Am Anfang war das Chaos
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Am Anfang war das Chaos
MiG_4_08:Layout 1 40 07.11.2008 13:19 Uhr Seite 40 THEMA Miniklassik Anfang und Ende Am Anfang war das Chaos Schüler und Schülerinnen malen zu Joseph Haydns Schöpfung Frigga Schnelle Musik in der Grundschule 4/2008 MiG_4_08:Layout 1 07.11.2008 13:19 Uhr Seite 41 KLASSE 3-6 41 Drittklässler malen ihre Eindrücke beim Hören von Joseph Haydns Musik und erläutern sie anschließend. Klassische Musik gehört nicht gerade zu der von Grundschülern favorisierten Musikgattung. Anlässe, wie die diesjährige Fußballeuropameisterschaft, auf der sehr oft die Deutsche Nationalhymne mit der Musik Joseph Haydns zu hören war, haben viele Musiklehrer genutzt und die Geschichte des Deutschlandliedes und damit auch das Leben des Komponisten Joseph Haydn zum Unterrichtsthema gemacht (Lebensdaten und Bilder zu Joseph Haydn sind in der Musik in der Grundschule 4/2007 zu finden). Ein weiteres Musikstück oder die erste Begegnung mit der Musik Joseph Haydns können die Schüler mit dem Malen zu einem Musikausschnitt aus dem Oratorium Die Schöpfung erfahren. Wer darüber hinaus das Thema „Joseph Haydn und seine Musik“ noch vertiefen möchte, kann auf den Beitrag „Haydns Abschiedssinfonie“ in der Musik in der Grundschule 2/2004 zurückgreifen. Das Chaos „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde: die Erde aber war wüst und wirr. Finsternis lag über der Urflut …“. So beginnt das Buch Genesis über die Erschaffung der Erde. Dieser Bibeltext bildet die Grundlage für Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung. In seinen letzten Lebensjahren schrieb Haydn überwiegend sakrale Werke. Während der Aufenthalte in London hatte Haydn die großen Oratorien Georg Friedrich Händels wie den Messias kennen gelernt, die ihn so beeindruckten, dass er sich vornahm, selbst etwas Derartiges zu komponieren. Zwischen seinem 65. und 70. Lebensjahr schrieb er die Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten. Am 29. April 1798 dirigierte Haydn sein Werk im Palais Schwarzenberg in Wien. Eine zweite Aufführung fand am nächsten Tag statt. Der erste Teil des Werkes schildert das Entstehen von Himmel, Erde, Donner, Blitz, Wolken und Sterne. Der zweite widmet sich der Erschaffung der Tiere und des Menschen. Im dritten Teil wird vom Paradies und von Adam und Eva berichtet. Der programmatische Titel „Das Chaos“ zur Einleitung der Schöpfungsgeschichte passt beim ersten Hören so gar nicht zur Musik 23. Chaos in der Sprache der Schüler bedeutet Unordnung, Durcheinander wie im unaufgeräumten Kinderzimmer. Für Kinderohren klingt die Musik Haydns kein bisschen chaotisch/durcheinander. Fremd schon eher, denn klassische Musik ist nicht gerade die von Schülern häufig gehörte Musik. Es ist für Kinder auch schlecht nachvollziehbar, dass Haydn bei seiner Komposition einen anderen Chaosbegriff zu Grunde gelegt hat. In der Theogonie des griechischen Dichters Hesiod (ca. 700 v. Chr.) ist das Chaos der Urzustand der Welt: „Wahrlich, zuerst entstand das Chaos und später die Erde …“. Das Chaos besitzt in diesem Mythos Ähnlichkeit mit dem Nichts und der Leere. So heißt „Chaos“ auch eine tiefe Bergschlucht auf der Peloponnes, denn etymologisch hängt das Wort mit dem griechischen xaivw (= klaffen, gähnen) zusammen (aus Wikipedia, der freien Internetenzyklopädie zum Chaosbegriff). „Haydns Musik ist ein komponiertes Nichts“, resümiert Clemens Kühn in seiner Abhandlung über Haydns „Chaos“ im Unterricht (siehe Clemens Kühn in: Diskussion Musikpädagogik 38 [2008], S. 9). Bevor die Malphase begann, wurden folgende Durchführungsanweisungen erteilt: Jeder Schüler soll für sich malen oder zeichnen. Die Malutensilien Papier, Tuschkasten, Pinsel und Tuschbecher liegen oder stehen einsatzbereit vor jedem Kind. Der Hörauftrag wird klar formuliert: Hört euch die Musik genau an! Achtet darauf, welche Bilder ihr beim Hören der Musik habt! Malt ein passendes Bild! Während des Musikvortrags nehmen die Kinder Hörhaltung ein – die Arme und der Kopf liegen auf dem Tisch, die Augen sind geschlossen und Hände und Füße haben „Sendepause“. Es wird nicht geredet. Nach dem Hören beginnen die Schüler sofort mit dem Malen und Zeichnen, dabei ist die Musik die ganze Zeit über zu hören. Das erste Mal Hören fand in einer sehr angenehmen ruhigen Atmosphäre statt. Die Kinder konnten sich sofort auf die Musik einlassen und hörten konzentriert zu. Nach etwa fünf Minuten, als die ersten Schüler unruhig wurden, blendete die Lehrerin das Musikstück langsam aus und die Malphase begann. Bei der Arbeit durfte nicht ge- Das Chaos malen Das Malen zu Musik hat in den letzten Jahren einen festen Platz im Musikunterricht der Grundschule gefunden. Es gibt nur wenige Kinder, die nicht gerne malen oder zeichnen. Beim Musik Hören entstehen oft Bilder im Kopf. Diese, ohne vorherige Diskussion und Gedankenaustausch, aufs Papier zu bringen, bedeutet, den Musikeindruck unbeeinflusst wiederzugeben. Decken sich die Bilder der Kinder mit den musikalischen Bildern von Haydn? Eine interessante Frage. Die folgende Unterrichtssequenz wurde in einer dritten Klasse mit 27 SchülerInnen durchgeführt. Die Kinder kennen das Malen zur Musik, haben aber im Unterricht noch nie etwas von Joseph Haydn gehört. Hörbeispiel 23 auf der CD: 23 Joseph Haydn: Die Schöpfung – „Das Chaos“ (Ausschnitt) Arbeitsblatt Aufgabe 1 Musik in der Grundschule 4/2008 MiG_4_08:Layout 1 42 07.11.2008 13:19 Uhr Seite 42 Anfang und Ende THEMA Miniklassik redet werden. Die Musik lief die ganze Zeit über wie bei einer Warteschleife – diesmal das ganze Musikstück. Einem Schüler fiel das sogar auf und er fragte, ob das Musikstück nicht beim ersten Mal kürzer war. Einige Schüler waren bereits nach zwanzig Minuten fertig, der Großteil beendete die Arbeit kurz vor Stundenschluss. Die schnellen Kinder erhielten mit dem Arbeitsblatt die Möglichkeit zur schriftlichen Reflexion. Die vielfältigen Ergebnisse zeigen, welche unterschiedlichen Bilder die Musik bei den Kindern hervorgerufen hat. Vier Kinder malten gegenstandslose Bilder wie Punkte, Striche oder Ähnliches. Acht Kinder zeichneten Gegenstände wie Häuser, Tiere und Menschen. Sieben Kinder malten Planeten und Himmelsgestirne, was sicher daran lag, dass die Klasse im Sachunterricht gerade das Thema Planeten behandelte. Ein Kind zeichnete ein Filmgeschehen und kommentierte es durch Sätze. Einem Kind fiel gar nichts ein – es gab ein leeres Blatt ab. Das gemalte Bild erklären In der nächsten Musikstunde wurden die Bilder nebeneinander gelegt und von allen Kindern betrachtet, während die Musik noch einmal erklang. Einige Erläuterungen zu den Bildern: „Ich habe ganz viele Bilder gesehen. Da habe ich gedacht, das ist Musik zu ganz vielen Filmen. Aber dann wusste ich, das ist die Musik zur unendlichen Geschichte.“ „Der Anfang ist so laut. Das ist bestimmt der Urknall. Dann wird es ruhiger.“ „Mir ist nichts eingefallen. Ich habe einfach nur eine gelbe große Sonne gemalt.“ „In meinem Kopf war eine Insel, eine Schatztruhe, eine Palme und eine Blume. Die habe ich gemalt.“ „Viele Planeten im Weltall. Das habe ich gemalt.“ „Das Laute am Anfang sind die roten und schwarzen Striche. Das Meer und das Boot kommt danach.“ Alle Bilder und Äußerungen wurden als richtig und gleichberechtigt stehen gelassen. Trotzdem kam es bei den Schülern mit den Weltallbildern zu einem Siegergefühl, als sie den Musiktitel und die Intention Haydns erfuhren. Alle waren sehr daran interessiert, etwas über den Komponisten zu erfahren. Fazit Die Drittklässler haben sich sehr gut auf die unbekannte Musik einlassen können. Sie hatten alle Freude am Malen und arbeiteten ruhig und konzentriert an ihrem Bild. Das Thema „Planeten“ wurde kurz vorher im Sachunterricht behandelt und war sicher in einigen Schülerköpfen noch so präsent, dass die Bilder beim Hören der Musik in diese Richtung gelenkt wurden, denn es ist schon erstaunlich, wie viele Kinder Weltallbilder malten. Die Schüler sind es gewohnt, dass fächerübergreifend ein Themenkreis bearbeitet wird. In diesem Fall war es aber bloßer Zufall. Die Kinder wollten natürlich wissen, welche Bilder der Komponist im Kopf hatte und waren keineswegs erstaunt, als sie erfuhren, dass der Musiktitel „Das Chaos“ heißt und den Anfang der Schöpfungsgeschichte schildert. Verwundert waren sie eher darüber, dass die Melodie des Deutschlandlieds von Joseph Haydn stammt. Für die nächsten Stunden wurde die Geschichte der deutschen Nationalhymne angekündigt. Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form in Diskussion Musikpädagogik 38 (2008) erschienen. Bild links: Verschiedene Schülerergebnisse einer dritten Klasse Musik in der Grundschule 4/2008 MiG_4_08:Layout 1 07.11.2008 13:19 Uhr Seite 43 Arbeitsblatt Am Anfang war das Chaos 43 1) Malen zur Musik Name: ____________________________________________________ Hier kannst du dein Bild noch einmal mit Buntstiften zeichnen. Wenn dein Bild einen Namen hat, schreibe ihn hier auf. __________________________________________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________________________________________ Das bedeutet das Bild: __________________________________________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________________________________________ Wie hat dir die Musik gefallen? Begründe deine Meinung! __________________________________________________________________________________________________________________ __________________________________________________________________________________________________________________ Musik in der Grundschule 4/2008