekte der Medienwahl - Information ...............................................XVII Übersicht 4: Aspekte der Medienwahl - Konsultation und Partizipation .................XVIII VIII Literaturverzeichnis Adams, Douglas: The Hitchhiker's Guide to the Galaxy. 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Projektbezogene Fragen: - Was waren Anlass und Grund den Prozess medienübergreifend zu gestalten? - Wie kann die Beziehung zwischen Präsenz- und Online-Aktivitäten in Bezug auf ihre Funktion im Projekt beschrieben werden? Wie wurden Elemente der Öffentlichkeitsarbeit und Mitwirkungsangebote verknüpft, um verschiedene Zielgruppen einzubinden? - Wie sahen die Mobilisierungsstrategien und Beteiligungsangebote für unterschiedliche Zielgruppen aus? - Wie wurden die Angebote von unterschiedlichen Zielgruppen angenommen? Welche Verknüpfungen, oder Verfahrenselemente, wurden konzipiert um das Verfahren effizienter zu gestalten? - Wie wurde die Öffentlichkeitsarbeit in das Beteiligungsverfahren integriert? - Wurden verschiedene Phasen des Projekts medienübergreifend verknüpft? - Wie hat die medienübergreifende Kommunikation zwischen den Beteiligten (Auftraggebern, Projektteam und Teilnehmern) funktioniert? Durch welche Verfahrenselemente wurde im Verfahren die Ergebnisqualität gesichert? - Wie wurden die Ergebnisse der einzelnen Beteiligungskanäle zusammengeführt? - Waren alle Kanäle gleichberechtigt berücksichtigt, oder gab es Verzerrungen? - Hat das Verfahren dazu beigetragen bessere Ergebnisse zu erzielen? Welche Barrieren sind während des Verfahrens in Bezug auf die medienübergreifende Konzeption aufgetreten? Ausblick: - Welche Erfahrungen und Lehren können aus dem Projekt gezogen werden für die Gestaltung medienübergreifender Beteiligungsverfahren? - Wo befinden wir uns auf dem Weg zu medienübergreifender Bürgerbeteiligung? XVI Medienwahl Medien der Information: Aspekt Beschreibung Beispielhafte Veranschaulichung Reichweite Wie weit ist das Medium verbreitet? Offener Kanal Berlin oder ARD Informationsmenge Wie ausführlich oder komplex sind Flyer oder Website die zu vermittelnden Informationen? Medienwirksamkeit Neuigkeitswert, Anschaulichkeit und Fernsehen oder Tageszeitung Bildhaftigkeit der Information? Gatekeeper Dürfen die Informationen durch Website oder Tageszeitung Journalisten gefiltert werden? Multiplikatoren Stehen Multiplikatoren zur Verbrei- Lehrer verteilen Flyer oder Flyer tung zur Verfügung? werden an zentralen Orten ausgelegt Ansprache Sollen die Zielgruppen zielgerichte- E-Mail oder Werbebanner tet oder breitgestreut angesprochen werden? Vermittlung Welche Sprache sprechen die Jugendslang oder Türkisch Zielgruppen? Verbreitung Wie sehen die Nutzungsgewohnhei- SMS oder Tageszeitung ten der Zielgruppe aus? Format Welche Formate werden von der Bravo oder Die Zeit Zielgruppe nachgefragt? Darstellungsform Welche Formsprache ist die Ziel- Knallbunt gruppe gewohnt? schwarz-weiß oder konservativ Übersicht 3: Aspekte der Medienwahl - Information 351 Medien der Konsultation und Partizipation: Aspekt Beschreibung Veranschaulichung Beteiligungsziel Was soll erarbeitet werden? Konfliktlösung oder Ideenfindung Identität Wie wichtig ist der soziale Aspekt Diskussion am Runden Tisch oder einer Zusammenkunft im Vergleich Anonymer Chat zum Schutze der Anonymität des Internets? Präferenzen Welche werden Kommunikationswege von den SMS oder Brief Zielgruppen bevorzugt genutzt? Ort Leben die Zielgruppen räumlich Präsenzveranstaltung oder Online- verstreut oder konzentriert? Dialog 351 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Westholm, Hilmar: Nicht alle sind Onliner, S. 46ff., Below, Sally: Interview am 24.08.2006 und Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. XVII Anhang Phasen Sind mehrere Zwischenphasen notwendig um das Beteiligungsziel Eine Präsenzveranstaltung oder Multi-channel Angebote zu erreichen? Moderation Antwortmodus Soll der Meinungsaustausch durch Chaotisches Online-Forum einen Moderator geleitet werden? Moderierter Online-Dialog Wie soll auf andere Meinungen Limitiert reagiert werden können? Präsenzveranstaltung vs. Ausführ- durch Zeitrahmen vs. der lich im Online-Dialog Ausführlichkeit Dauer Wie ausführlich werden die ausge- Kurzes Statement per SMS oder tauschten Statements oder Mei- Langer schriftlicher Beitrag oder nungen sein? Vortrag Wie viel Zeit soll den Teilnehmen Präsenzveranstaltung oder Online- zur Dialog Gedankenfindung werden (Synchron, gegeben asynchrone Kommunikation) Form Soll der Schwerpunkt auf vertrau- Schriftliche oder mündliche Diskus- ensbildendem persönlichen Kontakt sion und Emotion, oder Klarheit und sachlicher Argumentation liegen? Übersicht 4: Aspekte der Medienwahl - Konsultation und Partizipation352 352 Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Märker, Oliver: Online-Mediation als Instrument für eine nachhaltige Stadt- und Regionalplanung, S. 209 und Hagedorn, Hans: Interview am 30.08.2006. XVIII XIX Anhang XX