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Sozialistische Tageszeitung 66. Jahrgang/Nr. 39 ● Berlin-Ausgabe ● 1,40 € Mittwoch, 16. Februar 2011 * * Gegen Rechts in Dresden Filmfestspiele Berlin Am Sonnabend wird es wieder ernst in Dresden. Erwartet werden bis zu 4000 Nazis und 20 000 Gegendemonstranten. Aber wie verhindert man eigentlich einen rechten Großaufmarsch? Seite 2 Peyman Moadi im iranischen Wettbewerbs-Film: Geschichte einer Trennung und Sittenbild des heutigen Iran. Ingmar Bergman und das Licht des Südens – eine Retrospektive. Seiten 3, 10 und 14 Standpunkt Doppelte Doppelmoral Von René Heilig Es lohnte sich, beim Europäischen Polizeikongress mal wieder zu erleben, wie doppelt die Doppelmoral unserer Regierenden inzwischen schon ist. Da stützen sie über Jahrzehnte in Tunesien, Ägypten und anderen afrikanischen Staaten brutale Diktaturen und sorgen sich gemeinsam mit der Wirtschaft um das Wohlbefinden korrupter Herrscher. Über Nacht dann beklatschen sie den Demokratiewillen von Aufbegehrenden – und tun so, als wäre unser Gemeinwesen von den Umwälzungen nicht weiter betroffen. Schon gar nicht humanitär. Da könnte ja jeder kommen – übers Mittelmeer ... Damit das nicht geschieht, fordert die EU – allen voran Deutschland – die Führer der gerade Beklatschten auf, »ihre« Menschen mit den selben diktatorischen Mitteln einzusperren, wie das die hinweggefegten Regimes taten. Und zwar umgehend, denn mit FRONTEX-Mauern allein ist Europa nicht abzuschotten. Perfide! Auf dem Polizeikongress werden aktuelle Polit-Leitlinien zur deutschen und zur EU-Außen-, Sicherheits- und Asylpolitik zu den Ausführenden »durchgestellt« und unters Volk gebracht. Da geht man nicht hin, haben einige in der Bundestags-Linksfraktion gefordert. Sich aber mit der Total-Verweigerung nicht durchgesetzt. Gut so, denn unmenschlichen Konzepten gehört auch an Ort und Stelle widersprochen. Das haben Petra Pau und andere gestern gemacht. So sachlich wie konsequent. Unten links Der auf der Berlinale umjubelte Western »True Grit« von den Coen-Brüdern hat dem Remake alter Kinoklassiker zu neuem Auftrieb verholfen. Nachdem der »Hamlet«-Verfilmung von Clément Maurice (1900) bereits 48 Remakes folgten, gab die Fleischindustrie jetzt wegen der steigenden Vegetarierzahlen eine Adaption in Auftrag: »Kotelett – Schwein oder nicht Schwein?«. Die Bundestagsverwaltung lässt derzeit einen Film über notorisch faule Abgeordnete drehen – als Remake des Westerns »Sie kannten kein Gesetz«. Die Berliner LINKE steht gleichfalls auf Western und plant für Herbst eine Neuauflage von »Der mit dem Wolf tanzt«. Offen ist, ob die gecasteten Hauptdarsteller dann noch mitspielen dürfen bzw. wollen. Auch die Kalenderbranche erhofft sich von der Partizipation am Filmgeschäft steigende Gewinne und hat Milliardenverträge abgeschlossen, um im nächsten Jahr auf sämtliche Produkte den Titel von Roland Emmerichs jüngstem Film drucken zu dürfen: »2012«. ibo www.neues-deutschland.de twitter.com/ndaktuell Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt Einzelpreise Ausland: Österreich Mo-Fr 1,60 EUR/Sa 2,00 EUR Slowakei 1,70/2,10 EUR Tschechien 61/71 CZK Polen 6,60/9,50 PLN ISSN 0323-4940 Neues Stipendium Ab diesem Sommersemester Deutschland-Stipendium / Altersstaffelung beim Urlaub? Fallstricke in Bauverträgen Statt Flüchtlingshilfe – Terrorangst Klare Ansage auf EU-Polizeikongress: Deutschland nimmt Italien keine Asylbewerber ab Mega-Fusion von NYSE und Deutscher Börse Von René Heilig Der Ansturm von Flüchtlingen aus Nordafrika stellt Italien aktuell vor Probleme, die Rom gern an die EUPartner weitergeben möchte. Die deutsche Regierung erteilt jedoch in Sachen Flüchtlingsaufnahme eine strikte Absage. Dazu kam der 14. Europäische Polizeikongress in Berlin wie gelegen. Er steht unter dem Thema: »Migration – Integration – Sicherheit in Europa im Wandel«. Berlin, Alexanderplatz – das Congress Center bot ein Abbild von EUEuropa. Massiv von Polizei abgeschirmt, treffen sich 1400 Experten aus 60 Nationen zum zweitägigen, traditionell vom »Behörden-Spiegel« veranstalteten Europäischen Polizeikongress. Angesichts tausender Nordafrikaner, die unter Lebensgefahr übers Mittelmeer flüchten, ist die Debatte über die weitere Ausgestaltung eines einheitlichen EU-Asylrechts und eine mögliche Verteilung der Hilfesuchenden auf mehrere EU-Länder neu entfacht worden. Politiker von SPD, LINKEN und Grünen plädierten auch am Rande des Kongresses dafür, einige der »Italien-Flüchtlinge« nach Deutschland weiterzuleiten. Diesem Vorschlag, der sowohl gegenüber den Flüchtlingen als auch gegenüber Rom Solidarität signalisiert, erteilte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder, gestern eine klare Absage. Selbst fadenscheinigste Argumente zog er heran. So entstehe bei einer Aufteilung von Flüchtlingen auf EU-Staaten die Frage, nach welchen Kriterien dies geschehen solle: Nach Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft? Orientiere man sich an früheren Aufnahmezahlen, »hätte Deutschland keine Veranlassung, Flüchtlinge aus anderen Ländern aufzunehmen«, sagte Schröder und betonte: »Das zeigt, dass ein solcher Mechanismus keinen Sinn macht.« Der getreue Vertreter und CDUKollege von Bundesinnenminister Thomas de Maizière meint, man könne nicht davon sprechen, dass die südlichen EU-Länder beson- Kongress-Offerte. Weitblickend hat sich die Industrie auf die Verteidigung der EU-Festung eingestellt. ders von Flüchtlingsströmen betroffen seien. Belgien beispielsweise habe 2010 dreimal so viele Asylbewerber aufgenommen wie Italien und zehnmal so viele wie Spanien. Schweden habe 31 870 Schutzsuchende zugelassen, Deutschland gab 41 000 und Frankreich 48 000 eine Chance. Es sei »natürlich in unserem Sinne und im Sinne der Asylberechtigten, dass das Asylrecht nicht missbraucht wird«. Statt wie angekündigt über »Herausforderungen und Chancen« von Migration und Integration zu reden, stellte Schröder eine Palette von EU-vernetzten Abwehrmechanismen vor, die derzeit vervollkommnet werden. Dazu gehört eine Fingerabdruckdatei gegen »Asylshopping«. Schröder lobte das Visainformationssystem, sah von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX initiierte Fortschritte bei der Sicherung der griechisch-türkischen Grenze und verkaufte Anti-Pirateneinsätze als eine Art Entwicklungshilfe. Sodann zog Schröder die »Terror-Karte« – natürlich ohne »Zuwanderer und ihre Nachfahren unter einen Generalverdacht« zu stellen. Wohl aber handele es sich beim islamistischen Terrorismus »um ein mit Migration verbundenes Phänomen«. Rund 220 mutmaßliche Islamisten »aus Deutschland oder mit Deutschlandbezug« hätten Terrorcamps am Hindukusch besucht. Rund die Hälfte sei zurück in der Bundesrepublik. Bei 70 gäbe es Hinweise auf eine paramilitärische Ausbildung. Ein Migrationshintergrund und die häufig Foto: dpa vorhandene doppelte Staatsbürgerschaft erleichtere es radikalisierten Anhängern, über die Grenzen zu reisen und sich den Ermittlern zu entziehen. Wer weitere Gründe für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen sucht, mag die zahlreichen Stände der Industrie, die den Kongress sponsert, als Hinweis begreifen. Unterdessen bereitet die EU eine FRONTEX-Mittelmeer-Task-Force vor. Im Büro von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström wird angeblich auch über die Anforderung deutscher Polizisten gesprochen. Außerdem werde die Zahlung einer Nothilfe an Italien geprüft. Rom hatte die EU am Montag um Hilfe gebeten, nachdem mehr als 5000 tunesische Bootsflüchtlinge auf Lampedusa gelandet waren. Erster Tanz um den Castor schon vor Abfahrt Aktivisten ketteten sich in Karlsruhe an Gleisen an / Landespolitik gegen Dauerlagerung Von Velten Schäfer, Greifswald In Karlsruhe sollte in der Nacht zum Mittwoch der umstrittene Atommülltransport nach Lubmin bei Greifswald starten. Im Nordosten trifft er auf nervöse Politiker – und entschlossene Demonstranten. Der Transport mit hochradioaktiven Rückständen aus der bundeseigenen früheren Wiederaufbereitungsanlage in Karlsruhe (WAK) ist unterwegs. In der Nacht zum Mittwoch sollte der Zug gegen 1 Uhr im Südwesten aufbrechen, um am Donnerstag gegen 4 Uhr planmäßig in Lubmin einzutreffen. Schon vor der Abfahrt hatten Aktivisten von Greenpeace deutlich gemacht, dass sie den Transport nicht widerstandslos hinzunehmen gedenken. Mehr als neun Stunden dauerte es am Dienstag, die letzten von 20 Protestierern vor der WAK von Gleisen und einem Tor zu ent- Wall Street wird Mauerstraße fernen, an die sie sich gekettet hatten. Einige saßen auf Bäumen, drei auf einer Hebebühne über den Schienen. Der Hebe-Mechanismus war manipuliert, funktionierte nicht mehr. Am Mittag schließlich hatte die Polizei die letzten Aktivisten »befreit«. Doch für die späteren Stunden des Tages war bereits eine »Nachttanzblockade« angekündigt. Am Nachmittag begannen Atomkraftgegner eine Mahnwache in der Magdeburger Innenstadt. Sie soll bis zur Ankunft des Zuges in Lubmin dauern. Kurz vor dem Beginn des Transports wurde bekannt, dass die beiden Aktivisten von »Robin Wood«, die sich beim Transport im Dezember auf der Strecke angekettet und den Zug stundenlang aufgehalten hatten, von der Bundespolizeidirektion in Bad Bramstedt einen »Leistungsbescheid« über knapp 8500 Euro zugestellt bekommen haben. Die Organisation weist die Bescheide allerdings zurück und will rechtlich gehen sie vorgehen. Dementiert wurden Befürchtungen, leicht- bis mittelschwer kontaminierter Atommüll aus dem maroden Asse-Salzstock könnte nach Lubmin gelangen. Dazu lägen ihm derzeit keine Anträge vor, erklärte Innenminister Lorenz Caffier (CDU) am Montag. Auch beim Betreiber des Zwischenlagers Nord (ZLN), den Energiewerken Nord (EWN), bestreitet man solche Ambitionen. Der seit wenigen Wochen amtierende neue Chef des bundeseigenen Unternehmens, Henry Cordes, hatte allerdings erst Ende Januar bekanntgemacht, dass die EWN einen Antrag auf Einlagerung weiteren leichter belasteten Schrotts vom bundeseigenen »Atomschiff« Otto Hahn gestellt haben. Es gebe noch ausreichend Platz für weiteres leicht und mittelschwer verstrahltes Material, so Cordes. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sprach sich allerdings postwendend gegen solche Pläne aus. Bereits im September hatten die EWN beim Schweriner Innenministerium eine Entfristung bei schwach- und mittelbelastetem Abfall beantragt – was das Ministerium aber erst kürzlich bekanntgab. Ende Januar trat Cordes mit der Forderung hervor, die sogenannte Pufferlagerung, die derzeit nur für zehn Jahre gestattet ist, für längere Zeiträume zu gestatten. Daraufhin sprach sich der Schweriner Landtag in einem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, FDP und LINKE gegen jegliche Pläne aus, die eine unbefristete Lagerung ermöglichten. Das Zwischenlager ist bis 2039 genehmigt. Für die leichter und mittelschwer belasteten Abfälle soll ab 2015 mit Schacht Konrad ein Endlager bereitstehen. Für die hochradioaktiven Stoffe aus Halle 8 ist der weitere Verbleib aktuell noch nicht geklärt. Seite 4 New York (ND/AFP). Die Deutsche Börse und die amerikanisch-europäische NYSE Euronext wollen sich zum weltgrößten Börsenanbieter zusammenschließen. Die Aufsichtsräte der beiden Unternehmen stimmten einer Fusion zu, wie die Konzerne am Dienstag in New York mitteilten. Deutsche Börse und NYSE Euronext wollen demnach einen neuen Konzern mit Sitz in den Niederlanden gründen. Die Chefs des neuen Unternehmens sollen aber weiterhin in Frankfurt am Main und New York sitzen. Mit dem Zusammenschluss erhoffen sich die Börsenanbieter Einsparungen in Höhe von 300 Millionen Euro. Wer in dem neuen Konzern das Sagen haben wird, ist noch völlig unklar. Die Unternehmen sprechen von einer »Fusion unter Gleichen«. Den größten Anteil hätten aber mit 60 Prozent die bisherigen Aktionäre der Deutschen Börse. Allerdings soll der bisherige NYSE-Chef Duncan Niederauer den neuen Konzern führen. Und in Frankfurt fürchten Händler einen Bedeutungsverlust des hessischen Finanzplatzes gegenüber der Wall Street. Und so ist die Börsenfusion noch lange nicht in trockenen Tüchern. Die Kartellbehörden werden wegen der großen Marktmacht des Giganten ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Zudem gibt es Gerüchte, dass die Terminbörse Chicago ein Gegenangebot für NYSE Euronext vorbereitet. Kommentar Seite 8 Kurz Schneller Prozess gegen Berlusconi Rom (dpa). Italiens Premier Silvio Berlusconi muss sich wegen der Sexaffäre um eine 17-jährige Prostituierte in einem Schnellverfahren vor Gericht verantworten. Die Anklagepunkte lauten auf Amtsmissbrauch und Umgang mit minderjährigen Prostituierten. Seite 6 Streiks in Athen Athen (dpa). Der Protest gegen das Sparpaket der griechischen Regierung hat am Dienstag in Athen einen neuen Höhepunkt erreicht: Sämtliche S-Bahnen, U-Bahnen und alle Busse wurden seit 5 Uhr Ortszeit für 24 Stunden bestreikt. Die Ausstände legten den öffentlichen Nahverkehr in der Hauptstadt komplett lahm. Auf den Zufahrtsstraßen der Metropole kam es zu endlosen Staus. Kämpfe im Kaukasus Moskau (dpa). Bei zwei Selbstmordattentaten und schweren Gefechten zwischen Militär und Islamisten sind im Konfliktgebiet Nordkaukasus mindestens zwölf Menschen getötet worden. Elendsviertel-Brand Manila (AFP). Bei einem Großbrand in einem Elendsviertel in der philippinischen Hauptstadt Manila sind 10 000 Menschen obdachlos geworden. Ein Kind starb.