Titelseite als PDF-Vorschau

Transcription

Titelseite als PDF-Vorschau
Zehn Jahre Hartz | 2
Stimmung gegen Besetzer | 13
Mit Hartz I und Hartz II begann der
massive Abbau des Sozialstaats
In einer von Flüchtlingen besetzten
Berliner Schule kam es zu Konflikten
im »nd«:
z Exklusiv
Rosa Luxemburg | 9
Ein Artikel
von 1905 –
erst jetzt steht
fest, dass die
Politikerin
ihn schrieb:
Gedanken zu
Weihnachten
Sonnabend/Sonntag, 22./23. Dezember 2012
67. Jahrgang/Nr. 299 ● Berlinausgabe 1,80 €
*
STANDPUNKT
Christen in vielen
Ländern verfolgt
und diskriminiert
Panzer statt
Bibeln
Lage der Glaubensgruppe
verschlechterte sich 2012
Von Ingolf Bossenz
Die Ausgrenzung beginnt mit der
Weihnachtsgeschichte. »Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf
Erden ist Friede bei den Menschen
seiner Gnade«, heißt es in der
deutschen Einheitsübersetzung
der Bibel. Der Passus »bei den
Menschen seiner Gnade« konterkariert die angebliche Universalität der christlichen Botschaft von
der göttlichen Gerechtigkeit. Allem
Gerede vom Frieden, der den Kern
aller Religionen bilde, zum Trotz
ist dieser Kern nach wie vor – namentlich bei den monotheistischen
Bekenntnissen – die Fixierung auf
ein ganz spezielles Gottesbild. Dies
wird auch künftig so sein. Indes:
Menschen, die sich ihrem Gott
verpflichtet sehen und dies in Ritual und Lebensweise ausdrücken,
sollten wohl im 21. Jahrhundert
ebenso wenig ein Problem darstellen wie andere Formen individuell oder kollektiv geprägter Kultur. Dass dem nicht so ist, zeigen
Berichte über regelrechte Christenverfolgungen: Überfälle auf
Kirchen in Kenia, Massaker in Nigeria, Gewalt in Nahost, Unterdrückung in Nordkorea und China.
Sicher, bei vielen Übergriffen
geht es nicht nur um konfessionell
motivierte Kollisionen, sondern
um politische Projektionen in das
religiöse Spektrum. Auch hierzulande und in anderen Ländern des
»aufgeklärten« Westens mit Blick
auf den Islam. Dennoch ist eine
Zunahme systematischer Verfolgung von Christen traurige Tatsache. Es gibt Staaten, in deren
Machtbereich auf Einfuhr von Bibeln schlimmste Strafen stehen.
Wie in Saudi-Arabien. Darum liefert Berlin dorthin lieber Panzer.
Unten links
Wenn Sie diese Zeilen lesen können,
hat es mit dem Weltuntergang wieder nicht geklappt. Man mag das bedauern oder begrüßen (Seite 9) –
überraschend ist es nicht. Denn ein
sogenannter Maja-Kalender ist ja nun
weiß Gott kein sonderlich zuverlässiges Planungsinstrument. Auch wenn
Gott, der Karel, uns weismachen will,
dass »vor gar nicht allzu langer Zeit«
von Maja »alles weit und breit«
sprach. Zurzeit sind Presse, Funk und
Fernsehen wieder voll von Maja, was
die Angelegenheit indes nicht seriöser macht. Wahrscheinlich zeigt sich
hier der Geist der Weihnacht (Keine
Feier ohne Maja), bei dem es sich
großteils um Kirsch- oder Himbeergeist handelt, manchmal auch um
liederlichen Chorgeist. Wie es schon
in der Bibel heißt, ist solch Geist billig und macht das Fleisch schwach.
Was mit dem Begriff Gier bezeichnet
wird. Sexgier, Geldgier, Fressgier,
Habgier, Algier, Belgier ... Um diesen
Gierlanden wenigstens Weihnachten
zu entkommen, zünden wir eine Bienenwachskerze an. Von Maja.
ibo
www.neues-deutschland.de
twitter.com/ndaktuell
Einzelpreise Tschechien 65/75 CZK
Polen 6,60/9,50 PLN
ISSN 0323-4940
x
Foto: photocase/Fluchtpunk
Berlin (nd). Wie es um die Nächstenliebe des
Papstes bestellt ist? Benedikt XVI. hat es am
Freitag beim Weihnachtsempfang für die Kurie
verraten: Nur »die wahre Gestalt der Familie
aus Vater, Mutter, Kind« falle unter die »nicht
verhandelbaren Grundwerte« der Kirche.
Was Lust und Laune, Zufall und Kalkül,
Neigung und Laster sonst noch zusammenwürfeln und wieder auseinanderbringen kön-
nen, davon erzählt diese Ausgabe: in einem
Spezial über Sex im Realsozialismus, das
schwierige Verhältnis der Linken zur Liebe,
über Essen als sinnliches Erlebnis und den
Hang zum Geld. Lesen Sie, was passiert, wenn
Liebe in Modern Stalking umschlägt und wo
die Fallstricke der Partnersuche im Internet
liegen. Nicht nur Online kann man die Frau
fürs Leben und den Mann für gewisse Stunden
finden, jemanden für ein Zweckbündnis, für
die offene Beziehung, für das ganz alltägliche
Glück zu zweit. Oder man versucht privat sein
Glück im »Modell Altmaier«.
Für Papst Benedikt XVI. mag das alles Teufelszeug und ein Angriff auf sein Weltbild sein.
Für uns ist es: Alles Liebe.
Beilage ab Seite W1
.
Zahnärztliche Zuschussrente
Selbstbedienungsmentalität mit ministerieller Unterstützung
Von Ulrike Henning
Das Bundesgesundheitsministerium assistiert offensichtlich bei der
Verschleierung von Übergangsgeldern für Zahnarzt-Funktionäre.
Die Vorstände der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung
(KZBV) erhalten nicht nur ein
Festgehalt von jährlich 250 000
Euro. Hinzu kommen variable
Sondervergütungen bis zu 20
Prozent der Summe sowie je ein
Dienstwagen. Sie versuchten
außerdem, sich ein »Übergangsgeld« von 626 587,50 Euro pro Person zu genehmigen.
Zur Kontrolle dieser Ausgaben
ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) verpflichtet.
Offenbar half es aber, die selbst
aus ministerieller Sicht zu hohen Bezüge zu verschleiern. Das
ergab jetzt die Antwort des BMG
auf eine Anfrage der LINKEN im
Bundestag.
Das Übergangsgeld der drei
Vorstände sollte den Wert von
30 Monatsgehältern haben. Der
Vorstand, Jürgen Fedderwitz
und seine beiden Stellvertreter,
wurden allerdings Anfang 2011
wiedergewählt. Die große Frage
ist also, welchen Übergang die
Summe überbrücken soll. Regulär dauert jede Amtszeit sechs
Jahre, die aktuelle also bis
2017. Die KZBV vertritt die
Zahnärzte gegenüber Krankenkassen und in der Politik. Der
Berufsstand ist zur Mitgliedschaft verpflichtet, kann seine
Beiträge jedoch als Kosten abrechnen. Somit zahlen die Versicherten mittelbar auch die
Vorstandsgehälter.
Das Gesundheitsministerium wollte dem ApanageWunsch nur in der Höhe nicht
folgen. Mit der Zahlung an sich
hat es keine Probleme, es
warnte jedoch vor der öffentlichen Wirkung. So stimmte es
offensichtlich einem KZBVVorschlag zu, nur den Betrag
von zwölf Monatsgehältern direkt auszuzahlen und den Rest
in eine Alterssicherung umzumünzen. Dabei war auch den
Vorständen durchaus bewusst,
was auf dem Spiel stand. In einem vertraulichen Brief des
Vorsitzenden der KZBV-Vertreterversammlung Karl-Friedrich Rommel vom 23. Oktober
wird der Vorgang geschildert.
Veröffentlicht wurde das
Schreiben auf der Webseite des
Berufsverbandes der Internis-
ten. Darin heißt es über die
Konsequenzen einer öffentlichen Debatte zum Thema: Sie
wäre »voraussichtlich nicht nur
mit unzumutbaren persönlichen
Belastungen für die Vorstandsmitglieder, sondern eventuell
auch mit einer Rufschädigung
der KZBV und der Zahnärzteschaft insgesamt in der Öffentlichkeit verbunden«.
Die nicht-öffentliche KZBVVertreterversammlung, die Anfang November in Frankfurt am
Main stattfand, fasste dann den
Umwandlungsbeschluss. Rommel hatte in seinem Brief an die
Vertreter betont, dass dadurch
»keine Veränderung der Werthaltigkeit der Vorstandsdienstverträge insgesamt« erfolge.
Nun ist es nicht so, dass die
Vorstände für den Zeitraum ihrer Funktionärstätigkeit keine
Altersvorsorge erhalten. 40 000
Euro werden hier jährlich bereits gezahlt. Außerdem sind
zwei der drei Herren weiterhin
an Zahnarztpraxen beteiligt.
Für Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der
LINKE-Fraktion, ist besonders
fragwürdig, in welchem Maße
das Ministerium daran mitwirkte, die Übergangsgelder zu
verschleiern. Die Höhe der Vergütungen könne offensichtlich
der Selbstverwaltung nicht
mehr überlassen werden, so
Michael Reese, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abgeordneten, da diese sich immer an
höchstmöglichen Beträgen orientiere. Die Gehälter könnten
zum Beispiel gesetzlich festgeschrieben werden. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr
(FDP) hatte kürzlich in einem
Interview von Gehaltsexzessen
bei den Verbänden gesprochen
und Eingriffe seines Ministeriums angekündigt. Im konkreten
Fall sieht das BMG jedoch keinen Anlass einzugreifen.
Ein ähnliches Problem mit
der Zahlung von Übergangsgeldern ohne Übergang hatte es bei
der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin gegeben. Hier
forderte der aufsichtsführende
Berliner Senat die Rückzahlung
der Gelder, da die Vorstände
wiedergewählt wurden. Dagegen hatte die KV geklagt, während der Verhandlung aber angesichts der Aussichtslosigkeit
des Verfahrens die Klage zurückgezogen. Die KV Berlin erwägt nun, statt der Übergangsgelder die Gehälter zu erhöhen.
Kapstadt/Berlin (Agenturen/nd). Brennende
Kirchen in Kenia, Massaker an Christen in Nigeria, Willkür und Gewalt gegen Christen in
Nahost: Christen wurden auch 2012 in vielen
Regionen der Welt diskriminiert und verfolgt.
Nach Ansicht von Experten hat sich die Lage
dieser Glaubensgruppe international im zu
Ende gehenden Jahr weiter verschlechtert.
Weltweit sind dem Hilfswerk »Open Doors«
zufolge 100 Millionen Christen wegen ihres
Glaubens von Verfolgung, Misshandlung oder
Tod bedroht. Am übelsten geht es demnach
Christen in Nordkorea. Aber auch in vielen islamischen Ländern sind sie gefährdet.
In Nordkorea sollen mindestens 200 000
Christen brutaler Verfolgung ausgesetzt sein.
In China gibt es zwischen 20 und 70 Millionen
Christen. Der Staat zwingt dort die Gläubigen
mit »patriotischen« Kirchenvereinigungen
unter seine Kontrolle. Die offizielle katholische Kirche (sechs Millionen Gläubige) erkennt die Autorität des Papstes nicht an. Viele
Christen praktizieren ihren Glauben in Hauskirchen oder anderweitig im Untergrund und
sind deshalb oft staatlicher Verfolgung ausgesetzt. In Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land, kommt es nach
Kirchenangaben immer wieder zu Übergriffen
gegen Christen. Gemeinden wurden mancherorts aufgefordert, ihre Kirchen wieder
einzureißen. In Afghanistan bekennt sich die
Regierung zwar zur Religionsfreiheit, in der
Realität gibt es aber faktisch keine öffentliche
Kirche mehr. Saudi-Arabien besitzt keinerlei
Religionsfreiheit. Christen müssten ihren
Glauben geheim halten, sonst drohe die Todesstrafe, so »Open Doors«. Kirchen sind nicht
erlaubt. Mit dem Bürgerkrieg in Syrien wächst
die Unruhe unter den Christen dieses Landes.
Die christliche Minderheit ist gespalten. Etliche Christen und auch führende Geistliche
unterstützen das Regime von Präsident Baschar al-Assad, weil sie die Errichtung eines
islamischen Staates befürchten.
Seite 3
KURZ
Für Patriot-Einsatz
Den Haag (dpa). Das niederländische Parlament hat dem Einsatz von Patriot-Abwehrsystemen in der Türkei zugestimmt. Nach einer fast siebenstündigen Debatte in der Nacht
zum Freitag unterstützte eine große Mehrheit
der Abgeordneten den Einsatz. Dagegen
stimmten die oppositionellen Sozialisten und
die Rechtspopulisten.
Gegen Todesstrafe
New York (AFP). Eine Rekordzahl von 111
Ländern hat sich auf einem Treffen der UNVollversammlung am Donnerstag für eine
Aussetzung der Todesstrafe ausgesprochen.
Das nicht bindende Votum der Menschenrechtsberatungen in New York wurde als
starkes Signal an die Länder gewertet, in denen noch Gefangene hingerichtet werden.
Am Montag im »nd«
Dem Krieg entkommen
Fotoreport:
Camay Sungu bei syrischen
Flüchtlingen in Jordanien